Inhaltsverzeichnis

Impressum

Widmung

Zu Hause

Das Fest

Der Blitzschlag

Das Erwachen

Sie kommen

Die Antitechniker

Der Professor

Marsch zum Bunker der Rebellen

Ziel Haunebu

Gefangen

Das Verhör

Das zweite Verhör

Flucht

Die alte U-Bahnstation

Der Bunker des Professors

Rückkehr zu den Antitechnikern

Die Forschungsstation

Der Tunnel Richtung Peenemünde

Die Erkundung von Peenemünde

Umzug

Übersiedlung

Angriff

Fahrt nach Mexiko

Das Bergwerk

Die Kuppel

Das Trainingscamp

Beförderung

Kein Zurück

Großangriff

Verwundet

Waffenruhe

Rückkehr

Angriff

Erkenntnis

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2017 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-903155-14-5

ISBN e-book: 978-3-903155-15-2

Lektorat: Bianca Brenner

Umschlagfoto: Szefei, Solarseven | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Widmung

Meine liebe Tochter Elvira,

seit ich ein kleiner Junge bin, träume ich von zwei Dingen, nämlich von der Besiedlung des Universums mit Raumschiffen und von einem Mädchen, das mein Leben für immer verändert und mich glücklich macht.

Jahrelang habe ich diesen Träumen nachgeeifert und wusste nicht, was ich finden würde und wie ich weiterkommen konnte.

2012 habe ich dann per Zufall das Mars-One-Projekt entdeckt und auf Anhieb gewusst, dass dies mein Weg ist.

Auch jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, ist das Projekt aktuell und ich bin einer von nur noch wenigen Bewerbern weltweit. Dieses Jahr entscheidet es sich, wie es damit weitergehen wird.

Der zweite Traum handelt von einem geheimnisvollen Mädchen. Heute weiß ich, dass Du das bist, meine wunderbare Tochter. Meine liebe Lebensgefährtin Corinna hat Dich zur Welt gebracht, einen Quell großer Freude.

Es brauchte Jahre, bis ich merkte, was tief in mir vorging. Ich lernte 2016 einen Meister kennen, der mich in mystische Rituale einführte und mir so zeigte, wie ich zu mir finden kann. Leider kann er diese Zeilen physisch nicht mehr lesen. Aber er wird mir stets nahestehen.

Doch schon vorher hatte mir ein Freund erklärt, wie sich eine imaginäre Welt gestalten lässt, in welcher man Zugang zu seinem Unterbewusstsein hat.

In meiner persönlichen mystischen Welt lebte ein großer Drache. Diesem Drachen vertraute ich meine Geheimnisse, Ängste und Wünsche an. Eines Tages lag ein Ei in seinem Nest. Einige Monate später war aus dem Ei ein Drachenbaby geschlüpft. Zu dieser Zeit begann ich, in meinen Träumen eine Stimme zu vernehmen, die mich immer wieder rief. Und es war dieser Ruf, den ich niemals vergessen werde: „Ich will auf die Erde, Steve! Es ist an der Zeit, dass ich nun ankomme. Ich bin eine Seele, welche inkarnieren möchte, und Du wirst mein leiblicher Vater sein. Ich bin die Drachenkriegerin.“

Du musst wissen, dass ich zunächst verunsichert war. Denn derart intensive Botschaften aus dem Reich des Unbewussten wirken auf Menschen oft heftig. Doch nach einer längeren Phase des prüfenden ‚Insichgehens’ waren Corinna und ich uns einig, dass die Mutterschaft die absolut richtige Entscheidung war.

Am 06. 11. 2016 kamst dann Du, meine geliebte Drachenkriegerin, zur Welt. Deine Geburt, die auch nicht ganz einfach vom Stapel lief, war für mich ein solch ergreifender Moment, wie ich ihn bisher noch nie erlebt hatte. Nicht umsonst sind Geburt und Tod die wichtigsten Ereignisse im Leben eines Menschen. Dazwischen liegt das Leben, welches für jeden und jede so einzigartig sein kann, sofern man sich dessen bewusst wird.

Darauf hatte mich ein weiterer Freund aufmerksam gemacht. Er ist Mitglied eines jahrhundertealten, im Hintergrund wirkenden Ordens und hat mich darin bestärkt, dass diese Art der humanistischen Arbeit auch für mich der richtige Weg ist. Mitglieder dieser Gemeinschaft haben das Weltgeschehen schon immer genau verfolgt und protokolliert. Denjenigen, die es wissen möchten, wird es auch offenbart:

In den nächsten Jahrzehnten werden sich die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme global wandeln. Diese neue Ordnung beinhaltet die Errichtung dreier konkurrierender Weltmächte. Diese drei großen Blöcke werden auch einen bis anhin nie dagewesenen Kolonialismus betreiben, um den riesigen Rohstoffbedarf ihrer Völker zu decken. Dies vor allem in unwirtlichen Landstrichen, wie etwa in Wüstengegenden und in einsamen Berghöhen. Aber auch in die Tiefseeregionen und ins Erdinnere werden diese Bemühungen reichen.

Insbesondere wird jedoch der Vorstoß ins All massiv forciert werden.

Solche Kolonien werden in der Regel von Menschen bevölkert, die in ihren Heimatorten aus irgendwelchen Gründen nicht klarkommen bzw. dort nicht länger erwünscht sind. Oft können sie dann Repressalien und Verfolgungen nur deshalb entgehen, weil sie sich zur Besiedlung und einer damit einhergehenden Ausbeutung fremder Gebiete bereit erklären. Mit der Zeit entwickeln sich ehemalige Kolonien allmählich zu eigenständigen gesellschaftlichen Gebilden. Die Geschichte ist voller Beispiele dafür.

Zwar bin ich kein Hellseher, pflege aber dennoch Visionen. Darum kann ich mir bestens vorstellen, dass das Mars-One-Projekt einen wichtigen Teil dieser Zukunft darstellt. Demzufolge versuche ich, mit meinem Wirken einen Beitrag zu dieser Entwicklung zu leisten. Dies bei allen sichtbaren Schwierigkeiten dennoch immer zum Wohl der Menschen.

Mein erster Roman erhebt beileibe keinen Anspruch darauf, in den Kanon der Weltliteratur aufgenommen zu werden. Die Geschichte soll in erster Linie unterhaltsam sein. Dennoch wünsche ich mir, dass die darin angeschnittenen Themen der Leserschaft auch einen Anlass dazu geben, ernsthaft nachzudenken.

Selbstverständlich sehe ich die Zukunft nicht ganz so düster, wie sie in diesem Roman beschrieben wird. Aber es ist tatsächlich so, dass auf unserem Planeten destruktive Gruppierungen wirken, welche einzig und allein das Materialistische und damit verbunden die Kontrolle über die Macht anstreben. Freude, Mitgefühl, Empathie, Nächstenliebe und Toleranz sind Werte, die für jenen Menschenschlag nichts bedeuten.

Und wie schon seit jeher, versucht dadurch auch das Gute, sich gegenüber dem Bösen zu behaupten. Die Welt ist also kein Jammertal, sondern bietet den einzelnen Individuen stets aufs Neue die Möglichkeit, sich zu reformieren, um den konstruktiven Weg zu gehen.

In diesem Roman werden durchaus klischeehafte Zuteilungen gemacht. Doch beschuldige ich damit niemanden. Es geht mir lediglich darum, zu zeigen, dass sich die Geschichte wiederholt, wenn man nicht wachsam bleibt und sorgsam mit den Ressourcen umgeht. Was in der Vergangenheit geschah, kann nicht rückgängig gemacht werden. Doch dürfen wir heutige Generationen für das, was gewesen war, nicht länger verantwortlich machen. Wir sollen im Gegenteil in erster Linie an uns selbst arbeiten, um ein sinnvolles Leben zu führen. Ein segenreiches Dasein, welches liebevoll, wertschätzend und aufbauend ist.

Dies erhoffe ich sowohl für meine Elvira als auch für alle anderen Kinder dieser Welt. Mein Dank für die frühere, andauernde oder zukünftige Unterstützung gilt daher meinen Partnern und Freunden, meiner Familie und insbesondere meinen Eltern, die mir eine schöne Jugend ermöglichten. Für ihr Vertrauen und ihre aufmunternde Zuversicht danke ich ganz besonders meiner Lebensgefährtin Corinna.

Meine liebe Tochter, ich hoffe, dass Du eines Tages dieses Buch liest und verstehst, weshalb ich das alles mache. Zudem hoffe ich, dass Du auch ein wenig stolz auf mich sein wirst.

Danke Corinna, Kevin und Felix

Steve Schild, Frühjahr 2017

Zu Hause

Der Morgen war düster. Noch bevor Vivianne aus dem Fester schauen konnte, wusste sie, dass es regnete. Kurz zuvor hatte sie das furchtbar schrille Klingeln des Weckers aus dem Schlaf gerissen. Joe, der neben ihr lag, hatte sich vom Wecker nicht stören lassen. Seelenruhig schlief er weiter, er musste erst um 09:00 Uhr zur Arbeit fahren.

Halb verschlafen und mit verklebten Augen lief Vivianne ins Badezimmer. Sie war noch zu müde, um die Verunreinigung am Boden zu bemerken, und als sie vor dem Spiegel stand und etwas Dickflüssiges zwischen ihren Zehen spürte, drang ihr auch schon der Geruch von frischem Hundekot in die Nase. Matador hatte wieder mal ins Badezimmer gemacht. Durchfall.

»Was für ein Tag!«, dachte sie. »Schlimmer kann es kaum kommen.«

Vivianne wusch sich die Füße, holte einen Lappen, um den Boden zu reinigen, und öffnete die Fenster weit, damit der Geruch entweichen konnte. Anschließend wusch sie sich das Gesicht und zog frische Kleider an. Was jetzt noch fehlte, war ein Kaffee. Während er aus der Maschine rieselte, hörte sie auf ihrem Handy Internetradio. Wieder ein Anschlag in Israel, das Wetter diesig und kalt. Ein Tagesbeginn wie jeder andere. Mit wenigen Schlucken trank sie den Muntermacher aus. Das tat gut. Jetzt aber schnell zur Arbeit.

Vivianne war Informatikerin. Erst vor Kurzem hatte sie ihre Ausbildung abgeschlossen und durch Glück oder Zufall eine gute Stelle gefunden. Die Arbeit als IT-Support bei einem renommierten Treuhandbüro machte ihr Spaß und das Arbeitsklima war sehr angenehm. Trotzdem verspürte sie an diesem Tag nicht allzu große Lust, arbeiten zu gehen. Glücklicherweise war es Freitag und das Wochenende ließ nicht mehr lange auf sich warten.

Vivianne hüpfte die Treppenstufen runter zu ihrem Auto, einem alten Toyota Carina, der zwar 250.000 Kilometer auf dem Tacho hatte, sich jedoch wie ein Neuwagen benahm. Kein Rost, keine Beulen und Dellen, keine sonstigen Probleme. Joe, ihr Ehemann, der gerne bastelte, hatte den Innenraum in ein hochtechnisiertes Cockpit umgerüstet, es gab sogar einen DVD-Player und Rückfahrkameras. Doch das beeindruckte Vivianne nicht, sie wollte mit dem Wagen nur zur Arbeit. Unterwegs musste sie feststellen, dass die Leute wieder einmal fuhren, als wäre ein Nashorn hinter ihnen her. Zudem wäre sie im Kreisverkehr fast von einem Typen, der noch zu schlafen schien, von links gerammt worden. Als Vivianne das Radio einschaltete, wurde ihr bewusst, dass sie nicht pünktlich zur Arbeit kommen würde. Es wurde ein mehr als drei Kilometer langer Stau vermeldet.

Inzwischen war es 08:00 Uhr geworden. Joe kroch aus seinem Bett und schaute in denselben, verregneten Himmel, den auch seine Frau zuvor gesehen hatte. Nachdem er sich ein paar alte Shorts und ein T-Shirt angezogen hatte, ging er ins Büro, wo er seinen Computer startete und seinen E-Mail-Account checkte. Es war keine einzige Mail gekommen. Anscheinend gab es niemanden in der ganzen, großen Welt, der an ihn dachte. Nun, was sollte es auch, er war es ja gewohnt, nur vereinzelt Mails zu bekommen. Joe ließ Musik laufen, es war eine Gruppe aus den 1980er-Jahren: Kraftwerk. Wie schön diese Töne aus den sechs Lautsprechern drangen. Er genoss die Musik, es ging ihm heute gut.

Gleichzeitig loggte er sich in seinen Onlineshop ein, in dem er Science-Fiction-Figuren, Games und Merchandise-Waren feilbot, und ging die neuen Bestelleingänge durch. Der E-Shop lief bestens, bald wollte er mit Vivi, so nannte er seine Liebste, einen eigenen Laden eröffnen. Nachdem er die Bestellungen bearbeitet hatte, schaltete er das Gerät aus und machte sich bereit für die Arbeit.

Seine Brötchen verdiente sich Joe als E-Techniker bei der Firma Megatron Robots. Die Firma lag nur fünf Minuten zu Fuß die Straße runter, weshalb er keinerlei Stress hatte und den Morgen genießen konnte. Ihm war es sogar recht, dass es regnete, das hob bei ihm stets die Stimmung, es fehlte nur noch, dass es gewitterte. Blitz und Donner faszinierten ihn so sehr, dass er überall im Büro Bilder von Wetterleuchten und Gewittern aufgehängt hatte. Wie eindrucksvoll diese riesigen Energien doch waren. Joe joggte zu seinem Arbeitsplatz, trank dort erst einmal eine heiße Ovomaltine und begab sich anschließend ins Labor.

Als Vivi abends nach Hause kam, roch es bereits lecker nach Fisch und Spinat. Kaum hatte sie die Tür hinter sich zugemacht, kam auch schon der Hund herangetollt, eine Promenadenmischung aus Appenzeller Sennenhund und Deutschem Schäfer. Lange hatte Vivi Hunden gegenüber eine starke Abneigung gehegt, doch als ihr an einem Sonntagmorgen ein herumstreunender, leicht hinkender Hund aufgefallen war, hatte sie ihn sogleich in ihr Herz geschlossen, ihm den Namen Matador gegeben und ihn mit nach Hause genommen. Er war ein lieber, alter, trotteliger Kerl, und Vivi mochte ihn unheimlich gern. Kurz nach der Begrüßung durch Matador kam auch schon Joe herbei und umarmte sie. Endlich waren sie wieder zusammen. So ein Tag konnte ewig dauern; jede Minute, die sie ohne einander waren, war für sie wie eine Ewigkeit.

Den Abend verbrachten sie mit Lesen und sinnlosen Diskussionen über das Essen. Vivi dachte wieder einmal, sie wäre zu dick und Joe wollte am nächsten Tag einfach keinen Salat zu Mittag essen. Vivi beklagte sich dauernd darüber, dass sie zu dick war, dabei war ihr Köper so wohlgeformt, dass man das Wörtchen »dick« nicht einmal in den Mund nehmen durfte. Joe hatte wie immer andere Sorgen. Nachdem er sein Buch fertig gelesen hatte, versuchte er, ein neues Programm zu installieren, doch es lief nicht. Gegen die Tastatur hämmernd warf er beinahe den neuen Flachbildschirm zu Boden. Es reichte ihm, Vivi musste her! Sie nahm sich des Problems an und hatte es schnell gelöst. Joe hatte vergessen, die Kompatibilität richtig einzustellen, weshalb es kein Wunder war, dass das Programm nicht gelaufen war. Normalerweise konnte Joe nichts so schnell aus der Fassung bringen und Vivi war die Aufbrausende, doch heute verhielt es sich einmal umgekehrt. Nachdem alles installiert war und ordnungsgemäß lief, zwang Vivi Joe, den PC auszuschalten. Sie wollte mit ihm noch einen Film anschauen, am nächsten Tag konnten sie ja beide ausschlafen. Sie wählten »Virus«, einen Blockbuster, in dem es um einen außerirdischen Computervirus ging, der alle PCs eines Forschungsschiffes infizierte. Der Virus war so fortgeschritten, dass er sich die ganze Crew zu eigen machte, indem er alle Mitglieder tötete und ihre Körper mit Elektronik versah. So wurden aus Menschen biomechanische Roboter. Der Film lief bereits eine Stunde, als Vivi sich zu Joe umdrehte und bemerkte, dass er tief und fest schlief. Sie schaute allein weiter, bis nur noch Schund in der Kiste kam, dann weckte sie ihn, damit sie ins Bett gehen konnten.

Joe erwachte am nächsten Tag als Erster. Er konnte es nicht lassen und weckte seine Frau. Anstatt eines »Guten Morgen« wurde ihm jedoch nur ein Brummen entgegnet. Er wusste, wie er sie dazu kriegen konnte, die Augen zu öffnen. In der Küche bereitete er das Frühstück zu, um es ihr gleich ans Bett zu bringen. Als Vivi den Kaffee und die aufgebackenen Brötchen roch, war sie sofort hellwach und begann, herzhaft zu essen. Nun war der Tag gerettet, es musste nur noch der Hund gefüttert und Gassi geführt werden. Das Füttern übernahm Vivi, so war Joe gezwungen, sich aufzuraffen und mit Matador nach draußen zu gehen. Aber es war ein herrlicher Tag. Joe sang vor sich hin, während der Hund irgendwo weiter vorne mit Steinen spielte. Immer wieder kam er zu seinem Herrchen und drängte es, doch mitzuspielen. Hin und wieder ließ sich Joe überreden und warf den Stein irgendwo ins Gebüsch, wo ihn Matador nicht so schnell finden konnte.

Währenddessen war Vivi zu Hause und bügelte die Wäsche. Im Hintergrund lief irgendein Radiosender mit moderner, öder Musik. Am Abend wollten Joe und sie auf ein spezielles 80er-Jahre-Festival gehen und sie freute sich riesig, da sie noch nie auf einer solch großen Veranstaltung gewesen war. In Nesslauen, diesem unbedeutenden Dörfchen in Deutschland, in dem sie in einem Haus am Waldrand lebten, hatte es noch nie einen ähnlichen Anlass gegeben. Um 20:00 Uhr würde das Spektakel beginnen.

Als es Abend wurde, stand Vivi im Bad, wo sie sich für den Anlass fertigmachte, während Joe, der bereits geduscht hatte, ungeduldig auf sie wartete.

Das Fest

Mit ihrem alten Auto machten sich Joe und Vivi auf den Weg. Sie hatten abgemacht, dass Joe heute fahren und keinen Alkohol trinken würde. Die Fahrtzeit betrug nur circa zehn Minuten. Man hatte das Festzelt außerhalb des Dorfes aufgebaut, auf der gegenüberliegenden Dorfseite von Joes und Vivis Haus aus betrachtet. Für die Verhältnisse der 2000-Seelen-Gemeinde war das Zelt wirklich groß. Es schien, dass die Besucher von weit her gekommen waren. Rund um das Festgelände parkten alte Autos, darunter auch Pontiacs und Dodges. Das Auge der beiden fiel sofort auf einen 80er Pontiac Firebird Trans Am, ihr Traumauto. Vivi schoss ein paar Dutzend Fotos von den Autos und Joe holte unterdessen die Eintrittskarten. 40 Euro waren mehr als genug, doch so etwas gab es ja nicht jeden Abend zu sehen. Und einmal im Jahr konnten sie es sich leisten, denn das Ehepaar lebte sparsam. Joe und Vivi betraten das Zelt und schon waren sie umgeben von zahlreichen Freaks mit ausgefallenen Frisuren und Anzügen. Vorn auf der Bühne startete gerade die Band Kraftwerk ihre Show und begeisterte das Publikum mit dem Song »Wir sind die Roboter«. Die Masse begann zu tanzen und bewegte sich monoton zum Rhythmus der Musik, als wäre sie auf Drogen. Es sah amüsant aus, keiner tanzte aus der Reihe.

Doch das Ehepaar wollte sich erst mal einen Drink genehmigen und setzte sich an einen Tisch. Vivi gönnte sich seit Langem wieder einmal einen Irish Whisky, Joe trank ein Mineralwasser. Wippend ließen sie sich vom Klang der Musik mitreißen und genossen die Show. Als das Konzert zu Ende war, bewegten sie sich zur Bar und bestellten nochmals Getränke. So gut es im Dröhnen der Lautsprecher-Musik möglich war, unterhielten sie sich. Wie immer waren ihre Hauptthemen Computer und die Zukunft. Was würde wohl geschehen, wenn in 50 Jahren alle Rohstoffe aufgebraucht wären und es kein Öl mehr gäbe? Es kamen Theorien über Kernfusionsgeneratoren, die eine ungemein große Energie freiließen, auf. Vielleicht würde es ja auch Blitzgeneratoren geben, welche die gesamte Energie eines Gewitters für Jahre speichern konnten. Vivi redete wirres Zeug, der Whisky schien zu wirken, denn sie erzählte von fliegenden Untertassen, von denen sie gelesen hatte. Sie meinte, die Deutschen hätten ja im Zweiten Weltkrieg einige davon gebaut, dann redete sie von ihrem Whisky und davon, wie gut er doch wäre. Joe lächelte und hörte ihrem Geschwafel zu. Da Vivi fast nie Alkohol trank, genügten zwei Gläser, damit sie betrunken war. Sie redeten weiter und einige interessierte junge Leute setzten sich zu ihnen und diskutierten eifrig mit. Vivi war das Highlight des Abends. Sie sprach ununterbrochen von ihren Erfahrungen als Informatikerin, und dass sie gelesen hatte, es würde in der Arktis eine Zivilisation geben, die sich gegen Ende des Krieges 1945 abgesetzt hatte. Sie behauptete, die Illuminaten regierten die Welt, und ab diesem Zeitpunkt konnte man sie nicht mehr ernst nehmen. Joe hatte sich in diese Bücher, die bei ihnen zu Hause herumlagen, ebenfalls hineingelesen, doch er war davon nicht angetan, für ihn war das alles Unfug und geistige Spinnerei. Er bevorzugte Bücher über Artus und seine Ritter der Tafelrunde. Alles Alte hatte es ihm angetan, das Mittelalter faszinierte ihn.

Die Zuhörer an ihrer Seite stellten sich jedoch ebenfalls als geistig verwirrte Personen, die etwas von UFOs und Aliens zu berichten hatten, heraus. Joe versuchte, ein anderes Thema anzuschneiden, da es so absurd wurde, dass er es nicht mehr aushielt, denn war Vivi einmal angetrunken, war es keine Freude, mit ihr zu diskutieren. Niemand kam mehr zu Wort und Vivi redete derart schnell, dass man kaum etwas verstand.

Die Zeit verstrich und Joe gab es auf, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben. Allmählich wurden sie müde. Ihre Gesprächspartner hatten sich nach der Reihe verabschiedet und die beiden schlenderten noch einmal über das Festivalgelände. Schließlich musste Joe seine Frau zum Auto schleppen. Sie konnte sich noch einigermaßen auf den Beinen halten, aber das Gemisch aus Müdigkeit und Alkohol hatte ihr zugesetzt. Als sie im Auto saßen, legte Joe eine DVD in den Player ein und spielte einen Film ab, um Vivi, die ihm allzu aufgedreht war, abzulenken. Nach wenigen Minuten schlief sie ein. Joe startete den Motor und rollte langsam das Gelände entlang zur Straße. Der Nachthimmel war klar, kein Wölkchen war zu sehen. Joe entschied sich für eine Fahrt über die Autobahn, welche am Dorfrand vorbeizog. Das war der kürzeste Weg auf die andere Seite des Dorfes. Als die Kurznachrichten im Radio kamen, wurde berichtet, dass sich eine ungewöhnlich starke Sturmfront näherte und mit raschem Wetterumschlag zu rechnen wäre. Hagel wurde vorausgesagt und es wurde dazu geraten, auf keinen Fall die Autobahn zu nehmen. Joe befand sich zu diesem Zeitpunkt genau auf dieser Straße. Kein Auto war zu sehen, es war gespenstig ruhig da draußen. Sein Blick wanderte auf den dunklen, wolkenlosen Sternenhimmel. Von einer Sturmfront war keine Spur zu sehen. Aus welcher Richtung würde sie wohl kommen? Joe fuhr weiter. Es waren nur noch wenige Minuten bis zur Ausfahrt. Als der Sender zu rauschen begann, schaltete er verärgert das Radio aus und schob die Schuld auf die Hochspannungsleitungen, welche sich zu beiden Seiten der Autobahn hinzogen.

Kurz vor der Autobahnausfahrt blickte Joe erneut in den Himmel. Er hielt den Kopf schräg und spähte aus der Frontscheibe nach oben, wo er tatsächlich eine Sturmfront aufkommen sah. Es wurde innerhalb weniger Sekunden stockfinster, der bis anhin noch so helle Mond wurde ganz plötzlich von einer schwarzen Wolkendecke verhüllt. Joe schaltete die Nebelscheinwerfer ein, damit er zusätzliches Licht hatte, und drosselte massiv die Geschwindigkeit. Und dann – völlig unvermittelt – hellte ein erster Blitzschlag die Gegend auf. Ihm folgten ein zweiter, ein dritter und schließlich ein ganzes Dutzend. Überall zischten Blitze an ihnen vorbei. Die Umgebung wurde taghell erleuchtet und nun sah Joe auch ein, warum er diese Straße hätte meiden sollen. Im Auto, das als Faradaykäfig dienen konnte, waren sie zwar vor elektrischen Entladungen sicher, doch was sollten sie tun, wenn ein Strommast getroffen würde oder der Wind einen der vereinzelten Bäume knicken und auf die Fahrbahn werfen sollte? Die Blitze peitschten immer wütender durch die Luft, doch dies schien Vivi nicht zu stören. Leise schnarchend lehnte sie mit dem Kopf an der Fensterscheibe.

Der Blitzschlag

Kurz nachdem Joe die Autobahn verlassen hatte, begann es auch noch zu hageln. Er beobachtete mit zunehmendem Unmut das Gewitter. Ein solches Unwetter konnte sehr gefährlich sein, wenn man fuhr. Er wollte so schnell wie möglich nach Hause kommen, um sich und seine schlafende Ehefrau in Sicherheit zu bringen. Joe beschleunigte und konzentrierte sich auf die Fahrbahn, welche von der Dunkelheit fast verschluckt wurde. Da passierte es: Ein unvorstellbar helles Licht erstrahlte und ein grauenerregendes Getöse, ein Zischen und Brummen, ein Gedröhne so laut wie 1.000 Flugzeuge, die gleichzeitig starteten, waren zu hören. Joe war geblendet. Er trat auf die Bremse und kam schleudernd am Straßenrand zum Stillstand. Blitze entluden sich simultan, die Hochspannungsmasten in einiger Entfernung schienen zu zerbersten, die Straße wackelte, als ginge die Welt unter. Funken stoben durch die Luft und einige Büsche am Straßenrand loderten in Flammen. Die Luft im Umkreis des alten Carina wurde glühend heiß, die Wärme schien sie zu versengen. In diesem Moment brach durch das rechte Fenster ein Stein ein, etwa tennisballgroß, und traf Vivianne am Kopf. Sie blutete und Joe versuchte entsetzt, sie zu wecken, hatte jedoch keinen Erfolg.

»Mein Gott, ist sie tot oder nur ohnmächtig?«, schoss es ihm durch den Kopf.

Plötzlich wurde das Auto ohne sein Zutun in Bewegung gesetzt und Joe sah vor sich etwas Undefinierbares. Von einem Punkt vor ihnen ausgehend wurde die ganze Umgebung allmählich zu einer zähen, klebrigen Masse, nicht fest, aber auch nicht flüssig, und sie bewegten sich genau auf das Zentrum zu. Reflexartig legte Joe den Rückwärtsgang ein und gab Gas. Alle Versuche, sich von dem Unheil zu entfernen, blieben jedoch erfolglos, der Wagen wurde schneller und schneller nach vorne gesogen, obwohl der Motor nicht mehr lief. Joe floss der Schweiß hinunter, seine Hände klebten am Steuerrad und das Getöse wollte nicht aufhören. Dafür waren die Blitze versiegt und die sie umgebende Finsternis hatte sie wie ein schwarzes Tuch umhüllt.

Ein Ruck – und Joe fiel in Ohnmacht.

»Träume ich oder bin ich tot?«, fuhr es Joe durch den Kopf, als er langsam wieder zu sich kam. Durch die Autoscheibe sah er seltsam leuchtende, weiße, rote, violette und gelbe Kugeln, die rasend schnell an ihnen vorbeiflitzten.

Mit Schrecken erinnerte er sich plötzlich daran, was mit seiner Frau passiert war. »Vivi!« Er drehte sich zu ihr um. Noch immer lehnte sie schlafend am Autofenster. Ein feines, rotes Rinnsal floss aus ihrem langen, braunen Haar und tropfte gemächlich auf ihr pinkfarbenes Top, welches sie passend zum 80er-Jahre-Festival angezogen hatte. Er versuchte, sie zu wecken, doch auch diesmal blieb der Erfolg aus. Wenigstens war sie nicht tot, er fühlte, dass sie atmete.

»Was ist geschehen? Wo sind wir?«, dachte er verzweifelt.

Leicht hysterisch lachte Joe auf. Das Festival! Nun erinnerte er sich wieder klar an die Vorkommnisse. Sie waren auf dem Nachhauseweg vom 80er-Jahre-Festival gewesen. Dies schien ihm jetzt interessanterweise endlos weit entfernt. Als wäre es vor 100 Jahren gewesen, dabei konnte es nicht mehr als eine halbe Stunde her sein, dass sie aufgebrochen waren.

Wenn man den Erzählungen mancher Leute Glauben schenkt, hätte er jetzt wahrscheinlich bald ein weißes Licht am Ende eines Tunnels sehen müssen. Aber er sah nichts. Dafür hörte er seltsame Geräusche. Vielleicht hatte ihm jemand was ins Mineralwasser geschüttet und er drehte durch. Nichts schien ihm normal zu sein und erneut fiel er in Ohnmacht.

Als Joe erwachte, war der Wagen zum Stillstand gekommen. Die farbigen Kugeln hatten sich verabschiedet und einer gähnenden, schwarzen Leere Platz gemacht. Vivi lag immer noch schlafend neben ihm. Er öffnete seinen Sicherheitsgurt und versuchte, aus dem Auto zu steigen. Die Tür ließ sich zwar problemlos öffnen, doch als er vorsichtig mit seinem Fuß nach dem Boden tastete, war dieser nicht zu spüren. Das Licht im Autoinneren reichte nicht aus, um die dichte Finsternis zu durchbrechen, die draußen herrschte, also entschied sich Joe, im Wagen zu bleiben, bis er klare Gedanken gefasst hatte. Verwirrt rieb er sich die Augen, blickte dann auf seine Uhr und bemerkte, dass sie nicht mehr funktionierte. An seinem Handgelenk hing nur noch ein schwarzes Ding, völlig verbrannt. Komischerweise war das Autoinnere keineswegs beschädigt, nur auf der Motorhaube sah er im Scheinwerferlicht ein paar schwarze Streifen und das Fenster auf Vivis Seite war vom Stein zerbrochen. Joe versuchte, das Radio anzumachen, aber es drangen nur bissige Geräusche aus den Lautsprechern. Das Gerät suchte nach Frequenzen und für kurze Zeit sah Joe auf dem Display MF 215.0 aufleuchten, eine Frequenz, die er nicht kannte, dann erlosch das Display und das Radio gab den Geist auf. »Weltklasse«, seufzte er.

Das Erwachen

Allmählich wurde es hell und Umrisse der Umgebung wurden sichtbar. Doch alles lag in einem seltsamen Dunst verhüllt, sodass Joe kein klares Bild gewinnen konnte. Er fühlte sich, als erwachte er langsam aus einem tiefen Traum. Hatte er sich alles bloß eingebildet? War er ohnmächtig gewesen? Er sah, wie sich Konturen von Hügeln und Sträuchern abzuzeichnen begannen und alles wieder scharf wurde. In diesem Moment erwachte Vivi aus ihrem ohnmächtigen Schlaf. Irritiert blickte sie um sich und hielt sich den Kopf, der schmerzte.

»Wo sind wir?«, fragte sie. »Was ist los?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung! Du hast das Beste vom Film verpasst«, meinte Joe ironisch. Fragend sah Vivi ihn an.

»Entschuldige den blöden Spruch. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass du noch lebst!« Er lehnte sich zu Vivi hinüber und nahm sie in die Arme. Danach schilderte er ihr, so gut es ging, die vorgefallenen Ereignisse, auch wenn er es selbst kaum glauben konnte, was er erzählte. Doch die seltsame Umgebung war Beweis genug dafür, dass etwas Unglaubliches passiert sein musste.

Die Straße, auf der sie sich befunden hatten, war nicht mehr vorhanden. Lediglich einige betonierte Stellen zwischen Steinbrocken zeugten davon, dass hier – vor sehr langer Zeit – einmal eine asphaltierte Straße gewesen sein musste. Die gesamte Landschaft war mit diesen Steinbrocken übersät. Sie waren überwuchert von Moos und zwischen ihnen behaupteten sich einige kleine Büsche. Der Horizont wurde von einer dunstigen Suppe verschluckt und außer kleinen, moosbedeckten Hügeln in der Umgebung konnte man keine Erhebungen in der Landschaft ausmachen. Der Himmel war grau und neblig. Da und dort lagen Kabelreste in den Steinspalten. Die Landschaft sah gänzlich unwegsam, verlassen und verwahrlost aus. Nun erkannte Joe auch, weshalb er zuvor keinen Boden hatte ertasten können: Das linke Vorderrad ragte in die Luft, da das Auto auf einem großen Steinbrocken steckte.

Zögernd hüpften sie aus dem Auto. Obwohl die Landschaft schroff und kantig aussah, sanken sie in einen weichen Moosteppich. Die Pflanzen hatten ein bequemes Polster über die Felsen gezogen.

»Wo sind wir? «, wiederholte Vivi.

Joe schüttelte nur fassungslos den Kopf. »Schlag mich, so fest du kannst. Ich glaube, wir träumen das nur.«

Vivi kam seiner Bitte nach.

»Zu fest«, meldete Joe und rieb sich die Wange, »ich hätte nie gedacht, dass du dich das traust.«

Vivi konnte es selbst nicht fassen, dass sie Joe gerade mit voller Wucht eine geballert hatte. Offenbar stand sie unter Schock. Es war also wirklich kein Traum; es war Realität. Doch wo befanden sie sich? Etwa immer noch auf der Autobahn, oder was davon übrig geblieben war …? Hatte dieser Sturm die ganze Landschaft vernichtet oder waren sie mit ihrem Wagen irgendwie in eine andere Dimension hineinkatapultiert worden? Nur, wie war das möglich? Und wie in aller Welt würden sie in ihr normales Leben zurückkommen? Mit dem Auto auf jeden Fall nicht, der Carina konnte auf diesem unwegsamen Gelände keinen Meter zurücklegen. Hier hätte man einen Bulldozer gebraucht.

»Wir können hier verweilen«, meinte Joe hoffnungsvoll. »Irgendwann werden die Rettungskräfte das Gebiet absuchen. So einen Sturm gibt es nicht alle Tage, Schatz. Da kommt bestimmt jemand.«

Instinktiv schauten beide in den Himmel, um zu prüfen, ob eventuell ein Hubschrauber zu sehen oder zumindest zu hören war. Vergeblich. Nicht einmal Vögel sahen sie im grauen Dunstschleier, was sie verwunderte. Es war totenstill. Unruhig setzte sich Vivi in Bewegung. Sie wollte nicht warten, bis vielleicht jemand kam. Zudem hatte sie Hunger. Zielstrebig steuerte sie einen der höheren Hügel an. »Ich bin bald zurück«, rief sie Joe zu. »Warte solange im Auto!«

Als sie die Kuppe erreicht hatte, verschlug ihr der Anblick den Atem: Vor ihr erstreckte sich das Kreisrund eines gewaltigen Kraters, das aussah, als hätte dort, wo einst das kleine Dorf gestanden hatte, ein Meteor eingeschlagen. Doch da war noch etwas anderes, das Vivis Aufmerksamkeit erregte, etwas ebenso Bizarres wie Unerwartetes. Am Horizont gewahrte sie das diffuse Bild mehrerer metallisch wirkender Objekte, welche vom Nebel fast verschluckt wurden. Es hatte den Anschein, als würden fliegende Untertassen, so groß wie ein Fußballfeld, am Himmel schweben. Dies evozierte ein Bild in ihr, sie dachte an alte Science-Fiction-Filme aus den 1950er-Jahren und war noch verwirrter als zuvor. Vergeblich hielt sie nach der Sonne Ausschau. Sie hätte gerne gewusst, wie spät es ungefähr war. Doch der ganze Himmel lag unter diesem seltsamen Dunstschleier, der alles in ein graues Zwielicht tauchte.

»Mein Gott, wie lange waren wir bewusstlos?«, dachte Vivi, als sie den Abhang hinunter zum Auto wankte.

Joe hatte die Heizung laufen lassen, um das Innere des Autos aufzuwärmen. Im Kofferraum hatte er glücklicherweise Überreste vom letzten Einkauf gefunden. Er erwartete Vivi grinsend mit zwei 1,5-Liter-Flaschen Süßgetränk und einer Tüte Nacho-Chips mit Käsegeschmack.

»Willkommen zum Lunch, Schatz«, begrüßte er sie, als sie nach über einer Stunde von ihrem Ausflug zurückkam. Dies hob Vivis Laune augenblicklich an und hungrig machten sie sich über die Chips her. Beim Getränk waren sie vorsichtiger, wer wusste schon, wie lange sie es fern der Zivilisation noch aushalten mussten.

Vivi erzählte Joe alles, was sie auf dem Hügel oben gesehen hatte und so irrwitzig ihre Situation auch anmutete, so stark war auch die Müdigkeit, die sie plötzlich übermannte, während sie ihre Lage besprachen.

Während sie schon lange schliefen, wurde das trübe Licht draußen immer schwächer und schlussendlich wieder von der tiefen Finsternis abgelöst. Gegen Morgen erschien dann allmählich wieder das trübe Licht des grauen Dunstschleiers.

Joe wachte zuerst auf und alles war noch genau wie am Tag zuvor: Sie waren in derselben Dimension gefangen, in derselben Zeit, am selben postapokalyptischen Ort. Sie hatten keine Nahrung mehr bei sich und nur noch ca. 2,5 Liter Flüssigkeit.

»Lass uns gehen«, verkündete Joe, »ich glaube nicht mehr daran, dass uns hier jemand sucht.« Also machten sich die beiden zu Fuß auf den Weg.

Unterwegs stießen sie auf eine zertrümmerte Werbetafel aus Plastik. Darauf stand: »Tel Community for Live. Reserviere schon jetzt dein neues iPhone Quantum. Für nur 300 Neuro bist du in der Zukunft! Angebot gültig bis Dezember 2050.«

Wortlos wechselten sie einen Blick. Als sie weitergingen, sahen sie vor sich das Wrack eines undefinierbaren Fahrzeuges. Es war ebenso mit Moos bedeckt wie die Steinbrocken, die überall herumlagen, und integrierte sich mit dieser Tarnung perfekt in die Umgebung. Sie entdeckten es erst, als sie schon ganz nahe dran waren.

Das Fahrzeug ähnelte einem Auto, doch diese Form hier war ihnen unbekannt. Höchstens in Sci-Fi-Magazinen hatten sie solch futuristische Designs gesehen. Das Wrack besaß Räder, die jedoch im Rumpf verstaut waren. Es sah danach aus, dass sie nur bei Bedarf herausgelassen wurden. Die Kabine sah ziemlich mitgenommen aus. Vivi ging zu jenem Teil des Fahrzeugs, das wie eine Tür aussah, und krallte die Finger in die Fugen. Sie drückte und zog und hörte ein leises Zischen und Brummen – und mit einem Mal regte sich etwas. Ein Teil der Außenhülle verschwand und man konnte das Interieur erblicken.

Vivi schrie auf.

»Oh Gott!«, rief sie und wandte das Gesicht ab.

Joe schob sie beiseite, um einen Blick zu erhaschen. In der Fahrerkabine, in einem vermoderten Sessel, hockte ein zusammengekrümmtes Skelett. Es trug eine Uniform mit der Aufschrift »Neu-Germanien, Nr. 1202« und am rechten Arm prangte ein Symbol, das starke Ähnlichkeit mit dem Hakenkreuz aus Hitlers Zeiten aufwies. Doch genau definieren oder einordnen konnten sie das Zeichen nicht, zu abstrakt, zu ungewohnt war es.

Joe packte den Toten vorsichtig am Arm und zog ihn aus dem Gefährt. Er schleifte ihn hinter ein Gebüsch und ließ ihn dort liegen. Tief atmeten die Eheleute durch.

Vivi murmelte: »Aus den Augen, aus dem Sinn.«

Zögernd setzten sie sich ins Innere des Gefährts. Wenn sie das Ding in Gang bringen könnten, wäre dies ihre Chance, endlich diese endlose Steinwüste zu verlassen. An der Stelle, an der sonst das Lenkrad hätte sein müssen, befand sich eine längliche Tastatur mit mehreren Knöpfen und Schaltern. Plötzlich schlossen sich die Türen. Das Hologramm eines Frauengesichts erschien auf der verdunkelten Frontscheibe und eine Stimme fragte, ob die Piloten das Notfallprogramm aktivieren und einen SOS-Spruch aussenden wollten.

Hilflos sah Joe seine Frau an. In dem Moment, als er zu ihr sagte: »Ich versuche, es irgendwie zu aktivieren«, erkannte der Computer an der Modulation der Stimme die Intention des Sprechers und bestätigte: »SOS wird gefunkt. Notfall-Programm wird aktiviert.«

Irgendetwas tat sich. Das Gefährt rumpelte und vor ihnen, wo zuvor die schwarze Frontscheibe gewesen war, erschien ein Display, welches die äußere Umgebung abbildete. Der innere Teil des Gefährts war sehr solide ausgestattet, auch der größte Crash konnte der Kapsel und der Steuerung wenig anhaben. Fiel einmal die Hauptenergiequelle aus, sprang automatisch ein Notfallgenerator an. Ein Hinweis auf dem Display zeigte Joe und Vivi, das dies nun der Fall war. Ebenso sahen sie auf dem Steuerungsdisplay, dass zwei Antriebsdüsen aktiviert wurden. Langsam erhob sich das Gefährt in die Luft und schwebte leicht über der Erdoberfläche.

Beeindruckt warfen sich Joe und Vivi einen Blick zu. Diese Technik faszinierte sie sehr. Man konnte das Fahrzeug lediglich mit der Stimme steuern. Vivi fragte den Computer nach der Uhrzeit und dieser gab zur Antwort: »Aktuelle Zeit: 12:07 Uhr mittags.« Weiter fragte sie nach dem Datum und weiteren gespeicherten Bord-Daten.

»Heutiges Datum: 21. Juli 2150. Inbetriebnahme des Hovercars: 2110. Kilometerstand: 1.380.024. Verwendung: Polizeigarde. Aktueller Stand der Notgeneratoren: 100 % geladen. Status des Notsignals: auf Sendung.«

»Wir sind im Jahr 2150!?« Joe fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er Vivi anguckte. Diese schluckte nur leer.

»Gib uns allgemeine Informationen zum Jahr 2150!«, forderte Joe.

»Durchschnittlicher Radioaktivitätsgrad: 0,4 Sievert. Weltbevölkerung: 4,12 Milliarden. Akute Gefahr durch C17-Pandemie auf der Südhemisphäre. Weltmacht: Neu-Germanien.«

»Es gibt nur noch 4 Milliarden Menschen?«, meinte Joe fragend zu Vivi.

Sofort nahm der Computer dazu Stellung: »Weltbevölkerung reduzierte sich drastisch gegen Ende der 2070er-Jahre. Weltbevölkerung bis dahin durch exponentiellen Anstieg bis zur Kapazitätsgrenze angestiegen. System kollabierte. Akute Knappheit von Ressourcen und Nahrungsmitteln sowie Epidemien, begünstigt durch die Überbevölkerung, führten zu einem Massensterben. 2079 erneute Dezimierung der Weltbevölkerung, verursacht durch globale Explosionen von Kernfusionsreaktoren, vermutet werden Sabotageakten«

»Stopp!«, sagte Joe und fragte den Computer: »Wie weit geht deine Personendatenbank zurück?«

»Jahr der Aufzählung: 1900. Alle menschlichen Personen seit dem 01. Januar 1900 sind erfasst.«

»Suche nach Joe und Vivianne Dexter.«

»Bitte spezifizieren.«

»Joe Dexter, geboren 1984, und Vivianne Dexter, geboren 1986. Wohnhaft in Nesslauen. Keine Kinder, keine Vorstrafen. Eltern Peter und Miriam Dexter. Gestorben Januar 2023 bei einem Autounfall«

»Joe und Vivianne Dexter, verschwunden im Jahre 2016. Gesucht von Neu-Germanien, vermutet werden nicht genehmigte Experimente mit der Zeit.«

»Wow!«

Das überwältigte Joe, sie wurden also gesucht wegen des Verdachts, eine Zeitmaschine gebaut zu haben? Und irgendwann in der Zukunft hatte man das bemerkt? Die Situation war paradox.

»Suche nach Nesslauen!«, befahl Joe.

»Dorf in Alt-Germanien Einwohnerzahl im Jahr 2052: 3212. Zerstört im Jahr 2053 durch einen Meteorit.«

Das war also der Krater gewesen, den Vivi vom Hügel aus gesehen hatte. Neugierig fragte Joe weiter: »Seit wann ist bekannt, dass Joe und Vivianne Dexter Zeitexperimente gemacht haben?«

»Erster Befund: 01. August 2021. Leider fehlte die nötige Technik zur Ortung der beiden Personen.«

»Was soll geschehen, wenn man Joe und Vivianne findet?«

»Deportation nach Neu-Berlin. Anschließendes Verhör. Todesstrafe.«

»Todesstrafe?« Entsetzt richtete sich Vivi auf.

»Die ganze Sache wird immer unheimlicher«, dachte Joe. »Wir werden in der Zukunft wegen eines Zeitverbrechens gesucht!«

Fassungslos starrte sich das Ehepaar an. Sie waren zum Tode verurteilt und wussten nicht einmal, was überhaupt geschehen war. Oder noch geschehen würde …

Sie kommen

Niedergeschlagen saßen Joe und Vivi im schwebenden Fahrzeug. Der Computer wartete geduldig auf weitere Instruktionen.

»Warum musste das gerade uns passieren? Wie gerne wäre ich zu Hause in unserem schönen Heim«, meinte Joe frustriert.

Vivi blieb stumm, sie brachte kein Wort heraus. Was der Computer da gerade offenbart hatte, war zu viel auf einmal. Als sie sich ein wenig gefasst hatte, antwortete sie leise: »Ja, Joe … Unser Traum vom Laden löst sich in Luft auf. Alles, was wir aufbauen wollten. Das Ganze ist auf einmal nichts mehr wert. Warum haben wir uns solche Pläne und Ziele gesetzt? Hätten wir es mehr genießen sollen, Joe?«

Joe zuckte resigniert mit den Schultern. »Dafür ist es nun zu spät. Schauen wir nach vorne! Was können wir tun? Ich weiß bloß, dass wir gesucht werden.« In diesem Moment fuhr es ihm heiß und kalt den Rücken hinunter.

»Vivi, wir haben zuvor ein Notsignal gesendet! Wer wird uns wohl finden? Etwa ein Neu-Germanier? Wir haben uns gerade selber an den Feind ausgeliefert!«

»Lass uns von hier verschwinden. Wir müssen das Fahrzeug loswerden, die können uns sicher orten. Dann suchen wir uns ein geeignetes Versteck!«

Joe und Vivi schnallten sich an und dann setzte Joe das Gefährt mittels seiner Stimme in Bewegung. Ganz langsam flog es geräuschlos über die Steinbrocken und Büsche hinweg. Er hatte extra eine Minimalgeschwindigkeit angegeben. Zuerst musste er sich einmal mit der Steuerung vertraut machen. Der Computer fragte nach dem Ziel.

»Einfach nur geradeaus, acht, neun Kilometer, ich werde Stopp sagen.«

Die Computerstimme erwiderte: »Bitte spezifizieren Sie.«

»Also gut, acht Kilometer geradeaus. Geschwindigkeit erhöhen.«

»Bitte Geschwindigkeit wählen.«

Wie schnell dieses Ding wohl fahren würde? Vivi befahl: »80 Stundenkilometer!«, und der Computer akzeptierte. Grinsend schaute Joe Vivi an.

»Scheint ja ganz einfach zu sein, dieses Ding zu fahren.«

Zwischendurch drangen Informationen über den Zustand des Fahrzeuges und den Batterienfüllstand des Notfallgenerators aus den Lautsprechern. Das Display, welches die Umgebung abbildete, zeigte weiterhin nur Steine und Büsche an. Es war kein anderes Flugobjekt in Sicht. Insgeheim atmeten sie leicht auf. Trotzdem konnten sie schnell eingeholt werden, wenn jemand den Ort absuchte, von dem aus sie das Signal gesendet hatten. Plötzlich verlangsamte das Fahrzeug.

»Ziel erreicht«, meldete der Computer.

»Weiterfahren. 30 km geradeaus, Geschwindigkeit 120 km/h«, befahl Joe.

So wie es aussah, war diese Steinwüste ziemlich großflächig. Weit und breit war keine Spur einer Zivilisation zu sehen. Für einen kurzen Augenblick erschien ganz außen auf dem Bildschirm ein grüner Punkt, der aber so schnell wieder verschwand, wie er gekommen war. Auf halbem Weg erkannten die beiden plötzlich auf dem Bildschirm, dass sich dicht neben ihnen eine Art Flugschiff enttarnte. Joe hatte gelesen, dass man an Tarnungen forschte, doch dass sie es tatsächlich so gut geschafft hatten, erstaunte ihn sehr. Das Flugschiff hatte sich bis zur Enttarnung perfekt in die Gegend integriert.

Eine Stimme erklang aus den Lautsprechern in ihrem Cockpit, und ein Mann wandte sich an sie: »Wir haben Ihr Notfallsignal erhalten, bitte identifizieren.«

Was nun? Was sollte Joe antworten? War das die Polizei? Vivi erkannte dasselbe Symbol auf dem fremden Schiff, wie sie es an dem Offizier gesehen hatte, und sie flüsterte Joe ins Ohr: »Sie sind es. Dort. Dasselbe Zeichen wie bei dem toten Polizisten.«

Joe erschrak. »Bist du sicher?«

»Ja, schau doch, es ist deutlich zu erkennen.«

»Was sollen wir tun?«, fragte Joe seine Frau. »Was denkst du, wie schnell kommen wir mit diesem Ding vorwärts?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Vivi. »Probieren wir es aus, es ist auf jeden Fall besser, als gefangen genommen zu werden.«

Erneute meldete sich das fremde Schiff: »Bitte identifizieren.«

Joe befahl dem Computer volle Beschleunigung.

»Achtung! Voller Schub nicht zu empfehlen«, antwortete der Bord-Computer.

»Nun, was haben wir schon zu verlieren? Bist du bereit?«, meinte Joe zu Vivi.

»Ja, Joe.«

»Voller Schub, manuelle Steuerung«, befahl er. Das Gefährt beschleunigte und beide wurden in ihre Sitze gedrückt. Sie sahen, wie das Display eine Geschwindigkeit von 1.500 km/h anzeigte. Daneben befand sich nun eine Art Karte.

Trotz manueller Steuerung wich das Schiff kleinen Hindernissen aus, flog aber immer noch geradeaus. Joe befahl eine Kursänderung nach rechts, der Computer berechnete neu und flog die geänderte Strecke, doch irgendwas schien nicht zu stimmen, das Polizeischiff war immer noch direkt neben ihnen.

»Ach du Scheiße, wir sind zu langsam! Computer identifiziere das Schiff, das uns folgt.«

»Schiff der Haunebu-Klasse 6, kleiner Kampfjäger, Maximalgeschwindigkeit 4.300 km/h.«

»Na toll, das hätten wir früher wissen müssen, so haben wir natürlich keine Chance.«

Vivi stockte: »Halten wir an … Vielleicht hat das Schiff so etwas wie einen Schleudersitz, bei dieser Technik könnte es ja durchaus sein.«

»Warte noch einen Moment, ich werde dem Kampfjäger antworten«, sagte Joe, denn er hatte sich das Namensschild auf der Polizistenuniform des Skeletts gemerkt. »Hören Sie mich? Hier ist Mark Meier, Nr. 1202.«

Einen Moment blieb es ruhig, dann meldete sich der Pilot der Haunebu.

»Mark Meier ist seit sechs Jahren als vermisst gemeldet. Wir werden nun die Kontrolle über Ihre Kapsel übernehmen. Versuchen Sie nicht zu fliehen, wer auch immer Sie sind, es wäre sinnlos.«

Das fremde Schiff steuerte jetzt ihr Fluggerät, und Joe konnte nicht einmal mehr versuchen, herauszufinden, ob es einen Schleudersitz besaß.