ISBN: 978-3-95573-597-5
1. Auflage 2017, Bremen (Germany)
Klarant Verlag. © 2017 Klarant GmbH, 28355 Bremen, www.klarant.de
Titelbild: Umschlagsgestaltung Klarant Verlag unter Verwendung von shutterstock Bildern.
Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Die Tür flog mit einem derart temperamentvollen Schwung auf, dass sich die Klinke in die Wand bohrte. Deutlich hörte man den Putz hinter der Tapete rieseln. Mit zwei riesigen Schritten war Olaf Petersen im Zimmer und blieb, die Fäuste kampfbereit geballt, vor seinem Sohn stehen. In diesem Moment glich er einem wütenden Zentaur, ein Fabelwesen, das Jan als kleiner Junge in einem Buch entdeckt und das ihn total fasziniert hatte. Leider hatte es seiner Cousine Levchen gehört, einem boshaften Biest, die das Buch vor seinen Augen in tausend Fetzen zerrissen und im elterlichen Kaminofen verbrannt hatte. Inzwischen war Levchen erwachsen, aber ihr Charakter hatte sich nicht geändert.
„Wo zum Teufel hast du heute Nacht gesteckt?“ Der Zentaur stemmte die Fäuste in die Seiten. Er zitterte vor unterdrücktem Zorn. „Verdammt nochmal, dir kann man das Bett unterm Hintern wegklauen, du merkst nichts!“
Jan hörte zwar die Worte, verstand sie aber nicht.
„Du musst das doch gehört haben!“ Olaf stürzte ans Fenster und deutete aufgeregt nach draußen. „Schließlich schläfst du direkt darüber…“ Er verstummte und musterte seinen Sohn mit zusammengekniffenen Augen. „Aber du hast die Nacht wohl wieder bei diesem Flittchen verbracht, was? Dieser nichtsnutzigen...“
„Vater!“ Jan hob warnend die Rechte. „Du sprichst gerade von meiner zukünftigen Frau.“
Olafs Gesichtsfarbe wechselte von Rosa in Tomatenrot bis ins tiefe Lila. Seine Lippen bewegten sich, doch es kam kein Ton aus seinem Mund.
„Deine – was?“, schaffte er es nach einer geraumen Zeit, endlich herauszupressen. „Nein!“ Der Schrei war wie eine Befreiung. „Nein, nein und nochmals nein! Ich werde es niemals, hörst du, niemals dulden, dass die Tochter dieses, dieses, dieses verdammten Himmelhundes mein Haus betritt! Schon gar nicht als meine Schwiegertochter.“
Jan war entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen. Sein Vater war ein unberechenbarer Choleriker, keinen vernünftigen Argumenten zugänglich. Seine Wut wurde nur größer, je lauter man ihm widersprach.
„Tja, dann kommen wir dich eben nicht besuchen“, sagte Jan deshalb äußerlich gelassen. „Weißt du…“, er griff nach seiner Jacke, „ich bin erwachsen. Du kannst mir zwar sagen, wenn dir etwas nicht passt, aber ich muss mich nicht danach richten.“
Olaf riss den Mund auf, um loszubrüllen, klappte ihn aber gleich wieder zu und maß seinen Sohn mit fassungslosen Blicken.
„Dann...“ Er schluckte mehrmals, im nächsten Moment siegte erneut die Wut über den Verstand. „Du Verräter!“ Olafs Stimme überschlug sich vor Rage.
„Vater.“ Jan schüttelte den Kopf. „Wir sind hier nicht bei Shakespeares Romeo und Julia. Wenn Hinnak und du euch bekriegt, dann müssen Lena und ich das nicht auch tun. Wir lassen unser Leben und unsere Zukunftspläne nicht von euren kleingeistigen Kriegen bestimmen.“
„Kleingeistigen Kriegen?“ Olaf schluckte trocken. „Dann schau dir mal an, was dieser Verbrecher wieder gemacht hat. Der Mistkerl hat die Ladentür mit Bauschaum zugeklebt.“
„Oha!“ Das klang in der Tat nicht gut. Hier konnte Jan den Zorn seines Vaters durchaus verstehen. Er zweifelte allerdings an der Behauptung, dass der Angriff auf das Konto von Olafs Erzfeind ging.
„Ja, oha!“, zischte Olaf wie ein gereizter Kater. „Da siehst du mal, in was für eine Familie du einheiraten willst. Aber ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich werde die Polizei rufen und Hinnak Jörgens anzeigen.“
„Das würde ich dir nicht raten“, erwiderte Jan warnend. „Jedenfalls nicht, wenn du nicht beweisen kannst, dass es tatsächlich Hinnak Jörgens war, der das gemacht hat.“
Olaf winkte ungeduldig ab.
„Beweise, Beweise, ich brauche keine Beweise. Ich weiß, dass er es war!“
Jan unterdrückte einen Seufzer. Im Stillen fragte er sich, wieso er überhaupt mit seinem Vater diskutierte. Olaf Petersen war unbelehrbar und ein Sturkopf, der sogar Beton sprengen konnte. Er folgte einzig und alleine seinen Wegen.
„Dann mach halt, was du für richtig hältst“, resignierte Jan. „Aber beschwer dich nachher nicht, wenn du eine Verleumdungsklage am Hals hast.“
„Ich? Ich?“ Olaf lachte gekünstelt. „Pah, nee, wart’s nur ab. Dieser Hinnak wird jede Menge Ärger kriegen. Auch wenn es dir nicht passt. Ich werde dem Scheißkerl zeigen, wo der Hammer hängt.“
Jan seufzte.
„Ja, Vater, ich sagte es ja schon. Mach, was du willst.“
Olaf warf ihm einen lauernden Blick zu.
„Das passt dir nicht, nicht wahr?“ Sein Ton, seine ganze Mimik waren so von Häme erfüllt, dass Jan seinen Vater am liebsten gepackt und so lange geschüttelt hätte, bis dessen Verstand einsetzte. Doch da würde er wohl lange schütteln müssen.
Resigniert zuckte Jan die Schultern.
„Wie du meinst.“ Er nahm seinen Anorak, der an der Garderobe hing und zog ihn an. „Ich muss los.“
„Ja, ja, geh nur“, knurrte Olaf düster. „Geh und lass deinen Vater mit seinen Problemen alleine.“
„Gott, Vater, dramatisiere die Sache nicht so!“ Jan war ein Mann, den man nicht so schnell aus der Fassung bringen konnte. Aber irgendwann war eben auch mal bei ihm das Fass voll. „Hör endlich mit diesem albernen Theater auf. Mach einfach was du willst und lass mich mit diesem ganzen Unsinn in Ruhe!“
„Ja, fall mir nur in den Rücken“, schnappt Olaf beleidigt zu. „Geh, verbünde dich mit den Jörgens. Nimm am besten ihren Namen an, dann bist du endlich raus aus deiner Familie.“
Jan öffnete den Mund, schluckte jedoch rasch die bissige Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag. Stattdessen schnappte er sich seine Tasche und verließ die Diele. Draußen blieb er erst einmal stehen und holte ein paarmal tief Luft. Dann sah er zu der gläsernen Ladentür, aus deren Spalt zwischen Tür und Rahmen dicke gelb-bräunliche Würste quollen.
Das sah nicht gut aus. Einen Moment überlegte Jan, ob er die Werkstatt anrufen sollte, die normalerweise alle anfallenden Reparaturen erledigte, entschied sich aber dagegen. Sein Vater würde bestimmt einen Grund finden, sich über Jans ungebetene Hilfe zu ärgern und neuen Zoff zu beginnen. Also ging der junge Mann zu seinem Rad und fuhr los.
Sein Ziel war der Yachthafen, in dem sich der Rettungsschuppen der DGzRS befand. Auf dem Weg musste er dauernd an den Streit mit seinem Vater denken. Seit dieser wusste, dass Jan und Lena ein Paar waren, kam es fast täglich zu irgendwelchen Auseinandersetzungen. Wenn das so weiterging, würden die beiden ohne den Segen ihrer beider Eltern vor den Traualtar treten müssen, denn Hinnak Jörgens war keinen Deut besser als sein Erzrivale Olaf.
Die beiden waren sich schon in der Schule spinnefeind gewesen. Das war noch schlimmer geworden als sie sich mit zwanzig Jahren in dasselbe Mädchen verliebt hatten. Die war eines Tages nach Kiel gezogen, doch die Feindschaft blieb bestehen.
Als Olaf dann fünfzehn Jahre später an der Norddeicher Straße einen Geschenkladen eröffnet hatte und Hinnak ein knappes Jahr später mit einem, ausgerechnet im Fährhafen gelegenen, Souvenirshop nachgezogen war, hatte die Feindschaft zwischen den beiden Männern ihren Höhepunkt erreicht. Seitdem herrschte Krieg zwischen den beiden, der zu immer neuen Auseinandersetzungen führte. Erst vor einem halben Jahr hatte Olaf dem Rivalen bei Nacht und Siehst-mich-nicht einen Eimer Teer vor die Ladentür gekippt. Die Annahme, dass dieser sich nun mit dem Bauschaum revanchiert hatte, kam daher nicht von ungefähr.
Das rote Backsteinhäuschen der Seenotrettung kam in Sicht. Von See her wehte eine steife Brise, die das steigende Wasser ins Hafenbecken trieb. Die Frisiafähre, die gerade aus Juist kommend einlief, musste kräftig gegensteuern, damit sie nicht gegen die dicken Poller gedrückt wurde. Möwen kreisten zeternd über den Wellen, das Klappern der Leinen, Ösen und Haken der eingerollten Segel klang weithin über den Yachthafen.
Irgendjemand hatte die CASSEN KNIGGE vorsorglich fester vertäut. Sie schaukelte lustig auf den Wellen, ein kleines aber leistungsstarkes Schiff, das schon viele Menschenleben gerettet hatte. Jan schenkte ihr einen stummen Gruß, während er vom Rad stieg. Nur wenige Minuten später betrat er den Rettungsschuppen.