Nico ist dreiunddreißig, geschieden und auf dem besten Weg zur Einsiedlerin zu mutieren, als sie eines Abends Kosta über den Weg läuft. Was als One-Night-Stand beginnt, entwickelt sich rasch zu einer Romanze. Nico fühlt sich endlich wieder lebendig – bis sie herausfindet, dass ihr perfekter Kosta erst neunzehn Jahre alt ist. Die Vernunft rät ihr, die Sache sofort zu beenden, doch ihr Herz will davon nichts wissen. Und als hätte Nico mit ihrem inneren Widerstreit und den Anfeindungen von Kostas Eltern und Freunden nicht schon genug zu kämpfen, muss sie sich auch noch vor ihren eigenen Freunden rechtfertigen. Was wird am Ende siegen: das Gerede der Leute oder die Liebe?
Sandra Binder wurde 1985 im Herzen Oberschwabens geboren und ist ihrer Heimat seitdem treu geblieben. Schon als Kind entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Theater, stellte allerdings bald fest, dass sie sich lieber selbst Geschichten ausdachte, als »nur« eine Rolle darin zu spielen. Und was als Tagträumereien begonnen hat, wurde nach und nach zu einem festen Bestandteil ihres Alltags. Heute gehört das Schreiben zu ihrem Leben wie die E-Gitarre zur Rockmusik: ohne, fehlt dem Rhythmus die Harmonie.
Wenn Funken
über Wolken
tanzen
beHEARTBEAT
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Li-Sa Vo Dieu
Covergestaltung: Nicole Meyer, designrevolte.de unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Maria Sem | Godsend
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-4218-5
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
»Jedes Mal das Gleiche …«, murmelte Nico und trommelte mit den Fingern auf dem Holztisch. Zum ungefähr hundertsten Mal sah sie auf die Uhr. Es war zwanzig Uhr dreizehn. Immer noch. Dass Tina nie pünktlich sein konnte!
Als sich der große Zeiger auf der Wanduhr im Esszimmer unmotiviert einen Punkt weiterschob, klingelte es endlich. Nico sprang auf, lief in den Flur, schnappte sich ihre Handtasche von der Kommode und riss die Tür auf.
»Na also«, grummelte sie. »Bringen wir es hinter uns.«
Sie wollte eben an Tina vorbeischlüpfen, da hob diese mit einem strengen Blick die Hände. »Halt, ganz langsam. So willst du gehen?«
Nico tat es ihrer Freundin gleich und schaute prüfend an sich hinab: Keine Flecken auf der Jeans, das T-Shirt kaum zerknittert, den Reißverschluss der Lederjacke hatte sie vorhin noch repariert, und die Chucks … okay, ja, aber die mussten einfach ein bisschen abgelatscht aussehen. Mit ihrem überzeugendsten Lächeln blickte sie zu Tina auf.
»Ähm, ja?«
»Ähm, nein!«
Tina packte sie am Arm und zog sie ins Schlafzimmer, wo sie so enthusiastisch auf den Lichtschalter schlug, dass sich sein Knacken genauso gequält anhörte, wie Nico sich fühlte. Tina bugsierte sie zum Bett und drückte sie auf die Matratze, bevor sie sich über den Kleiderschrank hermachte. Mit konzentrierter Miene zog sie Kleidungsstücke heraus, schüttelte den Kopf und stopfte sie wieder hinein.
Nico rollte mit den Augen. »Du wirst da drin nichts finden. Ich hab nichts anderes als das, was ich immer trage.« Seufzend erhob sie sich, doch Tina drängte sie zurück aufs Bett. »Wir sind viel zu spät dran. Bestimmt haben wir schon zwei oder drei total spannende Reden und Lobhudeleien auf Lucas’ total spannender Galerieeröffnung verpasst. Lass uns bitte endlich gehen.«
Ihr flehentlicher Tonfall bewirkte eher das Gegenteil von dem, was sie geplant hatte. Tina kniff die Brauen zusammen und stemmte die Fäuste in die Hüften.
»Ich hab echt genug davon, Nico. Du kannst dich nicht ewig hier verkriechen wie ein Einsiedler.«
Obwohl sie von diesen immer wiederkehrenden Gesprächen unwahrscheinlich genervt war, musste Nico grinsen. »Ich habe ja vor rauszugehen, aber du lässt mich nicht.«
Tina winkte schnaubend ab, bevor sie sich wieder den Klamotten im Schrank widmete. Nach ein paar Sekunden nickte sie und drehte sich lächelnd um, ein dunkles Baumwollkleid triumphierend vor sich ausgestreckt. »Das ist es.«
Nico überlegte fieberhaft, ob sie das Teil jemals angehabt hatte – vermutlich nicht. Sie zog eine Grimasse. »Darin sehe ich aus wie eine Presswurst.«
Stöhnend hängte Tina das Kleid zurück und warf ihr stattdessen einen schwarzen Mini und ein blutrotes Seidentop auf den Schoß. Nico hätte schwören können, dieses Top noch nie zuvor gesehen zu haben. »Hast du das eben aus deiner Handtasche gezogen?«
»Mach dich nicht lächerlich. Los, zieh’s an.«
Sichtlich zufrieden beobachtete sie, wie sich Nico aus ihrer Jacke schälte. Plötzlich kräuselten sich ihre Mundwinkel, ihre Brauen zogen sich zusammen, und ihr Blick senkte sich auf Nicos …
»Schuhe.«
»Was ist denn verkehrt an meinen Schuhen?«
»Es sind Turnschuhe! Du bist schließlich keine zehn mehr.«
Tina spazierte in den Flur und durchwühlte lautstark den Schuhschrank, während Nico seufzend das bisschen Stoff in ihren Händen beäugte. Sie wusste, dass Weigerung zwecklos war. Es führte nur zu mehr Verspätung. Was wiederum bedeutete, später nach Hause zu kommen. Also zog sich Nico brav aus und zwängte sich in den Rock.
»War der immer so eng?«, brummte sie, nachdem sie endlich den Reißverschluss zubekommen hatte.
Als sie das feine Top überstreifte, stürmte Tina ins Schlafzimmer. Mit siegessicherem Grinsen hielt sie ein Paar extravagante Wildleder-Pumps hoch.
»Die sind perfekt.«
»Meinst du? Die hatte ich auf meiner Hochzeit an.«
Bumm. Da war es wieder. Das Wort Hochzeit aus Nicos Mund löste die immergleiche Reaktion bei ihren Freunden aus: verlegenes Wegsehen, gefolgt von einem mitfühlenden Lächeln und – worauf Tina heute glücklicherweise verzichtete – ein aufmunterndes Armtätscheln. Es war ihnen allen unangenehm, über Nicos von den Leuten nur als »die Sache« betitelten persönlichen Weltuntergang zu sprechen. Sie meinten es bestimmt nur gut und wollten Nico nicht daran erinnern – als ob sie es je vergessen könnte. Trotzdem würde sie jedes Mal am liebsten aufschreien, wenn sie jemand derart mitleidig behandelte.
Tinas Mund formte ein stummes O, dann wirbelte sie herum und marschierte wieder hinaus. Nico schnappte sich ihre Lederjacke und schlurfte hinterher.
»Wie wär’s mit denen?« Das musste Tina sagen. Sie präsentierte das einzige andere Paar Pumps, das Nico besaß.
Sie waren schlicht, schwarz, und kleine Nieten zierten das Lederriemchen. Und sie hatten einen furchteinflößend schmalen Fünf-Zentimeter-Absatz. Als Nico die Schuhe das letzte Mal getragen hatte, war sie ständig zwischen den Pflastersteinen stecken geblieben. »Ich kann in den Dingern nicht laufen …«
»Ach, komm schon. Die sehen so süß aus. Und ich trag dich, wenn du nicht mehr gehen kannst.«
»Na, das sind doch frohe Aussichten.« Nico versuchte sich an einem Lächeln und schlüpfte gehorsam in die Pumps, bevor sie ihre Lederjacke überstreifte und nach ihrer Umhängetasche griff, die Tina für gewöhnlich als unförmigen Beutel bezeichnete.
»Darf ich die wenigstens mitnehmen?«
»Von mir aus.« Tina schob Nico aus der Tür ins Treppenhaus und schubste sie geradezu die Stufen hinunter. »Und für deine Haare denken wir uns das nächste Mal was aus. Wir sind spät dran.«
»Ach, woran das wohl liegt?«
Nico langte prüfend in ihr mokkabraunes Haar. Die Locken sprangen mal wieder in alle Richtungen, und spätestens in zwei Stunden würde das Haarspray den Kampf gegen die unbeugsame Mähne verloren haben. Es war kaum möglich, diese unkooperativen Zotteln anders als offen zu tragen.
Natürlich konnte Tina das nicht nachvollziehen. Ihr seidig blondes Haar saß immer perfekt. Heute war es zum Beispiel zu einem schicken Knoten gesteckt, aus dem sich strategisch ausgewählte Strähnchen herauskringelten.
Nico trat hinter Tina aus dem Haus und wurde von ihrer Freundin sogleich in den Volvo Kombi bugsiert, der vor dem Dreifamilienhaus parkte. Tinas Mann Jan hatte den Wagen gekauft, kurz nachdem sie vor einem knappen Jahr geheiratet hatten. Er sah darin den ersten Schritt zur Familienplanung. Nico verglich das kantige schwarze Ungetüm eher mit einem Leichenwagen. Und auch Tina nahm für gewöhnlich lieber ihr eigenes Auto, ein schnuckliges Zweisitzer-Cabriolet. Wieso brauchte Tina also den Kombi, wenn sie heute zu zweit zur Galerieeröffnung fuhren?
»Aha, der Volvo«, sagte Nico in skeptischem Tonfall.
»Ja.« Tina stieg geschmeidig auf der Fahrerseite ein und fuhr mit einem auffällig unschuldigen Blick los.
Nico musterte ihre beste Freundin, die so aussah, als wäre sie eben einem Gemälde entsprungen. Das rauchblaue Kleid warf ausschließlich an den richtigen Stellen Falten und betonte nicht nur ihre schlanke Linie, sondern auch ihre graublauen Augen. Die in einem faltenlosen Gesicht steckten.
»Wieso starrst du mich so an?«, fragte Tina, ohne den Blick von der Straße zu lösen.
»Was macht Jan heute?«
»Er arbeitet.«
Nico hob eine Braue und fixierte ihre Freundin so lange, bis sie an einer roten Ampel anhalten und ihren Blick zwangsläufig erwidern musste.
»Ja, gut, ich habe ihm gesagt, er soll zu Hause bleiben«, gab sie schließlich zu.
Schnaubend schüttelte Nico den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast den Kombi genommen, weil du hoffst, ich schleppe heute einen Kerl ab, mit dem du mich dann nachher nach Hause fahren kannst. Jetzt animierst du mich also schon zu One-Night-Stands?«
Die Ampel wurde grün. Sichtlich erleichtert konzentrierte sich Tina auf die Straße und sprach erst nach zwei Minuten Bedenkzeit wieder. So gut wie sie sich diese Antwort überlegt hatte, musste sie bombastisch sein.
»Ich will doch nur, dass du ins normale Leben zurückfindest.«
Na ja, bombastisch ging anders.
Nico hätte so einiges dazu zu sagen gehabt. Unter anderem, dass One-Night-Stands noch nie zu ihrem normalen Leben gehört hatten. Allerdings beschränkte sie sich auf eine Zusammenfassung ihrer Gedanken: »Du musst dich nicht um mich kümmern. Ich bin kein Sozialfall.«
»Ich weiß, Süße.« Tina nahm ihre Hand vom Schaltknüppel und legte sie stattdessen auf Nicos Unterarm. »Aber du bist ein Tina-Fall.«
Nico bedachte die Hand, die ihren Arm tätschelte, mit einem vernichtenden Blick, der leider völlig ignoriert blieb.
»Und wer weiß«, raunte Tina in einem verschwörerischen Singsang, »vielleicht findest du ja heute Abend den Mann fürs Leben.«
»Auf Lucas’ Galerieeröffnung? Wohl kaum.« Wenn Nico bloß an Lucas’ Schnöselfreunde dachte, überlief sie ein eisiger Schauer.
»Gib dir einfach mal selbst eine Chance«, erwiderte Tina in einem Tonfall, als wäre es ein Spruch aus einem Frauenmagazin.
Nico schnaubte zur Antwort. Wie so oft, wenn sie Zeitschriften las.
Die restliche Fahrt über schwiegen beide – Tina, weil sie glaubte, sie hätte die Partie gewonnen, und Nico, weil sie schlichtweg keine Lust mehr hatte, über ihr Liebesleben zu sprechen. Ihr nichtexistentes Liebesleben wohlgemerkt.
Sie sah aus dem Wagenfenster in den Himmel. Obwohl es bereits dämmerte und sich graublaue Wolkenberge drohend über das Firmament schoben, musste Nico geblendet die Augen zusammenkneifen. Irgendwo hinter diesen bauschigen Mauern war die Sonne. Jeden Tag ging die alte Dame tapfer auf, in der festen Absicht, ihre Strahlen zur Erde zu schicken. Und manchmal schaffte sie das auch.
Wäre Nico romantischer, würde sie diesen naturgewaltigen Vorgang mit ihrer Situation vergleichen. Sie würde sagen, dass sich in jeder Dunkelheit ein Licht ausbreiten kann. Sie würde vielleicht sogar beschließen, jeden Tag tapfer aufzustehen, um weiterzumachen, die Vergangenheit ruhen zu lassen und voranzukommen, damit irgendwann auch in ihrem Leben wieder die Sonne schien.
Aber sie war ja schließlich nicht romantisch …
Tina lenkte das riesige Volvoschiff auf einen Parkplatz. Die Galerie lag um die Ecke, und als Nico ausstieg, hörte sie die Stimmen der Raucher, die vor die Tür verbannt wurden. Tonfall und Lachen waren genauso, wie man es auf einer Galerieeröffnung erwartete: übertrieben und künstlich.
Die Freundinnen bogen um die Ecke, und während Tina auf den Eingang zuschritt, versuchte Nico, nicht wie ein frisch geschlüpfter Storch in schlechtsitzenden Pumps auszusehen. Bevor sie durch die Tür traten, zupfte sie automatisch an ihrem Rock.
»Was machst du denn da?« Tina klopfte ihr auf die Finger. »Wieso zappelst du so rum?«
»Das Teil ist zu eng und zu kurz.«
»Quatsch, das bildest du dir bloß ein.« Sie hakte sich bei Nico unter, setzte ein klassisches Roter-Teppich-Lächeln auf und führte den Tina-Fall in die Galerie. »Du siehst super aus.«
Nico schaute sich seufzend in dem langen Raum um. Warum musste Lucas sie nur immer so quälen? Obwohl er, seit sie zusammen auf der Schule waren, ein extravaganter Vogel war, kannte er ausschließlich schnarchlangweilige Leute, die unlustige Witze erzählten. Außerdem – und sie hoffte, das rutschte ihr nicht irgendwann heraus – malte er grässliche Bilder. Sie bestanden in der Regel aus zwei Farben und erinnerten an Rorschachtests. Nico weigerte sich stets vehement, zu verraten, was sie in ihnen erkannte.
Wie von Geisterhand geführt schwebte ein Tablett mit Champagnerflöten an Nico vorbei. Sie griff nach einem der elend kleinen Gläschen und ließ sich von Tina an einen Stehtisch führen.
»Na, siehst du einen, der dir gefällt?« Tina sah sich neugierig um.
»Lass mich erst ankommen und was trinken. Wir sind hier nicht bei der Fleischbeschau.«
Ihre beste Freundin war hochmotiviert. Wenn Nico nicht bald anfinge, die Männer anzuflirten, würde Tina es noch für sie tun. Hilflos sah sie sich um. Sie musste sie doch irgendwie ablenken können.
»Hallo, Nico«, raunte eine männliche Stimme nah an ihrem Ohr. »Du siehst gut aus.« Frank tauchte wie aus dem Nichts neben ihr auf. Sie kannten sich noch aus der Schule, und er hatte immer schon geglaubt, ein Anrecht auf Nico zu haben. Wieder einmal stand er viel zu dicht bei ihr und starrte schamlos auf ihre zu nackten Beine.
»Ja, klar. Danke«, presste Nico heraus und leerte ihren Champagner, um die restlichen Worte runterzuspülen, die ihr auf der Zunge lagen.
Frank wackelte mit den Brauen und schaute auf ihr Glas, bevor er sich mit ihren Brüsten unterhielt. »Darf ich dir einen spendieren?«
»Die Drinks sind gratis, Frank.« Nico seufzte entnervt, ehe sie Frank ihr Champagnergläschen in die Hand drückte. »Aber du bist mein Held, wenn du mir ein Glas Rotwein besorgst.«
Frank nickte grinsend und marschierte nach einem letzten anzüglichen Blick auf Nicos Beine davon. Das würde ihn wohl nicht ewig fernhalten, aber wenigstens lange genug, um sich einen Fluchtplan zu überlegen.
»Der steht auf dich.« Tina stellte sich auf die Zehenspitzen und sah ihm nach. »Ist doch irgendwie süß.«
Vielleicht sollte sich Nico gleich zwei Fluchtpläne überlegen.
»Was genau findest du süß? Den Angeber-Anzug, die Hakennase oder das schüttere Haar?«
»Sei nicht immer so abfällig. Er hat immerhin einen guten Job. Und ihr kennt euch schon so lang. Wäre doch romantisch, wenn ihr zusammenkommen würdet.« Tina presste die Hände an die Brust und blinzelte ins Nichts.
»Das wäre nicht romantisch, sondern idiotisch«, brummte Nico und zupfte an ihrem Rock. »Das hieße, ich hätte mir mein komplettes jämmerliches Liebesleben sparen können, weil der Richtige schon vor Jahren in der Streberreihe vor mir gesessen hat.«
Tina stieß ihr den Ellbogen in die Seite. »Jetzt lass das endlich.«
»Ich fühle mich wie verkleidet. Als hätte ich mich aufgerüscht, weil ich es bitter nötig habe.«
Die Kellnerin mit dem Champagnertablett kam erneut vorbei, und Tina griff nach zwei Gläsern. Sie drückte Nico eines davon in die Hand und stieß unter einem bedeutungsvollen Blick mit ihr an. »Hast du ja auch.«
»Nein«, antwortete Nico gedehnt. »Du denkst, dass ich es bitter nötig hätte.«
Tina hatte diesen Ich-weiß-es-besser-Blick, den sie Nico nun zuwarf, in den letzten Monaten perfektioniert. Seit »der Sache« dachte sie anscheinend, Nico hätte nicht nur einen Mann, sondern genauso ihren Verstand verloren.
»Du endest noch irgendwann einsam und allein, als alte Katzenfrau.«
»Ich hasse Katzen.«
»Na, siehst du. Wie armselig ist das denn? Du bist die alte Katzenfrau ohne Katzen.«
Nico trank einen großen Schluck Champagner, bevor sie Tina einen warnenden Blick zuwarf. »Nicht jeder braucht unbedingt einen Kerl, um glücklich zu sein. Oder Katzen.«
Tina tätschelte wieder einmal ihren Arm, und die taubenblauen Kulleraugen nahmen einen so ernsten Ausdruck an, dass Nico innerlich aufstöhnte.
»Ich weiß, du liebst deine Arbeit«, sagte sie sanft. »Aber du kannst der realen Welt nicht auf ewig entfliehen. Du solltest nicht ausschließlich Beziehungen zu den Hauptfiguren deiner Romane führen.«
»Ich schreibe Kriminalromane. Meine Hauptfiguren sind Serienkiller.«
Tina winkte ab. »Du weißt, was ich meine.«
»Irgendwie nicht …«
Plötzlich tauchte ein Glas Rotwein vor ihrer Nase auf, und dahinter erkannte sie verschwommen Franks schiefzahniges Grinsen.
»Dein Held ist zurück«, raunte er.
»Toll.« Nico nahm ihm den Wein ab und machte instinktiv einen Schritt nach hinten. »Kennst du schon Tina?« Sie deutete auf ihre Freundin, die prompt die Augen aufriss. »Sie und ihr Mann möchten ein Haus bauen und interessieren sich für einen Kredit.«
Bumm. Zwei Fliegen mit einer Klappe.
Frank der Superbänker straffte die Schultern, setzte ein geschäftsmäßiges Lächeln auf und wandte sich Tina zu. »Ach ja? An was genau haben Sie denn gedacht?«
Nico quittierte Tinas laserstrahlenschießenden Blick mit einer sarkastischen Halbverbeugung. Frank hielt sich nicht mit so trivialen Dingen wie Luft holen auf, sondern leierte seine auswendig gelernten Kundenfang-Sprüche runter. Als er so richtig im Redefluss war, winkte Nico ihrer Freundin zu und flüchtete daraufhin in die Richtung, in der sie die Bar vermutete.
Sie spürte Tinas hilflosen Blick, hatte jedoch nur ein bedingt schlechtes Gewissen. Sie wollte nicht verkuppelt werden, sie wollte keinen Typen abschleppen, sie wollte noch nicht einmal hier sein – wann würde Tina das endlich begreifen und sie in Ruhe lassen? Nicos Herz wurde nicht nur gebrochen, es wurde in Stücke gerissen, getreten und überfahren. Gleichzeitig. Wieso sollte sie nach jemandem suchen, der ihr das aufs Neue antat?
Tina meinte es gut, keine Frage. Doch gut gemeint ist entgegen der landläufigen Meinung noch immer das Gegenteil von gut.
Nico schlenderte durch die Galerie und tat so, als würde sie die Rorschachtests an den Wänden bewundern. In einer Ecke entdeckte sie Lucas, der inmitten einer Menschentraube stand. Nur sein goldblondes Haar blitzte ab und an zwischen den Köpfen hindurch. An diesem Abend war er der Star. Und vermutlich würde Nico heute nicht näher an ihn herankommen. Schade. Wenn sie sich schon aus der Wohnung quälte, hätte sie doch wenigstens einen von Lucas’ altbekannten flapsigen Kommentaren verdient.
Sie erreichte die Bar, stellte sich an den Tresen und ärgerte sich darüber, dass hier keine Hocker aufgestellt waren. Sie war mit quälend unbequemen Schuhen auf eine Stehparty gegangen. Danke, Tina.
Nico leerte ihr Glas und knallte es auf den Tresen, um die Aufmerksamkeit des Barmanns zu erregen.
»Noch so einen«, sagte sie.
»Gefällt Ihnen die Ausstellung?«, fragte ein Mann neben ihr.
Er erinnerte sie an Frank. Die meisten Männer in dieser Ausstellung taten das. Teure Anzüge, Business-Lächeln, siegessichere Blicke – sie brüllten geradezu »Macho«. Das war nie ihr Typ gewesen.
Sie antwortete mit einer vagen Mischung aus Nicken und Achselzucken, nahm das Glas entgegen, das der Barmann ihr reichte, und drehte dem Kerl den Rücken zu. Ihr war klar, dass sie dadurch wie eine Oberzicke wirkte, aber sie hatte schlichtweg keine Lust auf Smalltalk.
Eine Weile lang beobachtete sie die Menschen. Kleine, gleichfarbige Grüppchen, ausstaffiert wie Modepuppen, und mit dem immergleichen Lächeln im Gesicht. Sie hatte das Gefühl, mitten in einer dicken fetten Lüge zu stehen. Irgendwann drehte sie sich um und schaute dem Barmann beim Einschenken zu. Er war der Einzige an diesem Ort, der echt aussah – Nico mit eingerechnet.
Ungefähr drei Gläser später stellte sie fest, dass ihre Zunge allmählich schwer wurde.
»Ich möchte noch so einen«, versuchte sie deutlich hervorzubringen, indem sie jede Silbe betonte.
»Gern.« Der Barmann lächelte, als er ihr nachschenkte. »Sind Sie allein hier?«
»Nein. Meine Freundin wird gerade von einem alten Bekannten bequatscht, und ich stehe hier und genieße die Stille.«
»Ah, na dann …« Er stützte die Unterarme auf den Tresen und schaute ihr mit seinen leuchtend grünen Augen ins Gesicht. Er machte beinahe den Anschein, als bereitete er sich darauf vor, sie anzubaggern.
»Sagen Sie, wo ist hier die Toilette?«, fragte Nico schnell.
Sein Lächeln erstarb, als er in die entsprechende Richtung deutete. Verständlich. Nico hatte ihn schon einmal nach dem Weg gefragt. Sie umklammerte ihr Glas, stapfte los und versuchte, nicht allzu offensichtlich zu schwanken.
Unauffällig stützte sie sich an der Wand ab, als sie um die Ecke in den Flur mit den Toiletten abbog. Zugegebenermaßen war sie nicht ganz nüchtern, doch die ungewohnten Schuhe ließen sie wackeln wie eine Volltrunkene. Am liebsten wäre sie barfuß weitergegangen.
Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende formuliert, knickte sie um und quietschte erschrocken auf. Bevor sie jedoch auf dem Boden aufschlug, griff eine Hand unter ihren Arm und richtete sie mit Leichtigkeit auf. Sie sah gerade noch, wie ein Schluck Rotwein aus ihrem Glas schwappte und auf die Sneakers ihres Helfers pflatschte. Moment! Turnschuhe?
»Hey, wieso darfst du Chucks tragen und ich nicht?«
»Wieso solltest du das nicht dürfen?«
Die Antwort kam von einer weichen Männerstimme, die wie Kaschmir über Nicos Haut strich. Sie sah auf und blickte in ein Paar ungewöhnlich große Augen. Sie hatten die Farbe dunklen Karamells. Mit Zartbitterummantelung.
»Ähm … weil meine Freundin meint, … ich hätte es nötig?«
Unter den eindrucksvollen Augen, vorbei an einer hübschen, geraden Nase, erkannte sie ein überraschend ehrliches Lächeln, das sich wärmend wie eine Wolldecke um ihr Herz legte. Nicos Hirn schien ernsthafte Schwierigkeiten damit zu haben, die hinreißenden Einzelteile zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. War sie eben doch gestürzt und hatte sich den Kopf gestoßen? Oder war sie ohnmächtig geworden und träumte?
Sie warf einen Blick auf seine Schuhe. Seine steingrauen Chucks, um genau zu sein. Ein riesiger roter Fleck prangte darauf.
Umständlich kramte sie ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. »Tut mir echt leid.« Als sie sich bückte, wurde ihr plötzlich schwummrig. Sie schwankte, spürte jedoch kurz darauf wieder diese sanften warmen Hände, die sie aufrichteten.
»Schon gut«, meinte er.
Urplötzlich hatte sie das Gefühl zu fallen, als würde ihr Kreislauf versagen, und kalter Schweiß trat auf ihre Stirn. Wie viele Gläser Wein waren das noch gleich? Sie drückte dem Fremden ihr Glas in die Hand und lehnte sich, die Finger an die Schläfen pressend, an die Wand.
»Ich muss nur mal kurz …«, murmelte sie.
Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie zu Boden sank, bis der Turnschuhträger sie aufrichtete und ihren Arm um seine Schultern legte. Sie ließ sich bereitwillig von ihm durch die Tür neben der Damentoilette führen. Die mit der Aufschrift »Personal«. Anscheinend war es ein Aufenthaltsraum: Küchenzeile, ein Tisch, ein paar Stühle.
Der Mann schloss die Tür hinter ihnen, manövrierte Nico auf einen Stuhl und öffnete das Fenster. Eine erfrischend kühle Brise strich über ihre erhitzte Haut. Sie lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und genoss wohlig seufzend das entspannende Kribbeln in ihren überforderten Füßen.
Der Turnschuhträger mit den Karamellaugen setzte sich neben sie. Er stellte seine Bierflasche und Nicos Weinglas auf dem Tisch ab und musterte sie besorgt. Oder auch amüsiert. So genau konnte sie seine Miene nicht deuten.
»Geht’s besser?«, fragte er.
Nico griff nach ihrem Glas, prostete ihm zu und nippte am Rotwein. »Ich glaube, ich vertrage keinen Alkohol mehr.«
»Solltest du dann nicht aufhören zu trinken?«
Sie legte den Kopf schief und blinzelte ihn schmunzelnd an. »Ja. Danke für den Rat, Großvater.«
Er erhob sich und suchte die Schränke ab, während Nico ihn verwundert beobachtete. Er sah nicht aus wie die anderen Gäste. Er war jung, vielleicht Mitte zwanzig. Und er trug Jeans und ein schlichtes Button-down-Hemd statt eines maßgeschneiderten Anzugs und einer Seidenkrawatte unter dem verstärkten Kragen. Außerdem verunstalteten keine drei Zentner Gel seinen schwarzen Haarschopf. Er war so … echt. Wie ein Mensch unter Robotern, ging ihr durch den Kopf, und sie musste kichern.
Schließlich zog er ein Wasserglas aus dem Schrank und füllte es mit Leitungswasser.
»Hier, trink.« Er stellte es vor ihr ab und setzte sich wieder neben sie.
Nico schluckte das herrlich kühle Wasser gierig und nickte ihm dankbar zu. »Du musst nicht den Babysitter für mich spielen. Geh nur raus zur Party, schau dir die Rorschachtests an. Ich komm schon klar.«
Er lachte leise. Ein Klang, der sich anfühlte wie eine Tasse heiße Schokolade und der sie automatisch zum Lächeln brachte. »Ja, das hab ich gesehen. Du gehst wie auf Stelzen.«
»Deswegen wollte ich andere Schuhe anziehen.«
»Und wieso hast du nicht?«
»Weil ich ein Einsiedler bin.«
Seine Mundwinkel zuckten. »Wieso müsst ihr Frauen immer Schuhe tragen, in denen ihr nicht gehen könnt? Versteh ich nicht.«
»Glaub mir, ich auch nicht«, erwiderte Nico und leerte das Wasserglas. »Gesellschaftliche Konventionen?«
Sie beugte sich nach vorne, um das Glas abzustellen, wodurch ihr ein dichter Vorhang aus Haaren ins Gesicht fiel. Der Fremde schob die Mähne über ihre Schulter zurück und klemmte eine besonders hartnäckige Strähne hinter ihrem Ohr fest. Während er sie stumm musterte, sahen seine Augen so tief und lebendig aus, als würden sie fließen.
»Du hast wirklich schöne Augen«, hauchte Nico, bevor sie sich bremsen konnte. Kurz darauf hätte sich am liebsten geohrfeigt. Wenn das nicht die älteste und dümmlichste Anmache der Welt war. Peinlich berührt legte sie eine Hand an die Stirn.
Er lachte bloß wieder sein leises Schoko-Lachen. »Du siehst nicht aus, als wolltest du hier sein«, wechselte er glücklicherweise das Thema.
Sie schielte dankbar zu ihm auf und nickte. »Gut beobachtet, Sherlock.«
»Wieso bist du es dann?«
Nico zuckte mit den Schultern.
»Weil du ein Einsiedler bist?«, feixte er.
»Ich kenne den ›Künstler‹.« Nico war sich völlig bewusst, dass man die Ironie heraushören konnte. »Es wäre unhöflich gewesen, nicht aufzutauchen.«
»Ich wette, er hat dich nicht mal gesehen. Hier sind tausend Leute, die wie Scheiße am Schuh an ihm kleben. Meinst du, er erinnert sich morgen noch daran, wem er die Hand geschüttelt hat?«
»Interessanter Vergleich.« Nico schmunzelte. »Aber du hast recht. Wahrscheinlich nicht.«
Der Mann legte ihr eine schwere warme Hand auf die Schulter und bedachte sie mit einem mitfühlenden Blick. »Weil du höflich sein wolltest, tun dir morgen die Füße weh, und er erinnert sich nicht einmal mehr daran, dass du da warst.« Er klopfte ihr auf die Schulter, bevor er sich zurücklehnte und grinsend die Arme vor der Brust verschränkte. »Tja, tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du folterst dich gerade völlig umsonst.«
Die Menschen waren ein kompliziertes Volk. Ständig verstellten sie sich, um es anderen recht zu machen. Ob Nico nun wegen Lucas oder Tina die verfluchten Pumps trug, war unerheblich. Bescheuert war es so oder so.
Lag es am Wein oder war dieser Fremde wirklich so genial? Lag es am Wein oder war dieser Fremde wirklich der gutaussehendste Mann, der ihr in letzter Zeit begegnet war? Sie sah ihn von der Seite an.
Seine Haut schimmerte bronzen unter der schwachen Deckenbeleuchtung und verlieh ihm einen exotischen Touch. Und die hohen Wangenknochen ließen seine Gesichtszüge angenehm weich wirken. Obwohl Nico für gewöhnlich mehr auf den kernigen Typ stand, war dieser Fremde mit dem sanften Blick der erste Kerl, den sie seit langem tatsächlich als Mann wahrnahm. Wahrscheinlich lag es an diesen Wahnsinnsaugen. Sie wirkten so tief, dass Nico das Gefühl bekam, direkt in seine Seele blicken zu können. Eine angenehme Abwechslung von den Kerlen, denen sie sonst begegnete. Aber auch erschreckend. Es ging ihr doch so gut, als sie die Existenz zweier verschiedener Geschlechter schlicht geleugnet hatte …
»Ist was?«, fragte er passenderweise im nächsten Moment.
»Ich muss definitiv … Ich fahre nach Hause.«
Er schüttelte lediglich den Kopf. »Du fährst definitiv nicht!«
»Ich rufe mir ein Taxi.« Sie winkte ab, hielt sich an der Tischkante fest und hievte sich langsam vom Stuhl. Wie konnte sie von ein paar Gläsern Wein nur so wacklig auf den Beinen sein? War sie tatsächlich so lange nicht mehr aus gewesen, sodass sie nichts mehr gewohnt war?
»Das wird doch nichts«, sagte er. »Ich fahre dich.«
Nico hob eine Braue. »Sagt der Typ mit dem Bierfläschchen in der Hand.«
»Das ist mein erstes. Und es ist noch halbvoll.« Er hielt es so hoch, dass sie den Inhalt sehen konnte. »Außerdem habe ich Schuhe an, in denen ich gehen und sogar fahren kann.«
Nico konnte nicht anders, als sein Grinsen zu erwidern. Abwägend beäugte sie die Bierflasche und seine Karamellaugen im Wechsel. »Das kann ich nicht verlangen«, meinte sie. Vermutlich klang es noch weniger überzeugend, als es sich anfühlte. »Du bist sicher nicht hier, um irgendwelche besoffenen Schnepfen in der Gegend herumzukutschieren.«
Mit einem Schmunzeln auf den Lippen hüpfte er vom Stuhl und bot ihr seinen Arm.
Nico hakte sich unter, unterdrückte die Warnung ihres beschwipsten Verstands, der ihr riet, nicht mit dem schnuckligen Fremden mitzugehen, und ließ sich von dem Mann führen. Glücklicherweise wusste er, wo sich der Hinterausgang befand, und zufällig stand dort auch sein Auto. Nico wollte sich keine Gedanken über diese günstigen Umstände machen, sie war inzwischen einfach nur froh, nicht so weit zu Fuß gehen zu müssen.
Er hielt ihr die Tür des altertümlichen Golfs auf, und sie plumpste nicht ganz so elegant in den Sitz wie geplant, doch wenigstens hatte er den Anstand, sich das Lachen zu verkneifen.
Als er sich ans Steuer setzte, musterte er sie erwartungsvoll. »Schnall dich an.«
»Kein gutes Zeichen, wenn der Fahrer so vehement aufs Anschnallen besteht«, murmelte sie und griff umständlich nach dem Gurt.
»Du musst mir sagen, wohin.« Behutsam fuhr er vom Parkplatz.
»Ach ja, Eselsberg. Ich sag dir dann, wo du halten musst.«
Nico kramte ihr Handy aus der Handtasche und tippte eine kurze Nachricht an Tina. Kaum war diese versendet, erfüllten auch schon die ersten Klänge von Disturbeds The Game den Wagen. Nico hatte sich den Klingelton als sarkastisches Statement für die derzeit windelweiche Sonderbehandlung ihrer Freunde ausgesucht. Da sie jedoch nicht auf den ruppigen Text achteten, kapierte das nur leider keiner.
Der Fremde hob eine Braue und sah sie fragend von der Seite an. Nico ignorierte ihn und nahm den Anruf entgegen.
»Du hast das Prinzip von WhatsApp nicht verstanden«, begrüßte sie ihre Freundin und hörte selbst, dass sie lallte. »Man ruft nicht an, wenn man eine Nachricht bekommt. Man schreibt so was wie ›Alles klar. Bis morgen‹.«
»Wo zum Teufel bist du?«, brüllte Tina auf der anderen Seite der Leitung.
»Auf dem Weg nach Hause. Habe ich doch geschrieben.«
»Und wer bringt dich nach Hause?«
Nico warf einen Blick auf ihren Chauffeur, der wieder einmal schmunzelte.
»Wer mich nach Hause bringt?«, wiederholte sie und stupste ihn mit dem Ellbogen an.
»Kosta«, flüsterte er ihr zu.
»Kosta natürlich, wer sonst?«
»Wer soll das denn bitte sein? Du wirst doch nicht etwa mit einem wildfremden Typen nach Hause fahren?«
Nico zog eine Grimasse. »Was ist denn? War das nicht genau das, was du wolltest?«
»Ja … Nein … Nicht so. Du hast doch überhaupt kein Urteilsvermögen.«
Damit hatte sie wahrscheinlich recht. Der beste Beweis dafür war Nicos Ex-Mann. Trotzdem musste ihr Tina das nicht so unverblümt ins Gesicht – oder vielmehr ins Ohr – schleudern. Nico schnaubte und musterte Kosta abwägend von der Seite. »Sag mal, bist du ein Serienkiller oder ein Perverser?«
»Nur an Werktagen«, feixte er.
»Er sagt Nein. Bist du beruhigt? Dann bis morgen.«
»Du rufst mich sofort an, wenn du …«
»Jaja.« Kopfschüttelnd legte Nico auf und warf das Handy zurück in die Handtasche.
»Deine Mutter?«, fragte Kosta in so ernstem Tonfall, dass Nico unwillkürlich lachen musste.
»So was Ähnliches.«
»Nachdem du jetzt alles über mich weißt, sagst du mir jetzt auch, wie du heißt?«
»Nico.«
»Von Nicole?«
Sie rollte mit den Augen. »Schlimmer. Von Nicolette.«
Er zuckte überraschenderweise bloß mit den Achseln.
Nico konnte ihren Namen noch nie ausstehen. Schon als Kind fand sie, dass er anrüchig klang. Außerdem war es der perfekte Name für die fantasievollen Beleidigungen und Wortspiele ihrer Mitschüler gewesen. Was sich nicht so alles auf »-lette« reimte …
Kosta bog wenig später in ihr Wohngebiet ein, und Nico lotste ihn durch die engen Sträßchen, bis sie an dem modernen Klotz mit Walmdach ankamen, in dem sie seit kurzem wohnte. Er parkte vor ihrer Garage, stellte den Motor ab und öffnete den Sicherheitsgurt.
»Was machst du da?«, fragte sie überrascht.
Er deutete mit einer Hand vage auf das Haus. »Ich bringe dich zur Tür.«
Ohne ein weiteres Wort stieg er aus und half Nico aus dem Auto. Er brachte sie nicht nur sicher zum Hauseingang, sondern ins Obergeschoss zu ihrer Wohnung, wo sie ihre Schuhe in eine Ecke schleuderte. Sie seufzte erleichtert, als sie endlich wieder festen Boden unter ihren Füßen fühlte.
»Himmlisch«, schnurrte sie.
Wie aus alter Gewohnheit lächelte sie Kosta an. Und als er ihr Lächeln erwiderte, vollführte ihr Herz völlig unerwartet einen Purzelbaum. Ein komisches Gefühl. Sie hatte es lange nicht mehr gespürt. Allerdings wurde sie auch lange nicht mehr so angesehen. Da lag etwas Bedeutungsvolles, etwas Bewunderndes in seinem Blick; etwas, das sie nicht entschlüsseln konnte. Doch was immer es war, es gefiel ihr.
»Danke«, sagte sie schließlich. »Ich hätte es keine Sekunde länger in diesen Schuhen ausgehalten.«
Und bevor sie wusste, was sie tat, hing ihr Mund an seinen weichen Lippen. Keine Ahnung, wessen Idee das gewesen war. Sie wollte sich eben von ihm lösen, da trat er näher, legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Nico ließ sich fallen, genoss die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, die fordernden Bewegungen seiner Lippen und den Schwindel, den er in ihr auslöste. Dann drückte sie ihn sanft fort, schloss die Tür auf und schlüpfte in die Wohnung.
Als er nicht hinterherkam, spähte sie nach draußen. »Was ist jetzt?« Nico griff nach seinem Arm und zog ihn in die Wohnung. »Hast du nicht gesagt, du willst mich ins Bett bringen?«
Ein hinreißend schiefes Grinsen formte sich auf Kostas Lippen, als er eintrat und die Tür hinter sich schloss. Und Nicos Verstand schaltete endgültig ab.
Da brummte doch etwas. Direkt an Nicos Ohr. Oder war das in ihrem Ohr? Es klang, als flöge eine dicke Hummel munter durch ihre Hirnwindungen. Schwerfällig schlug sie nach dem Vieh, erwischte aber lediglich ihre eigene Nase.
»Aua«, jammerte sie, legte eine Hand auf ihr Gesicht und bemerkte endlich, dass es ihr eigener Kopf war, der so brummte.
Es war einiges an Kraftaufwand nötig, um ihre Augen zu öffnen. Sie fühlten sich an wie zugeklebt. Was war denn hier los? War sie krank? Da war auch so ein seltsam bitterer Geschmack auf ihrer Zunge. Rotwein. Aha! Zu viel davon, allem Anschein nach.
Sie blinzelte, bis sich der hartnäckige Film auf ihren Augen löste und sie wieder klar sehen konnte. Sie lag in ihrem Bett – so weit, so gut –, und durch die Vorhänge drückte sich ein unverschämter Sonnenstrahl, der sich förmlich durch ihre Augen in ihren Kopf fraß. Auf dem Nachttisch wartete bereits die Rettung in Form eines gefüllten Wasserglases und einer Schmerztablette.
Die verkaterte Nico klopfte der betrunkenen Nico gedanklich auf die Schulter für diese Freundlichkeit, bevor sie sich hochzog. Sie fühlte sich wie ein altes, tattriges Weib, als sie die Tablette einwarf und vorsichtig das Wasser leer schlürfte. Danach lehnte sie sich stöhnend zurück, wodurch die Bettdecke verrutschte und ihr den Blick auf ihren nackten Oberkörper frei gab. In diesem Moment dämmerte es ihr endlich.
Vage erinnerte sie sich an die einzigartig dunklen Augen, das Zahnpasta-Lächeln und einen schrottreifen Golf, der vor ihrer Garage parkte. Sicherheitshalber lugte sie unter die Decke. Ja, sie war splitterfasernackt.
Sie riss die Bettdecke bis zum Kinn hoch und schaute sich noch einmal gründlich im Zimmer um. Glücklicherweise war sie allein.
Verdammt, was war letzte Nacht bloß passiert?
Nico spulte den Abend vor ihrem geistigen Auge ab: Sie war mit dem Volvoschiff zur Galerieeröffnung gefahren, hatte Tina mit Frank stehen lassen und sich an der kleinen Bar in der Ecke betrunken. Beinahe war sie auf dem Weg zur Toilette gestürzt, so viel wusste sie noch. Aber den Kerl mit den steingrauen Chucks sah sie nur verschwommen in ihrer Erinnerung. Sie war sicher, dass sie in sein Auto gestiegen war, doch der Rest der Nacht versank im Nebel ihres wirren Verstands.
Stöhnend zog sie die Bettdecke über den Kopf. Was für ein Elend! Nicht nur, weil sie einen für diese geringe Menge Wein ungerechtfertigt gewaltigen Kater hatte, sondern vielmehr, weil sie in ihrem gesamten spießigen Leben noch nie einen derartigen Blackout gehabt hatte, dass sie sich nicht mehr an den Sex erinnern konnte. Wie alt war sie denn inzwischen? Hundertundfünf? Vielleicht waren das die Vorzeichen des Alzheimers.
Zugegeben, an die eine oder andere Szene erinnerte sie sich sehr wohl. Immer wieder blitzten einzelne Bilder und – schlimmer noch – Geräusche in ihrem Gedächtnis auf. Allerdings konnte sie diese nicht festhalten und schon gar nicht in die richtige Reihenfolge bringen. Ob sie in dieser Nacht Spaß gehabt hatte? Keine Ahnung. Viel wichtiger war sowieso die Frage: Wenn man sich nicht an den Sex erinnern konnte, war es dann wie mit dem sprichwörtlichen Baum im Wald? Hatte er gar nicht stattgefunden?
Sie beschloss, diese Frage mit Ja zu beantworten. Bis auf ihre Nacktheit gab es schließlich keine Beweise. Der Kerl war weg, und da sie sich ohnehin nicht an seinen Namen erinnerte, konnte sie auch so tun, als sei nie etwas geschehen. Schande erfolgreich abgewendet. Zurück zum Alltag.
Ein Klappern, das sich anhörte, als hätte jemand die Besteckschublade in ihrer Küche zu schwungvoll aufgezogen, ließ Nico zusammenzucken.
Sie zog den Kopf unter der Bettdecke hervor und starrte schockiert auf die Tür. Ihr Herz raste. Wieso war der noch hier? Sie hoffte fast, dass sich nur ein zu lauter Einbrecher in ihrer Wohnung austobte. Aber ungeachtet dessen, wer in ihrer Wohnung war, so konnte sie ihm auf gar keinen Fall unter die Augen treten.
Vorsichtig erhob sie sich, schwang die Beine über die Bettkante, stöhnte und versuchte ihren Brummschädel zusammenzuhalten, bis er sich einigermaßen an die aufrechte Position gewöhnt zu haben schien. Was war nur los mit ihr? Entweder war sie allmählich zu alt oder sie hatte zu wenig Übung für solche Nächte. Halt! Dritte Möglichkeit: Der Wein war schlecht gewesen! Das musste es sein.
Langsam erhob sie sich, warf einen Blick auf ihr Höschen, das zerknittert und verloren auf dem Fußboden lag, wickelte aufgrund fehlender sonstiger Bekleidung die Bettdecke um sich, schlich zur Schlafzimmertür und presste ein Ohr dagegen. Sie hörte, wie die Dunstabzugshaube angeschaltet wurde. Was zur Hölle trieb dieser Kerl in ihrer Küche?
So leise wie irgend möglich schlüpfte sie hinaus und tapste den Flur entlang, auf dem sich der Rest ihrer Kostümierung von gestern Abend verteilte. Glücklicherweise lag das Bad direkt neben dem Schlafzimmer, sodass sie wenigstens nicht nackt an der Küche vorbeiflitzen musste. Wie eine Verbrecherin drückte sie sich an der Wand entlang, schlich ins Badezimmer und verschloss die Tür hinter sich. Erleichtert aufatmend nahm sie den Bademantel vom Haken und streifte sich das Frotteeteil umständlich über. Das Outfit war zwar nicht besonders sexy, aber was spielte das noch für eine Rolle? Was ihr da aus dem Spiegel entgegenblickte, war schließlich nicht besser.
Ihre Locken, die im Normalzustand schon zottelig waren, standen in alle Richtungen ab und schienen am Hinterkopf toupiert. Und unter ihren glasigen, blutunterlaufenen Augen hatte sich die schwarze Mascara gesammelt. Unterm Strich sah sie aus wie ein Rockstar aus den Achtzigern. Oder ein Waschbär nach dem Schleudergang.
Nico schnappte sich den Kamm und versuchte, Ordnung auf ihrem Kopf zu schaffen. Mit schwindend geringem Erfolg. Schließlich zurrte sie die unkooperative Mähne in einem Knoten am Hinterkopf fest. Danach wusch sie sich das Gesicht, um die Panda-Augen loszuwerden. Als sie erneut in den Spiegel schaute, sah sie zwar immer noch so aus, wie sie sich fühlte, aber wenigstens konnte man sie beinahe wieder mit einem Menschen verwechseln.
Sie atmete tief durch, schlurfte zur Tür und legte eine Hand auf den Griff. Musste sie wirklich da raus? Wie unhöflich wäre es, sich im Bad einzuschließen, bis er fort war? Auf einer Skala von eins bis zehn?
Einige Sekunden lang dachte sie darüber nach, ob sie sich einschließen könnte, dann schüttelte sie den Kopf. Sie war eine erwachsene Frau von dreiunddreißig Jahren und musste eben mit solchen Dingen wie einem lästigen One-Night-Stand fertigwerden. Basta.
Nico straffte die Schultern und nickte sich selbst zu, bevor sie die Tür schwungvoll aufriss und in den Flur marschierte. Auf dem Weg zum großen L, dem Wohnzimmer mit Essbereich und offener Küche, verließ sie der Mut allerdings schnell wieder. Sie wurde langsamer, blieb schließlich an der Schwelle zum Wohnzimmer stehen und linste vorsichtig um die Ecke in die Küche. Was, wenn sie sich den Typen gestern bloß schöngesoffen hatte? Wer wusste schon, was sie da erwartete?
Der Fremde stand mit dem Rücken zu ihr am Herd. Der Hintern in dieser dunklen Jeans machte jedenfalls keinen üblen ersten Eindruck. Die Ärmel seines weißen Hemds waren hochgekrempelt, weshalb Nico den exotischen Bronzeton seiner Haut sehen konnte. Die Farbe betonte das volle schwarze Haar optimal. In einer Hand hielt er einen Pfannenwender, von dessen Existenz Nico bisher nicht einmal geahnt hatte, und mit der anderen hielt er den Griff der Pfanne.
Schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. Wieso stand der Mann in ihrer Küche und kochte? Dieses Bild war so surreal, dass sie beinahe aufgelacht hätte.
Sie machte einen Schritt vorwärts und beäugte den Esstisch, der mit Tellern und Kaffeetassen eingedeckt war. Unwillkürlich verwandelte sich ihr Schmunzeln in ein ausgewachsenes Grinsen. Anscheinend hatte sie in der vergangenen Nacht irgendetwas richtig gemacht. Wann hatte ein Kerl das letzte Mal Frühstück für sie zubereitet? War das überhaupt jemals vorgekommen?
»Guten Morgen«, riss sie eine angenehm weiche Stimme aus den Gedanken.
Vorsichtig drehte Nico den Kopf und musterte den Kerl, der eben noch am Herd gestanden hatte, nun aber mit der Pfanne in der Hand auf den Esstisch zuging und sie schief anlächelte. In seinen dunklen Augen lag ein einzigartig warmer Ausdruck, der ihre Knie weich werden ließ. Und der sie schlagartig daran erinnerte, warum sie den Mann in ihre Wohnung gelassen hatte.
Dieser Blick … Sie konnte ihn einfach nicht benennen; dafür musste erst noch ein Wort erfunden werden.
Apropos benennen … Sie kam einfach nicht drauf, wie der Kerl hieß.
»Morgen«, erwiderte sie leise und strich wie automatisch über ihren Kopf, um zu prüfen, ob der Haargummi die krausen Strähnen noch in Schach hielt. Verdammt. Ihr Haar fühlte sich genauso an, wie es im Spiegel ausgesehen hatte, wohingegen dieser Kerl wirkte, als käme er frisch aus einem dreimonatigen Urlaub an der Südsee.
»Setz dich doch«, sagte er mit der guten Laune eines Nicht-Verkaterten und deutete auf den Esstisch.
Nico riss gewaltsam den Blick von ihm los, schlenderte zum Tisch und sank auf einen der Lederstühle, wobei sie einen Fuß unter ihren Hintern zog. Sie war es nicht gewohnt, zum Essen hier zu sitzen. Eine ganz neue Perspektive. Für gewöhnlich nahm sie ihr frühstückliches Käsebrot auf dem Sofa vor dem Fernseher ein, so wie es Singles eben taten.
Konzentriert fuhr sie die feinen Rillen auf dem Holztisch nach, um ihre Augen zu beschäftigen.
»Ich hoffe, du magst Pancakes?« Ohne auf eine Antwort zu warten, schaufelte er einen davon auf ihren Teller.
»Du hast Pfannkuchen gemacht?«
»Nein, Pancakes.«
»Ah, ja. Und woraus bestehen die, wenn ich fragen darf?«
Er lachte. Ein angenehmes Geräusch, das sich mit dem Duft von süßem Gebäck und geschmolzener Butter vermischte und eine wohlige Wärme in ihrer Brust erzeugte. Nico unterdrückte ein Augenrollen, als ihr aufging, welche schmachtenden Schulmädchen-Gedanken gerade durch ihren Kopf geisterten. Musste am Kater liegen. Wenn sie sich nicht gesund fühlte, wurde sie immer zu einem übersensiblen Weichei.
Obwohl sie trotz Katerstimmung zugeben musste, dass es ziemlich nett von ihm war, Frühstück für sie zu machen. Ob er vielleicht zu den sagenumwobenen anständigen Männern gehörte, die da draußen noch irgendwo herumlaufen sollten?
»Das war eine echte Herausforderung«, meinte er, schlenderte zurück in die Küche und löffelte eine zweite Portion Teig in die Pfanne. »Du versteckst deine Lebensmittel sehr gut.«
»Ja, dort, wo keiner damit rechnet: im Supermarkt.«
Er warf ihr einen amüsierten Blick zu. »Du hältst nicht viel vom Essen, oder?«
»Doch, doch.« Nico schraubte das Nutella-Glas auf und verteilte einen großzügigen Löffel der zähen Masse auf dem Pfannkuchen – Verzeihung, dem Pancake. »Tatsächlich bin ich ein großer Fan vom Essen. Nur nicht vom Kochen …«
Sie riss ein Stückchen mit der Gabel ab und schob es zögerlich in den Mund, weil sie erwartete, dass er ranzige Butter benutzt hatte oder sie wenigstens auf Eierschalen biss. Aber weit gefehlt. Der Pancake schmeckte herrlich süß und saftig. Ernsthaft, wer hätte gedacht, dass der Mann kochen konnte?
»Ich musste mir Eier und Backpulver von deiner Nachbarin leihen.« Er wendete den Pfanneninhalt, bevor er sich an die Arbeitsplatte lehnte und sie angrinste. »Frau Schänzle lässt dir ausrichten, dass du mit der Kehrwoche dran bist. Seit zwei Monaten.«
Nico warf ihm einen gespielt tadelnden Blick zu, während sie sich in Wirklichkeit das Lachen verkneifen musste. »Okay. Vielen Dank auch.« Wer war noch gleich Frau Schänzle?
Der Scherzkeks widmete sich wieder der Frühstückszubereitung, und Nico beobachtete das Spiel seiner Schultermuskulatur, während er in der Schüssel rührte. Bei diesem Anblick kamen ihr ein paar zusätzliche Erinnerungen an die vergangene Nacht in den Sinn. Hatte eben jemand die Heizung hochgedreht?
Als er sich umdrehte, schaute sie schnell auf ihren Teller und stopfte sich ein zweites Stück Pancake in den Mund.
»Wie geht es dem Kopf?«, wollte er wissen, als er sich mit seinem Frühstück zu ihr setzte.
»Ich habe keinen Kater, wenn du das meinst«, log sie. Nicht unbedingt überzeugend, wenn man seine zuckenden Mundwinkel betrachtete. »Aber danke für die Tablette.«
Er schaufelte sich den halben Pancake auf einmal in den Mund und kaute andächtig. »Ich habe gehofft«, sagte er nach einer Weile zögerlich, »den miesen ersten Eindruck wiedergutmachen zu können.«
Nico schaute fragend zu ihm auf. »Wieso mies?«
Es gab nichts daran auszusetzen, wie er sich bisher verhalten hatte. Im Gegenteil. Auch wenn es Nico lieber gewesen wäre, er hätte sich als Vollidiot entpuppt. So wäre es viel einfacher. Später, wenn er fort war und sie wieder allein in ihrem Appartement hockte.
»Ich bin eigentlich keiner dieser Typen.« Oh, dieser Blick. Kein Welpe dieser Welt könnte es mit ihm aufnehmen. »Du weißt schon … Einer von denen, die den Leichtsinn eines betrunkenen Mädchens ausnutzen.«
Süß, wie er das sagte. Mädchen. Sie fühlte sich schlagartig zehn Jahre jünger. Er sah nicht viel älter aus als fünfundzwanzig und schätzte sie offenbar gleichaltrig ein. Nico würde einen Teufel tun und diese schmeichelhafte Annahme zerstören, indem sie das Thema anschnitt.
»Keine Sorge.« Sie unterdrückte ein Grinsen. »So betrunken war ich nicht. Ich wusste sehr genau, was ich tue.« Was für eine dicke, fette Lüge …