In dieser Nacht fand die Übergabe, wie so viele Nächte zuvor, auf der Greyston Brücke statt. Morgan kannte mittlerweile jeden Winkel, wusste, wie sich die Schatten zu jeder Tag- und Nachtzeit veränderten, und war den kürzesten Weg, um von hier zu verschwinden, schon unzählige Male abgegangen.
Die Steinkonstruktion verband die Altstadt von Yastia mit dem neueren Teil, der schon an vielen Stellen bereits genauso heruntergekommen war. Trotzdem verfestigten sich die Namen und die Brücke entwickelte sich zur symbolischen Trennung zwischen dem alteingesessenen Adel und den Neureichen. Heutzutage war diese Unterscheidung längst nicht mehr so streng, obwohl dem Handwerkerviertel in der Neustadt niemals einen Platz hinter der Brücke gestattet werden würde. Die Heizöfen verpesteten in ihrem näheren Umkreis die Luft und dagegen würde die Aristokratie in ihren weißen Villen protestieren.
Morgan verlagerte ihr Gewicht und betrachtete den aufkommenden Nebel, als wäre er ihr Feind. Auch hinter ihr zur Altstadt hin sammelte er sich und hüllte die Gaslaternen in eine erzwungene Umarmung.
Die Altstadt befand sich im Westen Yastias und schmiegte sich halbkreisförmig an den riesigen Herrscherpalast, der sich in einem gigantischen Ausmaß in den Himmel erhob, als würde er mit seinen Turmspitzen die Sterne aufspießen wollen. In der Neustadt wurden die Bauten bis auf das Viertel der Neureichen immer kleiner, gedrungener und dürftiger. Hier hausten größtenteils einfache Handwerker, Händler und Taugenichtse, die in der Altstadt nur in dem Elendsviertel nahe dem Hafen geduldet wurden. Gesindel, dem auch Morgan Vespasian angehörte, hatte hinter der Brücke nichts zu suchen.
Ihre Leute und sie hatten es allerdings besser getroffen. Ihr Meister, der Alphawolf, besaß genug Einfluss, um ihnen ein Zuhause in der Altstadt zu bieten, wo es sauberer war und man weniger Gefahr lief, sich mit allerlei Krankheiten anzustecken.
Unter der Brücke trieb der Fluss, die Thoan, in sanften Wellen entlang. Er maß den niedrigsten Stand seit hundert Jahren, da sich die Hitze entschlossen an der Stadt festgebissen hatte.
»Da kommt jemand«, riss Thomas Morgan aus ihren Gedanken. Er stand in lässiger Pose neben ihr und kaute auf einem Zahnstocher herum. Seine dunkelgrüne Tunika war bereits an mehreren Stellen geflickt worden, da er zu geizig war, das gute Geld für etwas Belangloses wie Kleidung auszugeben. Er nutzte die tägliche Krone lieber für Straßenmädchen und Alkohol, in dem er sich nur zu gerne ertränkte.
Morgan verabscheute Thomas und sie hasste es, dass sie diesen Auftrag mit ihm zu Ende bringen musste. Angefangen bei seinem wirren roten Haar über seine kalten blauen Augen bis zu seiner sommersprossigen Haut verachtete sie ihn. Morgan besaß zwar so viel Einsicht in ihre eigenen Gefühle, um zu wissen, dass ein Teil ihrer Abneigung ihrem Aufenthalt auf der Insel Adrela verschuldet war. Dort besaß ein Großteil des Volkes wie Thomas rote Haare und sie hatte keine guten Erinnerungen an sie. Trotzdem hinderte es sie nicht daran, Thomas weiter zu hassen.
»Das muss Robbart sein«, murmelte sie, als sich mehrere Gestalten aus den Schatten der lauwarmen Nacht schälten. Sie traten direkt aus der Hauptstraße der Neustadt heraus. Anders als im Zentrum gab es dort keine hochwertigen Geschäfte, die die Reichen wie Motten anzogen. Halb zerfallene Backsteingebäude beherbergten Bäckereien und Lebensmittelhändler für das niedrige Volk. Einzig und allein das Juwelierviertel, das direkt an die Thoan grenzte, lockte den Adel.
Robbarts Quartier lag jedoch in der Nähe der Viehhändler, wie Morgan wenige Tage zuvor herausgefunden hatte, nachdem sie ihm gefolgt war. Jede Einzelheit ihrer Transaktionen war von Bedeutung. Auch wenn bei einem erfolgreichen Abschluss nicht jedes Wissen verwendet wurde, so fühlte sich Morgan doch beruhigt, da sie nichts überraschen könnte. Zumindest hatte sie das geglaubt.
»Es war nicht abgemacht, dass er mehr als eine Begleitung mitnimmt«, klärte sie Thomas auf, den sie zuvor äußerst widerwillig in die Planung eingeweiht hatte. Es war das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass sich ein Kunde traute, gegen eine klare Abmachung zu verstoßen.
Normalerweise konnte sie solch kleine Aufträge wie heute, in denen sie das gestohlene Gemälde gegen den vorher abgemachten Preis eintauschen musste, allein durchführen. Thomas hatte jedoch bei Larkin darauf bestanden, mitzukommen, und da er älter und erfahrener war, durfte er die Führung übernehmen.
Allein bei dem Gedanken an seine Unverschämtheit knirschte sie mit den Zähnen.
Er hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er es für eine Verschwendung von Kraft und Zeit hielt, ein Mädchen in ihren Reihen aufzuziehen, trotzdem hatte er bisher stets Respekt für ihre Arbeit gezeigt. Er hatte sich noch nie in einen ihrer Aufträge eingemischt. Bis zu diesem Tag.
Und nun hielt sich ihr Kunde noch nicht einmal an ihre einfache Anweisung.
Sie verteilte ihr Gewicht neu und ließ ihre Fingerspitzen federleicht über das lederne Heft ihres Dolches wandern. Angespannt beäugte sie die Dächer, auf denen sie jedoch nur ihre eigenen Leute ausmachen konnte, die sich hin und wieder aus den Schatten bewegten, um die Umgebung im Auge zu behalten. Sie hatte sie an diversen Stellen positioniert, damit sie notfalls einen Warnpfeil in Richtung Robbart abfeuern konnten, falls er sich nicht benahm.
»Mach dir nicht gleich in die Hosen, kleines Ding«, grunzte Thomas vergnügt, als würden sie sich lediglich auf dem Markt befinden, um sich zu amüsieren, und als ginge es nicht um sechshundert Kronen.
Thomas war einer der wenigen, der sie mit dem Spitznamen ansprach, den Larkin ihr gegeben hatte. Ein weiterer Grund, ihn zu hassen.
Konzentrier dich auf den Handel, Morgan!, wies sie sich innerlich zurecht und schloss die Musterung ihrer Umgebung ab.
Anscheinend hatte Robbart nur einen zusätzlichen Begleiter mitgenommen, was ein kleiner Trost war. Trotzdem widersprach dies ihrer Vereinbarung. Sie nahm an, dass Robbart vor seinem ersten Geschäft mit den Wölfen von Angst übermannt worden war.
»Guten Abend«, wünschte ihnen der dunkelhäutige Mann mit den leuchtend grünen Augen, als er rund vier Meter vor ihnen zum Stehen kam.
Ihre Hintergrundinformationen über ihn waren trotz ihrer Recherche mangelhaft. Alles, was sie erfahren hatte, war, dass er aus Idrela stammte und seit einem Jahr in Yastia lebte. Er war Kunstsammler und verdiente sein Geld damit, dass er gestohlene Ware weiterverkaufte.
Morgan und die Wölfe waren dazu da, diese Ware zu stehlen, obwohl sie sonst zumeist die Aufgabe des Verkaufens übernahmen. Die Wölfe waren jedoch vielseitig und so wurden sie von Larkin auch in anderen Bereichen eingesetzt. Die Hauptsache war, sie spülten Geld in die Kassen.
»Robbart.« Thomas nahm endlich seinen widerlichen Zahnstocher aus dem Mund, kratzte sich am Hinterkopf und trat dann einen Schritt näher, als würde er den Idrelen damit einschüchtern wollen. Die schwarze Farbe um seine Augen und auf seinem Nasenrücken wirkte blass in dem Mondlicht, als hätte er vergessen, sie vor dem Treffen neu aufzutragen. Fordernd streckte er eine Hand aus. »Das Geld?«
»Sechshundert Kronen, wie abgemacht.« Er nickte seinem linken atheiranischen Begleitschutz zu, der einen halben Kopf kleiner war. Der Mann mit dem auffälligen Ziegenbart und den buschigen Augenbrauen holte zwei klimpernde Beutel unter seiner Tunika hervor.
»Tuxons Gemälde?«
Morgan wollte Gambin, der hinter ihnen im Schatten eines Dachvorsprungs wartete, gerade das Zeichen geben, das Gemälde zu ihnen zu bringen, als Thomas’ Hand nach vorn schnellte und kurzzeitig ihren Unterarm umfasste. Schockiert riss sie die Augen auf. Was hatte er vor?
»Weißt du, Robbart, ich habe es mir anders überlegt.« Er ließ den Zahnstocher fallen und kreuzte die Arme vor seinem Oberkörper.
Morgans Finger zuckten nervös, bevor sie den Griff des Messers fester umschlossen. Die Stimmung war umgeschlagen und sie erkannte an den angespannten Mienen der drei Männer, dass auch sie die Veränderung wahrgenommen hatten.
Sie verengte die Augen und achtete auf jede noch so kleine Bewegung, die ihr Leben gefährden könnte.
»Ach ja?« Robbart nickte kurz, was der Mann mit dem Ziegenbart als Anlass nahm, das Geld wieder einzustecken.
Sie unterdrückte ein frustriertes Aufstöhnen. Wie konnte ihr Thomas so etwas antun? Sie brauchte jede Krone, um ihre Lebensschuld bei Larkin zu begleichen.
»Sechshundert Kronen sind eindeutig zu wenig. Wieso legst du nicht noch hundert drauf, hm?« Thomas schien nicht zu begreifen, dass er gefährlich nah am Abgrund balancierte. Oder es war ihm egal.
»Wir hatten eine Abmachung«, presste der Idrele zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor und wirkte ganz und gar unglücklich.
»Thomas«, zischte Morgan, doch er ignorierte sie.
»Eine Abmachung, die du gebrochen hast, als du zwei Begleiter statt nur einem mitgenommen hast.« Seine freundliche Miene verzog sich zu einer hässlichen Grimasse und sein linkes Auge zuckte vor Anspannung. Morgan hatte sich am Anfang ihrer Bekanntschaft darüber lustig gemacht, aber in Situationen wie diesen wirkte seine Miene unheilvoll.
Es schien für einen Augenblick so, als würde Robbart die Verhandlung erneut aufnehmen wollen, doch dann schoss der Arm des Mannes mit dem Ziegenbart hervor. Im letzten Moment packte Morgan sein Handgelenk, verdrehte es und stieß ihm ihren Dolch in den Magen. Sein eigenes Messer fiel klappernd zu Boden.
Robbart lief um Hilfe rufend davon, während sich seine zweite Begleitung unbeeindruckt um Thomas kümmerte.
Wenn der Idrele weiter so herumbrüllte, würde jede Wache im Dienst auf sie aufmerksam werden, was vermutlich seine Absicht war.
»Thomas«, warnte Morgan.
Er entledigte sich des gedrungenen Kämpfers mit einem gezielten Schlag in den Nacken und einen auf die Nase, der ihn in die Bewusstlosigkeit beförderte, bevor er sich neben den Mann mit dem Ziegenbart kniete. Er zerrte die zwei Geldbeutel aus der Innentasche und steckte sie selbst ein. Er war tatsächlich so dreist, sie dabei zufrieden anzugrinsen.
»Los jetzt«, sagte er, als wäre sie diejenige, die sie aufgehalten hätte.
Sie rannten in die entgegengesetzte Richtung, die Robbart eingeschlagen hatte, direkt in die Altstadt hinein, wo sich schließlich ihre Wege trennten. Sie würden sich, wenn alles nach Plan verlief, im Hauptquartier wiedersehen und dann … dann würde sie ihm die Kehle durchtrennen!
Das Hauptquartier der Wölfe lag an einer vielbefahrenen Straße und zog sich mehrere Stockwerke in die Höhe. Es gab unter anderem einen Vorder- und einen Hintereingang, beide durften jedoch nur während ihrer knapp bemessenen freien Zeit benutzt werden, damit niemand sie von einem Auftrag zu ihrem Quartier zurückverfolgen konnte. Deshalb wählte Morgan den Zugang über die Kanalisation.
Die Tunnel, die sich labyrinthartig unter ganz Yastia erstreckten, wurden nur hin und wieder von Patrouillen kontrolliert und das meistens tagsüber. Sie hielten sich von der finsteren Unterwelt fern, wenn ihnen ihr Leben lieb war. Aus diesem Grund brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, in eine der Stadtwachen hineinzulaufen, als sie sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit ihren Weg durch das Labyrinth suchte. Ihr Atem hallte hektisch von den abgerundeten Wänden wider und vermischte sich mit den Geräuschen, die ihre Schritte auf dem feuchten Boden verursachten.
Sie kannte sich hier unten in der Dunkelheit natürlich genauso gut wie jeder andere von Larkins Wölfen aus. Es gehörte zu den Aufgaben, die sie absolvieren mussten, bevor sie ihren ersten eigenen Auftrag zugeteilt bekamen. Sie wurden in der Kanalisation ausgesetzt und mussten ihren Weg zurückfinden. Aber erst, nachdem sie verschiedene Orte aufgesucht hatten, von denen sie die unterschiedlichsten Kostbarkeiten stehlen und an denen sie andere Objekte hinterlassen mussten. So hatte Morgan unter anderem in das Gebäude einer reichen Witwe im Villenviertel eindringen müssen, um ihr Diadem aus der Schmuckschatulle unter ihrem Bett zu entwenden und durch eine tote Ratte zu ersetzen.
Eigentlich waren sie eine Gruppe Diebe. Larkin bezeichnete sie aber am liebsten als Schmuggler. Sie brachten Kostbarkeiten, Geld und manchmal auch Menschen von einem Ort zum anderen. Legal war davon das Wenigste.
Kurz bevor sie den unteren Eingang erreichte, drosselte sie ihr Tempo, um zu Atem zu kommen. Sie brauchte ihre Stimme, wenn sie Larkin gegenübertrat, und sie durfte nicht zulassen, dass Thomas ihr für den in den Sand gesetzten Handel die Schuld zuschob.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, was für einen Anfängerfehler er begangen hatte. Eine ihrer unausgesprochenen Regeln war: Feilsche niemals, wenn sich bereits auf einen Preis geeinigt worden war. Das schadete bloß dem Ruf, den sich die Wölfe auf der Straße hart erarbeitet hatten.
Sie atmete noch einmal tief durch, dann stieg sie die schmalen Eisensprossen hinauf, die sie zu einer geschlossenen Luke führten. Vorsichtig drückte sie diese mit einer Hand auf, bevor sie sich durch die Öffnung schob. Da sie kleiner und zierlicher war als die Männer, bot dieses Hindernis kaum ein Problem für sie. Die Kraft in ihren Armen und Beinen half ihr außerdem, sich schneller aus dem Loch zu ziehen.
Der Keller war eher karg und ungemütlich gehalten, aber vor allem war er leer. Im Rest des Hauses gab es kaum einen Ort, an dem sich niemand aufhielt, schließlich hausten die meisten der Schmuggler unter diesem Dach. Larkins Privathaus befand sich auf der linken Seite und durfte nur auf ausdrückliche Einladung von ihm betreten werden. Rechts von ihnen schloss sich eine Hutmacherei an, mit deren Inhaber sie sich bereits vor einigen Jahren angefreundet hatte.
Sobald sie sich den Staub von ihren braunen Leggings geklopft hatte, sprang sie die knarzende Holztreppe hoch und noch bevor sie die Tür geöffnet hatte, vernahm sie lautes Stimmengewirr, Stuhlbeine, die über den Boden schabten, und schallendes Gelächter. Anscheinend war Thomas bereits vor ihr heimgekehrt.
Die Fäuste ballend bereitete sie sich auf einen unerbittlichen Kampf vor, dann stieß sie die angelehnte Tür mit der Fußspitze auf.
Wie erwartet, wurde sie sofort von dem Geruch nach Schweiß, Männern und Alkohol empfangen. Der kurze Flur eröffnete sich in den größten Raum des Hauses, in dem sich stets die meisten Schmuggler aufhielten. Es gab diverse willkürlich zusammengewürfelte Tische, Stühle und Regale. Essensreste lagen verteilt auf den schmutzigen Holzdielen und klebrige Pfützen zeugten von einer langen Nacht, die noch längst nicht zu Ende war.
Sie knirschte mit den Zähnen, als sie sich einen Weg zu Thomas bahnte. Die Schmuggler, die sie passierte, verstummten plötzlich, misstrauische Blicke folgten ihr und die Atmosphäre in dem Raum mit dem tief hängenden, verstaubten Kronleuchter verdichtete sich.
Thomas saß, wie um sie zu provozieren, auf der Fensterbank, bei der es sich, wie allseits bekannt, um ihren Lieblingsplatz handelte. Ein Bein hatte er lässig angewinkelt, das andere schwang er gut gelaunt hin und her. Wieder einmal kaute er auf einem Zahnstocher aus seinem scheinbar niemals endenden Vorrat herum, während neben ihm die zwei Beutel voll Gold lagen, die er Robbarts Begleitung gestohlen hatte.
Das Grinsen auf seinem sommersprossigen Gesicht mit dem schwarzen Farbstreifen, den auch sie sich aufgemalt hatte, entfachte den Zorn in ihr zu neuem Leben und sie schubste ihn so fest, dass er mit dem Hinterkopf gegen die Fensterscheibe knallte. Das süffisante Grinsen schwand augenblicklich von seinen aufgerissenen Lippen und ein Raunen ging durch die Menge.
»Was fällt dir eigentlich ein?«, schrie Morgan, darauf bedacht, nicht wie ein kleines Mädchen zu klingen. Sie hatte sich ihren Respekt hart erkämpfen müssen und würde ihn sich nicht durch Thomas nehmen lassen.
»Was hast du denn, kleines Ding?« Er erhob sich von der Bank, rieb mit der einen Hand seinen Schädel und breitete den anderen, tätowierten Arm in fragender Geste aus, als würde er damit betonen wollen, dass niemand auf ihrer Seite stand.
Sie wusste, dass sie von den Männern an den besseren Tagen nur geduldet wurde und diese jede Chance nutzten, um gegen ihre Anwesenheit zu rebellieren. Der Großteil würde seine Reaktion jetzt allerdings zurückhalten, bis sie sahen, wie Larkin zu diesem Streit stand. Wenn er sich nicht dazu äußerte, galt für jeden Einzelnen, dass er sich gefahrlos einmischen konnte. In solchen Situationen verließ Morgan oftmals das Quartier für ein paar Stunden, bis sich die aufgeheizte Stimmung beruhigt hatte. Doch nicht heute. Thomas hatte einen Fehler begangen und er musste dafür büßen.
»Ist doch alles gut ausgegangen. Wir haben das Geld und das Gemälde«, fuhr er fort.
»Das. War. Aber. Nicht. Der. Plan.« Sie betonte jedes einzelne Wort durch ihre zusammengebissenen Zähne, während sie zu ihm aufsah. Thomas überragte sie wie alle atheiranischen Männer um mehr als einen Kopf. Sie erinnerte sich noch vage daran, dass in ihrem Heimatland Vinuth alle etwas kleiner, wenn auch breiter waren. »Wir haben zwei Menschen verletzt, einen vielleicht sogar getötet und Robbart wird unsere Köpfe dafür fordern! Larkin wird außer sich sein!«
»Außer sich sein, worüber genau?«
Sie erstarrte, als sie die aalglatte Stimme ihres Alphas hörte. Die Menge hinter ihr teilte sich und ließ den hochgewachsenen Mann mit dem bedrohlichen Lächeln zu ihnen durch.
Ein kalter Schauder rann ihren Rücken hinab. Jedes Mal, wenn er sich ihr näherte, wurde sie an jenen verhängnisvollen Tag erinnert, an dem sie den gewundenen Pfad verlassen hatte und dem Wolf direkt in die Falle getappt war.
»Wir müssen reden«, sagte Morgan und kreuzte die Arme. Sie hoffte, dass man ihr den inneren Aufruhr nicht ansehen konnte.
Das Lächeln auf Thomas’ Gesicht gefror, was ihr ein gewisses Maß an Genugtuung bereitete. Dann wurde sie sich allerdings wieder Larkins drohender Gestalt bewusst und das befriedigte Grunzen blieb ihr im Hals stecken.
»In mein Arbeitszimmer. Sofort«, befahl er mit seiner ganzen Autorität, ohne die Stimme erheben zu müssen. In den letzten zehn Jahren war er zwar gealtert, aber auch innerlich gewachsen. Das charmante Grinsen, mit dem er sie als kleines Mädchen entwaffnet hatte, hatte sie immer seltener gesehen, bis es schließlich ganz verschwunden war. Larkin hatte die vierzig Jahre bereits überschritten, was man seinem lichten Haar schon ansah, und auch wenn kein Ende seiner Karriere als Alphawolf der Schmuggler und Diebe in Sicht war, wurde er immer grausamer und ehrgeiziger.
Sie nahm an, dass Ehrgeiz und Grausamkeit gewissermaßen Hand in Hand gingen, aber das ließ sich schlecht distanziert betrachten, wenn man die Leidtragende war.