Cover

Reinhard K. Sprenger

MYTHOS
MOTIVATION

Wege aus einer Sackgasse

Mit Karikaturen von
Thomas Plaßmann

Campus Verlag
Frankfurt/New York

Über das Buch

Nach 30 Jahren ist Reinhard K. Sprengers markanter Bruch mit sämtlichen Dogmen der Mitarbeiterführung längst ein absoluter Klassiker der Managementliteratur – und aktuell wie nie zuvor. Der Autor zeigt, warum Motivierungskonzepte wie Boni, Prämien oder Incentives zwar kurzfristig »satt machen«, langfristig aber nicht funktionieren. Stattdessen sollten wir auf Vertrauen, Eigenverantwortung und Freiraum setzen. Seine zentrale These: Motivierung demotiviert. Seine Forderung: Hört auf, eure Mitarbeiter wie Kinder zu behandeln! Provokant, unterhaltsam, lehrreich. Ein echter Augenöffner!
»Deutschlands meistgelesener Managementautor.« (Der Spiegel)
»Deutschlands Management-Autor Nr. 1« (Handelsblatt)

220.000 verkaufte Exemplare

Limitierte Sonderausgabe mit neuen Texte des Autors.

Vita

Reinhard K. Sprenger gilt als der profilierteste Managementberater Deutschlands. Geboren 1953 in Essen, wohnt er heute in Winterthur und Santa Fe, New Mexico. Zu seinen Kunden gehören zahlreiche internationale Konzerne sowie nahezu alle DAX-100-Unternehmen. Seine Bücher wurden ausnahmslos Bestseller und liegen in etlichen Sprachen vor.

»Wer sich für die 30-jährige Geschichte des Buches und meinen Blick heute darauf interessiert, dem empfehle ich das Nachwort auf S. 300.
Vorworte lesen Führungskräfte sowieso nicht.«

Reinhard K. Sprenger, Winterthur 2021

Inhalt

Einleitung

ERSTER TEILSICHTUNGEN

Der Impuls aus der Praxis

Der Sprachnebel der »Motivation«

Die freizeitorientierte Schonhaltung

Der kurze Hebel der Motivierung

Verdacht als Unternehmenskultur

Grammatik der Ver-Führung

ZWEITER TEILENTLARVUNGEN

Sisyphos: Belohnen und Bestechen

Loben als Herrschaftszynismus

Bonussysteme als Nullsummenspiele

Doping

Ideen bringen Geld. Bringt Geld auch Ideen?

Passivität als Führungskonzept

Revue der Abwertung

Gegen-Reden

DRITTER TEILFÜHRUNGEN

Literatur

Register

Einleitung

Die Mineralölfirmen »Super« und »Hyper« veranstalten alljährlich nach dem Vorbild der Universitäten Oxford und Cambridge einen Ruderwettkampf im Achter. In den letzten Jahren hat das »Super«-Boot immer verloren. Die Geschäftsleitung von »Super« beschließt daraufhin, die Videoaufzeichnungen des letzten Rennens zu analysieren: Im »Hyper«-Boot erkennt man acht Ruderer und einen Steuermann. Zum allgemeinen Erstaunen sieht man im »Super«-Boot aber acht Steuermänner und nur einen Ruderer. »Was können wir da machen?«, fragt der Geschäftsführer den Personalleiter. Darauf dieser: »Motivieren! Den Mann besser motivieren!«

Diese Geschichte ist mittlerweile weit verbreitet und variiert worden. Sie verweist auf etwas, was offensichtlich viele Mitarbeiter in unseren Unternehmen ähnlich empfinden. Wie in einem Brennspiegel konzentriert sie auch vieles von dem, was in diesem Buch entwickelt und begründet werden soll.

Ich möchte zeigen, dass der uns allen vertraute Pfad der Mitarbeiter-Motivierung ein Holzweg ist. Ich möchte zeigen, dass die »Motivation« genannte Antreiber-Praxis, so schlau und verdeckt sie sich auch gebärden mag, nicht funktioniert. »Nicht funktioniert« meint: Sie ist von vielen kontraproduktiven Nebenwirkungen und Spätfolgen begleitet, die den angestrebten leistungssteigernden Effekt aufheben.

Ich werde die These entfalten, dass der Motivierende einem Unternehmer gleicht, der wie gebannt auf das Steigen der Umsatzkurve starrt, die Kostenentwicklung aber keines Blickes würdigt. Ich betrachte dabei jene Konsequenzen, die eine vordergründig »erfolgreiche« Motivierung für nachfolgende Handlungen hat: diejenigen psychosozialen Begleiterscheinungen, vor denen die Motivierungsenthusiasten die Augen verschließen. Ich werde zeigen, dass die Motivierung verhaltensökologische Zusammenhänge ignoriert und die innere Motivation des Einzelnen nachhaltig stört; dass der übliche Verdacht mangelnder oder zu steigernder Leistungsbereitschaft weitreichende Folgen hat. Kurz, meine These ist:

Alles Motivieren ist Demotivieren.

Erhebliche Energien werden so in Führungstechniken und Motivierungssysteme investiert, die in der Summe dem Unternehmen eher schaden als nützen. Zudem liefert die Motivierung ein Verhaltensmodell, aufgrund dessen nicht mehr gefordert, sondern nur noch verwöhnt wird und das die gesamte Organisationskultur vergiftet: In ihr wird alles Führen zum Ver-Führen.

Das ist ein Urteil auf Bewährung. Sind doch die Psychologen, Pädagogen, Verhaltensforscher und Organisationstheoretiker, die sich mit der Analyse menschlicher Motivation und ihrem Einfluss auf die Entstehung von Leistung beschäftigt haben, Legion; ist es doch unbestreitbar, dass Mitarbeiter über Anreizsysteme zu dem erwünschten Handeln »bewegt« werden können; boomt doch die Incentive-Branche; haben doch variable Vergütungen zur »Steigerung der Leistungsmotivation« heute längst auf allen Führungsebenen Konjunktur.

Wer zu neuen Ufern will, der muss zunächst aus dem altvertrauten Milieu, dem Spiegelkabinett der Motivierung, gedanklich ausbrechen. Denn hier verstellen uns unsere eigenen Systeme auf Schritt und Tritt den Weg. Wir begegnen nur noch dem, was unsere Systemplaner ausschwitzen und uns Anpassungszwänge auftürmt. Bahnen wir aber einen Weg in die Tiefe der Motivierungslogik, so müssen wir ohne Sicherheitsleine denken. Dazu möchte ich einladen.

Ich werde dabei weniger – wie das viele meiner amerikanischen Kollegen bevorzugen – eine Kette anekdotischer Nachweise für die Stichhaltigkeit meiner Überlegungen vortragen. Auf diese Weise kämen wir dem Problemfeld nur mäßig nahe. Es geht in diesem Buch auch nicht um Techniken, wie man denn Mitarbeiter auf die »richtige« Weise motiviert. Keine behenden Antworten auf die Frage: »Wie schaffe ich es, dass der Mitarbeiter etwas tut, was er aus sich heraus nicht tun will?« Denn alle Führungstechnik bleibt auf der instrumentellen Ebene und wird eben als »Technik« schnell durchschaut und konterkariert.

Es geht hier vielmehr um die innere Einstellung, die den Instrumenten Sinn unterlegt und für die die Motivierungstechniken nur beobachtbare Verhaltensmuster auf der Erscheinungsebene sind. Aber ebenso wenig, wie man Führen lernen kann, wenn man es auf Tricks reduziert und dabei die alles tragende Voraussetzung, nämlich die Einstellungen, Werthaltungen, Prägungen, kurzum die Persönlichkeit der Führungskraft unberücksichtigt lässt, ebenso wenig kann man die Mechanik der Motivierung verstehen, wenn man nur auf die Instrumentenebene blickt.

Zu streiten ist mithin über die Funktionstüchtigkeit von Anreizsystemen. Zu streiten ist über die dahinter stehenden Grundannahmen der Motivierung. Zu streiten ist über die psychosozialen Nebenprodukte der un-heimlichen Verführungskünste vieler Ver-Führungskräfte. Zu streiten ist – mehr noch! – über Demotivation.

Dabei geht es in diesem Buch nicht um eine moralisch unterfütterte »Humanisierung der Arbeitswelt«. Nicht, dass nicht auch von ihr zu reden wäre. Es geht aber zunächst um Produktivität, Rentabilität, Fluktuationsraten, physische und psychische An- und Abwesenheit am Arbeitsplatz, Qualität und Quantität der Leistung, um spontanes und kreatives Verhalten jenseits der Rollenerwartung. Es geht letztlich um Profit.

Dazu muss jedoch auch von Menschenbildern die Rede sein, obwohl dies mit dem Risiko verbunden ist, dass alles Weitere dadurch in ein zweifelhaftes Licht gerückt wird.

Ich habe mir beim Schreiben Leser gewünscht, die den kalten Hauch des Nicht-Ernstnehmens, der Manipulation und der verdeckten Abwertung empfinden, wenn sie »motiviert« werden; ihnen könnte das Buch etwas sagen. Es soll aber auch jene Menschen in den Unternehmen erreichen, die sich für das Verwirklichen eines anderen Menschenbildes entscheiden, vielleicht in der eher erfühlten als gesicherten Erkenntnis, dass die Welt unseren Willensakten dient. Nicht umgekehrt.

ERSTER TEIL

SICHTUNGEN

Der Impuls aus der Praxis

»Motivation« ist ein Schlagstock im unternehmensinternen Handgemenge: »Sie haben wohl Ihre Leute nicht richtig motiviert!?« Frage? Aussage? Jedenfalls ein treffsicherer Knüppel aus dem Sack des Manager-Angstmachens. Da der Begriff Motivation in den Augen nahezu sämtlicher Führungskräfte einen positiven Beiklang hat, ist dabei immer wieder zu beobachten, wie er mit leichter Hand zur Diffamierung von Führungsverhalten eingesetzt wird (ohne dass der Bezug gerechtfertigt wäre, wie wir noch sehen werden). Entsprechend gebetsmühlenartig wiederholt wird die Frage: »Wie motiviere ich meine Leute?« Aber die Verantwortung für die Motivation der Mitarbeiter, gerade erst freiwillig, unter Druck oder qua Rollenkonzept übernommen, wird möglichst schnell wieder wegdelegiert.

Zum Beispiel ans Training: »Nun motivieren Sie meine Leute mal so richtig!« waren die Worte, mit denen mir ein Verkaufsleiter seine Außendienst-Mannschaft überließ. Das irritierte: Ein Training sollte leisten, was er im Kontakt mit seinen Mitarbeitern nicht bewerkstelligte? Und einigermaßen verzweifelt klingt mir immer noch das Lamento einer Führungskraft auf einem Managementsymposium in den Ohren: »Wie sollen wir unsere Mitarbeiter motivieren, wenn unsere Motivation selbst täglich von oben zerstört wird?« Kein Zweifel: Führungskräfte fühlen sich für die Motivation ihrer Mitarbeiter verantwortlich (das sind sie in gewisser Weise auch, aber nicht so, wie es Unmengen goldener Regeln glauben machen wollen) und stehen dieser Aufgabe aus guten, noch näher zu bestimmenden Gründen oft hilflos gegenüber.

Zu den Anstößen aus der Praxis, die mich das Thema Motivation aufgreifen ließen, gehört auch das grassierende Pay-for-Performance- und Incentive-Fieber, das in Gestalt von Boni und Aktienoptionsplänen längst auch in den Topetagen selbstverständlich geworden ist. Gerade durch Gespräche mit Führungskräften dieser Bereiche wurde mir klar, dass die Infizierung aller Initiative mit der Hoffnung auf Extra-Cash zu einer ganzen Kette paradoxer Begleiterscheinungen führt, die mich sehr bald an der Weisheit der Systeme zweifeln ließen: Das Klima zwischen Kollegen verspanne sich, Individual-Boni verunmöglichten kooperatives Handeln, der Abteilungsegoismus werde in bisher nicht gekanntem Maße angestachelt (»Abteilung« kommt von »abteilen«!). Mit kaum verhohlener Ironie erzählte mir ein Bereichsleiter eines bedeutenden Chemiekonzerns von der Regelpraxis in seinem Unternehmen, Prämien auf längst erbrachte Leistungen und Projekte zu vereinbaren: easy money – oft gerade für jene Manager, die der leistungssteigernden Wirkung von Anreizen aller Art vehement das Wort reden.

Auf der Führungsebene kommen zwei weitere Beobachtungen hinzu: Vor allem die schwächeren Führungskräfte interessieren sich für die Tipps und Kniffe der Mitarbeiter-Motivierung, die erfolgreicheren hingegen verhalten sich anders: Sie motivieren nicht! Sie stehen Anreizsystemen eher mit Skepsis gegenüber und sind bar jeden Antreiber-Verhaltens.

Der Außendienst, aus vielen traditionellen Gründen Dauer(versuchs)objekt der Motivierungs-Klempner, erscheint mir oft ähnlich distanziert. Auf meinen Reisen mit Außendienst-Mitarbeitern wurde mir immer wieder hinter vorgehaltener Hand die verdeckte Wirkungslosigkeit der Bonussystematik erklärt: Bonuspläne würden so verhandelt, dass mit ihnen »kein Schlag mehr« als notwendig zu leisten sei. Ganze Trickkisten zur Umgehung der Pläne öffneten sich dem staunenden Auge. Zynismus war das verbreitete Hilfsmittel gegen den nur allzu oft de-motivierenden Effekt so genannter Rennlisten. Man hat mit der Motivierung leben gelernt, sich ihr angepasst. Wenn das Gespräch auf sie kam, war leise Verachtung unüberhörbar.

Nicht Widerspruch gegen eine theoretische Position, sondern praktische Erfahrung bestimmte meine Neugier. Es musste eine Erklärung für diese paradoxen Phänomene geben, wo doch große Teile der Industrie nach den Denkschemata der Motivationstheorien organisiert sind. In Interviews, Mitreisen, Beobachtungen und Mitarbeiterbefragungen bin ich diesen Widersprüchen nachgegangen. Mir ist klar geworden, dass »Motivieren« nichts anderes meint als die fünf großen »B«: Belohnen, Belobigen, Bestechen, Bedrohen, Bestrafen. Mir ist klar geworden, dass »Führen« unter der kalten Sonne der Anreizsysteme immer »Ver-Führen« ist. Und es wurde für mich unabweisbar, dass jede Motivierung mit mechanischer Sicherheit ihr eigenes Gegenteil erschafft: Demotivation.

Was zu zeigen sein wird.

Der Sprachnebel der »Motivation«

»Motivieren – aber richtig!« – »Erfolgreich motivieren« – »Motivationshilfen für die Praxis«, so lauten die Titel einiger Meter Aufrüstungsliteratur, die zum Thema Mitarbeitermotivation erschienen sind. »Erfahrung in der Motivation von Mitarbeitern« ist eine der meistgeforderten Qualifikationen in Stellenanzeigen für Führungskräfte.

»Motivieren können« gehört damit zweifellos zu den vorrangigen Managementfähigkeiten. Kaum ein Training, in dem lerntheoretische oder psychologische Motivationstheorien nicht im Mittelpunkt stehen; kaum eine Führungslehre, kaum ein Aufsatz über Führung, in dem nicht ein Kapitel dem »leistungssteigernden Antreiberverhalten« der Vorgesetzten gewidmet ist. Arbeit am Mythos.

Leistungssteigerung – das ist das Ziel der Anstrengung. Es setzt voraus, dass da etwas zu steigern ist und dass es sinnvoll ist, dies zu tun. Das treibt mitunter skurrile Blüten: »Trance-Motivations-Cassetten« eines Münchener Anbieters versprechen dem Anwender, durch »gezielte Motivation des Unterbewusstseins seine gesteckten Ziele … zu erreichen«. Je nach Bedarf: »Befreiung von Schuldgefühlen«, »Schluss mit dem Haarausfall«, »Ich werde geliebt«. Seither flattern die Haare, rauschen die Liebesschwüre auf den Chefetagen …

Synonym für Führung

»Motivation« ist heute ein Schlüsselwort, geradezu ein Synonym für »Führung«. Zugrunde liegt die Vorstellung von etwas latent Vorhandenem, der Motivation nämlich, die unausgeschöpft vor sich hin dümpelt, bis sie durch geeignete Intervention (Führung) »angefacht« wird, um alsdann wieder in die Latenzphase abzusinken, weil der Mensch halt zur Trägheit neige.

»Motivieren« hat daher etwa diesen Bedeutungsumfang:

  1. Jemanden mit Motiven ausstatten, die dieser vorher nicht hatte.

  2. Jemanden bei seinen Motiven »abholen« und Möglichkeiten zu ihrer Realisierung bieten.

  3. Verhaltensweisen mit subjektiver Bedeutung/Wichtigkeit aufladen.

  4. Begeisterung entfachen.

  5. Anreizen.

Wenn Führen heißt, Mitarbeiter zielbezogen zu lenken, so ist die Verbindung mit Motivieren auch sprachgeschichtlich (lat.: movere = bewegen) belegt. Und dennoch ist diese Nähe irreführend, ob nun bewusst eingesetzt oder verschämt ignoriert. Denn Motivation ist ein komplexer und vieldeutiger Begriff.

Motivation – Motivierung

Mit dem Wort »motivation« können Amerikaner etwas anfangen; die Eindeutschung ist unscharf: Gemeint sind die Beweggründe als eine Antwort auf das »Warum« des Verhaltens. »Wie auch immer Motivation definiert werden mag, ihr Studium betrifft die Begründung menschlichen Verhaltens, meint immer dasjenige in und um uns, was uns dazu bringt, treibt, bewegt, uns so und nicht anders zu verhalten.« So ein Handbuch-Artikel. In diesem Sinne geht das Nachdenken sogar zurück auf eines der frühesten Dokumente der Motivationsforschung: die Bibel.

Heutige Organisationspsychologen und Verhaltensforscher fragen: »Warum wählt ein Mitarbeiter diese Firma und nicht vielmehr jene?« – »Warum ist er engagiert bei dieser, weniger bei jener Arbeit?« – »Warum strengt sich Herr Meier nicht mehr an, obwohl doch eine so attraktive Incentive-Tour auf ihn wartet?«

Unter Motivation wird also zunächst der Zustand aktivierter Verhaltensbereitschaft des Mitarbeiters verstanden. Hohe Leistung erbringt der Mitarbeiter, weil er sich für die Arbeit selbst (intrinsisch) interessiert. Dies ist die eigentliche »Motivation« im reinen Wortsinn. Verfolgt man den Ursprung des Wortes (lat.: in movitum ire = in das einsteigen, was [den Menschen] bewegt), so kann man dieses »Einsteigen« zweifellos als rezeptives »Verstehen« der Beweggründe interpretieren. Man kann es aber auch als ein interessegelenktes »Aufgreifen« und »Ausnutzen« interpretieren und daraus nicht nur die Möglichkeit, mehr noch die Notwendigkeit effektiven und verantwortungsbewussten Führens ableiten.

Genau hier springt die Katze kreischend aus dem Sack: Während die Motivationspsychologen im »Warum« herumstochern, fragen die Manager händeringend nach dem »Wie«. »Wie bekomme ich die maximale Arbeitsleistung meiner Mitarbeiter?« – »Wie kann ich der inneren Kündigung vorbeugen?« – »Wie motiviere ich meine Leute dazu, Überstunden zu machen?«

Das Interesse des Managers ist also nicht, warum etwas passiert, sondern wie Verhalten zu beeinflussen ist. Dass er dafür in Zeiten unterschiedlicher Motivationslagen auch in die Niederungen des »Warum« einsteigen muss, um dort, am Individuum anknüpfend, umso wirkungsvoller die Leistung des Mitarbeiters zu steigern, verkompliziert die Sache. Die intensive Nachfrage nach Trainingsangeboten der Marke »How to« ist das Resultat.

Die Suche nach Erfolgsrezepten aber muss scheitern: Sie sind viel zu starr für eine sich permanent wandelnde Umwelt. Sie ignorieren die wesentliche Voraussetzung: die individuelle Persönlichkeit der Führungskraft. Sie ermöglichen lediglich Zugewinn an Verbalmacht, der von den Seminarteilnehmern allerdings als hilfreich begrüßt wird. Und sie blenden – last, but not least – alle Spätfolgen der »erfolgreichen« Motivierung aus.

Unter Motivation wird also auch das Erzeugen, Erhalten und Steigern der Verhaltensbereitschaft durch den Vorgesetzten beziehungsweise durch Anreize verstanden. Hier wird Leistung erbracht, weil der Mitarbeiter von außen (extrinsisch) angereizt, schlicht bezahlt wird. Für diese Fremdsteuerung verwende ich den Terminus »Motivierung« in deutlicher Abgrenzung von der Eigensteuerung des Individuums. Ich nutze dabei die Möglichkeiten der deutschen Grammatik, die bei Verbalsubstantiven mit dem Suffix »-ung« den Ablauf eines Geschehens kennzeichnet (Isolierung, Zivilisierung), hingegen mit dem Suffix »-(t)ion« eher zustandsbeschreibende Verbalabstrakta (Isolation, Zivilisation) bildet.

Motivation verhält sich also zur Motivierung wie das Warum zum Wie. Beide sind voneinander abhängig und können daher nicht getrennt betrachtet werden. Ich habe wenig Hoffnung, dass sich die sprachliche Unterscheidung durchsetzt. Für das Folgende aber ist sie unverzichtbar.

Einflüsterungen

»Motivation« – ein sprachlicher Faltenwurf, der die Nähe eines Gedankens ahnen lässt, ohne ihn zu offenbaren. Ich habe früh gespürt, dass er Peinlichkeiten überspielen soll.

Ebenso schamhaft wie bezeichnend nämlich verschleiert die Verwendung des Wortes den Problemkern: Die übliche Sprachverwendung bindet die Einstellungsweise des Geführten schlankweg mit dem absichtsvollen Handeln des Führenden (als dessen Ergebnis die Motivation ja erst entstehen soll) zusammen. Ziel und Weg fallen in eins.

Eine ungenaue oder doppeldeutige Verwendung eines Begriffs bietet dem Missbrauch keinen Widerstand. Aber die verächtliche Weigerung, ihn zu präzisieren, wie man sie in der Managementliteratur antrifft, leistet dem Missbrauch nicht nur weiteren Vorschub, sondern hat System, weiß sich mindestens guter Gründe sicher. Einer dieser Gründe zielt auf das klassische Vorbild der ewig erfolgreichen Führungskraft. So wie die Tätigkeit der motivierenden, nach vorne treibenden Führungskraft unvermittelt mit der Einstellung des Mitarbeiters zusammengebunden wird, flüstert dieses Denken die Zielerreichung als nie gefährdete Selbstverständlichkeit ein: »Der Vorgesetzte muss nur etwas Motivierendes tun, dann stellt sich zwangsläufig die Motivation des Mitarbeiters ein.« Transportiert wird so die Zielerreichungskompetenz der exzellenten Führungskraft, die zwar im Übrigen Mittel und Wege findet, ihnen aber jeden Eigenwert abspricht. In diesem Denken gleicht die Führungskraft dem Metzger, der schon Würste sieht, wo noch Schweine laufen.

Der übliche Sprachgebrauch vermittelt darüber hinaus: »Ihr seid als Führungskräfte verantwortlich für die Motivation eurer Mitarbeiter!« Dies entspricht wiederum dem allseits favorisierten Bild des »machenden« Managers (und nicht etwa dem des »denkenden«). Gefordert ist ein Manager, der das Beste aus seinen Mitarbeitern »herausholt« und dadurch – so die Vorstellung – positive Ergebnisse für sein Unternehmen erzielt.

Jetzt wird klar, warum der Manager etwaige Schuldgefühle bei demotivierten Mitarbeitern empfindet: Er hat dann wohl zu wenig oder nicht das Richtige »gemacht«. Die Führungskraft wird aber immer scheitern, wenn sie blind ist für den Doppelcharakter der Motivation; wenn sie nicht sieht, dass der Unterschied zwischen Eigen- und Fremdsteuerung durch den Sprachnebel der Motivation verschleiert wird.

Es ist also deutlich zu unterscheiden zwischen der

  • »Motivation«, die die Eigensteuerung des Individuums bezeichnet und daher diesem ganz allein eignet, ganz allein gehört, und der

  • »Motivierung«, als absichtsvollem Handeln eines Vorgesetzten oder Funktionieren von Anreizsystemen, die mithin notwendig als Fremdsteuerung auszuweisen ist.

Motivierung – Manipulation

Die Managementliteratur meidet das konsequente Wort »Motivierung« wie der Teufel das Weihwasser. Ist das Absichtsvolle hier vergleichsweise unverdeckt und damit die Nähe zur Fremdsteuerung, zur Manipulation, zu offensichtlich?

Ja, Manipulation. Motivierung ist und bleibt Fremdsteuerung, wie man es auch dreht und wendet, bleibt Manipulation (lat. für: mit der Hand ziehen). Der kontrollierende Aspekt ist überdeutlich. Auch dann, wenn man sich in methodisches Drumherumreden flüchtet. Damit ist über deren moralische Wertigkeit zunächst noch überhaupt nichts ausgesagt.

Manipulation ist die mehr oder weniger heimlich (aber nicht notwendig zum Schaden des Betroffenen) erfolgte Verhaltensbeeinflussung. Mit Kunstgriffen bewegt der Manipulator andere zur Leistung, ohne direkten Widerspruch zu erregen. Er gibt bewusst veränderte, zugespitzte, geschönte, verkürzte oder verfälschte Informationen, um sie zu der erwünschten Handlung zu veranlassen.

»Motivation ist die Fähigkeit, einen Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was man will, wann man will und wie man will – weil er selbst es will.« Diese vollmundige Manipulationsverherrlichung Dwight D. Eisenhowers – in Führungshandbüchern ein Gemeinplatz – kaschiert nur noch mühsam den Verlust der Eigensteuerung durch eine scheinbar sprachliche Paradoxie. Der andere soll zur Bedürfnisbefriedigung des einen »benutzt« werden. Das wird aber nicht ausgesprochen. Legitimiert wird es häufig als »notwendiges Übel«, um – gleichsam nebenbei – den Mitarbeiter auch zu seinem eigenen Nutzen zu beeinflussen. Was aber diesen Nutzen ausmacht – das entscheidet der Manipulator. Wichtig dabei ist: Der Manipulator muss von den versteckten Regungen, Bedürfnissen und Schwächen seines Opfers Kenntnis haben.

Für das dazu heute notwendige sensible Eingehen auf die Motive des Mitarbeiters in verführerischer Absicht, das den nun schon Jahrzehnte tobenden Kampf zwischen (legitimer) Motivation und (verabscheuungswürdiger) Manipulation beizulegen scheint, hat ein findiger Kopf (Rolf Balling) den Terminus »Motipulation« geprägt – ironisch gemeint, letztlich jedoch ebenfalls ein Sich-Fortstehlen aus dem Dilemma inkonsequenten Denkens.

Denn wer sagt, man müsse sich in die Motivationslage von Mitarbeitern versetzen, um ihren Motiven Entfaltungsraum zu geben, meint etwas Richtiges und Falsches zugleich. Etwas Falsches, weil kein Unternehmen, keine Sozietät völlig ohne Führung, keine Führung ohne Fremdsteuerung auskommt. Aber dabei kommt es nicht auf motivierendes »Mit-der-Hand-Ziehen« an, sondern auf das Offenlegen der Interessen, auf Verhandlung, auf Klarheit und Konsequenz. Zu diesem später mehr.

Die freizeitorientierte Schonhaltung

Innere Kündigung

Ein Gespenst geht um in unseren Unternehmen – das Gespenst der »inneren Kündigung«. Die plakative Formel von Reinhard Höhn (den altbekannten »Dienst nach Vorschrift« modernisierend) für die mental ins Außerdienstliche emigrierten Mitarbeiter gehört mittlerweile zum Standardvokabular des Managers.

Dieses Gespenst ist alles andere als nur ein Spuk in den Hirnen jener, die Unverstandenes flink benennen oder die Abtrünnigen der Leistungsgesellschaft mit einem »Schlag«-Wort brandmarken wollen. Es treibt sein erschreckendes Spiel auch nicht allein in den zahllosen Meetings der Topetagen, auf Kongressen und Seminaren, wo verstanden, benannt, eingeordnet und stigmatisiert wird, was sich in die eingespielten Abläufe der Motivierungssystematik nicht fügen will. Führungskräfte, die oft nichts mehr zu verbinden scheint als die äußere Zeit ihres Lebens, schließen sich zusammen, das Gespenst zu verjagen. Denn es macht alle zu Verlierern: Wer an seinem Schreibtisch sitzt und von Hawaii träumt, ist weder an seinem Schreibtisch noch auf Hawaii.

Und so etwa sieht der innerlich gekündigte Mitarbeiter aus: Er hat kein Interesse mehr an Auseinandersetzungen, ist zum typischen Ja-Sager geworden. Wie ein Schrankenwärter wartet er aufs Klingeln. Er bringt keine Vorschläge mehr und nimmt Entscheidungen seines Chefs, insbesondere auch Eingriffe in seinen Kompetenzbereich, nur noch mit wohldosiertem Widerstand hin. Er rückt zwar noch gelegentlich mit seiner eigenen Meinung heraus, stimmt aber eilends zu, wenn der Chef darauf beharrt, dass das Wasser den Berg hinauffließe. »Fehler vermeiden« heißt die Hauptdevise. Krankheit wird häufiger »gefeiert«. Das Interesse an Karriere ist zugunsten außerbetrieblicher Betriebsamkeit gesunken.

Bei einem Hauptabteilungsleiter klingt das so: »Ich habe meinem Chef bereits seit einiger Zeit meine innere Kündigung ausgesprochen. Ich werde die täglich anfallende Routinearbeit erledigen, mich nicht mehr aufregen, pünktlich erscheinen, vor allem aber pünktlich nach Hause gehen und mich meinem Privatleben, das heißt meiner Familie und meinen Hobbys, widmen.«

Die innere Selbstpensionierung limitiert dabei nicht notwendig die Karriere. Im Gegenteil: Anstatt die Verhaltensänderung als Warnsignal zu begreifen, glauben viele Führungskräfte, sie hätten den eigensinnigen Mitarbeiter »gezähmt«, und belohnen mit der Beförderung des ehemals Unangepassten ihre eigene Leistung. Engagierte Kollegen lernen daraus, dass mit der Devise »mit halber Kraft nur das Nötigste« letztlich mehr zu erreichen ist.

Die Konsequenz für das Unternehmen: Der »innerbetriebliche Vorruhestand« breitet sich wie eine hochinfektiöse Krankheit aus. Ganze Firmen können sich im Bannkreis der inneren Kündigung befinden. An der Art und Weise, wie man am Empfang begrüßt wird, am Umgangston im Vorzimmer und in der Telefonzentrale, an den Gesprächen mit den Fahrern der Firmen, an der Art, wie Mitarbeiter vor Dritten über ihre Firma sprechen, an der unpersönlichen Gestaltung der Arbeitsräume, am Mangel an Beschwerden und am Mangel an Humor kann man es erkennen: »Leben nach 17.00 Uhr«.

Auch in den Chefetagen ist die Arbeitswelt längst nicht mehr heil. Vor allem der Führungskräfte-Nachwuchs scheint mit den traditionellen Karrierevorstellungen und Unternehmenszielen nicht mehr konfliktfrei zu leben. Mit Geld und Status allein lässt sich heute kaum noch eine junge Nachwuchskraft die Lebenszeit abkaufen.

Die Datenbanken zur inneren Kündigung sind mittlerweile zum Bersten gefüllt; angst- und schwindelerregende Zahlen innerlich ganz, halb und teilgekündigter Arbeitnehmer erzwingen förmlich das »Was tun?«. Same old story: Wenn den verstörten Zauberlehrlingen das Wasser bis zum Hals und höher steigt, rufen sie nach dem alten Hexenmeister, der die Dinge noch einmal zum Rechten wenden soll: Motivieren! Niemand kommt auf die Idee, dass die Mechanik der Motivierung selbst Ursache der inneren Kündigung sein könnte. Stattdessen: neue Hochkonjunktur für »Ihr müsst die Leute richtig motivieren!«. Neue Ideen, neue Tarnkappen für das verführerische Lächeln der Antreiber. Aber ganz offensichtlich greifen die angebotenen materiellen und immateriellen Anreize von Tag zu Tag kürzer. Die Verheißungen und Zumutungen der Motivierung ergeben keine ausgeglichene Bilanz mehr. Die eingespielten Gleichgewichte sind aus dem Lot geraten. Eine Erklärung dafür heißt: Wertewandel.

Wertewandel

Die ersten Kassandrarufe, dass der individuelle »Dienst nach Vorschrift« zu einem breiten Verweigerungstrend anwachse, erschollen schon 1975: Der amerikanische Sozialforscher Daniel Bell prognostizierte die Durchsetzung der »freizeitorientierten Schonhaltung« und eine Abwendung von Disziplin erfordernder Arbeit. Das lateinische »industria« (Fleiß) schien keinen Wert mehr an sich zu haben. Insbesondere Elisabeth Noelle-Neumann legte seitdem unablässig Daten vor, die die negative Einstellung zu Arbeit und Beruf belegen sollen. Sie war es auch, die meines Wissens erstmals das vermeintliche Absinken der beruflichen Leistungsbereitschaft aus dem unternehmensinternen Bedingungsrahmen herauslöste und mit der soziologischen Kategorie des Wertewandels begründete.

»Wertewandel« ist ein Begriff, dessen Sinngehalt sich umso mehr verflüchtigt, je mehr man ihn zu begründen versucht. Er bezieht sich weniger auf die Werte an sich als vielmehr auf die Einstellungen der Menschen zu ihnen sowie das daraus resultierende Handeln. Die soziologische Literatur, die den Wertewandel bis in die kleinsten gesellschaftlichen Verästelungen vermessen hat, ist zwischenzeitlich unübersichtlich geworden. Entsprechend das Ergebnis: unübersichtlich.

Es ist interessant, den Bewusstseinswandel seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen, um zu verstehen, wie sich die Einstellung zur Arbeit und Leistung verändert hat. Immer mehr haben sich die Grenzen zwischen Arbeit, Freizeit und Ausbildung heute verwischt. Angestrebt wird eine neue Ganzheit, ein ungeteiltes Leben.

Entsprechend haben sich die Schwerpunkte der sozialen Anerkennung massiv verschoben: Bis in die frühen 70er Jahre entschieden darüber vor allem »Verdienst« und »Prestige«; seit Anfang der 80er Jahre kommen mehr Jobqualität und Möglichkeiten der Selbstentfaltung hinzu. Neue Kritikfähigkeit (Bürgerinitiativen), basisdemokratische Ideen, Feminismus und Ökologiebewegung machen vor den Unternehmen nicht mehr Halt. Vor allem die 90er Jahre haben im Zeichen des Internetbooms gezeigt, dass für viele, vor allem jüngere und hoch qualifizierte Menschen »Unternehmen« wieder ganz wörtlich verstanden wurde: im Sinne von selbst etwas unternehmen, kreativ werden, die eigene Firma gründen – anstatt sich einzuordnen in eine große Organisation. Scharenweise wanderten gerade die High Potentials ab, um jenseits von planbaren Karrierehierarchien in kleinen, neu gegründeten Internetfirmen zu arbeiten. Dies oft bei – zunächst – deutlich geringeren Gehältern und fast immer höherer Arbeitsbelastung. Auch wenn sich inzwischen gezeigt hat, dass ein Firmenname mit Dotcom-Endung, drei BWL-Studenten und eine Garage noch keine Firma ausmachen, bestätigen seither zahllose Studien und die Erfahrungen vieler Manager sehr deutlich, wie hoch heute Selbstbestimmung im Arbeitsleben geschätzt wird. Gerade für die jüngeren Generationen gilt: Man sucht eine Tätigkeit, deren Zielsetzung man akzeptiert, deren Sinn man erkennen kann und die sinnvoll für das eigene Leben ist.

Sinkende Arbeitsmoral?

Lässt sich diesen Trends ein Verfall der Leistungsbereitschaft ablauschen? Wir wissen heute mit hinreichender Sicherheit (ich folge hier weitgehend den Forschungen Helmut Klages‹), dass die Leistungsbereitschaft an sich ungebrochen ist, dass lediglich das Werteverwirklichungsangebot der Arbeitswelt die gewandelten Einstellungen nicht mehr auffängt. Unternehmen, die in der Vergangenheit auf Marktveränderungen schnell und gezielt reagierten, reagieren auf veränderte Wertvorstellungen ihrer Mitarbeiter kaum oder allzu häufig sehr verzögert.

Versucht man, die Umfrageergebnisse der verschiedenen Forschungsinstitute zusammenzufassen und für unser Thema zu bündeln, so wird man Folgendes zur Kenntnis nehmen müssen:

  • Der »Beruf, der mir gefällt,« und die »Freizeitaktivität, die mir gefällt,« werden gleichermaßen aufgewertet;

  • ein tendenziell wachsender Teil der Arbeitnehmer will im Beruf »mehr Verantwortung« übernehmen, wobei die »zweite Reihe« häufiger als früher bevorzugt wird;

  • auf die Frage »Glauben Sie, es wäre am schönsten zu leben, ohne arbeiten zu müssen?« antworten heute kaum mehr Menschen mit »Ja« als vor 40 Jahren;

  • Menschen sind in dem Maße signifikant zufriedener, in dem ihr Handlungsspielraum während der Arbeit wächst;

  • »Arbeit, die Spaß macht,« ist für Berufstätige genauso wichtig wie ein höheres Einkommen;

  • »Arbeit, die Sinn macht,« erhält eine signifikant wachsende Bedeutung gegenüber Status und Karriere.

Es ist mithin keineswegs eindeutig, dass mehr oder weniger hedonistisch gelagerte Freizeitwerte die arbeitsbezogenen Werte ersetzen. Vielmehr erwartet der einzelne Mensch verstärkt Chancen, sich selbst und sein ganzes Persönlichkeitspotenzial einbringen zu können, das heißt als ganze Person angenommen, ernst genommen, einbezogen und anerkannt zu werden.

Besonders wichtig ist dabei: Es wird kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Arbeitssphäre und den übrigen Lebensbereichen mehr gemacht. Arbeitssphäre und Freizeitsphäre verlieren ihre isolierte Stellung. Die Mitarbeiter sind immer weniger bereit, ihre Einstellungen und Wertorientierungen morgens beim Pförtner abzugeben. Sie verlangen in zunehmendem Maße, dass sich die Unternehmenspolitik auf die veränderten Sichtweisen der Mitarbeiter einstellt.

Unverkennbar ist zum anderen, dass Freizeitideale wie Spaß, Aktiv-Sein und Selbstentfaltung das Verhalten am Arbeitsplatz mehr und mehr beeinflussen. Was sich die Arbeitnehmer als »ideales Arbeiten« erträumen, ist fast deckungsgleich mit dem, was viele schon in ihrer Freizeit tun und finden.

Trotz einer zunehmenden Freizeitorientierung des Lebens findet also die vielfach befürchtete Leistungsverweigerung im Berufsleben offenbar nicht statt. Ganz im Gegenteil: Das Bedürfnis, im Unternehmen etwas zu leisten, was Sinn und Spaß macht, ist größer denn je.

Unverträglichkeiten

Unsere Überlegungen haben jetzt einen Punkt erreicht, an dem der Blick frei ist für eine Neubewertung jener massenwirksamen Neigung zur inneren Kündigung, die von vielen Beobachtern als ein Driften der gesellschaftlichen Werte in Richtung hedonistischer Freizeitorientierung interpretiert wird. Es wird deutlich, dass sich die neuen Wertorientierungen zunächst unterschiedslos auf die gesamte Umwelt, also auch auf die Arbeitssphäre richten. Sie werden aber offensichtlich von der Arbeitswelt nicht ausreichend aufgefangen, sodass die freien Energien in die Freizeit umgelenkt werden, … wo sie offenbar eher Entfaltungsmöglichkeiten finden, wie das – als ein Beleg neben vielen – zum Beispiel die Konjunktur des »Aktiv-Urlaubs« plausibel macht. Die »subjektive Dimension der Arbeit«, von der Johannes Paul II. schon in seiner Enzyklika »Laborem Exercens« sprach, wird auf breiter Ebene entdeckt. Der Gegensatz von Arbeitswelt und Freizeitkultur befriedigt nicht mehr. Die Begriffe von Arbeit als Wirtschaftsressource und als Erfüllung menschlichen Gestaltungs- und Leistungswillens kommen einander wieder näher.

Das also ist der Kern des Wertewandels: eine gleichsam »unfreiwillige«, kompensatorische Werterfüllung in der Freizeit.

Aber die Verfechter der Mitarbeiter-Motivierung beäugen argwöhnisch weiterhin die Leistungsbereitschaft. Die veränderten Werthaltungen werden beharrlich ignoriert. Der »faule« Mitarbeiter wird restauriert und auf seine »Motivierbarkeit« hin erforscht. »Individualisierung« der Belohnungsmechanik heißt die neue Masche. Im Regelfall wird der wachsende Motivierungsdruck mit einer entsprechenden Verfeinerung der klassischen Anreizsysteme (Geld und Status) beantwortet. Die »fortschrittlichen« Unternehmen hingegen starten im Sog der Corporate-Identity-Welle ganze Kaskaden von Sinnbewirtschaftungsmaßnahmen, ohne vom Prinzip des Blendens und Bestechens auch nur einen Zentimeter abzuweichen. Die Geste des Verführens bleibt erhalten. Der Geist der Motivierung lässt weiterhin die Fahnen der Incentives flattern. Ein wirkliches Ernstnehmen des Mitarbeiters findet nicht statt.

Und kaum jemand kommt auf die so naheliegende Idee, dass es möglicherweise die Motivierung selbst ist, die das Gespenst der inneren Kündigung unablässig wiederbelebt; dass die heimliche Illoyalität gerade Wirkung und Ergebnis der Motivierungspraxis sein könnte. Meine These: Die Motivierung ist die massenhafte Verführung zur inneren Kündigung.