FÜR AMIRA, TESSA UND LAURA

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3. Auflage: November 2017

© 2015 – Mechthild Venjakob

(www.asienreise-indien-china.com)

Fotos und Layout: Mechthild Venjakob

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783746070070

Dieses Buch ist auch als E-Book erschienen.

INHALT

VORWORT

Künstler haben Buddha, den Erleuchteten, tausendfach gemalt, geschnitzt und modelliert. Jeder Besucher der heiligen Stätten Asiens kennt sein entrücktes und sanftes Lächeln, Ausdruck höchster Verinnerlichung und geistiger Klarheit. Sein Bildnis lässt die Hektik und Oberflächlichkeit der äußeren Welt vergessen.

In Städten und Dörfern Indiens, dem Ursprungsland des Buddhismus, platzen die Straßen in überbordender Betriebsamkeit aus allen Nähten. Rikscha-Fahrer klingeln, dreirädrige Motorrollertaxis knattern und stoßen schwarze Abgaswolken aus. Lkw- und Busfahrer hupen, eine wogende Menschenmasse drängt sich über Gehsteige und durch Gassen. Mitten im Getümmel streunen Hunde, laufen Ziegen und abgemagerte, heilige Kühe, die Papier und Abfall fressen. Je nach Gegend ziehen Ochsen oder Kamele zweirädrige, überladene Karren, vor die sich der Mensch spannt, wenn er kein Zugtier besitzt. Eine Fülle von Eindrücken reizt die Sinne auch im unbedeutendsten Ort. Indien ist bunt und schrill. Ruhe fand ich hinter den Mauern der Paläste, Forts, Mausoleen, in Parks und Gärten und an den wenigen verbliebenen buddhistischen Orten wie Bodh Gaya, dem Ort der Erleuchtung, und Sarnath, dem Ort der ersten Lehrrede Buddhas.

1981 begannen meine Reisen durch Asien. In buddhistischen Regionen und Ländern fühlte ich mich als Alleinreisende immer gut aufgehoben. Auf Trekkingtouren in Nepal besuchte ich abgeschiedene Klöster und Dörfer. Gebetsfahnen flatterten auf den Dächern der Sherpas, Stupas und Mani-Mauern standen am Wegesrand in einer grandiosen Berglandschaft. In Burma, dem jetzigen Myanmar, gingen mir die Augen über beim Anblick der fast zweitausend erhaltenen Tempel-Ruinen von Bagan, einer ausgedehnten Ebene am Irrawaddy. Die Goldschicht der Shwedagon-Pagode in Yangon, dem damaligen Rangoon, glänzte fast überirdisch vor blauem Himmel. Ich besuchte die bunten Tempel von Thailand und Laos und die alten Ruinen von Angkor Wat in Kambodscha. Mehrere Male hielt ich mich im tibetischen Kulturkreis auf, einer spirituellen Welt auf dem höchsten Plateau der Erde. Ich durchquerte China, Süd-Korea und Japan, besichtigte Grotten, Tempel und Klosterstädte und auf der indonesischen Insel Java fand ich den größten Stupa der südlichen Hemisphäre vor, den Stupa von Borobudur.

Überall auf der Erde gibt es alte Kultstätten und Orte der Kraft, sei es die Klagemauer der Juden in Jerusalem, oder das Mekka der Muslime in Saudi-Arabien. Die Christen pilgern nach Lourdes in Frankreich und die Hindus nach Varanasi, der Stadt des Lichts am heiligen Ganges. Der Mensch sucht nach den universellen Gesetzen, die sein Leben bestimmen. Er erbaut Kirchen, Moscheen, Tempel und Schreine und verbindet mit sakralen Bauwerken Himmel und Erde. Er möchte dem Höchsten dienen und die Architektur wird zur göttlichen Kunst. Von heiligen Plätzen, seien es Berge, Bäume, Seen oder Felsen, scheinen magische Kräfte auszugehen, derer der Mensch teilhaftig werden möchte. Manchmal sollen sich dort Wunder ereignet haben, die die physikalischen Gesetzmäßigkeiten von Raum und Zeit sprengen.

Ich erkundete die großen Religionen Asiens, las über Taoismus, Konfuzianismus, Hinduismus und Buddhismus. Im Buddhismus, einer Lehre der Realität, begeisterte ich mich für die oft mathematisch anmutende Logik der Aussagen. „Sieh die Dinge, wie sie sind“, lehrt Buddha, „zweifele und prüfe!“

Dieses Reisebuch berichtet von den Anfängen des Buddhismus im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und folgt den Spuren seiner Ausbreitung von Indien in die umliegenden Länder. Alle im Buch vorgestellten Tempel, Klöster, Grotten, Berge und Seen habe ich in den vergangenen drei Jahrzehnten selbst besucht. Die Erfahrungen und Erlebnisse geben den philosophischen Ausführungen der buddhistischen Lehre Farbe und Flair. Die verschiedenen Schulen, die sich im Laufe der Zeit entwickelten, setzten ihre eigenen Schwerpunkte. Beim Besuch der heiligen Stätten beleuchte ich den jeweils maßgeblichen geschichtlichen Hintergrund und erkläre, was die einzelnen Bauelemente und Komponenten bedeuten.

ERSTER TEIL:

HEILIGE STÄTTEN DES THERAVADA-BUDDHISMUS

Etwa dreihundert Jahre lang wird Buddhas Lehre mündlich überliefert, erst dann beginnen die Mönche sie in Pali, einer altindischen Sprache, aufzuschreiben. Die unterschiedlichen Auslegungen der Sutras lassen im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Schulen entstehen. Aus dem Theravada-Buddhismus, der ursprünglichen Lehre, Hinayana oder „Kleines-Fahrzeug” genannt, entwickelt sich das „Große Fahrzeug”, der Mahayana-Buddhismus, eine erweiterte Lehre.

Den Theravada-Buddhismus praktiziert man heute noch in Sri Lanka, Myanmar, Thailand, Laos, Kambodscha, Vietnam und in der chinesischen Provinz Yunnan. Der Ursprungslehre zufolge durchbricht ein erleuchteter Mensch den Kreislauf der Wiedergeburten und geht ins Nirvana ein.

Der Mahayana-Buddhismus verbreitete sich in Tibet, Bhutan, China, Japan, Korea und in der Mongolei. Der Schwerpunkt verschiebt sich: Ein erleuchteter Mensch, ein Bodhisattva, bleibt auf Erden, um anderen Menschen auf dem Weg zur Befreiung zu helfen. Das Streben soll nicht dem Suchenden selbst, sondern anderen zugutekommen. Mitgefühl mit jedem Lebewesen gehört zu den Tugenden, ohne die ein Buddhist niemals zum Ziel gelangt.

Der große Kaiser Ashoka (304 v. Chr. – 232 v. Chr.), ein Herrscher der altindischen Maurya-Dynastie, konvertierte nach blutigen Eroberungszügen vom Hinduismus zum Buddhismus. Sein Reich erstreckte sich von Afghanistan im Westen bis Assam im Osten und umfasste beinahe den gesamten Subkontinent. Ashoka führte den Buddhismus als Staatsreligion ein. Der neue Glaube breitete sich schnell in die umliegenden Länder aus, doch in Indien, seinem Ursprungsland, sorgten islamische Eroberer vom 7. Jahrhundert bis zum 12. Jahrhundert für seinen Niedergang.

Der Himalaja bei Pokhara am Phewa-See, Nepal

Der Maya-Devi-Tempel in Lumbini, Nepal

LUMBINI – DIE GEBURTSSTÄTTE DES SIDDHARTHA GAUTAMA,NEPAL

Schon in der Morgendämmerung gibt es am Busbahnhof von Pokhara dampfenden Milch-Tee oder eine heiße Tasse Kaffee für die verschlafenen Buspassagiere. Bäckerjungen bieten frische, noch warme Hefeteilchen an, die sich auf Blechen türmen – ein willkommenes Frühstück, bevor wir in den Bus steigen.

Das Vorgebirge des Himalaja ist hoch und steil, die Täler sind eng. Die Straße schlängelt sich an den Hängen der Berge entlang. Anfangs erhasche ich noch einen Blick auf die Schneekette im Norden, die hier aus dem über achttausend Meter hohen Annapurna-Massiv mit dem markanten Machapuchare, dem „Fischschwanz“, und aus dem Dhaulagiri, dem benachbarten Achttausender, besteht. Erst gegen dreizehn Uhr lassen wir die Berge hinter uns und erreichen das Terai, die fruchtbare Tiefebene Nepals.

Das Dorf Lumbini liegt abseits der Hauptroute, die von Pokhara zur Grenze nach Indien führt. Die Wärme ist jetzt, im November, auszuhalten. Im Frühjahr und Sommer jedoch wird sie groß und unerträglich. Die Gästehäuser in der Dorfmitte, deren Zimmer mit ihren Fenstern zum Innenhof zeigen, sind dunkel und schäbig. Nach Osten hin führt die staubige Dorfstraße an Lehmhütten vorbei aufs Land. Dort breiten sich die gelben, sonnenverbrannten Felder Lumbinis aus. Im Westen des Ortes liegt der Heilige Garten, die Geburtsstätte Buddhas.

Siddhartha Gautama, der spätere Buddha, ein Fürstensohn aus dem Geschlecht der Shakya, wurde vermutlich 570 v. Chr. im Hain von Lumbini in der Nähe der Residenzstadt Kapilavatthu geboren, die damals zu Indien gehörte. Seine Mutter, Königin Maya Devi, starb wenige Tage nach seiner Geburt.

Einer Legende nach war ein weißer Elefant vom Himmel herabgestiegen und hatte der Königin im Traum die jungfräuliche und wunderbare Empfängnis ihres Sohnes mitgeteilt. Während der Geburt stand sie aufrecht und hielt sich mit der rechten Hand an einem Ast fest. Die hinduistischen Götter Brahma und Indra entnahmen das Kind ihrer Körperseite. Sein Ruhm erstrahlte in alle Himmelsrichtungen. Ein Brahmanen-Priester sagte dem Neugeborenen eine große Zukunft voraus, denn er sah in ihm den Befreier der Menschheit. Als der König den Jungen erblickte, freute er sich und taufte den Prinzen Siddharta: „der, der sein Ziel erreicht hat“. Auch die Hindus verehren Buddha, sie sehen in ihm eine Inkarnation des Gottes Vishnu.

Am späten Nachmittag mache ich meinen ersten Erkundungsgang durch den ausgedehnten Heiligen Garten. Neben dem Maya-Devi-Tempel, dem Zentrum der weitläufigen Anlage, ragen die Grundmauern alter Ruinen aus dem Rasen. Das grüne Wasser eines großen, rechteckigen Beckens, in dem Maya Devi kurz vor ihrer Niederkunft gebadet haben soll, schimmert im Abendlicht. Eine Ashoka-Säule neben dem Tempel erhebt sich braun und glatt in den blauen Himmel. Der eingeritzte Text berichtet vom Besuch des Kaisers, der im Jahr 249 v. Chr. die Stelle der Geburt Buddhas im Maya-Devi-Tempel nebenan mit einem Gedenkstein markiert haben soll. Der Hain von Lumbini geriet für Jahrhunderte in Vergessenheit. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde er wiederentdeckt und erforscht.

Weiß gekleidete Pilger sitzen auf dem Rasen vor der Ashoka-Säule und zelebrieren ihre Andacht. Sie stecken Lichter rund um das Becken an, die Flammen spiegeln sich im dunklen Wasser. In tiefer Dämmerung laufe ich zurück ins Dorf und esse in einem der einfachen, schwach beleuchteten Restaurants ein fades, mit Linsen gemischtes Reisgericht.

Am nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg, um den Maya-Devi-Tempel zu besichtigen. Am Eingang des Gartens müssen alle Besucher ihre Schuhe ausziehen. Barfuß laufe ich über Platten und Wege, über Rasenstücke und um die Fundamente der Ruinen zum Eingang des Tempels auf der anderen Seite. Er ist ein besonderes Heiligtum: Die weißen Mauern und das Dach schützen eine archäologische Ausgrabungsstätte, die aus mehreren Schichten besteht. Archäologen fanden Überreste aus der Gupta-Periode (4. bis 6. Jahrhundert), die die Mauern und Fundamente aus der Kushana- und Maurya-Periode überlagern. Die unterste Schicht, die man erst teilweise freigelegt hat, stammt aus der Zeit Buddhas.

Holzstege führen über die Ausgrabungen durch die riesige Halle zur heiligen Mitte, einer mit einer Glasplatte abgedeckten Vertiefung. In dem Loch fanden die Archäologen den Gedenkstein des Kaisers. Ein verwaschenes, abgeschabtes Relief aus dem 5. Jahrhundert oberhalb dieser Stelle zeigt die Geburtsszene Buddhas. – In langen Schlangen nähern sich die weiß gekleideten Pilger der bedeutenden Stelle, bleiben stehen und verneigen sich mit gefalteten Händen. Jeder verharrt kurz, um dem Nächsten demütig Platz zu machen.

Draußen flattern Tausende von Gebetsfahnen zwischen den Bäumen hinter dem Wasserbecken. Sie sollen die Gebete zum Himmel tragen. Vor dem dicken Stamm einer uralten Pappelfeige sitzen Mönche und Laien und meditieren.

Nördlich des Heiligen Gartens durchzieht ein Kanal den Wald. Auf den Stufen, die zum Kanal hochführen, brennt in einer Schale eine ewige Flamme, Symbol für das Licht Asiens. Zu beiden Seiten des Kanals liegen Tempel und Klöster verschiedener Länder unter den Bäumen. Die Architektur entspricht dem Baustil des jeweiligen Landes. Im Kloster von Myanmar reflektiert eine nicht so glanzvolle Kopie der Shwedagon-Pagode die Sonne des Tages; das chinesische Kloster erinnert an die Verbotene Stadt in Peking; das kambodschanische und das koreanische Kloster befinden sich noch im Bau. Die Fassaden des thailändischen Klosters blenden weiß in der Sonne und warten auf ihr buntes Dekor, im Inneren winkt Buddha von einem hohen Altar. In den Meditationszentren heißen Mönche westliche Menschen willkommen, die sich auf eine Reise nach innen begeben wollen.

Der geschichtliche Ort zieht Buddhisten aus Asien an, gleich, welcher Tradition sie angehören, denn hier wurde nicht nur der Buddha geboren, sondern mit ihm eine Weltreligion. Alle möchten die Ausstrahlung des Heiligen Gartens spüren, um auf dem eigenen Weg der Verwirklichung Kraft zu schöpfen und der Erleuchtung ein Stück näherzukommen.

Der Mahabodhi-Tempel in Bodh Gaya, Indien

Tibetische Pilger in Bodh Gaya, dem Ort der Erleuchtung, Indien

BODH GAYA – EIN FÜRSTENSOHN ERWACHT, INDIEN

Abgeschottet vom Elend der Welt wuchs Siddhartha am Hofe seines Vaters auf. Im Alter von sechzehn Jahren heiratete er und gründete eine Familie. Er hatte keine Sorgen und es ging ihm gut. Dann machte er Ausflüge in die Umgebung. Vor den Toren seines Palastes begegnete er armen, alten und kranken Menschen. Einmal schaute er einem Leichenzug nach. Hautnah erlebte er Armut, Alter, Krankheit und Tod. Angesichts des Leids war er zutiefst erschüttert. Auf einem anderen Ausflug schritt ein Bettelmönch an seiner Sänfte vorbei, ein Mensch, der jeden Besitz aufgegeben und sich dem Geistigen zugewandt hatte. Siddharta war beeindruckt. Er empfand sein Luxusleben von nun an als banal.

Er war neunundzwanzig Jahre alt, als er Frau und Sohn bei Nacht und Nebel verließ, seine feinen Kleider gegen armselige eintauschte und sich einer Gruppe von fünf Wandermönchen anschloss. Er studierte die Veden und die Upanishaden, die heiligen Schriften der Inder, die ihre Hymnen, Gesänge, Riten und ihre religiös-philosophischen Einsichten in Sanskrit, der heiligen Sprache Indiens, aufgeschrieben hatten. Eine Antwort auf seine Fragen nach dem Sinn und der Ursache des Leids in der Welt fand er nicht. Als Asket hungerte er und magerte ab bis auf die Knochen, bis er erkannte, dass diese extreme Lebensweise ihm keine tieferen Erkenntnissen bescherte. Er beschritt den „Mittleren Weg“ zwischen Askese und Genussleben und gab sich der Versenkung hin, der Meditation.

Im siebten Wanderjahr erreichte Siddhartha Bodh Gaya und setzte sich in einer Vollmondnacht unter einen Feigenbaum, um zu meditieren. Um jeden Preis wollte er in dieser Nacht die Antworten auf seine Fragen herausfinden. Er saß wie ein Fels. Mara, der Gebieter des Schicksals und des Todes, sandte ihm seine drei Töchter, die mit wehenden Schleiern und koketten Gebärden vor ihm im Mondlicht tanzten. Siddharta ließ sich nicht beirren und widerstand jeder Versuchung. Im Morgengrauen erreichte er die höchste Stufe des Wissens und – so heißt es in den Legenden – die Erde bebte. Den Feigenbaum verehren die Buddhisten seitdem als „Bodhi-Baum“, als „Baum der Weisheit“.

Bodh Gaya liegt im indischen Bundesstaat Bihar, fünfzehn Kilometer von der größeren Stadt Gaya entfernt. – Am späten Nachmittag läuft der Zug bei goldenem Sonnenlicht in Gaya ein. Nach einer lebhaften Verhandlung mieten ich und weitere sechs Ausländer eine mit zwei Bänken ausgestattete Motorrikscha und knattern durch eine weite Ebene nach Bodh Gaya. Im frisch renovierten Deep Hotel am Eingang des Ortes trägt der junge Angestellte meinen Rucksack ins Zimmer, steckt ein Mückenschutzmittel in die Steckdose und schaltet beflissen den altertümlichen Fernseher an. Nach fünf Minuten wird die Dusche heiß. Was will ich mehr? Den Fernseher habe ich längst ausgemacht. Vom Fenster aus gucke ich auf das burmesische Kloster und finde am nächsten Morgen einen freundlichen Frühstücksplatz in einem der Hüttenrestaurants gegenüber.

Der Diamantthron kennzeichnet die Stelle, wo Buddha die Erleuchtung fand.

Gläubige im Mahabodhi-Tempel in Bodh Gaya, Indien

Der Mahabodhi-Tempel aus dem 7. Jahrhundert ist das Ziel Tausender Pilger. Der fünfundfünfzig Meter hohe, sich nach oben verjüngende Turm ragt über dem Schrein auf, der eine überlebensgroße, vergoldete Buddha-Statue aus dem 10. Jahrhundert beherbergt. Kleinere Türme besetzen die Ecken des im Quadrat angelegten Tempels. Im Garten stehen zahllose Stupas verschiedener Größe, geschmückt mit Buddha-Figuren und Dekor. Eine dichte Menschenschlange drängt in die von Polizisten bewachte heilige Halle, viele der Gläubigen halten Opfergaben in den Händen.

Ein Ableger des Feigenbaums, unter dem Buddha die Erleuchtung fand, wächst hinter dem Tempel. Der mächtige Stamm ragt hoch auf und die Äste und Zweige der ausladenden Krone überschatten die hintere Seite des Tempels in ganzer Breite. Schon Kaiser Ashoka besuchte den heiligen Ort und errichtete einen schützenden Zaun um den Baum. Heute schirmt ein hohes, mit Blumen verziertes Steingeländer die heilige Stelle ab. Durch die Spalten werfe ich einen Blick auf den Stamm des Bodhi-Baums. Ein Baldachin schützt den Diamantthron, der die Stelle markiert, wo Buddha meditierte. Damals saß er auf der Erde. Da waren nur der Baum, das Gras und die Mücken, die Hitze, der Durst und der verzweifelte Wille, nach Jahren der Suche zu einem Ergebnis zu kommen.

Viele Pilgergruppen hocken vor dem Steingeländer im Schatten des heiligen Baums. Frauen aus Sri Lanka hängen die Schmuckfahnen ihres Landes an die hohe Mauer, die den Tempel umgibt. Gerade findet die Ordination thailändischer Novizen statt. In einer langen Reihe sitzen die angehenden Mönche ihren Mitbrüdern gegenüber, die ihnen die safrangelben Roben überreichen. An einem der heiligsten Orte des Buddhismus ist diese Festlichkeit ein besonderes Ereignis. Angehörige und Freunde, die mitgereist sind, schauen bewegt zu. Die Atmosphäre vibriert. Die Andacht ist tief.

Thailändische Novizen werden ordiniert.

Ein junger thailändischer Mönch im Mahabodhi-Tempel in Bodh Gaya, Indien

An der rechten Seite des Tempels zieht sich der heilige Weg hin, ein Podest, geschmückt mit in Stein gehauenen Lotosblüten, die in einem Meer von Blumengirlanden ertrinken. Der Legende nach ging Buddha hier auf und ab und überlegte, ob er seine nach langem Kampf gewonnenen Einsichten weitergeben sollte oder nicht. Er zögerte und zweifelte daran, das Erlebnis der Erleuchtung in Worte fassen zu können.

Ich verlasse den heiligen Bezirk und schlendere weiter die Straße hinunter, vorbei an Souvenir- und Obstständen bis zum Thai-Kloster. In Bodh Gaya errichten die buddhistischen Länder Asiens ihre Klöster rund um den Ort der Erleuchtung und hier scheint die Hoffnung auf Inspiration noch stärker zu sein als in Lumbini. Bhutan, China, Tibet, Japan, viele Länder sind vertreten. Es gibt fünfundvierzig Klöster und Tempel. Der Dalai Lam enthüllte 1989 eine fünfundzwanzig Meter hohe Buddha-Statue, die dem Großen Buddha von Kamakura in Japan ähnelt.

Zum Sonnenuntergang besuche ich den Tempelbezirk erneut. Unzählige Pilger sind unterwegs. Sie sind froh und gehobener Stimmung. In der Dunkelheit erstrahlt der Tempelturm im Scheinwerferlicht und bunte Glühlampen erleuchten die Rasenböschungen. Tausende von Grillen zirpen in den Bäumen rund um den Mahabodhi-Tempel.

In der kommenden Dezemberwoche findet ein buddhistisches Fest statt. Tagsüber säubern junge Männer Gänge und Wege und streichen alle Mauern frisch. Pilger aus Burma, Sri Lanka, Thailand, Kambodscha, Laos und Bangladesch reisen jetzt schon an. Der zwanzigjährige Sohn des Hüttenrestaurantbesitzers führt mich voller Stolz durch den Hof des burmesischen Klosters auf der anderen Seite, um mir die Dekorationen für die Festlichkeiten und die Geschenke für die Mönche zu zeigen. Viele Pilger sind schon da und belegen die großen Schlafsäle im Kloster. Doch ich verlasse Bodh Gaya. Der freundliche junge Mann gibt mir zum Abschied die Hand. Er sagt, er wolle zu Buddha beten, damit es mir gut gehe auf meiner Reise!

Im Garten des Mahabodhi-Tempels bei Nacht, Bodh Gaya, Indien

Der Dhamek-Stupa in Sarnath, Indien

IM GAZELLENHAIN VON SARNATH – DIE ERSTE LEHRREDE, INDIEN

Sarnath liegt zehn Kilometer nördlich von Varanasi, der großen hinduistischen Pilgerstätte am Ganges. Im Gegensatz zu Varanasi ist Sarnath ein Dorf. Hier, im Gazellenhain, hielt Buddha seine erste Predigt und setzte das „Rad der Lehre“ in Bewegung. Er verkündete die „Vier Edlen Wahrheiten“, die die Essenz der buddhistischen Lehre ausmachen. Seine früheren Weggefährten, die fünf Asketen, hörten zu. In kurzer Zeit gewann Buddha Gautama sechzig Anhänger. Die Mönche des ersten buddhistischen Ordens nahmen Zuflucht zu Buddha, zur Lehre (Dhamma oder Dharma) und zur Gemeinschaft (Sangha). Bis an sein Lebensende zog Buddha Gautama durch das heiße, monsungeplagte Land und wandte sich an alle, die ihn hören wollten, egal welcher Kaste sie entstammten. Er sprach Könige und Bettler an, Reiche und Arme, Männer und Frauen. Mit achtzig Jahren starb er im heutigen Pilgerort Kushinagar, zweihundertsechzig Kilometer östlich von Sarnath. Er ging ins Nirvana ein und durchbrach den Kreislauf der Wiedergeburten.

Heute überragt der Dhamek-Stupa, ein kompakter, wuchtiger Bau, die Ausgrabungen von Sarnath. Kaiser Ashoka ließ ihn für die Reliquien Buddhas erbauen. An dieser Stelle des Gazellenhains soll die berühmte Lehrrede stattgefunden haben, oder aber dort, wo die kreisrunden Grundmauern des noch älteren Dharmaraj-Stupas sich ausdehnen. Die zerbrochenen Teile der Ashoka-Säule enthalten die Edikte des Kaisers und stehen hinter einem hässlichen Zaun. Das dazugehörige Löwenkapitell, das das indische Staatswappen schmückt, steht geschützt im Museum nebenan.

Die Überreste der Stupas, Tempel und Klöster liegen in einer gepflegten, weiten Anlage. Nur wenige Besucher stören die Stille. Eine einsame Pilgergruppe verrichtet unter einem Baum ihre Gebete und schreitet andächtig durch die Ruinen.