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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland

Erzählungen, Märchen und Gedichte zur Advents- und Weihnachtszeit

Band 1

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten

Titelbild: Heike Georgi

Taschenbuchauflage erschienen: 1. Auflage 2008 – 2. leicht veränderte Auflage 2016

Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-940367-35-8 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-319-4 - E-Book

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Inhalt

Schneeflöckchen

Vom Tannenbaum, der kein Weihnachtsbaum werden wollte

Adventskonzert

Ein Glitzern in der Nacht

Weihnachtsbaum

Der kleine Engel Sebastian

Barbaratag

Im Schein der Kerze

Das erhörte Gebet

Auch Engel brauchen manchmal Hilfe

Elsas Traum vom Weihnachtsbaum

Kinderkram

Frost

Das große Tauschfest

Der Keksklau

Der Weihnachtsdieb und andere Pannen

Weihnachtsengel

Angorina

Jan, Opa und die heilige Familie

Miris Weihnachten

Weihnachten im Hause Nimmersatt

Wie der Drache Fress-dich-nicht dem Christkind geholfen hat

Ho! Ho! Ho!

Weihnachten im Märchenwald

Putschipatschis Weihnachten

Das Weihnachtsei

Die Weihnachtsfee

Flunkerlands Weihnachten

Lisa und der Nikolaus

Bären-Freundschaft

Der kleine Elefant

Der Eiskobold und die Weihnachtsstadt

Stromausfall im Weihnachtsdorf

Der falsche Bart des Weihnachtsmannes

Die Weihnachts-Meeris

Anna und die zahmen Hühner

Die knallrote Sonnenbrille

Hallo Julia!

Das Christkind hat kein Telefon

Der kleine Weihnachtsstern

Mehr als nur ein Geschenk

Schon viel zu groß?

Der Engel aus dem Abfallkorb

*

Schneeflöckchen

Hinter Bergen, hinter Meeren, im fernen Land der Zauberei stand hoch oben in den Wolken ein himmlisches Schloss. Von hohen Turmmauern umgeben und dichten Rosenbüschen umrankt, man könnte meinen, hier läge Dornröschen in einem tiefen Schlaf.

Doch in jenem Schloss lebte schon seit vielen Jahrhunderten die Königin der Winterelfen. Ihr einziges Kind, ein kluges, sanftes Wesen, liebte sie von Herzen, und weil sein Haar so weiß wie Schnee war, nannte sie es ‚Schneeflöckchen’.

Als die Winterzeit nahte, befahl die Königin das Wolkentor zu öffnen, damit es auf der Erde schneite. Kaum hallte ein heller Glockenton durch das Schloss, liefen alle Winterelfen hurtig herbei, schoben die Riegel zurück und öffneten das goldene Tor. Wie ein Schneegestöber fielen nun dicke weiße Flocken zur Erde und türmten sich zuhauf. Gar nicht lang, da war jedes graue Fleckchen mit dem glitzernden Weiß bedeckt.

Schneeflöckchen sah hinab und freute sich über das Treiben, welches nun begann: Die Menschen traten aus ihren Häusern und jubelten über die weiße Pracht. Die Kinder polierten die Kufen ihrer Schlitten und sausten über die steilen Berghänge ins Tal hinab. Andere lieferten sich eine wilde Schneeballschlacht, bauten Schneefiguren oder liefen auf den zugefrorenen Gewässern Schlittschuh. Tannenbäume wurden im Walde geschlagen und aus den Schornsteinen stiegen süßliche Düfte empor.

Es war gar lustig anzusehen, wie die Kinder so fröhlich und unbeschwert in der weißen Winterwelt zu toben begannen.

So saß Schneeflöckchen auf seinem weichen Wolkenkissen, sah herab und konnte ein Staunen nicht verbergen. „Ach, könnte ich auf die Erde hinab, nur ein einziges Mal“, seufzte es. Doch die Elfenkönigin wollte davon nichts hören und antwortete auf sein Bitten stets abweisend: „Wir Winterelfen haben dort nichts verloren. Einzig und allein unsere Aufgabe ist es, für den Schneezauber Sorge zu tragen, damit die Erdenbewohner das Fest der Liebe begehen können.“

„Das Fest der Liebe?“

„Ja, die Heilige Nacht“, antwortete die Königin. „Sei vernünftig und schlag es dir aus dem Kopf!“

Tage vergingen. Die Elfenprinzessin blickte sehnsüchtig den Flocken nach, die langsam zur Erde schwebten. Ihr Verlangen wurde unendlich groß. Gern hätte sie etwas über die ‚Heilige Nacht’ erfahren, es mit eigenen Augen gesehen und mit dem Herzen gespürt. Doch hier oben, im Himmelsschloss der Feen, gab es diesen weihnachtlichen Zauber nicht. So blieb ihr nichts anderes übrig, als zuzuschauen.

Eines Abends, als die kleine Elfe voller Sehnsucht wieder auf die Erde sah, war dort alles still und friedlich. Doch plötzlich fiel ihr ein Knabe auf, der sich keineswegs über das bevorstehende Fest zu freuen schien. Einen Schlitten mit Holzscheiten hinter sich herziehend, stapfte er traurig aus dem nahegelegenen Tannenwald. Ohne lange zu überlegen und das Verbot ihrer Mutter missachtend, ließ sich die Elfe mit den Schneeflocken zur Erde gleiten.

Sanft landete sie auf dem Weg vor dem Knaben. Dieser blieb erstaunt stehen, als er das himmlische Geschöpf sah. Klein und zart saß es mitten im Schnee und sah so gar nicht verängstigt drein. Keck schaute sein Gesicht aus dem weißen Pelzmäntelchen hervor. Die zierlichen Füße verbarg es in geschnürten Stiefelchen und in dem weiß gelockten Haar glitzerte feiner Elfenstaub. Schneeflöckchen stand auf, zupfte sein bauschiges Mäntelchen ordentlich und strich sich das Haar aus der Stirn.

„Schickt dich, zauberhaftes Wesen, das Christkind?“, fragte der Knabe verwundert.

Das Elfchen antwortete wahrheitsgemäß: „Nein, vom Christkind komm’ ich gewiss nicht daher.“

Der Junge kniete nieder und nahm es behutsam auf die Hand. „Woher kommst du dann?“

Schneeflöckchen antwortete sogleich: „Aus dem Wolkenschloss der Winterelfen.“

„Aber was tust du hier, mitten im kalten Schnee, und bist nicht bei deinesgleichen?“

„Ich möchte die Heilige Nacht sehen!“

„Die Heilige Nacht?“

Das Elfchen nickte und antwortete mit erwartungsvoller Stimme: „Ich habe davon gehört! Wie gern möchte ich sie sehen.“

Der Knabe überlegte einen Augenblick. Wie konnte so etwas sein? Am Heiligabend begegnete er einer Elfe anstatt dem Christkind, auf das er schon so viele Jahre vergeblich wartete. „Wenn dies dein Wunsch ist, so will ich sie dir zeigen, aber erwarte nicht zu viel. Einen Christbaum haben wir nicht, denn die Mutter ist krank und liegt schon seit Wochen darnieder. Viel nennen wir nicht unser Eigen, aber die Großmutter hat ein Fladenbrot gebacken. Sicher wird sie dir davon geben, damit du deinen Hunger stillen kannst.“

Schneeflöckchen zögerte einen Augenblick, dann bat es den Jungen: „Nun sag mir, warum schaust du so bekümmert drein, wenn doch heute Heiligabend ist?“

„Warum sollte ich nicht, wo das Christkind schon seit langem ausbleibt!“

„Willst du’s mir nicht erzählen?“, fragte Schneeflöckchen mit sanfter Stimme.

Gemächlich trabte der Junge weiter und begann zu berichten: „Vor vielen Jahren trieb eine böse, alte Amme, welche mit dem Teufel im Bunde stand, ihr Unwesen. Sie hatte es sich zu eigen gemacht, jedes Kindlein, welches in der Heiligen Nacht geboren wurde, zu holen und in ihre Obhut zu nehmen. Am Heiligen Abend hämmerte die Amme nun an Großmutters Tür und forderte das soeben geborene Kind, um es des Teufels Braut werden zu lassen. Aber die Großmutter schickte die Amme in die Hölle, denn nie und nimmer wollte sie sich von ihrem Töchterchen trennen. Daraufhin stieß das böse Weib einen grausigen Fluch aus und rief zornig: Erst wenn die Rosen im Schnee erblühen, soll das Christkind wieder zu euch finden. Derweil soll Hunger, Armut und Krankheit euer ständiger Begleiter sein und nicht von euch weichen.“ Nachdem der Knabe geendet hatte, blieb er stehen, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht, öffnete eine Gartenpforte und zog den Schlitten hinter einen Holzverschlag. Schneeflöckchen setzte er auf dem Fenstersims nieder und sprach: „Nun, so will ich dir jetzt deinen Wunsch erfüllen.“

„Ich danke dir!“, erwiderte das Elfchen, „aber zuvor möchte ich, dass du allein in die Hütte gehst.“

„So soll es geschehen“, antwortete der brave Knabe, nahm ein paar Holzscheite vom Schlitten und trat in die Hütte hinein.

Hier empfing ihn eine wohlige Wärme, denn im Kamin prasselte bereits ein lustiges Feuer. Sein Schwesterchen kam geschwind auf ihn zu und rief freudig: „Schau, Ludwig, das Christkind war da!“ Dann nahm es den Bruder bei der Hand und zog ihn ins Zimmer, wo die Großmutter bereits auf ihn wartete. Begierig schweifte sein Blick durch die Stube und augenblicklich entdeckte er etwas Wundervolles: einen Christbaum. In der hintersten Ecke leuchtete er unter den vielen Wachskerzen, geschmückt mit üppigen Leckereien und war gar lieblich anzusehen. Wahrlich hingen an den zarten grünen Zweigen bunte Zuckerkringel, Marzipanfrüchte, Kandis und Lakritzestangen. Darunter stand ein Tellerchen mit Nüssen, umgeben von rotbäckigen Äpfeln, Lebkuchen und gebackenen Plätzchen. Neben der Ofenbank lagen für jedes Kind ein warmes Winterzeug sowie mit Silberschleifen verzierte Gaben. Augenblicklich öffnete sich die Kammer und die Mutter trat heraus, umarmte und herzte die Kinder und dankte dem Christkind.

Schneeflöckchen sah durch das erleuchtete Fenster in die Stube und sein Herz klopfte. Die Heilige Nacht, ja so muss sie wohl sein, dachte es. Wie gern wäre es im Lichterglanz um das Bäumchen gesurrt und hätte von den Köstlichkeiten genascht. Gerade wollte es in den Himmel entschweben, als sich die Hüttentür öffnete und Ludwig aus der Tür trat. Verlegen sah Schneeflöckchen zu ihm auf und sprach: „Nun muss ich mich aber sputen und eiligst wieder zum Himmelstor hinauf.“

Der Knabe nahm das Elfchen auf die Hand, führte es an seine Lippen, küsste es liebevoll auf die Stirn und nahm von ihm Abschied. Lange sah er Schneeflöckchen nach, bis es vollends in der Dunkelheit zwischen den Sternen entschwand. Als er sich umwandte, erblickte er zu seinen Füßen zarte Christrosen im Schnee, so weiß und rein, wie es nur Schneeflocken sein können.

Kathrin Dietze wurde 1963 in Erfurt geboren.

*

Vom Tannenbaum, der kein Weihnachtsbaum werden wollte

Inmitten eines Waldes, nahe der Stadt Himmelspforte, standen eine große und eine kleine Tanne. „Es wird Winter“, sagte die große Tanne zu der kleinen Tanne. „Dann ist bald Weihnachten und die Menschen kommen, um uns aus dem Wald zu holen. Sie feiern ein großes Fest. Sie nennen es Christfest. Wir Tannenbäume werden wunderbar geschmückt. In Rot oder Weiß, in Silber oder Gold. Vielleicht mit Kugeln oder mit Sternen und Engeln. Ich freue mich darauf.“

„Ich aber nicht!“, entgegnete die kleine Tanne. „Ich will nicht von den Menschen geholt werden. Ich will kein Weihnachtsbaum sein! Hier im Wald habe ich meine Freunde. Das Rotkehlchen kommt jeden Tag und singt mir ein Lied. Was soll der Specht denken, wenn ich nicht mehr da bin und er sich auf meinen Zweigen nicht mehr ausruhen kann von seiner schweren Arbeit? Und die Fuchsfamilie, die gleich hier um die Ecke ihre Höhle hat! Die Kleinen spielen jeden Tag unter meinen Zweigen!“

„Ach“, seufzte die große Tanne. „Der Höhepunkt in meinem Leben ist, wenn ich ein Weihnachtsbaum werden darf.“

Die kleine Tanne überlegte, was daran Besonderes sein sollte. Dann müsste sie Abschied nehmen von allen ihren großen und kleinen Freunden. Tränen liefen über ihre Wangen, als sie sich das vorstellte. Inzwischen war es Winter geworden. Schnee lag auf den Zweigen der kleinen Tanne. Sie war herrlich anzusehen und sie war stolz, dass sie so stark war, den vielen Schnee zu tragen. Die große Tanne sah auch schick aus in ihrem weißen Kleid und sprach nur noch von Weihnachten. Allmählich wurde die kleine Tanne neugierig.

Einmal war es dann soweit. Die große Tanne wurde geholt. Hastig sagte sie: „Auf Wiedersehen!“ Das ging so schnell, dass sie sich nicht einmal zum Abschied umarmen konnten.

Nun wurde es der kleinen Tanne doch etwas einsam. Der Fuchs kam zwar jeden Tag zu Besuch und erzählte ihr, was er erlebt hatte, aber die kleine Tanne wurde nicht mehr richtig froh. Bis Heiligabend ...

Plötzlich ratterte und krachte es im Wald. Ein Trecker bahnte sich seinen Weg. Männer mit Hacken und Spaten saßen darauf. „Hier ist eine schöne Tanne für meinen Garten!“, rief ein Mann. Sie hielten genau vor der kleinen Tanne an.

„Oh je! Oh je!“, dachte die kleine Tanne und fragte sich bang: „Was geschieht jetzt mit mir?“ Schon wurde gegraben, gezogen und gerüttelt und siehe da – die kleine Tanne wurde auf den Trecker gehoben. Fuchs und Hase konnten noch rasch winken und „Tschüss!“ rufen, dann war es wieder still im Wald.

„Wo geht es mit mir hin?“, rätselte die kleine Tanne. Sie wurde es kurz darauf gewahr.

Vor einem schönen Haus mit grünen Fensterläden wurde sie abgeladen, in den Garten getragen und eingepflanzt. Eine Frau und zwei Kinder kamen aus dem Haus und brachten Lichterketten mit, mit denen sie die kleine Tanne schmückten.

„Seht mal!“, rief die Frau. „Wie schön dieser Baum ist! Jetzt haben wir auch einen Weihnachtsbaum.“ Alle bewunderten die kleine Tanne. Die wusste gar nicht, wie ihr geschah. Es ging alles so schnell. Aber als sie an sich herabschaute, musste sie sich eingestehen: Sie war schön, einfach wunderschön! Nun war sie doch ein Weihnachtsbaum. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit wurden die Lichterketten angebracht und die kleine Tanne erstrahlte zu einem schönen Weihnachtsbaum – zum schönsten Weihnachtsbaum weit und breit. Dann seufzte sie: „Ach, es ist doch wunderbar, ein Weihnachtsbaum zu sein!“

Lore Buschjohann ist 79 Jahre alt und wohnt in Gütersloh. Sie hat durch die erfolgreiche Teilnahme am Anthologie-Projekt „Und was ich dir noch sagen wollte ...“ das Schreiben für sich entdeckt und inzwischen weitere Kindergeschichten und auch ihre Lebenserinnerungen zu Papier gebracht.

*

Adventskonzert

„Ich freue mich überhaupt nicht auf Weihnachten!“, pustet Melusine hinter den langen blonden Strähnen hervor. Sie zieht den viel zu warmen Pullover über den Kopf, wirft die Haare zurück und wiederholt: „Ich freue mich nicht auf Weihnachten!“ Pummelchen macht ganz erschrockene Augen und Wilma lässt die Flöte sinken. Sie hat – gerade als ihre Freundin zur Tür hineinkam – noch völlig fehlerfrei „Bald nun ist Weihnachtszeit, fröhliche Zeit …“ gespielt. Und ihre kleine Schwester Anna, das Pummelchen, hat gesungen wie ein Barockengel. Jetzt ist die Stimmung verflogen. Anderen Leuten die Laune verderben, das kann sie gut, die schöne Melusine.

Wilma fragt ungerührt: „Kriegst du nichts geschenkt?“ Sie setzt die Flöte wieder an und spielt eine andere Melodie. „Ich steh’ an Deiner Krippe hier …“ Melusine kennt den Text. Niemand singt. Der kleinen Schwester kullert eine Träne über das dicke Bäckchen. Wilma sieht es nicht, nur Melusine. Kleine Händchen zupfen an Melusines Blusenärmel. Anna hält Melusine einen polierten Apfel hin: „Schenk’ ich dir!“ Das Licht der ersten Kerze vom Adventskranz glänzt darin. Das große Mädchen wird rot. Melusine hat ein schlechtes Gewissen. „Jetzt freue ich mich aber“, sagt sie laut, „du bist ja ein richtiger Weihnachtsengel, Anna!“

Wilma spielt weiter. Sie hat nur das Notenblatt im Auge. Melusine weiß, dass Wilma ihre Worte gehört hat, weil man die Ohren nicht verschließen noch abwenden kann. So zu tun, als könne man es, das ist Wilmas übliche Reaktion auf Melusine Wortattacken. Nicht immer hat Wilma dabei die Flöte zu Hilfe. Jetzt spielt die musikalische Wilma eine Melodie, die Melusine auch nicht kennt. Die Töne steigen und fallen in komplizierten Harmonien. Was ist das, ein Lied? Sie fragt nicht laut, da sie im Moment sowieso keine Antwort erhalten würde. Wilma musiziert weiter.

Melusine hat Anna auf den Schoß genommen und führt sanft die kleine Hand mit dem dicken, roten Stift. Sie malen beide zusammen einen Apfel. Als Wilma die Flötenmelodie das dritte Mal wiederholt, ist der rote Apfel fertig und Melusine malt einen grünen Tannenzweig mit geübten Strichen dazu. Jetzt weiß sie es. Wilma hat ein fröhliches Lied gespielt, das mehr als eine Strophe hat. Anna klatscht in die Hände: „Schööön! Schenk’ ich Mama!“ Sie hält das Blatt mit dem bunten Bild hoch. Melusine greift nach dem Blatt auf Wilmas Notenständer. Sie liest den Text, nicht die Noten. Es ist Latein. So viel weiß sie schon, auch wenn sie die Sprache erst ein halbes Jahr lernt: „In dulci jubilo, nun singet und seid froh …“ Gut, dass auch deutsche Wörter dabei sind.

„Ich habe gelogen“, sagt Melusine laut.

„Nicht ganz,“ meint Wilma, „manchmal, glaube ich, hast du so schlechte Laune, dass du die ganze Welt schwarz anmalen willst und dann ist deine Laune gleich wieder vorbei. Bloß die schwarzen Flecken, die bleiben …“ Wilma spricht nicht weiter. Sie nimmt Melusine das Notenblatt aus der Hand.

„Es tut mir auch leid!“, sagt Melusine sehr leise.

„Das nützt nichts!“ Wilmas Stimme ist scharf und kalt. Ihr Blick fliegt zu Anna, die sich gerade bemüht, mit großen Buchstaben ihren Namen auf das Apfelbild zu schreiben. Das große N steht seitenverkehrt neben dem A.

„Soll ich dir helfen?“, fragt Melusine. Anna nickt und Melusine schreibt das nächste N richtig. Sie korrigiert den Spiegelbuchstaben nicht, sondern fragt nur ihre Freundin Wilma: „Anna wird das doch später selbst merken, oder?“ Nun lächelt Wilma: „Anna hat noch viel Zeit!“

Melusine denkt nach. Sie freut sich nicht auf Weihnachten, weil sie im Moment überhaupt nichts freut. Alles hasst sie, alles langweilt sie. Sie weiß nicht einmal, was sie sich wünscht. Und niemand fragt sie. Die Eltern sind fürchterlich beschäftigt oder das Haus ist leer. Bei Wilma ist es nie langweilig, zu ihr kann Melusine fast immer kommen. Warum lässt sie dann ihre schlechte Laune an ihrer besten Freundin aus? Weil die gerade da ist! Anna ist ja selten dabei … und die ist noch so klein!

Während des Nachdenkens hat Melusine ein Schiff für Anna gefaltet. Anna fährt mit dem Papierschiff über eingebildete Flüsse auf dem Teppich. Melusine zeichnet eine Flusslandschaft und singt wieder mit, als Wilma anstimmt: „Es kommt ein Schiff geladen …“ Irgendwann fehlt Melusine der Text. Eigentlich hat Melusine ein gutes Gedächtnis. Wilma reicht ihr das Blatt mit Noten und Text: „Üben, üben, üben! Bald ist Weihnachten.“

„Danke! Vielleicht gelingt es mir, wenn ich mein Gedächtnis trainiere, auch dran zu denken, dir nicht immer die Laune zu verderben!“, sagt Melusine zu ihrer Freundin und beugt sich über das bedruckte Papier.

Ganz heimlich freut sie sich jetzt doch! Die alten Lieder sind wie Märchen. Vielleicht kann Melusine ja zu Hause in den leeren Haus auch singen, so laut, dass es schallt?!

Xenia Cosmann lebt in Berlin und München, hat Geschichte und Philosophie studiert und in Museen, Bibliotheken oder Archiven gearbeitet. Sie schreibt Lyrik, Kurzprosa und Romane, Arbeiten, die sich häufig an Kinder und „an das Kind in der Frau“ richten. Sie hat bereits in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht.

*

Ein Glitzern in der Nacht

Der Wald lag still und schneebedeckt unter ihr im Tal. Kaum ein Laut war zu hören, nur das leise Rascheln des fallenden Schnees. Sterne funkelten am Himmel in dieser frostkalten Nacht, und die junge Frau mit dem goldenen Haar hüllte sich noch etwas tiefer in ihren glitzernden Umhang. Dann blickte sie auf und lächelte. Ein fernes Klingen, ein leises Rauschen ertönte am Nachthimmel. Ein Licht näherte sich ihr, und sie machte sich bereit. Ein großer leuchtender Schlitten, gezogen von Rentieren, kam aus der Luft herabgesaust, landete elegant neben der jungen Frau. Diese schien jedoch völlig unbeeindruckt von diesem Wunder. Sie hob nur eine Augenbraue an und musterte den großen alten Mann auf dem Schlitten.

„Du kommst spät! Selbst ich friere mittlerweile!“, sagte sie mahnend. Aber ihre blauen Augen blitzten vor Humor. Der alte freundliche Mann lachte, stieg von dem Schlitten, um die Frau in das Gefährt zu geleiten. Sein langer weißgrauer Bart war mit Eis verkrustet und er versuchte, die winzigen Eisklümpchen herauszuzupfen.

„Du hättest mir ja auch entgegenkommen können“, grummelte er mit tiefer Stimme.

Sie lachte ein glockenhelles, schönes Lachen, welches das Herz berührt. Dann zog sie mit einem Ruck den Umhang von sich und erstrahlte in ihrer ganzen wunderschönen Gestalt. Flügel, weiß, wie der Schnee am Boden, entfalteten sich hinter ihrem Rücken. Ein Glühen schien sie einzuhüllen, und sie atmete tief die klare kalte Luft ein. Dann warf sie ihr goldenes Haar zurück, reichte dem Mann ihren Umhang und stieg leichtfüßig in den Schlitten. „Weißt du, wenn man länger hier auf der Erde ist, dann wird man wirklich ein klein wenig menschlich. Ich habe nämlich tatsächlich angefangen zu frieren.“

„Ist das so“, brummelte der Mann und zog sich die Kapuze seines roten Mantels über. Die Rentiere wurden unruhig, Schnee fiel nun in dicken weißen Flocken vom Himmel, und die Glöckchen am Schlitten klingelten leise in der Nacht, als die Tiere sich schüttelten und mit ihren Hufen aufstampften. Der Mann mit dem roten Mantel und dem weißgrauen Bart schenkte seiner Begleiterin ein Lächeln, stieg neben ihr auf seinen Schlitten und ergriff die Zügel. Er schnaufte, als eine glitzernde Feder eines ihrer Flügel ihn an der Nase kitzelte. Er nieste so laut, dass die Rentiere sich erschrocken umschauten. „Könntest du vielleicht deine Flügel ein ganz klein wenig einklappen? So kann ich nicht fliegen!“

„Ja, ja“, sagte sie und ihre Flügel erhoben sich gerade zum Himmel, sodass sie ihn nicht mehr kitzeln konnten. „Also, guter Weihnachtsmann, fahren wir?“

„Ja ... obwohl ... Wo sind eigentlich die Geschenke?“, fragte er auf einmal verwirrt. „Ich meine, mit einem Sack bist du ja nie gekommen, aber ...

„Sie sind in dem Umhang versteckt.“

„In dem Umhang?!“ Er warf einen Blick auf das glitzernde Etwas, das zwischen ihnen lag. „Und wo sind sie?“

Sie lachte nur fröhlich. „Du wirst schon sehen.“

„Gott lässt sich wirklich jedes Jahr etwas Neues einfallen. Ein Umhang!“ Er kicherte leise in seinen Bart hinein. „Also los. Heja!“ Er schnalzte mit den Zügeln, und die Rentiere setzten sich augenblicklich in Bewegung. Sie rannten eine kurze Weile über den Schnee, dann erhob sich das Gefährt gen Himmel. Innerhalb weniger Sekunden machte der Schlitten Halt über einem Haus. „So, Christkind, dann machen wir uns an die Arbeit, was?“

Die junge Frau nickte mit geheimnisvollem Lächeln. Der Weihnachtsmann ging zum Kamin und kletterte, in Anbetracht seines Alters, geschickt hinauf ... und war plötzlich verschwunden. Das Christkind ging zu einem der beleuchteten Fenster. Es legte die Hand an das Glas der Fensterscheibe und stand plötzlich in dem Zimmer, wo ein großer bunter Weihnachtsbaum fast den halben Raum einnahm. Von Ferne hörte man Kirchenglocken läuten, leises Kichern kam aus dem Nebenraum, und man hörte, wie wohl ein Kind versuchte, durch das kleine Schlüsselloch zu linsen.

Das Christkind lächelte nur, huschte zu dem Weihnachtsbaum und breitete seinen Umhang am Boden aus. Dort, wo es sein schönes Gewand auseinanderfaltete, lagen plötzlich Pakete, schön verpackt, mit bunten Schleifen darauf.

Der Weihnachtsmann staunte über soviel Magie! Die junge Frau jedoch platzierte ihre Gaben sorgsam unter den Baum und richtete sich wieder auf.

„Dieses kleine Mädchen war wirklich sehr brav“, sagte der Weihnachtsmann, „ich habe schon im Kindergarten kurz mit ihm gesprochen, die Kleine hat sich sogar für ihr Nikolausgeschenk bedankt!“

„Ich weiß“, sagte das Christkind. „Die Familie feiert Weihnachten noch so, wie es sein sollte. Mit der wahren Erinnerung im Herzen, dass Jesus in dieser Zeit vor über 2000 Jahren geboren worden ist, und es nur deshalb Geschenke gibt, weil er sie den Kindern aus Liebe schenkt. Weil er mir den Auftrag gegeben hat, sie für ihn zu verteilen.

„Aber du musst zugeben, es ist eine richtig schöne Arbeit, oder?“, fragte der Weihnachtsmann.

„Oh ja!“, antwortete das Christkind freudig.

Sie blickten sich zufrieden an, der Weihnachtsmann hob noch eine kleine Kugel auf, die wohl heruntergefallen war, das Christkind streichelte dem dicken schwarzen Kater über den Kopf, der auf einer Decke auf der Fensterbank selig schlief, und nach nur einem Herzschlag waren beide verschwunden. Nur noch ein Glitzern am Boden und ein Flirren in der Luft verrieten, dass sie da gewesen waren. Unterdessen war der Kater erwacht, blinzelte schläfrig, nieste kurz, als ihm Sternenstaub in die Nase stieg, und schaute schließlich dem Schlitten nach, der mit leisem Klingen und Glitzern zum nächsten Haus flog, in dem ein liebes Kind auf eine Gabe wartete.

Tanja Bern wurde in Herten geboren und lebt heute mit ihrer Familie in Gelsenkirchen.

*

Weihnachtsbaum

Wäre ich ein Weihnachtsbaum,

das wäre wirklich toll.

Hinge mich, das könnt’ ich ja,

mit Paketen nur so voll:

Puppenkleid und Eisenbahn,

Bücher ohne Zahl,

auf fast jede Süßigkeit

fiele meine Wahl.

Fahrrad, Schuhe, viele Kleider,

ein Auto noch vielleicht,

damit wär’, ich sag es Euch,

ein Ende nicht erreicht.

Bräche ich dann

unter all der Last,

wüßte ich Bescheid:

Weihnacht soll ganz anders sein

als Puppe, Ball und Kleid –

möchte einfach schön da stehen,

zur Freude euch und Zier.

So soll es mir an Weihnacht gehen,

oh ja, das wünsch’ ich mir.

Gerhard Pleus lebt in Gnadersum, Ostfriesland, und hat einen ganz außergewöhnlichen Beruf: Er arbeitet als Clown und erfreut Kinder und Erwachsene mit seinem Programm. Mehr als 4800 Vorstellungen hat er schon gegeben. Außerdem betätigt sich der Vater von 7 Kindern auch als Autor.

*

Der kleine Engel Sebastian

Draußen war es ganz still. Nur der Mond schien auf den Schnee, der kurz zuvor noch in dicken Flocken vom Himmel gefallen war. Es war eisig kalt, so kalt, dass Sebastian fröstelte. Er drückte seine kleinen Flügel an sich. So war es ein klein wenig besser. Niemand konnte ihn sehen. Nur seine Füße hinterließen Abdrücke im frisch gefallenen Schnee. Was sollte er jetzt nur machen? Laut Aufgabenplan seiner Engelslehrerin war er eingeteilt, dem Weihnachtsmann beim Verteilen der Geschenke zu helfen. Doch stattdessen musste er sich ja von seiner Wolke lehnen, um zu sehen, was die kleine Lina auf der Erde gerade machte. Natürlich hatte er den Halt verloren und war direkt durch alle anderen Wolken hindurch zur Erde gefallen. Seine kleinen Flügel waren noch zu schwach zum Fliegen, und die Lehrerin hatte sich gerade um andere Engelskinder gekümmert. Sebastian war auf sich selbst wütend.

Wo sollte er jetzt hin? Hier draußen in der Kälte konnte er kaum bleiben. Es musste mindestens schon sieben oder acht Uhr Abends sein. In den Häusern brannten die Lichter. Sebastian spähte vorsichtig durch die Fenster auf die Menschen im Inneren. Wo konnte er hin? Da fiel ihm wieder Lina ein – sein Lieblingskind, das er so gerne von seiner Wolke aus beobachtete. Sollte er da mal vorbeischauen? Sie glaubte an Engel und schaute jeden Abend die Sterne am Himmel an. Ja, das war es. Endlich würde er Lina kennenlernen.

Wenige Minuten später hatte er ihr Zuhause gefunden. Er erinnerte sich genau, welches ihr Zimmer war. Da brannte tatsächlich noch ein kleines Nachtlicht. „Hoffentlich ist sie noch wach!“ Sebastian zitterte. Dieses Mal nicht vor Kälte, sondern vor Aufregung. Er hauchte an das beschlagene Fenster und rieb seine Nase daran. Lina lag im Bett und las. Sebastian gab sich einen Ruck und klopfte. Erst ganz leise, dann ein wenig kräftiger. Lina schaute von ihrem Buch auf und kam zum Fenster. Gut. Sie rief schon mal nicht nach ihrer Mama und ihrem Papa. Sebastian hatte vergessen, dass er ja auch nicht zu sehen war. „Lina“, rief er. „Ich bin ein Engelskind. Ich bin von meiner Wolke abgestürzt. Bitte lass mich reinkommen. Mir ist so kalt und ich bin so allein.“

Lina ging erschrocken einen Schritt zurück. Wer hatte da gesprochen?

Da fiel Sebastian wieder ein, dass er ja unsichtbar war. „Du kannst mich nicht sehen, Lina. Ich bin ein Engel. Bitte lass mich reinkommen, sonst erfriere ich hier draußen noch.“ Lina öffnete das Fenster einen Spalt. Sebastian schlüpfte in ihr warmes Zimmer. Das Mädchen schloss das Fenster und schaute mit offenem Mund auf den Fleck, wo Sebastian stand. Langsam breitete sich unter ihm eine Wasserpfütze aus, als der Schnee, der auf seinen Flügeln liegen geblieben war, schmolz.

„Du kannst mich hören, aber nicht sehen?“, fragte Sebastian.

Lina nickte. „Warum bist du auf der Erde, wenn du ein Engel bist?“

„Ich bin von meiner Wolke gefallen.“