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© 2020 Rüdiger Schneider

Coverfoto: shutterstock 197699549

ISBN: 9783752676617

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

Handlung und Personen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Wenn zu Anfang der Novelle steht, Personen und Handlung seien frei erfunden, so stimmt das nicht ganz. Natürlich ist der Autor nicht zugleich auch die handelnde Person in der Erzählung. Und auch die sonst auftauchenden Figuren stimmen nicht unbedingt überein mit der Realität. Ich habe mir lange einen Untertitel zu ‚Schrödingers Katze‘ überlegt. Mit zugegeben vielen Zweifeln. ‚Bekenntnisse eines wilden Herzens‘ schien mir dann doch noch am besten. Der Untertitel hätte auch lauten können: ‚Dichtung und Wahrheit‘. In der Tat: Manches ist erfunden, manches auch nicht. Aber solche Überlegungen müssen der Literatur völlig egal sein. Wer mich kennt, wird sagen: „Aha, so war es!“ Wer mich nicht kennt, möge einfach Freude haben an einer Erzählung, die man mit etwas Augenzwinkern und ‚cum grano salis‘ lesen möge.

September 2020

Brief des Josef Schrödinger an den Bonner Psychiater Dr. Eugen Mondmann, Koblenz, 15. August 2020

Sehr geehrter Herr Dr. Mondmann,

schade, schade, dass Sie in Ihrer Bonner Praxis als Psychiater keine Beratungen mehr unter vier Augen geben wollen, die Praxis also schließen. Aufgrund Ihres Alters von 74 Jahren kann ich diesen Schritt in den Ruhestand jedoch gut verstehen. Immerhin hatten Sie mir bei unserem Telefongespräch erlaubt, mich schriftlich zu meinem Problem zu äußern. Sie würden dann ebenfalls schriftlich Stellung dazu nehmen bzw. mir einen Rat geben. Zur Bedingung haben Sie dabei gemacht, dass ich mich möglichst ausführlich und offen äußern möge. Dies werde ich in den nächsten Tagen tun. Damit kein Wirrwarr entsteht, will ich versuchen, mein Problem zu strukturieren, d.h. ich werde, damit Sie sich ein klareres Bild machen können, es in Kapitel ordnen. Entweder chronologisch oder thematisch. Vielleicht läuft mir auch beides ineinander. Das weiß ich jetzt noch nicht. Auf jeden Fall danke ich Ihnen, dass ich wenigstens diese schriftliche Möglichkeit habe. Das Konvolut meiner Seiten werde ich Ihnen postalisch zuschicken. Doch zunächst erhalten Sie als Ankündigung diesen Brief von mir. Meinen Aufzeichnungen werde ich auch einen Titel geben. Dieser lautet ‚Schrödingers Katze‘. Was das ist und was es bedeutet, werde ich natürlich erklären. Ich hoffe, dass Sie mir, wie Sie es versprochen hatten, antworten werden.

Mit herzlichen Grüßen, Ihr Josef Schrödinger

Aufzeichnungen des Josef Schrödinger, verschickt an Dr. Mondmann, 30. August 2020

1

Zunächst wiederhole ich die Informationen, die ich bereits am Telefon gegeben habe. Mein Name ist Josef Schrödinger. Ich bin 63 Jahre alt, von Beruf Physiker bei einem namhaften Stromanbieter. Ich habe ein gesichertes Einkommen, bin unverheiratet, reiselustig und sportlich. Was den Sport betrifft, spiele ich Tennis in einer Koblenzer Seniorenmannschaft.

Jetzt aber zunächst zu dem Begriff ‚Schrödingers Katze‘. Die Katze ist ein Gedankenexperiment, ein Paradoxon aus der Quantenmechanik. Es stammt von dem Quantenphysiker Erwin Schrödinger, mit dem ich nicht verwandt bin. Unsere Namensgleichheit ist reiner Zufall. Laien erkläre ich dieses Paradoxon immer so:

„Ist die Katze da, sieht man sie nicht. Ist sie nicht da, sieht man sie.“

Ich weiß, das klingt sehr kompliziert. Aber als Physiker übertrage ich dieses Phänomen auf mein eigenes Dilemma, das mir Nacht für Nacht den Schlaf raubt. Ich liebe nämlich zwei sehr unterschiedliche Frauen in sehr unterschiedlicher Weise. Die eine heißt Kathia, ist 58 Jahre alt, von Beruf Ärztin. Die andere ist Anja. Sie ist 62 Jahre alt und Chefköchin in einem Gourmet-Restaurant. Die eine ist also um fünf Jahre jünger als ich, die andere nur ein Jahr. Aber für mich ist das Alter einer Frau ziemlich unwesentlich. Ich war mit 20 Jahren einmal für drei Wochen in Nepal und hatte mich dort in eine 92-Jährige verliebt, hatte die Erfahrung gemacht, dass eine Frau, je älter sie wird, auch umso schöner und attraktiver werden kann, was in diesem speziellen Fall an der Gebirgsluft des Himalaya liegen mag und überhaupt an dem Lebensumfeld dort. Der spirituelle Ausdruck der Gesichtsfalten hatte mich ungemein angezogen. Ich wollte diese Frau sogar mit nach Deutschland nehmen, aber ihre Familie hat gesagt: „Die Oma kommt uns nicht weg!“

Ach ja, was nicht unwichtig ist: Beide Frauen, ich meine jetzt Anja und Kathia, sind übrigens sehr schön und auf ihre eigene und unterschiedliche Art quirlig und lebendig. Anja wohnt wie ich in Koblenz. Kathia in Limburg, was etwas weiter weg ist. Anja kenne ich seit vier Jahren, Kathia seit fünf Monaten.

Was hat das nun mit Schrödingers Katze zu tun? Ich fühle mich einem Paradoxon ausgeliefert, einer Unberechenbarkeit, die mir über den Kopf steigt. Manchmal habe ich das Gefühl: Ist die eine bei mir, habe ich Sehnsucht nach der anderen. Ist die andere da, habe ich Sehnsucht nach der einen. Die Lösung wäre für mich, ich könnte mit beiden in einem Haus zusammenleben. Beide, was mein Wunsch wäre, würden sich dabei gut verstehen und es herrschte Harmonie und Frieden. Ist das eine Utopie? Raube ich der einen etwas, wenn ich auch die andere liebe? Hat die Liebe nicht die wunderbare Eigenschaft, dass sie teilbar ist?

Soviel, lieber Herr Dr. Mondmann, in diesem ersten Kapitel zur Einführung.

2

Was ich gestehen muss: Ich kann keine Nacht ohne Frau sein. Ich bin wie ein kleiner Junge, der seinen Teddybär braucht. Nur dann kann ich richtig schlummern. Ich muss, wenn man zu Bett geht - vorher aber auch schon – immer kuscheln, wenn ich das mal so umschreiben darf. Ein Freund hat mir geraten, den Frauen nichts zu erzählen, also heimlich ein Doppelverhältnis zu führen. Ich sollte Alibis erfinden wie z.B. Konferenzen in fernen Orten, vor allem aber mich als Feind von Handy oder Smartphone outen, damit man mich nicht anrufen kann. Das aber liegt mir nicht. Ich will nicht lügen, weil ich glaube, dass ich mir damit nur selber schade. Außerdem setzt mich so etwas unter Dauerstress, weil man immer damit rechnen muss, erwischt zu werden. Manchmal besuchen mich die Frauen, d.h. jeweils eine, in meiner Wohnung. Stellen Sie sich vor, Kathia ist z.B. bei mir, es ist Abend, es ist Licht in der Wohnung, Anja klingelt, benutzt dann den Schlüssel, den ich ihr ebenso wie Kathia gegeben habe. Was für eine Verlegenheit, was für eine Gefahr, was für ein Stress!

Ich habe so etwas schon einmal erlebt und will es nie wieder erleben. Das war vor zwei Jahren. Zunächst muss ich vorausschicken, dass Anja und ich so etwas wie eine On-Off-Beziehung hatten. Trennungen dauerten manchmal nur eine oder zwei Wochen. Dieses Mal, bei dem im Folgenden geschilderten Vorfall, war es aber ein halbes Jahr. Da ich ohne Frau nicht schlafen kann, ich würde verrückt oder depressiv werden, hatte ich bald das Glück mit Veronika eine hübsche Blondine aus dem Bergischen kennenzulernen. Aber Anja ging mir nicht aus dem Sinn.

An einem Samstagmorgen nun saß Veronika bei mir auf dem Sofa. Es klingelt. Ich denke: Da kommt der Postbote oder der Paketdienst. Aber nein. Da kam Anja die Treppe hoch. Ich habe mich riesig gefreut, sie in die Wohnung gelassen. Sie war sehr höflich und cool, hat Veronika nur „Guten Morgen“ gesagt und sich neben mich auf das Sofa gesetzt und hat mir sogar den Arm um die Schulter gelegt. Veronika ist da aufgesprungen, hat auf mich gezeigt und gefragt: „Haben Sie mit dem geschlafen?“ Die Antwort war: „Ja, es war sehr schön!“ Danach war in meinem Wohnzimmer die Hölle los. „Raus! Raus! Und noch mal raus!“ hat Veronika geschrien. Anja hat nur geantwortet: „Warum denn? Ich habe mich doch gerade erst gesetzt.“ Veronika wurde immer hysterischer und hörte nicht auf „Raus! Raus!“ zu schreien. Anja hat ihr schließlich den Vogel gezeigt und gesagt: „Na sowas! So oft bin ich noch nie rausgeworfen worden.“ Dann ist sie mit einem Lächeln gegangen.

Ich saß ganz verschüchtert auf dem Sofa und wusste gar nicht, was ich machen sollte. Kaum war Anja weg, da flog eine Vase mit Tulpen, die ich mir gerade erst gekauft hatte, an die Wand, zerplatzte, hinterließ einen garstigen Fleck auf der Tapete. Die armen Blumen, die nichts dafürkonnten, lagen auf dem Teppich. „Auweia, auweia!“ hab‘ ich gedacht. Da war nämlich noch eine Kaffeekanne auf dem Tisch. Die kriegst du auf den Kopf gehauen, war mein erster Gedanke. Ich bin aufgesprungen, in den Flur geeilt, habe an der Garderobe mein Jackett gegriffen, in dem Gott sei Dank meine wichtigsten Papiere und der Wohnungs- und Autoschlüssel waren, bin raus aus meiner eigenen Wohnung, dann die Treppe mehr hinab gesprungen als gelaufen, habe noch, als ich aus der Haustür war, nach oben zu meinem Balkon geguckt, ob mir vielleicht etwas Schweres auf den Kopf fallen würde. Aber ich habe heil mein Auto erreicht, bin losgefahren. Wohin? Natürlich zu Anja, weil, wie ich ja gesagt habe, keine Nacht ohne Frau schlafen kann. Sie war inzwischen wieder zu Hause, hatte eine Flasche Wodka geöffnet, an deren Leerung ich mich beteiligt habe. So hatte ich doch noch einen netten Tag und auch noch etwas mehr. Als ich dann am Sonntagmorgen wieder in meine Wohnung kam, sah mein Wohnzimmer, auweia, auweia, schlimm aus. Die Kaffeekanne lag da, wo sie nicht hingehört, nämlich zertrümmert auf dem Boden. Ein ähnliches Schicksal hatten das Milchkännchen, die Kaffeetassen und die Zuckerdose. Gott sei Dank war mein Aquarium, das 250 Liter fasst, noch heile. Sonst hätte es wirklich eine Katastrophe gegeben. Mein Aquarium ist mit Meerwasser. Ich halte darin einen ganzen Schwarm Korallenfische. Die hätten das nicht überlebt und das Wasser hätte die Wohnung überflutet.

Entschuldigung, ich schweife ab. Ich schildere diesen Vorgang nur, weil ich da einen Schock bekommen und mir geschworen hatte: Nie wieder solch ein Zusammentreffen zweier Frauen! Ich habe Anja Treue geschworen und wollte mich auch unbedingt daran halten. Gewiss nicht nur, wie Sie vielleicht denken, weil es täglich ein ausgezeichnetes Essen gab. Nein, nein, so war das nicht. Ich begann ruhig und behaglich zu leben. Und was passiert jetzt? Schon wieder droht Gefahr.

3

Nun muss ich erzählen, wie ich in mein neues Dilemma geraten bin. Im März dieses Jahres hatte ich nach einem Tennismatch heftige Rückenschmerzen und habe von einem Mannschaftskameraden den Tipp bekommen: „Fahre nach Limburg. Dort gibt es eine Ärztin. Die macht nach chinesischer Art Akupunktur. Hilft dir bestimmt.“

Ja, das habe ich gemacht. Und was passiert? Ich treffe auf eine Frau, die charmant und wunderschön ist, und da wegen Corona Maskenpflicht ist, sehr geheimnisvoll wirkt. Sie trug aber keine gewöhnliche Maske, sondern so etwas wie ein indisches Sarituch, das sie nicht nur um Mund und Nase, sondern auch um die Haare gebunden hatte. Ein wunderschöner türkisfarbener Schmuck lag wie ein Reif um die Stirn und hielt das Tuch. Grünblaue, helle Augen musterten mich freundlich. Was ich im ersten Moment von dem Gesicht sah, wirkte nun keineswegs indisch, und wie sie mir später sagte, ist sie genauso deutsch wie ich auch. Die Maskenpflicht hatte sie nur zum Anlass genommen, sich orientalisch zu schmücken und so dem dummen, normalen Maskengebot zu entkommen.

Als ich mich bäuchlings auf der Liege hinstrecke und sie mir die ersten Nadeln in den Rücken setzt, zack, da habe ich mich unsterblich verliebt.

Sie werden erstaunt fragen: „Wie? So schnell geht das?“ Und ich antworte Ihnen: „Ja, so schnell kann das gehen. Das ist der Blitz der Intuition.“

Nach der dritten Behandlung habe ich sie zu einem Kaffee eingeladen. Sie hat „Ja“ gesagt und dann ging es auf einmal immer weiter. Bis… Na eben! Genau so. Da war ich mit Anja wieder in der Off-Phase.