Mein Dank geht an Peter Windsheimer für das Design des
Titelbildes.

Für Schäden, die durch falsches Herangehen an die Übungen an Körper, Seele und Geist entstehen könnten, übernehmen Verlag und Autor keine Haftung.

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Waltrop • Germany

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt.

ISBN: 9783748186717

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Inhaltsangabe:

  1. Zeichen im Sand
  2. Me Hoa
  3. Blutgebetet
  4. Tin-Tin
  5. Die Schlange
  6. Die Messe der Fürstin Borgia
  7. Der Teufelsanbeter
  8. Mutter der Schlangen
  9. Magie der Metalle
  10. Neue Verehrungsformen
  11. Über die supernormalen Phänomene der Levitation
  12. Streiflichter auf japanischen Kultus und japanische Kultur
  13. Karmaforschung
  14. Die Nonne
  15. Lord Byrons „Manfred“
  16. Unbekanntes aus Goethes „Faust“

Vorwort:

Da Anion immer wieder sagte, dass manchmal okkulte Geschichten am besten irgendwelche hermetischen Probleme beleuchten, haben wir uns entschlossen, eine wirklich gute Sammlung von okkulten Geschichten und wirklich interessanten und wahren Berichten zu veröffentlichen. Vorab muss ich noch sagen, dass es leider nur sehr wenig okkulte Literatur gibt, die aussagekräftig wäre. Manch ein Buch wird zur Zeit publiziert. Aber unsere kleinen Romane, Kurzgeschichten und Tatsachenberichte würden leider untergehen, da sie großteils unbekannt sind. Sie wurden in den frühen 20igern in okkulten Zeitschriften wie „Psyche“, „Zentralblatt für Okkultismus“, „Prana“, „Weiße Fahne“ und anderen veröffentlicht und wer kann heutzutage schon behaupten, er hat sich da durchgelesen. Wohl die Wenigsten. Aus diesem Grund veröffentlichen wir alle die Geschichten, die gut, sinnreich und die wir gefunden haben. Ich hoffe, unser Leser ist mit dem 14. Band dieser Reihe der Literatur zufrieden.

1. Zeichen im Sand
A. Karyln

Rotgoldiges Laub auf bläulichschattigem Gestein; heulender Sturm bei tiefblauem Himmel; Lichtorgien auf gelben Palast- und grünen Tempeldächern und dabei fröstelnde Kälte; Kleinkrämerei und übernüchterner Geschäftssinn und dahinter, verborgen, das Geheimnisvolle: Die Welt der Fuchsfeen, der Vampire, der Geister.

Grelle Lichter, drohende Schatten; erschlaffende Sommer, eisige Winter mit wirbelnden Sandstürmen und der Küste entlang Erdbeben, Überschwemmungen, Taifune; großer Schmutz und wunderbare Kunst – nichts Fahles, nichts Tonloses; ein Land strahlender Höhen, finsterer Abgründe. Ein Land, das erschauern und träumen macht. . .

Das ist China.

Fung Yü lag im deutschen Lazarett. Alles um ihn her war ihm fremd. Die nüchternen weißen Betten, die kahlen weißen Wände, die fremden weißen Gesichter – das bärtige des Arztes, das gesundheitsrote Schwester Helenes – und sein Magen litt Heimweh nach chinesischen Leckerbissen. Klingelte es daheim, so umringten ihn Diener und Taitais; hier neigte sich nur die Schwester über ihn und bedeutete ihm still zu liegen.

Draußen im Gelände spielten die Kinder der Ausländer und ihre Stimmen dünkten ihn anders als die der Kleinen seiner Rasse.

Er wollte heim – heim in das große Haus, in dem er König war und frei befehlen durfte; heim zu all dem, was für ihn den Begriff „Sein“ umfasste. Er rührte sich; ein stechender Schmerz ging durch ihn und erbleichend lag er bewegungslos; vergaß sein Sehnen.

Fast hatte er ihn vergessen – den Schnitt nach der Blinddarmentzündung. Es war ans Sterben gegangen und sterben wollte er nicht. Welcher König gibt freiwillig seinen Thron auf? Und in seinem Heim war er König . . .

So lag er und beobachtete missmutig das Tänzeln der Akazienblätter oder verfolgte das allmähliche Erbraunen des Laubwerks auf der Mauer; manchmal beklügelte er die Eigenart der Weißen, wunderte sich, dass der greise Arzt keinen Unterschied machte zwischen Reichen und Armen; hier nützte ihm sein Geld ebenso wenig wie bei Dung Yü Da Di, dem Gott über alle Erde; es half ihm weniger, wie er oft ärgerlich dachte. Dazwischen überlegte er, wann er etwa wieder genug wohl sein würde, um Fischsuppe essen zu dürfen; dicke gewürzte Fischsuppe mit einer Trepangunterlage und einem Nachstrom von heißem Reiswein. Dahinter stiegen andere Bilder auf – von seinen Frauen, von der I Taitai – doch da seufzte er. Der Schnitt, der leidige Schnitt! Wenn der wenigstens im Nacken säße wie bei den großen Schmutzbeulen, die der Sandsturm anwehte. Pech . . . Pech . . . Immer kam der Arzt und immer kamen seine Helfer. Die Wunde war rein, die Stiche entfernt.

Fung Yü atmete auf.

Nun ging es wieder ans Leben.

Am folgenden Tage aber war der Puls auf 24 und das Gesicht wächsern; die Ärzte neigten sich über ihn und flößten ihm Sekt ein; gaben endlich Kampfereinspritzungen. Das Lebensfünkchen glimmte schwach, schwächer . . .

Und niemand ahnte warum. Noch war die Wunde rein und alles scheinbar in bester Ordnung.

Solange er zu sprechen vermocht hatte, waren die Reden irr gewesen und immer hatte er, sich scheu zusammendrückend, gerufen: „Der Befehlshaber ist streng, er ist sehr streng. Ich muss, ich muss . . .“

„Es gibt ja keinen Befehlshaber,“ riefen die versammelten Verwandten und schüttelten ihn sachte, wie um ihn zu wecken.

„Ich bin Honanese, was wisset ihr?“, sagte er mit hohler Stimme auf jede derartige Behauptung, „und ich muss gehorchen.“ Dann – „er ist streng, der Befehlshaber,“ und das Gesicht in die Kissen drückend, „ich muss, ich muss . . .“

So schlichen die Stunden von vier Uhr nachmittags bis elf Uhr nachts. Der Schweiß stand in Tropfen auf der Stirne des Sterbenden und die Zähne waren geschlossen. Man konnte nichts durchgießen. Wieder versuchten die Ärzte eine Kampfereinspritzung. Sie standen vor einem Rätsel. Sie hatten die Wunde geöffnet, um zu sehen, ob sich irgendetwas darunter verändert hatte, doch alles war rein und im besten Gang gewesen. Kaum Fieber. Und dennoch starb der Kranke. Er starb lange nach der Operation an irgendetwas Geheimnisvollem.

„Ich bin Honanese,“ hatte er gemurmelt so lange er zu sprechen vermocht und von Zeit zu Zeit war wieder das entsetzte „Ich muss ja, ich muss ja!“, hervorgebrochen wie der Schrei eines gefolterten.

„Fieber,“ meinten die deutschen Ärzte und schüttelten den Kopf, maßen den Puls, wussten nicht, wie das so gekommen.

Die Verwandten schlichen zum größten Teil davon, um den schönen schon gewählten Catalpasarg heimschaffen zu lassen und die I Taitai, die erste Nebenfrau und gleichzeitig der Liebling des Sterbenden, neigte sich nochmals über ihn, warf sodann das Seidentuch über das Gesicht und eilte schleunigst hinweg. Sie wollte, sie musste ihn retten.

Vier Uhr morgens.

Der letzte Verwandte trat an den Lazarettarzt heran und flüsterte – „Geht es hoffnungslos zu Ende?“

Der gute alte Herr, der allen Kranken Vater war, nickte traurig. Drei Kampfereinspritzungen – die letzte vor einer halben Stunde – waren gegeben worden und der Puls kaum fühlbar. Was immer über den armen Fung Yü gekommen, niemand konnte ihm helfen.

„Darf ich ihn heimnehmen?“ Und der Verwandte gedachte der chinesischen Sitte, derzufolge ein Kranker im eigenen Heim sterben müsse, um Ruhe zu finden im Jenseits, um die Geister zu versöhnen und um all die Feierlichkeiten zu genießen, die ihm zukamen. Als Leiche durfte er nicht heimgeschafft werden, das war unglückbringend und das erlaubten überdies die fremden Ärzte nicht.

„Als Arzt muss ich es verbieten – er ist sterbend,“ flüsterte der Lazarettarzt zurück, „als Mensch aber muss ich Ihnen ehrlich sagen: Wenn er daheim sterben muss, so nehmen Sie ihn schnell!“ Laut und eindringlich erscholl gleich darauf die Klingel; der Wagen fuhr vor; die Träger hoben den Bewusstlosen auf das Lager und fort gings durch die nun stillen Straßen des schlafenden Pekings. Drinnen starb Fung Yü mehr und mehr mit jedem Kreisen der Räder . . .

Seltsam ist Peking zur Nacht.

Dickfellige, durch Schläge stumpfsinnig gewordene Hunde, liegen über den Weg wie etwas Verstoßenes – wie abgeworfene Sünde; sie bellen nicht, ziehen sich nur scheu zusammen. In Mauerwinkeln stöhnt irgendein Bettler, zieht alte Hadern über blutklebrige, wundenbedeckte Beine; ein Dieb betastet in der Finsternis seine Beute, setzt den Preis für den Diebsmarkt unweit des Himmelstempels fest; geisterhaft still rollt eine Rikscha vorüber, verschwindet in der Krümmung der Straßen . . .

Es gibt Tempel in China, die nur den ganz Eingeweihten bekannt sind und die keinem Weißen verraten werden – abgelegene Tempel, die man nur durch verborgene Höfe und stille Durchgehhäuser erreicht, dort wo der Staub in angeblasenen Dünen gegen die zerfallenen Außenmauern liegt. Alle drei Hauptreligionen Chinas verschmelzen hier zu einem einzigen Dinge, das sich nur mit dem Zukunftsleben der Menschen beschäftigt. Mönche in oft geflickten Kutten drehen Sandelholzkränze zwischen den Fingern und hier hausen jene alten Priester, die zu lesen verstehen, was anderen verborgen.

Zu solch einem Tempel eilte die herzwunde I Taitai. Die Lampe aus alter Bronze, mit Sesamöl gefüllt, warf einen safranartigen Schein auf den gelblichen Sand, der die Tischplatte deckte. Die Drachenschnitzerei der Decke, die uralten tibetanischen Bilder von seltsamen Göttern, auf Seide gemalt, blieben fast unsichtbar und einzig das scharflinige Gesicht des Mönchs, der sich verbeugte und die Blicke wie festgebannt in den Sand vor sich bohrte, war klar erkenntlich. Zwei Knaben mit stumpfem Gesichtsausdruck und seltsam gläsernen Blicken hielten eine dünne Stange aus Bambus, von der ein feines Stäbchen abstand; ein Pinsel hing lose daran wie ein abgebrochener Finger . . .

Auch hier Stille, unheimliche, lähmende Stille.

Im Hintergrund, eins mit den zuckenden Schatten, stand die I Taitai Fung Yüs. Zwei männliche Verwandte lehnten gegen den Pfeiler, auf dem die geschnitzten achthundert Lohan wie in dunkelbraunen Wolken auf- und niederstiegen. Der schwere Duft östlichen Weihrauchs zog sich langsam durch den Raum, zitterte, bläuliche Nebel formend, über den Tisch mit dem Sande . . .

Unbeweglich standen die beiden Jungen mit den versteinerten Gesichtern und den krustenbedeckten Armen, den von Ringwürmern vernichteten Haarstellen; plötzlich bewegten sich die beiden haltenden Finger – das Stäbchen tanzte hin und her, erst langsam, dann schneller, in kurzen, irren Bewegungen; der Pinsel, von unsichtbarer Hand getrieben, schrieb uralte, schwer entzifferbare Zeichen.

In diesen halbvergessenen Tempeln, an denen die Fremden mit ihrem Unglauben und die Zeit mit ihren Neuerungen spurlos vorbeihuscht, kann man mit ihm sprechen, der Macht hat über die achtzehn (18) Höllen und der die Herzen der Menschen kennt. Er ist der Herrscher über die Erde, er steht unter Tien, dem Himmel, der alles umfasst. Unter ihm sind andere und wieder andere und sie alle leiten, regieren. Er hält vor seinem Throne den Spiegel, in dem sich jede körperbefreite Seele so sieht, wie sie wirklich ist und über sich selbst die Strafe spricht aus dem klaren Ersehen der eigenen Schuld heraus.

Er, der drüben Ämter zuweist, spricht hier, schreibt mit dem Geisterpinsel uralte Zeichen im gelben Sand . . .

Der Pinsel, der so lose von der Querstange hing, tanzte, tanzte; über dem weiten dämmrigen Raum brütete Schweigen.

„Was sagt er?“, flüsterte die I Taitai und löste sich aus dem Schatten, als der Pinsel stille stand und die Jungen förmlich erstarrten vor ihren Augen. Der lesende Mönch antwortete langsam ohne die Augen von der feinen Sandschicht zu heben.

„Fung Yü war Honanese . . . das war im vorigen Leben, lange zurück. Richter war er für einen großen Kreis, von Tien dem Himmel und von den Großen dieser Erde auserlesen Recht zu sprechen, gerecht zu sein gegen alle. Eines Tages brachte man fünfundfünfzig meuternde Soldaten, die sich vom Heer losgetrennt hatten und Räuber geworden waren. Der Befehlshaber der Stadt war streng – die Strafe musste schwer sein. Er verurteilte die Männer . . .“

Wieder lag die Stille fürchterlich, lähmend auf den Hörern.

Nach einigen Augenblicken summte die Stimme weiter wie eine müde Fliege vor Sonnenuntergang – matt, gebrochen – „Er verurteilte sie zum Tode – das musste er, denn der Befehlshaber war streng – die Köpfe fielen – einer nach dem anderen – ach ja – einer nach dem anderen – der Sand wurde rot im Kreise – die Geier kamen – .“

„Was – dann?“, flüsterte die I Taitai mit schreckgeweiteten Augen. Was forderten die Geister, die kein Begräbnis gekannt hatten?“

„Ja – damals – in Honan. Der Befehlshaber war streng; die Räuber starben. Das war gerecht. Aber – ,“ der Mönch neigte sich tiefer über die Zeichen, „Fung Yü nahm die Beute!“

Die Stimme des Lesenden schwoll zu stärkerer Kraft. Im innersten Innern der finsteren Hallen fand sie ein sachtes, verronnenes Echo.

„Nun warten diese Räuber, dessen Beute er vergeudet, auf seine Seele. Sie umstehen sein Lager und erwarten seinen Geist . . .“

Die I Taitai stöhnte auf.

„Gib´ ihnen Opfergeld, versprich ihnen Gold- und Silbertaels und Opferspeisen; hier ist jemand, der geben möchte, geben, geben . . .,“ und ihre Hände schienen das eigene Herz zu fassen und hinzuhalten den unsichtbaren Göttern, dem strengen Dung Yü Da Di, dem Herrn über die Erde und seinen zehn Statthaltern im Reiche der Geister.

Neuerdings tanzte der Pinsel, schwankten die Arme der Kinder wie Binsen im Wind.

„Sie nehmen dein Geld,“ las der Mönch.

„Darf er – leben?“

„Die Fünfundfünfzig wollen warten, sechs weitere Jahre warten; das ist ihre äußerste Frist, doch – ,“ er schwieg und nochmals tanzte der Pinsel in langen ungeduldigen Windungen, schrieb Zeichen bei flackerndem Licht, die schon zur Zeit von Kung Fu Tse veraltet und schwer leserlich gewesen waren; Zeichen aus der unerforschten Kindheit Chinas . . .

„Es stehen noch drei an dem Bette des Sterbenden; es geht nicht . . .“

„Wer sind sie?“

Heiser klang die Stimme der armen I Taitai, die den Hinscheidenden liebte; die nach seinem Tode auch obdachlos wurde wie der Elendsten eine – sie, die ja nur Nebenfrau und gekauftes Gut war wie Tische, Stühle, Tassen.

„Dein Honanese hatte drei Freunde – Brüder waren es durch das Blut, das sie im Schwur getrunken; eh, Brüder waren sie – o Weib, und liebten die gleiche Frau, die schön war wie die Frau im Monde. Er wollte sie haben; jemand klagte die drei Freunde unschuldig an – man fand Zeugen; wer Übles will, findet sie wie der, der Gerechtigkeit angedeihen lässt im Namen Tiens . . . die drei Freunde mussten sterben. Auch ihr Blut schoss wolkenwärts und färbte den Sand von Honan und die Geier kamen. Diese drei Feinde aber nehmen kein Geld; sie umstehen sein Lager und zerren an dem sich lösenden Geiste . . .“

Die I Taitai schrie auf.

„Sie dürfen ihn nicht haben! Frage sie, ob sie Opfergesänge wollen oder Gaben . . .“

„Sie nehmen kein Geld,“ schrieb der Pinsel und wieder kroch das Schweigen durch den Raum wie etwas Finsteres, Unheilschwangeres; legte sich bleischwer auf die Gemüter. Die Männer pressten sich gegen die geschnitzten Säulen, fühlten die Drachenformen hart gegen den schweißnassen Rücken.

„So nimm mein Leben, o Unsichtbarer,“ rief die I Taitai und streckte die Hände aus in einer Gebärde vollständiger Hingabe; senkte das Haupt als erwartete sie den Schlag.

Stille.

Der Mönch verblieb vornübergebeugt, der Weihrauch zog in trägen blaugrauen Dünsten an den roten Säulen vorbei in das drohende Schattengebausch des Hintergrundes.

Noch einmal tanzte der Pinsel.

„Willst du zwölf Jahre des eigenen Lebens aufopfern, Weib, um des schuldigen Mannes aus Honan willen?“, fragte der Priester und die beiden Lauscher an der Säule erbebten. Wer wusste, ob diese zwölf Jahre nicht alles waren, was ihr selbst von den Göttern als Lebensfrist zuerkannt worden? Stumm, scheu drückten sich beide Gestalten fester an die schützende Säule.

Nur die I Taitai löste sich von der Wand ab und trat mutig in den Lichtkreis; streckte die Hand aus und sagte mit vollkommen ruhiger Stimme: „Nimm sie und lass´ ihn leben.O Dung Yü Da Dil!“

Der Pinsel stand still.

Im Hofe Fung Yüs brannte man in großen irdenen Gefäßen das Gold- und Silbergeld, aus Papier nachgeahmt, für die Geister der unersättlichen Fünfundfünzig. Mochten sie reich werden drüben in der Ewigkeit und auf den irrenden Honanesen verzichten . . .

Vor den innersten Gemächern war der Hof voll verhüllter Gestalten: Die harrende Totenmusik mit Trommeln und Pfeifen und schrillen Klapperhölzern; Lamapriester drückten sich in die Winkel, murmelten Gebete, drehten die Rosenkränze aus Sandelholz zwischen gelbbraunen ungewaschenen Fingern; in einem Nebenraum stand der Catalpasarg schon fix und fertig mit Seidendeckchen und Einlagen und das schwerseidene Totenhemd lag auf einer Stuhllehne.

Über das unebene Pflaster stolperte trotz aller Vorsicht recht schwerfällig der Krankenwagen: Dumpf, schwer. Den Lauschern erklang´s wie das Anschlagen einer Totentrommel; die Lamapriester scharten sich zusammen, die Verwandten erfüllten den weiten Torbogen.

„Ist er tot?“, fragte der erste der Verwandten ängstlich die beiden Mitgekommenen.

„Ich glaube,“ flüsterten diese scheu. „Er war sterbend als wir ihn hineinbetteten.“

„Wenn nur ein Fünkchen Lebensgeist noch in ihm glüht . . .,“ und sie beeilten sich ihn schnell in die inneren Gemächer zu schaffen. Selbst wenn es keine irdische Rettung gab, war doch die Zukunft gerettet.

„Eine Leiche ins Haus bringt Unglück!“, warnte ein jüngerer Mann.

„Lässt ihn holen damit – wir sehen!“

Sie näherten sich dem Wagen, öffneten die Türe; die männlichen Verwandten drängten sich heran, sprachen durcheinander; die Diener schoben sich näher.

„Lao ye, Lao ye . . .!“

Nur die eben heimgekehrte I Taitai stand, vergessen und unbeachtet in einer Torecke. Sie drängte sich nicht vor, sie rief nicht; sie wusste, dass er lebte . . .

Um ihre Lippen spielte ein feines, ein wunderbar warmes Lächeln. Sie hatte sein Leben dem Gotte abgekauft.

Auf dem harten chinesischen Bett, das in Wirklichkeit nur ein einfaches Brettergefüge ist, lag Fung Yü. Die Augen waren geschlossen, die Farbe wächsern; zugekniffen der Mund. Die Verwandten umstanden das Lager, tauschten unverhohlen ihre Meinungen aus.

Da schlug er die Augen auf – weit.

„Geht es mir denn schlechter; so schlecht, dass man mich heimgeschafft?“, fragte er verwundert und ein wenig bestürzt.

„Eh, Lao ye, so war´s, doch nun scheint es mir anders,“ entgegnete der nächste Anverwandte ganz verblüfft.

Fung Yü fand sich schnell in den Wechsel. Hier war er König.

„Ihr könnt gehen!“, erklärte er kurz. „Wo ist die I Taitai?“

Das Zimmer leerte sich, die junge Frau neigte sich demütig über das Lager, das selige Lächeln noch auf den Lippen.

„Mir ist besser!“, erklärte er energisch mit lauter, kräftiger Stimme. „I Taitai, in den nächsten Tagen will ich Fischsuppe haben, aber gute, fette, mit Trepang und einem Nachschluck von Reiswein . . .“

„Wenn das Weißgesicht es für ratsam finden wird . . .,“ wand sie schüchtern ein.

„Das Weißgesicht kann mich . . .“

„Mit der Fischsuppe hat es noch Zeit,“ rief von der Türe her der Verwandte, der ihn aus dem Lazarett geholt hatte, trocken, denn er verstand etwas von Medizin und viel vom Eigensinn seines reichen Vetters und schloss die Türe.

„Die Fischsuppe kann warten,“ räumte Fung Yü gnädig ein, „aber die I Taitai bleibt bei mir!“ Und etwas in seinen Blicken schien ihr zu sagen, dass er eine Ahnung hatte von ihrem Vertrage mit Dung Yü Da Di, dem Herrscher aller Lebenden, dem Richter über die Toten.

Sie neigte sich indessen nur ganz sachte über ihn und lächelte ihn an. Da schloss er befriedigt die Augen und schlief der Gesundheit entgegen.

2. Me Hoa
A. Karlin

Graue, sich windende Mauern und dazwischen grellrote Tore und glänzende Messingknöpfe; hie und da ein flüchtiger Ausblick in Gärten voll Hahnenkämme und Geranien; einige Diener in langem Ischang oder eine Ama in Hosen daherhumpelnd, steif und menschengleich wie eine aufgezogene Jahrmarktspuppe.

Keine Hoffnung!

Weiter.

Die Riksha schwankte trunken über die Unebenheiten der Straße. Bettler liefen hinterher, schmutzklebend, zerfetzt, ihr Betteln in heiserem Falsetto nachheulend. An dem Wegrand suchten Männer unter neidischem Gekrächze in den Abfallskörben. Durch das Osttor der Tartarenstadt zogen die Kamele mit unerschütterlicher Ruhe; Karawanengeruch haftete ihnen an. Von den Säcken fiel in feinen Wolken Staub der Wüste.

Obsthändler mit Waren auf fässerartigen Körben; Nudelbuden, Wanderschuhflicker, der Barbier mit rotem Kasten und Eisenzange, die angeschlagen wird; Aale in tiefen Holzschüsseln, Besenteile, alte Bilder, Seidenreste auf flachem Brett auf dem Erdboden; Hagebutten in Gläsern, mit rötlichem Eiswasser übergossen; heiße Süßkartoffeln auf Sieben; ein Kuriohändler mit Ketten, Vasen, Lackschachteln, Glücksgöttern, falschen Türkisen, Sandalholzkugeln . . .

Immer das alte Pekinger Bild: Diese krummen Buden, diese zerlumpten Tücher, diese halbnackten Leiber, knoblauch- und schweißriechend, diese wirren Mähnen oder langen Zöpfe, diese brüllenden Jungen und ewig schnuppernden Hunde – das war der Weihrauch östlicher Romantik, der die Stadt wie eine Aura umgab.

Die Rikscha hielt vor einem offenen Tore, an dessen Innenwänden alte Ritter mit langen Barten gemalt waren; der Diener im blauen Ischang erhob sich und schritt mir voran.

Ein alter Herr kam mir entgegen, ein kurzes schwarzes Seidenröckchen über dem langen talarartigen Ischang, die Hände über der Brust gekreuzt, ein kleines Käppchen auf dem Scheitel, und verbeugte sich in der zeremoniellen, etwas ablehnenden Weise des Ostens, ohne die Hände zu rühren.

„Bedaure sehr! Das große Haus ist schon vermietet und die Gebäude des Innenhofes sind zu sehr im Verfall. Das ist ein uraltes Grundstück und wird bald ganz unbewohnbar werden. Staub, den die Zeit nicht aufgewühlt hat, ja, ja. Es tut mir leid, dass Sie sich vergeblich bemüht haben.“

Sollte ich neuerdings umkehren? Die Wohnungssuche wieder beginnen? In ein Hotel ziehen, wo man sich abends umkleiden muss und zu bestimmter Stunde wie im Zoo gefüttert wird? Nur das nicht! Ich bat den zurückhaltenden alten Herrn, trotz seiner fernöstlichen Gelassenheit, mir die genannten zerfallenen Bauten zu zeigen – was brauchte ich denn? Ein Zimmer für Bett, Tisch und Stuhl und einen Raum, wo ich etwas kochen konnte. Eine Junggesellenbude, weniger als das: Einen Unterschlupf, bis meine Studien beendet waren.

Nur Einsamkeit!

Kopfschüttelnd führte mich der greise Chinese selbst. Ich betrachtete verstohlen seine endlosen Fingernägel, die sich gelb von dem Schwarz der Seide abhoben, und fühlte die Ruhe seines Wesens, betont durch das sachte Schlürfen der Seidenpantoffel. Er wirkte wie eine plötzlich zum Leben erwachte Malerei aus vergangenen Zeiten.

Durch ein Tor mit glänzend grünen Dachziegeln kamen wir in einen sonnigen Innenhof. Die Gebäude im Umkreis zeigten Sprünge, eine Mauer im Westen hatte schon nachgegeben, die Räume waren verwahrlost; auf dem Boden lag dicker Staub, die Fenster waren verklebt.

„Nun haben Sie sich selbst überzeugt, dass niemand hier wohnen kann“, meinte mein Begleiter, und in den Mundwinkeln lag, bei aller Höflichkeit, etwas wie ein Lächeln. Gewiss hatte er Erfahrungen mit Europäern gemacht und wusste, dass wir ungläubige Thomase waren, die immer betasten mussten, ehe sie glaubten . . .

Diese Stille, dieses warme goldene Herbstlicht auf altem Gemäuer begeisterten mich. Gab es denn keinen Raum, keinen? Ich kroch über einen Teil der gestürzten Mauer hinweg, nicht, weil ich etwas zu finden hoffte, sondern weil das Grün dahinter lockte und es mir schwer wurde, zu gehen. Es gibt Orte, die uns an etwas erinnern, dem wir weder Ausdruck noch Form zu geben imstande sind, etwas, an dem das Herz hängt oder hing, denn ein unerklärliches Weh durchfährt uns. Wie in der Sucht, die Brücke zu überspannen zu jenem Land der Nebelerinnerung, halten wir inne und suchen, zwecklos genug, im Greifbaren um uns. Ich wollte den Augenblick halten, der so wundersam wohl und weh tat.

Jenseits dieser zerfallenen Bauten war wieder ein Hof mit alten, krummen Bäumen und hohem Gras. Wilde Datteln glänzten braunrot aus dem Blattwerk, und im Vordergrund stand ein duftender Ilang-Ilang.

„Dort drüben ist ja noch ein Haus!“, rief ich überrascht.

Der alte Herr verschränkte die Arme stärker; sein Gesicht wurde merkwürdig abweisend. Kurz erwiderte er: „Jenes Haus ist ebenfalls im Verfallen“, und als ich darauf zusteuern wollte, fügte er geradezu scharf hinzu: „Dort können Sie nicht wohnen!“

„Warum nicht?“

„Weil – es im Zerfallen und gefährlich ist.“

Ich hatte das Empfinden, als ob er etwas anderes zu sagen beabsichtigt hatte, und trotz seines Zurufs kroch ich über die letzten losen Ziegel hinweg, lief über den weiten Hof, der einem verwilderten Märchengarten glich, und stieß die Türe auf.

Die Wände waren noch ganz gut erhalten, und zu meiner Überraschung war das zweite der Zimmer nicht leer. An der Wand hing eine verblasste Malerei, einen Phönix, auf einem Bein stehend, zeigend, und daneben hing aus grünen Neophrit eine kleine Mundorgel mit vielen kleinen Röhrchen. Auf dem Tisch aber stand eine Vase von wunderbarer Schönheit – ein Lang-Yao von leuchtendster Blutfarbe –, und das hereinbrechende Sonnenlicht ließ mich glauben, es stiege frisches Menschenblut darin langsam auf und ab. Ganz in der Ecke stand ein reich geschnitztes Bett aus Ebenholz.

„Das Haus ist ja eingerichtet“, sagte ich verwundert zu meinem Gefährten, der mir missbilligend gefolgt war. Er schüttelte das Haupt und trat, fast eilig, hinaus in den Hof, sprach mit mir nur durch das Fenster.

„Hier können Sie unmöglich wohnen“, wiederholte er mit der Ruhe des Asiaten, der Tatsachen hinnimmt und sie nicht in Frage zieht. Seine Weigerung war eine vergebliche. In einem Augenblick hatte ich mich entschieden, dazubleiben. Die Ruhe, der stille, verwilderte Garten, das alte Bild, die blutkochende Vase . . .

Ich reichte dem Herrn das Geld durch das Fenster; Geld wirkt im Osten, und was ich bot, war mehr, als er je erwarten durfte. Dennoch wies er die Scheine mit seiner langbenägelten Hand heftig zurück.

„Sie können nicht . . .,“ begann er, aber ich unterbrach ihn ungeduldig, indem ich zu ihm ins Freie trat: „Warum nicht? Warum dürfte ich hier nicht wohnen? Ich störe Sie nicht. Das Haus steht unbenutzt. Sie vermieten ja den ersten Hof ohne Zögern, hätten auch den zweiten vermietet, wenn die Gebäude nicht schon baufällig geworden wären. Dieses Haus . . .“

Er wehrte ab.

„Wenn ich nicht den wahren Grund höre . . .“

„Ich sage es zu Ihrem Vorteil“, begann der Chinese langsam. „Ich wage es um Ihretwillen nicht. Das Haus steht seit vielen, vielen Jahren unbewohnt; oh, seit meiner eigenen Kindheit. Man behauptet, dass es . . . ungesund ist; dass da stirbt, wer einzieht. Häuser haben manchmal einen schlechten Namen. Man lässt sie stehen; sie zerfallen. Man lebt nicht in solchen Bauten. Es ist nicht . . . gesund; auch nicht weise.“

Gewiss hatte es einen „Geist“. Das wurde immer als „schlechter Name“ umschrieben. Ich machte mir nichts aus dem Geiste. Ich machte mir viel aus der Ruhe und dem alten verwilderten Garten. Ich bat um weitere Auskunft, erfuhr nur, dass mein ersehntes Häuschen eine „unschöne Vergangenheit“ besitzen sollte. In des Chinesen frühester Kindheit hatte noch einmal ein junger Mann ganz kurze Zeit darin gewohnt und war auch – wie allgemein erwartet – gestorben. Es war ein armer Student gewesen, der zur Mandarinsprüfung gekommen war. Man hatte ihm das Haus überlassen . . .

„Woran starb er?“, erkundigte ich mich. Der greise Chinese rieb langsam die Handflächen gegeneinander, lächelte kaum merklich.

„Er starb an . . . Fieber.“

„Ich fürchte mich nicht; Fieber, Geister, Dämonen — ich bleibe!“ Ich drückte ihm die Scheine in die Hand, lüftete flüchtig den Hut und eilte über den Schutt hinweg dem Ausgangstor zu.

„Wenn Ausländer sterben . . .“, rief er mir nach, scheinbar unwillig: Ärger mit fremden Gesandtschaften zu haben.

„So begräbt man sie weit billiger als Ihre Landsleute!“, rief ich lachend zurück und verschwand.

Er schüttelte das Haupt und lächelte, wie man über den Eigensinn eines unvernünftigen Kindes lächelt, unsäglich herablassend, schwach bedauernd.

Frohlockend holte ich meine Koffer vom Bahnhof ab.

*

Es war still am Tage, es war totenstill nachts, das kleine Haus am Ende des verwilderten Gartens. Ich hatte eine der bunten Laternen gekauft, die man im Ch´ien Men um wenige Kupfermünzen ersteht, und ein Licht darin angesteckt. Das war meine Nachtlampe. Ein feiner Rotschein floss von ihr aus durch den Raum, glitt verschwommen über die Gestalt des Glücksgottes auf dem verblassten Bild und machte das Blut der Vase täuschender wahr als am Tage. Der Duft der Ilang-Ilangs legte sich schwer auf meine Sinne.

Morgen würde ich ins Museum gehen, Aufnahmen machen, die genannten Professoren aufsuchen, morgen . . .

Der Ilang-Ilang und das tiefe rote Licht wurden mir zu viel. Die Augen schlossen sich, und alles Planen hatte ein Ende.

*

Ein leises Pochen.

Ich vernahm es im Traume, und es ließ mich zarte weiße Finger vermuten; es traf noch mein Ohr, als ich schon erwacht war. Ganz sachte klang es und nicht wie echtes Klopfen an einer Pforte, eher wie das Schlagen von Zweigen, die ein leichter Wind gegen einen Fensterrahmen treibt.

Sollte ich aufstehen und nachsehen?

Tap, tap, tap, tap, tap . . .

Es konnte eine Dienerin sein – eine jener Weibswesen, die in zu kleinen Seidenpantöffelchen vorhin im Haupthof herumgewandert waren und deren Beine wie Stöcke in zu engen Hosen gesteckt hatten. Mein Schönheitssinn wurde verletzt, wenn ich sie ansah. Das Haar klebte so geölt und eigenarterstickt an dem Kopfe, und die gelben Wangen waren ausdruckslos und glatt wie Dattelpflaumen. Sie alterten schnell, die Chinesinnen, oder sie alterten gar nicht – hatten tiefe, kreuz- und querlaufende Runzeln oder ein völlig unbewegtes Gesicht, je nach ihrem Stande; nie aber verrieten die Züge dem Ausländer vergangenes oder noch andauerndes Empfinden.

Tap, tap, tap, tap, tap – mitten durch alle meine Gedanken über das seltsame Volk der himmlischen Mitte. Konnte mir der langnagelige Herr um diese Zeit eine Dienerin – nur eine Frau würde so klopfen – geschickt haben, und aus welchem Grunde? Aber wer versteht je das verwickelte Denken einer Rasse, die andere Richtlinien hat? Ich rief ungeduldig „Herein“!

Potztausend!

Der alte Herr hatte doch Geschmack. Wenn man jemand um zwei Uhr nachts eine Dienerin ins Schlafzimmer schickt, soll es wenigstens eine Schönheit sein. Und sie war es! Sah auch nicht wie eine Dienerin aus, eher wie eine verhätschelte Nebenfrau, die man auf den Händen trug und, dem Himmel sei Dank, nicht in engen Hosen der Jetztzeit, sondern das entzückende Kostüm der Mingperiode tragend, wie man es heutzutage nur noch auf der Bühne findet. Ein Häubchen aus glitzernden Perlenschnüren, lose zusammengesetzt, einen wallenden Rock, der die Füße verdeckte, eine kurze lose Jacke und um die Mitte lang niederwallende Bänder, während aus den Ärmeln ein schneeweißer Unterärmel fiel, der die Hände ganz bedeckte. Sie lief über den Boden wie ein kleines spielsüchtiges Kind und ihre Augen, ihr Mund lachten . . .

„Was willst du?“, fragte ich erstaunt.

Ihre Seide glitzerte wie Riesenedelsteine, die Perlen der Haube funkelten. Ihre Augen, ihre tiefschwarzen, leicht geschlitzten Augen lachten in die meinen.

„Ich kam, um dich zu besuchen – du bist so allein.“

„Wie heißt du?“

Ihr Wesen war mir unverständlich. Chinesische Frauen sind sehr zurückhaltend, besonders gegen weiße Männer, außer einzelne . . . in ihrem Kreis, in Hafenstädten . . . Auch war ihr Auftreten nicht das einer Frau, „die öffentlich lacht“ und noch weniger das einer Dienerin.

„Ich heiße Me Hoa.“

„Rote Blume – “, übersetzte ich unwillkürlich. Sie nickte, als verstünde sie, umzappelte mein Lager mit kleinen zierlichen Schritten, bewegte die schleierartige Handbedeckung wie einen Fächer.

„Ich bin Me Hoa – Me Hoa“, und sie lachte. Es war ein feines, silbernes Lachen, das, wie ihre Worte, eher mein Bewusstsein als mein Ohr traf. Sie erblickte in ihrem Kreisen die Neophritflöte oder Orgel an der Wand und nahm sie ab.

Sie war schön, und ich bin ein Mann. Ich behaupte nicht, ins Reich der Geflügelten zu gehören; auf dem Augenbrauenberg sitzen angeblich die Weisen und leben von Morgentau und Mittagslicht, ihre Nägel sind dreimal rund um ihren Körper gewachsen und die Jahre gleiten über sie hinweg wie die schwarzen Pekinger Raben über die große Stadtmauer, doch sie sitzen in Betrachtung und warten auf den Ruf des vollkommenen Erlöstseins selbst von dieser Fleischlichkeit; ihr Herz soll schon so rein wie der Himmel sein und es sind Selige – doch ich beneide sie nicht. Ich bin leider nur Mensch und noch sehr weit vom Augenbrauenberg. Ich dachte bei Me Hoas Anblick nicht an alle Göttergeschichten Chinas; ich sah nur, dass sie jung war und schön – so schön, wie ich es nie für möglich gehalten.

Und sie war zu mir gekommen, trippelnd, lachend, um zwei Uhr nachts. Ich hatte sie nicht gerufen – nun sie aber da war – .

Ich setzte mich im Bette auf, im Begriff, die Decke zurückzuwerfen. Da haschte sie nach der Syrinx und begann zu spielen . . .

Musik verwandelt unsere Empfindungen, schiebt alles um eine Oktave höher, überträgt ins Moll. Ich habe es immer für unmöglich gehalten, dass jemand bei Musikspiel ein Verbrechen begehen könne, bei gutem Spiel. Sein Denken würde hochgetönt werden, der Bass des Unlauteren, Gemeinen müsste verstummen. Dennoch wunderte es mich, wie sehr mich ihr Spiel veränderte. Ich blieb regungslos sitzen, und nach einer Weile sank ich zurück, die Augenlider sanken halb zu, ich glitt in eine andere Welt. Jeder Ton ging durch mich wie Jauchzen und dann wie Weinen; ich sah hohe Berge und tiefe, nie geahnte Täler, Schluchten, farbunwahr, seltsamformig, wie ich sie nie geschaut; Gestalten kamen und gingen, und etwas in mir wurde wach, das wie alte Erlebnisse wirkte; ganz unklar wie Bergnebel wallte es vor mir auf und ab und nur manchmal gab ein Streiflicht etwas frei, das ich erkannte. Bevor ich Ausdruck dafür fand, wallte neuerdings der Nebel, und ich spähte fieberhaft gespannt in plötzliche Lichten . . .

„Das war Tsing Schang“, flüsterte Me Hoa, und ihre Augen waren wissend wie die Zeit; unheimlich wissend. Ich fürchtete, mich fast, ihnen zu begegnen.

Sie hängte die Flöte zurück an die Wand, bewegte ihre verdeckten Hände wie windbewegte Fächer. Lächelte von neuem und trippelte wie ein schelmisches Kind.

„Morgen komm´ ich wieder“, rief sie neckisch, und nun waren ihre Augen warm und weich, wie die eines jungen Mädchens, dem Ahnung von Liebe kommt.

„Morgen! Morgen!“, und die weiße Seide der Ärmel tanzte auf und ab.

„Morgen – Me Hoa!“, rief ich ihr nach und mein Herz, das sie vor einer halben Stunde nicht einmal als bestehend geahnt hatte, litt unter der Trennung.

Trotz aller Rassenvorurteile!

Liebe? Verzauberung?

Am folgenden Morgen verging mir alles Denken an Zauber oder Frauenreiz. Ich lag auf dem Bette und konnte mich kaum rühren. Das Kreuz war steif und die Glieder schmerzten mich zum Heulen. Draußen schien die Sonne warm und verlockend, – die Herbstsonne voll ungetrübter Freude, die nichts von Sinnenlust des Frühlingslichts an sich hat und schon träumen lässt von langen trauten Winterabenden . . .

Ich nahm meine Decken und legte mich an die Sonne, versuchte zu lesen; so fand mich, zur Mittagszeit, mein Hausherr Hoang Fu. Die Hände gekreuzt, verbeugte er sich, aber er vermied es, mich zu befragen.

„Warm?“

„Sehr warm.“

„Nicht gesund, so auf der Erde zu liegen . . .“

„Habe Decken“, knurrte ich zurück; es ärgerte mich, so hilflos dazuliegen, denn hilflos war ich. Jede Bewegung tat mir weh.

Nach einer Weile verbeugte er sich und ging. Wieder lag ich mit geschlossen Augen, und nun träumte ich von Me Hoa, sah ihre Perlenschnüre, fühlte den schweren Duft ihrer Gewänder, vermeinte das leichte Trippeln zu hören. Warum hatte ich Hoang Fu nicht nach ihr gefragt? Ob sie seine Nebenfrau war? Etwas in mir bäumte sich auf dagegen. Die Nebenfrau dieses langweiligen Kauzes mit den endlosen Fingernägeln . . .

Der Tag verging und ich dachte nicht an Arbeit.

*

Tap, tap, tap, tap . . .

„Komm nur herein, Me Hoa!“, rief ich erwachend.

Sie trippelte herein, bewegte die Arme wie im Tanze. Wie eine vom Zweig geflatterte Blume sah sie aus, wunderbar fein und biegsam. Der Duft ihrer Gewänder legte sich betäubend auf mein Denken. Ich fand sie schön, über alle Beschreibung schön, aber ohne Begehren. Es tat mir wohl, ganz ruhig zu liegen und sie anzusehen. Sie blieb nicht einen Augenblick still, huschte von Ecke zu Ecke; auf einmal erfasste sie die Vase, drehte sich mit ihr. Zum ersten Male fielen die Handschleier zurück, und ich sah ihre langen, elfenbeinernen Finger. Das rote Licht der Laterne warf rote Schatten darauf. Jede Gebärde war ein Gedicht. Ihre Augen lachten, ihre Lippen schwiegen, nur die Finger, die mit der Vase spielten, gestanden ihre Liebe.

„Sie ist rot wie Blut, Me Hoa, rot wie die Blüten deiner Namensschwester“, sagte ich.

Sie neigte sich über mich und hielt die Vase dicht vor meine Augen.

„Siehst du das feine Wogen? Merkst du das langsame Fließen der warmen Tropfen?“ Sie setzte sich auf mein Bett und ihre zarten Finger spielten wenige Zoll von meinem Gesicht. „Kennst du ihre Geschichte?“

Ich schüttelte das Haupt. Heute hatte ich keinen Wunsch, mich aufzusetzen, obschon ich gewünscht hätte, es würde nie tagen.

„Sie ist Lang Yao, echtes Lang Yao; ein Kaiser bestellte sie. Er kam selbst in die Werkstatt des Meisters, er, der Sohn des Himmels, in seinem gelben Gewande; seine Augen ruhten auf der Masse und harrten der Vollendung, er harrte . . .“

Sie unterbrach sich, um mit der Vase aufmerksam zu spielen; wieder überkam mich das Gefühl, als spräche sie nicht, als finge nur mein Gehirn ihre unübersetzten Gedanken auf. Jedenfalls waren es nur meine Augen, die ihre dunklen suchten und um den Schluss baten.

„Er harrte und der Guss misslang. Der Kaiser versprach, noch einmal zu warten, versprach wiederzukehren am folgenden Morgen. Am Abend rief der Meister die Gesellen zusammen und sagte, sie möchten morgens die Vasen aus dem Brennofen nehmen, auch wenn er nicht da sein sollte. Dann hieß er sie gehen . . .“

Die weiße Seide Me Hoas schimmerte wie Mondlicht auf Schnee. So hatte mich keine Frau je angezogen. Ich hob die Hand, um die ihre zu fassen. Sie bewegte nur die langen Überärmel, die wie Schleier darüber fielen. Mein Wünschen erstarb, ich vergaß es. Wie seltsam sie war . . .!

„Als morgens die Vasen aus dem Ofen kamen, waren sie rot, rot wie Blut. Der Meister hatte sein Blut mit ihrer Masse verschmolzen. Nun kreist es hier drinnen und schreit nach Menschen.“

Mit einer unnachahmlichen Gebärde drückte sie die Vase an ihr perlenbedecktes Ohr; lauschte, lächelte . . .

Und meine Seele wusste, dass mir beide nahegestanden: Der Meister, der sich geopfert, und Me Hoa – ach, Me Hoa – .

„Es ist schwer, von den Menschen getrennt zu sein – “, flüsterte sie, und mir war´s, als ginge etwas aus mir zu ihr über. Ganz kraftlos, willensberaubt lag ich da.

Aber glücklich.

Wieder holte sie die alte Flöte. Das Grün des Steins war tief wie grundloses Wasser; der Ton riss an den Strängen des Herzens mit unsäglich schmerzender Gewalt; die Augen der spielenden Frau liebkosten mich, wie ich nie geliebkost worden war. Ich fühlte mich nackt, ganz nackt, trotz der warmen Decken, und es durchrieselte mich bald heiß, bald kalt.

Sie spielte, spielte . . .

„Das ist Tsing Tse“, erklärten ihre Gedanken den meinen, denn sie sprach nicht. Wieder fielen allmählich meine Lider halb zu und ich sah Kraniche und blauflügelige Wundervögel, sah zahllose Wolken mit lächelnden Frauengesichtern, merkte das Kosen zarter Blumenhände und berauschte mich an fremdartigem Duft . . .

„Das ist Tsing Tse, das Lied der Seligen“, schoss es mir durch den Sinn, und wunschlos schlief ich ein.

„Brauchen Sie etwas?“, fragte jemand durch das offene Fenster.

Müde schlug ich die Augen auf, draußen stand Hoang Fu und sah forschend zu mir herein.

„Nein, danke!“, erwiderte ich nicht zu liebenswürdig, denn ich war müde, müde. Sobald ich mich rührte, sah ich überdies Sterne.

„Krank?“, fragte Hoang Fu gelassen.

„Nein, etwas übernächtig!“, gab ich scharf zurück.

Er wollte noch etwas sagen oder raten, ging indessen fort, ohne es auszusprechen. Nach einer Weile brachte mir eine Dienerin – diesmal eine echte Chinesin der Neuzeit –, die überdies alt und hässlich wie die Sünde war, ein Tasse Grüntee und gekochte Tigerknochen zur Stärkung. „Shieh, shieh!“, und ich führte das heiße Getränk gierig an meine Lippen. Dann, ehe sie wieder ging, fragte ich gleichmütig: „Warum hat mir nicht Me Hoa den Tee selbst gebracht?“

„Wer?“, forschte die Alte und drehte sich verwundert zu mir um.

„Me Hoa – die junge Taitai, die immer . . .“

Ich hielt inne; in einem chinesischen Haushalt mehr als in einem anderen war Schweigen Gold.

Die Alte glotzte mich stumpfsinnig an.

„Bei uns keine junge Taitais mehr; alle alt . . .“

„Eine Dienerin?“

„Alle alt . . .“

Unwillig wandte ich mich ab. Vielleicht war Me Hoa ein Kinderkosename, bei dem man sie sonst im Hause nicht kannte. Vielleicht war sie ein verborgen gehaltenes Juwel des alten Lao ye. Er hielt sie möglicherweise eingesperrt . . .

Die Alte grüßte, nahm die Tasse auf, öffnete die Türe. Das heiße Sonnenlicht glitt in Goldwellen über den Boden hin, stieg an der Wand empor, traf die Vase. Das Blut darin kreiste. Vor dem Fenster lispelte es im Ilang-Ilangstrauch. Die Alte kehrte um.

„Me Hoa – wie?“, fragte sie, dicht an mein Bett tretend, im Flüsterton.

„Wie – schön!“

Sie schüttelte missbilligend das Haupt.

„Kleid – wie?“

Ich bemühte mich, das Bettlaken über meine Arme fallen zu machen, ließ meine Finger zierlich wie Me Hoas Füßlein über die Bettdecke trippeln und murmelte Perlen.

Die Augen der Alten folgten verständnisvoll den Bewegungen, wurden, ganz unerwartet, starr wie in Schreck oder Furcht. Mit einem Satz, den ich ihren alten Gliedern nie zugetraut hätte, war sie über die Schwelle hinweg und im Garten; verschwand . . .

Vielleicht hatte sie Hoang Fu gesehen und war dem Meister aus dem Wege gegangen. Jedenfalls hatte ich das Empfinden, als wisse sie etwas von Me Hoa.

Ich war zu müde, um weiter nachzudenken. Ich schlief sofort ein. In mein Träumen hinein aber folgte der Duft des blühenden Hang-Hangs und das Erinnern an Me Hoa.

Meine „rote Blume“.

*

Ein duftender Wind streifte mich sachte, sachte. Die Laterne brannte, obschon ich sie nicht angezündet hatte, und auf meinem Bette sitzend, sich fächelnd, saß Me Hoa. Sie trug ein Gewand aus tiefgelber Seide und eine Jacke von zartestem Fliederlila, nur die flatternden Bänder um die Mitte und die langen Vorärmel waren weiß wie Irisch erblühter Ilang-Ilang und ebenso duftend.

„Me Hoa . . .“, und nach einem Augenblick, „ich wünschte, ich verstünde dich . . .“

„Muss man alles verstehen im Leben? Liegt nicht Glück gerade im Unverstandenen?“, kamen ihre Worte. „Verstehst du das Blühen des Ilang-Ilangs vor deiner Türe oder das Reifen der Datteln am Strauche? Sie kommen und gehen und sind dennoch immer da; sie geben dir Freude.“

„Wenn man liebt, möchte man in das Wesen des anderen tauchen wie ein Schwan den Hals in die Seefluten taucht“, erwiderte ich, sie anlächelnd. Die Schmerzen waren vergessen, nur war ich müde wie nach endlosem Wandern.

„Wenn man liebt?“, und ihre Augen fragten.

Ehe ich zu antworten vermocht, war ihre Stimmung schon umgeschlagen. Um die tiefen, wissenden Augen wurde es sonnig und mädchenhaft. Sie lachte.

„Vielleicht bin ich aus Drachensamen entstanden wie Pao Si vor vielen hundert Jahren – groß ist die Macht der Götter.“

Sie hüpfte vom Bett und holte die Flöte, fächelte mich während des Spieles mit den langen weißen Ärmeln. Ihre Finger waren wie Schaumkronen, so weiß, so beweglich, ungreifbar; ihre Augen gelobten so vieles.

„Tsing Kiao ist das Spiel der Götter und Dämonen; Menschenohren vertragen es schlecht; es zerreißt ihre Seele. Soll ich spielen?!“

War das Herausforderung in ihren Augen? Ich war jenseits aller Furcht. Ich nickte und sie begann zu spielen.

Aus der Ferne klang´s wie Donner; das Haus zitterte, der Boden schwankte, der Regen klatschte gegen die Mauern und jeder einzelne Tropfen heulte mit einer eigenen Stimme. Me Hoas Augen flimmerten aus dem Halbdunkel; rote Lichter spielten darin.

Die Bäume im Garten stöhnten, die Sträucher brachen; Dachziegel schlugen dumpf gegen die Steine des Hofes . . .

„Liebst du mich?“, fragte sie und neigte sich tief zu mir herab. Ihre seidigen Gewänder streiften meine Glieder wie duftende Blütenblätter.

„Ich liebe dich – Me Hoa“, flüsterte ich und ein verzehrendes Verlangen jagte durch mein Blut; ich wollte sie fassen, doch die Arme lagen auf der Decke schwer wie Blei. Der Sturm um uns heulte wie hungrige Drachenbrut.

Da legte sie die Flöte zur Seite und beugte sich zu mir herab, tiefer, tiefer; ihre Lippen, kühl wie ein Blumenblatt, trafen die meinen, drückten sich daran, sogen sich fest. Ihre wunderbaren Augen schimmerten dicht vor den meinen. Die Perlen der Haube streiften meine Stirne wie Tautropfen . . .

„Ich liebe dich, ich liebe dich!“, dachte ich ununterbrochen und fühlte ihr Saugen mit wollüstiger Freude. Sie sog und sog und mir war´s, als löse sich alles in mir, als flösse es in sie, und immer hielt ich die Lippen gieriger entgegen und ließ mich küssen; draußen plätscherte der Regen und drinnen erlosch das rote Licht. In der Finsternis fühlte ich in fiebernder Lust immer noch das berauschende Saugen . . .

Hierauf schwanden mir allmählich die Sinne.

*

„Heute wird er das Bewusstsein zurückgewinnen“, sagte eine unverkennbar europäische Stimme neben mir, und jemand antwortete im verärgerten Bass: „Ein ganz sonderbarer Fall.“

Ich blinzelte mit den Augen, schlug sie vollends auf. Rund um mich standen Reihen von weißen Betten, eine Krankenschwester brachte Wasser, ein Mann in weißem Talar . . . ah, das war der Arzt . . . ein älterer Herr – vermutlich der Primarius.

So weit, so gut, aber was tat ich hier und war ich das besprochene Ding im Bett?

„Wo bin ich?“, fragte ich schwach.

„Im deutschen Lazarett . . .“

„Komisch! Warum denn?“

„Herr Hoang Fu hat Sie zu uns gebracht – damals nach dem Taifun. Sie waren in durchnässten Kleidern im Bett gelegen und waren bewusstlos. Wir fürchteten bösartigen Typhus und allerlei Verwicklungen, denn Sie schienen wie aus Wachs, ganz ohne Blut. Sie hatten indessen kein Fieber; sie schliefen nur immer.“

„Wie lange – bin ich – hier?“

Der Arzt legte beruhigend die Hand auf meinen Arm.

„Nur hübsch ruhig. Nicht viel sprechen. Sie sind seit über fünf Wochen bei uns. Herr Hoang Fu brachte Sie nach dem Taifun“, wiederholte er. „Entsinnen Sie sich?“

Und ob ich mich entsann. Me Hoa!

„In der Nacht des Taifuns? Und ich schlief seither? Und – Me Hoa?!“

„Es entwickelte sich nach einiger Zeit Gelenkrheumatismus. Nun sind Sie auf dem Wege der Besserung. Einige Monate im südlichen Japan zur Erholung und . . .“

„Und Me Hoa?“

„Me Hoa?“

„Die Chinesin im Seidengewand und den Ärmeln, die wie Schleier . . .“ Er steckte mir den Fiebermesser in den Mund.

„Ich weiß von niemand. Auch nach Aussage Herrn Hoang Fus waren Sie immer allein. Deshalb hat er Sie ja eben hierherschaffen lassen.“

„Ich möchte in das Häuschen zurück“, flüsterte ich, zu schwach, meinen Willen laut kundzutun.

„In Ihre Wohnung? Nicht möglich! Überdies sind alle Ihre Sachen hier bei uns aufbewahrt. Der Taifun hat ja in jener Nacht das Dach abgehoben. Und Sie ahnten nichts?! Herr Hoang Fu klagte, dass eine unbezahlbare kostbare Vase ebenfalls vom Sturm zertrümmert worden sei. Er schickt Ihnen, weil es ihm leid tut, dass Ihnen in seinem Hause so Böses begegnet, die Syrinx aus Neophrit zum Andenken.“

„Und ich war – allein?“

„Mutterseelenallein.“

Er lächelte; man konnte es ihm anmerken, dass er alles dem Fieberwahn zuschrieb.

Me Hoa.

*

Ich besuchte dennoch das Haus eine Woche später und vom Arzte begleitet. Ich stellte die weitläufigsten Nachforschungen an. Niemand im Hause Hoang Fus oder im weitesten Umkreis hatte je von einer Chinesin meiner Beschreibung gehört, und nur die Alte, die ich noch einmal auszuforschen wünschte, erwiderte endlich: „Kommen und gehen nicht Blumen und Sträucher und ist der Same nicht schon der Baum und die Frucht? Ist eine Seele weniger Seele, ob sie mit oder ohne Gewand ist? Wer versteht alles? Das Leben ist voll Sonderheiten.“

Sie ging und ich besuchte alle Theater. Das Kostüm brachte mich auf den Gedanken; vergebens. Niemand hieß, niemand ähnelte Me Hoa.