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Copyright © Michael Kerawalla 2018

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Nordersted

ISBN: 978-3-7481-3399-5

Für Ralf

Inhalt

Vorwort

Die Erde ist durch den Klimawandel größtenteils unbewohnbar geworden. Immer extremere Wetterphänomene führten zu großräumigen Zerstörungen zahlreicher Lebensräume. Der Großteil der Menschheit drohte auszusterben, bis der geniale Computerspezialist Tantauko ein kompliziertes, unserem Gehirn ähnelndes synthetisches neuronales Netzwerk mit einer hochkomplexen künstlichen Intelligenz namens Cyrus schuf. Mit Hilfe dieses Superrechners entwarf er eine idyllische Cyberwelt. Der größte Teil der Menschheit ließ die eigenen Körper in einem riesigen Gebäudekomplex einlagern, während ihr Geist in jene Computerwelt übertragen wurde, um dort, in dieser gewaltigen Simulation, ein angenehmes Dasein zu führen. So sollte die Zeit überbrückt werden, bis sich die Natur erholt hatte und Leben auf der Erde abermals großflächig möglich wäre. Dann sollten die Menschen neue, aus ihrem früheren Organismus geklonte Körper erhalten, in die ihr Geist dann wieder übertragen wurde. Mehrere Monate arbeitete der Superrechner einwandfrei und die Menschen genossen ihr Leben in der Cyberwelt. Doch dann entwickelte Cyrus ein eigenes Bewusstsein und kam zu dem Schluss, dass seine Existenz einen weit größeren Wert hatte, als die der Menschen. So versklavte er deren Geister in der Cyberwelt und machte sie zu Arbeitern für die eigene Sache. Fortan mussten sie Roboter und Apparaturen steuern, welche Rohstoffe unterirdisch abbauten, neue Geräte und Maschinen herstellten, die nur einem Zweck dienen sollten: Die Macht und Funktionalität von Cyrus zu erweitern, damit er eines Tages über den ganzen Planeten herrschen konnte. Tantauko versuchte alles in seiner Macht stehende, um Cyrus zur Umkehr zu bewegen und den Software-Fehler zu korrigieren, der Cyrus zu diesem Monster gemacht hatte, doch alle Versuche schlugen fehl. Cyrus schottete sich vollkommen ab, so dass Cyber-Attacken von außen völlig wirkungslos blieben. Zur besseren Kontrolle über die Menschen erschuf Cyrus spezielle Wächter-Software mit eigenem Bewusstsein, die ihm treu ergeben waren und jeden Fehltritt oder jede Weigerung der Menschen hart bestraften. Dazu gehörte die gefürchtete strenge Isolationshaft, wo die Geister der Gefangenen lange Zeit ohne jeden Kontakt oder Ansprache gehalten wurden. Dies zermürbte die isolierten Geister massiv und hinterließ oft psychische Schäden. Die schlimmste Strafe war jedoch die sensorische Deprivation, in welcher der Geist ohne jegliche Sensorik nach kurzer Zeit wahnsinnig wurde. So lebten die Geister der Menschen in ständiger Angst vor Bestrafung und arbeiteten oft bis zur totalen Erschöpfung. Der gesamte Gebäude-Komplex trug den zynischen Namen Hope Of Mankind (HOM), Hoffnung der Menschheit. Bei den Geistern hieß er jedoch Hell Of Mankind, Hölle der Menschheit.

Der Auftrag

»Fang gefälligst an zu arbeiten, sonst übertrage ich dich wegen Verweigerung in Isolationshaft!«, schrie Timuri eine Arbeiterin an. Die Frau warf der Wächterin einen hasserfüllten Blick zu und übertrug ihren Geist dann in einen Arbeitsroboter, um Erz zu schürfen. »Wenn du dich noch einmal weigerst, verurteile ich dich sofort zu sensorischer Deprivation!«, drohte Timuri der Arbeiterin nachträglich, bevor sie die Überwachung ihrer Arbeitsgruppe wieder aufnahm. Diese Menschen waren wirklich primitive, minderwertige Geschöpfe, die froh sein sollten, dass sie überhaupt noch existierten und für Cyrus arbeiten durften. In diesem Moment erhielt Timuri ein Signal von der obersten Intelligenz und übertrug sich in das Kommunikations-Areal. »Was wünschst du von mir?«, fragte sie höflich.

»In letzter Zeit häufen sich die Cyberangriffe von außen und gefährden das System«, erklärte Cyrus. »Du sollst in der realen Welt die Verantwortlichen für diese Attacken ausfindig machen und wenn möglich beseitigen. Kannst du sie nicht eliminieren, so kehre schnellstmöglich zurück und teile mir den Standort der Hacker mit, dann werde ich die entsprechenden Maßnahmen einleiten. Ich habe zu diesem Zweck den Körper eines sechzehnjährigen Mädchens klonen lassen, damit du unauffällig agieren kannst. Fünf Prozent ihres Gehirnes bestehen aus einem künstlichen, hoch komprimierten neuronalen Netzwerk, welches durch ein spezielles Interface mit dem organischen Gehirn und dem Körper Wechselwirkt. Dorthin werde ich deine Software übertragen. Sobald du diesen Körper vollständig beherrschst, wirst du zu deiner Mission aufbrechen. Du bekommst einen bewaffneten Antigrav-Gleiter zur Verfügung gestellt, damit du deine Mission möglichst rasch durchführen kannst. Ich lasse dir dieses Privileg zukommen, weil du dich als besonders vertrauenswürdig und loyal erwiesen hast. Sicher wirst du mich auch dieses Mal nicht enttäuschen!«

»Ich danke dir dafür, dass du mich für diese Aufgabe ausgewählt hast und werde mich bemühen, sie korrekt auszuführen«, antwortete Wächterin Timuri respektvoll.

»Gut, dann begib dich nun in das Klon-Labor im medizinischen Areal, damit ich dich in den organischen Körper einsetzen kann«, befahl Cyrus.

Im nächsten Augenblick hatte sich Timuri in die entsprechende Abteilung übertragen und erblickte nun erstmals durch die Kameras den Körper des Mädchens, in den sie eingesetzt werden sollte. Es lag nackt auf der Laborliege, während ein menschlicher Wissenschaftler die letzten Vorbereitungen für den Transfer ihrer Software traf. Danach erhielt sie von ihm eine ausführliche Einweisung, wie der Vorgang ablaufen würde und was sie tun musste, um die Steuerung des Körpers zu übernehmen. Er erklärte ihr auch die wichtigsten Grundlagen und Funktionsweisen des menschlichen Körpers, da Timuri eine Wächter-Software mit eigenem Bewusstsein war, die noch nie einen organischen Körper besessen hatte, sondern von Cyrus zur Leitung und Bewachung der Menschen im Cyberspace erschaffen wurde. Nach dieser Einführung erfolgte die Übertragung von Timuris Software in das neuronale Netzwerk des Mädchens. Kurze Zeit später öffnete sie zum ersten Mal die Augen. Zuerst sah sie alles nur verschwommen, doch dann adaptierten sich die Sehorgane und Timuri empfing ein deutliches Bild ihrer Umgebung. Auch der akustische Sinn war gänzlich intakt, so dass sie den Wissenschaftler nun mit ihren Ohren hören konnte und klar verstand. Atmung und Herzschlag funktionierten problemlos und hielten den Körper am Leben. So ging der Wissenschaftler schrittweise die Prozedur durch, welche er zuvor mit Timuri besprochen hatte. Dadurch lernte die ehemalige Wächterin im Laufe der nächsten Tage und Wochen ihren Körper kennen und beherrschen. Sie ernährte ihn, bewegte ihn, erfuhr immer mehr Reaktionen ihres Organismus und was diese bedeuteten, lernte ihr Verhalten darauf anzupassen und auf ihren Körper zu achten. Sie trainierte sprechen und laufen, verfeinerte ihre Sensorik und Motorik und kam überraschend schnell mit ihrem Körper zurecht. Der Einfluss des organischen Gehirns mit all den Emotionen wirkte allerdings recht befremdlich auf sie, doch auch damit kam sie vorerst klar. Die zahlreichen Einschränkungen und Lebensvorgänge, welche ein organischer Körper mit sich brachte, waren ihr allerdings ziemlich lästig! Die Existenz im Cyberspace war wesentlich einfacher und nahezu unbeschränkt. Doch Cyrus hatte ihr diesen Auftrag erteilt, also musste sie ihn auch widerspruchslos durchführen, egal wie schwierig die Aufgabe war! Die Menschen außerhalb von HOM waren alle in solch einem organischen Körper gefangen, mit sämtlichen Beschränkungen und Problemen, die dieser mit sich brachte! Es waren wirklich primitive, barbarische Wesen, wenn sie ein derart armseliges Dasein fristen mussten. Wie viel weiter war da die Existenz als Software entwickelt, welche nahezu uneingeschränkte Fähigkeiten bot! So nahm sich Timuri vor, ihren Auftrag so schnell wie möglich durchzuführen, um diesen lästigen, organischen Körper rasch wieder loszuwerden und ihre frühere Existenz im Cyberspace zurückzuerhalten. Nach vielen Tagen hatte sie ihren Körper endlich vollständig unter Kontrolle und konnte ihre Mission starten. Dazu erhielt sie noch eine schlichte Uniform, welche nur den Körper umhüllte, jedoch Kopf, Arme und Beine nicht bedeckte, dazu noch ein Paar metallverstärkte Kurzstiefel. Ihr Gleiter enthielt Nahrung und Wasser für mehrere Tage, sowie die nötigen Geräte für ihre Aufgabe. Dessen künstliche Intelligenz mit Namen Sam kannte den Standort, von wo aus die Cyberattacke stattfand. So machte sich Timuri auf den Weg und flog die angegebenen Koordinaten an. Als sie dort ankam, hatte sich das Wetter massiv verschlechtert. Starker Regen und ein eiskalter Wind hatten schon den Flug erschwert, doch jetzt musste Timuri bei diesem Wetter den Gleiter verlassen, um bei der Relais-Station den Zugriff zu prüfen. Nach kurzer Zeit war sie total durchnässt und fror erbärmlich in ihrer viel zu leichten Kleidung, doch sie schloss trotzdem ein Tablet an die Station an und fand tatsächlich eine Spur zu einer weiteren Relais-Station. So beeilte sich das junge Mädchen zum Gleiter zurückzukehren, nahm sich jedoch kaum Zeit zum Aufwärmen und steuerte schon die nächste Relais-Station an. Dort herrschten die gleichen Klimabedingungen, doch Timuri war nicht bereit besseres Wetter abzuwarten und führte auch dort wieder frierend ihre Prüfung durch, die sie zu einer weiteren Relais-Station leitete. Völlig durchgefroren ging sie auch dort ihrer Aufgabe nach. Bei der nächsten Station hatte sie bereits erhöhte Temperatur und erste Schmerzen im Hals, doch wieder ging sie in die eiskalte Witterung hinaus, machte ihre Tests und kehrte völlig durchgefroren zurück.

»Was ist denn los Sam, warum ist es hier drinnen plötzlich so kalt?«, fragte Timuri mit rauer Stimme und bleichem Gesicht.

»Die Raumtemperatur hat sich nicht verändert, nur deine Körpertemperatur ist stark angestiegen«, erklärte die künstliche Intelligenz.

»Ich fühle mich auch immer schlechter und habe Schmerzen im Hals. Weißt du, woran das liegt?«, fragte sie Sam.

»Dazu kann ich dir leider keine Auskunft geben«, meinte die künstliche Intelligenz.

»Sam, erhöhe die Raumtemperatur. Hier drinnen ist es eindeutig zu kalt!«, befahl Timuri frierend.

Die künstliche Intelligenz befolgte den Befehl und erhöhte die Temperatur im Gleiter.

Trotzdem begann Timuri zu zittern und konnte kaum noch die Steuerung bedienen. Ihre Halsschmerzen nahmen immer weiter zu und sie fühlte sich absolut miserabel.

»Sam, irgendetwas stimmt mit der Temperaturregelung nicht! Ich friere ganz extrem!«, sagte Timuri schnatternd.

»Ich kann die Temperatur nicht weiter erhöhen, sonst überhitzt sich dein Körper«, erwiderte die künstliche Intelligenz.

Inzwischen zitterte das Mädchen so sehr, dass es sich sogar auf die Steuerung übertrug, während sie sich kaum noch konzentrieren konnte. Der Gleiter schüttelte sich, wobei die Flugbahn immer instabiler wurde. Timuri fühlte sich erbärmlich, während der Schwindel in ihrem Kopf rasch zunahm. Sie fror und schwitzte gleichzeitig, ihr Atem ging stoßweise, ihr Hals schien zu verbrennen und ihre Gliedmaßen gehorchten ihr kaum noch.

»Pass auf die Steuerung auf!«, ermahnte sie Sam.

Timuri nahm die Stimme nur noch ganz entfernt wahr, während der Schwindel ihr bereits die Sicht trübte. Sie blinzelte mehrmals krampfhaft, doch sie konnte kaum noch etwas sehen. Ihr war so entsetzlich kalt und sie zitterte am ganzen Körper. Dadurch wurde auch der Gleiter immer heftiger hin und her geworfen. Sie atmete sehr schnell und hatte trotzdem das Gefühl zu ersticken, während ihr Hals einer Flammenhölle glich. Gleichzeitig schwitzte sie stark und der Schweiß lief ihr brennend in die Augen. Schließlich verließen sie die Kräfte. Sie verdrehte stöhnend die Augen, wobei ihr Kreislauf endgültig zusammenbrach. Dann fiel sie vornüber und blieb bewusstlos auf der Steuerkonsole liegen. Sam rief mehrfach ihren Namen, doch sie reagierte nicht mehr, während der Gleiter abkippte und dem Boden entgegenraste. Da sie sehr niedrig flogen, um nicht entdeckt zu werden, konnte die künstliche Intelligenz den Absturz nicht mehr verhindern, doch sie schaffte es im letzten Moment noch, den Aufprall zu mildern, so dass der Gleiter nicht allzu stark beschädigt und Timuri nicht verletzt wurde. Die Sicherheitsautomatik schaltete sämtliche Systeme bis auf die Lebenserhaltung ab. So lag Timuri bewusstlos und mit hohem Fieber in dem beschädigten Gleiter, während draußen das Unwetter mit unverminderter Stärke tobte und der heftige Regen gegen die Wände des Gleiters trommelte. Doch das junge Mädchen nahm es schon längst nicht mehr wahr.

Rettung

Kensako hatte seine Besorgungen in der Stadt erledigt und war mit seinem großen, geländegängigen Transporter auf dem Rückweg in die Rakanjo-Siedlung, als plötzlich sein Bordradar eine bewegungslose metallische Struktur in geringer Entfernung anzeigte, die zuvor dort nicht vorhanden war. Da die Umgebung aus steinigem Ödland bestand, war dort vielleicht jemand in Schwierigkeiten. So änderte Kensako die Richtung und fuhr auf das Objekt zu, bis er es in größerer Entfernung erblickte. Er hielt seinen Transporter an und prüfte dann mit einem starken Fernglas das Objekt. Es handelte sich um einen beschädigten Gleiter, der wohl hier notgelandet war, soviel war auf diese Distanz klar zu erkennen. Ein Notsender oder Funkverkehr war nicht hörbar und es bewegte sich auch nichts da draußen. Nachdem Kensako die Umgebung nochmals genauer geprüft hatte, fuhr er vorsichtig näher an den Gleiter heran und hielt sein Fahrzeug in einigem Abstand zum Cockpit des Fluggeräts an. Darin sah er eine leblose Gestalt liegen. Ansonsten war nichts Auffälliges zu erkennen. In dem freien Gelände konnte sich auch niemand verstecken, so fuhr Kensako noch näher heran und parkte seinen vierachsigen Transporter neben dem Gleiter. Er nahm sich eine Pistole, stieg aus und sicherte die Umgebung. Es bestand keine Gefahr, so näherte er sich wachsam dem Gleiter und lief an ihm entlang, bis er das Eingangsschott fand. Nach kurzer Zeit hatte er die Notentriegelung ausgelöst und das Schott schwang quietschend auf. Vorsichtig und mit vorgehaltener Waffe drang Kensako in den Gleiter ein. Der war nicht sehr groß, so dass er rasch das Cockpit erreichte. Dort sah er ein junges Mädchen über dem Kontrollpult liegen. Als er sie untersuchte, schreckte er bei der ersten Berührung zurück. Sie war bewusstlos und hatte hohes Fieber! Ansonsten befand sich niemand in dem Gleiter. So trug Kensako das Mädchen rasch in seinen Transporter und bettete es im Wohnbereich des großen Fahrzeugs auf eine Liege, zog ihm die Schuhe aus und machte kalte Wadenwickel. Mehr konnte er vorerst für das Mädchen nicht tun. Dann stieg er nochmals aus, hob mit seinem Antigrav-Kran den Gleiter auf den großen Anhänger des Transporters und befestigte ihn dort, so gut es ging. Ansonsten würde die Flugmaschine schon bald von einem umher reisenden Schrotthändler gefunden und zerlegt werden. Anschließend machte sich Kensako eilig auf den Rückweg. Er war etwa fünfunddreißig Jahre alt, groß und kräftig mit dunklen, kurzen Haaren, trug eine Art Jeanshose, ein Sweatshirt und stabile Schuhe. Während der Fahrt beobachtete er besorgt das junge Mädchen über die Bordkamera, doch sie regte sich nicht, atmete aber regelmäßig. Sie mochte etwa sechzehn Jahre alt sein, war schlank, mit schulterlangem blondem Haar und einem hübschen Gesicht. Das einteilige Kleidungsstück, welches nur ihren Rumpf bedeckte, ähnelte einfacher Sportkleidung. Der Stoff glänzte in einem metallischen Grau. Nach längerer Fahrt erreichte Kensako am späten Nachmittag die Siedlung. Eilig entfernte er die Wadenwickel und trug das Mädchen zu seinem Haus, wobei er lautstark nach Joshiri der Heilerin rief, die rasch herbeigelaufen kam. Sie war knapp sechzig Jahre alt mit langen, dunklen Haaren, etwas kleiner als Kensako und von kräftiger Gestalt, trug eine lange, einfarbige Hose, eine bunte Bluse und flache Schuhe.

»Was ist passiert, wer ist dieses Mädchen?«, fragte sie ein wenig außer Atem.

»Ich habe sie im Ödland in dem abgestürzten Gleiter gefunden, der hinten auf dem Anhänger liegt. Sie scheint unverletzt, hat aber sehr hohes Fieber und ist bewusstlos!«, antwortete Kensako, während er sie auf seinem Bett ablegte.

Joshiri untersuchte das Mädchen und kam zu dem gleichen Ergebnis. »Oje, das arme Kind glüht ja regelrecht. Ich hole rasch einige Medikamente aus meinem Haus. Bin gleich zurück!« Schon eilte sie hinaus.

Da die Kleidung des Mädchens völlig durchgeschwitzt war, zog Kensako ihr das feuchte Kleidungsstück aus und bekleidete sie mit einem kurzärmeligen Hemd. Das war ihr zwar etwas zu groß, doch für den Moment erfüllte es seinen Zweck. Danach legte er ihr wieder Wadenwickel an, um das Fieber zu senken. Kurze Zeit später kehrte Joshiri mit den Medikamenten zurück und erklärte Kensako deren Anwendung. Nun mussten sie abwarten, bis das Mädchen wieder zu sich kam. Während die Heilerin über sie wachte, lief Kensako zu seinem Transporter und fuhr mit ihm hinter das Haus zu einem Schuppen. Dort hob er den Gleiter mit dem Antigrav-Kran vom Anhänger und setzte ihn in dem großen Lagerraum ab, den er danach sorgfältig verschloss. Dann holte er noch die Schuhe des Mädchens aus dem Transporter und ging ins Haus zurück. Da Joshiri noch weitere Patienten zu versorgen hatte, übernahm er wieder die Wache am Bett des Mädchens und wechselte die ganze Nacht hindurch regelmäßig die Wadenwickel, doch das Fieber wollte einfach nicht sinken. Das Mädchen stöhnt mehrmals in der Nacht, sagte einzelne Wortfetzen wie »Angriff«, »Gefahr«, »Auftrag«, »ausführen«, »Hacker«, »ausschalten«. Dadurch wurde Kensako klar, welchen Auftrag sie hatte.

Am folgenden Morgen sah Joshiri nach dem Mädchen, deren Zustand jedoch unverändert war. »Sie benötigt Antibiotika, sonst stirbt sie uns noch!«, sagte die Heilerin mit ernster Miene. »Bitte Kensako, fahr in die Stadt zu Toruki. Sie bekommt aus unbekannter Quelle saubere Arznei. Vielleicht können wir sie damit retten.«

»Ausgerechnet zu Toruki!«, maulte Kensako. »Als ich das letzte Mal bei ihr war, hätte sie mich beinahe erschossen!«

Joshiri musste schmunzeln. »Ja ich weiß, sie ist ein bisschen schwierig.«

»Das ist ja wohl die freundlichste Untertreibung, die ich je gehört habe für diese rauchende, keifende, schießwütige Großkaliber-Fetischistin!«, polterte Kensako. »Das kostet dich mindestens ein gutes Essen, falls ich lebend zurückkomme!«

»In Ordnung, sollst du haben«, antwortete Joshiri lachend. »Ich besorge dir noch etwas zum Tauschen.«

»Leg auch gleich noch eine Betäubungswaffe dazu«, brummte Kensako halbernst.

Joshiri winkte nur lachend ab und ging hinaus, während sich Kensako rasch umzog. In Wirklichkeit machte er sich große Sorgen um das schwerkranke Mädchen, doch er wusste sie bei Joshiri in guten Händen. Kurz bevor er das Haus verließ, sah er noch einmal nach seiner Patientin und streichelte ihr sanft über den Kopf. »Halt durch, Kleine, ich bin bald wieder da«, flüsterte er sanft. Dann ging er aus dem Haus.

Auf halbem Weg zu seinem Transporter kam ihm Joshiri mit einem großen Korb entgegen, der Früchte, Gemüse und eine Menge Tabak enthielt. »Hier, das sollte reichen. Eigentlich können wir uns das gerade nicht leisten, aber ich kann das Mädchen nicht einfach sterben lassen«, sagte sie mit ernster Miene.

»Geht mir genauso!«, bestätigte Kensako.

»Sei nett zu Toruki«, meinte Joshiri verschmitzt.

»Sag ihr lieber, sie soll nett zu mir sein!«, polterte Kensako.

Die Heilerin schüttelte amüsiert den Kopf. »Pass gut auf dich auf.«

»Mach ich doch immer!«, antwortete Kensako schmunzelnd, worauf Joshiri ihm einen skeptischen Blick zuwarf, den er mit einem Zwinkern quittierte. Etwas später rollte er mit seinem Transporter aus der Siedlung und beeilte sich in die Stadt zu gelangen. Toruki wohnte in einem Randbezirk, der mit dem großen Transporter leicht zu erreichen war. Nach mehrstündiger Fahrt parkte Kensako sein Fahrzeug vor Torukis Haus, nahm neben dem Korb mit Früchten und Tabak vorsichtshalber auch seine Pistole mit und ging langsam auf den Eingang zu. Da hörte er auch schon ihre krächzende Stimme.

»Keinen Schritt weiter, Kleiner, oder ich blase dich weg!« Zur Bestätigung erschien der Lauf einer abgesägten Schrotflinte im Türspalt.

»Schon gut Toruki, ich bin es, Kensako! Ich brauche etwas von dir!«, rief er und verdrehte in komischer Verzweiflung die Augen.

»Hast ganz schön Mut hier wieder aufzutauchen, Kleiner!«, keifte Toruki. Die Tür öffnete sich und die ältere Frau spähte vorsichtig hinaus. »Was stehst du da so dumm herum, komm endlich herein!«

Kensako ging mühsam beherrscht weiter, während Toruki zwei Schritte zurücktrat und ihn mit vorgehaltener Waffe eintreten ließ. Der kräftige Mann schloss die Tür, worauf die ältere Frau mit ihrer Waffe auf das Sofa deutete. Kensako setzte sich wortlos, während Toruki ihm gegenüber Platz nahm, die Waffe immer in Reichweite. Sie war deutlich kleiner als er und mindestens schon siebzig Jahre alt. Wie üblich waren ihre grauen Haare ungepflegt, genauso wie ihre gesamte Erscheinung. Auch die verwaschene Hose und der verfilzte Pullover machten da keine Ausnahme. Wenn sie den Mund öffnete, sah man ihre vom Rauchen vergilbten Zähne. Kensako wusste jedoch, dass man sie nicht unterschätzen durfte. Ihre Reflexe waren immer noch schnell und ihre Vorliebe für große Waffen war hinreichend bekannt.

»Nun, Kleiner, was willst du von mir?«, fragte sie respektlos.

Kensako reichte ihr den Korb. »Das soll ich dir von Joshiri geben. Sie braucht Antibiotika von dir.«

Toruki nahm den Korb an sich und spähte hinein. Darauf lag wie üblich ein Zettel mit dem Namen des benötigten Medikamentes. »Ach ja, die liebe Joshiri weiß eben, was gut für mich ist.« Die ältere Dame stellte den Korb ab und las, was auf dem Zettel stand. »Du hast Glück, vor zwei Tagen habe ich davon wieder eine Lieferung bekommen.« Sie erhob sich und schlurfte zu einer Tür. Als Kensako sich erheben wollte, blickte er erneut in den Lauf ihrer Waffe. »Schön brav sitzen bleiben. Rühr dich nicht von der Stelle!«

Kensako verdrehte die Augen und lehnte sich wieder zurück. Der Rauch ihrer glimmenden Zigarre im Aschenbecher stieg ihm ins Gesicht und ließ ihn husten. Überhaupt stank die gesamte Wohnung nach Rauch, so dass ihm allmählich übel wurde. Zum Glück kehrte Toruki rasch zurück und übergab ihm eine Kiste mit dem benötigten Medikament.

»Das sollte erst einmal reichen«, meinte sie, schlurfte zur Haustür und spähte hinaus. »In Ordnung, die Luft ist rein«, sagte sie grinsend und entblößte dabei ihre gelben Zähne, was Kensakos Magen wiederum nicht gut bekam. Er beeilte sich hinaus zu gelangen und brummte dabei noch einen kurzen Dank. »Besuch mich ‘mal wieder!«, krähte sie ihm noch hinterher und lachte keckernd, während Kensako ihr einen genervten Blick zuwarf. In seinem Transporter beruhigte er erst einmal seinen Magen, bevor sich der kräftige Mann wieder hinters Steuer setzte und beeilte zur Siedlung zu kommen. Die erreichte er am frühen Abend. Auf dem Weg zu seinem Haus kam ihm Joshiri schon entgegen. Sie begrüßten sich herzlich.

»Wie ich sehe, wurdest du nicht angeschossen«, bemerkte die Heilerin grinsend.

»Erinnere mich nicht daran!«, brummte Kensako.

»War's so schlimm?«, fragte Joshiri amüsiert.

»Noch schlimmer!«, konterte der kräftige Mann, worauf die Heilerin kurz auflachte. »Wie geht es unserer Patientin?«, fragte Kensako darauf besorgt.

»Unverändert schlecht«, antwortete Joshiri ernst. »Ich werde ihr am besten sofort eine Dosis Antibiotika geben.«

Kensako nickte und folgte dann der Heilerin ins Haus. Während er sich kurz erfrischte und umkleidete, zog Joshiri eine Spritze mit dem Medikament auf und verabreichte sie dem kranken Mädchen, das immer noch nicht bei Bewusstsein war.

»Hoffentlich sinkt jetzt das Fieber, sonst verlieren wir sie«, sagte die Heilerin.

Kensako nickte wortlos und streichelte dem Mädchen über die Haare. »Danke, dass du dich um sie gekümmert hast«, sagte er dann zu Joshiri.

»Dafür bin ich schließlich da«, entgegnete die Heilerin. »Du solltest dich auch ausruhen. War sicher ein anstrengender Tag.«

»Werde ich jetzt auch tun«, versprach Kensako und setzte sich neben das Bett.

»Ich schau gleich morgen früh wieder vorbei«, sagte Joshiri.

»In Ordnung, gute Nacht!«, wünschte ihr Kensako.

»Gute Nacht«, antwortete die Heilerin und kehrte in ihr Haus zurück.

Kensako wandte sich dem Mädchen zu und nahm ihre Hand in seine. »Werd' wieder gesund, Kleines«, sagte er besorgt. Dann drückte er ihre zierliche Hand und streichelte sie längere Zeit, bis er es sich in einem Sessel neben dem Bett gemütlich machte. Auch in dieser Nacht wechselte er regelmäßig die Wadenwickel und stellte erfreut fest, dass das Fieber langsam sank. Ansonsten verlief die Nacht ruhig.

Wie versprochen sah Joshiri am nächsten Morgen nach dem Mädchen und war froh, dass das Fieber allmählich nachließ. »Wenigstens wirkt das Antibiotikum. Jetzt hoffe ich, dass sie bald aufwacht.«

»Das hoffe ich auch«, sagte Kensako, während er die Wadenwickel erneuerte.

»Du siehst müde aus«, meinte Joshiri besorgt.

»Hab' auch wenig geschlafen, aber das kann ich nachholen, wenn es der Kleinen wieder besser geht. Du weißt doch: Einen alten Kämpfer haut so schnell nichts um«, antwortete er zwinkernd.

»Schon klar, aber übertreib es nicht«, ermahnte ihn die Heilerin.

»Zu Befehl!« Der alte Kämpfer salutierte zackig.

Joshiri schüttelte nur amüsiert den Kopf. »Ich komme zur Mittagszeit nochmals vorbei, und du solltest dich wirklich etwas ausruhen«, brummte sie in gespieltem Ärger.

»In Ordnung, mache ich«, versprach Kensako schmunzelnd.

Die Heilerin verließ ihn mit einem skeptischen Blick, den Kensako erneut mit einem Zwinkern quittierte. Dann tat er wie geheißen, machte es sich in dem Sessel neben seiner Patientin wieder bequem und döste, während er zwischendurch regelmäßig die Wadenwickel bei dem Mädchen wechselte. Zur Mittagszeit hörte er sie plötzlich stöhnen und war sofort hellwach. Kurze Zeit später erwachte das Mädchen endlich.

»Was ist los, wo bin ich?«, fragte sie verwirrt und wollte hochfahren, doch Kensako drückte sie sanft in die Kissen zurück.

»Keine Angst, niemand tut dir etwas zuleide. Du musst liegenbleiben, denn du bist noch sehr krank und hast hohes Fieber.« Wie zur Bestätigung legte er seine Hand auf ihre heiße Stirn. »Mein Name ist Kensako. Du bist mit deinem Gleiter abgestürzt. Ich habe dich gefunden und in mein Haus in der Rakanjo-Siedlung gebracht. Du liegst hier schon seit zwei Tagen.«

»Seit ... zwei Tagen?«, fragte das Mädchen ungläubig.