Ike K. Lasater

Worte, die im Business wirken

Gewaltfreie Kommunikation – bewährte Techniken für den Arbeitsalltag

Vorwort

Sieben Schritte in die Freiheit

Im Mai 1986 traf ich zum ersten Mal Marshall Rosenberg, den Entwickler und Begründer der Gewaltfreien Kommunikation (GFK). Wir waren etwa 25 Teilnehmer, die zu einem Einführungstraining gekommen waren, bei dem es um die Grundlagen ging: Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten. Ich war begeistert: solch ein einfaches Modell, das so viel erklärte! Viele von uns, ich eingeschlossen, waren während des Workshops tief berührt.

Am Abend des zweiten Tages traf ich zum Abendessen meine Frau Judith, mit der ich damals seit 24 Jahren verheiratet war, und unsere drei Kinder, die damals 19, 16 und 14 Jahre alt waren. Ich weiß noch, wie ich ihnen in meiner Begeisterung erzählte, was ich tagsüber gelernt hatte. Kurz darauf korrigierte ich jemanden, der versuchte, das anzuwenden, was ich gerade erzählt hatte, mit scharfer Stimme: „Das ist kein Gefühl!“ Meine Reaktion zeigte mir, wie viel ich noch zu lernen hatte und wie tief die alten Verhaltensmuster, die ich verändern wollte, noch in mir verwurzelt waren. Seit damals ist der Satz „Das ist kein Gefühl“ mein eigener GFK-Witz über mich selbst.

Als ich GFK lernte, fand ich heraus, wie leicht es doch sein konnte, einen neuen Satz von Regeln anzunehmen und ihn in dem bereits von mir gelebten Paradigma anzuwenden. Ich war in eine Seinsform hinein sozialisiert worden – erst an der Brust meiner Mutter und dann in der rauen Welt meiner Mitbürger –, die voller Scham und Schuldzuweisungen war. Ich hatte gelernt mich anzupassen und hatte in diesem Paradigma und Gesellschaftssystem nicht nur Erfolg, sondern wurde auch davon durchdrungen. Als mir Jahre später meine Aufzeichnungen jenes ersten Workshops mit Marshall wieder in die Hände fielen, musste ich lachen, als ich sah, wie ich seine Worte in Regeln gepresst hatte wie „Sagen Sie es nicht so ...“ und „Sie sollten sagen ...“ und so weiter.

Ich erzähle das zum Teil auch, um Sie davor zu bewahren, dasselbe zu tun. Ich möchte nicht, dass Sie in der Begeisterung über Ihre neue Entdeckung das tun, was für mich so einfach war – meine eigene Vorstellung von GFK anderen aufzudrängen, bevor ich sie selbst verinnerlicht hatte. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie man darunter leiden kann. Ich wünsche Ihnen Folgendes: Wenn Sie in diesem Buch etwas für Sie Nützliches finden, wenden Sie es erst in Ihrem eigenen Leben an, bevor Sie versuchen, andere dafür zu interessieren. Äußern Sie Bitten gegenüber sich selbst und anderen, keine Forderungen. Lernen Sie den Unterschied. Fühlen Sie ihn. Lernen Sie zu lernen. Das wünsche ich mir bis heute für mich selbst am meisten – und natürlich auch für Sie.

Für mich bedeutet GFK zum Teil eine Möglichkeit, meine Wahrnehmung der Realität durch meine Art, über sie nachzudenken und zu sprechen, zu erneuern; zum anderen Teil ist sie eine stark vom Einsatz der Sprache abhängige Methode, meinen Umgang mit anderen friedvoller zu gestalten. Bei der GFK geht es also nicht nur darum, wie ich Sprache bei der Kommunikation mit mir selbst (d. h. wie ich denke) und mit anderen (d. h. wie ich spreche) verwende, sondern auch darum, wie ich die Wahrnehmungen meiner Sinne aus meiner inneren und äußeren Welt filtere. Für mich ist GFK immer ein sehr hilfreiches Mittel gewesen, eine Strategie, wenn Sie es so nennen wollen, meine Werte in der Welt zu leben. In diesem Buch liegt der Schwerpunkt auf GFK als Strategie, nicht als Selbstzweck.

Wenn Sie hier etwas über GFK lesen, könnten Sie den Eindruck haben, dass ich mich auf ein etabliertes konkretes „System“ beziehe. Das tue ich nicht. Ich spreche von meinem Verständnis von GFK, und das ist die Interpretation meiner ganz persönlichen Erfahrungen. Ich schlage vor, Sie behandeln GFK wie ein Experiment – nicht wie etwas Statisches oder als ein Bedürfnis an sich. Probieren Sie meine Vorschläge aus und achten Sie dabei auf Ihre eigenen Erfahrungen. Lernen Sie dann das, was Ihnen lohnend erscheint. So wird GFK ein Teil von Ihnen, etwas, das aus Ihrem selbst entdeckten und selbst angeeigneten Lernen entstanden ist.

Damit will ich sagen, dass die Interpretationen in diesem Buch weitestgehend meine eigenen sind, die sich auf viele Jahre gründen, in denen ich Workshops mit Marshall Rosenberg und anderen besucht habe und in denen ich das Gelernte in vielen Situationen angewandt habe: Mediation zahlloser Kontroversen, Coachen vieler Menschen in Konfliktsituationen, Leitung von Workshops und sechsjährige Mitarbeit im Vorstand des Center for Nonviolent Communication (CNVC). Ich habe versucht, mein Verständnis von GFK zu verkörpern und es täglich anzuwenden; dabei hat sich meine Präsentation von GFK geändert und ist nicht mehr dieselbe, die mir selbst einst präsentiert wurde. Konsequenterweise erhebe ich nicht den Anspruch, dass das, was ich in diesem Buch als GFK vorstelle, mit der Interpretation anderer übereinstimmt.

Am Entstehen dieses Buches war auch Julie Stiles stark beteiligt, sodass ihre Sicht der Welt in den Text Einzug gehalten hat. Aus meiner Sicht hat dieser unvermeidbare Teil unserer Zusammenarbeit dieses Buch nicht nur überhaupt möglich, sondern sehr viel besser gemacht, als es ohne ihre Unterstützung geworden wäre.

Abschließend bitte ich um Ihr Feedback, wie wir dieses Buch für zukünftige Auflagen verbessern können. Besonders würde mich interessieren, was wir Ihrer Meinung nach ausgelassen haben und wie wir das, was wir geschrieben haben, hätten besser machen können. Wenn Sie uns diese Art Feedback geben wollen, schreiben Sie mir bitte eine E-Mail an IkeLasater@WordsThatWork.us.

Einführung

Einige von Ihnen haben vielleicht bereits folgende Erfahrung gemacht: Sie kommen gerade aus einem Workshop für Gewaltfreie Kommunikation und sind voller Hoffnungen und Ideen. Sie sind energiegeladen und ganz gespannt auf Ihre zukünftigen bedeutungsvollen, mit einem Gesprächspartner verbundenen Kommunikationen. In Ihrer Begeisterung, das Gelernte mit jemandem zu teilen, gehen Sie nach Hause oder zurück an Ihren Arbeitsplatz, um bei der nächstbesten Gelegenheit etwas aus dem Workshop auszuprobieren. Doch statt der kraftvollen emotionalen Verbindung und der klaren Bitte, auf die Sie sich gefreut haben, sagt der andere: „Wie redest du denn?“ Sie spüren, wie Ihre Aufregung schwindet, Ihr Energielevel sinkt und zu Ihrem großen Bedauern reagieren Sie genauso wie immer statt auf mitfühlende verbundene Weise, wie Sie es sich erhofft hatten.

Wenn unsere ersten Versuche, das Gelernte zu üben oder mit anderen zu teilen, auf wenig Begeisterung stoßen, dann sind wir schnell entmutigt und glauben, dass die neu erworbenen Fähigkeiten in manchen Situationen – wie zum Beispiel am Arbeitsplatz – nur schwierig anzuwenden sind. So kann es passieren, dass Sie die frisch gelernten Kenntnisse über GFK für sich selbst als sinnvoll erachten, aber dennoch so etwas denken wie: „Ich kann den Wert von GFK für mein Privatleben erkennen, und vielleicht können andere Leute sie auch an ihrem Arbeitsplatz anwenden, aber an meinem geht das nicht! Die Leute an meinem Arbeitsplatz sind dafür einfach nicht offen!“

Solche Gedanken kann ich verstehen, denn ich habe auch mal so gedacht. Als ich anfing GFK zu lernen, arbeitete ich als Strafverteidiger. Das letzte Gerichtsverfahren, an dem ich teilnahm (1999 vor meinem Rückzug als Anwalt und meiner Arbeit im Vorstand des CNVC), fand vor dem Oberlandesgericht im Central Valley of California statt. Es ging um die Entsorgung toxischer landwirtschaftlicher Chemikalien. Als Zeugin der Regierung trat eine hoch qualifizierte, sehr analytische Chemikerin auf, die noch nie vor einem Gericht ausgesagt hatte. Ich kannte ihre Zeugenaussage, weil ich sie vorher aufgenommen hatte. Während des Verfahrens wollte ich einige der Aspekte herausstellen, um sicherzustellen, dass sie ins Gerichtsprotokoll aufgenommen wurden. Mein Kreuzverhör wurde jedoch zu einem quälend unerfreulichen Prozess. Sie beantwortete zwar jede meiner Fragen, führte aber dann unnötigerweise alle anderen Aspekte ausführlich an, zu denen sie bereits eine Aussage gemacht hatte.

In meiner Verzweiflung setzte ich alle Techniken ein, die ich als Anwalt gelernt hatte, um sie unter Kontrolle zu bringen und sie daran zu hindern, diese langen Erklärungen zu wiederholen. Keine dieser Kreuzverhörtechniken brachte den gewünschten Erfolg. In einer Pause erfuhr ich sogar, dass die Zeugin meine Versuche als Erniedrigung ihrer Person interpretierte. Es ist mir peinlich zugeben zu müssen, dass es mir den ganzen Tag lang nicht in den Sinn kam, eine andere Art der Kommunikation auszuprobieren.

Ich war verzweifelt, denn wir lagen weit hinter dem Zeitplan zurück, und ich befürchtete, der Richter würde das Kreuzverhör abbrechen, wenn es am nächsten Tag so weiterging. Am Abend überlegte ich mir, was ich tun könnte, als eine kleine innere Stimme mir sagte: „Versuch es doch mal mit GFK.“

Meine spontane Antwort war: „Nein, nicht in dieser Situation!“ Nach meinen Erfahrungen mit der steifen Umgebung des Gerichtssaals – ich am Rednerpult, die Zeugin in ihrer Zeugenbank, der Richter am Richtertisch und hinter mir ein Haufen Anwälte der Regierung, die nur allzu bereit waren, gegen meine Sprache Einspruch einzulegen, wenn ich von dem abwich, was üblich war – hielt ich es für äußerst schwierig, meine GFK-Fähigkeiten einzusetzen. Dennoch ließ mir meine Situation keine andere Wahl und ich fing an, mir einen Weg mit GFK zurechtzulegen. Nachdem ich mir eine Zeit lang Selbst-Empathie gegeben hatte, legte ich mir das Verhör der Zeugin gedanklich zurecht.

Am nächsten Tag fing das alte Spiel von Neuem an. Als die Zeugin auf meine Fragen wieder mit ihren langen Erklärungen begann, unterbrach ich sie: „Entschuldigen Sie mich bitte.“ Als sie still war und ich ihre ganze Aufmerksamkeit hatte, fuhr ich fort: „Ich mache mir Sorgen, dass Ihre Zeugenaussage die gesamte verbleibende Zeit in Anspruch nimmt und frage mich, ob Sie wohl bereit wären, erst einmal nur meine Fragen zu beantworten und Ihre Erklärungen auf später zu verschieben. Ich verspreche Ihnen, dass Sie Zeit bekommen werden, noch vor Abschluss der Zeugenaussagen mit dem Regierungsrat zu sprechen und alle weiteren Dinge zu erklären. Wären Sie jetzt erst einmal bereit, nur meine Fragen zu beantworten?“

Ich gebe zu, während ich diese Frage stellte war meine Pulsfrequenz in die Höhe geschossen und das Herz schlug mir bis zum Hals. Bis heute weiß ich nicht, was ich mir selbst einredete, dass ich so stark reagierte. Vielleicht hatte ich panische Angst, jemand könne Einspruch erheben und mit den Worten aufspringen: „Sie können in einem Gerichtssaal nicht GFK anwenden!“ Natürlich rührte sich niemand. Nach einem kurzen, Zustimmung erheischenden Blick auf die Regierungsvertreter war sie mit meinem Vorschlag einverstanden. Ich musste sie zwar noch einige Male an unsere Vereinbarung erinnern, aber das Kreuzverhör endete schneller und reibungsloser als befürchtet.

Meine heftige physische Reaktion beim Versuch, eine neue Art der Kommunikation auszuprobieren, zeigt, wie schwer es vielen von uns fällt, unser Verhalten in einer etablierten Umgebung zu verändern. Wir glauben, die Leute um uns herum erwarten eine bestimmte Verhaltensweise von uns, und oft reagieren wir darauf so, dass wir unser Verhalten und unsere Kommunikation deren engen Grenzen anpassen, weil wir vermuten, dass das von uns erwartet wird. Das muss aber nicht so sein.

Wenn Sie meinen, dass die Einführung von etwas Neuem an Ihrem Arbeitsplatz eine nervenaufreibende und angsterfüllende Angelegenheit ist, dann ist dieses Buch für Sie geschrieben. Sie finden hier Vorschläge, die Sie in all Ihren Lebensbereichen anwenden können. Dennoch geht es hauptsächlich um den Arbeitsplatz, weil viele Menschen sich unwohl fühlen, wenn sie ihre neuen Kommunikationsfähigkeiten bei Mitarbeitern, Vorgesetzten und Angestellten ausprobieren. Das ist besonders dann der Fall, wenn sie kein Vertrauen haben, dass ihre Bedürfnisse nach Selbsterhalt und Überleben auch künftig bei der Arbeit erfüllt werden.

Dennoch werden diese Beziehungen am Arbeitsplatz genauso wie andere Beziehungen von Ihren GFK-Kenntnissen profitieren – und wir hoffen, dass das Ergebnis mehr Freude an der Arbeit ist. Wir gehen davon aus, dass Sie einige Aspekte Ihrer GFK-Fähigkeiten am Arbeitsplatz anwenden können, ganz gleich, wie fortgeschritten Sie sind. Wir geben Ihnen eine Grundausstattung mit Übungen an die Hand, die Ihr Vertrauen in GFK stärken und Ihnen helfen wird, sie so fließend zu beherrschen, dass Sie das Gelernte sogar in solchen Situationen werden anwenden können, in denen Sie es jetzt noch für unmöglich halten.

Einige Bemerkungen, bevor wir anfangen

Dieses Buch soll Ihnen helfen, bereits Gelerntes zu vertiefen, damit Sie sich sicher genug fühlen, Ihre GFK-Fähigkeiten am Arbeitsplatz einzusetzen. Bevor wir mit dem ersten Kapitel beginnen, wollen wir Ihre Grundkenntnisse auffrischen, damit Sie sich im Buch besser zurechtfinden. In Kapitel 1 werden wir ergründen, wie die stille Anwendung von GFK funktioniert. So können Sie Ihre Fähigkeiten sofort für sich in den Situationen anwenden, in denen Sie sich jetzt noch unwohl fühlen würden, es laut zu tun. Das darauffolgende Kapitel erklärt den Lernzyklus und sein Verhältnis zu Übungen des Bedauerns und Feierns. Diese Übungen können besonders wichtig sein, da sie Sie an Ihren Wunsch erinnern, Ihre Kommunikationsfähigkeiten auszudehnen, und an die Versprechen, die Sie sich selbst zur Umsetzung gegeben haben. Wenn Sie dies in Ihr Leben integrieren wollen, ist Übung der Schlüssel dazu. Kapitel 3 beschäftigt sich damit, wie der Wille Ihre Absichten unterstützen kann. Für uns ist das Äußern von Bitten ein überaus wichtiger Teil bei der Anwendung von GFK, und nur wenige von uns beherrschen es richtig. Darum werden wir in Kapitel 4 Wege vorstellen, auf denen Sie zum Ziel gelangen. Wenn sich dann schließlich Ihre Fähigkeiten gefestigt haben und Sie nach weiteren Herausforderungen Ausschau halten, finden Sie im letzten Kapitel Beispiele, wie man mit Problemen umgeht, die sich typischerweise am Arbeitsplatz stellen.

Sie können dieses Buch auf verschiedene Weise nutzen. Wenn Sie es von Anfang bis Ende durchlesen wollen, nehmen Sie sich bitte auch Zeit für die Übungsvorschläge. Vielleicht möchten Sie sich aber lieber ein Kapitel vornehmen, das Ihr aktuelles Problem behandelt. Sollten Sie zum Beispiel bei der Arbeit in einem Konflikt stecken und merken, dass Sie sich selbst oder andere Beteiligte verurteilen, möchten Sie vielleicht direkt in die Feindbilder-Abteilung in Kapitel 5 gehen, wo Sie „Vorschläge für den Umgang mit den üblichen Problemen der Kommunikation am Arbeitsplatz“ finden.

Vielleicht möchten Sie auch einfach nur ein Buch wie dieses lesen, ohne irgendetwas zu üben. Im Text werden Sie überall verteilt Kästen mit der Überschrift „Übungspause“ finden. Wir hoffen, dass diese Übungen Sie dennoch dazu verführen, eine Pause einzulegen und sofort etwas zu üben, bevor Sie weiterlesen. Die Übungspausen sollen Sie daran erinnern, dass man wirklich jederzeit üben kann. Sie werden auch überall im Text Beispiele von Situationen am Arbeitsplatz finden, in denen der Protagonist („Sie“) sich mit einer Vorgesetzten (Magna) und zwei Mitarbeitern (Harold und Karen) auseinandersetzt. Diese Beispiele verdeutlichen noch mehr, wie man in realen Lebensverhältnissen mit der Sprache und der Absicht von GFK arbeiten kann. Leider bringt die schriftliche Form Begrenzungen mit sich, sodass die Beispiele einen falschen Eindruck der tatsächlichen Empathie-Prozesse vermitteln können, besonders wenn man in Gedanken herumwandert, bevor man den Punkt erreicht, an dem man sich über die Bedürfnisse klar wird (seien es die eigenen oder die der anderen). Darum raten wir Ihnen, so viel wie möglich aus diesen Beispielen mitzunehmen, ohne zu erwarten, dass der Empathie-Prozess bei Ihnen genauso schnell, leicht oder geradlinig verläuft, wie er in den beschriebenen Szenarien erscheint.

Sie erinnern sich?

Wenn man anfängt, Gewaltfreie Kommunikation zu lernen, kann es so aussehen, als ginge es nur um die Wahl und Anordnung der Worte – um die Syntax sozusagen – und wir werden unsere Aufmerksamkeit tatsächlich auf diese Aspekte lenken. Dennoch bitten wir Sie, dabei nicht zu vergessen, dass es bei der GFK im Grunde genommen um die Absicht geht. Die Syntax ist in erster Linie eine Strategie, uns an diese Absicht zu erinnern, und erst in zweiter Linie eine Möglichkeit, unsere Absicht für andere klarer und verständlicher auszudrücken. Die eigentliche Absicht der GFK ist die Verbindung – mit uns selbst und mit anderen. Aus diesen Verbindungen heraus können wir für beide Seiten zufriedenstellende Ergebnisse erzielen. Wenn wir unsere Absicht klar vor Augen haben, sind wir frei, die Worte zu benutzen, die in die aktuelle Situation oder Umgebung passen. Wir sprechen in diesem Buch auf eine bestimmte Art und Weise über Bedürfnisse – normalerweise immer dann, wenn wir versuchen, ein menschliches Bedürfnis mit nur einem Wort zu bezeichnen. In der direkten Kommunikation mit einem anderen Menschen ist jedoch die Absicht wichtig, sich zu verbinden. Der genaue Wortlaut ist dabei letztlich sekundär. Wir hoffen, dass Sie in solchen Situationen Worte verwenden, die für den Menschen, mit dem Sie reden, die entsprechende Bedeutung und Resonanz haben und die gleichzeitig Bedürfnisse identifizieren (z. B. allgemeine menschliche Bedürfnisse, die nicht für eine bestimmte Strategie typisch sind).

Hinter jeder Absicht, sich zu verbinden, steht der Wunsch, intuitiv und unbewusst mit sich selbst und folglich mit seinen eigenen Bedürfnissen verbunden zu sein. Den meisten von uns ist dies als Kind nicht beigebracht worden. Stattdessen haben wir als Kind gewohnheitsmäßige Reaktionsmuster entwickelt, die sich mit der Zeit so tief in uns verwurzelt haben, dass uns diese Gewohnheiten nicht mehr bewusst sind. Wenn wir lernen, uns mit unseren Bedürfnissen zu verbinden, haben wir die Chance, diese alten Muster abzulegen. Diese Entwicklung braucht jedoch für gewöhnlich viel Zeit und Übung. Wenn wir uns immer wieder die durch unsere Handlungen erfüllten und nicht erfüllten Bedürfnisse bewusst machen, und zwar besonders in Situationen, in denen wir gewohnheitsmäßig reagiert haben, dann öffnet sich in uns ein Raum, in dem wir künftig anders handeln können. Indem wir immer wieder ins Jetzt zurückkehren und uns mit unseren Bedürfnissen verbinden, ändern wir unser Verhalten uns selbst und anderen gegenüber. Wir erschaffen nach und nach eine Welt, die im Einklang ist mit unseren Werten.

Wenn wir es uns zur Gewohnheit machen, uns mit unseren Bedürfnissen zu verbinden, dann wechseln wir in den Lernmodus über. Sollten Sie zum Beispiel auf die Bemerkung eines Mitarbeiters auf die gewohnte Weise reagieren und anschließend feststellen, dass Ihre Reaktion nicht in Harmonie mit Ihren Werten war, dann können Sie sich selbst fragen, welches Ihrer Bedürfnisse Sie damit erfüllen wollten und welche Ihrer Bedürfnisse unerfüllt sind. Das natürliche Ergebnis dieser Selbstbefragung ist die Frage: „Wie kann ich es das nächste Mal anders machen, um meine Bedürfnisse besser zu erfüllen?“ Wir bitten Sie, diese ganze Befragung ohne auch nur den Anflug von Urteil, Bestrafung, Schuldzuweisung, Scham, Schuldgefühl, Ärger oder Depression durchzuführen. Stellen Sie einfach nur fest, welche Bedürfnisse erfüllt wurden oder auch nicht und suchen Sie neue Wege, ihnen besser gerecht zu werden. Sie müssen es nur oft genug tun, dann werden Sie vertraut mit diesem zyklischen Lernprozess, in dem Sie sich Ihres Verhaltens bewusst werden, es bedauern, es feiern, das verstärken, was Ihnen gefiel, und das unterlassen, was Ihnen nicht gefiel – all dies, um Ihre Bedürfnisse zu erfüllen (in Kapitel 2 finden Sie mehr zu diesem Lernzyklus). Schon bald fangen Sie an, sich sofort zu erinnern und neue Wege auszuprobieren, und dann lernen Sie weiter von den Erfahrungen auf Ihrem Weg. Konsequenterweise entwickeln Sie aus diesen Prozessen Fähigkeiten, die mit der Absicht übereinstimmen, Ihre eigenen Bedürfnisse und die der anderen zu erfüllen.

Diesen Prozess habe ich weder in der Kindheit noch während der Sozialisierung in die Welt der Erwachsenen gelernt. Man brachte mir nur bei herauszufinden, wer schuld war, und denjenigen dann zu beschuldigen und zu bestrafen. Ich lernte, mich vor Kritik zu schützen, Bestrafungen zu vermeiden und die Schuld an andere weiterzugeben. Die Ergebnisse dieses nicht sehr bewussten Prozesses von Scham und Schuldzuweisungen bestimmten, wie ich mich fühlte. Also lernte ich, wie man vermied die Schuld zugewiesen zu bekommen und bestraft zu werden – mit anderen Worten, ich lernte zu vermeiden, was ich nicht wollte. Dieser Prozess half mir nicht dabei zu lernen, was ich eigentlich wollte, was mir helfen konnte zu gedeihen und wie ich mir ein Leben nach meinen Vorstellungen erschaffen konnte. Erst als ich meinen Schwerpunkt verlagerte und anfing, mich mit meinen Bedürfnissen zu verbinden, konnte ich sie als das erkennen, wonach ich mich sehne. Ich konnte meinen Geist befreien, damit er das, was er macht, gut macht. Und das bedeutet, die Muster der Vergangenheit zu durchsieben und die Strategien zu finden, die vielleicht meine Bedürfnisse erfüllen. Ich betrat einen Lernzyklus, in dem ich das, was ich wollte, erschaffen konnte.

Deshalb geht es aus meiner Perspektive beim Einsatz von GFK nicht nur darum, seine Fähigkeiten am Arbeitsplatz zu entwickeln und zu üben, sondern auch darum, neue Wege einzuschlagen, auf denen ein jeder sich mit seinen Bedürfnissen verbinden kann, statt immer wieder die alten, tief verwurzelten Muster zu wiederholen. Wenn wir mit unseren eigenen Bedürfnissen verbunden sind, können wir uns jederzeit über unsere Absichten im Klaren sein.

Die spezifische Syntax, die Sie mit der GFK lernen, soll Ihnen helfen, Ihre Absichten zu ergründen und sich bei Bedarf daran zu erinnern. Ich habe besonders in der Zusammenarbeit mit anderen die Erfahrung gemacht, dass man beim Lernen ein Stadium erreicht, in dem der Einsatz eines einfachen GFK-Satzes äußerst hilfreich sein kann (Beispiele finden Sie in Anhang A). Ich nenne die Varianten dieses Satzes auch „Stützräder“.

„Wenn ich höre ... dann fühle ich ... weil ich ... brauche. Wären Sie bereit zu ...?“ Ich glaube, wenn dieses Lernstadium übersprungen wird, ist sehr viel mehr Zeit nötig, um mit GFK seine Perspektive zu verändern und ihre Techniken zu verinnerlichen – wenn man es überhaupt ohne diese Erfahrung schaffen kann. Das mag daran liegen, dass sich die einfachen Unterscheidungen ohne den ständig wiederholten Einsatz der Stützräder nicht wirklich einprägen. Ich meine damit die vier grundlegenden GFK-Unterscheidungen: Beobachtungen vs. Urteile, Gefühle vs. als Gefühle getarnte Bewertungen, Bedürfnisse vs. Strategien sowie Bitten vs. Forderungen. Diese Unterscheidungen sind in die Struktur der Stützräder eingebaut, und man wird daran erinnert, sobald man einen der Sätze benutzt. Für mich ist das Üben dieser Sätze die einzige Möglichkeit, diese grundlegenden Unterscheidungen in Fleisch und Blut übergehen zu lassen, denn die Stützräder erinnern uns daran, uns auf jeden der vier Teile jeder Kommunikation zu konzentrieren: Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten. Wenn Sie diese Unterscheidungen erst einmal verinnerlicht haben und sich darüber im Klaren sind, dass Ihre vorrangige Absicht die Verbindung (mit sich selbst und mit einer anderen Person) ist, dann wird die Wortwahl weniger wichtig. Manche Leute im Anfangsstadium haben allerdings berichtet, dass sie alle „richtigen Worte“ benutzt haben und trotzdem keinen Erfolg hatten – das mag daran gelegen haben, dass sie ihre Absicht noch nicht zu einer Herzensangelegenheit gemacht hatten, die sie unbeirrbar verfolgen wollten.

Die Voraussetzung für GFK ist, dass Sie den tiefen Wunsch haben, sich auf die Verbindung mit sich selbst und anderen zu konzentrieren. Dann werden Ihre Bedürfnisse erfüllt und gleichzeitig auch die der anderen in Ihrer Welt. Wir glauben oft, dass wir eine Situation nur richtig analysieren müssen, um zu bekommen, was wir wollen. GFK legt jedoch nahe, dass wir alle in den Prozess der Bedürfniserfüllung einbezogen werden können, sofern wir mit unseren Bedürfnissen verbunden sind.

GFK ist einfach, aber nicht leicht. Jedenfalls ist das meine Erfahrung mit ihr, und andere haben mir dasselbe gesagt. Am Anfang liegt die Schwierigkeit vor allem darin, sich jederzeit an diese neuen Vorstellungen zu erinnern. GFK ist sowohl eine Bewusstseinsangelegenheit – eine Einstellung zu und ein Umgang mit unserer Kommunikation untereinander – als auch eine Ansammlung von Fähigkeiten. Darum finden Erwachsene, die in unsere Mainstream-Kultur hineinerzogen wurden, dass sie viel „verlernen“ mussten, als sie anfingen, GFK in ihr Leben zu integrieren. In dem Augenblick, in dem wir mit jemandem kommunizieren, ist unser altes gelerntes Verhalten zuerst stärker als das neu Gelernte. Wir haben uns mit diesem Buch das Ziel gesetzt, Ihnen einige Wege zu zeigen, Ihr neu Gelerntes so zu stärken und zu vertiefen, dass Sie GFK in all Ihre Lebensbereiche einbauen können – insbesondere in Ihr Berufsleben.

Kapitel 1
Zum Anfang: Stille GFK-Übungen

(zurück zur Einführung: Abschnitt – Einige Bemerkungen, bevor wir anfangen)

(zurück zur Kapitel 3: Abschnitt – Stille Fähigkeiten üben)

(zurück zur Kapitel 5)

(zurück zur Kapitel 5: Abschnitt – Humor am Arbeitsplatz)

(zurück zum Fazit)

Sie haben Hemmungen, Gewaltfreie Kommunikation am Arbeitsplatz anzuwenden? Vielleicht haben Sie die Vorstellung, dass Ihre Mitarbeiter negativ reagieren, wenn Sie eine neue Art der Kommunikation einführen. Dennoch gibt es fast nichts, was jemand sagen oder tun könnte, worauf Sie nicht mit Empathie, einem Ausdruck der Verbundenheit mit sich selbst oder einer Kombination von beidem reagieren könnten. Wenn Sie darauf vertrauen, dass Sie die Fähigkeiten und die Präsenz haben, mit Empathie oder Selbstausdruck zu antworten, dann werden Sie auch mehr Vertrauen in Ihre Fähigkeit gewinnen, in Übereinstimmung mit Ihren Werten zu interagieren. Oft sehen manche Leute das als ein klassisches Henne-Ei-Problem an: Wie soll ich die Fähigkeiten entwickeln, wenn ich Angst habe, sie anzuwenden? Wie soll ich sie anwenden, wenn ich die Fähigkeiten nicht habe? Ein sehr erfolgversprechender Weg, GFK-Fähigkeiten zu entwickeln, ist stilles Üben. Dazu gehören drei Arten stiller Übungen – sich bewusst werden, dass man die Verbindung blockiert, Selbst-Empathie und stille Empathie – und Vorschläge, wann und wie Sie diese einsetzen können.