Inhalt

Vorwort

Krumme Beine – großes Herz

Nur mal gucken

Jugendliche Eskapaden

Was mein ist, bleibt mein

Auf der Spur

Vermisst

Fit in allen Lebenslagen

Jagdliches Allerlei

Geballte Kraft

Fehler über Fehler

Alles eine Frage der Strategie

Wissen, worauf es ankommt

Mutterfreuden

Abschied

Stokern mit Anka

Eine Lady mit Charme und Esprit

Liebe auf den ersten Blick

Üben, üben und nochmals üben

Alle meine Entchen …

Bewährungsproben

Eine Treibjagd

In allerletzter Minute

Ein Grandseigneur

Servus und Moin, Moin

Im Saufieber

Der Hornissenbock

Bautz ist weg

Die stillen Nachsuchen-Helden

 

Zum Ausklang

Glossar

Krumme Beine – großes Herz

Krumme Beine – großes Herz: Sie fragen sich, ob es so ein Wunderwesen überhaupt geben kann?

Oh ja! Mit seinen kurzen Beinen und dem gedrungenen Körper wandelt oder besser wackelt es immer dicht an der Erdoberfläche, quasi mit stetiger Bodenhaftung. Böse Zungen behaupten auch, das erleichtere ihm das schnelle Abtauchen bei Gefahr oder in brenzligen Situationen. Doch das sind nichts als infame Unterstellungen.

Wenn es wirklich darauf ankommt, stellt es seinen Löwenmut eindrucksvoll unter Beweis und lehrt so manchen das Fürchten.

Wovon ich spreche? – Natürlich vom Teckel, auch Dackel genannt, und ganz im Besonderen von unserer Daisy. Mit ihren kurzen krummen Beinen stapft sie selbstbewusst durch Feld und Flur, durch Stadt und Land.

Wehe dem, der sie unterschätzt! Sie glauben mir nicht? Lesen Sie selbst!

Nur mal gucken

Hätten wir denn auf unserem Hof einen Fahnenmast vorweisen können, dann wäre an diesem trüben, wolkenverhangenen Frühlingstag nur eine Beflaggung auf Halbmast infrage gekommen. Tiefste »Staatstrauer« war angesagt, denn unsere Schäferhündin Fiona, die uns fast vierzehn Jahre treu begleitet hatte, uns und vor allem unseren drei ältesten Töchtern stets aufmerksamer Beschützer und liebevoller Spielgefährte gewesen war, lebte nicht mehr.

Bis zum letzten Tag tollte sie mit den Kindern auf dem großen Hofplatz herum, schenkte insbesondere Anka, der jungen tapsigen Drahthaarhündin, ihre fürsorgliche Aufmerksamkeit. Plötzlich wandte sie sich dann ab von dem ganzen Trubel und legte sich scheinbar gelangweilt unter die große Thujahecke. Sie rollte sich ein, schob ihren Fang unter die Vorderläufe und fiel, so schien es, in einen erholsamen Schlummer. So fanden wir sie wenig später, längst aufgebrochen in eine andere, vielleicht bessere Welt.

Bei uns Menschen flossen die Tränen, und Anka konnte das plötzliche Verschwinden der lieb gewonnenen »Pflegemutter« so gar nicht verstehen. Unruhig und etwas verloren strich sie in Haus und Garten umher, kehrte immer wieder in freudiger Erwartung zum gemeinsamen Schlafplatz zurück, um sich umso frustrierter wieder auf die Suche zu begeben. So stieß sie unweigerlich irgendwann auf die Thujahecke und Fionas letztes, endgültiges Lager. In bester Vorstehermanier verhielt sie vor diesem unheimlichen Ort und sträubte ihre Nackenhaare. Wie Hilfe suchend fand mich ihr Blick.

Langsam trat ich an sie heran und streichelte ihren Kopf. »Der Fiona können wir nicht mehr helfen«, flüsterte ich ihr zu. Zögernd setzte sie sich auf ihre Keulen, während sie die Stelle fast fieberhaft bewindete. Plötzlich reckte sie den Fang in die Höhe und stieß ein wolfähnliches Geheul aus, das mir durch Mark und Bein drang. Mir schossen die Tränen in die Augen, denn ich war mir sicher: Anka hatte die Nähe des Todes wahrgenommen.

Fortan mied sie diese Stelle mit aller Konsequenz. Ihr gesamtes Verhalten veränderte sich auffallend. Im Revier vergaß sie zwar dieses einschneidende Erlebnis, arbeitete freudig die frische Hasenspur oder stand mit elektrisierter Rute dem Fasanenhahn vor. Doch nach Hause zurückgekehrt, verfiel sie schnell wieder in eine Art gedämpfte Melancholie. Für jagdliche Spiele oder für Training war sie nicht mehr zu begeistern, die Gänsefederschwinge an der Reizangel, hinter der sie vordem mit Inbrunst gehetzt hatte, interessierte sie kaum noch. Auch das Futter nahm sie fast widerwillig auf.

So wurden mit der Zeit die Stimmen immer lauter, die für Anka eine neue vierbeinige Gesellschaft forderten. Allen voran unsere zehnjährige Annika, die plötzlich ihr Interesse für die einschlägigen Jagdzeitschriften, und dort insbesondere für den Hundemarkt, entdeckte. Voller Eifer und Enthusiasmus studierte sie die seitenlangen Anzeigen, blätterte und verglich. Parallel wurde intensiv über die infrage kommenden Rassen diskutiert. Während Annika sich etwas Handliches, etwas zum Herzen und Liebhaben wünschte, tendierten meine Gedanken zwangsläufig mehr in Richtung jagdlicher Notwendigkeiten. Neben Anka als zukünftigem Vorstehhund wäre ein verlässlicher Schweißarbeiter das Maß aller Dinge. Sie werden wahrscheinlich schon ahnen, worauf sich die erst etwas ziellose Suche immer mehr konzentrierte: auf einen Rauhhaardackel.

Als ich dann an einem Samstagmorgen nach dem Stalldienst am Frühstückstisch erschien, wurde ich bereits von der übrigen Familie, angeführt von unserer Annika, geradezu mit Überschwang empfangen.

»Schau mal, Papa, hier werden Dackelwelpen aus jagdlicher Zucht angeboten. Mama sagt, das ist gar nicht weit weg. Wir könnten doch schnell mal hinfahren, nur mal so zum Gucken.«

Ich blickte in erwartungsvolle und gespannte Gesichter. »Das tut mir wirklich leid, Annika, doch in einer knappen Stunde kommt der Hufschmied, ich kann jetzt beim besten Willen nicht vom Hof.«

Das enttäuschte Schweigen und die traurigen Mienen trafen mich tief. Ein wenig ratlos und Hilfe suchend blickte ich meine Frau an.

»Na ja, die Fahrt könnte ich übernehmen. Aber es kommt dann nur Annika mit, denn wir wollen wirklich nur mal gucken. Entschieden wird noch gar nichts.«

Annika stimmte ein begeistertes Indianergeheul an und hüpfte, wild mit den Händen klatschend, wie ein Gummiball durch die Küche.

Nur wenig später fuhren die beiden vom Hof.

Obwohl mich der Hufbeschlag mit seinem Geruch verbrannten Horns beim Anpassen der Eisen etwas ablenkte, verblieb eine gewisse Unruhe. Wie würde wohl die Besichtigungstour meiner Erkundungstruppe verlaufen?

Die Antwort auf alle meine Fragen erhielt ich kurz vor Mittag, als meine Frau Susanne lachend und winkend auf unser Grundstück einbog. Daneben erblickte ich Annika mit verklärtem Gesicht, während ihre Hände ein kleines, eingerolltes Bündel auf ihrem Schoß fest umklammerten. Vorsichtig stieg sie aus dem Auto und streckte mir das Häuflein junges Leben entgegen. »Das ist meine Daisy«, verkündete sie voller Besitzerstolz. »Wir haben uns sofort ineinander verliebt. Sie wollte immer nur von mir gestreichelt werden, und wenn ich aufhörte, fing sie sofort an zu jaulen. Als wir uns dann von dem Förster verabschiedeten, lief sie, so schnell sie konnte, hinter uns her. Wir konnten sie einfach nicht zurücklassen.«

Vorsichtig nahm ich den kleinen Teckel in meine Hände. Er zitterte leicht, und die großen, dunklen Knopfaugen, die mich so eindringlich fixierten, verfehlten ihre Wirkung nicht. Nein, die Daisy hätte auch ich um nichts in der Welt zurückgelassen. Sie gehörte ohne jeden Zweifel zu uns.

Doch was würde Anka zu ihrem Artgenossen im Miniformat sagen? Und würde die Kleine den jagdlichen Ansprüchen gerecht werden können?

Sie können gespannt sein, ich war es auch.

Jugendliche Eskapaden

Das Wort »Respekt«, insbesondere gegenüber dienstälteren Kollegen, schien für Daisy ein Fremdwort zu sein. Ohne eine Spur Scheu marschierte sie schnurstracks auf Anka los, wedelte vorwitzig mit der Rute und platzierte sich demonstrativ auf dem am gemütlichsten aussehenden Kissen der gemeinsamen Lagerstatt in der Küche. Anka, hin und her gerissen zwischen Wahrung ihrer Ansprüche auf Autorität und Freude am neuen Sparringspartner, entschied sich letztendlich für die friedliche Koexistenz. Sie räumte großzügig das Feld.

Damit waren die Besitzverhältnisse geklärt, der Burgfrieden besiegelt und ein festes Fundament für ein harmonisches Miteinander gelegt.

Gemeinsam durchstreiften die beiden unser großes Grundstück und bildeten bald ein unzertrennliches Team. Das bekam insbesondere die recht stattliche Rattenpopulation schmerzhaft zu spüren, denn gegen die ausgeklügelte Jagdstrategie des wendigen Teckels und des antrittsstarken Drahthaars gab es kaum eine Rettung. Während Daisy sich in jede noch so kleine Ritze zwängte, um den Fährten der unliebsamen Untermieter zu folgen, wartete Anka angespannt und hoch konzentriert auf ihren möglichen Einsatz.

Unerbittlich trieb der kampflustige Teckel den unerwünschten Nager in die Enge. Alles Quietschen und Drohen nützte nichts. Mit einem schnellen Biss und abgrundtiefem Grollen beendete Daisy den turbulenten Kampf. Entkam ihr eine Ratte, quasi mit Flucht durch die Hintertür, setzte Anka zum Spurt an. Raketengleich schoss sie auf den feigen Flüchtling zu, packte ihn und schlug ihn sich blitzschnell um die Behänge. Natürlich kämpften die Ratten ums Überleben und wehrten sich tapfer. Daher ging auch für die beiden Hunde das Kampfgetümmel nicht immer ohne Blessuren ab. Doch dies bestärkte sie nur in ihrem Eifer.

Ich selbst war von diesem selbstlosen Einsatz natürlich äußerst begeistert und feuerte die beiden Streiter mit Rufen wie »Such voran«, »Putz sie weg« oder »Fass« an, wann immer ich konnte. Dabei bedachte ich leider nicht, dass Daisy und Anka diese zugegebenermaßen eher allgemein gehaltene Aufforderung auch auf andere Mitbewohner unseres Hofes beziehen könnten.

Erst wildes Gegacker und heftiges Flügelschlagen im Hühnerhagen belehrten mich schon bald eines Besseren. In wahrer Todesangst hetzte eine unserer Legehennen quer über das Grundstück. Daisy folgte – mit Spurlaut, wie ich immerhin mit Befriedigung feststellte – langsam, aber stetig dem Flüchtling. Während das Huhn erste Konditionsschwächen zeigte, behielt die Teckelhündin ihre konstante Geschwindigkeit bei, aus dem Spurlaut wurde eifriger Sichtlaut. Schon prallte unser Eierlieferant gegen den begrenzenden Zaun und flatterte, nach einem Schlupfloch suchend, am Drahtgeflecht entlang. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, nutzte Daisy ihre Chancen und stürzte sich auf das Huhn, dass die Federn nur so stoben.

Dieses Ereignis ließ auch mich aus meiner Schockstarre erwachen, und ich griff verärgert in das Geschehen ein. Ich nahm die Beine in die Hand und rief schon von Weitem: »Pfui, Daisy, aus!« Die kleine Kröte jedoch ignorierte die aus weiter Ferne kommenden Befehle und beschäftigte sich weiter mit ihrem Opfer, das mittlerweile jegliche Gegenwehr aufgegeben hatte.

Nun war es aber endgültig genug! Wer nicht hören will, muss fühlen, dachte ich und packte Daisy kräftig am Genick. »Pfui ist das«, begann die Gardinenpredigt, während ich sie zurechtweisend schüttelte.

Die ganze Haltung meiner Hündin drückte zwar tiefstes Unverständnis darüber aus, warum sie sich diese einfältigen Federbündel auf zwei Beinen nicht greifen durfte, doch ließ sie die Hühner zukünftig in Ruhe.

Mir wurde jedoch klar, dass es an der Zeit war, unsere Daisy an ihre wahren jagdlichen Aufgaben heranzuführen.

Ich begann mit ersten, kurzen Futterschleppen. Das heißt, was immer ich am Straßenrand an frischem Fallwild fand, schleifte ich, zunächst nur auf kurze Distanz, über die an unser Grundstück angrenzende Wiese. Zwischendurch legte ich immer mal wieder einen kleinen Appetithappen auf die so entstandene künstliche »Wundfährte«. Am Ende dieser Fährte lag das Stück Fallwild oder zumindest Teile davon, außerdem eine größere Futtermenge als Belohnung für die erfolgreiche Arbeit.

Glücklicherweise verfügte Daisy über ein nie versiegendes Hungergefühl. Als dann die prägende Erkenntnis reifte, dass Fährte und Futter untrennbar miteinander verbunden waren, gab es kein Halten mehr. Obwohl die Stehzeiten der gelegten Schleppen immer länger wurden, die Distanzen sich stetig vergrößerten und auch immer kompliziertere Widergänge zunächst Rätsel aufgaben: Daisy ließ sich nicht vom rechten Weg abbringen. Mit tiefer Nase »pflügte« sie peinlich genau die Wundfährte entlang und fand immer.

Ihr Gesellenstück vollbrachte die Teckelhündin nur wenig später und, wie auf der Jagd so häufig, durch puren Zufall. In einem Maisschlag, der an die Wohldkoppel angrenzt – dieses mein kleines Waldrevier wird der eine oder andere Leser aus meinem Buch »Im Visier des Jägers« kennen –, steckten die Sauen. Schnell wurde eine spontane Drückjagd improvisiert. Als die Rotte, eine Bache mit fünf Frischlingen, flüchtete, wurde auf einen Frischling geschossen, wie man erzählte. Und der sei auch zur Strecke gekommen. Zufrieden mit diesem schnellen Erfolg rückte die gesamte Korona wieder ab.

Kurze Zeit später, noch in Unkenntnis der vorangegangenen Ereignisse, spazierte ich mit Tochter Annika samt Daisy im Schlepptau den Waldweg entlang, meine Kirrungen zu kontrollieren. Plötzlich stoppte Daisy und bewindete wie elektrisiert einige Grashalme am Wegesrand. Weder durch gutes Zureden noch durch heftiges Zerren an der Leine vermochte Annika den jungen Teckel von dieser Stelle fortzubringen. Verärgert beugte sie sich zu ihrem vierbeinigen Begleiter hinunter, der mit lauten Schnarchgeräuschen und zuckender Rute vehement in die angrenzende Buchenanpflanzung zu streben gedachte.

Plötzlich stutzte auch Annika. »Du, Papa, schau mal, hier schimmert es rot. Das sieht doch aus wie Blutspritzer.«

Diese Entdeckung konnte mich natürlich nicht unberührt lassen. Mit einigen schnellen Schritten eilte ich zum potenziellen Tatort. »Tatsächlich, du hast recht, hier liegt Schweiß«, flüsterte ich aufgeregt und verwundert zugleich.

Was war zu tun? Für eine ungewisse Nachsuche ins Blaue hinein schien mir Daisy noch zu jung und unerfahren. Ein frustrierender Misserfolg konnte alle bisherigen Ausbildungserfolge zunichtemachen. Andererseits ließ Daisy nicht den Hauch eines Zweifels daran, was sie zu tun gedachte. Vehement zerrte sie an der Führerleine, flinste und jaulte. Immer wieder drehte sie sich zu uns um, die dunklen Knopfaugen flehend auf uns gerichtet. Das gab den Ausschlag. »Such verwundt, mein Hund!«

Mit Feuereifer fiel sie die Fährte an, zwängte sich mit ihren kurzen, krummen Beinen durch kreuz und quer liegendes Altholz. Immer wieder verwies sie kurz einige Schweißtropfen, um mit unverminderter Energie die Suche fortzusetzen. Wir erreichten eine versumpfte Senke, mit mannshohen Brennnesseln bewachsen. Von Daisy selbst war zeitweise nichts mehr zu sehen, nur der straffe Riemen in der Hand wies uns den Weg. Während uns die Brennnesseln um Hände und Gesicht schlugen, arbeitete unser junger Teckel einige Etagen tiefer unerbittlich die Fährte weiter aus.

Endlich erreichten wir den Hochwald, hatten wieder freie Sicht. Doch freuten wir uns zu früh. Ein weitläufiger Brombeerverhau tauchte vor uns auf, den Daisy ohne zu zögern annahm. Wir stolperten hinterher. Zu dem feuerroten Ausschlag durch die Brennnesseln an Händen, Hals und Gesicht gesellten sich Schrammen und Kratzer. Dreißig, fünfzig, achtzig Meter ging die Reise durch das dornige Gestrüpp.

Zu allem Überfluss verfingen sich meine Füße in den endlosen Ranken, und ich schlug der Länge nach hin. Während ich mich noch fluchend aufrappelte, vernahm ich Annikas freudigen Aufschrei und Daisys wildes Geknurre. Hastig stürmte ich hinzu.

Da lag er, Daisys erster Frischling, mit einem Steckschuss im Gescheide, zwar verendet, aber noch warm. Offenbar war bei der Drückjagd nicht nur eine einzige junge Sau getroffen worden.

Während ich den Fünfzigpfünder am Hinterlauf aus dem Dornenwald zerrte, hing unser mutiger, ausdauernder Teckel am Teller der Sau und beutelte sie, dass es eine Freude war. Stolz und Hochgefühl waren dem Hund regelrecht anzusehen. Fast huldvoll und wie selbstverständlich nahm Daisy unser Lob entgegen, ließ dabei ihre Beute jedoch keinen Augenblick aus den Augen. Selbst im Auto platzierte sie sich direkt auf dem Frischling und bewachte ihren ersten großen Fang.

In diesem Moment war mir klar, was für eine kleine Löwin wir in unserer Mitte beherbergten. Auch wurde mir bewusst, dass dieser Hund geprägt sein würde für den Rest seines Lebens.

Was mein ist, bleibt mein

Das letzte Kapitel endete ja mit dem doch sehr gewagten Vergleich unserer Daisy mit einer Löwin. Wenn auch der Größenvergleich gewisse Abweichungen offenbart, lag ich, insbesondere was die Charaktereigenschaften betrifft, damit gar nicht so schlecht. Eine Löwin nämlich verteidigt ihre Beute kompromisslos und unerbittlich. Manche Afrikaexperten behaupten sogar, die große Raubkatze lege sich in den Hinterhalt, um ungebetene Zaungäste rigoros anzugreifen, sieht sie ihren Schmaus in Gefahr. Nun, was Löwen betrifft, kann ich diese These weder bestätigen noch dementieren. Daisy jedoch beherrscht diese Strategie bis zur Perfektion.

Geschossenes Wild landet bei uns, wenn es die Witterung zulässt, erst einmal in der großen, luftigen Scheune, um auszukühlen und auf die weitere Verarbeitung zu warten. Dabei hat sich im Laufe der Jahre so etwas wie ein Ritual entwickelt, das ich sehr schätze: Ich hänge den Bock, die Sau oder das Stück Damwild an den schweren Eisenträger und verweile für einen Moment davor. Dazu stelle ich mir einen Stuhl davor, betrachte eingehend die Beute und lasse das gesamte Jagderlebnis nochmals nachklingen.

Anka und Daisy legten stets größten Wert darauf, diesem besonderen Ereignis beizuwohnen. Nur musste ich peinlich darauf achten, dass die beiden gebührenden Abstand voneinander hielten. Denn so gut sie sich sonst auch verstanden, in diesem speziellen Fall beanspruchte jeder die Beute für sich, und es ging nicht ohne Knurren und Zähnefletschen ab.

War die Totenwacht am gestreckten Wild beendet, strebte alles wieder Richtung Haus. Daisy nutzte dann jeden unbeobachteten Augenblick, um heimlich, still und leise wieder durch die Terrassentür zu verschwinden. Rufen, Pfeifen oder Locken – nichts brachte den Teckel wieder zum Vorschein.

Beim ersten Mal, in Unkenntnis des wahren Sachverhalts, suchten wir bis spät in die Nacht, krempelten buchstäblich Haus und Grundstück um, ohne eine Spur von ihr zu entdecken. Wir machten uns die größten Vorwürfe, fürchteten um ihr Leben und bangten die ganze Nacht.

Am nächsten Tag, im ersten Dämmerlicht, blickte ich hoffnungsvoll nach draußen. Doch die Erwartung trog: Weit und breit keine Daisy, die an der Haustür, vielleicht etwas unterkühlt, sonst aber gesund und munter, Einlass verlangt hätte. Von unserem Teckel fehlte weiterhin jede Spur.

Mit hängenden Schultern marschierte ich Richtung Stall, um die Rinder und Schweine zu füttern, während Anka gut gelaunt neben mir trottete. Ich öffnete die Stalltür, trat in die Diele, warf einen kurzen Blick auf das am Eisenträger hängende Stück Rehwild. Anka ließ ich ebenfalls in das Stallgebäude hineinschlüpfen, da sie prüfen wollte, ob ihr Reh wirklich noch an Ort und Stelle hing.

Da ertönte ein bitterböses Grollen aus dem hinteren Teil der Diele, wo all unser Stroh lagerte. Auch Anka stellte die Nackenhaare hoch und warf sich in Kampfpositur. Langsam dämmerte es mir, wem wir den morgendlichen Schrecken zu verdanken hatten. Energisch, aber auch freudig überrascht marschierte ich auf den Strohhaufen los und entdeckte kurze Zeit später die so typischen schwarzen Knopfaugen unserer Daisy. Viel mehr war von dem ganzen Teckel aber auch nicht zu sehen.

Da hatte doch unsere kleine Löwin die ganze lange Nacht im Hinterhalt gelauert, um auf ihre Beute aufzupassen, und dabei sogar auf ihren heiß geliebten Komfortplatz in der Küche verzichtet.

Diese Strategie verfolgt sie bis zum heutigen Tag, und wehe dem, der sich unberechtigt an das geborgene Wild heranwagt. Ich darf Ihnen im Vertrauen verraten, dass die urplötzlich aus den Strohballen herausschießende Kanonenkugel schon so mancher gut gemeinten Trophäenbeschau ein jähes Ende bereitete. Erfüllt es den Hundeführer und Jäger insgeheim mit Stolz, wenn der vierbeinige Weggefährte sozusagen mit vollem Körpereinsatz das Ergebnis einer gemeinsamen Pirsch oder eines Ansitzes verteidigt, so sind die Folgen, wie zum Beispiel blaue Flecken an den Waden, häufig mehr als peinlich und nachbarlichen Beziehungen nicht gerade förderlich. Doch Daisy ließ sich weder durch gute Worte noch durch angedrohte oder gar vollzogene Sanktionen von ihrer vorgefassten Meinung abbringen: Das Wild gehörte ihr und ihrem Jäger, wehe dem Fremden, der dies ignorierte.

Zu unserem großen Leidwesen bezogen sich diese Besitzansprüche nie nur auf jagdliche Beutestücke, sondern auf das gesamte Grundstück. Jeder, der nicht dem engeren Familienzirkel zuzurechnen war, vom Postboten angefangen bis hin zu Freunden und Bekannten, wurde vehement attackiert. Jeder halbwegs erfahrene Hundeführer wird wahrscheinlich den Kopf schütteln über so viel inkonsequentes Handeln und fehlerhafte Hundeausbildung. Doch ich muss es gestehen, wir konnten es einfach nicht besser.

Zum Schutz von Leib und Leben unserer Gäste sowie vor allen weitergehenden Schadenersatzansprüchen von deren Seite blieb Daisy also angeleint, wenn mit Besuch zu rechnen war. Doch mehr als einmal gelang es ihr, sich unbemerkt aus der Halsung zu winden und ihr Missfallen über den ungebetenen Ankömmling durch eine Attacke aus dem Hinterhalt in aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

Abgesehen davon, dass sie gegen Fahrradfahrer, aus welchen Gründen auch immer, einen besonderen Groll hegte, verstärkte sich dieser Beschützerinstinkt vor allem bei einbrechender Dunkelheit. Einmal der einschränkenden Leine entkommen, pirschte Daisy argwöhnisch über das gesamte Grundstück, um uns vor potenziellen Eindringlingen zu schützen.

Eine besonders dramatische Wendung nahm die Angewohnheit ausgerechnet an einem der kürzesten Tage des Jahres, dem Weihnachtsabend.

Gemäß alter Väter Sitte erschien bei uns jedes Jahr zu Einbruch der Dunkelheit der Weihnachtsmann, um die von den Kindern lang ersehnte Bescherung durch die Verteilung der Geschenke einzuleiten. Aus dramaturgischen Gründen läutete er bereits auf der langen Zufahrt zu unserem Hof, einige Zeit vor seinem Erscheinen, eine große Kuhglocke aus Messing, um alle Kinderherzen noch ein wenig höher schlagen zu lassen.

Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, dass wir bei sechs Töchtern mit einem Altersunterschied von etwa dreizehn Jahren so einige Besuche des rot gewandeten heiligen Mannes erleben durften. Ich rechne es meinen älteren Töchtern noch heute hoch an, dass sie gegenüber ihren jüngeren Schwestern die Existenz des Weihnachtsmannes nie anzweifelten. Treu nach dem Motto »The Show must go on« trugen sie ihre Gedichte oder Lieder vor und ließen damit ihren Geschwistern die Freude an diesem besonderen Moment.

Im Laufe der Jahre wechselte aus verschiedenen Gründen die handelnde Hauptperson, sprich der Weihnachtsmann, sodass jeweils eine erneute Einweisung in das übliche Prozedere notwendig wurde.

Auch im betreffenden Jahr hatte ein entsprechender Wachwechsel stattgefunden, und ein guter Freund aus dem Dorf wartete, wahrscheinlich genauso aufgeregt wie wir, auf seinen erstmaligen Einsatz.

Anfangs klappte alles wie am Schnürchen. Alle versammelten sich in der großen Küche und blickten erwartungsvoll auf die Terrasse. Die einen mit wissender Miene, die anderen, jüngeren, mit gespannten Gesichtern, doch alle mit leuchtenden Augen. Es dunkelte immer mehr, und nicht die kleinste Schneeflocke trübte an diesem Weihnachtsabend die klare Sicht.

Da: Ein leises Glockengeläut, fast unwirklich klingend, schallte durch die Stille des Heiligen Abends. »Der Weihnachtsmann kommt, ich habe seine Glocke gehört«, flüsterte Levke, unsere Jüngste, mit belegter Stimme.

Immer dichter und lauter, in rhythmischen Abständen, ertönten die Sphärenklänge. Gleich musste er mit seinem schweren Sack voller Geschenke hinter der Thujahecke erscheinen und auf die Terrasse zusteuern. Die Kinder traten unruhig von einem Bein auf das andere, warteten aufgeregt auf den großen Moment.

Doch nichts geschah. Weder Rentiere noch Schlitten und erst recht kein Weihnachtsmann erschien auf der bereiteten Bühne.

Auch das Geläut war verstummt, setzte jedoch plötzlich wieder ein und steigerte sich in ein wildes Gebimmel, das sich schnell entfernte. Ich stutzte. War nicht zwischen all den hektischen Glockentönen auch ein Hundebellen zu hören gewesen? Ich warf einen schnellen Blick auf die Hundeecke in der Küche. O Gott, Daisy glänzte durch Abwesenheit.

Mir schwante nichts Gutes, und leise verdrückte ich mich durch die Hintertür, um unbemerkt nach dem Rechten zu sehen. Zwischen den Thujen hindurch schlich ich auf unsere Auffahrt, die, ich hatte es befürchtet, von Daisy mit bösartigem Knurren und aufgestelltem Nackenhaar bewacht wurde, während neben ihr der schwere Geschenkesack lag.

Mit schnellem Griff packte ich den Teckel und sperrte ihn erst einmal in den Stall. Dann ging es im Laufschritt zurück, um den geflüchteten Weihnachtsmann zu suchen. Der saß, demoralisiert und mit gehetztem Blick, in seinem Auto, das er unweit von unserer Auffahrt geparkt hatte. »Das Biest hätte mich fast gefressen«, stammelte er immer noch fassungslos.

Nun, zwei große Doppelkorn halfen über den ersten Schrecken hinweg, und nach der ersten Bescherung folgte dann ohne weitere Zwischenfälle die zweite, friedvolle.

Auf der Spur

Spricht man über den jagdlichen Einsatz der Teckel, kommen einem natürlich sofort die Baujagd auf den Fuchs sowie die Arbeit nach dem Schuss in den Sinn. Während sich Daisy bei der Schweißarbeit viele Male bewähren konnte, tendierten die Einsätze im dunklen, muffigen Untergrund eher gegen null. Das lag zum einen an der Struktur meines Waldrevieres. Dort gab es keine überschaubaren Knickkanten, aus denen man den Hund notfalls per Einschlag beziehungsweise Grabung hätte retten können. Stattdessen existierten zwei weitläufige, mehrstöckige Mutterbauten, die tief in das teils felsige Erdreich hineinragten. Hier fühlten sich die Dachse ganz besonders wohl. In großer Anzahl besiedelten sie diese sicheren Burgen und hätten jedem Eindringling einen lebensbedrohlichen Empfang bereitet.

Zum anderen genoss Daisy einen unanfechtbaren Status als allseits beliebter und geliebter Familienhund. Die Vorstellung, sie könne, von ihrem Widersacher verklüftet, einen grausamen Erstickungstod erleiden oder gar, schwer geschlagen, langsam in den verzweigten Gängen des unterirdischen Verlieses verbluten, weckte bei meiner Frau und unseren Töchtern die heftigsten Beschützerinstinkte. Allein die Ankündigung, gemeinsam mit Daisy den einen oder anderen Bau zu revidieren, führte zu heftiger Kritik sowie der Aufzählung wahrer Horrorszenarien, die selbst dem Hartgesottensten das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das Ende vom Lied war – Sie werden es schon ahnen: Ich verzichtete auf derartige Übungseinheiten, obwohl ich Daisy damit sicherlich keinen Gefallen tat. Ihre Passion nämlich war gewaltig, und jeder Fuchs- oder Dachsbau, der nach ihrem Dafürhalten befahren war, zog sie magnetisch an. An den von der Familie als ungefährlich eingestuften Fuchsschleppen arbeitete sie leidenschaftlich und fand den abgelegten Fuchs mit hundertprozentiger Sicherheit. Um ihr eine besondere Freude zu bereiten, ließ ich Daisy die letzten Meter vor dem Ziel von der Leine. So schnell sie ihre kurzen krummen Beine nur tragen konnten, stürzte sie sich auf den Gegenstand ihrer Begierde und schüttelte den längst verendeten roten Freibeuter mit aller Kraft und Inbrunst.

Nur ein einziges Mal hatte unser so talentierter Teckel Gelegenheit, einen regulären Zweikampf mit einem Fuchs auszufechten. Wenn diese Episode auch eher in den Bereich der Nachsuchen gepasst hätte, erzähle ich Ihnen, in Ermangelung anderer Highlights in Sachen Fuchs, die Geschichte schon jetzt. Ich bitte um Vergebung.

Alles begann mit der Meldung der Polizei über einen Wildunfall. Ein rotes Tier sei an diesem frühen Samstagmorgen plötzlich vor einem Auto auf die Straße gesprungen, habe dessen Kotflügel touchiert, sich kurz überschlagen und sei dann in der angrenzenden Wohldkoppel, meinem kleinen Waldrevier, im Unterholz verschwunden.

Da die Fahrerin wegen der versicherungstechnisch wichtigen Bestätigung noch vor Ort wartete, fuhr ich, mit Daisy im Gepäck, sogleich zum Ort des Geschehens. Eine genaue Inspektion des Fahrzeuges ergab eine leichte Delle im Kotflügel, einige nicht näher definierbare Haare sowie wenige Tröpfchen Schweiß. Eine Befragung der aufgeregten Fahrerin über die mögliche Wildart führte auch zu keinen neuen Erkenntnissen. »Na, rot eben«, war die etwas hilflose Antwort.

Nach Erhalt der Versicherungsbestätigung über den Wildunfall rückte die Fahrerin sichtlich erleichterter ab, bedauerte noch einmal kurz das arme Tier und überließ mir vertrauensvoll alle weiteren Schritte, um das bemitleidenswerte Opfer vielleicht doch noch einer tierärztlichen Rettung zuführen zu können.

Mir fiel erst einmal nichts Besseres ein, als Daisy an der Leine an die Unfallstelle heranzuführen. Und siehe da, nach intensivem Bewinden des infrage kommenden Stückchens Asphalts hatte sie scheinbar ihre Schlüsse gezogen. Mit geblähten Nasenflügeln und, für mich verwunderlich, gesträubtem Nackenhaar führte sie mich zielstrebig in die junge Mischwaldkultur hinein. Da der Bestand kurz vorher das erste Mal durchforstet worden war, lagen überall kreuz und quer Zweige, Äste und junge Bäumchen umher, die die Arbeit für den kurzläufigen Teckel natürlich erheblich erschwerten. Doch Daisy ließ sich nicht beirren, weder von den Hürden und Hindernissen noch von einem Hasen, der knapp vor uns aus seiner Sasse fuhr und sein Heil in der Flucht suchte. Nur ich hatte meine Schwierigkeiten, die Leine schnell genug zu entwirren, wenn sie sich wieder in dem Geäst verfangen hatte. Ich wollte ja Daisy in ihrer Suche nicht bremsen. So konzentrierte ich mich viel zu sehr auf die vermaledeite Leine, die sich immer wieder verhedderte, anstatt auf das Terrain vor uns zu achten.

Und schon passierte es! Daisy schlüpfte voller Tatendrang in einen aufgeschichteten Gestrüpphaufen hinein. Augenblicklich geriet das Buschwerk in stärkste Bewegung, begleitet von wildem Kampfeslärm und Gekecker. Reflexartig riss ich an der Leine und beförderte meine Hündin wieder ins Freie. Doch damit erschien nicht nur Daisy wieder in meinem Blickfeld, sondern auch ein Jungfuchs, in dessen Drossel sich der Teckel bereits heftig verbissen hatte und die er auf Gedeih und Verderb nicht gedachte loszulassen. Während mein mutiger Kampfdackel den Kontrahenten immer noch fast ekstatisch beutelte, hauchte dieser bereits sein junges Räuberleben aus, zuckte nur noch ein wenig mit Läufen und Lunte. Nach erstem Abliebeln »So, fein, mein Hund, so ist es recht!« folgten einige schärfere Worte, um Daisy dazu zu bewegen, dass sie von ihrer Beute abließ. Endlich konnte ich den Fuchs genauer betrachten.

Schnell wurde mir klar, warum diese Konfrontation so schnell und einseitig zugunsten des Teckels entschieden worden war. Dem armen Kerl war durch den Zusammenstoß mit dem Auto der gesamte Fang zertrümmert worden, sodass ihm jede Chance zu einer aktiven Gegenwehr von vornherein genommen war. Ein langsamer und schleichender Hungertod wäre unabwendbar sein Schicksal gewesen. Bei dem Anblick kam Bedauern in mir auf, aber auch Genugtuung, ihm diese Quälerei erspart zu haben. Daisy hingegen ließen derartige Gefühlsduseleien erkennbar kalt. Voller Stolz und schier überschwappendem Selbstbewusstsein lief und sprang sie neben mir her. Ich bin mir absolut sicher, aus Daisy wäre ein Bauhund par excellence geworden, hätte ich sie nur gelassen.