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Das Buch

Was wissen wir über die Wikinger tatsächlich? Wie haben sie unsere moderne Welt geprägt? Dank jüngster Forschungserkenntnisse können wir heute ein differenzierteres Bild dieser faszinierenden Kultur zeichnen als bisher: Wir lernen die Nordleute nicht nur als verwegene Seefahrer und Eroberer kennen, sondern auch als Künstler, Handwerker und geniale Schiffskonstrukteure. Quer durch Europa und auf der Seidenstraße bis nach Asien folgen wir ihnen auf ihren Handelsrouten. Begegnen mächtigen Frauen und versklavten Männern. In dieser mittelalterlichen Lebenswelt spiegeln sich die großen Fragen unserer Gegenwart: Identität und Zugehörigkeit, Mobilität und Migration, Religionskonflikte und Kämpfe um Ressourcen.

Ein farbenprächtig illustrierter Band, der mit neuesten Erkenntnissen aus Archäologie, Geschichte und Naturwissenschaft überrascht. So kommen uns die Wikinger auf bislang nie gekannte Weise nahe.

Die Herausgeber

Jörn Staecker, geboren 1961, gestorben 2018, lehrte im schwedischen Lund und in Visby. Zuletzt war er Professor für Mittelalterarchäologie an der Universität Tübingen. Als einer der prägenden Wissenschaftler für die skandinavische Wikingerzeit ist dieses Buch sein Vermächtnis und Zeugnis seiner lebenslangen Begeisterung für die Wikinger.

Matthias Toplak, geboren 1984, studierte in Köln und Stockholm und promovierte bei Jörn Staecker in Tübingen. Als Mittelalterarchäologe und Altnordist forscht er in Tübingen und Stockholm zu den Wikingern, besonders zu Bestattungsriten, der Wikingerzeit auf Gotland und der Kiewer Rus. Auch in seiner Freizeit kommt er nicht von den Wikingern los und widmet sich Living History und Experimentalarchäologie.

JÖRN STAECKER
MATTHIAS TOPLAK

(HERAUSGEBER)

DIE
WIKINGER

ENTDECKER UND EROBERER

Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

Propyläen

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Die auf Englisch verfassten Kapitel
(1.3, 2.4, 3.1, 3.2, 3.3, 5.1, 5.3 und 5.4)
wurden von Christiane Wagler
ins Deutsche übertragen.


ISBN: 978-3-8437-2186-8


© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

In memoriam

Jörn Staecker

Vorwort

Kaum eine Epoche der Geschichte fasziniert so sehr wie die skandinavische Wikingerzeit, kaum eine ist so von populären Mythen verklärt – und kaum eine gibt uns noch immer so zahlreiche Rätsel auf. Selbst nach über 150 Jahren gründlicher Forschung bleiben viele Fragen offen, auf welche die Archäologie mit immer neuen Methoden Antworten zu finden versucht. Dabei ­machen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufsehenerregende Entdeckungen, die uns zwingen, das lieb gewordene Bild von der »wilden« Kultur im Norden Europas zu überdenken. Aktuell schwankt die Wahrnehmung der Wikinger in weiten Teilen der Öffentlichkeit zwischen populären Klischees, längst überholter romantischer Glorifizierung und dem noch immer lückenhaften, aber dichter werdenden und sich stetig wandelnden Wissen der archäologischen Forschung. Einen wichtigen Wissenszuwachs verdanken wir nicht zuletzt der Genetik, die als boomendes Forschungsfeld der Naturwissenschaften in jüngster Zeit zu bahnbrechenden Erkenntnissen gekommen ist.

Einer der führenden Archäologen, die sich intensiv mit den Wikingern beschäftigt und die Forschung vorangetrieben haben, war Jörn Staecker. Als Wissenschaftler lehrte er seine Studierenden, vorgebliches Wissen kritisch zu hinterfragen, scheinbar gesicherte Aussagen nicht ungeprüft hinzunehmen und sich des eigenen Verstands zu bedienen. Ebenso, wie er selbst den intensiven Austausch mit Kolleginnen und Kollegen suchte – und dabei auch dem fachlichen Streit nicht auswich –, hat er seine Studierenden ermutigt, ihren eigenen Standpunkt zu finden und zu vertreten. Aus dieser im besten Sinne wissenschaftlichen Haltung heraus wollte Jörn Staecker mit seinem Buch unser bisheriges Wissen und unser Bild der Wikingerzeit aus der archäologischen Perspektive auf die Probe stellen. Seinen Leserinnen und Lesern wollte er nicht »die« Geschichte der Wikinger erzählen, sondern aufzeigen, wie spannend, vielseitig und manchmal auch fremd sich das europäische Frühmittelalter und seine Menschen aus heutiger Sicht zeigen – sofern man nur die richtigen Fragen an die Archäologie stellt. Unser historisches Wissen kann nie absolut und endgültig sein, mögen es auch einzelne Forscher mitunter behaupten. Die Geschichte aber kann uns helfen, uns selbst und die drängenden Fragen unserer Gegenwart besser zu verstehen.

Jörn Staecker war es nicht mehr vergönnt, dieses für ihn so wichtige Projekt fertigzustellen. Er verstarb im Dezember 2018 nach schwerer Krankheit. Befreundete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben es übernommen, seine Idee zu realisieren, sein Manuskript zu vollenden und mit ihren Beiträgen ein reflektiertes, kritisches Wikingerbild in die Öffentlichkeit zu tragen – ohne dass die Faszination für diese einzigartige Kultur verloren geht.

Alle, die an diesem Projekt mitgewirkt haben, trägt der Wunsch, die Lebensleistung und den wissenschaftlichen Geist Jörn Staeckers zu würdigen. Wenn nur ein kleiner Teil seiner grenzenlosen Begeisterung für die Wikinger auch bei den Leserinnen und Lesern ankommt, ist dieser Anspruch erfüllt.

Matthias Toplak
Tübingen, Juli 2019

Einführung:
Faszination Wikinger

Jörn Staecker, Matthias Toplak

In unserer westlichen Zivilisation sind »die« Wikinger nahezu allgegenwärtig. Man trifft sie in Film und Fernsehen, in der Populärkultur, in der Werbung und sogar in der Wirtschaft. Vermutlich hat heutzutage fast jeder eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung davon, wer die Wikinger waren.

Der Begriff steht für eine rohe, ungezügelte Gewalt, für Potenz und besondere archaische Tugenden, die unserer heutigen, reglementierten Zivilisation in mannigfaltigen Aspekten entgegenstehen und vermutlich gerade deswegen eine enorme Anziehungskraft für viele Menschen besitzen. Er verkörpert Qualitäten wie Mut und Stolz ebenso wie unbändigen Abenteuer­drang, Freiheitsstreben und Rebellion.

Doch nicht erst seit Hollywood gelten die Wikinger als wilde, verwegene Kerle, die auf ihren Drachenschiffen Schrecken und Verderben über die frühmittelalterliche Welt brachten, für die es keine Grenzen gab, die weder Kampf noch Tod fürchteten und deren einzige Sorge der Nachschub an Met zu sein schien. Schon in der Renaissance wurde mit den Werken der beiden schwedischen Brüder Johannes und Olaus Magnus die noble Abstammung der nordischen Völker mythologisch verklärt. In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich in Skandinavien durch die Übersetzung und Verbreitung altnordischer mythologischer Quellen wie beispielsweise der Edda eine wahre »Wikingermanie«, die einen ersten Höhepunkt in der Nationalromantik des 19. Jahrhunderts fand. In neu verfassten Gedichten und Sagas wurde die Abenteuerlust der heroischen Vorfahren verherrlicht, wikingerzeitliche Kunst­stile prägten das Stilempfinden ganzer Künstlergenerationen und fanden in Malerei und Architektur ebenso Anwendung wie auf Alltagsgegenständen. Sogenannte Wikingergesellschaften veranstalteten Kostümbälle, auf denen mit Met aus Trinkhörnern auf die hehren Ahnen angestoßen wurde.

Die Rückbesinnung auf jene vermeintlich ungezügelte archaische Lebenslust und Vitalität der Vorfahren mag im 19. Jahrhundert ähnliche Gründe gehabt haben, wie sie auch ausschlaggebend für die gegenwärtige Konjunktur der »Wikinger« sind: Verunsicherung über die eigene Existenz. Damals führten massive gesellschaftliche und politische Verwerfungen infolge der Industrialisierung oder der Auswanderungswellen in die Vereinigten Staaten von Amerika zu einer sozialen Unsicherheit der Menschen, die Halt in vermeintlichen Traditionen und einer mythenumsponnenen, glorreichen Vergangenheit suchten. Heute führen die Herausforderungen einer sich immer schneller verändernden Welt zur verstärkten Suche nach der eigenen Identität.

Von dieser Glorifizierung der Wikinger als edle Wilde, die – ebenso wie die Germanen und die Indianer – der modernen, dekadenten Welt moralisch weit überlegen gewesen sein sollten, war es nur eine logisch konsequente Entwicklung zum Missbrauch der nordgermanischen Kultur durch die Nationalsozialisten. Im Dritten Reich wurden die Wikinger zu einem Idealbild der arischen Herrenrasse stilisiert. Aufgrund ihres angeblich perfekten Körperbaus wie auch ihrer archaischen, aber dennoch noblen »Natur« sollten sie über allen anderen Völkern stehen. Dabei ließen sich die Nationalsozialisten ideologisch in keiner Weise davon beirren, dass die Wikinger auf ihren Handels-, Plünder- und Entdeckungsfahrten offensichtlich auch große Neugier bezüglich fremder Kulturen zeigten, wie eine Vielzahl von archäologischen Funden belegt. Zwar hatten sicherlich viele Männer in der skandinavischen Wikingerzeit ihr Leben als Bauern beim Bestellen der heimischen Scholle zugebracht – ein Bild, das ja gerne von den Nationalsozialisten usurpiert wurde – und kaum mehr von der Welt als die benachbarten Höfe und den nächsten Handelsplatz gesehen. Aber die Wikinger im eigentlichen Wortsinne, die abenteuerlustigen Seefahrer, waren global players, die sich ebenso der Gefolgschaft slawischer Herrscher anschlossen oder mit der arabischen Welt Handel trieben, wie sie auf Raubzügen die eigenen Nachbarn überfielen und versklavten.

Wer aber waren diese »Wikinger«, die »Rocker« der europäischen Frühgeschichte, wirklich? Trugen sie Hörner an ihren Helmen, waren in schwarzes Leder und Fell gehüllt und kämpften mit großen Äxten? War ihr Leben eine einzige ausschweifende Orgie voller Gewalt und Trinkerei? Wie wichtig waren die einzigartigen Drachenschiffe für die Wikinger, überquerten sie tatsächlich mit diesen offenen Langschiffen den Nordatlantik, und ließen sie sich mit ihren wertvollen Schiffen verbrennen? Waren die Wikinger Heiden, die sich dem Christentum widersetzten und deren Religion und Glaubensvorstellungen bis heute greifbar sind? Was von den Legenden, Mythen und populären Vorstellungen stimmt mit den historischen Tatsachen überein?

Noch immer wird die populäre Darstellung der Wikinger von einem archaischen und teilweise negativen Stereotyp des wilden Barbaren bestimmt. Auch wenn sich dieses Bild durch unsere moderne Rezeption – und auch unsere modernen Sehnsüchte und Wunschvorstellungen – stetig weiterentwickelt, basiert es doch auf historischen Quellen.

Doch was sind das für Quellen? Die Nordleute, die wir heute als Wi­kinger bezeichnen, haben keine eigene schriftliche Kultur besessen. Ihre Schrift – die Runen – nutzten sie nur für kurze Inschriften auf sogenannten Runensteinen als Gedenksteine für Verstorbene oder als kultisch-magische Zauberformeln. Es waren vornehmlich ihre Gegner – oder vielmehr Opfer –, die über diese heidnischen Barbaren berichteten. In der Epoche der Wikinger gegen Ende des ersten Jahrtausends waren es die Mönche in den Schreibstuben der christlichen Klöster, die in Chroniken und Annalen die Geschehnisse in der Welt niederschrieben und so überlieferten. Gerade diese Klöster, ungeschützt und reich, waren jedoch die ersten Opfer der Wikingerüberfälle. Und so verwundert es nicht, dass die Mönche die heidnischen Nordmänner als »Geißel der Christenheit« verteufelten.

So tradierte sich über Jahrhunderte ein sehr einseitiges Bild der Wikinger, das ausgehend von den historischen Quellen die Nordmänner nur als unzivilisierte, heidnische Barbaren und Seeräuber darstellte. Sicherlich ist dieses lang gepflegte und lieb gewonnene Stereotyp verantwortlich für den (zweifelhaften?) Ruhm und die heutige Berühmtheit der Wikinger. Aber es stellt eben nur einen Aspekt der vielschichtigen Kultur der Wikingerzeit dar.

Die historische Realität wird in den einseitigen historischen Überlieferungen nur ungenügend abgebildet. Es ist die Archäologie, die auch nach fast 150 Jahren Forschung immer noch neue Erkenntnisse über die Wikingerzeit offenlegt und ein zunehmend komplexeres und in vielen Aspekten auch immer wieder überraschendes Bild der tatsächlichen Lebenswirklichkeit der Wikinger präsentiert.

Mit der archäologischen Forschung der letzten Jahre ist es möglich, das stereotype Bild der Wikinger zu revidieren, Mythen zu hinterfragen, alte Vorurteile zu widerlegen und neue Aspekte aufzuzeigen. Im Vordergrund stehen dabei die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Veränderungen, welche die Wikingerzeit wie kaum eine andere Epoche der europäischen Geschichte geprägt haben: die fast explosionsartigen Expansionsbewegungen von Skandinavien in das restliche Europa, die der Wikingerzeit ihren Namen gegeben haben, die zunehmend engeren Kontakte mit dem Kontinent, die Christianisierung und der Niedergang des altnordischen Heidentums, das Entstehen überregionaler Königtümer als Geburtsstunde der modernen skan­dinavischen Königreiche und schlussendlich die Einbindung des Nordens in das christliche europäische Mittelalter.

Betrachtet man dieses Zeitalter der Umbrüche aus einer archäologischen Perspektive, so drängen sich eine Reihe von Fragestellungen auf, die für uns heute überraschend aktuell sind: Es geht um Identität und Zugehörigkeit, um Mobilität und Migration, um Religionskonflikte und Auseinandersetzungen, um Ressourcen und nicht zuletzt auch um »die« Wahrheit. »Fake News« sind keine Erfindung der Moderne, sondern – wie die historischen Überlieferungen zu den Wikingern aus den Federn christlicher Mönche zeigen – auch in der Epoche der Wikinger bedeutsame Werkzeuge im Kampf um Macht, Einfluss und Ansehen. Und so zeigt der Blick auf die archäologischen Befunde im Kontrast zu den schriftlichen Quellen erst recht, dass es historische »Wahrheit« nicht gibt, sondern Geschichte konstruiert wird und immer im Auge des Betrachters liegt.

Deshalb ist es wichtig, die bisherigen Überzeugungen zur Wikingerzeit kritisch und kontrovers zu diskutieren – und sich zwischendurch immer wieder einmal einen Überblick zu verschaffen, wie in diesem Buch. Unsere historischen Überzeugungen sind nie statisch, sondern ständigen Veränderungen durch neue Funde und Blickwinkel, bessere naturwissenschaftliche Methoden oder innovative Theoriekonzepte unterworfen. Was manchen Men­schen als Uneinigkeit oder sogar Unsicherheit der Wissenschaftler erscheint, ist tatsächlich der erwünschte Diskurs. Nur so kann sich unser geschichtliches Wissen weiterentwickeln.