Sarah Kirsch
Ænglisch
Prosa
Mit einem Nachwort von
Frank Trende
Deutsche Verlags-Anstalt
Sarah Kirsch
Ænglisch
Prosa
Mit einem Nachwort von
Frank Trende
Deutsche Verlags-Anstalt
16. Septembrius 2012 und bewölkt. Da will ich einen Journaler von der letzten britanischen Inseltour tun. Es war die sechste. Zuerst mit dem Tonsetzer in London, dann durch alle Goethe-Institutsplätze, nach Swansea, mit Moses nach Irland, noch einmal Swansea, dann mit dem Baby nach des Öhmchen Todt nach Südengland.
22. August 2000, Dienstag
Durch eine Woche Real-TV von der russischen U-Boot-Katastrophe gut auf ne Seereise eingestimmt. Sturm ist och angesagt, der Himmel ganz schwarz. Ich reduziere gerade mein Gepäck. 2 Hosen genügen. Gleich bestell ich das Taxi. Getan. Punkt 8.00 Uhr. 12.15 Uhr kommt es, sagt die Zentrale. Wollen wir es hoffen.
In Altona vom Zug in den Bus direkt zum Terminal an der Elbe, im Terminal noch ein bißchen warten, nen Koffie. Dazu reicht es grad noch, wir waren knapp vor der Zeit. Man kann jetzt schon souvenirs vom Schiff kaufen, aber wir halten uns noch zurück, bis wir wenigstens an Bord sind. Getan.
Riesenchaos, als der Schiffsbauch sich öffnet. Alle eilen durcheinander, zur Rezeption. Kabine finden. Auch das getan. Sehr gemütliche Kabine.
Nun weht schon ein ordentlicher Wind! Wir entschwinden aus der Elbe in die Britanische See. Haben im Navigators Pub gesessen, waren an Deck, sahen das Atomkraftwerk Stade als wir was aßen. Sehr schöner Himmel. Unsere Kabinennummer ist die 6111 was ich mir gut merken kann ausnahmsweise. 19.37 h ist es, Maurizio hat schon britische Zeit, eine Stunde weniger . Es ist ein kinderfreundliches dänisches Schiff unter der Flagge der Bahamas mit Zauberern und Piraten. Als wir an Bord gingen geleitete uns ein brauner aufrechter Hund, worinnen wahrscheinlich ein Mensch gesteckt hat. So geht es so steht es. Hoffentlich ist die See nicht zu stürmisch! Der BBC-Wetterbericht nämlich gestern, der sprach von wilden Stürmen und Tornados! Haben Pfund Sterling eingetauscht. Kein guter Kurs für Europäer! Na macht nix! Es ist schön auf dem Schiff, welches wir gerade noch erreicht haben. Druffgesprungen kann man fast sagen.
Wunderbarer Sonnenuntergang hinter der Brunsbüttler Schleuse 20.30 Uhr. Seidenblaugraues Wasser und hübsch gekräuselt. Habe mir an Bord großartiges Parfüm gekauft, Davidoff Cool Water. Bin in der Abendröte an Deck gewesen. Die Sesselpassagiere hatten sich ausgebreitet. Im Pub sah es ganz hübsch aus. Die Disko war noch nicht im Gange. Hab dann gelesen, Harry Potter passenderweise. Wir fuhren zwischen Leuchttürmen hindurch. Hin und wieder ein Schiff. Bohrinseln alsdann.
23. Augustus 2000, Mistwoch
Auf hoher See also. Freundlicher, 1/5 bewölkter Himmel. Wir fahren noch nahezu 5 Stunden. Es ist wärmer geworden, hab die Pullover vertauscht. Es gibt englische Sender, Classic FM. Den kann ich ja behalten! Gab auch Nachrichten und den Wetterbericht. Ich hab britische Zeit am Arme hängen. Lese noch Harry Potter. Was sehr interessant und richtiggehend spannend doch ist. Kann ich ja noch viele Bände lesen. Moses’ Reiselektüre ist The Woodlanders von Thomas Hardy. Eine schöne gebundene englische Ausgabe. Ich sitze im Pub und schaue über das Wasser. Einmal im Jahr sollte man auf die Planken springen. Wir haben etwas Verspätung inzwischen. Na, mal sehen, wann wir in Penzance dann sind. Fahren wir mindestens fünf Stunden mit der Bahn über Paddington station.
Und nun ist Land in Sicht! Ich werfe alles wieder zusammen.
Wir fuhren mit dem Zug nach London, mit der U-Bahn bis Paddington. Von dort waren es noch einmal 5 Stunden, in denen die Landschaft immer verrückter wurde. Stücke vom Ärmelkanal, dann von Devon nach Cornwall, wo die Bäume immer mutiger wurden, Pinien und Zedern erschienen und das Meer mit seinen Kliffs. Penzance war das absolute Ende der Bahnfahrt und mit einem Taxi fuhren wir durch die silbergraue gebogene Stadt zu unserem winzigen Hotel. Überraschung! Es war nix gebucht, der Meister dort war ganz überfordert, ihm war die Frau weggerannt. Unerhört! riefen wir und fanden schließlich schräg gegenüber in einem Haus Seeblick ein großes Zimmer, was sehr ordentlich ist, nur eben keine zwei, was für Moses bekwehmer wär, da ich immer so früh auf den Pfoten bin und viel Radio höre. Wir haben das Schiebefenster geöffnet und es riecht nach Meer und die Möwen randalieren. Das Meer ist so blau so blau noch in der Nacht.
24. Augustus 2000, Donnerstag
Das Frühstück war so überzeugend mit seine Nierchen, Tomaten, Pilze und riesige Spiegeleier, dass wir beschlossen, hier zu bleiben auch wenn wir nur ein gemeinsames Zimmer haben. Wir gingen in die sehr hübsche Stadt, immer am Strand entlang, fuhren schließlich mit einem wunderbaren Zug nach St. Ives. Eine kleine Nebenstrecke an die gegenüberliegende Küste. Das ist ein herrlicher Ort, früher die Heimat der Sardinen, dann ein Eldorado der Maler, Licht von drei Seiten auf den üppigen Strand, an jeder Ecke ne vulgäre Palme, Zedern und Mesembrianthemum zuhauf und allüberall. Auch gibt es einen Ableger von der Tate, ein verrücktes nahezu rundes Gebäude, in dessen luftigem Atrium sich die Stimmen des Meeres fangen und verstärken, man lange sitzen und zuhören kann.
Schöne Bilder und Bilder-Bilder. Lange am Meer gesessen. Alles voller Hitchcock- Möwen. Seltsames gespiegeltes Licht. War ein außerordentlich schöner Tach. Sanftes mildes Klima und es riecht außerordentlich nach Atlantik und Ärmelkanal. Wunderbare Bäume und Pflanzen.
© Moritz Kirsch – St. Ives Museum
25. Augustus 2000, Freitach
Es lag übrigens nicht an der Reiseagentur, daß der Mensch vom kleenen Hotel gegenüber uns nicht auf der Liste hatte. Dann war wohl wirklich die Frau auf und davon, die die Geschäfte da tat. Die anderen Kvartiere waren OK. Nun muß die Agentur sehen, daß sie das überwiesene Geld wieder bekommt. Und wir ooch. Naja so is es gewesen. Heute machen wir wahrscheinlich ne Bootsfahrt. Das Wetter ist gut. Muß nur das Kind wachbekommen. Sind durch die wunderschöne hügelige Stadt, festgestellt, daß man Tiermedikamente sehr preiswert im Pet-Laden (»Tatzen & Pfoten«) kaufen kann, während in Germany die Tierärzte das Monopol innehaben und alles fünfmal so theuer ist. Noch zwei Platzregen lange in putzigen Läden, Antiquariaten, wo es z. B. einen singenden Fisch gab, welcher sich bewegte und sang: »Take me in the water«. Ein täuschend ähnlicher Fisch. Moses hat sich ein schönes altes Cornwall-Buch gekauft. Bei einem weiteren Regen cream tea im Michelangelo. Danach ins Quartier und ne kleene Pause. Was gut war. Daraufhin mit einem größeren Boot, sehr kleinem Schiff, das etwa 25 Menscher hatte, zu denen Seehundsbänken, Schmugglerhöhlen, Vogelfelsen gefahren. Herrschte ein großes Schwanken, ein Seegang, der nicht von Pappe war. Am St. Michael’s Mount vorbei, den wir morgen besteigen werden. Wunderbare Farben, ein silberweißes Spitzengrau wie für Herrn Turner, später das Meer schwarzer Lack. Hin & wieder steckte ein Kormoran den Schnorchel aus dem Wasser. Wunderbarste Fregattvögel flogen, wenn ich die See und diese Fregattvögel in den Lüften hab, so haut es mir nahezu um. Weeß ooch nicht weshalb.