Jasper Fforde

In einem anderen Buch

Roman

Deutsch von
Joachim Stern

 

Inhaltsübersicht

1. Die Adrian-Lush-Show

2. Das Special Operations Network

3. Der entfesselte Cardenio

4. Fünf Zufälle, sieben Irma Cohens und ein verwirrter Neandertaler

5. Verschwindende Anhalter

4a. Fünf Zufälle, sieben Irma Cohens und eine verwirrte Thursday Next

6. Die liebe Familie

7. Picknick am Weißen Pferd von Uffington

8. Mr Stiggins und SO-1

9. Je mehr die Dinge sich gleichen

10. Ein Mangel an Unterscheidung

11. Oma Next

12. Zu Hause mit meinen Erinnerungen

13. Mount Pleasant

14. Die Gravitube TM

15. In Osaka

16. Das Gespräch mit dem Kater

17. Miss Havisham

18. Der Prozess des Fräulein N.

19. Modernes Antiquariat

20. Yorrick Kaine

21. Les Arts Modernes de Swindon ’ 85

22. Reisen mit meinem Vater

23. Spaß mit Spike

24. Evaluierung, Miles Hawke & Norland Park

25. Vollversammlung der Jurisfiktion

26. Mein erster Auftrag für Jurisfiktion

27. Ach, Landen!

28. ›Der Rabe‹

29. Gerettet

30. Cardenio wieder eingefangen

31. Supertraumsoße

32. Das Ende des Lebens, wie wir es kennen

33. Der Beginn des Lebens, wie wir es kennen

34. Der Brunnen der Manuskripte

Dieses Buch

ist allen Assistenten gewidmet.

Ohne euch könnten die gar nichts.

Euer Beitrag ist alles.

 

1.

Die Adrian-Lush-Show

Zuschauerzahlen der Fernsehsender im September 1985

 

Toad Network

Die Adrian-Lush-Show (Mittwoch) – Talkshow

16428316

 

Die Adrian-Lush-Show (Montag) – Talkshow

16034921

 

Bonzo der Wunderhund – Tier-Krimi

15975462

 

Mole TV

Name That Fruit! – Quiz-Show mit Geldpreisen

15320340

 

65 Walrus Street – Seifenoper, Episode

3352 14315902

 

Gefährliche Irre diskutieren im Fernsehen

11065611

 

Owl Vision

Will Marlowe oder Kit Shakespeare?

13591203

 

Wiedersehen mit ausgestorbenen Arten

2321820

 

Goliath Kabelkanal (1  32)

Wer lügt denn da? – Firmen-Quiz

428

 

Von der Wiege bis zur Bahre, wir haben jede Ware – Dauerwerbesendung

9 (unbestätigte Schätzung)

 

Neanderthal Network 4

Hochleistungswerkzeuge live

9032

 

Jackanory Gold – Neuausgabe Jane Eyre

7219

 

WARWICK FRIDGE
Der Quotenkrieg

 

Ich hatte nicht darum gebeten, eine Berühmtheit zu werden. In der Adrian-Lush-Show wollte ich auch nicht auftreten, und solange nicht gerade ein Weltuntergang droht, würde ich so etwas Albernes wie Das Thursday Next Fitness-Video auch nicht machen.

Die mit Jane Eyres erfolgreicher Wiedereinbuchung verbundene Publicity war am Anfang recht schmeichelhaft, wurde aber bald mühselig. Die Fototermine und Zeitungsinterviews waren ja noch ganz in Ordnung, aber die Fernseh-Shows waren anstrengend. Die Öffentlichkeit wollte alles über mich wissen, seit ich aus dem Roman zurückgekehrt war, und weil mein Arbeitgeber, das Special Operations Network, in der Beliebtheitsskala meistens noch hinter Vlad Tepes dem »Pfähler« rangiert, dachten meine Vorgesetzten, es wäre eine gute Idee, wenn ich ihre Popularität etwas aufbessern könnte.

Also ging ich brav auf eine PR-Tour, signierte Bücher, eröffnete Bibliotheken, hielt Vorträge und gab Interviews. Überall dieselben Fragen, überall dieselben, von SpecOps genehmigten Antworten. Ich traf sogar die Schauspielerin Lola Vavoom, die mir erklärte, sie fände es großartig, meine Rolle zu spielen, wenn tatsächlich ein Film gemacht würde. Es war nicht nur anstrengend – es war auch höchst langweilig. Zum ersten Mal in meiner Karriere als LitAg vermisste ich es, einen Milton oder Dickens auf Echtheit prüfen zu dürfen.

Nach meiner Tournee nahm ich eine Woche Urlaub, um mich meinem Eheleben mit meinem brandneuen Ehemann Landen Parke-Laine widmen zu können. Ich brachte meine Habseligkeiten in sein großes Haus, stellte sämtliche Möbel bei ihm um, ordnete meine Bücher bei seinen ein und zeigte meinem Dodo Pickwick sein neues Heim. Feierlich teilten Landen und ich die Schränke im Schlafzimmer auf. Wir beschlossen, die Socken- und Strumpfschublade zu teilen, stritten uns dann aber fürchterlich, wer auf welcher Seite des Betts schlafen sollte. Wir führten lange Gespräche ohne jegliches Thema, gingen gelegentlich essen oder blieben zu Haus, sahen uns tief in die Augen und schliefen bis in die Puppen. Es war einfach herrlich.

Am vierten Tag meines Urlaubs, gerade zwischen dem Mittagessen mit Landens Mutter und Pickwicks erstem großen Kampf mit dem Kater des Nachbarn, rief mich Cordelia Flakk an. Sie war die SpecOps-Pressefrau hier in Swindon und teilte mir mit, dass mich Adrian Lush in seiner Show wollte. Ich war alles andere als scharf darauf, aber die Sache hatte einen nicht unerheblichen Vorteil: Die Adrian-Lush-Show wurde live gesendet, und das bedeutete, dass meine Antworten nicht zensiert werden konnten. Es würde ein ganz ehrliches Interview werden, sagte Cordelia, und das reizte mich sehr. Ich hatte den Leuten schon lange mal sagen wollen, welch unrühmliche Rolle die Goliath Corporation im Fall Jane Eyre gespielt hatte.

Ein paar Tage später war ich auf dem Weg zu den Network-Toad-Studios. Landen musste eine dringende Terminarbeit abschließen und konnte nicht mitkommen. Aber meine Einsamkeit währte nicht lange. Kaum hatte ich die Eingangshalle betreten, da stürzte auch schon eine grellgrün gekleidete Person auf mich zu.

»Thursday, Schätzchen!« kreischte Cordelia Flakk und umarmte mich mit rasselnden Armreifen. »Ich bin ja so froh, dass du da bist!« Cordelia gehörte zu den Publicity-Leuten, die der festen Überzeugung waren, alle Medien-Stars müssten sich duzen.

Die Kleiderordnung bei SpecOps verlangte, dass unser Outfit »der Würde des Amtes angemessen« sein sollte, und Cordelia legte das ziemlich weit aus. Aber man durfte sich keiner Täuschung hingeben: Cordelia war eine hochprofessionelle Spec-Ops-Agentin, von den hochhackigen grünen Schuhen bis zur rosa Schleife in ihrem Haar.

Sie gab mir die obligatorischen Luft-Küsschen. »Wie war’s in Neuseeland?«

»Grün und voller Schafe«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Ich hab Ihnen was mitgebracht.« Damit überreichte ich ihr ein flauschiges Lämmchen, das gehorsam blökte, wenn man es drückte.

»Ganz zauberhaft!« sagte sie. »Und wie bekommt dir die Ehe?«

»Danke, gut.«

»Wunderbar, meine Liebe! Ich wünsche dir und . . .«

»Landen!«

». . . alles Gute! Deine neue Frisur steht dir großartig!«

»Aber ich hab gar keine Frisur!«

»Ja, genau!« sagte Flakk eilig. »Sie ist so unglaublich natürlich!«

Sie drehte eine Pirouette. »Was hältst du von meinem Kleid?«

»Es weckt bestimmt Aufmerksamkeit«, sagte ich vorsichtig.

»Hör mal«, sagte sie. »Wir schreiben das Jahr 1985! Den hübschen Farben gehört die Zukunft! Irgendwann lass ich dich mal richtig in meiner Garderobe rumwühlen.«

»Rosa Socken hab ich, glaub ich, selbst noch ein Paar.«

»Na, das ist doch ein Anfang«, flötete sie. »Du hast deine Sache wirklich gut gemacht mit dieser ganzen Öffentlichkeitsarbeit. SpecOps ist dir sehr dankbar.«

»Dankbar genug, um mich von den LitAgs irgendwo anders hinzuversetzen?«

»Eins nach dem anderen«, sagte Cordelia vorsichtig. »Aber ich kann dir versprechen, dass deine Bewerbungen sehr energisch geprüft werden, wenn du das Interview mit Lush hinter dir hast.«

Das klang nicht gerade überzeugend. Ich wollte schließlich Karriere machen bei SpecOps. Cordelia nahm meinen Arm und führte mich in die VIP-Lounge. »Kaffee?«

»Ja, bitte.«

»Gab’s Ärger in Auckland?«

»Ja, der örtliche Ableger der Brontë-Gesellschaft hat ein bisschen gemeckert«, sagte ich. »Das neue Ende von Jane Eyre gefällt ihnen nicht.«

»Ein paar Unzufriedene gibt’s immer«, erklärte Flakk. »Nimmst du Milch?«

»Ja, bitte.«

»Oh«, sagte sie und starrte verdutzt in das Milchkännchen. »Die ist schlecht geworden. Na, macht nichts. Also, ich würde gern hier bleiben und die Show sehen, aber in Penzance hat so ein Trottel von SpecOp-17 versehentlich einen Gothic-Fan aufgespießt und das gibt bestimmt einen riesigen Presse-Skandal.«

SO-17 war die AntiWerwolf- und AntiVampir-Truppe. Und trotz der neuen Drei-Punkte-Verfahrensordnung konnte ein nervöser Rekrut mit einem spitzen Pflock immer noch eine Menge Ärger verursachen.

»Hier ist ja soweit alles unter Kontrolle«, fuhr Cordelia fort. »Ich habe mit Adrian Lush und den anderen gesprochen, und es gibt keine peinlichen Fragen.«

»Was für andere?« fragte ich, plötzlich misstrauisch. »Und was heißt keine peinlichen Fragen?«

Cordelia warf mir einen gequälten Blick zu. »Neue Befehle, Thursday-Schätzchen. Glaub mir, es ärgert mich genauso wie dich.«

Das sah man ihr allerdings nicht an.

»Ein ganz ehrliches Interview, ja?« sagte ich und verzog das Gesicht, aber Cordelia war nicht mal verlegen.

»Was sein muss, muss sein, Thursday. SpecOps braucht Ihre Unterstützung in diesen schwierigen Zeiten. Präsident Formby hat einen Untersuchungsausschuss berufen, der feststellen soll, ob SpecOps ihr Geld wert sind – oder überhaupt notwendig.«

»Na schön«, sagte ich. »Aber das ist dann wirklich das letzte Interview, ja?«

»Natürlich«, sagte Flakk, ein bisschen zu bereitwillig, und fügte dann mit dramatischer Geste hinzu: »Ach du Schreck, ist es wirklich schon so spät? In einer Stunde geht mein Luftschiff nach Barnstaple. Da kommt Adie, die wird sich jetzt um Sie kümmern . . . und vergessen Sie ja nicht, dass Sie SpecOps sind!«

Damit stand sie auf und verschwand in einer Wolke von teurem Parfüm.

»Wie sollte ich das je vergessen?« murmelte ich, während ein zappeliges junges Mädchen mit einem Klemmbrett aus dem Hintergrund auftauchte, wo sie außer Hörweite auf ihren Auftritt gewartet hatte.

»Hi«, quietschte sie. »Ich bin Adie. Ich freu mich riesig, Sie kennen zu lernen.« Sie packte meine Hand und versicherte mehrfach, was für eine Ehre das für sie sei. »Ich will ja nicht neugierig sein«, sagte sie, »aber war dieser Lord Rochester wirklich zum Sterben romantisch?«

»Na ja«, sagte ich. »Schön war er nicht, aber durchaus attraktiv. Groß, mit tiefer Stimme und düsterer Miene, wenn Sie verstehen?«

Adie errötete bis in den Ausschnitt. »Wahnsinn!«

Ich wurde in die Garderobe gebracht, wo ich geschminkt und aufgeputzt wurde. Drei Leute redeten auf mich ein, und ich musste eine Ausgabe von FeMole signieren, die eine Bildreportage von mir gemacht hatten. Ich war sehr erleichtert, als Adie mich wieder abholte. »Wir sind unterwegs«, sagte sie in ihr Sprechfunkgerät und führte mich durch einen Korridor mit ein paar Schwingtüren.

»Wie ist das, wenn man bei SpecOps arbeitet?« wollte sie wissen. »Muss man ständig Bösewichter jagen, außen an Luftschiffen rumturnen und Bomben in letzter Sekunde entschärfen?«

»Das würde ich gerne«, sagte ich. »Aber in Wirklichkeit verbringt man siebzig Prozent seiner Zeit damit, Berichte zu schreiben und Formulare auszufüllen. Siebenundzwanzig Prozent entfallen auf hirnlose Routinearbeiten und zwei Prozent sind nacktes Entsetzen.«

»Und was ist mit dem letzten Prozent?« fragte sie.

»Das«, sagte ich lächelnd, »hält uns am Leben.«

Der mit großen Fotos von Adrian Lush gesäumte Korridor nahm kein Ende.

»Adrian wird Ihnen gefallen«, sagte Adie. »Und Sie gefallen ihm sicher auch. Versuchen Sie bloß nicht witziger zu sein als er selbst, das passt nicht zur Sendung.«

»Was soll denn das heißen?«

Sie zuckte die Achseln. »Weiß ich auch nicht. Aber ich habe Weisung, das allen Gästen zu sagen.«

»Den Komikern auch?«

»Ja, denen vor allem.«

Ich versicherte ihr, dass es mir vollkommen fern läge, Witze zu machen, und damit erreichten wir auch schon die Studio-Tür. Ich war ziemlich nervös, als ich das berühmte »Wohnzimmer« der Adrian-Lush-Show betrat. Allerdings waren weder der Gastgeber noch das große »Studio-Publikum« zu sehen, auf die das Toad Network so stolz war. Stattdessen saßen ein paar SpecOps-Beamte auf den Zuschauerbänken. Das mussten die »anderen« sein, die Cordelia erwähnt hatte. Meine Laune sackte bis ins dritte Tiefgeschoss, als ich sah, um wen es sich handelte.

»Ach, da sind Sie ja, Next!« trompetete Commander Hicks mit falscher Leutseligkeit. »Sie sehen gut aus, gesund und . . . energisch.« Er war mein Abteilungsleiter in Swindon, aber seine Arbeit bei den LitAgs beruhte nicht gerade auf seiner Wortgewandtheit.

»Was machen Sie denn hier, Sir?« fragte ich und versuchte meinen Ärger nicht allzu deutlich zu zeigen. »Cordelia hatte mir gesagt, das Interview würde völlig unzensiert stattfinden.«

»Aber das wird es doch, liebes Mädchen – soweit irgend möglich«, sagte er und strich sich den Schnurrbart. »Aber man darf die Öffentlichkeit nicht verwirren. Wir hören uns das Interview einfach an, und wenn es nötig sein sollte, können wir Sie vielleicht praktisch beraten.«

Ich seufzte. Meine unerhörte Geschichte würde also ein weiteres Mal unerhört bleiben. Adrian Lush, der Vorkämpfer der Pressefreiheit, der Erste, der es gewagt hatte, die Leiden der Neandertaler ins Fernsehen zu bringen, und mindestens einmal gesagt hatte, die Goliath Corporation sei »nicht fehlerfrei«, sollte offenbar ganz schön zurechtgestutzt werden.

»Colonel Flanker kennen Sie ja schon«, sagte Commander Hicks, ohne Atem zu holen.

Ja, allerdings. Flanker war bei SpecOps 1, der Abteilung, die alle anderen kontrollierte. Nach der Schießerei mit Acheron Hades, bei der Snood und Tamworth umkamen, hatte er mich verhört. Er versuchte zu lächeln, gab mir dann aber einfach die Hand.

»Das ist Colonel Rabone«, setzte Hicks seine Vorstellung fort. »Sie ist Verbindungsoffizier bei den Streitkräften.«

»Ich freue mich immer, wenn ich jemandem die Hand schütteln darf, der das Ehrenkreuz der Krim-Truppen trägt«, sagte Rabone mit einem herzlichen Lächeln.

»Und hier«, sagte Hicks in jenem scherzhaften Ton, der mich ganz besonders beunruhigte, »haben wir Mr Schitt-Hawse von der Goliath Corporation.«

Schitt-Hawse war ein dürrer, hochgewachsener Mann, dessen Gesichtszüge alle darum wetteiferten, möglichst dicht an der Nase zu sein. Wie ein besonders neugieriger Wellensittich hielt er den Kopf leicht zur Seite geneigt. Sein Haar war sorgfältig aus der Stirn gekämmt. Er streckte die Hand aus.

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich sie nicht schüttele?« fragte ich.

»Allerdings«, sagte er so höflich wie möglich.

»Sind Sie ein Verwandter von Jack Schitt?«

»Das ist mein Halbbruder, aber . . .«

Hicks hatte mich weitergezogen: »Schließlich haben wir noch Mr Chesterman von der Brontë-Gesellschaft.«

Chesterman blinzelte unsicher. Ich hoffte, dass er zu der Fraktion gehörte, die das neue Ende von Jane Eyre mochte.

»Und da hinten sitzt Captain Marat von der ChronoGarde«, setzte Hicks seine Vorstellung fort.

Marat sah mich aufmerksam an. Er war ein Knabe von etwa zwölf Jahren, aber das war sehr relativ, denn die ChronoGarde kümmerte sich um Anomalien bei den Zeitwellen. Mein Vater gehörte früher auch zu dieser Abteilung von SpecOps. Oder würde zu ihr gehören. Je nachdem, welchen Stand- oder Zeitpunkt man einnahm.

»Sind wir uns schon mal begegnet?« fragte ich ihn.

»Noch nicht«, erwiderte er.

»Gut!« sagte Hicks und klatschte verkrampft in die Hände. »Ich glaube, das wären dann alle. Next, ich möchte, dass Sie uns gar nicht beachten! Tun Sie so, als wären wir gar nicht da!«

»Reine Beobachter, ja?«

»Genau. Ich –«

In diesem Augenblick gab es eine heftige Unruhe hinter der Bühne. »Diese Schweine!« schrie eine helle Stimme. »Wenn der Sender anstelle der Montags-Show tatsächlich Wiederholungen von Bonzo der Wunderhund bringen will, dann soll er das nur machen! Ich werde so viel Schadensersatz dafür verlangen, dass ihr bankrott geht!«

Ein hochgewachsener Mann Mitte fünfzig trat auf die Bühne, umgeben von einem Schwarm von persönlichen Assistenten und Assistentinnen. Seine markanten Züge und sein üppiges weißes Haar sahen aus, als wären sie aus Styropor gemeißelt. Er trug einen eleganten Maßanzug, und seine Finger strotzten von goldenen Ringen. Das also war Adrian Lush. Er blieb abrupt stehen, als er uns sah.

»Ah!« sagte er voller Verachtung. »SpecOps!«

Sein Gefolge flatterte um ihn herum, ohne irgendwas zu bewirken. Sie schienen jedes seiner Worte andachtsvoll zu verfolgen, und ich war plötzlich heilfroh, dass ich nicht im Showbusiness arbeiten musste.

»Ich hatte schon viel mit Ihnen zu tun«, sagte Lush und setzte sich auf das grüne Sofa, das sein Markenzeichen geworden war und offenbar seine persönliche Sicherheitszone darstellte. »Wussten Sie, dass der Ausdruck SpecOoops von mir stammt? Wegen der vielen Fehler, die euer Verein macht, nein, entschuldigen Sie, wegen der unerwarteten einsatzmäßigen Nicht-Entwicklungen, die euch gelegentlich heimsuchen.«

Aber Hicks ließ sich von der Frotzelei nicht beeindrucken. Er stellte mich dem Talkmaster vor, als wäre ich seine einzige Tochter, die er zur Ehe anbieten wollte. »Mr Lush, das ist Spezialagentin Thursday Next.«

Lush sprang auf und schüttelte mir voller Energie und Entzücken die Hände. Flanker und die anderen setzten sich. Die Gruppe sah ein bisschen kümmerlich aus im leeren Zuschauerraum. Aber weggehen würden sie nicht, und Lush bat sie auch nicht, das zu tun. Das Network Toad gehörte der Goliath Corporation, und ich begann mich zu fragen, ob Lush in seiner Sendung überhaupt das Sagen hatte.

»Hallo, Thursday!« sagte er freundlich. »Willkommen bei meiner Montags-Show. Das ist die zweitbeliebteste Sendung in England. Die beliebteste ist meine Mittwochs-Show!« Er lachte zufrieden, und ich lächelte vorsichtig.

»Na, dann werde ich halt Ihre Thursday-Show«, sagte ich, um die Situation aufzulockern.

Tödliches Schweigen.

»Haben Sie vor, das noch öfter zu machen?« fragte Lush.

»Was denn?«

»Wollen Sie noch mehr Witze machen? Wissen Sie . . . Ach, setzen Sie sich doch, Schätzchen! Wissen Sie, normalerweise mach ich die Witze in dieser Sendung. Es ist natürlich völlig in Ordnung, wenn Sie auch einen Witz machen wollen. Aber dann muss ich jemand bezahlen, der noch bessere macht, und unser Budget ist noch kleiner als die Skrupel der Goliath Corporation.«

»Darf ich etwas sagen?« fragte eine Stimme aus dem Publikum: Colonel Flanker. Er wartete gar nicht erst auf Erlaubnis, sondern fuhr einfach fort: »SpecOps ist eine ernsthafte Einrichtung und muss auch so dargestellt werden. Next, ich finde, Sie sollten es Mr Lush überlassen, die Witze zu machen.«

»Geht das?« fragte Lush mich.

»Klar doch«, erwiderte ich. »Sonst noch was, was ich nicht tun soll?«

Lush warf mir einen prüfenden Blick zu und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf unsere Zuschauer. »Noch etwas?«

Die Beobachter murmelten untereinander. »Ich glaube«, fasste Flanker dann das Ergebnis zusammen, »wir – äh, Sie – sollten erst mal das Interview machen, und dann sehen wir weiter. Miss Next kann sagen, was sie möchte, solange es nicht gegen die Dienstordnung von SpecOps verstößt – oder gegen die Firmengrundsätze der Goliath Corporation.«

»Oder gegen die militärische Geheimhaltung«, warf Colonel Rabone hastig ein, damit sie nicht außen vor blieb.

»Geht das?« fragte mich Lush.

»Klar doch«, sagte ich müde. Ich wollte es hinter mich bringen.

»Hervorragend! Ich mache als erstes die Einführung, dabei sind Sie noch nicht im Bild. Dann gibt Ihnen der Aufnahmeleiter ein Zeichen, und Sie treten ein. Winken Sie dem . . . Publikum zu, und wenn Sie sitzen, stelle ich Ihnen ein paar Fragen. Zwischendrin werde ich Ihnen vielleicht etwas Toast anbieten, denn unser Sponsor, die Nationale Toast-Kommission, braucht gelegentlich etwas Beachtung. Haben Sie irgend etwas davon nicht verstanden?«

»Nein.«

»Gut. Dann können wir loslegen.«

Sein Haar wurde bis in die Spitzen geordnet, sein Anzug sorgsam geglättet und die letzten Fusseln der Kosmetiktücher wurden von seinem Kragen entfernt. Ich wurde von der Bühne geholt, und nach einer ganzen Ewigkeit völliger Reglosigkeit begann der Aufnahmeleiter zu zählen. Aufs Stichwort wandte Lush sich der Kamera 1 zu und knipste sein strahlendstes Lächeln an.

»Heute Abend haben wir einen ganz besonderen Gast. Sie ist eine hoch dekorierte Kriegsheldin und eine hervorragende Literaturdetektivin, die höchstpersönlich Jane Eyre gerettet und das Ende des Romans sehr viel schöner gemacht hat. Ganz auf sich gestellt, hat sie den berüchtigten Acheron Hades unschädlich gemacht, den Krimkrieg beendet und der Goliath Corporation ein Schnippchen geschlagen. Meine Damen und Herren, das ist noch nie dagewesen! Ich bitte Sie, Spezialagentin Thursday Next vom Litera-Tec-Büro Swindon ganz herzlich willkommen zu heißen!«

Ein greller Scheinwerfer schwenkte zu der Tür, durch die ich hereinkommen sollte. Adie lächelte und tippte mir auf den Arm. Ich trat auf die Bühne, und Lush erhob sich von seinem Sofa, um mich willkommen zu heißen.

»Entschuldigen Sie«, rief eine Stimme aus der ersten Reihe. Es war Schitt-Hawse, der Vertreter der Goliath Corporation.

»Ja?« fragte Lush in eisigem Tonfall.

»Den Hinweis auf die Goliath Corporation müssen Sie streichen«, sagte Schitt-Hawse in einem Tonfall, der keine Diskussion zuließ. »Man kann doch nicht ohne jeden Anlass eine Organisation diskriminieren, die nichts anderes im Sinn hat, als unser aller Leben leichter und schöner zu machen.«

»Stimmt«, sagte Flanker. »Und der Name Hades darf auch nicht fallen. Er gilt nach wie vor als vermisst und hoffentlich tot, also muss jede unautorisierte Spekulation unterbleiben.«

»In Ordnung«, murmelte Lush und machte sich eine Notiz. »Sonst noch Wünsche?«

»Jeder Hinweis auf den Krimkrieg und auf das Plasmagewehr könnte als Störung der internationalen Beziehungen verstanden werden«, erklärte Colonel Rabone. »Die Friedensverhandlungen in Budapest befinden sich in einem sehr heiklen Stadium. Die Russen suchen bloß einen Vorwand, um den Verhandlungstisch zu verlassen, und wir wissen, dass Ihre Show in Moskau sehr populär ist.«

»Die Brontë-Gesellschaft findet es äußerst taktlos, wenn Sie das neue Ende von Jane Eyre als schöner bezeichnen«, warf der schmächtige Chesterman ein und wedelte mit seiner Brille. »Und wenn Sie Figuren erwähnen, denen Sie im Roman begegnet sind, dann kann das bei den Zuschauern Xplkqulkiccasia auslösen. Diese Krankheit ist so gefährlich, dass die Ärztekammer sich einen ganz besonders unaussprechlichen Namen ausdenken musste, damit sie sich nicht herumspricht.«

Lush warf erst den Beobachtern und dann mir einen finsteren Blick zu und starrte schließlich in sein Manuskript. »Wie wäre es, wenn ich einfach bloß den Namen sage?«

»Das wäre vorzüglich«, sagte Flanker. »Aber vielleicht sollten Sie noch darauf hinweisen, dass das Interview vollkommen unzensiert ist. Sind wir uns darin einig?«

Die anderen Beobachter stimmten diesem Vorschlag einhellig zu. Mir wurde klar, dass mir ein paar lange, mühsame Stunden bevorstanden.

Lushs Gefolge erschien und arrangierte einiges um. Es folgte wieder eine scheinbar endlose Wartezeit, und dann fing Lush noch einmal von vorn an.

»Meine Damen und Herren, in einem völlig unzensierten Gespräch wird Ihnen Spezialagentin Thursday Next jetzt freimütig von ihrer Arbeit bei SpecOps erzählen.«

Niemand sagte etwas. Ich trat also ein, schüttelte Lush die Hand und setzte mich auf sein Sofa.

»Willkommen bei der Show, Thursday.«

»Vielen Dank.«

»Wir werden uns gleich über Ihre Zeit auf der Krim unterhalten, aber zuerst möchte ich fragen, ob Sie vielleicht –«

Mit einer eleganten Handbewegung zauberte er ein Tablett aus dem Off.

»– etwas Toast möchten?«

»Nein, danke.«

»Äußerst schmackhaft und nahrhaft«, lächelte er in die Kamera. »Wunderbar als Zwischenmahlzeit oder zum Frühstück, besonders mit Eiern, Sardinen oder . . .«

»Nein, danke.«

Das Lächeln meines Gastgebers gefror, während er mit zusammengebissenen Zähnen zischte: »Essen Sie . . . doch . . . etwas . . . Toast.«

Aber es war schon zu spät. Der Aufnahmeleiter kam auf den Set und erklärte, was der unsichtbare Regisseur gesagt hatte: Schnitt! Eine kleine Armee von Maskenbildnerinnen stürzte sich auf Adrian und verschönerte ihn, während der Aufnahmeleiter mit seinem Kehlkopfmikrofon sprach.

Schließlich wandte er sich an mich. »Der Werberegisseur möchte wissen, ob Sie eventuell bereit wären, ein bisschen Toast zu essen, wenn man Ihnen den anbietet.«

»Ich hab schon gegessen.«

Der Aufnahmeleiter wandte sich wieder seinem Kehlkopfmikrofon zu. »Sie sagt, sie hat schon gegessen! . . . Ich weiß . . . ja . . . wie wäre es . . . ja . . . aha! Was soll ich denn machen? Soll ich mich auf sie draufsetzen und ihr das Zeug in den Hals stopfen? Ja . . . okay . . . ich weiß . . . ja . . . okay.«

Er drehte sich wieder zu mir.

»Wie wäre es mit Erdbeer- statt Orangenmarmelade?«

»Ich mag Toast eigentlich gar nicht.«

»Was?«

»Ich sagte, ich mag eigentlich . . .«

»Sie sagt, sie mag keinen Toast!« sagte der Aufnahmeleiter verzweifelt. »Was sollen wir machen?!?«

Flanker erhob sich. »Next, essen Sie den verdammten Toast, ja? In zwei Stunden habe ich eine Konferenz!«

»Und ich habe ein Golfturnier«, sagte Hicks.

Ich kapitulierte. »Okay. Geben Sie mir Sesam mit Orangenmarmelade und ja keine Butter.«

Der Aufnahmeleiter lächelte, als hätte ich gerade seinen Arbeitsplatz gerettet – was wahrscheinlich zutraf. Dann ging alles wieder von vorn los.

»Möchten Sie etwas Toast?« fragte Lush.

»Ja, bitte.«

Ich knabberte an der Toastscheibe. »Sehr gut.« Ich sah, wie mir der Aufnahmeleiter ein begeistertes Daumen-hoch-Zeichen gab und sich den Schweiß von der Stirn wischte.

»Ja, genau«, sagte Lush. »Als Erstes möchte ich fragen, was unsere Zuschauer wohl am meisten interessiert: Wie sind Sie eigentlich in den Roman Jane Eyre hineingekommen?«

»Das ist leicht zu erklären«, sagte ich. »Wissen Sie, mein Onkel Mycroft hatte eine Erfindung gemacht, das sogenannte Prosa-Portal – »

Flanker räusperte sich. »Vielleicht ist es Ihnen gar nicht bewusst, aber die Person Ihres Onkels unterliegt seit 1934 strengster Geheimhaltung. Es wäre empfehlenswert, dass Sie ihn nicht erwähnen, und auch nicht das ProsaPortal.«

Lush dachte einen Augenblick nach. »Kann ich Miss Next nach der Begegnung mit Hades befragen?«

»Ja, natürlich. Nur Hades sollten Sie dabei nicht erwähnen«, erwiderte Flanker.

»Wir möchten nicht, dass die Bürger –« sagte der inzwischen etwa sechzigjährige Marat so überraschend, dass die anderen erschraken. Bis dahin hatte er noch gar nichts gesagt.

»Wie bitte?« fragte Flanker.

»Ach, nichts«, sagte der ChronoGardist mit leiser Stimme. »Ich neige neuerdings nur zur Vorausdeutung. Wahrscheinlich ist das eine Alterserscheinung.«

Lush fragte weiter: »Darf sie denn darüber reden, wie sie Hades in die Republik Wales verfolgt und Jane erfolgreich in den Roman zurückgebracht hat?«

»Dafür gelten dieselben Regeln«, knurrte Flanker.

»Und wie steht es mit der Geschichte, als ich mit meinem Kollegen Bowden auf der M 1 durch das Zeitloch gefahren bin?« fragte ich.

»Das gehört auch nicht zu den Dingen, von denen die Bürger zuviel wissen sollten«, sagte Marat. »Wenn die Öffentlichkeit denkt, die verantwortungsvolle Tätigkeit der ChronoGarde sei einfach, dann könnte das Vertrauen in unsere Arbeit darunter leiden.«

»Vollkommen richtig«, bestätigte Flanker.

»Möchten Sie vielleicht das Interview geben?« fragte ich.

»He, Sie!« sagte Flanker, stand auf und zeigte mit dem Finger auf mich. »Es gibt überhaupt keinen Grund, schnippisch zu werden. Sie sind hier im Dienst, Next! In Ihrer Eigenschaft als SpecOps-Beamtin. Es geht hier nicht um Ihre persönlichen Ansichten und Wahrnehmungen.«

Lush sah mich unsicher an; ich hob die Augenbrauen und zuckte die Achseln.

»Hören Sie«, sagte Lush in schneidendem Tonfall. »Wenn ich Miss Next interviewen soll, muss ich auch die Fragen stellen, für die sich das Publikum interessiert –«

»Aber natürlich!« rief Flanker versöhnlich. »Sie können fragen, was Sie wollen. Die Redefreiheit ist eins unserer heiligsten Güter, und weder SpecOps noch Goliath wollen Sie irgendwie einschränken. Wir sind nur hier, um zu helfen.«

Lush wusste, was Flanker meinte, und Flanker wusste, dass es Lush wusste. Ich wusste, dass es Flanker und Lush wussten, und Flanker und Lush wiederum wussten, dass ich es wusste. Lush sah nervös aus und zappelte ziemlich herum. Ein Wort von Goliath, und Lush würde nur noch Die Welt der Schafe bei Network Mole moderieren. Und das wollte er ganz bestimmt nicht.

»Wie wäre es, wenn ich etwas über die Käse-Steuern sagen würde«, schlug ich vor. Das sollte ein Witz sein, aber Flanker & Co. kannten sich mit Witzen nicht aus.

»Also, ich hab nichts dagegen«, murmelte Flanker.

»Ich auch nicht«, sagte Schitt-Hawse.

»Aber ich«, sagte eine Frau mit Tweedrock, rosa Twinset und Perlenkette, die bisher still am Rand gesessen hatte. »Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle.« Sie sprach mit einem knappen Home-Counties-Akzent. »Mein Name ist Jolly Hilly, ich vertrete die Regierung in Fragen der Fernsehberichterstattung.« Sie holte tief Luft und fuhr fort: »Die sogenannte ungerechte Käsebesteuerung ist ein äußerst sensibles Thema. Eine Diskussion darüber könnte als Landfriedensbruch interpretiert werden.«

»Hören Sie mal«, sagte ich. »587 % Steuer auf Cheddar Classic und 620 % auf Weichkäse, das geht doch auf keine Kuhhaut! Der molekular-instabile Bodmin Brie kostet jetzt beinahe zehn Pfund! Was soll das?«

Plötzlich blickten auch die anderen Mrs Hilly gespannt an. Das Käsethema interessierte alle.

Aber die geschulte Apologetin ließ sich nicht irre machen. »Wenn Sie die allgemeine Preisentwicklung betrachten, sind die Käsepreise im Verhältnis sogar gesunken«, behauptete sie. »Außerdem hat der zuständige Minister in Härtefällen Käsegutscheine in Aussicht gestellt.«

»Also dann kommt der Käse als Thema wohl auch nicht in Frage?« sagte Lush resigniert.

Mrs Hilly wählte ihre Worte sehr sorgfältig. »Wenn es nach einer Ihrer Sendungen zu einer weiteren Käserevolte kommt«, sagte sie, »dann werden die Behörden sehr genau prüfen müssen, wer dafür verantwortlich ist.«

»Na schön«, sagte ich. »Dann rede ich eben nicht über Käse. Aber worüber kann ich denn reden?«

Meine Bewacher waren perplex. Doch dann hatte Flanker eine Erleuchtung. »Hören Sie«, sagte er und schnippte mit den Fingern. »Haben Sie nicht einen Dodo?«