Gedichte
Adolf Friedrich von Schack
Inhalt:
Adolf Friedrich Graf von Schack – Biografie und Bibliografie
Gedichte
1. Liebesgedichte und Lieder
Wenn du hinweggegangen
Du willst, daß ich in Worte füge
Das erste Liebeswort
In ihrem Arm
Genügen in der Liebe
Wenn unter duft'gen Blütenzweigen
Träume mit den leichten Schwingen
Dein Haupt an meine Brust gelegt
Hoffen und wieder verzagen
Morgenständchen
Heimatgefühl
Mainacht
Trennung
Lob des Leidens
Frühlingstag
Nachklang
Der Brief
Einst und jetzt
Lieder der Trauer
Bekannte Sterne
Herbstgefühl
Aus der Heimat
Im Walde
Im Grase
Nur Mut
Der Augenblick
Die Zeichen
Neues Leben
Süßes Geheimnis
Enthülltes Geheimnis
Winternacht
Heimkehr
Morgenlied
Sonett
Wunsch
Maiwonne
An Sie
Das Geheimnis
Vorgefühl
Ständchen
An Adele
Wahre Schönheit
2. Aus allen Zonen
An den Abendstern
Allein mit der Natur
In den Alpen
Morgen auf den Alpen
Die Jungfrau
An eine Alpenrose
Epistel
Lugano
In der Brianza
Sommernacht
Barcarole
Notturno
Auf Capri
La Cava
Meerfahrt
Aus Sicilien
Am Grabe Conradins
La Zisa bei Palermo
Bei Athen
Das Marmorbild
Im Theater des Dionysos
Der Tempel von Aegina
Rast bei Milet
Mittagsruhe bei Magnesia
Reede von Rhodos
India
Auf dem Nil
Orientalisch
Jaffa
Die Tempel von Theben
Das unbekannte Grab
Abschied
Auf dem Pik von Teneriffa
Lieder aus Granada
Inesilla
Serenade
Aus der Sierra Nevada
3. Romanzen und Balladen
Stesichoros
Evadne
Die Athener in Syrakus
Die Pythia
Himilkon
Metella
Der Triumphator
Die seligen Inseln
Göttersturz
Normannenvermächtnis
Ragnars Tod
St. Amarus
Das Bahrrecht
Die Königstochter
Mahmud der Gasnevide
Erwin von Steinbach
Malcolms Mörder
Walther von Immenstadt
Herr Jobst
Das verschlossene Thor
Colombo
Die beiden Prinzen
Antonio de Leyva
Die Hexenjagd
Zurbaran
Der Strohhalm
Der Teufeltanz
Der Steuermann
Dembinski
Drei Hexen
Der Kadett
Der Husar von Auerstädt
4. Vermischte Gedichte
An Mendelssohn
Am Meere
Die erste Schwalbe
Abendempfindung
Abenddämmerung
In der Nacht
An den Schlaf
Gewitternacht
Sei mir gegrüßt!
Herbsttag
Herbstfeier in Rüdesheim
Die Schwalbe
Am Kamin
Neujahrsnacht
Auf einen Granatenzweig
Der Pokal
Grüß mir den Strand, o Freund!
Lebenswonnen
Ode
Drei Dichter
Auerbachs Keller
An den Genius
Wiedersehen
An die Hausgeister
Der Jubelgreis
An F.L.
Der Blinde
Der kleine Franz
Der Tod der Nachtigall
An G.T.
Der ewige Wanderer
Burg Rodenstein
Letzte Zeilen
Rückkehr der Muse
Lotosblätter
1. Vermischte Gedichte
Vor einem Fenster
Totenklage
An Elisabeth v. K.
Macht der Liebe
Am Strande
An die Prinzessin E.
Luftgebilde
Die Schwäne
Im Sturm
Herbstwonne
Die Ahnenbilder
Morgentraum
Weihe des Schmerzes
Im Garten zu B.
Das Waldthal
Abendgang
Mitternacht
Im März
Der Grieche im Norden
Das Zauberschloß
Am Fuß der Alpen
Gebet des Künstlers
Ewige Jugend
Nach dem Gewitter
An den Kuckuck
Nachruf
An den Morgenstern
Bei Musik
Unsterbliches Glück
An meinem Geburtstage
An meinem Geburtstage
Der längste Tag
Die längste Nacht
Am Mittelmeer
In der Krankheit
Novemberabend
Der Seeadler
Karls des Fünften letzte Stunde
Aller-Seelen-Nacht
2. Verwehte Blätter - Erstes Buch
1.
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43.
44.
3. Aus fremden Ländern
Dolores
Verbrannte Briefe
Ines
Johannisnacht
König Holger
Am Guadalquivir
In Granada
Auf dem Libanon
Bei Troja
Homer
In Delphi
Morgen in Athen
Am Parnaß
Frühling in Griechenland
In den Apenninen
Aurelia
1.
2.
In der Villa
Fontana Trevi
Venezia
Die Glocken des Campanile
Auf dem Turm des Seraskiers
4. Verwehte Blätter - Zweites Buch
1.
2.
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5. Kampf und Sieg
Am Grabe Friedrichs des Zweiten
Die Kaisergruft in Speyer
Die Hohenstaufenkrone
Die schwarze Schar
Die Bildsäule Karls des Großen
Die deutsche Mutter
Siegesfeier in Straßburg
Wiedersehen von Deutschland
Italien
Beim Siegeseinzug in Berlin
Aller-Seelen-Tag 1871
An die Franzosen
Zum neuen Jahr
Gedichte, A. von Schack
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849639082
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Dichter und Literarhistoriker, geb. 2. Aug. 1815 in Schwerin, gest. 14. April 1894 in Rom, studierte Rechtswissenschaft, daneben neuere Literatur, war seit 1838 eine Zeitlang beim Kammergericht in Berlin beschäftigt und bereiste sodann Italien, Sizilien, Ägypten, Syrien, die Türkei, Griechenland und Spanien. Nach seiner Rückkehr trat er in mecklenburgische Dienste, begleitete den Großherzog als Kammerherr und Legationsrat auf dessen Reisen nach Italien und Konstantinopel und ward demnächst Attaché bei der Bundestagsgesandtschaft. Nach einer abermaligen Reise nach Italien und dem Orient ging er als Geschäftsträger nach Berlin, wo er auch das schon früher begonnene Studium der orientalischen Sprachen, namentlich des Sanskrits, des Arabischen und Persischen, fortsetzte. Nach dem Tode seines Vaters (1852) nahm er als Geheimer Legationsrat seine Entlassung aus dem Staatsdienst, ging zunächst auf seine Güter in Mecklenburg und reiste dann nach Spanien, um sich hier Forschungen über die Geschichte und Kultur der spanischen Araber zu widmen. Seit 1855 hatte er seinen Wohnsitz in München, wo er seine bedeutende, 1894 durch Vermächtnis in den Besitz des deutschen Kaisers übergegangene Gemäldegalerie (s. Tafel »Münchener Bauten II«, Fig. 1), besonders von Werken neuerer Meister (Genelli, Feuerbach, Schwind, Böcklin, Lenbach u.a.), dem Publikum bereitwillig öffnete (vgl. seine Schrift »Meine Gemäldesammlung«, 7. Aufl., Stuttg. 1894). 1876 wurde S. vom deutschen Kaiser in den Grafenstand erhoben. Die Reihe seiner historischen Werke eröffnete er mit der »Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien« (Berl. 1845–46, 3 Bde.; 2. Ausg., Frankf. 1854; Nachträge, das. 1855); es folgten: »Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sizilien« (Berl. 1865, 2 Bde.; 2. Aufl. 1877; ins Spanische übersetzt von Juan de Balera, 3. Aufl., Madr. 1881); »Geschichte der Normannen in Sizilien« (Stuttg. 1889, 2 Bde.); »Joseph Mazzini und die italienische Einheit« (das. 1891); daneben treffliche Übersetzungen, als: »Spanisches Theater« (Frankf. 1845, 2 Bde.); »Heldensagen des Firdusi« (Berl. 1851), und »Firdusi. Epische Dichtungen aus dem Persischen« (das. 1853, 2 Bde.; beide Werke in 2. vermehrter Aufl. u. d. T.: »Firdusi. Heldensagen in deutscher Nachbildung«, das. 1865); »Strophen des Omar Chijam« (das. 1878, Stuttg. 1902); »Stimmen vom Ganges«, indische Sagen (Berl. 1857, 2. Aufl. 1877), und »Romanzero der Spanier und Portugiesen« (mit Geibel, das. 1860). Später folgten: »Orient und Occident« (Bd. 1: Dschamis Roman »Medschnun und Leila«; Bd. 2: Almeida Garrets Gedicht »Camoens«; Bd. 3: Kalidasas »Raghuvansa«, Stuttg. 1890), die »Anthologie abendländischer und morgenländischer Dichtungen« (das. 1892, 2 Bde.) und »Die englischen Dramatiker vor, neben und nach Shakespeare« (das. 1893). Seit den ersten 1860er Jahren begann S. auch mit eignen poetischen Schöpfungen hervorzutreten. Außer seinen »Gedichten« (Berl. 1867; 6. Aufl., Stuttg. 1888) sowie den farbigen und lebendigen »Episoden« (Berl. 1869; 3. Aufl., Stuttg. 1875) erschienen: »Durch alle Wetter«, Roman in Versen (Berl. 1870; 3. Aufl., Stuttg. 1875); »Lothar«, Gedicht in zehn Gesängen (Berl. 1872; 2. Aufl., Stuttg. 1874); »Der Kaiserbote«, »Cancan«, zwei politische Lustspiele (Leipz. 1873; 2. Aufl., Stuttg. 1876); »Die Pisaner«, Trauerspiel (Berl. 1872; 2. Aufl., Stuttg. 1876); »Nächte des Orients oder die Weltalter«, Dichtung (Stuttg. 1874, 6. Aufl. 1897); »Ebenbürtig«, Roman in Versen (1876); »Weihgesänge« (1878, 2. Aufl. 1879); »Heliodor«, dramatisches Gedicht (1878); die Tragödien »Timandra« und »Atlantis« (beide 1880); »Die Plejaden«, epische Dichtung (1881, 4. Aufl. 1883; Stuttg. 1903); »Lotosblätter«, neue Gedichte (1882); »Gaston«, Tragödie (1883); »Tag- und Nachtstücke« (1884); »Memnon. Eine Mythe« (1885); »Walpurga«, »Der Johanniter«, zwei Trauerspiele (1887); »Aus zwei Welten«, Erzählungen (1887); »Lustspiele« (1891); »Iris«, Erzählungen und Dichtungen (1891); »Weltmorgen«, Gedicht (1891); »Sirius«, ein Mysterium (1892); »Das Jahr Eintausend«, dramatisch es Gedicht (1892); »Episteln und Elegien« (1894). Vermischte Schriften und Aufsätze enthalten die Bände: »Pandora« (Stuttg. 1890), »Mosaik« (das. 1891) und »Perspektiven« (das. 1894, 2 Bde.). S. bekundet sich in diesen Werken als ein Dichter von geläutertem Geschmack, warmem Gefühl und geistigem Universalismus, doch blieb er Nachahmer und war ein größerer Gelehrter als Dichter. In seinem Roman »Hermann Ifinger« hat ihn Wilbrandt satirisch porträtiert. Seine Autobiographie veröffentlichte er u. d. T.: »Ein halbes Jahrhundert. Erinnerungen und Aufzeichnungen« (Stuttg. 1887, 3 Bde.; 3. Aufl. 1894). Seine »Gesammelten Werke« erschienen in 10 Bänden (3. Aufl., Stuttg. 1897–1899), »Nachgelassene Dichtungen« gab G. Winkler heraus (das. 1896). Vgl. die literarischen Skizzen von F. W. Rogge (Berl. 1883), E. Zabel (das. 1885), Brenning (Brem. 1885), Manssen (a. d. Holländ., Stuttg. 1888) und Leo Berg in »Zwischen zwei Jahrhunderten« (Frankf. 1896).
Wenn du hinweggegangen,
Glaub' ich lange dich noch zu sehn;
Um die Schläfe und um die Wangen
Deinen Atem mir fühl' ich wehn.
Wenn von deinen Reden
Längst der Ton dem Ohre verklang,
Hört die entzückte Seele jeden
Laut, den du gesprochen, noch lang.
In der Stille der Nächte,
Wenn voll Bangen das Herz mir schlägt,
Fühl' ich, wie leise sich deine Rechte
Auf die Stirne, die Brust mir legt.
Arme, die weich mich umranken,
Wiegen mich ein; ich atme kaum;
Deine Worte, deine Gedanken
Klingen und duften um mich im Traum.
Du willst, daß ich in Worte füge,
Was flüchtig ist wie Windeswehn,
Und meiner Seele Atemzüge,
Die leisen, kannst du nicht verstehn?
Doch glaub! die Wonne wie die Klage,
Die nur in Geistertönen lallt,
Bleibt eine unverstandne Sage,
Wenn ihr das Herz nicht wiederhallt.
Ihr Sinn ist hin, ihr Laut verklungen,
Sobald die Lippe sie erst nennt:
Nicht eignet sich für Menschenzungen,
Was nur der Himmel weiß und kennt.
Das war der süßeste der Laute!
Sie sprach's, das erste Liebeswort;
Im Herzen nun trag' ich das traute,
Tiefselige Geheimnis fort.
Allein wo berg' ich meine Wonne,
Daß ich sie wohl behüten mag?
Dein Licht verhülle, läst'ge Sonne!
Verstumme, lärmbewegter Tag!
Weltfern sei meines Glückes Fülle
Begraben, wo sie nichts verrät
Und nur durch Nacht und heil'ge Stille
Des süßen Wortes Nachhall weht.
O laß mich ruhen in deinem Arm
Und tief in die Augen dir schaun!
Das löst mir vom Herzen den nagenden Harm,
Und herab in die Seele fühl' ich es warm
Wie aus dem Himmel mir taun.
Reich her, reich her den göttlichen Trank,
Der von den Lippen dir quillt!
Ich dürste und schmachte matt und krank;
Erst wenn ich an deinen Busen sank,
Wird all mein Sehnen gestillt!
O mehr noch! Was schüttelst du lächelnd dein Haupt?
In Küssen gieb mir das Glück,
Das flüchtige, das mir die Welt geraubt,
Und den alten Glauben, den ich geglaubt,
Und der Kindheit Frieden zurück!
Einst war in allen ihren Räumen
Die Erde mir kaum weit genug;
Kein Land, kein Meer, wohin in Träumen
Mich nicht der Seele Flügel trug.
Auf Höhn, zuerst bestrahlt vom Morgen,
In Tiefen, die kein Senkblei mißt,
Wähnt' ich den großen Schatz verborgen,
Der einzig wert des Suchens ist.
Doch jetzt: o mehr, als was ich ehe
Gesucht am fernsten Meeressaum,
Fand ich bei dir in trauter Nähe;
Noch fass' ich alles, alles kaum.
Und, ganz das Glück nun zu genießen,
Das mir der schönste Tag geschenkt,
Möcht' ich der Welt mich rings verschließen,
In deinen Anblick nur versenkt.
Wenn unter duft'gen Blütenzweigen
Wir ruhen, Haupt an Haupt gelehnt,
Wie süß der Küsse Wechseltausch!
Welch Flüstern in der Liebe Rausch!
Wie spricht, so oft die Lippen schweigen,
Das Auge, das von Wonne thränt!
Die Locke hier mußt du mir lassen
Für jene Zeit, wo fern du bist,
Daß an dem Pfand sich mein Gedanke
Aufrichte, wenn ich zweifelnd schwanke
Und nicht mehr glauben kann, nicht fassen,
Daß mein solch Glück gewesen ist!
Träume mit den leichten Schwingen
Flattern zwischen ihr und mir,
Schweben auf und schweben nieder,
Tragen kaum geborne Lieder
Flügelschnell ihr hin und bringen
Mir ein Lächeln heim von ihr;
Pflücken Blüten auf den Auen,
Schön, wie sie der Frühling giebt,
Streuen auf ihr Ruhekissen
Maienglocken und Narzissen,
Die in Düften ihr vertrauen,
Daß mein Herz sie einzig liebt.
Ihre Lippen regt sie leise,
Wie sie solche Gaben sieht;
In dem Flüstern, in dem Lallen
Hör' ich meinen Namen schallen,
Und wir reden wechselweise,
Bis der Schlummer von mir flieht.
Dann im Dunklen aufgerichtet,
Schau' ich, daß ich einsam bin –
Ach, im Traum nur mocht' ich wagen,
Was ich fühle, ihr zu sagen,
Und das Lied, für sie gedichtet,
Stirbt auf meiner Lippe hin.
Dein Haupt an meine Brust gelegt,
Schließe die Augen zum Schlummer!
Die Wonne, damit das Herz sie erträgt,
Muß ruhen, gleich dem Kummer!
Nur matt, wie über Wellen das Bild
Von zitterndem Laub und Gestäude,
Gleite durch deinen Traum und mild
Die Erinnrung vergangner Freude!
Wenn du Erquickung geschlürft hast still
Aus des Schlafs sanft quellenden Bronnen,
Mit meinen Küssen dann, Mädchen, will
Ich dich wecken zu neuen Wonnen.
Hoffen und wieder verzagen,
Harrend lauschen vor ihrem Balkon,
Ob nicht, vom Winde getragen,
Zu mir dringe von ihr ein Ton,
Also reihen seit Monden schon
Tage sich mir zu Tagen.
Spät, wenn stumm und stummer
Nacht sich lagert im öden Revier,
Senken zu kurzem Schlummer
Sich ermüdet die Wimpern mir;
Wieder empor aus Träumen von ihr
Fahr' ich zu neuem Kummer.
Aber, o Himmel, ich flehe:
Raube mir nicht mein einziges Gut,
Dies beglückende Wehe,
Das ich genährt mit des Herzens Blut!
Hoch und höher laß lodern die Glut,
Drin ich selig vergehe!
Erwache, meine Rose!
Was birgst du das Angesicht?
Schon zittert die Mimose
Entgegen dem kommenden Licht.
Hoch, höher am Rande der Hügel
Aufsteigt der fröhliche Tag;
Vergoldet blitzen die Flügel
Der Lerche bei jedem Schlag.
Die Veilchen, die Lilien trinken,
Während ins strahlende Blau
Die letzten Sterne versinken,
Den perlenden Morgentau.
Ihr Atem, rings ergossen,
Erfüllt die Frühlingsluft;
Doch ehe dein Kelch erschlossen,
Fehlt ihr der süßeste Duft.
Wir schritten durch des Abends Schweigen;
Ein Wetter war fernhin verrollt;
Durchs feuchte Laub von Zweig zu Zweigen
Glitt sanft der Sonne letztes Gold.
Da von den Ländern dir, den fernen,
Erzählt' ich, wo ich dein gedacht.
Von Rast am Rande der Eisternen
In Syriens blauer Sommernacht,
Von Aegeus' Meer, wie längs der Küsten
Mich schaukelte der schwanke Kahn,
Und halb zerbrochne Marmorbüsten
Aus Tempelnischen niedersahn.
Und hoch dein Auge sah ich leuchten;
Du heischtest mehr noch, doch ich schwieg,
Indessen wallend in der feuchten
Spätluft der Wiesen Nebel stieg.
Warum mich in die Ferne träumen?
Dacht' ich, mein Haupt an deins gelehnt:
Nach dir und unsern Lindenbäumen
Wie oft hab' ich mich dort gesehnt!
An deiner Seite so gerne
Durchträum' ich die Frühlingsnacht;
Treu halten die heiligen Sterne
Vor deinem Fenster die Wacht,
Indes wir in Armen uns hangen,
In Seele die Seele versinkt
Und Mund von Mund in langen
Zügen den Atem trinkt.
Aus Wipfeln, drin Vögel brüten,
Wirft sanft der duftende Mai
Seine Knospen und Blüten
Herab auf uns selige zwei,
Und durch die Fensterbogen
Nachtwandelnd weht der Wind
Deine Locken in Wogen
Ueber mein Haupt gelind.
Wir zittern, wir erblassen
Vor Liebe, und jedem quillt
Im wonnethränennassen
Auge des andern Bild.
Ach! steigt schon im Osten der rote
Schimmer des Morgens empor?
Nein, durch den Himmel lohte
Ein nächtliches Meteor.
Tausend Geheimnisse müssen
Wir noch einander vertraun,
Und tausend Küsse noch küssen,
Eh' der Morgen beginnt zu graun.
Was scheuchst du mit deinem Gesange,
O Schwalbe, so frühe die Nacht?
Schweig, schweig! Und haltet noch lange,
Ihr heiligen Sterne, die Wacht!
Noch einen mir, der Kraft mir leihe!
Gieb, Weib, bevor ich scheiden muß,
Für Leben mir und Tod die Weihe
In einem langen, heil'gen Kuß!
Laß brennend ihn von deinem Munde
Mir bis ins Herz des Herzens glühn,
Und duftend glänze diese Stunde
Gleich Rosen, die auf Gräbern blühn!
Um unsre selig-süßen Schmerzen
Soll sie, und um des Abschieds Qual,
Aufflammen halb wie Hochzeitskerzen
Und halb wie Leichenfackelstrahl;
Und fern noch in der Trennung Wehe
Mir leuchte sie, wenn ich verirrt
Am Rand des jähen Abgrunds stehe
Und alles um mich finster wird.
O schmäht des Lebens Leiden nicht!
Seht ihr die Blätter, wenn sie sterben,
Sich in des Herbstes goldnem Licht
Nicht reicher als im Frühling färben?
Was gleicht der Blüte des Vergehns
Im Hauche des Oktoberwehns?
Krystallner als die klarste Flut
Erglänzt des Auges Thränenquelle,
Tief dunkler flammt die Abendglut
Als hoch am Tag die Sonnenhelle,
Und keiner küßt so heißen Kuß,
Als wer für ewig scheiden muß.
Als winterlich umnachtet,
Erstarrt die Erde lag,
Wie hab' ich nicht geschmachtet
Nach dir, o Frühlingstag!
Ich dachte: Wenn im linden
Lenzhauch der Himmel blaut,
Dann wird mein Kummer schwinden,
So wie die Flocke taut.
Nun bist du da, Erflehter,
Mit Duft und Farb' und Klang!
Hoch aus dem blauen Aether
Ertönt der Lerche Sang!
Es lächeln deine Kinder,
Die Blüten, froh erwacht;
Doch trauernd, wie ein Blinder,
Steh' ich vor all der Pracht.
Nie ward ich, dir zu lauschen, müde,
Ich fühlte, wie in jedem Klang
Von deinem Mund ein heil'ger Friede
In meiner Seele Tiefen drang.
Nur deine Stimme unter allen
Erscholl so rein, als einte sie,
Was andre nur gebrochen lallen,
Zur wundvollen Harmonie
Nun sie verstummt zu ew'gem Schweigen,
Tönt mir wie Mißlaut jedes Wort,
Und wüst und wüster braust der Reigen
Des wilden Lebens um mich fort.
Nur selten hallt im Weltgedränge
Durch all der Stimmen wirren Chor
Ihr Echo noch, wie Harfenklänge
Im Winde sterbend, an mein Ohr.
Nichts ist mir von dir geblieben
Als der Brief, den du geschrieben,
Meines Lebens höchstes Gut;
Mag das Auge mir erblinden,
Tröstung kann ich einzig finden,
Wenn es auf dem Blatte ruht.
Dann erstehn mir sel'ge Stunden
Mit den Wonnen, die geschwunden,
Wieder aus der Totengruft;
Und um meine wehmuttrunkne
Seele hauchen lang versunkne
Lenze ihren Blütenduft.
Ueber mir im Abendwinde
Rauscht das Wipfellaub der Linde
So wie ehmals wiederum,
Als wir Arm in Arm gelegen
Und nur mit des Herzens Schlägen
Zwiesprach hielten, wonnestumm.
Und dann ist mir, auf dem Blatte
Ruhe neben mir dein Schatte
In dem blassen Dämmerlicht;
O, an ihm im langen, langen
Kusse soll mein Mund noch hangen,
Wenn im Tod mein Auge bricht.
Nur eine von jenen Nächten,
Nur eine gebt mir zurück!
Wie klopfte mein Herz beim sinkenden Tag
Entgegen dem winkenden Glück!
Sobald Orion, der leuchtende, glomm
Am Saum der Cypressenschlucht,
Glitt leicht auf plätschernden Wellen
Mein Boot in die Uferbucht.
Hernieder streckte der Oelbaum
Die Aeste mir über die Flut;
Aufflatterte scheu bei meinem Nahn
Der Hänfling von seiner Brut,
Und rasch von Zweigen zu Zweigen empor
Klomm ich im dunkelnden Grün,
Bis wo der Balkon hellblinkend
Durchs Blätterdickicht schien.
Ein Licht, am Gitter flimmernd,
Ein rauschendes Nachtgewand,
Und eine winkende Hand,
Von Locken umwallt eine weiße Gestalt,
Und ein Augenpaar, so tief, so klar –
O, als ich es leuchten sah,
Bleich schien mit allen Sternen
Des Südens Himmel mir da.
Doch weh! was wollen die Bilder
Aus Tagen, die längst entflohn?
Verwelkt die Blüten des Frühlings nun,
Behäuft mit Schnee der Balkon!
Der Winter schüttelt vor meiner Thür
Die eisigen Locken im Wind
Und deutet höhnend auf Wonnen,
Die lange begraben sind.
Lieder der Trauer
Wer bist du aus dem Reich der Schatten,
Der mit mir wallt durch grüne Matten
Und ihre Blüten welken heißt?
Der in dem Morgenglanz, dem roten,
Mich anstarrt mit dem Blick der Toten
Und mit den Sternen mich umkreist?
Im Lied, das teure Lippen singen,
Tönt mir das Rauschen deiner Schwingen,
Dein Flüstern hör' ich für und für;
Nachts legst du dich zu mir aufs Bette,
Und flieh' ich von der Lagerstätte,
So schleichst du mit mir durch die Thür.
Im Wald auf menschenleeren Wegen,
Verhüllter, trittst du mir entgegen
Und schreckst mich von der Ruhebank;
Im Freundekreis, beim Freudenmahle
Ziehst du vom Munde mir die Schale
Und tropfst mir Wermut in den Trank.
Mit Dünsten, wie mit gift'gem Taue,
Füllst du das Himmelsdach, das blaue,
Du mir den Lenz mit Leichenduft.
Und wenn ich nun zum Grabe wanke,
Sprich, finstrer Schatten, sprich, Gedanke,
Wie bann' ich dich von meiner Gruft?
Noch hängen um des toten Tages Bahre
Die Wolkenfalten wie ein Trauerflor,
Doch mählich schwebt die Nacht, die heilig-klare,
Der Tag der Träumenden, empor.
Auf Meer und Erde senkt sie stille Feier
Und dämpft den letzten Ton, der sich noch regt;
Es wehn und wallen ihre Sternenschleier,
Von Himmelslüften sanft bewegt.
Nun klopft ein jedes Herz mit leiserm Schlage,
Der Jammer wird jetzt regungslos und mild,
Und still zur Andacht wandelt sich die Klage,
Noch eh' sie aus der Seele quillt.
Du aber, Ruheloser, dem sich bange
In Hoffnung und in Gram das Herz verzehrt,
Der ewig sucht mit ungestilltem Drange,
Was ihm die Erde nie gewährt:
Flieh du die Sommernacht, die sternbesäte,
Flieh, bis das tiefste Dunkel dich begräbt,
Damit kein Mißlaut sei in dem Gebete,
Das auf des Weltalls Lippen schwebt.
Von dunklem Schleier umsponnen
Ist mir das Tageslicht;
Wohl steigen neue Sonnen –
Ich seh' sie nicht.
Mir schweift der Blick hinüber
In Weiten, dämmerfern;
Vom Himmel blinkt ein trüber
Einsamer Stern.
Ein Mädchen, bleich von Wangen,
Winkt mir von drüben zu:
»Ich bin vorangegangen;
Was zögerst du?«
Dem Herzen ähnlich, wenn es lang
Umsonst nach einer Thräne rang,
Die seine Qual entbinde,
Sprengt nun die Erde, die erstarrt
Von Reif und Frost gebunden ward,
Die eis'ge Winterrinde.
Durch Wald und Feld, um Berg und See
Sprießt wuchernd auf ihr altes Weh
Und grünt in Zweig und Ranken
Und dunkelt in dem Himmelsblau
Und zittert in den Tropfen Tau,
Die an den Gräsern schwanken.
Nun, Gram um sie, die ich verlor,
Erstarrter, brich auch du hervor,
Um mit dem Strom zu fluten!
Im Blitz der Wolke sollst du glühn
Und mit den Nachtviolen blühn
Und in den Rosen bluten.
Das singt und flötet in den Zweigen
Und zirpt und schmettert auf der Flur;
Zum Himmel mit den Lerchen steigen
Die Freudenrufe der Natur.
Ein Sausen geht, wie Jubelchöre,
Von Ast zu Ast, von Baum zu Baum;
Die düstre Tanne selbst, die Föhre
Erweckt es aus dem Wintertraum.
Hinunter jauchzt in alle Schluchten
Der stürzenden Gewässer Schwall;
Froh tönt am See von Bucht zu Buchten
Des Wogenschlages Wiederhall.
Doch Trost giebt mir der Stimmen keine
In all dem Jubel und Gesang,
Denn stumm für immer ist die eine,
Die süßer mir als alle klang.
Schmerz, der keinen Namen kennt,
Aber allempfunden
Durch das Herz der Wesen brennt
In Myriaden Wunden;
Mächt'ger, welchem unbewußt
Schon die zarten Kleinen,
Saugend an der Mutter Brust,
Ihre Thränen weinen;
Den der Tag, der junge, haucht
In den Morgenwinden,
Und in den zurückgetaucht
Seine Strahlen schwinden;
Der in jedem Glockenschlag,
Wie mit eh'rnem Hammer,
Du das Herz, das schon zerbrach,
Brichst durch neuen Jammer:
O, wird ewig deine Macht,
Wird sie ewig währen
Und noch in der Grabesnacht
Unsern Schlummer stören?
Nimm, Herr, von meiner Brust die Klammer,
Die auf ihr lastet, schwer wie Erz!
Allein kein Truggebild verhehle
Den blut'gen Riß in meiner Seele;
Nicht Tröstung such' ich in meinem Jammer;
Ich flehe nur um tiefern Schmerz.
Was soll die Täuschung mir, die kurze?
Was mir ein öder, armer Trost?
Nein, reiß mir tiefer auf die Wunden,
Damit mein Gram, der Haft entbunden
Hinflute gleich dem Wassersturze,
Der von dem Felsen niedertost!
Auf den Feldern dumpfe Schwüle
Und verhüllter Sonnenbrand;
Durstend schmettert die Cikade,
Langsam nur mit trägem Rade
Wirft die wasserarme Mühle
Einzle Tropfen an den Strand.
Wetterschwere Lüfte brüten
Ueberm regungslosen See;
Tiefre Klagelaute schallen
Aus der Brust der Nachtigallen,
In den Kelchen, in den Blüten
Duftet ein geheimes Weh.
Fiebernd schmachtet, schlummertrunken,
Aber schlaflos doch, die Flur;
Unstet zucken Flammenblitze
Um der Wetterstangen Spitze;
In ihr finstres Selbst versunken
Liegt die träumende Natur.
Komm, Gewittersturm, entlade
Den verhaltnen Erdenschmerz;
Deinem Donner, deinem Regen
Lechzt, was Leben hat, entgegen;
Durstend schmettert die Cikade,
Aber durst'ger ist mein Herz!
Die letzten Strahlen verglimmen,
Vom Heerrauch dunkelt das Moor,
Mir tönen bekannte Stimmen
Im Winde der Nacht ans Ohr.
Blasse, nebelnde Schatten
Kommen und schwinden zurück
Und schauen mich an mit dem matten,
Dem todesstarren Blick.
Sie sprechen von alten Tagen,
Von alter Lieb' und Lust
Und sinken mit Weinen und Klagen
Mir an die klopfende Brust.
Still, Herz; du hoffst vergebens,
Daß der Tod es zurück dir giebt,
Was in dämmernder Frühe des Lebens
Du einst gehabt und geliebt.
Ihr sagt: »Um Freuden, die erstarben,
Warum dies jahrelange Leid?
Jedwede Wunde muß vernarben,
Und jeden Kummer stillt die Zeit.«
Nein! Scheucht, wenn ihr vermögt, den euern;
Doch treu bewahr' ich meinen Gram,
Der stets mir frisch das Bild der Teuern
Erhält, wie da ich Abschied nahm.
Süß ist die Trauer im Gemüte,
Die von vergangnen Wonnen spricht:
O raubt die Düfte nicht der Blüte,
Dem Herzen seinen Kummer nicht!
Mag ewig bluten meine Wunde,
Wenn, von dem Schmerze neu belebt,
Nur die Erinnrung jeder Stunde,
In der sie mein war, mich umschwebt.
Da steigen sie strahlend empor aufs neue,
Die altbekannten Sterne, Licht an Licht,
Und grüßen aus der nächtlich-dunklen Bläue
Nach mir mit Freundesangesicht.
Du dort, der leuchtend durch die Pappelreihen
Vor meines Vaters Haus mir schien, Arktur,
Dem ich, mein Leben hohem Ziel zu weihen,
In kühnem Seelendrange schwur;
Orion du, bei dessen keuschem Strahle
Zuerst an der Geliebten Brust ich sank
Und von den Lippen ihr zum erstenmale
Den warmen Lebensodem trank;
Und du, die halbgehüllt in Nebelschleier
Du dort gezogen kommst, so wie du kamst,
Als du, o Vega, Trägerin der Leier,
Des Jünglings erstes Lied vernahmst:
Ja, alle seid ihr es, geliebte Bilder,
An denen zitternd oft mein Auge hing,
Bevor des Himmels mildes Licht in wilder
Gewitternacht mir unterging.
Die Wonnen saht ihr, welche mein einst waren;
Saht, wie ich litt und kämpfte und verlor –
Ihr aber zogt seitdem, ihr immerklaren,
Die ew'gen Bahnen wie zuvor.
Noch strahlt im Glanze, den ihr damals hattet,
Ihr Nacht für Nacht am Dach, das droben blaut;
Doch in dem Grame, der mein Aug' umschattet,
Hab' ich euch lange nicht geschaut.
Wie wenn im frost'gen Luftzug tödlich
Des Sommers letzte Blüte krankt,
Und hie und da nur, gelb und rötlich,
Ein einzles Blatt im Windhauch schwankt:
So schauert über meinem Leben
Ein nächtlich trüber, kalter Tag;
Warum noch vor dem Tode beben,
O Herz, mit deinem ew'gen Schlag?
Sieh rings entblättert das Gestäude!
Was spielst du, wie der Wind am Strauch,
Noch mit der letzten, welken Freude?
Gieb dich zur Ruh! Bald stirbt sie auch.
Aus der Heimat
Laß still die Thräne rinnen
Auf deinen Heimatherd!
Genesest du nicht innen,
Was ist das Außen wert?
Vergebens in die Weite
Späht hoffend dein Gesicht;
Dein düsteres Geleite,
Die Trauer, läßt dich nicht.
Ob Länder auch und Meere
Die Ferne dir enthüllt:
In deiner Brust die Leere
Wird nimmer ausgefüllt.
Durch alle Zonen flüchte,
Durchschweife jede Flur:
Du siehst verdorrte Früchte
Und welke Blüten nur.
Ein Nebeldunst, ein gelber,
Umhüllt das Himmelszelt,
Und finster, wie du selber,
Ist um dich her die Welt.
Wie öd' und ausgestorben alles!
Und dennoch tönt aus jedem Gang
Ein Flüstern mir, ein leises Regen,
Das mich mit Schauer füllt, entgegen;
Ein Echo gleitet matten Schalles
Geheimnisvoll die Wand entlang.
Oft flieht mein Schlaf in nächt'gen Stunden,
Wenn im Kamin das Heimchen zirpt;
Die Wanduhr, die seit Jahren stumme,
Beginnt von neuem ihr Gesumme,
Als ob sie zählte die Sekunden
Am Bett des Kranken, eh' er stirbt.
Dann rauscht es in den Vorhangfalten;
Auf allen Treppen wird es laut;
Ich höre Rufe, wehgebrochen,
Und an den Thüren schallt ein Pochen,
Ein Schimmer gleitet durch die Spalten,
Vor welchem meiner Seele graut.
Bewegen seh' ich sich die Klinken
Von Händedrücken, mir bekannt;
Ich öffne, und im matten Lichte
Schaun mit gebleichtem Angesichte
Mich Schattenbilder an und winken
Zurück mir mit der weißen Hand.
Hinweg! hinweg! Von allen Seiten
Starrt Schrecken hier auf mich herab!
In diesem Haus erstarb das Leben;
Doch irrend noch zur Nachtzeit schweben
Die Geister der vergangnen Zeiten
Um meiner Jugendfreuden Grab.
Wald, der oftmals mein Gelächter
In der Freunde Kreis vernahm,
Zeuge meiner frohen Träume!
Düster schütteln deine Bäume
Nun ihr Haupt, wie Totenwächter,
Ueber mir und meinem Gram!
Lust'ge Bücher, einst gelesen
In der alten muntern Zeit,
Wag' ich nun, euch aufzuschlagen;
Ach! nur von vergangnen Tagen,
Nur von dem, was ich gewesen,
Sprecht ihr mir in dumpfem Leid!
Saal, wo wir uns einst versammelt,
Oede stehst du nun und leer!
Nie mehr fliegt in heitrer Stunde
Das Gespräch von Mund zu Munde,
Und nur eine Stimme stammelt
Schluchzend: Nimmer-, nimmermehr!
Ein kalter, grauer Nebel hing
In Falten nieder auf das Thal,
Als wieder ich zum erstenmal
Den Weg zur Waldkapelle ging.
Ich suchte den bekannten Pfad,
Den, wenn die Glocke feiervoll
Zum Frühgebete rufend scholl,
Der Knabe Tag für Tag betrat.
Doch nun war seine Spur verwischt,
Von Nesseln ward mein Fuß gehemmt;
Die Erde selber schien mir fremd,
Mit vieler Herbste Laub gemischt.
Dem Wandrer gleich, der unbekannt
An unwirtbaren Küsten irrt,
So stand ich zweifelnd und verwirrt,
Ein Fremdling in dem eignen Land.
Stets matter glomm das Tageslicht,
Verloren scholl ein Glockenklang;
Ich irrte viel, ich suchte lang,
Doch die Kapelle fand ich nicht.
Hier ist es, wo ich als Kind gestreift
Und die Beere gepflückt, die am Abhang reift;
Still war's, wie jetzt im Laube;
Fernher nur hört' ich durch Rankengeflecht
Die Schläge der Axt und den pickenden Specht
Und das Girren der wilden Taube.
O Träume, schön wie Märchen der Feen,
Umschwebten mich dort, wenn beim Abendwehn
Ich ruht' am Felsenhange;
Und vor mir lag, wie im Traum ich's sah,
Voll goldener Schlösser das Leben da –
So lange das her, so lange!
Aus der Welt da draußen nun kehr' ich zurück;
Wie Märchen alles dahin: das Glück
Und Hoffen und Lieb' und Glaube!
Im Walde lieg' ich, wie einst ich lag,
Und höre von ferne der Aexte Schlag
Und das Girren der wilden Taube.
Sie sind es, ja! im Wasserfall
Vernehm' ich ihrer Stimmen Schall
Und in den Murmelquellen;
Sie rufen mich im Abendwind,
Mich ihnen, so wie einst als Kind,
Beim Mondlicht zu gesellen.
So fern, ihr Geister, jene Zeit,
Als ich in Waldeseinsamkeit
Euch meine Brüder nannte,
Und euer Blick, so sanft, so mild,
Wie Schein, der aus den Sternen quillt,
Das Herz an euch mir bannte!
Als wir umhergeschweift am See,
Wo auf dem Lager sich das Reh,
Von Waldlust träumend, regte,
Indes der nächt'ge Schmetterling,
Der an der Weißdornblüte hing,
Die Schwingen sanft bewegte!
O nie ward in der Menschenwelt,
Die ihrer Schwüre keinen hält,
So wie bei euch mir Friede!
Nehmt neu mich auf in euern Kreis,
Und küßt den Lebenstraum mir leis
Hinweg vom Augenlide!
Da lieg' ich wie einst im Tannenwald
Auf dem Lager von Moos und Blättern;
Der Wipfel mir überm Haupte schallt
Von des Eichhorns mutigem Klettern.
In den Winden, wie sie von Ort zu Ort
Den Schatten der Aeste jagen,
Tönt mir im flüsternden Laub manch Wort,
Wie ein Ruf aus verschollenen Tagen.
Und ich fühl' in der Seele tief, o tief,
Ein Atemholen, ein Regen,
Als wollte die Jugend, die längst entschlief,
Erwachend die Wimpern bewegen.
Sie richten sich auf, sie steigen empor,
Die Geister, lange begraben,
Und raunen mir süße Laute ins Ohr;
Sie wollen mich wieder haben.
Fort! fort! Ihr findet den Alten nicht mehr,
Der einst hier lag in den Tannen!
Ein Windstoß braust durch die Wipfel daher
Und trägt die Stimmen von dannen.
Um mich schwärmender Bienen Gesumm;
Fernher Singen von Schnittern;
Sommerlüfte, die heiß ringsum
Ueber der Wiese zittern!
Hoch aus dunkelndem Himmelsblau,
Drin die Wolken verschwimmen,
Quillt es und rinnt hernieder wie Tau,
Säuselt wie liebe Stimmen,
Gaukelt und lacht mir hinweg das Leid,
Hebt die Erdengewichte,
Bis die Seele, gelöst, befreit,
Schwärmt in dem himmlischen Lichte.
Laß das Zagen! Trage mutig
Deine Sorgen, deine Qual!
Sei die Wunde noch so blutig,
Heilen wird sie doch einmal.
Unter tiefer Eisesdecke
Träumt die junge Knospe schon,
Daß der Frühling sie erwecke
Mit der Lieder holdem Ton.
Nur empor den Blick gewendet,
Und durch düstres Wolkengrau
Bricht zuletzt, daß es dich blendet,
Glorreich noch des Himmels Blau!
Aber auch die trüben Stunden
Und die Thränen, die du weinst,
Glaub, wie Freuden, die entschwunden,
Süß erscheinen sie dir einst.
Und mit Wehmut, halb nur heiter,
Scheidest du für immerdar
Von dem Leiden, dem Begleiter,
Der so lange treu dir war.
Nun Nacht um mich! Entschwunden im Flug
Der leuchtende Augenblick,
Der Seligkeit im Schoße mir trug,
Nie, nie mehr kehrt er zurück.
Durch dunkelnde Wolken plötzlich quoll
Aus innerstem Himmel ein Schein;
Ich starrte entzückt und wonnevoll
In die strahlende Glorie hinein.
Sie, sie stand vor mir, doch sah ich sie kaum,
So war sie von Glanz umwallt;
Hernieder beugte vom Wolkensaum
Zu mir sich die Engelgestalt.
Mich hätt' ein Wort zum Gotte gemacht,
Wenn ich haschte den Augenblick;
Doch er rauschte vorüber, mit ihm in Nacht
Schwand alles wieder zurück.
Nun send' ich ihm nach das gestammelte Wort,
Verlorener, der ich bin!
Die Tage rollen, die Jahre fort,
Doch er ist dahin, dahin!
O Mädchen, durch all dein Lachen und Singen
Vernehm' ich ein leises Seufzen oft;
Hoch klopft dir das Herz, als wollt' es zerspringen,
Von dem, was es fürchtet und träumt und hofft.
Wie Wolken über die blühenden Matten,
Wie über wogende Saaten der Wind,
So ziehen rastlos Gedankenschatten
Ueber dein lächelndes Antlitz, Kind!
Die Lippen im wachenden Traume bewegst du,
Es ist, als pflögst du mit Geistern Gespräch;
Dann plötzlich die Augen zu Boden schlägst du,
Und hocherrötend eilst du hinweg.
Wohl hab' ich die Zeichen erkannt; verhehle,
Thörichtes Mädchen, es länger nicht!
Dir flackert im Hauche der Liebe die Seele,
Wie im Odem der Nacht ein Licht.
Heil, goldener Morgen! Erschließ mir das Thor
Des neuen Lebenstages!
Noch nie begrüßt' ich dein Licht zuvor
So freudigen Herzenschlages.
Wir haben geatmet Mund an Mund,
Uns Aug' in Auge gespiegelt,
Indessen die Lippen den großen Bund
Im heiligen Kuß besiegelt.
Mein darf ich, mein für Leben und Tod,
Für hier und drüben sie heißen;
Und ob die ganze Welt uns bedroht,
Wer will auseinander uns reißen?
Nun komme, was will, von Kampf und Leid;
Stark bin ich in Lieb' und Glauben;
Ich trag' im Herzen die Seligkeit;
Kein Gott mehr kann sie mir rauben.
Glaub nicht, daß ich dem lauten Tage
Verrate, was du mir vertraust,
Wenn mir vorbei mit flücht'gem Schritte
Du wandelst in der Deinen Mitte
Und mit dem Blick, halb kühn, halb zage,
Verheißend mir ins Antlitz schaust.
Berauscht vom Zauber deiner Nähe
Dann seh' ich lang dir staunend nach,
Und mählich erst, indem ich sinne,
Werd' ich des eignen Glückes inne,
Wenn ich die Rede ganz verstehe,
Die stumme, die dein Auge sprach.
Die Abendschatten werden trüber,
Längst in die Ferne schwandest du;
Und, wie den Tropfen Tau die Blume
Birgt in des Kelches Heiligtume,
Schließt meine Seele still sich über
Dem duftenden Geheimnis zu.
Von meinem Auge sank es wie ein Schleier,
Da ich zuerst dich fand. Mir war,
Als würd' im Tempel mir bei heil'ger Feier
Ein göttliches Geheimnis klar.
Und in die Seele kam mir tiefes Schweigen;
Mit Staunen, wie zum erstenmal,
Sah ich die hocherhabne Sonne steigen,
Des Mondes milden Dämmerstrahl.
Erst nun ist alles, alles mir erschlossen,
Die Stimmen all von Wald und Flur
Versteh' ich nun, das Welken und das Sprossen
Der ewig waltenden Natur.
Und was der Weisen Lehren nicht gelungen,
Nur durch der Liebe Zaubermacht,
Die feur'ger redet, als mit Engelzungen,
Hast du es, fast noch Kind, vollbracht.
Mit Regen und Sturmgebrause
Sei mir willkommen, Dezembermond,
Und führ mich den Weg zum traulichen Hause,
Wo meine geliebte Herrin wohnt!
Nie hab' ich die Blüte des Maien,
Den blauenden Himmel, den blitzenden Tau
So fröhlich gegrüßt wie heute dein Schneien,
Dein Nebelgebräu und Wolkengrau.
Denn durch das Flockengetriebe,
Schöner, als je der Lenz gelacht,
Leuchtet und blüht der Frühling der Liebe
Mir heimlich nun in der Winternacht.
Leiser schwanken die Aeste;
Der Kahn fliegt uferwärts;
Heim kehrt die Taube zum Neste;
Zu dir kehrt heim mein Herz.
Genug am schimmernden Tage,
Wenn rings das Leben lärmt,
Mit irrem Flügelschlage
Ist es ins Weite geschwärmt.
Doch nun die Sonne geschieden