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© 2020 Piper Verlag GmbH, München
Redaktion: Ulla Mothes
Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
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22. April, Montag – noch neununddreißig Tage bis zum Ende des Mietvertrages und keine neue Wohnung in Sicht
Abgehetzt kam Steffi beim Kindergarten an. Alle Kinder waren schon abgeholt worden, nur Max und Marie nicht, die spielten kreischend Fangen um die Spielgeräte im Garten.
Den strafenden Blick der Kindergärtnerin mit einem Lächeln quittierend, pflückte Steffi einen Zwilling nach dem anderen vom Klettergerüst, wohin sie sich vor ihr zu flüchten versuchten.
»So, meine Süßen, jetzt aber schnell nach Hause!« An jeder Hand zerrte sie ein zappelndes Kind zum Auto.
Erst verfrachtete sie Max auf den Rücksitz, dann Marie. Während sie jedoch mit Maries verdrehtem Kindersitzgurt kämpfte, krabbelte Max zwischen den Sitzen hindurch nach vorn auf den Fahrersitz, wo er sofort das Radio einschaltete. Bevor Steffi ihrem Sohn in energischem Ton sagen konnte, er solle die Spielerei am Radio lassen und sich sofort zurück auf seinen Platz begeben, dröhnte laute Musik durch das Innere des Wagens.
Mehr als ein verzweifeltes »Max!« brachte Steffi nicht zustande, was aber keines der Kinder zu jucken schien. Die beiden lachten und klatschten begeistert im Takt der Musik.
Endlich rastete Maries Gurt ein. Steffi riss die Beifahrertür auf und drehte den Regler zurück auf eine erträgliche Lautstärke.
Sie schnappte sich den sich heftig wehrenden Max, um ihn wieder nach hinten zu verfrachten.
»Och Mama, lautmachen, das ist der Äminem, der ist cool«, nörgelte Max, als sie ihn mit sanfter Gewalt in seinem Kindersitz fixieren wollte. Er machte daraufhin Anstalten, wieder nach vorn zum Autoradio zu klettern.
Da der Knirps aber keine Chance gegen sie hatte, ergab er sich schließlich in sein Schicksal.
Mit zwei sicher angeschnallten Kindern saß Steffi endlich hinter dem Lenkrad und atmete tief durch. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, warum ausgerechnet sie diese extrem quirligen Zwillinge bekommen musste, die Energie für einen halben Kindergarten hatten. Max und Moritz von Wilhelm Busch waren Waisenknaben gegen ihre Kids!
Über die Ausdrucksweise ihres Sohnes musste sie dann doch schmunzeln: Was wusste dieser Dreikäsehoch schon von cool und nicht cool?
»Der Mann heißt Eminem, und für meinen Geschmack singt er jetzt immer noch laut genug«, sagte Steffi und startete den Motor.
Noch dreieinhalb Stunden musste sie durchstehen, dachte sie mit einem leichten Anflug von Verzweiflung, erst dann würden die anstrengenden Minis endlich im Bett sein! Zwölf Stunden Nachtdienst waren echt ein Klacks gegen dreieinhalb Stunden mit diesem Duo infernale, dem höllischen Duo, wie ihr Ex-Mann die beiden zu nennen pflegte. Paul und sie waren in den dreizehn Ehejahren nur sehr selten einer Meinung gewesen, aber hier musste sie ihm ausnahmsweise beipflichten: Duo infernale traf den Nagel auf den Kopf! Denn was dem einen Zwilling glücklicherweise nicht einfiel, das heckte der andere dummerweise längst aus.
»Was habt ihr denn heute im Kindergarten gemacht?«, erkundigte sich Steffi, während sie das Auto durch den dichten Verkehr steuerte.
»Sebastian hat ein Meerschweinchen bekommen«, krähte Marie.
Na bravo, dachte Steffi, genau das brauchte sie jetzt: erneute unendliche Diskussionen über ein Haustier! Als ob sie mit der Wohnungssuche und dem bevorstehenden Umzug nicht schon genug um die Ohren hatte.
Wie erwartet kam auch gleich Max’ Einsatz: »Ich und Marie wollen auch ein Meerschweinchen!«
»Das heißt: Marie und ich, nur der Esel nennt sich immer zuerst«, ermahnte Steffi den Sohnemann.
»Dann wollen eben Marie und ich ein Meerschweinchen«, sagte Max ungerührt.
Steffi verwünschte insgeheim alle, die mit Meerschweinchen in irgendeiner Art zu tun hatten: Sebastian, Sebastians Eltern, sämtliche Zoohandlungen in Deutschland und, nicht zu vergessen, Christoph Kolumbus, der ja unbedingt Amerika entdecken musste, in dessen südlichem Teil das Meerschweinchen ursprünglich beheimatet war.
Sie versuchte, ganz ruhig zu bleiben. »Kinder, dieses Thema haben wir doch schon so oft besprochen: Wir bekommen ja noch nicht mal ohne Haustier eine Wohnung – mit Haustier dann erst recht nicht.«
»Wieso denn nicht? Meerschweinchen sind so süß!«
Max war da genau wie sein Vater, erkannte Steffi nicht zum ersten Mal: niemals aufgeben, niemals klein beigeben und diskutieren bis zum bitteren Ende. Bei Paul war das zum Schluss einfach ätzend gewesen, bei Max fand sie es noch einigermaßen süß.
»Wenn ich eine Wohnung für uns gefunden habe und der Vermieter ganz scharf auf Meerschweinchen sein sollte, werden wir noch einmal darüber reden, einverstanden?«, versuchte sie einzulenken.
»Okay«, sagte Max zu ihrer Überraschung kurz und knapp, was sie auf den riesigen Kran rechts der Straße zurückführte, der eine Ladung Baumaterial über ein Hausdach schweben ließ.
»Der Kran ist cool«, sagte Max dann auch hörbar beeindruckt.
»Warum brauchen wir überhaupt eine neue Wohnung?«, quäkte Marie nach vorne. »Unsere ist doch cool«, plapperte sie ihrem Bruder nach.
»Weil das Haus viel zu groß für uns ist«, gab Steffi automatisch zur Antwort – und außerdem zu teuer, aber für dieses leider viel schwerer wiegende Argument waren die Zwillinge noch zu klein.
»Wenn Papa wieder bei uns einzieht, ist die Wohnung gar nicht zu groß«, maulte Marie. »Außerdem würde Papa uns ganz viele Meerschweinchens erlauben.«
Aha, dachte Steffi, jetzt werden die schweren Geschütze aufgefahren.
Doch Max nahm ihr die Antwort ab: »Papa wohnt doch jetzt mit Tante Alissa zusammen, du kleines Dummerchen!«
Steffi beobachtete ihren fünfjährigen Sohn amüsiert im Rückspiegel. Max hatte seine Hand gönnerhaft auf den Arm seiner Schwester gelegt und ein ernstes Gesicht Marke Altklug aufgesetzt. Er behandelte Marie oft wie das viel jüngere Geschwisterchen, dabei hatte er bei der Geburt gerade mal einen Vorsprung von acht Minuten gehabt.
»Tante Alissa kann doch mit einziehen, sie könnte bei Linda im Zimmer schlafen«, schlug Marie eifrig vor.
Klar, dachte Steffi amüsiert, ihre Älteste würde Purzelbäume vor Begeisterung schlagen! Und was würde wohl ihr Ex-Mann zu diesem Vorschlag sagen, ganz zu schweigen von seiner Alissa? Die Frage, wo der Papa schlafen sollte, verkniff sie sich tunlichst.
»So ein Quatsch, Tante Alissa will doch immer bei Papa schlafen!« Max schüttelte über so viel kindliches Unverständnis den Kopf.
»Linda mag Tante Alissa aber, das hat sie gestern gesagt«, insistierte Marie mit Schmollmund und vor der kleinen Brust verschränkten Ärmchen.
»Klar mag sie Tante Alissa, aber doch nicht in ihrem Zimmer«, sagte Max mit gen Himmel verdrehten Augen.
Das schien Marie einzuleuchten, sie antwortete zumindest nichts mehr darauf.
Lärmend rannten die Zwillinge von der Garage aus erst eine Runde durch den Garten, danach zur Haustür.
Steffi sah ihnen kopfschüttelnd nach. Nicht zu fassen, dass diese Krümelmonster nach so vielen Stunden Toben und Spielen im Kindergarten kein bisschen müde waren! Sie schleppte den vollen Einkaufskorb die Stufen zum Eingang hoch, wo Marie ausnahmsweise mal die Herrschaft über den Klingelknopf errungen hatte, den sie jetzt mit ihrem Fingerchen nonstop drückte. Max trommelte indes lautstark mit beiden Händen an die Tür.
Steffi mochte gar nicht daran denken, wie das in einem Mehrfamilienhaus werden würde. Hier in dem frei stehenden Vorstadthäuschen, in sicherem Abstand zu den anderen Grundstücken, störte das lärmende Duo niemanden, aber mit Nachbarn Wand an Wand?
Bevor sie aufschließen konnte, öffnete Linda die Tür von innen, und die Zwillinge stürmten an ihr vorbei ins Haus.
»Schon mal daran gedacht, dass du den beiden eventuell falsches Futter verabreichst?«, sagte die älteste Tochter trocken.
»Gibt es denn Futter, dass sie ruhiger machen könnte?«, fragte Steffi auf dem Weg in die Küche.
»Ja, wenn man ihm Valium beimischt.«
Linda hatte schon den Tisch gedeckt, was Steffi äußerst verdächtig vorkam. Ohne mehrmalige Aufforderung klappte das normalerweise nicht.
»Anscheinend gibt es heute Spaghetti«, bemerkte sie, als sie die tiefen Teller sah.
»Spaghetti, Spaghetti, Spaghetti!« Mit Indianergeheul rannte das Duo infernale um den Tisch herum.
Und noch drei Stunden bis zum Schlafengehen, dachte Steffi verzweifelt.
Linda wartete, bis ihre tobenden Geschwister nach oben ins Kinderzimmer verschwunden waren, dann antwortete sie: »Genau, ich dachte, wir hatten schon lange keine Spaghetti mehr.«
»Stimmt, Tochter, das letzte Mal ist schon ewig her, lass mich mal überlegen … vorgestern, kann das sein?«
Linda grinste. »Könnte hinhauen.«
»Na dann wird es tatsächlich Zeit, dass es endlich mal wieder Spaghetti gibt«, bestätigte Steffi seufzend. Hoffentlich würden ihre Kinder keine Mangelerscheinungen bekommen, überlegte sie, als sie den großen Topf mit dem Nudelwasser auf den Herd stellte. Wer weiß, vielleicht gab es ja schon wissenschaftliche Forschungsergebnisse darüber, was übermäßiger Spaghettikonsum bei Kindern im Wachstum anrichten konnte? Vorsichtshalber wollte sie die obligatorische Tomatensoße mit ordentlich Gemüse aufpeppen und legte Zwiebeln, Paprika in drei Farben, Zucchini und Karotten auf die Arbeitsfläche.
»Hilfst du mir beim Schnippeln?«, fragte sie, fest mit einer Absage rechnend.
»Okay.« Überraschend bereitwillig griff Linda nach einem Messer und rückte damit der Zucchini zu Leibe.
»Was ist los?«, fragte Steffi beim Zwiebelhacken so beiläufig wie möglich.
»Nichts, was soll denn los sein?« Linda gab die Zucchinischeiben in eine Schüssel und schnitt als Nächstes die Paprikaschoten auf, um die Kerne herauszuholen.
»Ich frag ja nur, hätte ja sein können, dass du was auf dem Herzen hast.«
Als Linda die letzte Paprika in Streifen geschnitten hatte, legte sie das Messer auf das Schneidebrett, schob alles zur Seite und setzte sich auf die Arbeitsplatte. Schweigend sah sie ihrer Mutter zu, wie sie das Gemüse anbriet und die Nudeln ins Wasser gab, als es kochte.
Gewissenhaft rührte Linda mit einem Kochlöffel in den Nudeln herum, während ihre Mutter die Soße zubereitete.
»Am Freitag ist bei Andrea die Fete«, sagte Linda schließlich.
»Ja, und? Das hatten wir meines Wissens doch schon geklärt. Wo ist das Problem?« Steffi holte das große Metallsieb aus dem Schrank und testete eine Nudel. Eine Minute noch, höchstens, entschied sie.
»Am Freitag beginnt deine Nachtdienstwoche«, druckste das Mädchen herum.
»Die Zwerge sind doch bei eurem Vater, du kannst also problemlos zu dieser Fete gehen.«
»Eben nicht! Papa hat vorhin angerufen. Er und Alissa haben eine Last-Minute-Reise gebucht, eine Woche Griechenland. Sie wollen deshalb die Wochenenden tauschen.« Linda war jetzt den Tränen nahe.
Typisch Paul, dachte Steffi zornig. Das machte er ständig, immer dachte er nur an sich und sein Vergnügen. Er konnte doch nicht einfach so schalten und walten, wie er wollte, ohne das vorher mit ihr zu besprechen!
Ziemlich geladen schnappte sie sich das Telefon, um das sofort zu klären. Sie ließ es ewig lang klingeln, aber es nahm niemand ab. Dann würde sie es eben später noch einmal versuchen. Da sie aber schon mal das Telefon in der Hand hatte, wählte sie die Nummer ihrer Mutter.
»Hallo Mama«, sagte sie, als die sich meldete. »Nur ganz schnell eine Frage, die Nudeln sind nämlich gleich fertig: Könntet ihr von Freitag auf Samstag die Zwillinge nehmen?«
»Nein, wir haben Konzertkarten – war das schnell genug geantwortet?«
»Scheiße«, entschlüpfte es Steffi. »Schnell genug ja, aber die falsche Antwort.«
»Wieso, was ist denn am Freitag?«
»Ich muss Schluss machen, Mama, die Nudeln sind fertig. Ich ruf dich nach dem Essen noch mal an und erkläre es dir«, sagte Steffi knapp und beendete das Gespräch.
»Die haben was Besseres vor, stimmt’s?«, fragte Linda.
»Sie gehen ins Konzert …«
»Vielleicht kann ja Opa Robert?«
Abgesehen davon, dass Steffi wusste, dass ihr Vater genau an diesem Wochenende zu einer Ausstellungseröffnung in Hannover weilte, wäre er ganz sicher ihre aller-allerletzte Option für den Babysitterjob gewesen. Sie liebte ihren exzentrischen Späthippie-Künstlervater über alles, keine Frage, die Zwillinge ebenfalls, abgöttisch sogar – aber zusammen alleinlassen wollte sie die drei lieber nicht. Wobei die Zwillinge wahrscheinlich noch die Vernünftigeren des Trios wären.
»Tut mir leid, meine Süße, aber der ist Hannover … Mist, die Nudeln!«
Schnell zog sie den Topf vom Herd, viel zu spät, wie sie auf den ersten Blick erkannte. Das, was im Nudelsieb landete, war sehr weich und sehr klebrig, also genauso wie die Zwillinge es liebten.
Sie spachtelten dann auch kräftig von der breiigen Masse in sich hinein, während Linda nur lustlos in ihrem Essen herumstocherte.
Steffi tat ihr großes Mädchen leid. Schlimm genug, dass Paul mit ihr machte, was er wollte – sie war es seit vielen Jahren nicht anders gewöhnt und ließ sich von seinen Sperenzchen schon lange nicht mehr aus der Fassung bringen. Aber jetzt musste auch noch Linda unter seiner Sprunghaftigkeit leiden.
»Ich werde bis Freitag einen Babysitter auftreiben, versprochen. Notfalls buche ich einen über die Babysitter-Zentrale«, sagte Steffi, obwohl sie sich das finanziell eigentlich nicht leisten konnte.
»Hmm«, brummelte Linda nur und traktierte weiter ihre Nudeln.
Während Linda mit den Zwillingen im Bad war und sie bettfertig machte, wählte Steffi noch einmal die Nummer ihres Ex-Mannes. Aber auch diesmal nahm niemand das Gespräch an. Der Anrufbeantworter war leider nicht aktiv, sonst hätte sie etwas Passendes, aber definitiv nichts Nettes auf Band gesprochen. Doch wahrscheinlich hatte Paul den AB nicht eingeschaltet, weil er genau das verhindern wollte. Sie hielt es durchaus für möglich, dass er schon längst mit seiner Alissa in Griechenland weilte und sie sich also kampflos mit der Tatsache abfinden musste, dass die Minis das Wochenende – sein Wochenende – bei ihr verbringen würden.
Hätte er sie nicht mitnehmen können, dachte Steffi wütend, musste dann aber bei der Vorstellung grinsen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihre beiden Feger lärmend um das liebevoll aufgebaute Büffet des Fünf-Sterne-Luxus-Klubs, den ihr Ex mit Sicherheit für sich und sein verwöhntes Luxus-Unterwäschemodel gebucht hatte, herumrennen. Sie konnte sich nur zu gut den entnervten Paul, die noch viel entnervtere Alissa und die entrüsteten Blicke der anderen Gäste vorstellen.
Oh ja, Steffi würde Paul einen Urlaub mit den Zwillingen wirklich von ganzem Herzen gönnen … und Alissa natürlich erst recht!
In Gedanken ging sie alle möglichen Personen durch, denen sie die Zwillinge noch zumuten könnte. Viele gab es nicht – wer die beiden einmal gesittet hatte, tat es normalerweise nie wieder.
Sie überlegte, ob sie ihre Freundin Diana fragen sollte, die war schon ein paarmal eingesprungen, wenn Not am Mann war – allerdings nie besonders begeistert. Sie behauptete steif und fest, einfach nicht mit Kindern zu können. Den Zwillingen war das aber von Anfang an egal gewesen, sie liebten Diana heiß und innig. Steffi hatte sie in der Vergangenheit nicht sehr oft um diesen Liebesdienst gebeten, nur in äußersten Notfällen. Und das war eindeutig ein Notfall, entschied sie, immerhin war ihre Tochter zur allerersten richtigen Teenagerfete ihres Lebens eingeladen.
Diana nahm tatsächlich nach dem zweiten Klingeln ab.
»Notfall«, sagte Steffi nur.
»Oh nee, bitte nicht!« Diana war wie erwartet nicht begeistert.
Steffi erklärte ihr die Sachlage in kurzen Worten: »Paul, der Arsch, ist mit Alissa in Griechenland, die Zwerge sind deshalb außerplanmäßig bei mir, ich habe Nachtdienst und Linda ist auf die erste Fete ihres Lebens eingeladen. Du tust es also für sie und nicht für mich.«
»Okay, für Linda mache ich es. Wann?«
»Freitag.«
»Ausgerechnet Freitag, der heilige Freitagabend? Der Abend in der Woche, der sich ganz besonders gut für die Jagd eignet?«
»Ebendieser. Aber hast du nicht neulich gesagt, dass du dich erst einmal in Abstinenz üben willst?«
»Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?«, bemühte Diana Konrad Adenauers altgedienten Ausspruch. »Diana ist die Göttin der Jagd, so ein Name verpflichtet schließlich.«
»Wenn du meinst«, bemerkte Steffi, die von Männern die Nase so was von gestrichen voll hatte, trocken.
Einen Moment war es daraufhin still am anderen Ende der Leitung.
»Apropos Jagd: Ich könnte ja noch auf die Pirsch gehen, wenn Linda nach Hause kommt, allzu spät wird das nicht sein, oder?«
»Linda schläft bei ihrer Freundin«, zerstörte Steffi diese Illusion. »Aber du hast dafür ein aufregendes Frühstück mit mir und meinen wunderbaren Zwillingen in Aussicht. Ich sammle gleich nach dem Dienst Linda bei ihrer Freundin ein und besorge frische Brötchen. Was sagst du zu diesem ausgesprochen verlockenden Angebot?«
Steffi hörte Diana tief durchatmen – vermutlich wegen des garantiert aufregenden Frühstücks mit ihrem Duo infernale und den damit verbundenen diversen Showeinlagen wie umgekippten Kakaobechern oder lauthalsem Streit um das Nutella-Glas.
»Wann soll ich da sein?«, sagte Diana letztendlich ergeben.
»Um sieben.«
Kurz vor zweiundzwanzig Uhr waren endlich alle Kinder im Bett – Linda überglücklich, Max und Marie nach langem Prozedere.
Mit einem Glas Rotwein saß Steffi am Schreibtisch und versuchte sich auf die Kindergeschichte zu konzentrieren, an der sie seit ein paar Tagen arbeitete. Es ging darin um die Zwillinge Max und Marie, die wegen des schlechten Wetters ein geplantes Picknick kurzerhand in die Küche verlegen mussten. Genauso hatten sie es im letzten Herbst gemacht. Da die Kinder schrecklich enttäuscht gewesen wären, hatte sie kurzerhand einfach alles aus der Mitte der Küche herausgeräumt, eine Decke auf dem Boden ausgebreitet und ein wunderschönes Picknick auf dem Küchenboden mit ihnen veranstaltet. Weil Steffi die Idee so witzig gefunden hatte, wollte sie daraus für die Zwillinge ihr eigenes kleines Buch machen. Eventuell sogar mit selbstgemalten Bildern, obwohl sie trotz ihres begnadeten Maler-Vaters bei der Vererbung von künstlerischen Genen leider ausgelassen worden war.
Vielleicht hätte ja sogar ein Kinderbuchverlag Interesse an dieser lustigen Geschichte? Der Gedanke, dass ihre Geschichte in einem wunderschön bunten Buch stehen könnte, gefiel Steffi. Aber konnte sie als Krankenschwester und Nicht-Autorin überhaupt etwas an einen Verlag schicken?
Sie stand auf und holte die Box mit den gesammelten Pixi-Büchern ihrer Kinder aus dem Regal neben dem Fernseher. Sie blätterte einige durch und fand eines süßer als das andere. Genauso süß könnte ihre Geschichte als fertiges Büchlein aussehen. Und auf einmal stand für sie fest: Sie würde sie einfach an diesen Verlag schicken, wenn sie damit fertig war! Was bitteschön konnte schon passieren? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Das Telefon klingelte irgendwo unter dem Berg von Kinderbüchern und den Skizzen für das Buch. Beim dritten Klingeln fand sie es endlich.
Mama, verriet das Display. Mist, dachte Steffi. Sie hatte vergessen, sie noch mal anzurufen.
»Hallo Mama.«
»Jetzt wollte ich aber doch mal hören, warum du vorhin angerufen hast.«
Steffi schilderte erneut die Situation, nur das mit dem Arsch ließ sie weg.
»Er kann doch nicht einfach an seinem Kinderwochenende wegfliegen, ohne das mit dir zu besprechen!«
»Du siehst doch, dass er das kann, Mama. Und ich bin mir sicher, dass er das absichtlich macht.«
»Aber was hat er dann davon? Doch nur Ärger mit dir und enttäuschte Kinder.«
»Wer weiß schon, was in Männerköpfen vorgeht! Soweit ich mich erinnern kann, war es bei dir und Papa nicht viel anders.«
»Im Kopf deines Vaters kennt sich wohl keiner aus, nicht mal er selbst. Aber als wir uns haben scheiden lassen, gab es keinerlei Kräftemessen mehr. Eigentlich ist dein Vater sogar sehr viel umgänglicher, seit wir getrennte Leute sind.«
Steffi nahm einen Schluck von ihrem Wein. »Vielleicht kommt er dir nur umgänglicher vor, weil ihr getrennte Leute seid. Immerhin kann er sich jetzt uneingeschränkt als Künstler ausleben – wir waren für ihn doch immer nur ein lästiger Klotz am Bein.«
»Ich war der lästige Klotz an seinem Bein, nicht du. Dich hat er doch geliebt und als sein bestes Werk gefeiert. Aber ich, ich habe ihn eingeengt mit meinem Wunsch nach Sicherheit und einem geregelten Leben. Und er hat mich im Gegenzug krank gemacht mit seinem Komm ich heut’ nicht, komm ich morgen, mit dem ewigen Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben. Ich gebe es nicht gern zu, aber meine Eltern hatten damals wirklich recht: Ich hätte diesen Mann niemals heiraten dürfen.«
»Ihr hattet doch aber auch glückliche Zeiten …«
»Wenige, Stefanie, wenige. Aber das ist ja jetzt auch egal, mit Hans-Werner habe ich genau den Mann gefunden, den ich zum Glücklichsein brauche.«
Hans-Werner Müller, pensionierter Studienrat und ehemaliger Lehrer für Latein und Geschichte – ein älterer Herr im grauen Anzug, ein netter, sanfter Langweiler mit Halbglatze, Nickelbrille und Briefmarkensammlung. Für Steffi war sein Name Programm und er somit der Inbegriff deutscher Spießbürgerlichkeit. Für ihre Mutter jedoch war er der Fels in der Brandung, er war ihr farbloser Rettungsanker aus stürmisch-bewegter Ehe mit dem wilden, unberechenbaren, aber auch genialen, schrille Farben liebenden Maler und Bildhauer Robert Womann, dem ewigen Enfant terrible der deutschen Kunstszene. Von wem, wenn nicht von ihm, hatten die Zwillinge wohl das überschäumende Temperament abbekommen?
Wenn Steffi hätte wählen müssen, sie hätte sich ohne zu überlegen für den lebenshungrigen, verrückten Künstler entschieden, aber sie hatte ja nicht zwanzig Jahre ihres Lebens mit ihm verheiratet sein müssen. Von den Kämpfen und Nöten, die ihre Mutter während ihrer Ehe durchleben musste, hatte sie, wenn überhaupt, nur eine blasse Ahnung.
Klar war aber, dass Gerlinde Müller, geschiedene Womann, seit ein paar Jahren eine zufriedene und glückliche Frau war, allein dafür liebte Steffi Hans-Werner.
»Da wir gerade von ihm sprechen: Hast du was von deinem Vater gehört?«
»Papa stellt ab dem nächsten Wochenende in Hannover aus – vor ein paar Tagen kam eine Einladung für die Vernissage.«
»Er lebt also noch«, sagte Gerlinde Müller kühl. »Wollt ihr am Sonntag nicht zu uns zum Essen kommen«, fragte sie gleich darauf übergangslos. »Hans-Werner hat sich Rouladen und Rotkraut gewünscht. Ich dachte, ich mach Klöße dazu, die essen doch die Kinder immer so gern.«
Sonntag nicht kochen müssen – allein diese Tatsache ließ Steffi zusagen.
Bevor sie das Telefon in die Station stellte, drückte sie noch einmal und ohne Hoffnung auf Erfolg die Kurzwahltaste, unter der ihr Ex gespeichert war. Und, welch Wunder, er meldete sich tatsächlich sofort.
»Warum, zum Teufel, rufst du so spät noch an?«, flüsterte Paul, und trotz Flüstern klang er nicht begeistert.
Steffi sah auf die Uhr – kurz nach halb elf, sooo spät fand sie das eigentlich nicht.
»Alissa hat morgen ganz früh ein Shooting, dafür muss sie ausgeschlafen sein«, zischte Paul.
»Also erstens, lieber Ex-Mann, sind mir die Befindlichkeiten deiner Alissa völlig egal. Und zweitens hätte ich überhaupt nicht anrufen müssen, wenn du nicht hinter meinem Rücken und einfach so das Zwillingswochenende abgesagt hättest«, blaffte Steffi in den Hörer.
»Das ist nicht korrekt, ich habe das Wochenende nur um eine Woche verschoben, nicht abgesagt.«
Der belehrende Ton, den Paul an den Tag legte, machte Steffi wie immer wütend.
»Du kannst das Geld deiner Bankkunden auch nicht so einfach hin und her verschieben«, sagte sie daher eine Spur zu laut.
»Du wirst mal wieder unlogisch …«
»Okay, dann mal ganz logisch«, unterbrach Steffi ihn. »Wenn du mir nicht die Möglichkeit gibst, mein eigenes Geld zu verdienen, dann bleibe ich eben daheim, und du zahlst Unterhalt für mich!«
»Du schweifst vom Thema ab«, bemerkte Paul aufreizend ruhig.
»Dann eben zurück zum Thema: Davon abgesehen, dass du so etwas mit mir abzuklären hast und nicht mit Linda, weißt du ganz genau, dass du die Kinder-Wochenenden nicht einfach so verschieben kannst, wie es dir in den Kram passt, da meine Nachtdienst-Wochenenden genau darauf abgestimmt sind. Verschieben geht also nicht, dein Kinderwochenende fällt somit ersatzlos aus!«
»Ich habe aber ein Recht auf meine Kinder, das hat der Richter ausdrücklich gesagt …«
»Dann richte dich gefälligst auch danach: Jedes zweite Wochenende, Änderungen nach Absprache – damit ist Absprache mit mir und nicht mit deiner Tochter gemeint. Schönen Griechenlandurlaub!« Steffi beendete das Gespräch, solange sie noch einigermaßen höflich war. Im Stillen wünschte sie ihm allerdings etwas ganz anderes: Durchfall, Sonnenbrand, Feuerquallen, von Cholera und Pest ganz zu schweigen.
Vielleicht war Maries Idee, dass Paul und Alissa bei ihnen einziehen, doch gar nicht so dumm, überlegte Steffi. Dann könnte sie in aller Ruhe arbeiten gehen und Alissa auf die Kids aufpassen …
26./ 27. April, Freitag/ Samstag – noch fünfunddreißig beziehungsweise vierunddreißig Tage bis zum Ende des Mietvertrages und noch keine neue Wohnung in Sicht
Punkt sieben Uhr abends am Freitag stand Diana bei Steffi vor der Tür.
»Ich hoffe, ihr Monster steckt frisch gewaschen und gekämmt in euren Schlafanzügen«, rief sie ins Wohnzimmer hinein, in dem die bettfertigen Zwillinge ausnahmsweise ganz still auf ihren vier Buchstaben vor dem Fernseher saßen.
»Logo!«, riefen die Schlafanzugmonster wie aus einem Munde.
»Sofort antreten zur allgemeinen Kontrolle!«, befahl Diana gespielt streng und brachte es so tatsächlich fertig, dass sich die beiden Minis vom spannenden Geschehen im Fernsehen losrissen, um in der Diele wie zwei kleine Soldaten auf und ab zu marschieren.
»Okay, Leute, das sieht wirklich gut aus.« Diana klopfte jedem auf das frotteebezogene Hinterteil und die beiden verschwanden daraufhin kichernd wieder ins Wohnzimmer.
Diana sah ihnen grinsend nach. »Kleine Kinder in Schlafanzügen haben so etwas Verheißungsvolles«, sagte sie.
»Ja, ich weiß genau, was du damit meinst: Das verheißt baldige Ruhe im Haus.« Steffi sah auf die Uhr, nur um festzustellen, dass ihr die Zeit mal wieder davonlief.
»Und wo ist das Partygirl?«, erkundigte sich Diana.
»Noch in ihrem Zimmer, aus dem sie hoffentlich gleich herauskommt, sonst muss sie sehen, wie sie zu ihrer Freundin kommt.«
Diana ging die Treppe hinauf und klopfte an Lindas Tür. Nach einem nervös klingenden »Herein« verschwand sie in deren Reich.
Steffi instruierte derweil die Zwillinge bezüglich der wichtigsten Benimmregeln und einzuhaltender Schlafzeit – woran sich erfahrungsgemäß weder Diana noch die Kids halten würden.
Da die Zeit knapp wurde und auf ihr Rufen keiner in Lindas Zimmer reagierte, beschloss Steffi hochzugehen.
»Umwerfend!«, sagte Diana gerade bewundernd, als sie die Tür öffnete. »Was sagst du als stolze Erzeugerin dazu?«
Sie meinte damit offensichtlich Lindas für ihr Alter und für die Augen einer besorgten Mutter viel zu stark geschminktes Gesicht.
»Ganz schön bunt. Auf jeden Fall müssen wir jetzt los, sonst komme ich zu spät zum Dienst.«
Diana winkte ab. »Hör bloß nicht auf die Meinung einer Frau, die von solchen Dingen nichts versteht. Diese Frau, diese farblose Mutter, die du dort in der Tür stehen siehst, besitzt wahrscheinlich nicht einmal Lidschatten oder Vergleichbares.«
»Doch, den hat sie, aber der ist bestimmt schon zwanzig Jahre alt. Immerhin habe ich auch ohne Schminke einen Mann abbekommen«, konterte Steffi spitz, gab Linda Zeichen, ihr zu folgen, und lief die Treppe wieder hinunter.
»Genau deswegen schminke ich mich ja, denn im Vergleich zu dir möchte ich ein derartiges Desaster unbedingt vermeiden«, rief Diana den beiden hinterher.
Steffi steckte noch einmal den Kopf in die Diele. »Übrigens nochmals vielen Dank, beste Freundin, diesen Notfalleinsatz werde ich dir nie vergessen.«
Diana stand mit lässig verschränkten Armen am oberen Ende der Treppe. »Ist schon gut, ich werde mich aufs Beste unterhalten lassen!«
Genau diese Worte kamen Steffi wieder in den Sinn, als sie Linda abgesetzt hatte und endlich auf dem Weg ins Krankenhaus war. Hatte Diana dabei nicht sogar süffisant gezwinkert?
Sie überlegte, wie ihre beste Freundin das wohl gemeint haben könnte. Vom Fernsehprogramm konnte sie nicht gesprochen haben, das war an diesem Abend mehr als dürftig. Und was an DVDs im Haus war, war entweder für Kinder oder sie und Diana hatten sie schon bei einem ihrer regelmäßigen Filmabende auf dem Sofa zusammen gesehen.
Steffi war natürlich klar, dass die Zwillinge Diana noch eine Weile »unterhalten« würden – mehr als der lieb war wahrscheinlich. Aber diese Art von Unterhaltung hatte Diana ja wohl eher nicht gemeint, oder?
Halt, nein! Steffi hatte eine plötzliche Eingebung: Diana wird doch nicht … sie wird sich doch nicht etwa einen Kerl eingeladen haben? – Und wenn doch, wen? Steffi wusste von keinem aktuellen Kandidaten.
Hektik empfing sie auf ihrer Station, ein Umstand, der ihre Gedanken zum Glück in ganz andere Richtungen lenkte.
Kurz vor halb acht verließ Steffi am nächsten Morgen die Klinik. Trotz der langen Nacht war sie erstaunlich fit, am liebsten hätte sie eine Runde durch den Park gedreht. Dagegen sprach allerdings die Tatsache, dass die Zwillinge demnächst wach sein würden und Diana hoffnungslos überfordert wäre mit gleich zwei ausgeschlafenen Minimonstern.
Auf dem Weg nach Hause besorgte sie Brötchen und holte eine sichtlich übermüdete, aber glücklich strahlende Linda bei deren Freundin ab.
Als sie das Haus betraten, empfing sie Stille. Offenbar schliefen noch alle.
Steffi nutzte diese wunderbare Ruhe vor dem Sturm, um ungestört das Frühstück zu machen. Auf Linda als Hilfe konnte sie dabei jedoch nicht zählen, die war schnurstracks in ihrem Zimmer verschwunden und dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in ihr Bett gekrochen.
Summend deckte Steffi den Küchentisch, und während der Kaffee durchlief, ging sie ins Wohnzimmer hinüber, um das Ausmaß der Verwüstung in Augenschein zu nehmen. Allerdings war es überraschend ordentlich. Sie musste Diana unbedingt fragen, wie sie es hinbekommen hatte, dass Max und Marie ihr Spielzeug so schön weggeräumt hatten.
Das Einzige, was herumlag, war ein Blatt Papier auf dem Couchtisch und einer ihrer Buntstifte, die sie zum Zeichnen verwendete. Da den Zwillingen ausdrücklich verboten war, sich an ihrem Schreibtisch zu bedienen, ging Steffi davon aus, dass es sich dabei um eine Notiz von Diana handelte.
Nur mit Mühe konnte sie das Gekritzel entziffern: »Danke für den schönen Abend! Wie wäre es morgen mit Kaffee? Um drei? Lieblingscafé?«, stand da. Die Schrift hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Dianas Schrift, es sah eher so aus, als hätte Diana die Worte zum Spaß mit der linken Hand geschrieben.
Aber was sollte diese Nachricht bedeuten, fragte sich Steffi. Doch nicht etwa, dass Diana früher als besprochen das Haus verlassen und somit die Zwillinge alleingelassen hatte? Aber warum hätte sie das tun sollen? Und hätte sie dann nicht versucht, sie in der Klinik zu erreichen?
Zutiefst beunruhigt rannte Steffi die Treppe nach oben und riss die Zimmertür der Zwillinge auf. Die beiden kleinen Betten waren leer – benutzt zwar, aber leer. Steffis Herz setzte vor Schreck ein paar Schläge aus.
Der Blick in ihr eigenes Schlafzimmer eine Tür weiter setzte es jedoch gleich wieder in Gang: Dort lag Diana mittendrin im einstigen Ehebett, flankiert von je einem Zwilling, und alle drei schliefen tief und fest.
Leise und erleichtert schloss Steffi die Tür. Sie betrachtete den inzwischen zerknüllten Zettel in ihrer Hand.
Sie kam zu dem Schluss, dass das nur eines bedeuten konnte: Diana, die Göttin Jagd, hatte tatsächlich hier in ihrem Haus einen Kerl zur Strecke gebracht! Na, die würde was zu hören bekommen!
Keine fünf Minuten später hörte Steffi Kinderstimmen und einen verzweifelten Aufschrei Dianas aus dem oberen Stockwerk. Ein eindeutiges Zeichen für sie, dass es gleich vorbei sein würde mit der himmlischen Ruhe.
Mit lautem Knall donnerte die mit viel zu viel Schwung aufgerissene Tür an die Wand dahinter, Kinderlachen und das Getrappel nackter Zwergenfüße auf der Treppe und dann auf Dielenfliesen näherte sich der Küche, und schon brach ein wahrer Zwillingstsunami über Steffi herein.
»Mami, Mami, wir haben bei Tante Diana im Bett geschlafen«, krähte Marie begeistert und schrecklich wach, während sie auf den Schoß ihrer Mutter kletterte.
»Jajaja«, stimmte Max nicht minder begeistert mit ein. »Und wir waren gaaanz lang wach!« Wie ein Wirbelwind rannte er dabei immerzu um den Tisch, dass Steffi ganz schwindelig wurde.
Nach der dritten Runde streckte sie einen Arm aus und fing den Wildfang ein. Sie knuddelte die kichernden und sich heftig wehrenden Zwillinge kräftig durch, bevor sie sie freigab.
»Ihr habt mir ja sooo sehr gefehlt.« Sie strich Max’ in alle Richtungen abstehenden Haare so gut wie möglich in Form. Er hatte die gleichen wilden Locken wie sie, allerdings waren sie nicht blond wie ihre, sondern hellbraun wie die seines Vaters. Maries hellbraune Locken waren länger und wurden meist in Form von zwei geflochtenen Zöpfen einigermaßen in Schach gehalten.
»Du uns auch«, versicherten Marie und Max mit ernsten Gesichtern, wie jeden Morgen, wenn sie sich nach Steffis Nachtdienst wiedersahen.
»Wo bleibt Tante Diana denn?«, fragte Steffi scheinheilig.
Die Zwillinge sahen sich an und zuckten mit den Zwergenschultern.
»Ich finde, ihr solltet unbedingt mal nach ihr sehen und sie notfalls wachkitzeln.«
Das musste Steffi nicht zweimal sagen: Schon waren die Zwillinge mit wildem Indianergeheul die Treppe hinauf verschwunden.
Gleich darauf hörte sie Dianas verzweifelte Schreie um Hilfe.
Mit gemeinem Lächeln goss sie schon mal Kaffee in die Tasse der Freundin, es konnte sich schließlich nur noch um Sekunden, wenn nicht gar Zehntelsekunden bis zu ihrem Erscheinen handeln.
Wie erwartet kam Diana gleich darauf in die Küche gerannt, dicht gefolgt von den vor Begeisterung juchzenden Zwillingen. Sie ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und rief laut: »Aus!«
Max und Marie blieben abrupt stehen und gaben keinen Mucks mehr von sich.
»Jeder Hundetrainer wäre beeindruckt.« Steffi schnitt schmunzelnd ein Brötchen auf und bestrich jede Hälfte erst mit Butter, dann dick mit Nutella.
»Sitz!«, sagte Diana und sah die Kinder streng an.
Ohne zu zögern setzte sich jeder Zwilling brav auf seinen Stuhl.
Steffi beobachtete das Schauspiel ungläubig.
»›Fass!‹ ist das Nächste, was ich ihnen beibringen werde, denn niemand hetzt diese beiden gefährlichen Zwillinge ungestraft auf mich!« Diana pikste Marie mit einem Finger in die Seite, woraufhin die wie ein kleines Schweinchen quiekte.
Die Zwillinge wandten ihre Aufmerksamkeit nun den Nutellabrötchen vor ihrer Nase zu und verspeisten diese hingebungsvoll. Die Nugatcreme reichte schon nach dem zweiten Bissen von einem Ohr bis zum anderen. Als die Brötchen dann in den Zwillingsmägen verschwunden waren, gab es kaum noch Stellen in ihren Gesichtern, die ohne Nugatcreme waren.
»Ihr seht ja lustig aus – wie zwei Zirkusclowns.«
»Au ja, wir spielen Zirkus«, verkündete Max, kaum dass Diana das ausgesprochen hatte. »Ich bin der Zirkusdirektor.«
Steffi konnte ihn gerade noch am Ärmel seines Schlafanzuges festhalten. »Nichts da, erst werden Gesicht und Hände gewaschen.«
»Und ich bin ein wilder Löwe.« Marie riss das nugatverschmierte Löwenmäulchen weit auf und rollte gefährlich mit den Augen. Ihr Brüllen klang wie das eines Babylöwen und kein bisschen gefährlich.
Geistesgegenwärtig stand Steffi auf und hielt Marie auf ihrem Stuhl fest.
»Zirkus, Zirkus, Zirkus«, skandierten die Zwillinge daraufhin im Chor und schwangen dazu die nutellaverschmierten Händchen im Takt über ihren Köpfen.
»Aus!«, rief Steffi, was jedoch nicht von Erfolg gekrönt war.
Diana steckte sich mit spitzen Fingern eine Scheibe Salami in den Mund. »Tja, da musst du wohl noch ein bisschen üben«, sagte sie kauend.
»Halt du die Minis in Schach, ich hole einen Waschlappen«, knurrte Steffi.
Als die Hände und Gesichter der Zwillinge saubergewischt waren, dampften die beiden zum Spielen nach oben ab. In die plötzliche Ruhe in der Küche ertönte gleich darauf aus dem Kinderzimmer Benjamin Blümchens markdurchdringendes »Töröööö«. Die Sache mit dem Zirkus hatten die Energiebündel anscheinend schon vergessen.
Steffi schob wortlos den zerknitterten Zettel mit der dubiosen Botschaft über den Tisch.
»Was ist das?«, fragte Diana.
»Sag du es mir.«
Leichte Röte huschte über Dianas Gesicht, als sie die Wörter entziffert hatte.
Steffi sah sie scharf an. »Hast du etwa in meinem Schlafzimmer …?«
»Natürlich nicht!«
»Dann auf meiner Couch?«
»Nein, auch nicht auf deiner Couch. Geknutscht, ja, aber nicht das, was du mir da unterstellen willst.«
»Du hast hier einen Kerl reingelassen, um mit ihm rumzuknutschen? Ich fasse es nicht! So nötig kannst doch nicht einmal du es haben.«
»Du warst es, die mich auf Knien angefleht hat, dass ich Babysitten soll. Da war ich aber schon verabredet, meine Süße. Ich war also in einer Zwickmühle, ich wollte euch beide nicht enttäuschen.«
»Ist dir wohl nicht gelungen, denn ich bin jetzt erheblich enttäuscht von dir«, sagte Steffi böser, als sie es tatsächlich war. »Und wer ist der Kerl, den du nicht enttäuschen wolltest?«
»Du kennst ihn nicht«, sagte Diana.
»Ist mit Lieblingscafé unser Lieblingscafé gemeint?«
Diana nickte, faltete den Zettel sorgfältig zusammen und steckte ihn in die Brusttasche ihres Satin-Pyjamas. »Wann hast du eigentlich die nächste Wohnungsbesichtigung?«, fragte sie themawechselnd über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg.
»Morgen früh, gleich nach dem Dienst.«
»Soll ich mitkommen? Eine distinguierte Anwältin als Freundin macht bestimmt einen guten Eindruck bei Vermietern.«
Steffi überlegte kurz, was Diana ihr damit wohl sagen wollte. Überzeugt davon, dass sie es sicherlich nur gut mit ihr meinte, fuhr sie sich mit allen zehn Fingern durch ihre wenig distinguiert aussehenden kurzen blonden Locken. »Distinguiert vielleicht schon, Anwältin weniger. Aber danke, das schaffe ich schon alleine.«
»Wenn du meinst. Dann drück ich dir zumindest die Daumen und vorsichtshalber noch die großen Zehen.«
28. April, Sonntag – Besichtigung Nummer 30 und noch dreiunddreißig Tage bis zum Ende des Mietvertrages
Todmüde und fünf Minuten zu spät kam Steffi am Sonntagmorgen nach ihrem Dienst zu der Wohnungsbesichtigung in einem neu gebauten Mehrfamilienhaus in unmittelbarer Parknähe.
Die Wohnung gefiel ihr wirklich gut. Sehnsüchtig streifte sie durch die vier Zimmer, die Küche und das große Bad. Alles gefliest, stellte sie fest, ein wirklich glücklicher Umstand bei immerzu kleckernden Zwillingen.
Außer ihr waren noch zwei junge Pärchen zur Besichtigung erschienen, die ihre Begeisterung und somit ihr großes Interesse an der Wohnung lautstark kundtaten.
Die Vermieterin, eine sehr vornehm wirkende, elegant gekleidete, silberhaarige Dame mit strengem Dutt und deutlich jenseits der siebzig, gesellte sich zu Steffi.
»Nun, wie gefällt Ihnen die Wohnung, Frau Schneider?«
»Oh, sie ist einfach wunderbar! Die Lage ist ideal für mich, von hier aus ist es nur ein Katzensprung zu der Klinik, in der ich arbeite.«
Zum Kindergarten war es auch nicht weit, aber Steffi verkniff sich vorsichtshalber erst einmal jegliche Information bezüglich der Kinder. »Mögen Sie Meerschweinchen?«, fragte sie stattdessen.
»Sehr niedliche Tiere, haben Sie denn eines?«
»Noch nicht, ich wollte erst einmal hören, ob Tiere im Haus grundsätzlich erlaubt sind.«
»Aber ja, natürlich sind Haustiere erlaubt! Tiere sind schließlich gut für die Seele, wie könnte ich so etwas also verbieten?«
Tiere sind erlaubt, das fand Steffi schon mal beruhigend. Jetzt war es dann wohl auch an der Zeit, die Kinder zu erwähnen.
»Wie schön, die Kinder wünschen sich nämlich so sehr ein Meerschweinchen«, sagte sie und wartete gespannt darauf, wie die alte Dame auf das Reizwort Kinder reagieren würde.
»Sie haben Kinder? Das ist ja zauberhaft.« Die Vermieterin freute sich offensichtlich.
Steffi wollte ihren Ohren kaum trauen.
»Ich selbst habe drei Töchtern das Leben geschenkt, und inzwischen habe ich schon vier Enkel und sieben Urenkel«, fügte die Vermieterin stolz hinzu.
»Was für ein Zufall, ich habe auch drei Kinder: zwei Töchter und noch einen Sohn dazu«, sagte Steffi erleichtert.
»Drei Kinder, wie schön. Wie Sie ja sicherlich schon gesehen haben, ist diese Wohnung perfekt für eine Familie mit drei Kindern. Ach, Kinder sind etwas Wunderbares, sie bringen Leben in ein Haus und Freude!«
»Und Lärm«, ergänzte Steffi in Gedenken an die Zwillinge.
Die alte Dame machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. »Ach was, wen Kinderlärm stört, der soll in ein Kloster gehen oder sich gleich begraben lassen!«
Steffi konnte ihr Glück kaum fassen: Sie stand in einer wunderschönen Wohnung, die bezahlbar war und deren Vermieterin tatsächlich Kinder mochte – viele Kinder, laute Kinder – und Meerschweinchen. Da konnte doch eigentlich nichts mehr schiefgehen, oder?
»Wann kann denn Ihr Mann vorbeikommen, um sich die Wohnung anzusehen?«
»Ich habe keinen Mann«, sagte Steffi guten Gewissens. »Ich bin seit einem Jahr geschieden.«
»Dann müssen wir uns gar nicht weiter unterhalten«, sagte die alte Dame erschreckend kühl, wandte sich von ihr ab und trat auf eins der Pärchen zu.
Wie vom Donner gerührt blieb Steffi allein im Wohnzimmer zurück. Als sie sich endlich gesammelt hatte, verließ sie hocherhobenen Hauptes und ohne Gruß die Wohnung.
Schlecht gelaunt und vor allem zutiefst enttäuscht stieg sie ins Auto und fuhr nach Hause.
Linda war gerade dabei, mit den Zwillingen den Frühstückstisch zu decken, als Steffi mit den auf dem Heimweg erstandenen Brötchen nach Hause kam. Erschöpft und den Tränen nahe ließ sie sich auf einen Stuhl sinken und beobachtete ihre Kinder, die demnächst ohne Obdach wären, nur weil sie zu stolz war, den regulären Unterhalt von ihrem Ex-Mann anzunehmen. Im Geiste ging sie alle Brücken der Stadt durch, doch sie war von keiner so angetan, dass sie mit den Kindern hätte unter ihr wohnen wollen. Was, verdammt noch mal sollte sie nur tun?
Marie und Max steckten noch in ihren Schlafanzügen, ein Umstand, der Steffi wie immer ein Lächeln entlockte – es gab auf der Welt nichts Süßeres als kleine Kinder in Schlafanzügen, da konnten nicht mal Hundewelpen mithalten.
Doch waren Kinder in Schlafanzügen unter einer Brücke auch noch süß? Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust.
»Mama, was ist denn? Bist du traurig?« Marie legte eine kleine warme Kinderhand auf Steffis Oberschenkel und sah sie genauso interessiert aus ihren braunen Kulleraugen an, wie sie es kürzlich mit einem toten Grashüpfer gemacht hatte.
»Ja, meine Süße, ich bin ein bisschen traurig.«
»Haben wir die Wohnung nicht bekommen?«, forschte Marie treffsicher weiter.
Jetzt bloß nicht heulen, beschwor sich Steffi und atmete tief durch.
»Stimmt genau, Zuckermaus, wir haben die Wohnung nicht bekommen.«
»Wegen dem Meerschweinchen?«
»Wegen des Meerschweinchens«, verbesserte Linda.
Marie sah sie verständnislos an. »Sag ich doch!«
»Wir haben doch aber gar kein Meerschweinchen«, mischte Max sich ein.
»Ich meine ja auch das, das wir wollen«, konkretisierte Marie.
»Wenn wir aber deswegen keine Wohnung bekommen, will ich gar keins mehr haben.« Max stellte sich vor sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Steffi musste mit Schrecken feststellen, dass er in dieser Pose seinem Vater ungemein ähnelte.
»Nein, es ist nicht wegen des Meerschweinchens«, sagte Steffi matt. »Die Vermieterin mag Meerschweinchen sogar sehr.«
»Dann will sie wohl keine wildgewordenen, verrückten, schrecklichen Zwillinge«, sagte Linda trocken und nahm die warme Milch vom Herd.
Max streckte ihr die Zunge raus. »Und eklige doofe Lindas erst recht nicht!«
Steffi raffte ihr restliches bisschen Energie zusammen und stand auf, um sich Kaffee zu machen. Sanft zog sie an einem von Maries in Auflösung befindlichen Zöpfen. »Es liegt auch nicht an euch, die Vermieterin war einfach eine schrecklich eklige, doofe …« – sie verkniff sich nur knapp die Kuh – »… Frau.«
Gleicher Tag, also Sonntag, der 28. April – daher Umzugsstatus unverändert
Da es seit dem frühen Morgen regnete und sie nicht draußen spielen konnten, hatte Steffi den Zwillingen ausnahmsweise erlaubt, sich schon mittags eine DVD anzusehen. Die Wahl war auf Bernard und Bianca im Känguruland gefallen. Gerade segelten Max und Marie mit ausgestreckten Armen wie Albatros Wilbur um den Wohnzimmertisch, was Steffi jedoch kaum noch mitbekam. Ihre Augenlider waren in den letzten zehn Minuten schwerer und schwerer geworden, und letztendlich hatte sie den Kampf gegen die Müdigkeit verloren. Zwei Nachtdienste und die Kinder – das war einfach zu viel, weil sie sich vor allem wegen der Zwillinge tagsüber nicht hinlegen konnte.
Das Schrillen des Telefons kam von ganz weit her und wurde beinahe Teil ihres Traumes …
»Mama, das ist Oma, sie fragt, wo wir bleiben. Mama?«
Das war kein Traum. Steffi schlug die Augen auf und sah in Lindas blaue Augen mit den goldenen Sprenkeln, die sie von ihr hatte.
Steffi hatte keine Ahnung, worum es ging, aber sie hörte die Stimme ihrer Mutter, die quäkend aus dem Hörer kam, den Linda ihr jetzt hinhielt.
»Was ist denn los?«, fragte sie schlaftrunken und richtete sich in eine sitzende Position auf.
»Klär das selbst.« Ungeduldig drückte ihr Linda das Telefon in die Hand und verließ das Wohnzimmer.
»Mama? Ist was passiert?«
»Noch nicht, aber bald: Die Klöße werden gleich zerfallen«, antwortete ihre Mutter anklagend.
Klöße? Steffi verstand nicht, was hatte sie denn mit den Klößen ihrer Mutter zu schaffen?
»Rouladen, Rotkraut und Knödel – ihr wolltet zum Essen kommen«, half die Mutter ihren trägen grauen Zellen nach.
»Oh verdammt«, entfuhr es Steffi. Wie hatte sie das nur vergessen können?
»Verdammt sagt man nicht«, wurde sie postwendend sowohl von ihrem Sohn als auch von ihrer Mutter ermahnt.
Steffi sprang auf und angelte sich die Fernbedienung. »In zehn Minuten sind wir da!« Mit dem Daumen der linken Hand beendete sie das Telefonat, mit dem der rechten Hand schaltete sie den Fernseher aus, was augenblicklich einen Sturm der Entrüstung bei den Zwillingen auslöste.
»Nicht meckern, sondern ganz schnell Jacken und Schuhe anziehen – wir fahren zu Oma Gerlinde zum Essen.«
»Och nööö, wir wollen lieber weiter Känguruland gucken«, maulte Max.
»Genau«, echote Marie schwesterlich.
»Oma hat extra für euch Klöße gemacht.«
Sofort ging das Maulen in Jubeln über: »Kloß mit Soß, Kloß mit Soß!«
Steffi scheuchte die Kinder hinaus in die Diele. »Dann schnell anziehen, Rasselbande, sonst isst Opa Hans-Werner alle Klöße alleine auf.«
Marie setzte sich auf den Boden, um ihre Gummistiefel anzuziehen. »Ist Opa Hans-Werner deshalb so dick, weil er immer alle Klöße alleine aufisst?«
»So dick ist er doch gar nicht«, sagte Steffi zu seiner Ehrenrettung. Dann sprang sie die Treppe hoch und klopfte an Lindas Tür.
Mit grantigem Blick öffnete ihre Große. »Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Kommst du bitte, wir sind bei Oma Gerlinde zum Essen eingeladen.«
»Muss das sein? Jule will später zu mir kommen.«
Steffi verstand durchaus, dass Linda lieber etwas mit ihrer Freundin machen wollte, als mit den nervtötenden Geschwistern zu Oma und Opa zum Essen zu gehen. Oma Gerlinde würde das jedoch nicht verstehen. »Da wäre Oma aber traurig, wenn du nicht mitkommst – sie hat extra Klöße für euch gemacht.«
»Netter Versuch, aber die hat sie ja wohl eher für Hans-Werner und die Minis gemacht.«
»Okay, die Klöße hat sie vielleicht nicht extra für dich gemacht, aber traurig wäre sie trotzdem, wenn du nicht kommst. Angebot: Du fährst jetzt mit zum Essen, und danach fahren wir bei Jule vorbei und holen sie ab.«
Nach kurzem Überlegen willigte Linda ein: »Aber nur, wenn Jule bei mir schlafen darf!«
Steffi sah ein, dass Linda nach drei Tagen und einer Nacht Zwillingssitten eine Belohnung verdient hatte – die Party vom Freitag zog sie großzügig von der Rechnung ab. »Einverstanden. Aber es muss jetzt schnell gehen. Oma wartet schon!«
Aus den versprochenen zehn Minuten wurden natürlich zwanzig, wenn man es ganz genau nahm sogar dreiundzwanzigeinhalb.