Eugen Onegin - Roman in Versen - 1825–1831

Inhalt

“Pétri de vanité, il avait encore plus de cette espèce d’orgueil, que fait avouer avec la même indifférence les bonnes comme les mauvaises actions, suite d’un sentiment de supériorité, peut-être imaginaire.”

Tiré d’une lettre particulière

Nicht auf die Gunst gestrenger Kenner, Auf warmen Anteil nur bedacht, Sei dir allein, als treuem Gönner, Dies Pfand der Freundschaft dargebracht.

Dir, dessen Geist seit Jugendtagen, Von heil’ger Phantasie belebt

Und von der Dichtkunst Hauch getragen, In lautrem Ernst zur Höhe strebt.

Wohlan denn, laß ihn dir behagen, Den anspruchslosen, bunten Strauß Von oft so trüb’, oft heitren Klängen, Volksweisen, Idealgesängen,

Wie meinem Hirn sie wirr und kraus Bei flücht’gem Musenspiel entsprossen: Aus Träumen ferner Jugendzeit, Dem Unmut bittrer Lebensglossen Und meines Herzens tiefstem Leid!

Fünftes Buch

Inhalt

Träume nie solch bösen Traum,

Holdes Kind, Swetlana!

Shukowski

I

Der Herbst hielt nach dem Fall der Blätter Noch lange stand in diesem Jahr; Es kam und kam kein Winterwetter.

Schnee fiel auch erst im Januar,

Am Dritten nachts. Als in der Frühe Tatjana munter wurde, siehe,

War Hof und Garten weit und breit, Der Zaun, die Dächer tief verschneit, Am Fenster prangten Blumensterne, Die Bäume standen silberschwer, Es schwirrten Elstern froh umher, Und alle Höhen in der Ferne

Bedeckte flimmernd Schnee und Eis.

Ringsum ein einzig blendend Weiß.

II

Winter …! Der Landmann hat im Schlitten Nun wieder herrlich freie Bahn; Sein Rößlein stampft mit kurzen Tritten, Die Nüstern blähend, durch den Plan.

Wie prächtig die Kibitka drüben

Dahinsaust, daß die Flocken stieben; Der Kutscher, der die Zügel führt, Im Pelz, mit rotem Gurt umschnürt.

Ein kleiner Schelm tollt ausgelassen Mit seinem Schlittchen vor der Tür; Der Hofhund spielt den Passagier Und er das Pferdchen, macht Grimassen Und friert und jauchzt, die Wangen rot, Und merkt kaum, wie ihm Mutter droht.

III

Nun wird euch zwar an solchen Bildern Wahrscheinlich nichts gelegen sein: Die schlichte Wirklichkeit zu schildern Gilt für prosaisch, für gemein.

Auch hat mich längst in diesen Stoffen Ein andrer Dichter übertroffen

Und uns, von Poesie verklärt,

Den Sang vom ersten Schnee beschert.

Was er so reich an Winterfreuden, Von Schlittenfahrten singt und sagt, Hat euch gewiß viel mehr behagt.

Drum will ich mich vor ihm bescheiden, Wie auch vor dir, Freund, dessen Lied Für Finnlands schönstes Mädchen glüht.

IV

Tatjana schwärmte (weil sie eben, Zwar unbewußt, ganz Russin war)

Für unser frisches Winterleben,

Den Eisesglanz, die wunderbar

Vom Rauhreif überhauchten Wälder, Die Schlittenfahrt durch weiße Felder, Der Morgenröte Farbenpracht, Das Dunkel der Dreikönigsnacht.

Die war zu Haus seit alten Tagen

Als hocherwünschtes Fest bekannt: Die Mägde kamen dann gerannt,

Um ihren Fräulein wahrzusagen,

Und stets war Geld und, hocherfreut, Ein schmucker Krieger prophezeit.

V

Solch alten, dunklen Volksgebräuchen Galt Tanjas scheue Sympathie:

An Mondeszauber, Wunderzeichen

Und Kartenlegen glaubte sie,

Auch daß die Träume Aufschluß bringen, Daß in den unscheinbarsten Dingen Geheime Vorbedeutung steckt – Und ward von Ahnungen erschreckt.

Sobald der Kater auf dem Herde

Sich schnurrend übers Näschen strich, Dann war’s ein Wink, daß sicherlich Noch heut Besuch erscheinen werde.

Erblickte sie den Silberrand

Des jungen Monds zur linken Hand,

VI

Dann überkam sie leises Bangen.

Wenn sich in dunkler Mitternacht

Sternschnuppen leuchtend niederschwangen, War Tanja stets darauf bedacht, Geschwind den Blick hinaufzulenken Und an den liebsten Wunsch zu denken, Bevor der kurze Glanz verblich.

Kam ihr im Feld gelegentlich

Ein schwarz vermummter Mönch entgegen, Sprang unvermutet aus der Saat

Ein Häschen über ihren Pfad,

Dann schlug ihr Herz mit stärkren Schlägen, Und sorgend eilte sie zurück: Ihr ahnte künft’ges Mißgeschick.

VII

Es war der Reiz des Schauerlichen, Den sie geheimnisvoll empfand:

So schuf uns, reich an Widersprüchen, Natur mit rätselhafter Hand.

Es nahn die heiligen zwölf Nächte; Da werden nun die Schicksalsmächte Vom jungen Völkchen, das noch blüht Und sorglos froh ins Leben sieht, Befragt, was sein für Lose warten, Und selbst das Alter, das gebeugt Sich langsam schon zum Grabe neigt, Legt sich noch einmal still die Karten.

Ob jung, ob alt – der gläub’ge Sinn Gibt sich so gern der Täuschung hin.

VIII

Am Herd wird abends Wachs gegossen: Seltsam sich formend tut es kund, Was in der Zukunft Rat beschlossen; Man fischt auf eines Eimers Grund Nach eingeworfnen Fingerringen, Wobei die Mädchen Lieder singen.

Kaum zieht man Tanjas Ring hervor, Ertönt der alte Sang im Chor:

“Dort hausen eitel reiche Bauern, Die scharren Silber Hauf um Hauf; Und wen es trifft, und dem Glückauf!”

Doch in den dunklen Worten lauern Gefahr und Harm … ein zart Gemüt Verspricht sich mehr vom Kätzchenlied.

IX

Es fror zur Nacht; am klaren Himmel Zog schweigend seine ew’ge Bahn

Das diamantne Sterngewimmel …

Da kommt, ganz leicht nur angetan, Tatjana auf den Hof gegangen,

Den Mond im Spiegel aufzufangen:

Allein es zittert traurig blaß

Nur Lunas Bild im dunklen Glas …

Da horch, es knarren Männerschritte Im harten Schnee – auf Zehen schwebt Sie rasch dahin, ihr Stimmchen bebt Und haucht im Flötenton die Bitte: “Dein Name, schnell!” Der will davon Und glotzt und stottert: “Agathon”.

X

Wie ihr die Amme vorgeschlagen,

Läßt Tanja nachts zur Zauberei

Ins Bad sich leis ein Tischchen tragen, Geheimnisvoll gedeckt für zwei.

So harrt sie … plötzlich graust’s Tatjana – Und beim Gedanken an Swetlana Graust’s mir noch mehr; drum schweig’ ich still, Weil ich von Spuk nichts wissen will.

Nun löst sie Seidengurt und Mieder, Entkleidet sich, steckt mit Bedacht Den kleinen Spiegel für die Nacht Noch unters Pfühl und legt sich nieder …

Kupido naht im Zauberschein –

Rings wird es still. Sie schlummert ein.

XI

Und wundersame Träume schwirren

Durch ihren Geist: sie sieht sich weit Auf schneebedeckten Feldern irren, Umhüllt von tiefer Dunkelheit.

Ein Wildbach kommt mit finstren Wogen Durch Klüfte Schnees herangezogen Und wälzt in ungehemmter Wut Dumpfbrausend seine schwarze Flut.

Ein paar vereiste dünne Stangen

Verbinden sich zu schwankem Steg: Ihr Fuß kann nur auf diesem Weg

Zum andern Ufer hingelangen –

Und drunten tobt des Stroms Gewalt …

Entsetzt und ratlos macht sie halt.

XII

Und schaudernd vor dem tiefen Schlunde Klagt jammernd sie ihr Schicksal an, Und späht verzweifelt in die Runde, Ob ihr nicht Rettung werden kann.

Da plötzlich wird’s im Schnee lebendig: Was kriecht hervor? ein Bär, unbändig, Groß, schwarz und zottig … Sie erbleicht, Schreit auf – er brummt sie an und reicht Ihr seine Tatze mit den Klauen; Und sie in ihrer Angst und Not

Erfaßt die Stütze, die er bot,

Und überschreitet so mit Grauen

Den Abgrund … Wildnis um sie her.

Rasch eilt sie fort, ihr nach der Bär.

XIII

Sie wagt nicht hinter sich zu sehen, Beflügelt ihren bangen Schritt:

Umsonst, sie kann ihm nicht entgehen, Der rauhe Diener trottet mit,

Der Bär bleibt schnaufend ihr zur Seite; Ein Wald erhebt sich; düstre, breite, Turmhohe Fichten, Ast um Ast Herabgebeugt von weißer Last;

Gewirr von Espen, Birken, Linden; Durch kahle Wipfel blinkt die Pracht Des Sternenheers der Winternacht; Und nirgendwo ein Weg zu finden – Gebüsch und Grund, wohin sie späht, Sind rings vom Schneesturm zugeweht.

XIV

Sie läuft hinein – gefolgt vom Bären.

Im tiefen Schnee versinkt ihr Knie; Des Dickichts dunkle Massen wehren Der Flucht; Geäst verwundet sie, Zerrt ihr die Ringe von den Ohren; Ein Schuh bleibt stecken, geht verloren, Die armen Füßchen tun ihr weh; Jetzt fällt der Mantel in den Schnee, Fort, fort! Allein sie fühlt mit Beben: Der Bär verfolgt sie immer noch!

Sie strauchelt schon, und schämt sich doch, Den Saum des Kleides aufzuheben.

So rennt sie, hinter ihr das Tier …

Die letzten Kräfte schwinden ihr –

XV

Sie stürzt. Der Riese hebt die Bange Behutsam auf und trägt sie fort;

Sie fügt sich willenlos dem Zwange, Ihr Atem stockt … An düstrem Ort, In schaurig öder Waldesmitte Steht einsam eine morsche Hütte,

Bis an den Giebel eingeschneit;

Schwach flimmert durch die Dunkelheit Ein dünner Lichtstrahl; wüstes Lärmen Und schrilles Kreischen tobt durchs Haus.

Der Zottel brummt: “Hier ruh dich aus, Komm, mein Gevatter wird dich wärmen!”

Er trägt sie rasch zum Flur hinein Und setzt sie ab. Sie ist allein.

XVI

Verängstet schaut sie auf, will fragen: Der Bär ist fort! Ihr wird so bang …

Und drinnen schallt, wie bei Gelagen, Getös und lauter Becherklang.

Was geht hier vor? Sie schleicht zur Schwelle, Lugt durch den Türspalt in die Helle – O Graus! Ein widerlich Gemisch Von Ungeheuern zecht am Tisch:

Ein Hexenweib mit bärt’ger Lippe, Ein krummgehörnter Hundekopf,

Ein dürrer Hahn mit rotem Schopf, Ein süßlich grinsendes Gerippe,

Dort ein geschwänzter Zwerg, und hier Ein langgeschnäbelt Katertier.

XVII

Es kommt noch toller: rittlings gaukelt Ein Krebs auf ekler Spinnenbrut, Auf langem Gänsehalse schaukelt

Ein Totenkopf mit rotem Hut;

Dazwischen klappert eine Mühle

Im Wirbeltanz um Tisch und Stühle – Das heult und lacht und kräht und bellt Und trampelt, daß die Stube gellt!

Doch welch Entsetzen faßt die Arme: In diesem Pfuhl von Scheußlichkeit Erkennt sie – ach, ihr Glück und Leid, Ihn, ihn, Eugen! Im Höllenschwarme Sitzt er leibhaftig mittendrin Und blinzelt nach der Türe hin.

XVIII

Sein Blick macht jedes Haupt sich neigen, Er hebt den Becher – alles trinkt, Er schaut verdrossen – alle schweigen, Er lacht – und alles johlt und springt.

Er kommandiert hier, ohne Frage.

Nun schreckt Tatjana dies Gelage

Nicht mehr so arg, die Wißbegier

Verleitet sie, sie klinkt die Tür – Da faucht ein Windstoß durchs Gemäuer, Die Lichter löschen sämtlich aus, Ein toller Wirrwarr tobt im Haus, Onegins Augen glühn wie Feuer, Jäh springt er von der Tafel auf

Und stürmt zur Tür – ihm nach der Hauf’.

XIX

Vor Schrecken will die arme Seele Entfliehn – umsonst! Um Hilfe flehn – Auch das vergebens! – in der Kehle Erstickt der Schrei: schon reißt Eugen Die Tür weit auf – vor aller Blicken, Vor dieser Brut voll Teufelstücken Steht Tanja wehrlos! Laut ertönt Gelächter, alles geifert, höhnt,

Und Hörner, Krallen, Rüssel, Schöpfe, Geschwänztes Pack und Bocksgesicht, Gewürm, Geschmeiß und Nachtgezücht, Blutrote Lefzen, Totenköpfe, Sie dringen wütend auf sie ein

Und kreischen gierig: “Mein, mein, mein!”

XX

“Mein!” ruft Eugen mit Zornesfunkeln.

Im Nu zerstiebt der grause Schwarm.

Sie steht mit ihm allein im Dunkeln …

Er führt sie rücksichtsvoll am Arm Zu einer Bank – dort sinkt sie nieder; Noch zittern ihr vor Angst die Glieder.

Sie fühlt nur, wie er still versöhnt Das Haupt an ihre Schulter lehnt.

Da blitzt ein Strahl – und sieh: verwegen Tritt Lenski ein an Olgas Hand …

Eugen springt auf, reckt wutentbrannt Den Lauschern seine Faust entgegen Und weist sie fluchend aus der Tür; Tatjana wankt, es schwindelt ihr.

XXI

Der Streit wird ärger; Messer blinken – Eugen sticht zu – und grauenvoll Durchbohrt fällt Lenski … Schatten sinken, Nacht wird’s umher; ein Schrei erscholl So gellend, daß die Hütte krachte – Und Tanja schreckensbleich erwachte …

Verwundert schaut sie: helles Licht – Durch frostbehauchte Scheiben bricht Des frühen Morgens goldner Schimmer.

Die Tür geht auf: in ros’gem Duft, Gleich einem Schwälbchen aus der Luft Fliegt Olga frisch und froh ins Zimmer: “Nun, Schwesterherz, verrate mir, Von welchem Freier träumte dir?”

XXII

Doch die läßt sich im Bett nicht stören, Bemerkt kaum ihren Frühbesuch

Und blättert, ohne hinzuhören,

Gedankenvoll in einem Buch.

Obschon dies freilich weder Sprüche Der Lebenskunst noch bunte Stiche Noch Poesie zu bergen schien – So stand doch weder Scott, Racine Noch Byron ihrem Herzen näher, Kein neustes Modenblatt sogar

Bot jemals stärkre Reize dar

Als dies Geheimbuch vom “Chaldäer”, Martin Sadeka, jenem Mann, Der alle Träume deuten kann.

XXIII

Ihr hatte diesen Schatz vor Jahren Ein Wandertrödler zugeführt

Und ihn als Perle seiner Waren,

Nachdem er lang erst lamentiert,

Doch endlich nebst “Malwinens Leben”

Um vierthalb Rubel hergegeben,

Entschädigt durch den dritten Band Von Marmontel, verschiednen Tand, Zwei stark vergilbte Petriaden Und ein zerfetztes Diktionär.

Martin Sadeka blieb seither

Ihr Trost und Freund auf allen Pfaden Und mußte selbst im Kämmerlein

Nachtsüber immer bei ihr sein.

XXIV

Nun macht der Traum ihr Angst und Sorgen.

Sie möchte gern den Sinn verstehn, Das Grause, das in ihm verborgen, Durch ihren Freund gedeutet sehn.

Zwar all die Schrecken, die sie plagen, Sind im Register eingetragen:

Bär, Brücke, Dickicht, Hexe, Mord, Nacht, Schädel, Schneesturm und so fort.

Doch ach, der Rätsel schwere Fülle, Martin Sadeka löst sie nicht,

Das drohend wirre Traumgesicht

Blieb nach wie vor in dunkler Hülle, So daß die Ärmste bang und trüb

Noch tagelang in Sorge blieb.

XXV

Doch sieh, schon führt mit Purpurhänden Aurora, vor der Sonne Lauf

Vorangeeilt, aus Traumgeländen

Den heitren Namenstag herauf.

Von früh an herrscht Tumult und Wesen In Larins Haus; in Kutschen, Chaisen Und Schlitten traf mit groß und klein Der Nachbarn ganze Sippschaft ein.

Im Vorhaus prallt die Flut zusammen; Man zwängt sie durch den Korridor, Grüßt, küßt, umarmt sich, stellt sich vor; Dazwischen Lärm, Gekreisch von Ammen, Getrampel, Lachen rauh und hell, Babygeplärr und Mopsgebell.

XXVI

Nebst Gattin, an Gewicht nicht minder, Erschien der Dickwanst Pustjakow; Gwosdin, ein reicher Bauernschinder, Der geckenhafte Petuschkow, Provinzadonis ohnegleichen;

Skotinins, dürre Vogelscheuchen,

Nebst ihrer starken Kinderschar

Von anderthalb bis dreißig Jahr;

Sodann mein Bruderherz Bujanow,

In Flaus und Mütze, seinem Staat

(Wie ihr gewiß ihn oft schon saht), Und Staatsrat außer Diensten Flianow, Als Plappermaul, geschmierte Hand Und blöder Vielfraß wohlbekannt.

XXVII

Dann Jungfrau Charlikow, im Schutze Der Eltern, nebst Monsieur Triquet, Dem Franzmann, der in eitlem Putze Und Brille kam und ein Couplet Nervös in seiner Tasche rollte,

Das er Tatjanen widmen wollte

Nach altbekannter Melodie:

Reveillez-vous, belle endormie.

Es stand mit andern schönen Dingen In einem staub’gen Almanach,

Und mein Triquet, Poet von Fach,

Beschloß es neu ans Licht zu bringen, Nachdem er geistreich belle Nina Vertauscht mit belle Tatiana.

XXVIII

Zum Schluß erschien als treuer Ritter Des ältern Flors vom Jungfernstand Und letzte Hoffnung aller Mütter Der Hauptmann mit dem Ordensband …

Nebst einer Botschaft, froh vernommen: Die Regimentsmusik wird kommen!

Herr Oberst selbst versprach sie heut.

Ein Ball – o welche Seligkeit!

Die junge Welt springt hoch vor Wonne.

Nun geht’s zur Tafel. Paar um Paar Stolziert heran, die Damenschar

Zieht rechts zu Tanja, die Kolonne Der Herrn zur Linken; jeder schlägt Ein Kreuz und setzt sich froh bewegt.

XXIX

Wie auf Befehl verstummt das Plappern: Die Gaumen sind in Tätigkeit;

Rings hört man nichts wie Tellerklappern Und Gläserklang. Nur kurze Zeit, Denn bald schon fühlt man sich vertrauter, Plauscht, trinkt sich zu, wird laut und lauter, Lacht, disputiert und schreit und kräht, Bis keiner mehr sein Wort versteht.

Auf einmal öffnet sich die Pforte: Eugen und Lenski treten ein.

Frau Larin ruft: “Herrje, wie fein, Na endlich doch!” Begrüßungsworte, Man stellt sich vor, rückt ab, hantiert, Und beide werden rasch placiert –

XXX

Tatjanen grade gegenüber;

Die, unverhofft und jäh bedrängt, Erbleichend, wie im kalten Fieber, Die Blicke stumm zu Boden senkt.

Ihr Herzchen pocht mit lautem Schlage, Das qualvoll Bittre ihrer Lage

Betäubt sie wie ein wirrer Traum; Der Freunde Glückwunsch hört sie kaum, Ist einer Ohnmacht nahe, sammelt Die letzte Kraft, ihr Atem fliegt – Allein die Selbstbeherrschung siegt, Sie kämpft die Tränen nieder, stammelt Ein Dankeswort mit mattem Blick Und sinkt auf ihren Stuhl zurück.

XXXI

Tragisch-nervösen Ohnmachtsszenen War unser Held von jeher gram,

Nichts war ihm mehr verhaßt als Tränen.

Schon dies verwünschte Fest benahm Ihm alle Laune; augenscheinlich

Trug Lenski Schuld. Auch ihm war’s peinlich Mit anzusehn, wie jammervoll Tatjana litt. Sein Unmut schwoll, Und er beschloß mit Ärgermiene

Am heut’gen Abend nicht zu ruhn

Und Lenski einen Tort zu tun.

Einstweilen, bis zur bald’gen Sühne, Bot ihm der Gäste bunte Schar

Objekte stiller Spottlust dar.

XXXII

Zwar hatte mancher bei der Fete

Den Fall bemerkt: doch eben kam,

Allseits begrüßt, die Fleischpastete, Die Aug’ und Mund in Anspruch nahm (Nur leider stark versalzen schmeckte); Auch ging, was lauten Jubel weckte, Jetzt zwischen Braten und Dessert Champagnerwein (vom Don) umher, In Gläsern, schlank wie deine Glieder, Sisi, du Herzensideal,

Du meiner Seele Lust und Qual,

Entzücken meiner jungen Lieder,

Du Liebeskelch, kristallenklar,

Davon ich selig trunken war!

XXXIII

Mit lautem Knall entströmt der Flasche Das schäumend edle Naß. Jetzt zieht Triquet sein Opus aus der Tasche, Da er schon längst vor Eifer glüht, In Tönen seine Kunst zu zeigen.

Rings herrscht erwartungsvolles Schweigen.

Tatjana bebt: Monsieur Triquet

Steht auf, entrollt sein Festcouplet Und singt und detoniert empfindlich.

Applaus; sie dankt, so gut sie kann.

Und er, der anspruchslose Mann

Und große Dichter, bringt verbindlich Ihr Wohl aus, lächelt angenehm

Und überreicht ihr sein Poem.

XXXIV

Bravo! und neues Applaudieren!

Sie dankt verwirrt und rot vor Scham.

Als nun jedoch beim Gratulieren

Auch Eugen an die Reihe kam

Und er die schmerzlich offenbarte Hilflose, stumme Pein gewahrte,

Empfand er Mitleid, trat zurück,

Verbeugte sich und schwieg. Sein Blick Schien seltsam weich und zart verbunden.

War dies nun wirklich Sympathie,

Wohlwollen oder Ironie,

Geheuchelt oder rein empfunden –

Gleichviel, es hatte unbemerkt

Tatjanens Seele neu gestärkt.

XXXV

Das Mahl ist aus; Rumor, Gedränge: Gleich Bienen, die im Sonnenschein Zur Wiese schwärmen, strömt die Menge Geräuschvoll zum Salon hinein.

Die biedren, vollgeschmausten Dicken Beginnen friedlich einzunicken,

Derweil die Damen zum Kamin,

Die Mädchen nach den Winkeln ziehn Und plauschen. Für die Spielerseelen Stehn grüne Tische rings bereit, Zum Lomber, das die Alten freut,

Zum Boston, das die Kenner wählen, Und Whist – drei Spiele, deren Ruf Habgier und Langeweile schuf.

XXXVI

Acht Robber waren schon gewonnen, Und achtmal hatten schon die Herrn Den Platz getauscht und neu begonnen; Da kam der Tee. Ich teile gern Den Tag in Frühstück, Mittagessen Und Abendbrot; die Zeit zu messen, Belehrt uns auf dem Land Natur: Der Magen ist die beste Uhr.

Auch merk’ ich selber (doch ich bringe Dies nur in Klammern hinterdrein), Daß ich genau so oft von Wein Und reichen Tafelrunden singe

Wie du, Homeros, den die Welt

Seit drei Jahrtausend’ heilighält.

XXXVII/XXXVIII/XXXIX

Kaum also hielten unsre Damen