ISBN: 978-3-95428-621-8
1. Auflage 2016
© 2016 Wellhöfer Verlag, Mannheim
info@wellhoefer-verlag.de
www.wellhoefer-verlag.de
Titelgestaltung: Uwe Schnieders, Fa. Pixelhall, Mühlhausen
Die Insel und der Ort Langeoog sind real, einige der Schauplätze ebenfalls. Die Geschichte in diesem Buch, manche Örtlichkeiten, sowie sämtliche Personen sind hingegen frei erfunden und jegliche Ähnlichkeit mit Lebenden oder Toten ist rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
Für meine Familie in Erinnerung an die vielen wunderschönen, gemeinsam verbrachten Tage auf Langeoog
Nanni Peters, eigentlich Anna-Marie, Kommissarin
Hendrik Schwanheusser, Nannis Bräutigam
Lasse Johannsen, ein Insel-Polizist
Caspar Otten, zweiter Insel-Polizist
Matti, Caspars Sohn
Fokke Lücken, Nannis Vorgesetzter bei der PI
Lenn Zacharias, Lückens Stellvertreter
Alexander und Ernestine (Stine) Peters, Nannis Eltern
Gregor Peters, Nannis Bruder
Lisa-Sophie und Emma-Julie, Nannis Schwestern
Friedemann Peters, Nannis Onkel, Pastor
Cari Freifrau von Sternenburg, Nannis verstorbene Großmutter
Kiki (Kirsten) de Winter, Bürgermeisterin
Johann de Winter, Kikis Mann,
Hotelier Jasper und Jonas, Kinder der de Winters
Maart de Winter, de Winters Sohn aus 1. Ehe
Gretje de Winter, Maarts Mutter
Claudius Cassens, Kikis Vater, ehem. Schulrektor
Birke Kramer, Pastorin
Stephan Kramer, Birkes Mann, Inselpastor
Lulu, Lea und Linus, die Kinder der Kramers
Jule Vossen, Goldschmiedin
Nienke, Jules Tochter
Tjark Vossen, Jules Bruder
Dr. Tammo Tütjen, Inselarzt
Eske Gerdes-Janssen, Fischhändlerin, Inseltratsche
Adrian Hettich, Bauunternehmer
Svea Michels, de Winters Geliebte
Keno Wilken, Rechtsmediziner
Nur leise hört Nanni das Klopfen an der Tür bis in ihr Kleinhirn durchdringen.
»Aufschtehe, Nanni! Los! D’ Sonne schteht seit Schtunde am Himmel.«
Nanni stöhnt laut auf. Gefühlt bestenfalls, denkt sie verschlafen und sieht auf die Uhr über der Tür. Viertel nach acht. Das ist typisch für ihren Hendrik, den Naturburschen und Frühaufsteher. Sie schließt genüsslich die walnussfarbenen Augen, wälzt sich zur anderen Seite und fragt sich den Bruchteil einer Sekunde (was sie seit seinem Antrag circa zehn Mal täglich tut), ob Hendrik wirklich die richtige Wahl ist. Der fürs Leben, wie Großmama Cari immer sagt. Als Nächstes würde er sie Peterle nennen. Dann, die Steigerung, Petersilienkraut. Und die Krönung war schließlich Schlafkraut. Schwarze Bilsenfrau ... Nanni horcht angestrengt zur Tür.
»Peterle ...«
»Schon gut, ich komme«, krächzt sie aus den Tiefen ihres Kopfkissens mit dem hellblau-weiß gestreiften Frotteebezug und macht dann die Augen träge wieder auf. Ihr Blick schweift über den Tapetenfries, der auf nostalgische Weise spielende Kinder am Strand zeigt und sich von einer Zimmerecke zur nächsten spannt. Langeoog! Schlagartig ist Nanni hellwach, jetzt wo sie wieder weiß, wo sie sich befindet. Auf der Insel! Im Haus der Eltern am Melkerpad! Sie ist in dem sonnendurchfluteten Mädchenzimmer, in dem Zimmer, welches sie als Schulkind fast jeden Ferientag mit ihren Schwestern geteilt hatte! Hendrik hingegen genießt nebenan den Luxus von Gregors Einbettzimmer. Nannis Bruder ist nämlich der einzige Junge in der Familie geblieben. Eilig rappelt sich Nanni auf. Hendrik hat so recht, grinst sie, die Insel ruft! Nanni widersteht dem Versuch, ihre schulterlangen Haare vor dem Spiegel rechts neben der Tür ausgiebig zu bürsten. So wie früher allabendlich vor dem Duschen, wenn sie, Lisa-Sophie und Emma-Julie verschwitzt, staubig und mit Stroh in den Haaren vom Ponyhof zurückgekehrt waren. Sogar die rote Bürste, eigentlich ein alter Pferdestriegel, der griffbereit auf der Ablage vor dem Spiegel liegt, ist noch der alte, blitzblank geputzt. Nanni fährt sich mit den Fingern durch ihre blonde, verwuschelte Pracht. Das muss reichen. Dann greift sie nach ihrem abgewetzten Troyer (sie ist nach dem Aufwachen immer recht kälteempfindlich und dieser alte Seemannspulli fungiert sozusagen als ihr Morgenmantel) und zieht ihn sich über den rosa-weiß karierten Schlafanzug. Der ist ein bisschen eng, aber er lag eben noch in einer hinteren Ecke des Schrankes. Ein Geschenk von Großmama zu ihrem fünfzehnten Geburtstag, erinnert sich Nanni und blinzelt schnell die eine Träne weg, die sich in der schmerzlichen Erinnerung an Großmamas Beerdigung im letzten Sommer hier auf der Insel den Weg über ihre Wange suchen möchte.
»Du freust dich darüber, Großmama, dass ich hier heiraten werde, stimmt’s?«, murmelt Nanni und nimmt gleichzeitig auf dem schmalen Flur den Kaffeeduft auf, der sie direkt in die Küche weist. Hendrik sitzt in Jogginghose und schwarzem Polohemd mit einem Aufdruck des FC Freiburg am weißen Küchentisch und schlürft seinen Milchkaffee – ein leise schmatzendes Geräusch, welches Nanni einen wohligen Schauer beschert. Genauso trinkt Paps seinen Kaffee, erinnert sie sich, und der sitzt auch immer genau so da in dem dunkelblauen Korbsessel, die Beine übereinander liegend, eine Hand auf Viktors Pudelrücken, und die aktuelle Tageszeitung liegt aufgeschlagen vor ihm.
»Schlafmützle«, grinst Hendrik, »aber a bildhübsches Schlafmützle.«
Nanni bekommt zwischen zwei Schlucken von ihm einen feuchten Kuss auf die rechte Wange gedrückt, von Viktor hingegen die Hand mit der feuchten Zunge geleckt. Weit, ganz weit weg ist die Polizeiinspektion, in der Nanni Peters bei der Kripo als Ermittlerin arbeitet. Weg der Alltagsstress, weg die Aktenberge, die sich auf ihrem Büroschreibtisch anhäufen, weg die manchmal nervigen und dauerüberarbeiteten Kollegen. Genießerisch atmet sie die unverpestete Nordseeluft, die durch die offene Verandatür in die Küche strömt, durch beide Nasenflügel tief ein. Hendrik hingegen zieht sie auf seine polyesterglänzenden, schwarzen Hosenbeine und reicht ihr dann einen Becher, gefüllt mit schwarzem Kaffee. Nanni nimmt einen Schluck. Er ist ungezuckert. Genauso, wie sie ihn liebt! Ihr Verlobter indes vergräbt sein unrasiertes Kinn in ihren Haaren, als Nanni selig ihren Blick zum Fenster hinaus über die blühenden Heckenrosen schweifen lässt. Zu schön ist es hier, denkt sie, hier auf der Insel will ich leben. Eines Tages. Mit Hendrik. Und Viktor. Und einem Haus voller Kinder, ihren Eltern und Geschwistern. Und allen engen Freunden. Am liebsten in Großmama Caris Domizil mit den friesisch blauen Fensterläden mitten in den Kaapdünen. Aber das ist zu riesig – und zu teuer.
»Du riechsch so gut«, murmelt Hendrik in ihren Hals, »fast so wie die kleine Kätzle rieche, wenn ...«
»Nach Kuhstall?«, fragt Nanni entsetzt. Hendrik sieht auf.
»Lass mich doch einmal ausrede, Nanni. Ich mein’, wenn se drauße auf ere Wiese in der Sonne getollt habe.«
Nanni ist beruhigt und genießt die zart knabbernden Küsse, die sie auf ihrem Nacken spürt. Hendrik Nathanel Schwanheusser, ja, doch, der fürs Leben, urteilt Nanni zufrieden. Mit seinen schwarzen, kinnlangen Locken, den eisblauen Augen und den geraden Zähnen, ist er wirklich innerlich wie äußerlich und nur von winzigen Kleinigkeiten abgesehen, der Mann ihrer Träume und genauso, wie sie sich als kleines Mädchen ihren späteren Ehemann vorgestellt hat. Hendrik ist Assistenzarzt an einem großen Klinikum, Sternzeichen Fisch, Snowboarder, Bergwanderer, großer Bücher- und Theaterfreund und begnadeter Klavierspieler, was sie sich alles zunächst kaum vorstellen wollte, schließlich ist das für einen badischen Bauernbub doch recht ungewöhnlich. Doch er überzeugte sie mit Wissen und Können, seinem heiteren und soliden Gemüt, und, ganz wichtig, seiner Stellung in der Familie als Ältester von drei Brüdern. Laut Mamas Definition hat nämlich die Geschwisterkonstellation, in der man aufwächst, einen ziemlich gewichtigen Einfluss darauf, wie man sich später in einer Partnerschaft gibt. In einem Buch, das sie Nanni mal zu lesen gegeben hat, steht, dass Hendrik demnach ihr Idealpartner ist. Ältester Bruder von Brüdern ist er, und sie, Anna-Marie Lavinia Eleonore Constance Auguste Luise Peters, von fast der gesamten Welt, weiß der Himmel weshalb, nur Nanni genannt, ist das Nesthäkchen der Familie! Perfekt!
Ein aprikosengelber Sonnenstrahl verfängt sich in Hendriks Locken. Nanni würde nun, da sie ja angeblich eh so roch, auch am liebsten schnurren wie eines der besagten Hofkätzchen bei Hendrik daheim, einem Einödhof im tiefsten Südschwarzwald. Doch stattdessen lauscht sie dem Glockenschlag der Inselkirche. Nun dauert es nicht mehr lange, dann wird sie dort am Altar stehen. Mit Hendrik. Sie sieht auf einmal ihr aus elfenbeinfarbener Seide und Spitze gearbeitetes Hochzeitskleid, das Mama nächste Woche mitbringen würde, vor ihrem geistigen Auge erstehen. Sie malt sich, von Hendriks Zärtlichkeiten wie mit Musik untermalt, ihre bevorstehende Hochzeitsnacht aus und verfolgt gleichzeitig freudig erregt den Weg, den seine Lippen auf ihrem Seemannspulli nehmen. Sie haben sich nun schon bis zu ihren Brüsten hinabgearbeitet. Alles gestattet sie ihm, alles, bis auf das Eine. Aber auf das muss er jetzt auch nur noch wenige Tage warten. Ein Jahr, sieben Monate, eine Woche und drei Tage, rechnet Nanni rasch nach, kennen sie sich und solange geduldet sich Hendrik schon, sie endlich in sein Bett tragen zu dürfen. Allein das macht ihn in ihren Augen zum Helden des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Welcher Typ ist denn heutzutage bitteschön noch bereit, bis zur Hochzeitsnacht zu warten? Ein Mann, der warten kann, pflegt Mama jedoch gern zu sagen, ist ein Genießer, ein Genießer ist ein guter Liebhaber, ein guter Liebhaber meist auch ein guter Ehemann und ein guter Ehemann ist neben einer profunden Berufsausbildung das Wertvollste, auf das eine Frau jemals bauen kann. Besser, sagt sie, als Reichtum, Geschmeide oder ein großes Haus, und im Idealfall ist das alles dennoch im Geschenk inbegriffen. Ernestine, in der Familie Stine gerufen, Peters muss es wissen. Sie ist schließlich seit vielen Jahren mit Nannis Vater verheiratet.
»Komm, Peterle«, nuschelt Hendrik in Nannis Gedanken hinein und bewegt dabei leicht seine Oberschenkel hin und her, »lass uns jogge gehe, sonscht garantier ich für nix mehr.«
Nanni rappelt sich ungern auf. Es ist nicht immer einfach, einmal beschlossene Dinge rückgängig zu machen. Aber in dem Fall würde sie nun nicht kurz vor dem Ziel aufgeben. Nanni, die seit dem letzten Sonntag fünfundzwanzig Lenze zählt, hatte bereits mit zwölf Jahren beschlossen, der Familientradition mütterlicherseits zu folgen und, gefeit gegen jegliche Strömungen der Neuzeit, das feierliche Gelübde abgelegt, jungfräulich in den Stand der Ehe zu treten. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Es hat bei allen in der Familie bislang funktioniert, erklärt sie jedem, der ihr mit ihrem pubertären Entschluss von damals vorsintflutliches Denken anzudichten versucht – bei Großmama, bei Mama und bislang auch bei Emma, der mittleren der drei Petersschwestern und seit einem Jahr unter der Haube. Und man sieht ja, was anderenfalls passieren konnte. Ihre älteste Schwester Lisa hatte sich seinerzeit anders entschieden. Und nun sitzt sie, mit kaum zweijährigen Zwillingen am Hals und noch nicht mal dreißig, taufrisch geschieden in dem Reihenendhaus am Rand der Stadt, welches sie, bevor sie in froher Erwartung heiratete, bereits fünf Jahre lang als Lebensabschnittsgefährtin mit ihrem Exmann geteilt hatte.
»Ich zieh mir eben die Sportsachen über«, murmelt Nanni, noch immer von Hendriks Küssen entzückt und sucht schnell das Weite, bevor, wie Hendrik meint, er für nichts mehr garantieren kann und es ihr irgendwann wie Lisa ergeht. So will Nanni keinesfalls enden.
Einige wenige Wölkchen wirken wie auf den veilchenblauen Himmel aufgetupft, denkt Nanni, und rennt dabei die Hafenstraße entlang, bis hin zu dem Abzweig zum Wäldchen. Die Luft ist samten weich und verspricht einen schönen Tag. Hend-rik läuft neben ihr, kleine Rinnsale von Schweiß fließen an seinen dunkel schattierten Wangen hinab. Nanni selbst schwitzt kaum. Sie hat ihre lockigen Haare mit einem Gummiband am Hinterkopf zu einem Zopf zusammengebunden. Zudem hat sie sich für ultrakurze, knallrote Shorts und ein weißes, ärmelloses T-Shirt entschieden. Die frische Morgenluft wirkt wie ein Kühlkissen an ihren Armen und Beinen. Zudem joggt sie grundsätzlich in luftig leichten Wildledermokassins – aus Überzeugung und zum Entsetzen jedes Turnschuhverkäufers im Umkreis von wenigstens fünfhundert Kilometern. Die Indianer trugen auch keine Schuhe mit Gel-Dämpfung, flexiblen Extrasohlen zur Stärkung der Fuß- und Wadenmuskulatur oder für orthopädisch ausgewogene Druckverteilung, sagt sie sich, das ist in ihren Augen alles Blödsinn.
»Hier entlang«, keucht Nanni und lenkt ihre federnden Schritte auf den kleinen feuchten Weg, der sie mittig durch das Inselwäldchen führen soll. Viktor, die sandfarbene Königspudeldame, folgt ihr mit elegant tippelnden Schritten. Eigentlich müsste sie ja Viktoria heißen, aber man muss manchen Konventionen eben auch mal die Stirn bieten, hat Nanni seinerzeit entschieden, sonst werden sie allzu schnell unzerstörbar wie Beton. Also heißt das Pudelmädchen, das eine Fehlfarbe vorzeigt (was sie unschlagbar günstig gemacht hat), seit dem Tag, als sie es vom Züchter abholte, Viktor, und keine Seele stört sich mehr daran, und Viktor selbst, da war sich Nanni ganz sicher, stört es gewiss am allerwenigsten, ob sie nun so oder so gerufen wird. Viktor, das blau-orange-weiß geblümte Oilily-Baumwolltüchlein um den wolligen Hals geknotet, sieht aber auch allzu fein aus für die Insel, überlegt Nanni und empfindet Stolz auf das Tier. Sie war vor wenigen Tagen noch mit ihr im Hundesalon gewesen, um der durchaus gelegentlich eitel erscheinenden Hundedame den adäquaten Sommerputz, wie Hendrik das nennt, verpassen zu lassen: Püschelbeinchen und Püschelschwanz, den Rumpf raspelkurz geschoren. Im Fachjargon heißt das Löwenschur mit Pompons. Ein hellblaues Satinschleifchen – passend zum Halstuch – ziert Viktors gelockte Pudelstirn und hält zudem die überlangen Fellfransen aus ihren bernsteinfarbenen Augen.
Der Waldweg ist an manchen Stellen ein wenig glitschig und Nanni hat Mühe, mit ihren weit ausholenden Schritten nicht genau in eine Pfütze zu treten. Offensichtlich hat es nachts hier noch heftig geregnet.
»Es isch einfach unfair, dass deine Bein’ genau so lang sin wie meine«, schimpft Hendrik zwei Meter hinter ihr, »du bisch viel leichter und damit schneller und behänder.«
In der Tat bin ich das, überlegt Nanni und findet es keineswegs ungerecht, selbst wenn man bedenkt, dass er mit seinen eins achtundachtzig zehn Zentimeter größer ist als sie. Das heißt, dass ihre Beine im Verhältnis zum Oberkörper extrem lang sind. Sie reden da, um ganz genau zu sein, von einhundertacht Zentimetern. Seine hingegen sind eher kurz. Das wiederum heißt, dass ihr Restkörper siebzig Zentimeter misst. Bei Hendrik sind das ... Nanni überschlägt, doch Kopfrechnen gehört nicht zu ihren größten Talenten, also lässt sie es sein und sieht stattdessen einem Trupp Radfahrer hinterher, der sie gerade überholt. Dann denkt sie über ihr neu kreiertes Salbeiseifenrezept nach. Ihr großes Hobby ist Selbermachen. Vom Joghurt bis zum Deo. Nanni ist davon völlig infiziert, doch am allerliebsten frönt sie der Kosmetik- und Seifenrührerei. Die Familie war begeistert, als sie letztens alle mit frisch duftender Salbeiseife beglückte. Emma und Lisa hatten jeweils gleich zwei Stück davon bei ihr bestellt und Mama orderte für die Praxis ein ganzes Dutzend. An die Bestellung würde sie sich, entscheidet Nanni, am besten gleich heute Abend machen. In Gedanken geht sie die Ingredienzien durch, die Fette hat sie bereits eingekauft, dazu pflanzliche Öle, gute Aromaöle und destilliertes Wasser besorgt und genau eine Handvoll frischer Salbeiblätter aus ihrem Gärtchen geerntet. Sie kann den Duft der Seife durch die Luft, welche ein wenig nach Waldboden mit Meersalz gemischt riecht, schon ahnen!
Als sie fast an der Störtebekerstraße angelangt sind, rennt Viktor in den Wald hinein. Nichts Ungewöhnliches, doch Nanni hat heute keine Lust hinterherzulaufen. Vielmehr will sie Hendrik nachher durch den Ort führen und ihm alles zeigen, was ihr wichtig erscheint. Sie will ihn ein wenig in ihre Kindheit mitnehmen, später mit ihm zum Ponyhof rausradeln und nachsehen, ob Fynn, Caprice, Pirat, Caruso und Fleur und all die anderen Haflinger noch da sind. Sie will nach der Friesenstute Rosalie, den vielen Shettys und überhaupt nach all den anderen Pferden schauen, die sie und ihre Schwestern mit vielen weiteren pferdebegeisterten Mädels früher schon morgens um sechs von der Weide holten, striegelten, fütterten und tränkten, bevor die Tiere, bereit für den Ponyalltag, mit kleinen und großen Kindern über die Insel traben mussten. Nanni will mit Hendrik auch – neben all den Dingen, die es zu erledigen gilt – einen starken Ostfriesentee mit Kluntjes im traditionsreichen Café auf der Barkhausenstraße schlürfen, einen Strandspaziergang machen und sich danach im Turbogang in die Wellen stürzen, auf die Suche nach Bernsteinklumpen und schönen Muscheln machen und später einkehren und die berühmte Langeooger Krabbensuppe löffeln. Das Geheimnis, so hat Mama mal vor Jahren einer Angestellten vom Fischkopp entlocken können, ist der Kognak darin – in Verbindung mit frisch aufgeschlagener Sahne. Ein ordentlicher Löffel voll von beidem adelt das Süppchen in höchstem Maße! Und seitdem sie das alle wissen, gehört die Suppe zum Standardrepertoire im Peterschen Haushalt. Sie muss aber Hendrik unbedingt die Originalsuppe vorsetzen – der Arme wusste, bevor er sie kennenlernte, ja noch nicht mal den Unterschied zwischen Krabben und Langusten, geschweige denn den zwischen Krebsen und Hummer! Genau genommen wusste er zu jenem Zeitpunkt nicht mal, wo Langeoog war. Hendrik Nathanel Schwanheusser war zuvor nicht bis über die Weißwurstgrenze hinaus in den Norden vorgedrungen und stattdessen vornehmlich in südlichen Gefilden unterwegs gewesen. Nannis Liebe zum Norden hat das gründlich geändert, er hat sich als nordseetauglich erwiesen und in kürzester Zeit zum allergrößten Inselfan entwickelt. An einem Tag, überlegt Nanni weiter, könnten sie also am Deich entlang zum Pirolatal radeln, am besten mit Picknickkorb. Oder einfach im Strandkorb liegen und schmökern. Er kann zudem surfen lernen oder dem allerneuesten Langeooger Trend folgen und Schlagball spielen. Nanni umgekehrt freut sich am meisten auf die Abende: In der Disse am Hauptstrand die Nacht durchtanzen und irgendwann an einem Dienstagabend dem traditionellen Dünensingen lauschen. Viktor bleibt verschwunden.
»Viktor, komm hierher, wir wollen weiter!«, ruft Nanni ungehalten in den Wald hinein und joggt einen Moment auf der Stelle.
»Vik! Hierher! Verdammt! Wo steckst du?«
Nannis Rufe verhallen im munteren Morgengezwitscher der Vögel. Nichts rührt sich. Nanni kramt ärgerlich ihre Hundeerziehungstrillerpfeife aus der Tasche ihrer Shorts und pustet hinein. Ein schriller Laut zerschneidet kurz die pittoreske Idylle des Wäldchens. Vergebens.
»Luder«, knurrt Nanni und sucht den Weg durch das dichte Gehölz, Hendrik ihr dicht auf den Fersen, »die hat mit Sicherheit einen Goldfasan am Wickel. Davon gibt´s hier wirklich reichlich.«
»Nettes Abendesse«, grinst Hendrik, und versucht einem dünnen Ast auszuweichen, der ihm gerade vors Gesicht peitscht.
»Wenn du das Vieh rupfst, gerne«, gibt Nanni schnippisch zurück. Sie hat jetzt gerade weder Lust auf Goldfasan, noch auf Hundesuche, und erst recht nicht auf das wilde und dornige Gestrüpp von Brombeerranken, welches ihnen die Suche ziemlich erschwert. Schon fängt sie sich den ersten Kratzer am linken Oberarm ein. Da würde sie ja eine ganz zuckerhübsche Braut sein, grollt sie der Pudeldame, wenn sie sich nun von oben bis unten lauter Schrammen einkassiert.
»Da, da isch se doch, da vorn rechts.«
Erleichtert zeigt Hendrik auf Viktor, die schwanzwedelnd vor etwas Hellem stehen geblieben ist.
»Komm her, du ungezogenes Hundevieh«, ruft Nanni, doch Viktor steht da wie einbetoniert. Sie bellt nicht mal.
»Komisch«, sagt Hendrik, »komm, mir gehe hin und schaue, was da isch.«
»Was anderes wird uns kaum übrig bleiben«, erwidert Nanni und beschließt im selben Moment, dass sie mit Viktor nach dem Urlaub wieder mal in die Hundeschule muss. So geht das nicht.
Am rechten Unterarm hat sie jetzt auch schon einen fetten Kratzer. Wenige Minuten später und drei Schrammen mehr am Arm stehen sie in stummem Entsetzen neben Viktor und starren in das blutleere Gesicht einer leblosen Frau. Die dunklen Augen sind weit aufgerissen, das spinatfarbene Top bis über den Bauchnabel hochgerutscht. Die weiße, eng sitzende Jeans zeigt an einigen Stellen erdige Flecken auf, ein Turnschuh liegt neben dem rechten Hosenbein. Nanni schweigt schockiert. Dass diese Frau tot ist, daran besteht für Nanni nämlich keinerlei Zweifel. Unter dem blonden Haar am Hals entdeckt sie mit ihrem Kennerblick ausgeprägte Würgemale. Nanni schluckt und beugt sich über die Tote, um trotz allem noch nach dem Puls zu suchen. Die Haut ist kalt.
»Heilandzack«, entfährt es Hendrik ehrfürchtig und er streichelt dabei hektisch Viktors Mähne.
»Die isch tot, würd ich jetzt sage. Da brauchsch nix mehr fühle. Ich glaub, da kann ich eher en Toteschein ausschtelle.«
Nanni nickt zustimmend und fährt die Finger wieder ein. Sie fasst Tote nicht gerne an. Hendrik fährt fort:
» Un? Was mache mer jetzt?«
Nanni überhört geflissentlich den verstärkt auftretenden badischen Akzent, der sich plötzlich in Hendriks Aussprache schleicht – ein untrügliches Zeichen dafür, dass er sehr aufgeregt ist. Normalerweise würde sie ihn nun streng zurechtweisen. Doch sie antwortet nur:
»Wir müssen natürlich die Polizei rufen, aber ich hab kein Handy dabei. Du zufällig?«
Hendrik schüttelt seine schwarzen Gigolo-Locken.
»Dann ... dann muss einer von uns zurück.«
Nanni betrachtet die Frau zu ihren Füßen.
»Es gibt einen Inselpolizisten hier. Am besten ich geh nach vorn auf den Weg. Da kommen immer mal Leute vorbei, die ich fragen kann. Du hältst hier die Stellung. Okay?«
Hendrik nickt mit säuerlich verzogener Miene. Die Aussicht, so scheint es Nanni, neben einer Toten ausharren zu müssen, behagt ihm nicht besonders. Mediziner hin oder her. Nanni kann es ihm nicht verdenken. Milde fügt sie an:
»Viktor kann ja bei dir bleiben.«
Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, kämpft sich Nanni zurück zum Weg. Eine Tote, ausgerechnet auf dieser verschlafenen Insel, sinniert sie, gehört dieses schöne Fleckchen Erde doch zu allem Überfluss in den Zuständigkeitsbereich ihrer Behörde. Shit! Nanni sieht bereits sowohl ihre freien Tage, als auch das geplante Trauringseminar dahinschwinden.
»Nein«, meckert sie laut und vernehmlich vor sich hin, »das lasse ich mir aber nicht nehmen.«
Kaum ist sie auf dem Weg angelangt, sieht sie ein Pärchen mittleren Alters Hand in Hand auf sie zuspazieren. Sie geht ihm mit offen ausgestreckter Hand eilig entgegen.
»Bitte, haben Sie ein Handy bei sich? Ich muss dringend telefonieren. Ein Notfall.«
Der Mann, er riecht etwas streng nach Salzwasser und Algen, kramt umständlich in seinen orange-gelb geblümten Bermudashorts und reicht Nanni dann ein iPhone.
»Hier.«
Gott sei Dank ist auch Nanni im Prinzip Besitzerin eines solchen Wundergeräts, sodass sie mühelos damit umgehen kann. Sie wählt die Nummer 110.
»Moin, Polizeistation am Wasserturm.«
»Ja, ähm«, krächzt sie plötzlich ein wenig hilflos, »ja, also ... ist dort der Inselpolizist?«
»Zu Diensten. Ja.«
»Also, ich ... wir haben da jemanden ... gefunden. Eine ... ähm... Frau. Im Wäldchen.«
»Aha«, kommt es aus dem Hörer.
»Und? Weiter?«
Sehr glaubhafte Darstellung, denkt Nanni und ärgert sich über ihr jämmerliches Gestammel. Gefasst will sie es noch mal in einem professionelleren Jargon versuchen, schließlich ist sie doch vom Fach. Sie muss das Kratzen in ihrem Hals loswerden und räuspert sich. Dann sagt sie:
»Also, hier spricht Kommissarin Anna-Marie Peters von der Inspektion in Aur ...«
»Wer?«
»Egal. Hör zu, Kollege, ich bin Nanni Peters, und im Wald liegt eine weibliche Leiche, vermutlich erwürgt, wie es aussieht. Jedenfalls habe ich entsprechende Male am Hals entdeckt.«
»Erwürgt?«, hört sie am anderen Ende. »Male am Hals?«
»Sag ich doch. Ich brauche hier sofort Unterstützung. Der Fundort muss abgeriegelt werden. Das sieht nicht nach einem natürlichen Tod aus. Auch nicht nach einem Suizid.«
Nanni sieht zu dem Pärchen, das am Waldrand in gebührendem Abstand zu ihr auf sein Handy wartet. Die Frau ist im Gesicht so aschgrau wie die karierte Bluse, die sie trägt und sie sieht sich, eine Hand wie schützend um den Hals gelegt, ängstlich um, so als würde der oder die Verantwortliche für den Tod der Frau gleich wie ein Tütenteufel aus dem Gebüsch springen.
»Verstehe«, hört Nanni den Inselpolizisten sagen, »ich ... ich ... komme. Aber das dauert noch. Ich muss erst noch mein Fahrrad reparieren, der Reifen hat ein Loch.«
»Nimm gefälligst ein anderes«, blökt Nanni hektisch ins Telefon und kommt sich vor wie eines der Schafe auf den Deichen entlang der festländischen Küste, »es gibt ja wohl noch ein anderes in der Nähe, das du benutzen kannst.«
»Meine Tochter hat noch eines. Das ist heile.«
»Na, also. Ich warte auf der Störtebekerstraße, an der Ecke, dort, wo der Waldweg zur Hafenstraße runterführt. Beeil dich!«
Nanni gibt dem sichtlich schockierten Besitzer sein Handy zurück.
»Wo ...«, fragt seine weibliche Begleitung, »... ich meine ... wo liegt denn diese ... diese tote Frau?«
»Später«, kommentiert Nanni die Frage, lässt das Paar dann einfach stehen und läuft in Richtung der vereinbarten Kreuzung.
Weithin sichtbar ist der Inselpolizist, wie er in voller Montur (wohl sind es heute früh, als Nanni und Hendrik losmarschiert sind, bereits einige Striche über der Zwanziggrad-Markierung gewesen) nicht übertrieben schnell auf einem schweinchenfarbenen Mädchenhollandrad die holperige, teils unbefestigte Straße entlangradelt, die rechts wie links von dunkelgrünem Baumwerk flankiert gleich einem Schwert die Landschaft teilt. Er grüßt mal nach der einen, mal nach der anderen Seite, und einmal hört Nanni ihn etwas rufen, was nach das wird aber mal ne schöne fette Martinsgans klingt. Irgendwo, viel weiter in Richtung Dünen, erinnert sie sich dunkel, liegen die Schrebergärten. Und die Gänsewiesen. Als der Mann nah genug ist, entpuppt er sich vor Nannis Augen als schnöselig wirkender, rotblond gelockter Schnurrbartträger, dessen Gesicht mit unzähligen zimtfarbenen Sommersprossen übersät ist. Die Wimpern glänzen in einem Ton wie Butter, die Brauen ebenso. Bobbele, nennt sie ihn im Stillen, revidiert jedoch den Spitznamen schnell, schätzt sie sein erkennbares Gardemaß, jetzt wo er umständlich von dem Rad steigt, auf höchstens eins sechzig. Ein Sitzriese ist der, denkt Nanni. Sie überragt den Inselpolizisten mindestens um einen halben Kopf. Schmächtig gebaut ist er obendrein. Er sieht aus, als könnte er nicht mal eine vollgestopfte Einkaufstüte halten.
»So, wo müssen wir denn jetzt hin?«
Er kommt, verbal betrachtet, gleich zur Sache. Seine Stimme ist in natura tief und melodiös, was Nanni am Telefon vorhin gar nicht bemerkt hat. Sie passt nicht zu diesem jungen Kerl, der sich den kaum sichtbaren Nordseesand von den schwarzen Hosenbeinen klopft, stellt sie leicht irritiert fest. Nanni streckt ihm die Hand hin.
»Kommissarin Anna-Marie Peters von der PI Aurich-Wittmund. Oder einfach Nanni. Und wer bist du?«
Man duzt sich unter Polizisten, meistens jedenfalls. Der Inselpolizist sieht sie für einige Sekunden dennoch stumm an, dann ergreift er ihre Hand und drückt einmal ordentlich fest zu.
»Lasse Johannsen. Inselpolizist.«
Nanni muss einen Aufschrei unterdrücken. Der ist mehr Sein als Schein, denkt sie und reibt sich, nachdem sie ihre Hand seinem Griff entwinden konnte, möglichst unauffällig die gequetschte Hand.
»Gibt es hier noch weitere von deiner Sorte?«, fragt sie und überlegt, wie alt er wohl sein mag. Dabei zeigt sie gleichzeitig vage in die Richtung, wo Hendrik und Viktor gemeinsam Totenwache halten.
»Da entlang.«
»Gibt es, ja. Den Caspar Otten, meinen älteren Kollegen. Aber der hat´s zur Zeit ziemlich heftig am Magen und liegt deswegen leider im Bett.«
Lasse schmeißt das roséfarbene 24-Zoll-Fahrrad ungesichert an den Waldrand und gemeinsam gehen sie an dem noch immer sichtlich bestürzt wirkenden Paar vorbei an die Stelle, an der Viktor in den Wald entschwunden war. Schulter an Schulter kämpfen sie sich durch die dicht an dicht stehenden Brombeerbüsche, bis sie am Fundort angelangt sind.
»Na endlich, da bisch ja«, hört Nanni Hendriks erleichterten Bariton und Lasse grüßt Hendrik stumm, nur per Kopfnicken. Ein kurzes Bellen seitens Viktors lässt den Schluss zu, dass auch der Pudel sich über Nannis Rückkehr freut.
»Ach du heiliger Scheibenkleister«, lässt sich Lasse Johannsen vernehmen, als er vor der Toten angekommen ist, »das ... das ist Kiki.«
Er zieht langsam, während er vor ihr in die Hocke sinkt, seine Mütze vom Kopf und knetet sie wie frisch angerührten Hefeteig.
»Wer ist Kiki?«
Nanni sieht Lasse fragend an.
»Kiki de Winter. Eigentlich heißt sie Kirsten.«
»Und, weiter?«
»Das ist unsere Bürgermeisterin und die Frau vom Gourmet-Johann. Das heißt, wenn ich sie mir so recht ansehe, war sie es bis vor Kurzem.«
Nanni versucht, den seltsam unbeteiligten Ausdruck in Lasses tiefer Stimme zu deuten. Besonders schockiert scheint der ja nicht gerade. Um einen sachlichen Ton bemüht, erwidert sie:
»Nun, immerhin ist die Tote ja jetzt schon mal identifiziert. Ich infomier’ dann besser mal meinen Chef. Kann ich dein Handy benutzen? Lasse?«
Aber da fällt Nanni ein, dass der gute Fokke Lücken derzeit gar nicht im Lande weilt, sondern seinen gesamten Jahresurlaub zusammengeklaubt hat und seit einer Woche bereits irgendwo in der Karibik herumschippert. Der hat nämlich eine wohlhabende, jamaikanische und obendrein blutjunge Frau, was nach Nannis Dafürhalten alles nicht so recht zusammenpassen will. Aber das ist jetzt unwichtig. Sie muss schleunigst seinen Stellvertreter an die Strippe kriegen. Lasse reicht ihr sein Handy, ohne den Blick von Kiki de Winters hochgerutschtem T-Shirt zu wenden, das einen Blick auf den gepiercten Bauchnabel freigibt. Nanni indes wählt die Nummer des Kollegen vom ersten Fachkommissariat.
»KHK Lenn Zacharias, im FK I, von der PI Aurich-Wittmund. Moin.«
»Lenn! Hier ist Nanni.«
»Na so was, mammamia, hat er dich schon verlassen oder bist du früher als erwartet unter die Haube gekommen? Will Hendrik doch nicht mehr länger warten?«, antwortet Lenn Zacharias, ein glatzköpfiger Zweimetermann mit einem Drachen-Tattoo auf dem linken Unterarm. Zudem hegt er eine große Vorliebe für Zigarren, alte Autos und grau melierte Designeranzüge und hat einen toskanischen Vater, der alle vier bis fünf Jahre mal hier im Norden auftaucht (weswegen der gute Lenn seit Jahr und Tag an der Volkshochschule einen Italienischkurs nach dem nächsten belegt).
»Quatsch nicht, Lenn. Nächsten Samstag, das wisst ihr doch alle. Ihr seid hoffentlich vollzählig bei der Feier dabei.«
»Das hoffe ich auch.«
Lenn hüstelt apokalyptisch.
»Wenn alle wieder gesund sind. Tutti sani.«
»Wie, was heißt das, wenn alle wieder gesund sind?«
Für einen Moment vergisst Nanni die Tote im Wald.
»Nanni, du bist doch okay, oder?«
»Ja, bin ich, wieso? Was soll das alles heißen?«
»Naja, das heißt, dass sämtliche Leute hier flachliegen. Einige haben sich bekanntlich mit Windpocken angesteckt, weißt du ja, aber der Rest hat sich, genau wie ich, obendrein noch eine Kerato-Konjunktivitis epidemica einkassiert. Ich halte derzeit die Stellung.«
»Eine was?«
Nanni sieht Hilfe suchend zu Hendrik. Er ist doch schließlich der frischgebackene Facharzt für Allgemeinmedizin, was die berufliche Voraussetzung für die Vermählung bedeutet – in Vater Peters Augen zumindest, der ebenfalls Arzt ist, wenn auch für Kinderheilkunde.
»Eine infektiöse Bindehautentzündung, durch Viren bedingt, und leider hoch bis sehr hoch ansteckend und, ganz nebenbei, sogar meldepflichtig. Angeblich kommt es nämlich dabei immer wieder zu regelrechten Epidemien, sagt jedenfalls unser guter alter Polizei-Doc.«
»Das ist nicht dein Ernst, Lenn, kann man euch nicht einmal alleine lassen, ohne dass ihr gleich dummes Zeugs anstellt?«
Nanni grinst in den Wald hinein.
»Nee. Offensichtlich nicht. Also, was gibt s? Kein Liebeskummer? Was dann, mia bellezza?«, fragt Lenn nach.
»Natürlich nicht. Ich rufe an, weil ...«, sie stockt, » ...nun ja, weil ... es hier auf der Insel eine Tote gibt. Sieht ganz nach einem Gewaltverbrechen aus. Viktor hat sie gefunden. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Frau erwürgt worden.«
Nanni wartet auf eine Antwort und horcht angestrengt in das Handy, aber von der anderen Seite ist nichts als dumpfes Schweigen zu vernehmen.
»Lenn?«
»Ähm ... ja ... also ...«, krächzt der Kollege umständlich, » ... dann ... das müssen wir dann wohl irgendwie hinkriegen.«
»Wir?«
»Wir. Noi. Du und ich. Das Problem ist, die ganze Küste entlang grassiert diese Epidemie in den PIs. Irgendwelche Verstärkung zu kriegen, wird schwierig, ist ja zudem auch Urlaubszeit. Die Leute von der SPUSI, sollten die noch unversehrt sein, die kommen natürlich umgehend. Du hast auch sicherlich Hilfe von den beiden Jungs vor Ort. Möglich, dass du noch einen Bonus bekommst und damit weitere Jungs von der Ermittlung auftauchen. Aber ... nun ja, ich informier’ gleich den Direktor und den Staatsanwalt. Soweit ich weiß, ist diese Augenseuche ganz oben aber auch am Grassieren. Sogar in Osnabrück. Angeblich hat’s sogar den PP erwischt.«
»Den Polizeipräsidenten? Na super. Wie ... wie soll ich das alles jetzt anpacken? Insel-BEPOs haben doch keine Ahnung von Kripoarbeit.«
»Stimmt nicht ganz, der Otten hat das auch schon mal gemacht, ist nur schon länger her, zudem geht es jetzt eh erst mal nicht anders. Doch ich tu mein Bestes. Versprochen.«
Nanni ist sich nicht sicher, ob sie der Sache gewachsen ist. Bislang hat sie nur kleinere Delikte aufklären müssen wie Fälle von Diebstahl, Schlägereien, Streits in Schulen und auf Sportplätzen, oder dumme Hehlereien mit Körperverletzung. Aber ein richtiger Mord? Wenn es denn einer ist. Aber es sieht schon arg danach aus. Keine voreiligen Schlüsse ziehen, Anna-Marie Peters, tadelt sie sich, und fröstelt plötzlich etwas.
Mit fiepsiger Stimme fährt sie fort: »Also du ... du meinst ... ich soll ...«
»Genau das meine ich. Du solltest gleich loslegen. Du leitest mit meiner Unterstützung die Ermittlungen, die commissione speziale, bis ich außerhalb wieder einsatzfähig bin und dazukommen kann. Ich schicke dir mit der Wasserschutzpolizei Leute und Ausrüstung. Inzwischen lässt du den Fundort für den Erkennungsdienst weiträumig absperren, machst die ersten Zeugen fest und bittest die freiwillige Feuerwehr um technische Unterstützung, also Lichtmasten, einen Generator, ausreichend Kaffee, belegte Brötchen und Kuchen und so weiter. Klar?«
»Glasklar«, nuschelt Nanni in den Hörer. Ihre Beine drohen nachzugeben. Sie ist das Küken in der Kripo, die unerfahrenste und jüngste Ermittlerin der PI Aurich-Wittmund aller Zeiten, so fürchtet sie. Andererseits, wenn der stellvertretende Leiter der Behörde sie dazu bestimmt, den Fall zu betreuen, dann kann sie so grün hinter den Ohren nicht mehr sein, oder? Zwei Monate bei der BEPO, ein halbes Jahr im Innendienst und bei der ESD, dem Einsatz-und Streifendienst, und zweieinhalb Jahre Diensterfahrung bei der Kripo, rechnet sie hektisch nach, das soll reichen für eine Todesermittlungssache? Der Kerl hat vielleicht Nerven!
»Du bist ne Pfiffige und die Einzige vom FK I, die derzeit verfügbar ist. Mi dispiace«, kommt es wie eine Antwort auf ihre stummen Fragen von Lenn Zacharias, »sonst würde ich ja nicht so entscheiden. Also, auf geht´s. Buona fortuna. Good luck.«
»Und Hendrik? Die Hochzeit?«
Nannis Stimme ist dünn wie Esspapier. Und all die Seifenbestellungen von ihrer Familie?, denkt sie stumm dazu. Es geht ja nicht nur um die Seife. Mama hat diverse Cremes bestellt. Lisa benötigt Abschminkzeugs und Bodybutter und Emma meinte gestern am Telefon, bei ihr im Badezimmer herrsche absoluter Notstand, sie bräuchte von allem, was Nanni jemals zusammengerührt hat. Nanni, okay? Machst du mir einen Pauschalpreis für einmal alles auffüllen, ja?
»Also, ja, Nanni, da lass dir mal was Nettes einfallen. Ich muss jetzt alles Weitere anschieben. Hals- und Beinbruch! Ciao.«
Lenn Zacharias legt auf. Nanni starrt das alte Nokia in ihrer Hand an, dann drückt sie auf das Symbol, welches das Gespräch ihrerseits beendet und reicht es an Lasse Johannsen zurück. Sie strafft sich, nimmt die Schultern zurück und atmet mehrmals ein und wieder aus.
»Ciao«, äfft sie den Vorgesetzten nach, »ciao, Idiot!«
Dann sieht sie zu Lasse.
»Habt ihr hier ne freiwillig Feuerwehr?«, fragt sie wenig entschlossen den Inselpolizisten, der in ganzer Größe vor ihr steht und interessiert zu ihr hochblickt. Lasse nickt.
» Und Trassierband?«
»Ja, logo. Gelbes.«
»Dann sorg dafür, dass das ratzfatz hierher transportiert wird und wir absperren können. Die Feuerwehr muss anrücken mit Generatoren, Lichtmasten und ganz viel Kaffee und so weiter. Klar? Und überleg dir schon mal, wo ich meinen Kommandostand einrichten kann. Du und alle deine Kollegen hier gehören ab sofort zu meiner SOKO. Noch Fragen?«
Lasse schaut sie erstaunt an. Hendrik indes, der bislang stumm neben ihr ausgeharrt hat, hebt den Kopf von Viktors Halstüchlein und sieht sie fragend an.
»Interpretier’ ich die Lage richtig, wenn ich annehm, du sollsch hier vor Ort die Ermittlunge leiten?«
Seinen südbadischen Dialekt hat Hendrik, Gott sei Dank, jetzt wieder halbwegs im Griff. Es liegt jedoch etwas Bedrohliches in seiner Stimme und Nanni versucht dieses zu ignorieren.
»Du liegst verdammt richtig, eine ansteckende Bindehautentzündung und gleichzeitig die Windpocken am Festland«, piepst sie und schaut verlegen zur Toten. Schön ist die, findet Nanni, wie das Modell Heidi Klum. Diese Kiki de Winter sieht ihr ein wenig ähnlich, nein, die könnte fast ihr Double sein.
Wohl wird Nanni mit der Laufstegschönheit auch immer wieder mal verglichen, wenngleich sie mindestens zehn Jahre jünger ist als das Modell, weder Kinder hat, noch einen singenden Schwarzen zum Mann, aber so ähnlich wie die Tote sieht sie ihr dann doch nicht. Und sie hofft doch auch sehr, dass sie nicht so ein, wie sie findet, hexenartiges Wesen hat, auch wenn alle die Klumania, die sich seit den Sendungen Germanys Next Top Model innerhalb Deutschlands wie die Pest ausgebreitet hat, toll finden – was sie schon gar nicht nachvollziehen mag. Nanni findet das Model schlichtweg grauenvoll, vor allem deren Stimme. Und die ist definitiv von ihrer eigenen so weit entfernt wie Ostfriesland vom Südschwarzwald. Paps sagt immer, ihre wäre klanglich einem eingerosteten Scharnier, das man zu öffnen versucht, nicht unähnlich. Meistens jedenfalls. Nanni sieht wieder zu ihrem Verlobten. Über Hendriks klassisch gerader Nase bildet sich gerade eine steile Zornesfalte. Für die Dauer von drei Wimpernschlägen herrscht Schweigen.
»Was soll ich denn machen? Bleibt mir was anderes übrig?«, bricht es schließlich aus Nanni heraus, »schlag mir was Besseres vor.«
Hendrik wendet sich schweigend zum Gehen.
»Ich ... ich ruf Mama an, Hendrik. Und Lisa und Emma. Sie sollen dir wegen der Vorbereitungen zur Hand gehen«, ruft sie verzweifelt hinter ihm her.
Hendrik dreht sich um.
»Du willsch mir nicht allen Ernschtes deine Schwestern und deine Mutter als adäquate Hilfe für unsere Hochzeitsvorbereitunge andrehe, oder? Toller Ersatz, wirklich super. Lass dir was Sinnvolleres einfalle, Nanni Peters. Komm, Viktor, wir gehen zurück. Miss Marple hat jetzt zu tun.«
Nanni sieht ihnen nach, wie sie im Dickicht gegen Kratzer kämpfen. Hilflos hebt sie die Hände dabei in die Höhe. Dann schaut sie zu Lasse und murmelt:
»Was Sinnvolleres kann mir gar nicht einfallen. Sie werden nämlich ganz in meinem Sinne helfen.«
Ein maliziöses Lächeln schleicht sich auf Nannis Züge, sind sie und Hendrik doch nicht in allen Punkten einig wegen der bevorstehenden Feierlichkeiten. Aber Mama würde es schon richten. Nanni muss nur noch mal in Ruhe mit ihr telefonieren. Die Hochzeitstorte ist nämlich ein Dauerthema seit dem zweiten Weihnachtstag. Kaum hatte ihr Hendrik, mit roten Rosen bewaffnet, auf Knien den Antrag gemacht, waren sie sich darüber schon uneins. Er will eine solide Schwarzwälder Kirschtorte, sie mag lieber eine dreistöckige Sanddornbuttersahnetorte. Nanni muss gleichzeitig wieder an Heidi Klum denken. Wenigstens hat die einen Ehemann. Sie noch nicht.
Kleine Brötchen backen, Nanni, seufzt sie stumm, und unsicher wendet sie den Kopf, um Hendrik und Viktor hinterherzuschauen. Sie lösen sich gerade zusammen wie eine Fata Morgana im Grün des Waldweges auf. Nanni sucht den Blick des Inselpolizisten, der jedoch hektischem Telefonieren anheimgefallen und dabei ist, Nannis Wünsche umzusetzen. Es scheint, als würde er die halbe Insel rebellisch machen.
»Und? Schon was angeleiert?«, wendet sie sich fragend an ihn, nachdem er endlich aufgelegt hat.
»Läuft«, gibt er knapp zurück.
Nanni nickt erlöst. Und die Sache mit Hendrik wird sie bis am Abend sicherlich auch wieder im Griff haben. Er ist nicht der Typ, der lange schmollt. Hofft sie wenigstens, ganz genau weiß sie es nicht. So eine Situation haben sie noch nicht gehabt. Nanni mustert noch mal die Tote.
»War sie nett?«, fragt sie nach einer Weile.
»Geht so.«
Der richtig große Redner vor dem Herrn ist der gute Lasse anscheinend nicht.
»Soll heißen?«
»Die Männer mochten sie. Hatte ein hohes erotisches Schwungpotenzial, wenn du verstehst, was ich meine.«
Mit seinen Händen formt er vor seiner Hühnerbrust zwei imaginäre Melonen.
»Die Frauen weniger. Die haben da eine bessere Intuson.«
»Intuition«, verbessert Nanni, indes Lasse fortfährt:
»Mein ich doch. Also, jedenfalls war Kiki ein falsches Luder. Aber das kam erst nach der Wahl so richtig rüber. Kein einziges Wahlversprechen hat sie umgesetzt.«
»Verstehe. Kann man also sagen, dass sie eher weibliche denn männliche Feinde hat?«, hakt Nanni nach.
»Hat? Nee. Hatte. Und mittlerweile hatte sie auch männliche Feinde. Allen voran sämtliche Bauwütigen der Insel. Sie machte nämlich neuerdings eine Politik der Verhinderung. Sie wollte partout nicht, dass auf dem Grundstück der alten Internats-Schule ein Altenheim gebaut wird. Dabei ist das dringend notwendig in meinen Augen. Aber kein Bauantrag geht mehr durch, seit sie den albernen Gedanken verfolgte, dass das Internat wieder auferstehen solle.«
Lasse schüttelt verständnislos den Kopf.
»Als internationaler Eliteschuppen. Eine Universität oder wenigstens ne Schule. Sie wollte Europa hierher holen, so sagte sie das! Auf die Insel! So’n Quatsch, oder?«
Er tippt mit dem rechten Zeigefinger an seine sommersprossige Schläfe.
Na ja, überlegt Nanni, warum denn nicht?
Doch Lasse legt jetzt los wie ein Wasserfall und das in einem Ton, der Nanni beunruhigt.
»Mal ehrlich, so was brauchen wir hier nicht. Wir Insulaner sind, so wie es hier ist, zufrieden. Sind alle keine Oberleuchten, uns reicht doch im Zweifel die jetzige Inselschule und für die Oberschlauen geht’s zum Gymnasium ans Festland.«
Erneut starrt er auf Kiki de Winter, während Nanni überlegt, dass ein Elite-Internat oder eine Europa-Uni wahrscheinlich von Kiki de Winter auch weniger für die begabten Insulanerkinder, denn eher für den Nachwuchs betuchter Festländer gedacht war. Die Bürgermeisterin dachte doch ganz innovativ, findet sie, und irgendwoher muss das Geld zum Leben hier ja auch verdient werden. Es braucht ja nicht immer nur der Tourismus zu sein, der die Kohle auf die Insel bringt. Bildung als Geldfaktor – nicht übel. Doch Nanni behält ihre Gedanken für sich, da Lasse so richtig schön in Fahrt ist und berichtet. Interessiert hört sie von weiteren neuen Geschäftsideen, welche die Gemüter vor Ort derzeit erhitzen, von Plänen, den Hafen umzugestalten, von Umbesetzungen der Posten im Rathaus und schließlich berichtet Lasse von einem Typen, der hier irgendwelche Wohnkomplexe am Wasserturm erbauen möchte.
»Doch dazu müsste der Turm verlegt werden. Unser Wahrzeichen! Stell dir das mal vor, das geht gar nicht!«
Nanni nickt mechanisch. Sie hört plötzlich die Sirene der Feuerwehr und ihrer beider Köpfe gehen synchron wie bei zwei Kunstturmspringern in die Höhe. Mit quietschenden Reifen hält der signalrote Löschwagen der freiwilligen Feuerwehr auf dem schmalen Waldweg an. Sofort bildet sich eine kleine Menschtraube von Urlaubern, die mit Rädern auf der Hafenstraße unterwegs sind und schnell genug am Ort des Geschehens eintreffen, um ihre Sensationslust zu stillen. Noch auffälliger geht es kaum, denkt Nanni, und Lasse seufzt erleichtert auf, als der erste Mann aus dem Wagen springt, und, das Trassierband wie ein Lasso in der Hand schwingend, sich den Weg durchs Gestrüpp bahnt.
»Das ist Matti, der Sohn vom Otten, Gott sei Dank. Der will auch mal Polizist werden, wenn er die Schule fertig hat. Kann gleich hier schon mal anfangen.«
»Der ist doch nicht mal sechzehn, oder?«, mutmaßt Nanni, »soll der etwa absperren?«
Lasse nickt.
»Klar. Mit mir zusammen.«
Stumm beobachtet Nanni, wie die Leute nun Stück für Stück aus dem Wagen hieven, was Lasse in ihrem, respektive Lenn Zacharias’ Auftrag, angefordert hat: riesige Lichtstrahler und mehrere Generatoren. Eine Frau trägt, auf einem Tablett angerichtet, diverse belegte Brötchen. Nur Kaffee und Kuchen hat sie offensichtlich nicht dabei. Doch für Kuchen würde Nanni morden! Na ja, fast jedenfalls, denkt sie sich, und schaut dabei bedauernd auf die Tote. Nur fast. Nanni ist dennoch enttäuscht. Ein Stück Kuchen wäre jetzt schön.
»Oh nein«, stöhnt Lasse auf, »Eske. Nicht gut. Das ist unsere eifrigste Feuerwehrfrau. Immer ganz vorn dabei. Leider weiß dann auch gleich jeder hier, was passiert ist. Aber ihre Fischbrötchen sind einfach unschlagbar!«
Er zieht eine entschuldigende Grimasse.
»Vom Fischkopp die?«
»Genau. Eske Gerdes-Janssen. Und seit der Teil der Familie, der Janssen heißt, im letzten Sommer auf Nimmerwiedersehen auf und davon gegangen ist, ist es noch schlimmer mit ihr. Sie ist unsere Inseltratsche und weiß alles von der Insel und den Leuten hier. Naja, steht ja auch ständig am Tresen. Da gibt’s ja immer was zu schnacken.«
Gut, sagt sich Nanni, sehr gut. Solche Leute sind mitunter Gold wert und so manche Info gelangte mal durch Schwatzhaftigkeit an ihr neugieriges Ohr und half ihr, ein Verbrechen aufzuklären. Der Fischkopp, hinter der Eisdiele zwischen Barkhausenstraße und Rathaus an einem kleinen Weg gelegen, ist der Fischladen auf der Insel, und einer der beliebtesten Treffpunkte im Ort. Vor allem, seit es dort nicht nur täglich fangfrischen Fisch oder die mit Fisch oder Krabben belegten Brötchen zu kaufen gibt, sondern ein kleines dazugehöriges Restaurant eröffnet hat, in dem es einfache, aber fantastisch leckere Gerichte zu unschlagbar günstigen Preisen gibt, ist der Laden der Renner auf der Insel. Diese Inseltratsche will sie sich rasch vornehmen, beschließt Nanni und blickt dann sehnsüchtig zu den Brötchen. Wenn schon kein Stück Kuchen zum Frühstück, dann wenigstens ein Brötchen mit Stremellachs, entscheidet sie und nimmt direkt Kurs auf Eske Gerdes-Janssens Brötchentablett.