Inhaltsverzeichnis
1. Septembrius 2003, Montauk
Runtergekommene Blätter drängeln sich durch die Türen ins Haus, am liebsten die Treppe noch ruff. Der blaue Maurizius er fährt nach Heide, Fahrkarten koofen nach Luxembourg hin. Das ist eine schöne Herbstunternehmung in die Laubwälder rein. Die Katze hat eine größere Schlaflust. Ich hör Büchermarkt. Eine neue Adorno-Biographie – das ist nicht was mir vorschwebt. Gerade hat Maurice das Dach verlassen, von dem aus er einen Weidenast entfernte, da prasselt ein Hagelschauer.
2. Septembrius 2003, Dienstag
Über Nacht war Stromsperre, mindestens fünf Stunden. Ist ja wie in den Staaten, hab ich zur Schleswag gesagt, die ich angerufen hatte. Man neigt in der Einöde dazu, zu glauben, dass dergleichen ein selbstverschuldetes Fiasko sei. Es wär »was Größeres«, die Antwort. Ich beruhigt wieder mit der Katze zu Bett. Früh zur Melkzeit war alles OK. Heute kommt der Gartenhelfer mit der Kettensäge, den Weidenstamm weiter runterzuschneiden. Der schlägt später wieder aus. Rieb sich am Dach der Garage. Es ist schade um gespenstische Töne.
3. Septembrius 2003, Mistwoch
Ein Tiefausläufer zieht über uns hin mit herrlichen Wolkengebürgen. Es sieht aus wie in den Berner Alpen. Berner Sennhunde sitzen auf dem Mühlstein. Die Emily war heraußen, ist wiederum drin. Auf meinem oder besser ihrem Sofa in mein Schreibzimmer itzt. Und ich wasch in der Küche a bisserl ab, da kommt Maurizio in seiner grünschwarzgestreiften Pyjamahose die Treppe herunter mit dem Kater auf seinem Arm, alle beede noch ganz verpennt. Der Kater hat ein Katerfrühstück auf der untersten Treppenstufe stehen und wird getragen wie Columbos Basset, weil man ja nicht weeß im Vorhinein, wo die Emily sich gerade aufhält. Sie sind sich nicht grün. Die Katze ist erst ein paar Monate hier. Mittags ging der Strom in die Binsen. Die Schleswag gibt es nicht mehr, die Stromkonzerne haben sich neu zusammengerottet, wir beziehen nun von e.on den Strom. Maurice geht in die Eider. Igittegit! Von wem hat er das bloß. Andererseits: er ist halt ein Fisch. Ich bin ein Widdertrampel. Nach einer Stunde ist ooch der Strom wieder in die Dose gewesen. Können wir kochen. Es regnet und ist sehr gemütlich in einem Haus mit Strom und allen Schikanen.
4. Septembrius 2003, Donner
Ein kleines Hoch gluckt über uns, schöne trockene laue Luft. Ich hab von Konstanza geträumt – wann war es denn, dass ich dort ankam? Mit Verspätung, weil die Schriftverstellerbande mir meine Reisepapiere aus Bosheit zu spät ausgehändigt hatte. Es könnte 1964 gewesen sein. Meine Dolmetscherin Aida brachte mich und zwei alte österreichische Zausel von Bukarest nach Konstanza, wo die übrigen Eingeladenen schon waren. Auch meine Landsleute, 50% Stasispione. Ihre Nachrichten über meine werthe Person hab ich Jahre später gelesen. Unerhört! Ich saß nie bei denen am Tisch, immer mit dem Finnen oder den Italjänern unterwegs, und wenn wir die Russen trafen, hätten wir »gawarit Maskwa« stets gerufen. Ich war namentlich eingeladen, die anderen von der DDR-Delegation nur stückweis. Schon deshalb waren sie sauer, bekam ich meine sog. Reiseunterlagen mit Verspätung. Also ich träumte vom Schwarzen Meer. Das kam mir in meiner Schwimmfaulheit entgegen in all seiner Salzigkeit. Ich legte mir obendruff und alles war fesch.
5. Septembrius 2003, Frei
Ich muss meine Absage nach Badenweiler loslassen. Aus Gründen des Alters, oder hab ich einen Bandscheibenvorfall? Man soll den Teufel nicht an die Wand haun. Nun wird es richtig preiswert für den Veranstalter, einen Vorsitzenden der Anton-Tschechow-Gesellschaft, welcher von Anfang an nur über die Kosten klagte und immer wieder versuchte, das Honorar zu drücken. Also eine gute Nachricht for him. Maurizio war mit dem Kajak die Sorge entlang. Hätte Haubentaucher und die gemeine Stockente getroffen. Ich bin bis zum Reiherbaum geloofen. Weidenröschen und Kiebitzketten, herrliche Wolken.
6. Septembrius 2003, Sams
Die kleine Katze hat sich in den Garten gestürzt. Der schon durchsichtiger ist. Die Kühe verteilen sich gerade. Die alten Zausel da in Konstanza, die mit dem Dampfschiff auf der Donau angelangt waren, was mich als Ghettobewohner mit nur zeitweiligem Ausgang sehr interessierte, bei denen handelte es sich um Pensionisten, ehemalige Lehrer. Wilhelm Szabo der eine Nam, den anderen hab ich vergessen. Sie brachten mir immer auf die Nacht ihre Gedichte zu meinem Zimmer, so dass ich Mühe hatte, die Herren vor der Türe zu lassen. Andererseits waren sie herrlich österreichisch altmodisch höflich, mit küss die Hand vielmal, was mir exotisch vorkam, als ich aus mein DDR-Pflanzenreich angereist war. Später sind sie mir etwas entglitten auf der wochenlangen Reise, es gab ja bestimmt über fünfzig eingeladene Schriftsteller und ich war eher mit Gleichaltrigen befasst. Aber am ersten Abend ging ich mit denen Österreichern und ein paar rumänischen Kollegen in eine Bar, wo es so etwas wie table-dancing gab, und nackte goldbronzierte Knaben führten anmutige Ringkämpfe auf, ich fand alles herrlich absurd und habe Tränen gelacht. Flirrendes Herbstlicht heraußen. Die winkenden Äste rings ums Haus. Eine tiefliegende Sonne schmeißt Strahlenbündel hindurch.
8. Septembrius 2003, Mont
Bin erst gegen 10 Uhr uffgestanden, hatte die halbe Nacht gelesen. Das ist nicht zu verwerfen, weil ich eine Pensionistin selbst bin, und ich darf in Ruhe vertrotteln. Es gibt eine ganze Menge Plunder, was denen hartgesottenen Normalos von denen Psychologen, welchen oftmals ein Schräubchen samt Flügelmutter fehlt, so dringlich eingeredet wird. Darunter fallen all diese herrlichen Märchen der multiplen Persönlichkeiten, ausgestanzt von amerikanischen Analytikern. Von Rückführungen und Familienaufstellungen ganz zu schweigen. Ja, ich kann mir einen Erzählstil denken, der mit WIR operiert. Kein Pluralis majestatis, ganz gewiss nicht, sondern ein verallgemeinernder Plural. A bisserl Gleichmacherei, was natürlich Vor- und Nachteile hat, aber auch meint, alles ist bei allen unter bestimmten Umständen möglich, einschließlich Mord und Totschlag. Hab ich oftmals verwendet, wann ich den ganzen Hausstand hier hinter mir einschloss, Menschen, Tiere, Sensationen. Hat es immer gegeben, in meinen Cahiers. Die reine Wahrheit. Die Panikforscher sind heute Abend im Westfalenstadion Dortmund zugegen, die Menschenströme zu studieren, besonders, wenn das Stadion wieder verlassen wird. Es wird wie ein physikalisches Experiment betrachtet. Auch die Rolle des Alkohols darf nicht vergessen werden. Wie breit muss der Ausgang für besoffene Fans sein. Wie beim Drängeln Riesenkräfte entstehn.
11. Septembrius 2003, Donner
Und Vollmond. Hinter den Wolken. Die Deutschen haben leider gewonnen, 2 zu 1. Was sind wir für Patrioten! Moritz hatte die schottische Fahne mit dem aufrechten Löwen am Bücherregal ausgebreitet. Gestern tauchte ein Video von Bin Laden auf, er wanderte so im Gebürge herum mit einem Getreuen, sieht nimmer so krank aus und sprach über den neuen Ort, den Irak für den Terror. Außerdem wurde die schwedische Außenministerin in einem Kaufhaus niedergestochen und gefährlich verletzt. Sie schaute sich ohne Leibwächter Herbstkostüme an. Wurde mehrfach operiert. Dann ist noch der zweite Jahrestag von Ground Zero. 9 Uhr 30 heißt es, dass die schwedische Außenministerin tot ist. Riesengetöse in New York, es werden alle 3000 Namen verlesen. Könnten sie die der toten Iraker anschließen, die sie im Gegenzug weggebombt haben. Die wurden nicht mal gezählt. Die israelische Armee hat heute 17 Häuser in Ramallah zerstört. Es wurde der Beschluss gefasst, Arafat auszuweisen. Daraufhin machten sich Hunderte junger Männer auf, sein Schutzschild zu sein.
Dunkele reale Wolken niedrigster Art über Schließlich-Holzbein. Schauer werden vermutet.
12. September 2003, Freitag
Weiße Nebel sind ausgebreitet. Gestapelt. Die junge Katze, die hier alles zum ersten Mal sieht, sie stand auf der Küchentreppe und witterte lange hinein. Kam mit der Post eine herrliche sog. Kargohose, wie sie modern ist. Vermoderte Jeans mit Blasebalgtaschen über die Knie. Herrlicher Tand. Ne Friedensrune und etliche Pailletten sind ebenfalls druff. Ganz zu Anfang hießen die Jeans Genueser Hosen. Aber das Schlimmste: Johnny Cash is dood bleeven.
13. Septembrius 2003, Sams
Dicker Nebul mit der Krone, dem Höchsten Berg (42 m) schwebend darüber. Die zierliche Katze gleich 6 Uhr 30 rin in den Garten. Ein paar rosa Wölkchen erscheinen. Eine Kuh schwebt aus dem Nebel. Der weiße Bussard kommt vorüber. Ich höre seit einer Woche Domenico Scarlatti. Ich habe das gesamte Klavierwerk, es kommt nimmer runter von meinem Player. 555 Sonaten. Die 30. Nummer ist La Fugue du Chat, der Meister hätte uffgeschrieben, wie seine Katze über die Tasten da lief. Unsere Emily aber, sie war kaum rinzukriegen am Abend, als es längst dunkel war. Wir haben mit den Glocken geläutet, die in der Platane hängen. Sie war vom Abendtau völlig nass um Bauch und Beene, hatte viel zu erzählen.
14. Septembrius 2003, Sonn
Nebul und noch dazu Vollmond. Ich bin vor das Haus getreten 3 Uhr 13, herrlich ist es gewesen. Der Liriodendron rauschte mit seinen hochgoldenen Blättern. Am Morgen hab ich des Gioacchinos neuestes Buch fertig gelesen. Sehr schön der Erzählton, den er gewonnen hat. Bombenalarm auf dem Flugplatz von Düssel. Alles lahmgelegt am letzten Ferientag von Nordrhein-Westfalen. So geht es in Schnützleputzhäusle.
15. Septembrius 2003, Mont
Die Kühe tappern in den Nebel, die Emily ist schon drin, ich sehe über alles hinweg bis nach Spitzbergen selbstverständlich. Die Schweden haben gegen den Euro abgestimmt, behalten ihre Krönchen. Aus irgendwelchen festgeschriebenen Gründen kann erst wieder in 16 Jahren darüber abgestimmt werden. Der Blaue Maurizio er ist mit dem Radel unterwegs, trainieren dass er in Luxembourg gut vorankömmt. Dann retournierte er. Koch, was kochst du? Hab ich gesagt. Er kocht einen Reichstopf hat er gesacht. Fängt gleich an. Was gibt es in Büchermarkt? Joyce Carol Oates. Das hat mir nie interessiert. Sie kann die Dinte nicht halten. Hat man ein Buch gelesen, kennt man sie alle. Manchmal schreibt sie zwei Rohmane in einem Jahr. Der Berliner kennt keenen Akkusativ.
16. Septembrius 2003, Dienst