Herbert
Rosendorfer
»Ich beginne, an der
Nichtexistenz Gottes
zu zweifeln …«
Letzte Gespräche
Herausgegeben von
Julia Rosendorfer und
Paul Sahner
Mit 23 s/w-Fotos sowie
zahlreichen Zeichnungen und Faksimiles
LangenMüller
www.langen-mueller-verlag.de
© für die Originalausgabe und das eBook: 2013 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagmotiv: getty-images, München
Alle Fotos, soweit nicht anders angegeben: Julia Rosendorfer und Privatarchiv Julia Rosendorfer
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
Die F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH empfiehlt, für ein optimales Leseerlebnis die Schrift Adobe Garamond zu verwenden
ISBN 978-3-7844-8166-1
Herbert Rosendorfer im Juni 2012
© Ulli Skoruppa
Für Cosima, Constantia, Jacob und Sebastian
Für Martina
Inhalt
Die letzten Bitten
Herbert Rosendorfer
Prolog
Paul Sahner
Momente in Zeitlupe
Julia Rosendorfer
Das letzte Interview
Paul Sahner
Rom: Pietà
Julia Rosendorfer
Die Bedeutung des Alltäglichen oder:
Günther Jauch regiert
Julia Rosendorfer
Gesamtkunstwerk Rosendorfer
konstantin wecker
Vespergespräche I:
Der Diplomat und der Dichter
Artur von Schuschnigg
Die letzte Reise: Barcelona – die leichte Stadt
Julia Rosendorfer
Der letzte Frühling – »Heil dir, leuchtender Tag!«
Julia Rosendorfer
Abendmahl
Julia Rosendorfer
Vespergespräche II: Eine Freundschaft
Julia Rosendorfer
Trauerrede
Inga hosp
Die letzten Bitten
Einen ganz einfachen Sarg, nur Bretter, das Kreuz, das bei uns im Wohnzimmer hängt, drauflegen.
(Aber nicht mitverbrennen.) Unbedingt FEUER-BESTATTUNG.
Ein stilles, lateinisches Requiem im Sinn eines Wortgottesdienstes. KEIN Gemeindegesang. Mein Freund P. (Pater) Urban Stillhard OSB* hat mir versprochen, daß er den Gottesdienst halten wird, wenn er Zeit hat.
An Musik nur vorher der langsame Satz aus dem Streichquartett von Giuseppe Verdi, zum Schluß den langsamen Satz aus Schuberts »Tod und das Mädchen«.
Danach ein einfaches Totenmahl. Vielleicht sind Heini und Dieter behilflich.
Nur EINE Rede, entweder Ferruccio oder Frau Dr. Hosp, oder Prof. Locher oder Frau Dr. Vescoli, wer halt Zeit hat. Ein kurzer Gruß des Bürgermeisters wäre schön.
Herbert Rosendorfer
3. Februar 2012
am 16. Geburtstag Cosimas
* OSB: Ordo Sancti Benedicti, »aus dem Orden des Hl. Benedikt«
Herbert Rosendorfer im Interview mit Paul Sahner
© Ulli Skoruppa
Prolog
Manche Dinge entwickeln sich von selbst. Beschleunigt zum Ziel führen sie, wenn man zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Menschen trifft. So entstand dieses Buch.
Hätte ich jenes andere Buch nicht gelesen, damals im März 2012, hätte ich Herbert Rosendorfer vermutlich nie kennengelernt. Ich saß, nach diversen Anwendungen und Fitnessfoltern, auf einer grandiosen Panorama-Terrasse am Tegernsee, Medical Park St. Hubertus, und erholte mich von meiner Hüftoperation. Die Sonne schien zur Mittagszeit aus wolkenlosem Himmel, und ich war gerade auf der Seite 78 des Millionen-Bestsellers Briefe in die chinesische Vergangenheit von Rosendorfer angelangt:
»Hatten wir je das Bedürfnis, ja überhaupt ein Vorstellungsvermögen davon, dass sich im Wesentlichen etwas ändern könnte? Die Großnasen hier schon. Sie kennen, obwohl ihr Weltbild kugelförmig ist und sie ihre Erde kreisbewegt sehen, keinen Kreislauf, sie kennen nur die dümmliche gerade Linie. Ich habe das Gefühl: für sie verläuft der Lebensweg des Menschengeschlechts in einem schnurstrackigen Weg, und sie sind nur damit beschäftigt, davor zu zittern, wo dieser Weg hinführt.«
Aus meinem Kopfhörer klimperte – passend zur Lektüre – Lang Lang, den ich vor einiger Zeit in Berlin interviewt hatte. Rosendorfer? Nein, Losendolfel kenne er nicht. Aber meine knappe Inhaltsangabe des Romans gefiel dem Pianisten.
Ich klappte das Buch zu, blickte auf den See und träumte vor mich hin. Dann kam sie. Sportlich im Jogginganzug. Wir stellten uns vor. Lilo Waldthaler sagte: »Ich lebe in Bozen.« Ich sagte: »Ich bin Münchner.« Die Gynäkologin fragte: »Knie?« Ich antwortete: »Hüfte!« Sie nickte: »Ich auch.« Was ich da lese, wollte sie wissen, ich würde so entspannt aussehen. »Briefe in die chinesische Vergangenheit«, sagte ich. Sie lachte, erzählte, dass sie dieses Buch schon dreimal gelesen hätte und, na ja, sie sei mit Herbert Rosendorfer und seiner Frau Julia, die in Eppan bei Bozen lebten, gut befreundet.
Am nächsten Tag sagte Lilo, sie hätte mit Herbert gesprochen, er würde mich gern kennenlernen, mit mir über sein Leben sprechen. Seltsam, dachte ich, nie hatten sich unsere Wege gekreuzt, obwohl wir beide viele Jahrzehnte in München gelebt hatten: Er, der große Schriftsteller, und ich, der neugierige Reporter. Ich hatte viel von ihm gelesen, aber wenig über ihn. War er ein Zugeknöpfter? Mied er die Medien? Sein Werk hatte mich fasziniert, als Mensch blieb er mir fern. Anders als beispielsweise Martin Walser, den ich jedes Jahr am Bodensee besuche, um mit ihm über Gott und die Welt zu sprechen, über seine Frau, die vier Töchter, ja sogar über Jakob Augstein, der sich als sein Sohn geoutet hatte.
Genug über Martin Walser.
08. Juni 2012: Besuch bei Herbert Rosendorfer. Als er das knarzende Tor zu seinem Domizil, dem Ansitz Massauer in Eppan an der Weinstraße, öffnete, fest meine Hand drückte, mich sekundenlang mit melancholischem Blick musterte, dann so federnd die uralte Steintreppe nahm, dass ich schon beim Zuschauen nach Luft rang, hatte ich vergessen, wie schonend seine Frau Julia mich tags zuvor am Telefon auf das Treffen vorbereitet hatte: »Mein Mann ist ein Kämpfer, der es mit seinem gefährlichsten Gegner zu tun hat. Mein Mann hat Krebs.«
Nun aber: 30 Grad im Schatten, azurblauer Himmel über dem Herrgottswinkel, leicht erfrischende Brise von den Bergen. Julia Andreae, 30 Jahre jünger als ihr Mann und sehr erotisch, was er sichtlich genoss, tischte Kaffee und Kuchen auf. Rosendorfer aber erzählte aus seinem spannenden Leben, das ihn vom Amtsrichter in München zu einem der erfolgreichsten Schriftsteller der deutschen Sprache katapultiert hatte. Oder über die Großmutter: »Sie wuchs auf in einem winzigen Haus, zusammengefügt aus Balken. Elf Kinder. Als Neunjährige wurde sie von ihrer Mutter in die Schweiz geschickt, als Hilfsküchenmädchen, musste das Klosett putzen. Für die Saison hat sie einen Franken gekriegt, den hat sie heimgebracht und abgegeben.«
Rosendorfer sprach von seinem erfüllten Leben. Drei Kinder aus vergangenen Ehen, eine schöne, gesunde Frau: Julia, die ihm die nun 16-jährige Tochter Cosima geschenkt hat.
Julia, die Bücher schreibt wie ihr Mann, unterbrach ihn: »Gerade hat unsere Tochter einen Schulaufsatz verfasst, der ihre Lehrerin so begeistert hat, dass sie mir eine SMS schickte.«
Mich, der in seinen Büchern neben Satire und Scherz auch viel Zynismus entdeckt, interessierte, wie er Menschen sieht. Rosendorfer energisch: »Ich liebe im Großen und Ganzen jeden einzelnen Menschen, den ich näher kennenlerne, mit Ausnahmen. Aber die Menschheit insgesamt betrachte ich doch ein bisschen als Ungeziefer, weil sie die Welt, unsere Erde, zerstört.«
Könnte es sein, dass Gott die Gebete der Menschen nicht mehr erhört? Ach, sagte Herbert Rosendorfer, er bete jeden Tag: »Lieber Gott, ich bitte dich, dass es dich gibt.«
Julia Rosendorfer
© Ulli Skoruppa