Der italienische Originaltitel lautet:
«La Mandragola»
Übersetzt aus dem Italienischen von Jürgen Wüllrich
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©2010 Jürgen Wüllrich
1. Auflage, April 2010
Alle Rechte vorbehalten.
Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-8-3916118-0
Kallimachus, der Herr Doktor
Syrus, Kallimachus‘ Diener
Nikias, der Herr Advokat
Ligurio, ein Schmarotzer
Sostrata, Lucrezias Mutter
Pater Timotheus, Lucrezias Beichtvater
Eine Dame
Lucrezia, Gattindes Herrn Nikias
Vor Beginn der Komödie vorzutragen, von Nymphen und Hirten gemeinsam gesungen.
Da unser Leben kurz ist
Und groß die Zahl der Leiden,
Die man erträgt im Leben und im Scheiden,
Verfolgen wir Gelüste;
So rinnen unsre Jahre rasch dahin,
Als wenn man gar nicht wüsste,
Dass Sorgen nur verbleiben als Gewinn,
Wenn man den Trug der Welt
Nicht kennt und all die Fallen,
Die uns der Zufall stellt:
So greifen Übel nach beinah uns allen.
Um den Verdruss zu fliehen,
Hab ich mich in den wilden Wald begeben,
Von Fest zu Fest zu ziehen,
Mit Nymphen froh und leichtfertig zu leben.
Wir wollen danach streben
Mit Schauspiel und mit Klang
Nun euer Fest zu ehren
Und die Gesellschaft von so edlem Rang.
Uns hat zurück gebracht
Der Ruf des Manns, der diesen Staat hier führt,
Und seine große Pracht,
Die uns durch ewgen Wert zum Lobe rührt.
Im Land, das so geziert
Von Glück und Tugend prangt,
Lasst euch dies Fest gefallen.
Und der es schenkt uns allen,
Dem sei dafür gedankt.
Mit Gottes Segen gibt‘s ein Stück zu hören:
Sofern ihr willens seid,
Sind wir es auch, da wir uns so verstehen.
Wenn ihr dem Schauspiel folgt, doch ohne Stören,
Kann die Begebenheit
Ein jeder hier vernehmen, wie geschehen.
Ihr werdet vor euch sehen,
Wo sich‘s ereignet hat:
Florenz, die Heimatstadt.
Ein andermal von Rom und Pisa Sachen,
Was doch zu guter Letzt sich löst in Lachen,
Der Ausgang auf der Bühne hier zur Rechten
Gehört zum reichen Haus
Des Advokaten, im Gesetz versiert.
Der Weg, den wir zu zeigen euch gedächten,
Führt in die Liebe raus.
Dort findet nicht zurück, wer sich verliert.
Dann wird euch präsentiert:
Die fromme Ordenstracht,
Die Abt und Prior macht.
Des Paters Kirchlein könnt ihr vor euch sehen.
Ihr dürft jedoch nicht vor dem Ende gehen.
Der junge Kallimachus, ein Student,
Just aus Paris gereist,
Den hier zur Linken diese Tür versteckt
Und den man in Gesellschaft leicht erkennt,
An Kleidung und an Geist,
Hält sehr auf alles, was Bewundrung weckt.
Ein Mädchen, ganz perfekt,
Geliebt von ihm mithin,
Ward arg getäuscht durch ihn.
Wie dies geschah, das seht ihr demnächst hier.
Ich wollte nur, euch würd‘s so gehn wie ihr.
Alraune, so wird dieses Stück benannt.
Den Grund, den illustrieren
Die Handlungen, wie ich sie euch hier deute.
Des Autors Name klingt nicht sehr bekannt.
Wenn ihr nicht lacht, spendieren
Will er den Wein euch freudig dennoch heute.
Ich nenn euch nun die Leute:
Ein Anwalt, nicht sehr klug,
Ein Pater, voller Trug,
Ein Parasit, das wahre Kuckucksei,
Ein schlauer Liebender ist auch dabei.
Auch wenn der Stoff nichts Würdigeres leistet
Und allzu leicht erscheint, –
Zumal dem gravitätisch-ernsten Mann, –
Vergebt demjenigen, der sich erdreistet,
Der froh zu spaßen meint
Und Trübsal sich vertreibt, so gut er‘s kann.
Er wüsst nicht, wo und wann
Was Bessres käm in Sicht.
Gelingen würd‘s ihm nicht,
Euch andre Tugenden am Werk zu zeigen,
Das müsste seine Kräfte übersteigen.
Dass seine Kraft für dieses Mal gereicht
Und niemand, hofft er fest,
Zu schlecht spricht über dieses Bühnenstück.
Da hierin sich noch jedes Schicksal gleicht,
Wie sich erkennen lässt
Von heute bis ins Altertum zurück:
Die Menschen suchen Glück
Nicht dort, wo alle schmälen.
Warum sich rastlos quälen
Und tausend Mühen in ein Werk auch stecken?
Der Wind zerstiebt‘s, der Nebel wird‘s bedecken.
Wenn dennoch einer glaubt, er müsse hauen
Und an den Haaren reißen,
Den Autor hin und her haarklein zerlegen,
Dem will ich selbst noch helfen und vertrauen:
Der hier weiß auch zu beißen,
Um üble Rede war er nie verlegen.
Ihm eilt der Ruf entgegen,
Dort, wo das „si“ erschallt,
Lebt niemand, der so bald
Dem hier dabei das Wasser reichen kann,
Und so geübt drin ist wie dieser Mann.
Es soll doch schelten, wer auch immer wollte,
Zurück zu unsren Sachen,
Damit man nicht mehr Zeit damit verschenkt,
Da man selbst mit dem Wort nicht rechten sollte,
Solang vielleicht es noch am Leben hängt.
Herr Kallimachus drängt
Mit Syrus, dem Lakai
Zur Bühne und dabei
Erklärt er ihm, worum es geht. Gebt acht,
Der Worte sind von mir genug gemacht.
Kallimachus, Syrus.
Kallimachus.
Syrus, geh noch nicht fort. Ich möchte noch etwas von dir.
Syrus.
Da bin ich.
Kallimachus.
Ich glaube, dass du dich nicht zu knapp über meine plötzliche Abreise aus Paris verwundert hast und dass du dich nun darüber verwunderst, wie ich bereits einen Monat hier sein kann, ohne das Geringste zu unternehmen.
Syrus.
Ihr sagt es, wie es ist.
Kallimachus.
Wenn ich dir bis jetzt noch nicht gesagt habe, was ich dir nun sagen werde, dann geschah dies nicht aus Misstrauen gegen dich, sondern aus Klugheit: Was ein Mensch will, sei besser nicht bekannt, und es ist besser, es nicht zu sagen, außer durch Zwang. Doch da ich nun einmal denke, dass ich deine Dienste wohl in Anspruch nehmen muss, so will ich dir alles sagen.
Syrus.
Ich bin eurer Diener, und Diener dürfen ihren Herren niemals in irgendeiner Angelegenheit ausfragen oder irgendeine ihrer Taten ausforschen, es sei denn, dass die Herren höchstselbst es ihnen gesagt haben. Mit Treue haben sie ihnen zu dienen: So habe ich es gemacht und so werde ich es tun.
Kallimachus.
Das weiß ich wohl. Ich glaube, du hast es schon tausend Mal von mir gehört, aber dann spielt es auch keine Rolle mehr, wenn du es zum tausend und ersten Mal hörst, dass ich zehn Jahre alt war, als ich von meinem Vormund, da mein Vater und meine Mutter bereits gestorben waren, nach Paris gesendet wurde, wo ich zwanzig Jahre blieb. Denn nach zehn Jahren verstarb König Karl und die Kriege in Italien brachen aus, welche unsere Provinz verwüstet haben, und da nahm ich mir vor, mich in Paris vollends einzuleben und nie wieder ins Vaterland zurückzukehren. An jenem Ort meinte ich sicherer leben zu können als hier.
Syrus.
So ist es.
Kallimachus.
Und ich gab Befehl hierher, dass alle meine Güter bis auf das Haus veräußert werden, und richtete mich auf das Leben dort ein, wo ich zehn weitere Jahre im größten Glück verbracht habe ...
Syrus.
Das weiß ich.
Kallimachus.
… indem ich meine Zeit zwischen den Studien, dem Vergnügen und den Geschäften einteilte und mich durch jedes dieser Dinge arbeitete, ohne dass mir je das eine den Weg zum anderen verstellte. Wie du weißt, führte ich ein Leben auf diese Weise in vollkommener Seelenruhe, ich war allen angenehm und bildete mir ein, niemanden zu beleidigen. So war ich offensichtlich den Bürgern, den Edelmännern, dem Förster, dem Landmann, dem Armen und dem Reichen willkommen.
Syrus.
Dies ist die Wahrheit.
Kallimachus.
Allein, es schien Fortuna, dass es mir zu gut ging, und sie machte, dass ich in Paris einen Cammillo Calfucci traf.
Syrus.
Ich beginne, euer Übel zu erahnen.
Kallimachus.
Wie andere Florentiner waren auch wir oft gesellig, und wie wir so räsonieren, gerieten wir eines Tages in einen Disput darüber, ob die Frauen in Italien oder in Frankreich schöner seien. Da ich über die Italienerinnen nicht urteilen konnte, weil ich noch zu klein gewesen war, als ich von hier weggegangen war, ergriff ein anderer der anwesenden Florentiner die Partei der Französinnen, während Cammillo die Partei der
Italienerinnen ergriff. Nachdem viele Argumente von allen Seiten vorgebracht worden waren, rief Cammillo wie im Zorn, dass, selbst wenn alle italienischen Frauen Ungeheuer wären, eine einzige aus seiner Verwandtschaft in der Lage wäre, die Ehre der Italienerinnen wieder herzustellen.
Syrus.
Jetzt ist mir klar, was Ihr sagen wollt.
Kallimachus.
Und er nannte Frau Lucrezia, Gattin des Herrn Nikias Calfucci, deren Schönheit und Sitte solchermaßen mit Lob gerühmt wurden, dass einige unter uns wie vom Donner gerührt dasaßen, während in mir eine solche Begierde geweckt wurde, sie zu sehen, dass ich jeden anderen Gedanken beiseiteschob, nicht mehr an den Krieg oder den Frieden in Italien dachte und mich auf den Weg hierher machte. Hier angekommen habe ich das Lob der Frau Lucrezia noch unterhalb der Wirklichkeit gefunden, was nur äußerst selten der Fall ist. Mich hat nun eine solche Begierde entflammt hat, mit ihr zu sein, dass ich nicht mehr aus noch ein weiß.
Syrus.
Wenn ihr mir in Paris davon erzählt hättet, dann hätte ich schon einen Ratschlag gewusst, doch jetzt weiß ich nicht, was ich euch sagen soll.
Kallimachus.
Das habe ich dir nicht erzählt, weil ich deine Ratschläge will, sondern teils um es loszuwerden und auch damit du dich darauf einstellen kannst, mir zu helfen, wo es die Notwendigkeit fordert.
Syrus.