Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

 

Nr. 2414

 

Die Bestie Ganymed

 

Ein Mensch und ein »Monster« – zwei Wesen in einem gemeinsamen Kampf

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Im Frühjahr 1346 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Menschheit vor der größten Bedrohung ihrer Geschichte. Die Terminale Kolonne TRAITOR hat die Milchstraße besetzt und alle bewohnten Planeten unter ihre Kontrolle gebracht.

Die gigantische Raumflotte steht im Dienst der sogenannten Chaotarchen. Deren Ziel ist, die Ressourcen der Milchstraße auszubeuten, um die Existenz der Negasphäre in Hangay abzusichern: einem Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden.

Perry Rhodan ist mit dem Spezialraumschiff JULES VERNE über 20 Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit der Milchstraße gereist, die damals Phariske-Erigon hieß, um die Menschheit in der Gegenwart zu retten. Atlan begibt sich indessen auf eine gefährliche Fahrt nach Hangay, an den Brennpunkt des Geschehens.

Innerhalb der Kolonne steigern sich aber ebenfalls die Aktivitäten: beispielsweise an Bord der Skapalm-Bark DERUFUS – denn dort trifft Roi Danton auf DIE BESTIE GANYMED …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Der Terraner erklärt seinem Patensohn den Sternenhimmel und die griechische Mythologie.

Roi Danton – Ein Unsterblicher experimentiert mit einem »Nagel«.

1213UII764 – Er ist die »Bestie Ganymed«.

Konzig Asmo – Der Kolonnen-Anatom beschäftigt sich mit einer neuen Experimentalreihe.

Fleisch:

 

Im ersten Akt der Schöpfung sorgte das Höchste Aller Wesen für die körperliche Hülle.

Es setzte sich an den Gabentisch, dachte einen Moment lang nach und befahl dann seinen Maschinen, beträchtliche Proben lebenden Fleisches herbeizuschaffen. Die Maschinenwesen gehorchten augenblicklich. Aus allen Teilen des begrenzten Raumes brachten sie, was sie für gut befanden.

Das Höchste Aller Wesen selektierte aus der riesigen Auswahl, die ihm nun zur Verfügung stand. Es testete Unterschenkel, Gaumen, Zehen, Lenden, Rümpfe, Wangen. Zähheit, Konsistenz, Durchblutung und Selbstheilungsfähigkeit waren einige der über zweitausend Kriterien, nach denen Er vorging. Es durfte lediglich das Allerbeste Verwendung finden.

Nachdem das Höchste Aller Wesen ausreichend Körperteile beisammenhatte, beschloss es, mit der Arbeit zu beginnen. Es sägte und nähte, verband Stück für Stück, schuf derart ein imposantes Ganzes.

Ein Wesen, wie es niemals zuvor gesehen ward.

Ein Wesen, dessen Schönheit unübertroffen war.

Doch noch war es nichts anderes als Fleisch.

Es fehlte noch mehr, viel mehr, um es zu etwas ganz Besonderem zu machen.

1.

Vergangenheit: Bully

 

»Sieh nach oben«, sagte er und reichte dem Jungen sein Fernglas. »Kannst du den Jupiter sehen?«

»Mit freiem Auge, Onkel. Dafür hätt’ ich das doofe Glas nicht benötigt.«

»Sei nicht so frech, Zwerg!« Bully hieb Michael mit der flachen Hand leicht über den Hinterkopf. »Ein wenig Respekt vor dem Alter würde dir nichts schaden. Außerdem bin ich nicht irgendwer. Wenn ich meine Stimme erhebe, dann erzittern alle; vom Gefreiten über den Schiffskommandanten bis zum General.«

»Ach ja? Und wie ist das mit Gucky? Zittert der auch?«

»Hmpf. Dein vorlautes Mundwerk wird dich mal in größte Schwierigkeiten bringen, Mickey. Du bist so ganz anders als deine Schwester Suzan.«

»Die ist ja auch ein doofes Mädchen. Und eine alte Schachtel.«

»Natürlich, du kleiner Naseweis.« Reginald Bull legte einen Arm um den Sohn seines besten Freundes. »Acht Minuten machen einen Riesenunterschied aus, nicht wahr?«

»Manchmal benimmt sie sich so, als wären wir acht Jahre auseinander.«

Sie schwiegen, und blickten hinab auf Terrania City. Selbst hier, in knapp 3000 Metern Höhe, nahe einem unbenannten Gipfel des Altai-Gebirges und mehr als 100 Kilometer von der Stadt entfernt, blieb der Lichterteppich unübersehbar.

Künstliche Schwebesonnen fokussierten des Nachts ihre Strahlen punktgenau auf Großbaustellen im Norden Terranias. Dort wurden weitere Stadtviertel aus dem Boden gestampft. Der Zuzug der Menschen aus allen Teilen der Welt hielt seit Jahrhunderten nahezu ungebremst an. Wirtschaftstreibende, Finanzjongleure, Verwaltungsbeamte, Abenteurer und Betrüger, Raumkadetten und Soldaten, Auswanderungswillige, Prostituierte – sie alle waren auf der Suche in den Eingeweiden des riesigen Molochs. Manche fanden Glück und Geld, andere verloren sich irgendwann in den breiten oder engen Straßenzügen und wurden zu einem Teil Terranias, und wiederum andere scheiterten. Enttäuscht reisten sie zurück an jene Orte, von denen sie gekommen waren.

Oder sie landeten in der Gosse.

»Du wirkst traurig, Onkel Bully.« Der Junge sah ihn mit großen Augen an. Sie waren grau und forschend wie die seines Vaters.

»Ich musste über etwas Trauriges nachdenken.«

Ein Knacken.

Beide drehten sich wie auf Kommando um. Bull ließ die großen Zeltstrahler aufleuchten; gleichzeitig sandten »Jauler« Töne im Ultraschallbereich aus, um die das Altai beherrschenden Jäger abzuschrecken. Der Sibirische Braunbär liebte die Höhenlage genauso wie der vor Jahrzehnten dort wieder angesiedelte Tiger und der Schneeleopard.

»Ein Mink«, flüsterte die Stille Zeltpositronik und fügte belehrend, an die Adresse Michaels, hinzu: »Ein weiblicher Vertreter einer Marderart, der in den Nachtstunden auf Raubzug geht.«

»Bäh. Ein Tiger wär’ mir lieber gewesen«, sagte der Kleine. »Den hätt’ ich Atlan in die Wohnung gesetzt und zugesehen, ob der alte Knacker wirklich so gut im Nahkampf ist, wie er immer sagt.«

»Atlan hat einen besonderen Zugang zu Humor. Er hätte die arme Katze zu einem Wandteppich verarbeitet. Und dich zu seinem Bettvorleger«, murmelte Bully.

»Hä?«

»Nichts, nichts. Ich hab bloß laut nachgedacht.« Die Lichter der Zeltstrahler gingen aus. Neuerlich umfing sie Dunkelheit.

Und Stille.

»Wir sollten schlafen gehen«, sagte der Unsterbliche. »Morgen wird ein harter Tag. Der Abstieg zum Multa-See ist kein Honigschlecken.«

»Ich bin aber gar nicht müde, Onkel Bully!« Michael zupfte ihn am Heizpullover. »Außerdem möchte ich mehr über den Jupiter wissen …«

»Seltsam; vor fünf Minuten hast du dich überhaupt nicht für Sterne und Planeten interessiert. Mir scheint, du willst bloß nicht in den Thermoschlafsack hüpfen.«

»Das war vor fünf Minuten! Außerdem ist mein Papa dein Chef. Also bin ich der Sohn vom Chef und damit ebenfalls dein Chef.«

»Ein zweiter Rhodan, der mir auf der Nase herumtanzt und mir sagt, was ich zu tun habe!« Reginald Bull seufzte leise. »Das hat mir gerade noch gefehlt.«

Er zuckte schicksalsergeben die Achseln. »Also gut: eine halbe Stunde noch, dann geht’s aber ab in die Federn. Einverstanden?«

»Einverstanden!« Michael Rhodan schob sich wieder näher an ihn heran, lehnte sich an seine Seite.

»Also: Jupiter ist eines der hellsten Objekte am Himmel. Er ist zugleich der größte Planet unseres Sonnensystems. Rings um ihn befinden sich Dutzende Monde. Die vier bedeutendsten und größten heißen Io, Kallisto, Europa und Ganymed. – Kannst du einen von ihnen sehen? Du musst hier drehen, dann kannst du die Dinge näher heranzoomen. Aha; das dürfte Ganymed sein. So wie die meisten seiner Nachbarn ist er heutzutage besiedelt. Auf manchen Monden haben wir lediglich Abwehrforts errichten lassen; auf anderen ist das Terraforming weit fortgeschritten.«

»Wieso haben die Monde so seltsame Namen?« Michael Rhodan schob das Fernglas beiseite und runzelte die Stirn.

»Jupiter war, wie du weißt, in der römischen Sage der Göttervater. Die vier galileischen Monde sind allesamt seine … hm … griechischen Freunde und Freundinnen gewesen.«

»Ein Römer und vier Griechinnen? Ganz schön kompliziert.«

»Wem sagst du das … Also, weiter im Text: Zeus, der bei den Römern Jupiter heißt, verliebte sich eines Tages in Ganymed, den Sohn eines edlen Herrscherpaars aus Troja. Der Göttervater entführte den hübschen Jungen, umgarnte ihn und machte ihn im Olymp zum Mundschenk, um ihn immer in seiner Nähe zu haben. – Lach nicht so blöd, Bursche; das sind halt die Sagen des alten Griechenland …«

»Also zu deiner Geburt, oder? Hattest du auch mal einen Mundschenk, in den du verknallt warst, Onkel Bully?«

»Ich?! Also, ich hatte nie einen Mundschenk, geschweige denn dass ich … und überhaupt, die alten Griechen waren alle schon tot, als ich … Verdammt noch mal! Musst du mich dauernd aus dem Konzept bringen?«

»Macht ganz schön Spaß.«

»Ich kann dein Grinsen zwar nicht sehen, aber ich weiß ganz genau, dass du’s tust.«

»Lenk nicht dauernd ab, Onkel Bully! Was war jetzt mit dem hübschen Ganymed?«

»Himmeldonnerwetter noch mal! Du hast mich vollkommen durcheinandergebracht! Du gehst jetzt augenblicklich in dein Zelt und schläfst!«

»Na schön …« Michael Rhodan stand auf, gähnte unbeeindruckt und schlurfte zurück zum Lager. Er drehte sich noch einmal um und rief: »Aber morgen erzählst du mir, wie die Geschichte um Ganymed ausgegangen ist. Versprochen?«

»Ja, du Quälgeist.« Und nachdem der Junge mit einem Händedruck die Falztür geöffnet und im geräumigen Allwetterzelt verschwunden war, fügte er leise hinzu: »Ich wünsche dir, dass du dir deinen Humor für alle Zeiten bewahren kannst.«

 

*

 

Reginald Bull erwachte. Er streckte sich träge, schaltete die Reizflutmassage für zwei Minuten zu und hing seinen Gedanken nach. Er schätzte diese Zeit, wohl wissend, dass sie ihm helfen würde, mit den Anforderungen der Tagesroutine an Bord des Ultraschlachtschiffes LEIF ERIKSSON II zurechtzukommen.

Die Ruhepause von gerade einmal drei Stunden war ohnehin viel zu knapp bemessen. Auch als Träger eines Zellaktivators musste er mit seinen Energien haushalten.

Oder: Weil er einen Zellaktivator trug, musste er seine Grenzen stets im Auge behalten; mehr als jedes andere Lebewesen an Bord des Schiffes.

Die Noppenfinger des Bettes, breit und kräftig, fuhren entlang der Schulter- und Nackenmuskulatur auf und ab. Ein sanftes Prallfeld setzte von oben ausreichend Druck dagegen, sodass die Wirkung der Massage optimal auf sein körperliches Befinden abgestimmt war.

Noch schwebte Bull in jenem seltsamen Übergangsbereich zwischen Schlaf und Wachsein. Die Probleme des kommenden Bordtages rollten mental bereits heran. Entscheidungen waren zu treffen. Verantwortung, die eigentlich viel zu schwer für seine Schultern war, musste getragen werden.

Krampfhaft klammerte sich der Unsterbliche an die kleine Traumsequenz, die ihm sein gemartertes Unterbewusstsein vorgespielt hatte.

Hatte diese Campingtour mit dem kleinen Michael Rhodan im Altai-Gebirge denn tatsächlich stattgefunden? Bully wusste es nicht mehr. Dreitausend Jahre Lebenserfahrung fanden kaum in jedem Detail Platz in seiner Erinnerung. Stetig musste er selektieren; neu hinzugekommene Datenwulste verarbeiten und speichern, hochkonzentriertes Wissen und Erkenntnisse gegenüber alten Inhalten abwägen und angestaubte Erfahrungen irgendwie wegspülen; wie Abfall, der per Energiekonverter verbrannt wurde.

Werden musste, verbesserte er sich gedanklich und fragte sich gleichzeitig, wie Atlan mit der Reizüberflutung zurechtkam, der er seit Jahrzehntausenden ausgesetzt war.

Lebte Michael Rhodan überhaupt noch? Der zweitgeborene Sohn Perry Rhodans, der in seiner Jugend die Ausweich-Identität eines Gecken namens Roi Danton angenommen hatte, um dem übergroßen Schatten seines Vaters zu entkommen?

Ja!, beantwortete sich Bull selbst die Frage.

Die intelligente Massagesteuerung reagierte augenblicklich auf das Zusammenkrampfen seiner Muskulatur. Zusätzliche Prallfelder und Elektroreize kamen zum Einsatz. Genau bemessene, schwache Lasereinstiche an den Zehen, die die Wirkung von altmodischen Akupunkturnadeln simulierten, sorgten für rasch spürbare Erleichterung.

Bully drehte sich zur Seite und hustete. Die Steuerung passte sich neuerlich seinen Bewegungen an. Aus diesem Netz positronikgesteuerten Wohlfühlens gab es kein Entrinnen. Die unsichtbaren Programme würden ihm zur Entspannung verhelfen; ob er es wollte oder nicht.

Er war wach. Unwiderruflich. Aktuelles Wissen über galaktopolitische Entwicklungen drängte empor. Die Begegnung mit Bostich I, seinem Todfeind, die vor Kurzem im Wurm der Aarus-Jima stattgefunden hatte, überlagerte vieles. Gedanken an wichtige Sitzungen, die er mit der Bordführung abhalten musste, an wirtschaftspolitische Entscheidungen, die er zu treffen hatte, und an Planungssequenzen, die die weitere Sicherheitsgewährleistung des terranischen Sonnensystems vor der unendlichen Armee TRAITORS zum Thema hatten – dies alles erforderte seine Aufmerksamkeit.

Ein Summton kündete vom Ende der Massage. Reginald Bull schob sich aus dem Bett, ging in die Knie und vollführte ein paar einfache Lockerungsübungen. Er fühlte sich angenehm erfrischt. Nadelfeines Prickeln am Halsansatz hatte diese bohrenden Rückenschmerzen abgelöst. Der Unsterbliche atmete tief durch. Sandelholz-Extrakt, den er derzeit favorisierte, war tief in seine Hautporen einmassiert worden. Es würde ein olfaktorisches Wohlbefinden für einen weiteren langen Arbeitstag gewährleisten.

Wenigstens etwas.

»Es wird Zeit«, sagte die Bordpositronik mit der geliebten Stimme Fran Imiths.

Seine Ehefrau war derzeit nicht mit an Bord der LEIF ERIKSSON II. Sie erfüllte Repräsentationsaufgaben auf dem Mars.

»Ja – es wird Zeit«, wiederholte Bully knurrig. »Auf auf, zurück in die Tretmühle. So schnell wie möglich laufen – und dennoch stets auf der Stelle bleiben.«

»Ich wurde von dir angewiesen, dich abzumahnen, sobald du diesen Spruch verwendest«, sagte die Bordpositronik und schaffte es dabei, Frans Stimme so täuschend ähnlich zu imitieren, dass sie schon wieder falsch klang.

»Ich weiß selbst, was ich befohlen habe!«, schnappte der Unsterbliche, während er sich in die Borduniform zwängte. Er würde doch nicht etwa zugenommen haben? War denn nicht einmal mehr auf den Zellaktivator-Chip Verlass? »Ich weise dich hiermit an, diese Anordnung zu vergessen. Wenn ich mies drauf bin, möchte ich sagen können, was ich will, ohne dass mich ein Blechhaufen mit der Stimme meiner geliebten Frau maßregelt.«

»In diesem Fall tritt eine übergeordnete Befehlskette in Kraft. Sie verbietet es mir, Anweisungen zu befolgen, die du kurz nach deinem Erwachen aussprichst.«

»Ich bin ein ganz schöner Idiot«, murmelte Reginald Bull und zuckte resignierend die Achseln, »wenn ich mir selbst befehle, was ich zu tun habe.«

»Der weise Konfuzius pflegte zu sagen …«

»Weißt du, wo du dir den weisen Konfuzius hinstecken kannst?«, brüllte der Unsterbliche und schleuderte einen Schuh gegen die Kabinenwand. »In deinen schwarzen, positronischen Maschinenhintern!«

Die Stimme schwieg. Gut so.

Bully hüpfte auf einem Bein zum Schuh, setzte sich auf den Boden und zog den Stiefel aus wunderbar weichem Leder an. Er fühlte, wie sein Herz heftiger schlug, wie das Blut in seinen Adern pochte, bald darauf besänftigt von jenen Impulsen, die unterhalb seines linken Schlüsselbeins ihren Ausgang nahmen.

Er war bereit. Er hatte ausreichend Dampf abgelassen, um einem neuen, schrecklichen Tag ins Auge blicken zu können. Er stand auf, öffnete die Tür und machte sich auf den kurzen Weg zur Zentrale. Wie an jedem verfluchten anderen Tag würde er seiner Vorbildfunktion gerecht werden. Trotz – oder gerade wegen – seiner Impulsivität liebten ihn die Terraner, wo sie Rhodan bewunderten. Er war volksnäher. Er trug seine kleinen Schwächen offen zur Schau.

Bully rückte den Kragen der Uniform zurecht und betrat die Zentrale.

»Alles klar, Kommandant?«

Er warf einen raschen Rundumblick auf die Versammelten und konzentrierte sich auf seine Aufgaben.

Beziehungsweise wollte er dies tun.

Denn in Wirklichkeit hielt ihn sein Traum beschäftigt. Aus dem Unterbewusstsein war Michael Rhodan aufgestiegen, und im Bewusstsein krallte er sich fest. Er und die drei Fragen, die Bully mit seinem Patenkind verband, das längst ein erwachsener Mann war: Wurde Michael Reginald Rhodan alias Roi Danton irgendwo gefangen gehalten? Lebte er noch? Hatte TRAITOR Verwendung für ihn?

2.

Vergangenheit: die Bestie

 

Sein Denken setzte unvermittelt ein. So als hätte jemand einen Lichtschalter betätigt.

Woher wusste er, was ein Lichtschalter eigentlich war?

Es tat nichts zur Sache. Dinge, die er wusste, die er ahnte, die er kannte, vermengten sich zu einem verwirrenden Brei an Eindrücken, dem er vorerst nichts entgegensetzen konnte. Sie überschwappten ihn, ließen ihn an seiner Kraft zweifeln und drängten ihn an den Rand des Wahnsinns.

»… ist nichts wert«, sagte eine Stimme, die er verstand. »Wir sollten ihn wiederverwerten.«

»Gib ihm noch ein wenig Zeit«, schlug ein anderes Individuum vor. »Wir haben bei dieser Versuchsreihe immer wieder Verzögerungseffekte beobachten können.«

Zwei Stimmen. Zwei Meinungen. Irgendwer sprach über ihn. Von ihm. Bei ihm. Neben ihm …

Neuerliche Verwirrung. Mühsame Bestrebungen, haptische Eindrücke den jeweiligen Sinnesorganen zuzuordnen. Bewegung musste vom Geruch getrennt werden, Sprache von Schmerz.

Er erfasste einen Begriff der Akzeptanz. Von irgendwem geäußert, ausgedrückt, vermittelt, gesagt, erstritten, bestätigt, insinuiert …

Man erlaubte ihm weiterzuleben. Er war … würdig. Seiner Existenz wurden weitere, nicht quantifizierbare Zeiteinheiten zugeordnet. Man wollte ihm »eine Chance geben«.

Er fühlte Beruhigung. Irgendetwas durchrieselte ihn. Seinen Körper. Etwas, das seine Sinnesempfindungen abschwächte und ihn zu einem Nichts degradierte, in dem kein Denken mehr erlaubt war.

Dann … war … nichts … mehr.

 

*

 

»Lebe!«, sagte eine Stimme in befehlsgewohntem Ton. Seltsame Geräusche, von körperlicher Unzulänglichkeit umgeben, erklangen. Dieses Geschöpf, das ihm seine Wünsche aufzwang, war ihm übergeordnet. Obwohl es schwach war und nach unheilvoller Perfidie stank.

Er »blickte« sich um.

durchschauen.