Nataly von Eschstruth

Ungleich

Band I

Roman

Mit Illustrationen von Hd. Wald

Saga

Meinem hochverehrten Vetter

Herrn General

Wilhelm von Knobelsdorff

und seiner Gemahlin

Frau Sophie von Knobelsdorff

geb. Gräfin Pahlen, Freiin von Astrau

in herxlicher Zuneigung gewidmet.

I.

Juvivallera“ hiess er. Wie er zu diesem ganz aussergewöhnlichen Spitznamen kam, wusste eigentlich nur die alte Kinderfrau, welche den einzigen Sohn des Grafen Lankwitz grossgezogen hatte. Dermalen, als sie den kleinen Cyprian noch auf den Armen wiegte, war sie eine rüstige, kreuzfidele junge Bäuerin, welche kein besseres Schlummerlied für den jungen Herrn wusste, als das vergnügliche "Juvivallera“, welches einst ihr „Student auf Sommerfrische“ im heimatlichen Dorfkrug alltäglich geträllert!

„Juvivallera! Juvivallera!“ klang es dem Gräflein Cyprian von früh bis spät in die Ohren, — was Wunder, wenn das erste Wort, welches er lallte, nicht „Papa“ oder „Mama“, sondern in sehr spasshaften Gurgellauten: „Juvivallera“ lautete! Und als er kaum sprechen konnte, begann er auch schon zu singen, genau in der Weise seiner lustigen Frau Rosel; ein Juvivallera um das andere, — so drollig und niedlich, dass die Eltern ihn schliesslich selber den „kleinen Juvivallera“ nannten und damit das Signal zur allgemeinen Nachahmung gaben!

Und es gab wohl kaum einen Namen, welcher passender für das junge Herrlein gewesen. Verzogen und unartig, wie einzelne kleine Nesttyrannen es meistens sind, dominierte und kommandierte er das väterliche Schloss vom Keller bis zum Boden, aber in einer so gewinnend heitern und übermütigen Weise, dass kein Mensch ihm böse sein oder strafend entgegentreten konnte.

Cyprian war die verkörperte Liebenswürdigkeit neben all seinen Unarten und tollen Streichen. Wie eitel Sonnenschein strahlte es von seinem goldlockigen Köpfchen und dem lachenden, kecken Kindergesicht aus. Er war lediglich ein wilder Schlingel, um sich zu amüsieren, nicht um andere zu ärgern oder zu schädigen, und da er ohne jegliche Furcht vor irgend welcher Strafe, sehr selbstbewusst und sorglos emporwuchs, so trat er lachend für jede seiner kleinen Schandtaten ein, stets lustig und guter Dinge, frank, frei, keck und unberechenbar und dabei so herzgewinneud, dass er wie ein junger Siegesgott unter der Fanfare „Juvivallera“ seinen Triumphzug durch das Leben antrat.

Prügel hatte er nie bekommen. Als sich die Gräfin und die weiblichen Geister seiner Bedienung einst allzu bitterlich bei Graf Lankwitz beklagten, das Söhnlein wachse ihnen in geradezu beängstigender Weise über den Kopf, fasste der entrüstete Vater den martialischen Entschluss — eine Rute anzuschaffen! Das grosse Ereignis ging auch tatsächlich vor sich. Wunderschön mit Bandrosetten in den Farben des Lankwitzschen Wappens geschmückt, prangte eine nagelneue Rute hinter dem Spiegel der Kinderstube, und gefolgt von dem Personal, schritt das Elternpaar feierlich herzu, dem Sprossen die entsetzliche Bedeutung dieses Instrumentes klar zu machen.

Cyprian stand bereits, beide Fäustchen in den Taschen der blauen Sammethöschen versenkt, vor der neuen Akquisition und kam der väterlichen Rede durch die ganz entzückte Frage zuvor: „Aber Papa, was ist denn das da oben für ein famoses Ding?!“

Der Graf machte ein bitterernstes Gesicht: „Das ist eine Rute!“ sprach er mit furchtbarer Betonung.

„Eine Rute? Zu was braucht man die?“ forschte das Söhnchen mit bezauberndem Lächeln.

Mit etwas unsicherer Hand griff der Schlossherr empor und langte die farbenprächtige Peinigerin herab.

„Diese Rute ist dazu da, Cyprian, um damit zu prügeln“, begann er feierlich, aber die wohlausgedachte Ansprache gedieh nicht weiter, sie ward durch den hellen Jubel des Kleinen in der Knospe erstickt.

„Juvivallera! Juvivallera!“ jauchzte er auf, stürzte sich auf die Rute los und entwand sie den Händen des verblüfften Vaters. „Zum prügeln? Das ist ja prachtvoll!“ Und ehe die entsetzte Zuhörermenge das Überraschende fassen konnte, schwang seine kleine Hand die Birkenreiser und sauste damit züchtigend auf Frau Rosel los. Kreischend und zeternd stob die Schar auseinander, Freund Juvivallera mit lustblitzenden Äuglein hinterdrein, wie wenn der Wolf die Herde scheucht!

Fern hin verklang der Lärm, — und Graf und Gräfin sahen sich sprachlos an, bis die Mutter in ein schallendes Gelächter ausbrach und der Vater resigniert seufzte: „Diese Sache war in der Anlage verfehlt, Dorettchen! Die Rute ist jetzt wohl da, aber Herr Cyprianus geruht, sie selber zu schwingen!“ — — —

Schloss Neudeck war ein schöner und altvornehmer Besitz, aber Graf Lankwitz sah ein, dass in heutiger Zeit ein recht respektables Privatvermögen dazu gehört, einen Landbesitz über Wasser zu halten. Das Barvermögen jedoch, welches er seinem Sohn Cyprian einst hinterlassen konnte, war nicht sehr bedeutend, und darum konzentrierten sich alle Hoffnungen des gräflichen Paares auf einen alten Onkel, den Paten des kleinen Juvivallera, welcher diesen zu seinem Erben machen wollte. Onkel Adolf war pensionierter Reitergeneral, besass ganz ausserordentliche Kapitalien und war ein so eingefleischter Junggeselle, dass man kaum noch fürchten konnte, er werde jetzt als hoher Siebziger, noch auf Freiers Füssen gehen.

Zu Cyprians fünftem Geburtstag hatte Onkel Adolf seinen beglückenden Besuch in Aussicht gestellt, und das Ehepaar Lankwitz lebte seit Wochen nur den Bemühungen, ihr unberechenbares Söhnlein genügend für diesen bedeutungsschweren Tag einzudrillen. Onkel Adolf war von der Natur sehr stiefmütterlich bedacht, was äussere Reize anbetraf, und gerade, was diese seine Hässlichkeit anbelangte, war er äusserst empfindlich und sehr leicht aufs bitterste gekränkt.

Die Sorge der Lankwitzschen Eltern ging nun hauptsächlich darauf hin, Klein-Juvivallera zu bearbeiten, dem Onkel nur die allerliebenswürdigsten Sachen zu sagen, und wider Erwarten zeigte der Sprosse auch viel verständnisvolles Entgegenkommen und versprach, den gestrengen Onkel in jeder Weise zärtlich und liebevoll zu behandeln. Er hielt auch Wort.

Mit geheimem Entzücken beobachteten es die Eltern, wie herzgewinnend der kleine Bursch den wichtigen Gast umschmeichelte, wie sehr Onkel Adolf von ihm begeistert war, wie das Verhältnis zwischen beiden stets inniger und zärtlicher ward.

Die Dinergäste der umliegenden Schlösser trafen ein, darunter auch die sehr hübsche und amüsante Nichte der Baronin Bohden, welche dem General bereits aus der Residenz her bekannt war.

Mit ihr promenierte er hauptsächlich in dem schattigen Park, und dabei hielt er das weiche Händchen Cyprians in der seinen, stolz und beglückt, dass das Kind so zärtlich und anhänglich ihn auf Schritt und Tritt begleitete. Und das war keine Berechnung bei Cyprian, sondern ehrliche Überzeugung, denn der alte Herr mit seinen derben Liebkosungen gefiel ihm, und seine von den Eltern so glorifizierte Persönlichkeit übte den Reiz des Neuen und Interessanten auf ihn aus.

So bestand er auch zu des alten Junggesellen besonderer Genugtuung darauf, beim Diner an der Seite des Onkels verweilen zu dürfen, und weil er sein Champagnerbecherchen sehr flott zu heben verstand, so ward das weinselige Verhältnis zwischen beiden stets inniger. Onkel Adolf war ja niemals schön, aber wenn er etwas eifrig pokulierte, gaben die erhöhten Farben seinem wulstigen Gesicht etwas geradezu lächerlich Hässliches.

Anders dachte Cyprian. Noch nie hatte er ein derartiges Antlitz gesehen, und weil es ihm so neu und an Onkel Adolf doch alles ein für allemal schön war, so benutzte er einen Augenblick feierlicher Stille, schlang sehr herzlich den Arm in den des Generals und schaute wahrhaft verliebt zu ihm empor.

„Ach, Onkel!“ rief er begeistert, „was hast du doch für bildschöne, winzig kleine Augen, für prachtvolle grosse Ohren, für eine dunkelblaue Nase und einen so herrlich grossen Mund, dass Du gewiss die Melone dort hinein stecken kannst!“

Die Wirkung dieser Liebeserklärung war unbeschreiblich, wie gelähmt vor Verblüffung sass Onkel Adolf, mit dunkelroten Köpfen prusteten die entfernter sitzenden Tafelgäste in die Servietten, dieweil die nächste Umgebung des Generals wahrhafte Anfälle von Stickhusten bekam. Nur Graf und Gräfin Lankwitz sassen bleich und verzweifelnd auf ihren Sesseln und wussten, dass in diesem Augenblick das Testament des Onkels einen völlig anderen Inhalt erhielt. —

Derselbe war und blieb auffallend verstimmt, erhob sich vor der Zeit und reiste mit einem früheren Zuge ab.

Juvivallera blieb zwar sein zärtlicher Trabant, aber der General war zerstreut und finster und schien kaum noch die Zutunlichkeit des Neffen zu bemerken.

„Nun ist alles aus! er ist wütend beleidigt und unversöhnlich! —“ schluchzte die Gräfin, und ihr Gemahl stimmte ihr seufzend bei. — Aber sie irrten sich. Nichts im Leben schien den lustigen, kleinen Juvivallera misslingen zu sollen; im Gegenteil, das Glück schien einen besonderen Narren an ihm gefressen zu haben, und je waghalsiger Cyprian mit seiner rollenden Kugel Fangball spielte, desto unzertrennlicher heftete es sich an seine Sohlen.

Onkel Adolf starb sehr unerwartet an einem Herzschlag, und sein Testament bestimmte Cyprian zum Universalerben. Aus dem hinterlassenen Tagebuch erfuhren dessen Eltern auch noch, wie sehr die verhängnisvollen Worte des Knaben, während des Diners ihm zum Segen, anstatt, wie befürchtet, zum Unheil geworden.

Just an jenem Tage war Onkel Adolf mehr denn je auf Freiers Füssen gegangen. Die Zärtlichkeit des Kindes, das weiche Anschmiegen und Kosen Cyprians hatten in dem Herzen des einsamen alten Junggesellen ganz wunderliche Gefühle erweckt. Eine unbeschreibliche Sehnsucht nach Niebesessenem erfüllte ihn, ein jugendfrohes Verlangen nach Liebe, Behagen und häuslichem Glück. — Und just in dieser Stimmung schickte ihm das Schicksal die Nichte der Baronin Bohden in den Weg, welche durch ihre graziöse Anmut schon in der Residenz seine Aufmerksamkeit erregt, und ihn durch ihre allerliebsten Koketterien auch jetzt im Park von Neudeck bezauberte.

Ein jäher, leidenschaftlicher Entschluss reifte in ihm. In seliger Weinlaune nach dem Diner, wenn Moët et Chandon ihm die Zunge gelöst, und die fünfmalhunderttausend Teuflein, welche in den Mousseuxperlchen wohnen, seine Befangenheit siegreich bekämpft hatten, — wollte er den kühnen Schritt wagen, Fräulein von Bohden Herz Hand und — Reichtum zu Füssen zu legen!

Da Alice von Bohden, selbst ohne jegliches Vermögen, auf die Hilfe ihrer Verwandten angewiesen war, hatte der General wohl kaum ein Körbchen zu befürchten, aber gerade der Gedanke, nur als Versorger und Ernährer gewählt zu werden, quälte sein empfindliches und liebebedürftiges Herz! Dennoch strahlten die dunklen Mädchenaugen so innig und berückend zu ihm auf, dennoch lächelten die roten Lippen so betörend — und was sie sprachen, klang lieb und zärtlich, als plaudere Alice nicht mit einem alten, grauköpfigen Invaliden, sondern mit dem jüngsten, schönsten und unwiderstehlichsten Kavalier! —

Empfand sie wirklich mehr für ihn, wie berechnendes Wohlwollen? — Fast schien es so, — und Gott Amor legte immer dichtere und rosigere Schleier über die Augen des greisen Freiers, dass er schliesslich nur das sah, was er gern sehen wollte! —

Und dann? — Dann kam die Katastrophe bei Tisch. — Cyprians Kindermund sprach treu und zärtlich seine fatale Schönheitskritik, die kränkte den General nicht, aber das Lachen und Kichern, das Blickewechseln und Husten der Anwesenden, das kränkte und schmerzte ihn bis in das tiefste Herz! —

Und am grausamsten wehe tat ihm das herzlose Lachen Alices, welche sich hinter ihrer Serviette gar nicht beruhigen konnte. Sie glaubte sich durch den hohen Blütenaufsatz den Blicken des Generals entzogen, und ahnte wohl nicht, dass gerade sie es war, welche er mit blutendem Herzen durch die Rosen- und Fliederzweige beobachtete. — Ihr Spotten und Lachen zerriss die rosigen Schleier, und sein klarer Blick sah es nun deutlich, wie Fräulein Alice mit ihrem jungen Tischnachbar in Dragoneruniform noch viel mehr kokettierte, als wie mit ihm, — dem alten Narren, der mit dem Schnee des Winters auf dem Haupt noch Myrtenblüten pflücken wollte!

Da war der kurze, späte Frühlingstraum von Glück und Liebe ausgeträumt, und der kleine Juvivallera war unbewusst seines eigenen Glückes Schmied gewesen!

Und wie er es diesmal war, so blieb er es stets. — Es gibt Glücks- und Sonntagskinder, welche unternehmen können, was sie wollen, ohne jemals übel dabei zu fahren! — So auch mit Cyprian. Sorglos, leicht, ohne leichtsinnig oder schlecht zu sein, lachend, amüsant, stets angenehm und von gewinnendem Wesen, lebte er lustig in den Tag hinein, es meisterlich verstehend, seine Erzieher und Hauslehrer für alles andere mehr zu interessieren, als für seine Unterrichtsstunden.

Er lernte nichts, und wusste dennoch genug, um überall mitreden zu können und durch kühne, stets humorvoll und amüsant durchgeführte Ansichten die Menschen trefflich zu unterhalten. Ein „Causeur“ ohne fader Schwätzer zu sein, ein Schmetterling, welcher im Sonnenglanz jedes Auge erfreut und jedem Blümlein willkommen ist, und dennoch ein loses, leichtes Ding ohne ernsten Lebenszweck ist. —

Die schwachen Eltern grämten sich wohl in dem Gedanken, dass ihr Sohn niemals ein Examen machen — oder einen Beruf ausüben werde, — aber der Juvivallera hatte ja immer Glück, — er war ein heller Kopf, und es schmeichelte seiner Eitelkeit, eine hübsche, elegante Husarenuniform zu tragen! Was Wunder, wenn er seinen langen Aufenthalt auf der Presse schliesslich doch ernst nahm, und — „um die verdammte Schulbank loszuwerden“ — endlich die notwendigen Prüfungen bestand, die ihm den Weg zum Attila eröffneten!

Die Eltern waren überselig, als sie ihren „erst“ zwanzigjährigen Leutnant umarmen konnten, und Juvivallera reiste, ohne sich im mindesten den sorgenvollen Ernst eines Leutnantsdaseins klar gemacht zu haben, in die neue, leider recht kleine Landgarnison ab.

Subordination, Respekt, Dienst — waren ihm durchaus unbekannte Begriffe — dass ein Rittmeister für seinen jüngsten Schwadronsleutnant ein unfehlbares, anbetungswürdiges Wesen ist, noch dazu in einer Garnison, woselbst nur eine Schwadron steht — das war für Cyprian Graf Lankwitz, ein äusserst fernliegender Gedanke, welcher höchstens etwas unbändig Humoristisches für den jungen Tyrannen von Neudeck hatte. — Bislang war er überall der tonangebende Herr und Gebieter gewesen, wo er geruht hatte, Stadt oder Land mit seiner Gegenwart auszuzeichnen, und nun wollte da ein Herr Rittmeister kommen, — sang- und klangloser Herr von Angerschütz, der sich einen Ton gegen ihn erlaubte — einen Ton — dass Graf Cyprian in seiner ersten Empörung geglaubt hatte, die Schmach eines offiziellen Anschnauzers nur mit Blut abwaschen zu können!

Der besonnene, sehr liebenswürdige Premierleutnant, den er zum Sekundanten erkor, konnte dem jungen Hitzkopf nur mit Mühe und Not die Unmöglichkeit seines Vorhabens klar machen, und nachdem Juvivallera von allen Seiten überzeugt war, dass der königliche Dienst stets eine kernige Sprache spricht, und ein Untergebener einen Vorgesetzten überhaupt nicht wegen dienstlicher. Differenzen fordern darf, so fügte er sich wohlgemut in das Unvermeidliche, denn seine Stimmungen wechselten wie Aprilwetter, und wenn es nicht Ehre und Reputation erforderten, nahm er gern alles auf die leichte Achsel und von der humoristischen Seite!

Der Rittmeister war kein sehr liebenswürdiger und feinfühliger Charakter. Das Duell-Attentat, welches sein jüngster Leutnant gegen ihn geplant, war ihm bei den mehr wie kleinen Garnisonverhältnissen selbstverständlich zu Ohren gekommen, und konnte er dem Herrn Juvivallera eine solche unerhörte Arroganz nie verzeihen.

Das ganze Auftreten des jungen Grafen, dem auch hier, wie überall, die Herzen im Sturme zuflogen, verdross und ärgerte ihn, und seine missgünstige und verbissene Natur suchte nun dem Grimm Luft zu machen, dadurch, dass er den Grafen Lankwitz nach aller Möglichkeit schikanierte.

Aber Juvivallera ärgerte sich nicht mehr darüber. Da er wusste, dass er seinem Vorgesetzten im Dienst sozusagen hilflos gegenüberstand, schüttelte er sich wie ein Pudel, auf den es Prügel regnet. So lange er mit Herrn von Angerschütz auf dem Exerzierplatz oder in der Kaserne verkehrte, war er Pagode, dessen marmorkühle Gelassenheit den hitzigen Gegner mehr erboste, als er ahnte; wenn aber das Terrain in Gesellschaftsräumen oder in der Kneipe neutral wurde, drehte sich das Blättchen, dann war es Graf Cyprian, der reiche, lachende, übermütige Majoratsherr, welcher durch stets neue kleine Malicen, die das Publikum ebenso amüsierten, wie ihn selber, den Rittmeister manchmal fast zur Verzweiflung brachte!

Auf diesem neutralen Boden entspann sich ein bitterer Kampf, welcher von seiten Cyprians mit stets bestem Humor, von der des Rittmeisters mit stets wachsendem Ingrimm und mancher Unklugheit geführt wurde.

Das Gerücht von der Fehde dieser ungleichen Gegner drang selbstverständlich in die Lande hinaus, und ward namentlich im Regiment mit besonderem Interesse beobachtet.

Juvivallera, der stets liebenswürdige, gefällige, zu jeder Hilfe und jedem Opfer herzlich gern bereite Kamerad, hatte die volle Sympathie der Herren für sich, die sich sogar bis zu dem schmunzelnden Wohlwollen des Obersten erstreckte, den die immer taktvolle Schlagfertigkeit seines jüngsten Leutnants aufrichtig amüsierte. Angerschütz war niemals ein sonderlich beliebter Regimentskamerad gewesen, er hatte bei manchen der jüngeren Herren eine ganze Menge auf dem Kerbholz, weshalb die Betreffenden jetzt desto eifriger Partei für Lankwitz ergriffen. In ihm erstand ein Rächer für gar manchen Schwadronskamerad, und da Lankwitz ein „uranständiger Kerl“ war, und sich glücklicherweise in einer Lage befand, welche ihn unabhängig von jedem Beruf machte, so konnte man so recht behaglich und wohlgemut zuschauen, wie sich der „Sturm im Wasserglase austoben werde!“

Juvivallera bewohnte eine, für die kleine Garnison sehr splendide Junggesellenwohnung, besass Hof, Garten und Stallungen, was Wunder, wenn der geborene Landwirt auf die anfänglich so absonderlich erscheinende Idee kam, sich einen — Ziegenbock anzuschaffen. Man lachte darüber und fand es ganz à la Juvivallera, dass der junge Offizier sich stundenlang mit besagtem Ziegenbock beschäftigte, hörte man doch munkeln, Graf Lankwitz sei bemüht, das Tier persönlich zu dressieren. Zu welchem Zweck? Man zerbrach sich vergeblich die Köpfe darüber. Wollte er irgend eine kleine Regimentstochter in seiner bekannt scharmanten Weise mit einer Ziegenbockequipage überraschen? Wohl möglich.

„Hans“ — wie der Bock hiess — (fatalerweise war auch der Rittmeister auf diesen Namen getauft) war ein strammes, riesig grosses Tier, mit imposanten Hörnern, langem, weisslockigem Fell und von einer permanenten Kampfeslust beseelt, die alle Besucher des Lankwitzschen Hofes zu einer gewissen Vorsicht mahnte. Dennoch hatte „Hans“ nie eine Attacke gegen irgend ein menschliches Wesen gewagt.

Die Wohnung des Rittmeisters lag zwei Häuser weiter zurück in der Strasse und nötigte Herrn von Angerschütz, das Hoftor Cyprians zu passieren, wenn er nach der Kaserne wollte. Eines Morgens war an die paar bestbefreundeten Leutnants eine Frühstückseinladung von seiten Juvivalleras ergangen, und mit etwas roten Köpfen und in weinseliger Stimmung lagen die Herren just im Fenster, als der Rittmeister zu Fuss auf der Strasse erschien, um die Kaserne zu revidieren.

Der Ziegenbock Hans trieb sich unter allerhand vergnüglichen Kapriolen im Hofe herum, als er plötzlich stutzte und jählings den Kopf hob. Ein scharfer, langer Pfiff Juvivalleras, aus welchem sich die Melodie: „Heil dir im Siegerkranz“ entwickelte, klang schrill über den Hof, und just, als habe der Bock nur auf dieses Signal gewartet, stürzte er sich wie rasend aus dem Hoftor, dem nahenden Rittmeister entgegen.

Mit gesenkten Hörnern ging Hans zum Angriff vor. Angerschütz sprang jäh erschrocken zur Seite, der Bock folgte; heiss bedrängt, retirierte der Rittmeister auf die Treppe des Hauses, Hans stiess wie besessen hinter ihm her, ein wilder, erbitterter Kampf entspann sich. Mit blankem Säbel hieb Angerschütz auf den Angreifer los, aber der Ziegenbock schien gegen Stich und Hieb gefeit, immer zornmutiger sprang er gegen den Feind seines Herrn an.

Publikum sammelte sich, man stand und schrie vor Lachen, dieweil des Rittmeisters Angesicht sich kirschrot färbte vor Wut.

„Lankwitz! Rufen Sie das verfluchte Biest zurück, sonst steche ich es, hol’s der Henker, über den Haufen!“

Juvivallera lockte in zärtlichsten Tönen, dieweil die anderen Herren an ihrem inneren Gelächter zu ersticken drohten — vergeblich, es war, als ob die Stimme des jungen Gebieters den Ziegenbock nur in immer grössere Wut versetzte.

Die Herren eilten schliesslich auf die Strasse, die Burschen stürmten herzu, es gelang den vereinten Kräften, den Rittmeister von seinem Angreifer zu befreien.

Angerschütz bebte vor Zorn. Er las wohl in den Mienen der Herren, dass er auf keine besondere Teilnahme derselben zu rechnen habe, darum erging er sich nur in etlichen boshaften Bemerkungen über „einen Kavalleristen, der sich wohl auf dem Pferde zu unsicher fühle“, griff kurz an die Mütze und schritt weiter.

Lankwitz hatte sich in höflichster Weise entschuldigt, die Kameraden waren darum über die ausfahrende Art des Rittmeisters doppelt entrüstet.

Am nächsten Tage ritt Angerschütz an dem Hoftor vorüber. Wie von wilder Wut gepackt, stürzte der Ziegenbock heraus und attackierte das Pferd, welches jäh entsetzt, so wild ausbrach, dass der ahnungslose Reiter es nur, nach vorn überschiessend, um den Hals nehmen konnte, sich auf dem dahinrasenden Durchgänger zu halten. Dass Cyprian just im Hofe: „Heil dir im Siegerkranz“ pfiff hatte er nicht gehört.

Die ganze Strasse belebte sich von lachenden Menschen, die spasshafte Geschichte, dass der Ziegenbock von Graf Lankwitz eine ausgesprochene Abneigung gegen den Rittmeister zeige, erregte und interessierte alle Gemüter, denn mit rechten Dingen ging das nicht zu, man ahnte jetzt zu allgemeinem Gaudium, wie und warum der Ziegenbock dressiert worden sei.

Angerschütz schnaubte vor Wut. Er liess dem Grafen sagen, er habe sofort den Ziegenbock abzuschaffen, widrigenfalls er denselben zusammenschiessen werde.

Lankwitz antwortete in einem ausgesucht höflichen Schreiben, dass er leider dem Wunsche des Herrn Rittmeisters nicht entsprechen könne. Der Ziegenbock sei Eigentum des Zirkusbesitzers R., welcher ihn dressiert und ihn nur während einer Kunstreise hierher in Pension gegeben habe. „Hans“ sei ein äusserst geschicktes und wertvolles Tier, und würde der Herr Rittmeister ein sehr hohes Reugeld für den durchlöcherten Schädel zu zahlen haben! —

Angerschütz war als sehr geizig bekannt. Wie erwartet, traf auch sein sehr formlos gehaltenes Antwortschreiben ein. Er beabsichtige nicht, sich um des Herrn Grafen willen Kosten zu machen, liesse denselben daher strengstens ersuchen, das Hoftor verschlossen zu halten, damit der Ziegenbock die Passanten nicht mehr belästigen könne. Widrigenfalles werde er andere Massregeln ergreifen.

Am nächsten Tage war das Hoftor wahrhaft verrammelt — ein mächtiger Querbalken war noch zum Schutz davor gelegt — Hans aber weidete seelenvergnügt auf der nahegelegenen Gartenwiese, und als der Herr Rittmeister ironisch lächelnd das Hoftor passiert hatte, brach sein Feind jählings aus der lückenhaften Gartenhecke hervor und bedrängte den unvorbereiteten Herrn noch härter denn je zuvor.

Was tun?

Angerschütz durchschaute es, dass die ganze Ziegenbockaffäre nur von dem Grafen in Szene gesetzt worden war, um ihm einen neuen Schabernack zu spielen, und da er erforschte, dass der listige Juvivallera sich nach allen Seiten gedeckt hatte und ein eventuelles Töten des verhassten Ziegenbockes höchstens dem Täter selbst Kosten und Unannehmlichkeiten bereiten konnte, so änderte er seinen Plan. Anfänglich versuchte er es noch mit ein paar Hunden, gegen „Hans“ anzukämpfen, doch zogen die Teckel heulend den Schwanz ein nach den ersten paar Rippenstössen des ungewohnten Gegners, und Angerschütz rettete sich nur durch schleunige Flucht und knirschend vor Ingrimm vor dem Ziegenbock, dem seine scharfe Klinge mittlerweile doch manch ernste Wunde geschlagen.

Da machte er denn während der nächsten Tage einen sehr beträchtlichen Umweg, um Kaserne und Städtchen zu erreichen, und die Bürger, Bürgerinnen und sonstigen Zuschauer der amüsanten Renkontres hielten die Angelegenheit zu allgemeinem Bedauern hiermit für abgetan.