Bruno Cavalli steht kurz vor einem Ermittlungserfolg, als ihm jemand zuvorkommt: Der Datendieb liegt ermordet in einem finsteren Hangar in New York. Zusammen mit der Staatsanwältin Regina Flint folgt Cavalli den Spuren des Killers bis nach Washington. Flint und Cavalli kommen sich näher - und geraten ins Netz der Mafia.
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Petra Ivanov verbrachte ihre Kindheit in New York. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz absolvierte sie die Dolmetscherschule und arbeitete als Übersetzerin, Sprachlehrerin sowie Journalistin. Ihr Werk umfasst zahlreiche Kriminalromane, Jugendbücher und Kurzgeschichten.
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Erster Funke
Flint und Cavalli – Wie alles begann
Die Vorgeschichte
Kriminalroman
Ein Fall für Flint und Cavalli
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Der erste Teil dieses Romans erschien 2015 als E-Book unter dem Titel Hangar B im Appenzeller Verlag. Für diese Buchausgabe hat die Autorin den Text überarbeitet.
© by Petra Ivanov 2017
© by Unionsverlag, Zürich 2020
Alle Rechte vorbehalten
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Umschlaggestaltung: Heike Ossenkop
ISBN 978-3-293-30972-2
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Liebe Leserin, lieber Leser,
2005 erschien Fremde Hände, der erste Fall für Regina Flint und Bruno Cavalli. Ein Leichenfund in einer Müllverbrennungsanlage in Zürich-Nord führte die Staatsanwältin und den Kriminalpolizisten zusammen. Es war nicht ihre erste Begegnung. Sie waren schon früher einmal ein Paar gewesen. Doch die Beziehung war in die Brüche gegangen, ihre Wege hatten sich getrennt.
Nach Fremde Hände folgten Tote Träume, Kalte Schüsse, Stille Lügen, Tiefe Narben, Leere Gräber und Heiße Eisen. In diesen Romanen kann man nachlesen, wie sich die Beziehung zwischen den beiden weiterentwickelte. Etwas aber blieb offen. Immer wieder bin ich im Laufe der Jahre gefragt worden: Wie haben sich Regina Flint und Bruno Cavalli kennengelernt? War es Liebe auf den ersten Blick? Wo sind sich die beiden begegnet?
In diesem Buch tauche ich ein in die Vergangenheit dieses spannungsreichen Duos. Regina Flint und Bruno Cavalli treffen zum ersten Mal aufeinander – und schnappen einen Killer. Es wird ihnen klar, wer hinter der ganzen Geschichte steckt; aber ebenso schnell wird ihnen klar, dass sie so bald nicht wieder voneinander loskommen werden.
Viel Vergnügen wünsche ich Ihnen!
Petra Ivanov
New York
Die nasse Landebahn reflektierte das Licht der Straßenlaternen. Bruno Cavalli beachtete es nicht. Genauso wenig wie den Regen, der ihm ins Gesicht peitschte. Floyd Bennett Field wirkte verlassen. Vorsichtig schlich Cavalli zum Hangar B. Eine Ratte huschte vorbei und verschwand im Gebüsch. Cavalli fürchtete sich nicht vor Ratten. Er fürchtete sich vor keinem Tier. Menschen hielt er für weit gefährlicher. Als Polizist war er mit Grausamkeiten konfrontiert, die alles übertrafen, was das Tierreich zu bieten hatte.
Er schlüpfte durch ein Loch im Maschendrahtzaun und schaute zurück. Floyd Bennett Field war New Yorks erster Flughafen gewesen. Die Stadt hatte ihn 1931 im Süden von Brooklyn eröffnet, zehn Jahre später war der Flugverkehr wieder eingestellt worden. Heute wurde Floyd Bennett Field nur noch vom New York Police Department benützt. Aus den Rissen im Beton spross Unkraut, und der Boden wölbte sich, wo Kälte und Hitze ihm zugesetzt hatten.
Cavalli spurtete zum verwitterten Hangar und presste sich mit dem Rücken gegen die Mauer. Konzentriert lauschte er den Geräuschen. Der Sturm, der am Vormittag über die Jamaica Bay hinwegfegte, war inzwischen abgeflaut, noch immer überdeckte der Regen jedes Geräusch. Er wartete einige Minuten, dann ging er auf den Eingang zu. Glasscherben und leere Dosen lagen am Boden, er war offenbar nicht der Einzige, der das »Betreten verboten«-Schild missachtete. Neben der Tür blieb er stehen. Er streckte die Hand aus und legte sie auf den Türknauf. Das Metall fühlte sich kalt an. Er drehte am Griff. Die Tür öffnete sich. Ein Gefühl von Unbehagen überkam ihn.
Modrige Luft schlug ihm entgegen. Es roch nach Motorenöl, Urin und Schweiß. Er packte das Stahlrohr, das er in der Hand hielt, fester. Dachte an die SIG Sauer in seinem Büro bei der Kantonspolizei Zürich, die hätte er jetzt gern dabei, aber in den USA durfte er keine Waffe tragen. Sofort verdrängte er den Gedanken. Unerfüllbaren Wünschen hing er nicht nach.
Er holte tief Luft und betrat den Hangar. Seit der National Park Service den Flugplatz verwaltete, waren die historischen Bauten nach und nach renoviert worden. Im Hauptgebäude befand sich ein Museum, Hangar B beherbergte eine Sammlung von Flugzeugen aus der Pionierzeit der Luftfahrt. Ein Gitterwerk aus Stahl stützte den Holzbau. Die mit mattem Glas versehenen Fenster ließen nur spärlich Licht hindurch. Neben einem Wasserflugzeug konnte Cavalli schemenhaft eine Leiter und eine Werkzeugkiste erkennen, daneben stand ein U-Boot-Jagdflugzeug. Vermutlich eine Neptune, dachte er, als er darauf zuging und die Bombenkammer sah. Die gelbe Beschriftung warnte vor Sprengstoff.
Ein Luftzug streifte ihn. Hatte jemand eine zweite Tür geöffnet? Irgendetwas hatte sich verändert im Raum. Der gut 8000 Quadratmeter große Hangar erschien ihm wie ein einziges unheilvolles Kraftfeld. Cavalli blieb reglos stehen. Sekunden verstrichen. Ein Geruch fiel ihm auf, er kannte ihn, konnte ihn aber nicht zuordnen. Er enthielt eine balsamische Komponente, darunter lag eine Note, die an den Duft von Nadelhölzern erinnerte. Cavalli musste an Pilze, getrocknete Zitronen und altes Leder denken. Obwohl es ein angenehmer Geruch war, löste er in ihm eine seltsame Gereiztheit aus.
Kurz überlegte er, Verstärkung anzufordern, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Sein Instinkt hatte ihn hierhergeführt, Fakten konnte er keine liefern. Zwar bearbeitete er den Fall schon seit einigen Monaten, jetzt lag die Verantwortung jedoch in den Händen des FBI. Der leitende Agent, Jim McKenzie, hatte Cavalli klargemacht, wer das Sagen hatte. Cavalli war lediglich als Berater hinzugezogen worden. Er ballte die Faust. Er kannte Mark Heller und Sandra Weiß besser als jeder FBI-Agent. Er war mit ihrem Vorgehen vertraut und hatte sich gründlich mit ihrer Vergangenheit beschäftigt. Vor allem aber wusste er, wie sie dachten.
Heller fühlte sich vom Leben betrogen und glaubte, nicht genügend Wertschätzung zu erfahren. Zweimal war er bei einer Beförderung übergangen worden. Sein verletztes Selbstwertgefühl versuchte er, mit Arroganz zu kompensieren, was ihm keine Freunde bescherte. Weiß hingegen war mit ihrem Leben zufrieden gewesen, bevor sie Heller kennenlernte. Sie lebte in einer Zweizimmerwohnung, ging ab und zu mit Freunden aus, hütete die Katze der Nachbarin, wenn diese im Urlaub weilte, und leistete sich alle zwei Monate ein Paar neue Schuhe. Dass sie die Führung lieber anderen überließ, statt selbst die Initiative zu ergreifen, machte sie jedoch unberechenbar. Sie würde Heller folgen, egal, was er von ihr verlangte. Hauptsache, sie musste keine Entscheidungen treffen.
Cavalli hatte das Leben der beiden bis ins letzte Detail studiert. Er wusste sogar, dass Heller seine Brötchen gerne mit Erdbeerkonfitüre aß und Weiß zum Frühstück Müsli favorisierte. Vor allem aber ahnte er, wo sie sich versteckten.
Vor ein paar Jahren hatte Heller fünf Tage in New York verbracht. Am letzten Tag war er nach Brooklyn gefahren, um Freunde zu besuchen, die auf Floyd Bennett Field campierten. Seit der Flugplatz zu einem Naherholungsgebiet umgestaltet worden war, gab es einige offizielle Stellplätze für Wohnmobile und Zelte. Heller hatte den Tag damit verbracht, die historischen Gebäude und den Park zu erkunden, später grillten sie zusammen an der Jamaica Bay.
Menschen hängen an ihren Gewohnheiten, das Floyd Bennett Field war Heller vertraut. Die Stellplätze waren einfach, doch sie erfüllten ihren Zweck. Bevor Heller vor drei Wochen untertauchte, hatte er einen gebrauchten Dodge-Grand-Caravan gekauft, das perfekte Fahrzeug, um unauffällig zu campen. Mit einem Heckzelt bot der Wagen genügend Platz für zwei. April war ein guter Monat, um sich auf Floyd Bennett Field zu verstecken. Im Winter erregte ein einsamer Camper Aufmerksamkeit, im Sommer waren die begehrten Plätze stets belegt, sodass Heller frühzeitig hätte reservieren müssen. Das Risiko, eine Kreditkarte einzusetzen und so Spuren zu hinterlassen, hatte er aber bis jetzt vermieden.
Etwas bereitete Cavalli Kopfzerbrechen: Wie war es Heller und Weiß gelungen, sich eine neue Identität zuzulegen? Beim Park Service hatten sich nur drei deutsche Studentinnen sowie ein Enddreißiger aus Amsterdam registriert. Keine Paare. Ein Dodge-Grand-Caravan war auch nicht eingetragen. Heller und Weiß hatten weder Beziehungen zu Kriminellen in den USA noch andere nützliche Verbindungen. Dass sie sich unbemerkt hätten hereinschleichen können, war unwahrscheinlich. Die Park Ranger patrouillierten regelmäßig durch das Areal, ein nicht angemeldetes Fahrzeug wäre ihnen sofort aufgefallen.
Vielleicht sind sie gar nicht hier, dachte Cavalli. Wenn er sich doch getäuscht hatte? Gespenstern hinterherjagte? Er hatte den Flugplatz gründlich abgesucht. Nirgends hatte er eine Spur der Flüchtigen entdeckt. Als letzte Möglichkeit blieb noch der Hangar B.
Aus dem Augenwinkel nahm Cavalli eine Bewegung hinter einer restaurierten Catalina wahr. Er blendete alle Gedanken aus und konzentrierte sich auf seine Sinne. Der Regen trommelte immer noch auf das Wellblechdach, der Schein der Straßenlaterne war so schwach, dass der hintere Teil des Hangars im Dunkeln lag. Cavalli spürte, dass er beobachtet wurde. In gebückter Haltung schlich er zur Catalina.
Jemand befand sich hinter dem Flugboot.
Als Cavalli näher kam, registrierte er einen neuen Geruch. Seine Sinne schalteten auf Alarm. Blut. Plötzlich überlagerte Motorenöl den Blutgeruch. Verärgert atmete Cavalli ein. Gerüche nahm er in Schichten wahr. War die erste Schicht zu dominant, ließ er den Duft eine Weile auf sich einwirken und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf die zweite Schicht. Reglos verharrte er, bis sich seine Rezeptoren an das Motorenöl gewöhnt hatten. Dann konzentrierte er sich auf das Blut. Langsam drang die metallische Note an die Oberfläche. Cavalli ging in die Hocke und versuchte festzustellen, aus welcher Richtung der Geruch kam.
Eine Windböe erfasste die dünnen Seitenwände des Hangars und ließ das Gebäude erzittern. Cavalli hörte das entfernte Knattern eines Hubschraubers, kurz darauf drang ein Lichtstrahl in den Hangar und glitt über eine Rolle Stacheldraht an der Wand. Sekunden später war es wieder dunkel. Gerne hätte Cavalli seine Taschenlampe eingeschaltet, verzichtete aber darauf, denn die Dunkelheit war sein einziger Schutz. Heller und Weiß hatten noch nie Gewalt angewandt, doch sie waren verzweifelt. Cavalli wusste nicht, wie weit sie gehen würden, um der Polizei zu entkommen. Vom FBI konnte er keine Hilfe erwarten. Geriet die Situation außer Kontrolle, war er auf sich allein gestellt.
Schweiß rann ihm den Rücken hinunter, das Stahlrohr fühlte sich glitschig an in seiner Hand. Wenn Heller und Weiß entwischten, trüge er die Verantwortung. Dass sich McKenzie geweigert hatte, ein Team nach Floyd Bennett Field zu schicken, weil er Cavallis Ermittlungsansatz nicht ernst genommen hatte, spielte keine Rolle. Cavalli war auf eigene Faust losgezogen. Dafür hatte das FBI kein Verständnis.
Er hörte ein leises Schleifen. Hinter ihm verdichtete sich die Luft. Blitzschnell drehte Cavalli sich um.
Ein weiterer Hubschrauber flog am Hangar vorbei, im Licht des Scheinwerfers blitzte eine Klinge auf. Sie schnellte auf Cavalli zu.
Hartes Training und jahrelange Routine kamen jetzt zum Einsatz. Statt zurückzuweichen, wie es der Angreifer erwartete, sprang Cavalli vor und rammte die Beine seines Widersachers. Die Klinge traf ihn am Oberarm, und ein heißer Schmerz durchfuhr ihn. Das Stahlrohr fiel zu Boden. Cavalli packte es und kam wieder hoch. Zu seiner Überraschung hatte sich sein Angreifer ebenfalls in Bewegung gesetzt. Wie hatte er Mark Heller so falsch einschätzen können?
Ohne zu zögern, nahm Cavalli die Verfolgung auf. Heller hatte bereits mehr als fünfzig Meter Vorsprung. »Halt! Polizei!«, rief Cavalli in der Hoffnung, Heller zu verunsichern, da dieser wohl kaum damit rechnete, auf Deutsch angesprochen zu werden. Der Flüchtige rannte weiter, der Nachhall seiner Schritte deutete darauf hin, dass er auf den Ausgang zustrebte. Cavallis Gedanken rasten. War Heller erst draußen, würde ihn die Nacht verschlucken. Cavalli musste handeln. Jetzt.
Über ihm ragte die Neptune auf. Er sah gerade noch, wie ein Schatten hinter dem Bug verschwand, dann verstummten die Schritte. Im Hangar war nur noch das Prasseln des Regens zu hören. Die Bombenkammer bot einen ausgezeichneten Zufluchtsort, aber warum hätte sich Heller hier verstecken sollen? Der Ausgang war nur zwanzig Meter entfernt. Etwas stimmte nicht.
Es klickte leise. Cavalli ließ sich zu Boden fallen. Ein Schuss krachte. Innerlich fluchend, kroch Cavalli hinter eine Laderampe und wartete, bis das Pfeifen in seinen Ohren nachließ.
Er würde sich einen neuen Plan ausdenken müssen. Viele Möglichkeiten boten sich ihm nicht. Er rief sich die Umgebung des Hangars ins Gedächtnis. Die Jamaica Bay lag im Osten, die Landebahn 6-24, welche im rechten Winkel zu den Hangars verlief und beim ehemaligen Terminal endete, im Nordwesten. Auf dem asphaltierten Platz neben dem Maschendrahtzaun, durch den Cavalli gestiegen war, standen Camper. Weiter nördlich befand sich die Flotte von Bell-412- und Agusta-A119-Koala-Hubschraubern des New York Police Departments. Wo einst die Küstenwache stationiert gewesen war, arbeitete jetzt die Notfalleinheit der Polizei. Kein guter Ort, um sich zu verstecken. Auch die Polizeiwache der Park Police würde Heller meiden. Er würde wohl eher eines der heruntergekommenen Lagerhäuser ansteuern oder Schutz in einer der Baracken suchen, welche einst der Navy gehört hatten; in den 1940er-Jahren hatte sie das Areal übernommen und es bis zum Ende des Vietnamkriegs genutzt. Vielleicht würde sich Heller aber auch ganz aus dem Staub machen. Keine schlechte Idee, denn er musste schließlich davon ausgehen, dass jemand den Schuss gehört hatte. Cavalli dachte an den Luftzug, den er gespürt hatte, und beschloss, den zweiten Ausgang zu suchen.
Leise trat er den Rückzug an. Er kam an einem der hohen Fenster vorbei. Das Licht der Straßenlaterne beleuchtete ein Fahrzeug mit rotem Kreuz auf weißem Grund. Ein Armee-Krankenwagen. Das Symbol erinnerte Cavalli an den metallischen Geruch, den er bemerkt hatte, bevor er angegriffen worden war. Er versuchte, die Quelle zu lokalisieren, roch aber nur sein eigenes Blut.
Vorsichtig näherte er sich der Seitenmauer. Er hielt das Stahlrohr wie einen Blindenstock, um nicht über die Rolle Stacheldraht zu stolpern, die dort lag. In einiger Entfernung hörte er ein Geräusch. Das Quietschen einer Sohle.
Heller steuerte auf den Hauptausgang zu.
Wollte Cavalli Heller abfangen, musste er das Gebäude durch den Hinterausgang verlassen und den Hangar umrunden. Er warf alle Vorsicht über Bord und beschleunigte seine Schritte, das Stahlrohr hielt er jetzt schützend vors Gesicht. Sein verletzter Arm fühlte sich kalt an. Plötzlich stand er vor einer Absperrung. Er kniff die Augen zusammen und erkannte Motorenteile, die auf einer Plane am Boden lagen. Er folgte der Absperrung, bis das Nylonseil im rechten Winkel im Dunkeln verschwand, und bog dann zur Mauer ab.
In der Ferne ertönten Polizeisirenen. Etwas polterte laut, vermutlich hatte Heller die Richtung geändert. Cavalli schätzte, dass sich dieser jetzt auf der Höhe der Catalina befand. Steuerte auch Heller den Hinterausgang an, um der Polizei nicht in die Arme zu laufen?
Wenn es Cavalli gelang, die Tür zu verschließen, säße Heller fest.
Er kam an der Leiter vorbei. Der Geruch von Blut wurde wieder stärker. Cavalli meinte die Anwesenheit eines weiteren Menschen zu spüren. War Sandra Weiß auch hier? Tappte er in eine Falle? Cavalli holte aus und warf das Stahlrohr in hohem Bogen von sich weg. Es flog durch den Hangar und landete scheppernd dort, wo er die Neptune vermutete. Wagte es Heller, noch einmal zu schießen, würde er jetzt dorthin zielen, im Glauben, dass Cavalli das Rohr aus der Hand gefallen war. Heller sog geräuschvoll die Luft ein. Cavalli setzte sich in Bewegung. Er sprintete am Wasserflugzeug vorbei und rannte auf die Tür zu.
Sein Fuß traf auf ein Hindernis. Er stolperte und prallte gegen eine Stütze. Schwindel erfasste ihn. Um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, ging er in die Hocke. Seine Finger berührten etwas Warmes. Cavalli beugte sich vor, um zu sehen, was da lag.
Der Mann trug eine Cargohose mit aufgenähten Seitentaschen und darüber eine Fischerweste. Seine Füße steckten in schweren Kampfstiefeln. Ein Survival Kit hing an seinem Gürtel, der Inhalt war auf dem Boden verstreut. Cavalli wartete, bis der nächste Hubschrauber sein Licht in den Hangar warf. Er registrierte ein Taschenmesser, Mehrzweckschnur, einen Wasserfilter, Alkoholtupfer, Kompressen, einen Kompass, einen Müsliriegel und eine Packung Streichhölzer. Damit hätte der Mann in der Wildnis überleben, aber nicht die klaffende Wunde an seinem Hals verhindern können.
Jetzt wusste Cavalli mit Sicherheit: Der Mann, den er im Dunkeln verfolgt hatte, war nicht Mark Heller. Denn Mark Heller war tot.