Unseren Kindern und Enkeln

Inhalt

Prolog

„Sollen wir wirklich nach Kalifornien umziehen? Und falls ja, was machen wir danach?“

„Wir könnten zum Beispiel um die Welt segeln. Das ist doch schon lange unser Traum!“

So sitzen wir beide im März 2000 am Esstisch und diskutieren intensiv über unsere gemeinsame Zukunft. Wir, das sind

Klaus Schuback, Jhg. 1948, Dr., Dipl.-Oec., seit über 20 Jahren im internationalen Management eines globalen Unternehmens der IT-Industrie tätig, und
Marlies Schuback, Jhg. 1953, Dipl.-Ing.-Päd., seit 20 Jahren als Lehrerin an einer Berufsschule beschäftigt.

Klaus war für seinen Arbeitgeber bereits zweimal für insgesamt sechs Jahre im europäischen Ausland tätig, um dort Managementaufgaben zu übernehmen. Nun hat er das Angebot, in der Muttergesellschaft in Kalifornien eine weltweit tätige Business Unit zu leiten und neu auszurichten. Dieser Job wird sicherlich spannend sein, aber auch mehrere Jahre dauern. Aber was ist danach? Klaus ist bewusst, dass dies wohl sein letzter Karriereschritt sein wird, denn er ist heute schon der älteste unter seinen Kollegen und die Halbwertzeit von Kenntnissen und Erfahrungen in der IT-Industrie ist extrem kurz.

Nach langen intensiven Gesprächen entscheiden wir, dass Klaus das Angebot annehmen wird und wir gemeinsam nach Kalifornien umziehen. Es ist keine leichte Entscheidung, denn Marlies wird dafür ihre Arbeit als Lehrerin aufgeben müssen und unsere drei erwachsenen Kinder werden wir in den nächsten Jahren wohl nur noch selten sehen.

Aber noch eine zweite weitreichende Entscheidung haben wir an diesem Abend getroffen:

Nach Beendigung von Klaus’ Job in Kalifornien, erfahrungsgemäß nach drei bis vier Jahren, wird Klaus bei seinem Arbeitgeber keine neue Aufgabe mehr übernehmen. Er möchte sich dann eine Auszeit nehmen. Die Idee einer Weltumsegelung wird geboren und erscheint uns als die spannendste aller Alternativen, wenn sie auch zu diesem Zeitpunkt noch sehr unausgegoren und nebulös ist. Aber wir haben ja ein paar Jahre Zeit, um uns darauf einzustellen.

In unserer Jugend haben wir an der Ostsee unsere Liebe zu Wind und Meer entdeckt und auf Jollen mit großer Begeisterung das Segeln erlernt, Marlies auf Rügen und Klaus in der Lübecker Bucht. Studium und Berufseinstieg ließen uns beiden nur wenig Zeit zum Segeln, aber dennoch zog es uns immer wieder an die See. Wir machten unsere Segelscheine, segelten im Sportverein auch mal Regatten oder charterten manchmal eine Yacht. Später hatten wir sogar eine eigene kleine Yacht. Größere Segelerfahrungen haben wir hierbei nicht gesammelt, denn die Törns waren kurz und abends wurde meistens ein Hafen angelaufen.

Auch wenn wir uns zu dieser Zeit noch gar nicht kannten, so war doch die Sehnsucht nach der unendlichen Freiheit, symbolisiert durch die Verbindung aus Sonne, Meer und Segeln, ein Element, das uns beide verband.

Den Traum vieler Segler, mit einer Yacht über tiefblaue Meere zu segeln und an den Palmenstränden der Südsee vor glasklarem Wasser zu relaxen, hatten wir – jeder für sich – schon lange. Schon der Gedanke an eine Weltumsegelung weckt die Sehnsucht nach Freiheit, fremden Ländern und Kulturen, ungewöhnlichen Erlebnissen und Abenteuern, aber auch nach Beschaulichkeit und unbeschwertem Robinson-Leben.

Die überwiegende Mehrheit der Weltumsegler sind keine risikofreudigen Abenteurer, sondern Ehepaare zwischen 50 und 75 Jahren, die erst in diesem Lebensabschnitt in jeder Hinsicht die Freiheit haben, sich auf eine mehrjährige Weltumsegelung zu begeben. Weltumsegler sind auch keine Spinner, wohl aber Träumer, die dennoch recht ausgeschlafen sind und über einen ausgeprägten Realitätssinn verfügen, um diesen Traum zu verwirklichen.

Sind wir in der Lage, uns diesen Traum zu erfüllen?

Parallel zu den Vorbereitungen für den Umzug nach Kalifornien suchen wir schon jetzt nach einer geeigneten Segelyacht. So besuchen wir mehrere Bootsmessen in Deutschland, Holland und England und finden schließlich unser Traumschiff, eine Oyster 485 von Oyster Marine Ltd. in Ipswich, Großbritannien. Eine Deckshausyacht, deren Layout und Ausstattung wir noch verändern können. Aufgrund der hohen Auslastung der Werft soll die Yacht erst in drei Jahren fertiggestellt werden, was unserer Zeitvorstellung sehr entgegenkommt.

Ab Mai arbeitet Klaus bereits wochenweise in den USA, im Juni unterschreiben wir den Kaufvertrag für die neue Yacht und Anfang August ziehen wir mit Sack und Pack nach Cupertino ins Silicon Valley.

In den nächsten Jahren lesen wir viele Bücher zum Thema Weltumsegelung und Klaus verschlingt zusätzlich noch mehrere deutsche und amerikanische Fachbücher über die technische Ausrüstung von seegängigen Yachten. So bereiten wir uns zumindest theoretisch auf unseren nächsten Lebensabschnitt vor, ohne zu wissen, wann dieser tatsächlich beginnt.

Nach zwei Jahren fängt die Werft mit dem Bau der Yacht an und fordert von uns fortlaufend Entscheidungen bezüglich des Layouts und der technischen Ausrüstung. Wir haben inzwischen die Zeit dafür genutzt, die Ausstattung der Yacht im Detail zu planen, wobei wir bereits getroffene Entscheidungen immer wieder in Frage stellen und viele Gespräche mit dem Oyster-Projektmanagement, anderen Seglern und Zubehörlieferanten führen.

Wir informieren uns umfassend über alternative technische Ausstattungen wie nautische Geräte, Funkanlagen und Sicherheitsequipment. Dennoch kommen uns selbst in der Bauphase immer wieder neue Ideen und nicht selten ändern wir unsere Meinung aufgrund von neu gewonnenen Kenntnissen oder technischen Entwicklungen.

Im Spätsommer 2002 zeichnet sich ab, dass Klaus’ Job in Kalifornien bald beendet sein wird, und so kehren wir Ende Dezember wieder nach Deutschland zurück. Klaus hat es vorgezogen, sich aus dem aktiven Berufsleben zu verabschieden, und so beginnt für uns jetzt eine neue Zeit.

Inzwischen ist der Bau unserer Yacht gut vorangeschritten, und wir kommen gerade rechtzeitig zurück, um die letzten Fragen vor Ort zu klären. In den nächsten Monaten sind wir sehr beschäftigt mit der Auswahl und dem Kauf weiterer Ausrüstungsgegenstände, wie z. B. des Beibootes, der Werkzeuge, der Rettungswesten, der Schwerwetterkleidung und der Seekarten.

Außerdem vervollständigen wir unsere Kenntnisse und Fähigkeiten in mehreren Bereichen. Marlies ergänzt ihr Wissen in der Wetterkunde und besucht einen Medizinkurs, während Klaus die Funklizenzen (SRC, LRC) für den UKW- und Grenzwellenfunk erwirbt und in einem Motorenkurs die Wartung und ggf. Reparatur der Maschine unserer Yacht erlernt. Besonders interessant und lehrreich ist unsere Teilnahme an dem mehrtägigen Sicherheitstraining „Überleben auf See“ im Ausbildungszentrum der Bundesmarine in Neustadt in Holstein. Hier erweitern wir theoretisch wie praktisch unser Know-how in der Brandbekämpfung und der Leckabwehr sowie beim Einsatz von Rettungsgeräten und pyrotechnischen Signalmitteln.

So vorbereitet fiebern wir dem Augenblick entgegen, in dem wir endlich unsere neue Yacht von der Werft abholen können, um ein neues, anderes Leben zu beginnen.

Einstieg in ein anderes Leben

Jungfernfahrt – Erste Erfahrungen auf Ost- und Nordsee – Englischer Kanal – Über die Biskaya an die Algarve

Am 24. April 2003 ist es endlich so weit. Mit großen Erwartungen fliegen wir nach England, um unsere neue Segelyacht WhiteWings bei Oyster Marine Ltd. in Ipswich zu übernehmen. Wir sind in Begleitung unserer Freunde, Egon und Rosi, die uns auf unserem ersten Törn unterstützen werden.

Die gründliche Einweisung an Bord der Yacht durch den Oyster- Projektmanager Jean-Pierre dauert zwei volle Tage. So viel Zeit muss sein, denn die umfangreichen technischen Einrichtungen der Yacht sind komplex und erklärungsbedürftig. Danach erfolgt ein Probesegeln bei sonnigem Wetter auf dem Orwell River und schließlich unterschreibt Klaus das Übergabeprotokoll. Mit einem Glas Champagner stoßen wir auf unser neues Leben mit und auf WhiteWings an. Wir sind überzeugt ein optimales Schiff zu haben, das uns viel Sicherheit und Komfort bietet und auch von uns beiden allein bedient werden kann. Wir freuen uns riesig und sind in diesem Moment sehr glücklich.

Am Tag nach der Übergabe geht es ans Auspacken, Verstauen und Installieren von über 600 Kilogramm an weiteren Ausrüstungsgegenständen. Die haben wir in den letzten Monaten ausgesucht, gekauft und per Spedition nach Ipswich schicken lassen. Nach vier anstrengenden Tagen sind wir endlich segelklar.

Frühmorgens legen wir in Ipswich ab. Wir sind alle sehr gespannt auf die Nordsee, denn dieses Segelrevier kennen wir noch gar nicht. Das Wetter ist schön, frühlingshaft warm und leicht windig, und der Wetterbericht sagt für die nächsten zwei Tage angenehmes Segelwetter voraus. Gut vorbereitet motoren wir den Orwell herunter bis nach Harwich und setzen die Segel, als wir die Nordsee erreichen. Es bläst ein leichter Südwestwind mit drei bis vier Windstärken, der am Abend beständig zunimmt, so dass wir schon bald die Segel reffen. Jetzt sind es schon sieben bis acht Windstärken und die Wellen haben eine Höhe von vier bis sechs Metern erreicht, so dass wir zeitweise mit bis zu zehn Knoten Geschwindigkeit die Wellenberge hinabsurfen.

Der starke Seegang fordert seine Opfer und die Seekrankheit befällt kurzzeitig die meisten Crewmitglieder. Schlafen können wir nicht, dazu sind wir viel zu aufgeregt und wegen des Sturms auch zu angespannt. Um Mitternacht ist der Wind auf neun Windstärken angestiegen und es ist saukalt. Es gibt viele große Frachtschiffe und Ölplattformen, auf die wir aufpassen müssen und die wir über das Radar ständig im Blick haben. Egon und Klaus wechseln sich am Ruder ab, denn der Autopilot kommt mit den großen Wellen nicht mehr zurecht und kann den Kurs nicht halten. Gegen Morgen entscheidet sich Klaus, den Hafen von Den Helder anzulaufen. Eine Wetterbesserung ist nicht in Sicht und wir sind alle sehr müde und erschöpft.

Am späten Vormittag machen wir im königlichen Yachtclub in Den Helder fest und gehen erst einmal schlafen. Die nächsten zwei Tage bleiben wir im Hafen, denn es stürmt draußen auf See immer noch mit sieben bis acht Windstärken. Wir ruhen uns aus, putzen das Schiff und beschäftigen uns an Bord mit kleinen Verbesserungen. Langsam beruhigt sich der Wind und wir machen uns bereit für die nächste Etappe unseres Törns.

Bei sehr schönem Wetter und einem Südostwind von vier bis fünf Windstärken rauschen wir an den Friesischen Inseln entlang in Richtung der Elbmündung. Es macht richtig Spaß – so müsste Segeln immer sein! Wir passieren in der Nacht viele Bohrinseln und in der Elbe entdecken wir am Morgen auf einer Sandbank einige Seehunde, die sich dort ausruhen.

Am Nachmittag erreichen wir Brunsbüttel und die Schleuse zum Nord-Ostsee-Kanal (NOK). Das Anlegen in der Schleuse muss sehr schnell gehen. Wir sind noch ungeübt mit dem neuen Schiff und obendrein unkoordiniert und dementsprechend katastrophal verläuft auch unser erstes Schleusenmanöver. Dennoch passieren wir die Schleuse ohne Schaden und machen wenig später im Gieselaukanal, einem Seitenarm des NOK, für die Nacht fest. Am nächsten Vormittag üben wir bei ruhigem und etwas regnerischem Wetter einige Anlegemanöver, damit wir uns nicht wieder an einer Schleuse blamieren. Das Wetter klart auf und wir fahren wieder in den Kanal in Richtung Kiel.

Die Schleuse des NOK in Kiel passieren wir ohne Probleme und wenig später machen wir im Kieler Yachthafen Düsternbrook fest. In den nächsten Tagen trödeln wir durch die Dänische Südsee, genießen das herrliche Frühsommerwetter und besuchen einige kleine Häfen in Dänemark.

Wir testen das Verhalten der Yacht in verschiedenen Situationen und machen uns mehr und mehr mit den vielfältigen Ausrüstungsgegenständen vertraut. Das schöne Wetter verabschiedet sich mit dunklen Wolken, Gewitter und kräftigem Wind und wir rauschen mit starker Krängung und acht Knoten Geschwindigkeit in Richtung Neustadt, wo wir in der Ancora-Marina festmachen.

Wenige Tage später feiern wir die offizielle Taufe unserer WhiteWings mit der Familie und vielen Freunden, die alle die Gelegenheit nutzen, das Schiff zu besichtigen und sich nach unseren Zukunftsplänen zu erkundigen.

In den kommenden Wochen sind wir viel beschäftigt mit Planungen und Vorbereitungen, inklusive Einkaufen und Verstauen von allem, was man so braucht für einen drei- bis viermonatigen Törn von Neustadt über Ipswich bis nach Lagos in Portugal. Mit Hilfe unserer Freunde Jens und Enno werden einige zusätzliche Ausrüstungsgegenstände installiert. Der Autopilot bekommt einen Gyro als Upgrade, damit er bei hohem Wellengang besser steuern kann, auf dem Mast wird eine D-Netz-Antenne installiert und Klaus erweitert die 230-Volt- und 12-Volt- Stromkreise mit mehreren Steckdosen. Beim Verlegen der Kabel lernt er das Schiff „hinter den Kulissen“ gut kennen und testet dabei auch die Biegsamkeit seiner Knochen.

Marlies verstaut unsere Lebensmittelvorräte unter den Bodenbrettern und in den Schapps. Dank eines perfekten Stauplanes findet sie in den kommenden Monaten immer sofort alles Erforderliche für ein vorzügliches Essen.

Außerdem erstellen wir eine Liste mit Mängeln am Schiff, die wir an Oyster schicken, damit die sich schon mal auf diverse Gewährleistungsreparaturen einstellen können. Unser nächstes Ziel ist daher wieder Ipswich, um von Oyster alle Mängel beheben zu lassen.

Nach nur wenigen Wochen in Neustadt legen wir wieder ab. Unser Sohn Philipp begleitet uns die ersten Tage bis nach Cuxhaven. Wir haben sommerliches Wetter und segeln bei wenig Wind in Richtung Kiel. Nach der Schleusung in den NOK ankern wir abends im Flemhuder See. Spiegelglattes Wasser, das saftige dunkle Grün der Uferböschung und sehr viele Schwäne bestimmen das Bild.

Am nächsten Tag motoren wir durch den NOK nach Brunsbüttel zur Schleuse in die Elbe. In der Schleuse wartet bereits eine Schwanenfamilie, die sich vor der Westschleuse positioniert hat und als Erste nach Öffnung des Schleusentores in die Elbe schwimmt. Während die Schwäne bei der Schleusung sehr routiniert sind, ist das für uns immer noch ein bisschen aufregend. Philipp verliert um ein Haar einen Festmacher, denn der Ring, an dem er ihn befestigt hat, verschwindet bei steigendem Pegel langsam in der Tiefe. Nach der Schleusung in die Elbe rauschen wir mit ablaufendem Wasser nach Cuxhaven, wo wir in der Marina der Seglervereinigung festmachen.

Wir verabschieden uns von Philipp am nächsten Morgen, legen ab und motoren bei ablaufendem Wasser die Elbe abwärts. Der Wind ist anfangs leider zu schwach zum Segeln, später haben wir leichten Wind aus Ost. In der Nacht dreht er dann plötzlich auf West und weht nun mit sechs bis sieben Windstärken recht stark. Wir kreuzen mit Motorunterstützung dagegen an. Die Wellen rollen häufig über das Schiff und durch eine undichte Decksluke im Vorschiff in die vordere Nasszelle. Wir müssen das Wasser mehrfach abpumpen, denn das Bodenbrett schwimmt auf und Seewasser schwappt über die Türschwelle in die vordere Kabine. Das Teakbrett des Bugkorbes, auf dem Philipp so gern gesessen hat, wird von einer Welle einfach weggerissen.

Das ist jetzt kein gemütliches Segeln mehr, sondern ein sehr nasser und anstrengender Törn. Marlies geht es bei diesem starken Wellengang nicht besonders gut. Klaus kann währenddessen sowieso nicht schlafen und übernimmt auch Marlies‘ Wache. Wir wollen nichts riskieren und laufen daher in der zweiten Nacht wieder im königlichen Yachtclub in Den Helder ein. Wir sind todmüde.

Nach einem Ruhetag wird wieder klar Schiff gemacht und wir legen ab. Beim Skipper bricht eine leichte Panik aus, als nach dem Ablegen vom Steg mit Hilfe des Bugstrahlruders plötzlich das Steuerrad blockiert ist und wir geradewegs auf den Kopf eines Steges zufahren. Zum Glück dauert es nur ein paar Sekunden, bis die Ursache gefunden ist: Klaus hat den Cockpittisch mit einem Gurtband an der Steuersäule festgemacht und nicht gemerkt, dass er dabei das Steuerrad ebenfalls mit festgezurrt hat. Der Fehler ist schnell behoben und das Steuerrad wieder frei, aber das Schiff hat nun die erste kleine Schramme.

Draußen auf See entscheiden wir uns direkt nach Ipswich zu segeln, da wir bei diesem Westwind den Kurs direkt anlegen können, wenn auch hart am Wind. Bei Windstärke fünf, später abnehmend auf vier, segeln wir mit sieben bis acht Knoten über die Nordsee gen England. Noch ungewohnt für uns ist die ständige Schräglage. Wir müssen uns auf dem Schiff gut festhalten, jede Bewegung ist anstrengend. Besonders unangenehm ist die Kälte, nachts haben wir nur zehn bis zwölf Grad Celsius. Fast 24 Stunden segeln wir so auf einer Backe, nur die letzten drei Stunden motoren wir langsam den Orwell hinauf.

Dennoch ist so ein Trip über die Nordsee spannend und hochinteressant. Die Anzahl der Bohrinseln und Arbeitsplattformen ist beeindruckend und der rege Schiffsverkehr erlaubt keine Unaufmerksamkeit. Wir sind positiv überrascht, dass alle Schiffe, auch große Containerfrachter, unser Wegerecht als Segler anerkennen und ihren Kurs ändern, um uns auszuweichen. Der erste lange Törn mit WhiteWings, den wir beide allein unternommen haben, ist geschafft. Wir sind nach einer Woche und 510 Seemeilen in guter Stimmung wieder in England angekommen. Am frühen Nachmittag machen wir in der Woolverstone-Marina im Orwell fest, nur wenige Seemeilen vor Ipswich.

Da die Fox’s Marina von Oyster nur wenige Meilen entfernt ist, sollte man annehmen, dass die Leute hier den Anblick von Oyster-Yachten gewohnt sind. Unser Schiff wird freilich von vielen freundlichen Seglern bestaunt und begutachtet und man gratuliert uns immer wieder zu der schönen Yacht. Unsere Stegnachbarn Joyce und Robert besitzen zurzeit eine Najad 400 und verhandeln mit Oyster über den Kauf einer Oyster 56. Sie besichtigen unser Schiff, fragen uns Löcher in den Bauch und sind begeistert. Wir sind sicher, sie werden bald stolze Eigner einer Oyster 56 sein.

Am Sonntagabend verlegen wir uns in die Fox’s Marina bei Oyster und sehen der kommenden Woche optimistisch entgegen, in der alle Gewährleistungsreparaturen vorgenommen werden sollen. Die Mängelliste umfasst inzwischen nahezu 30 Punkte, glücklicherweise fast alles kleinere Dinge.

Die Woche in Ipswich geht schnell vorüber. Alle Arbeiten werden zu unserer Zufriedenheit erledigt und so verlassen wir Oyster guter Dinge und in Erwartung weiterer schöner Erlebnisse.

Wir segeln bei sonnigem Wetter und drei bis vier Windstärken den Orwell hinab nach Harwich und von dort aus weiter nach Dover. Der Tidenstrom und die vielen Sandbänke vor der englischen Südostküste zwingen uns genau zu navigieren, was uns beiden viel Spaß macht. Wir erleben einen herrlichen Sonnenuntergang und sehen später in der Dämmerung die gigantischen Umrisse der Kreidefelsen von Dover. Um Mitternacht motoren wir bei drei Knoten Strom gegenan sehr langsam an Dover vorbei und beobachten aufmerksam den regen Schiffsverkehr. Der Wind dreht auf Ost, wir setzen den Blister und segeln gemütlich im Englischen Kanal in Richtung Portsmouth.

Abends legen wir in der Gosport-Marina in Portsmouth an. Wir bleiben nur einen Tag und segeln dann weiter Richtung Torquay, zum Herzen der englischen Riviera. Eigentlich wollten wir nach Cowes auf der Isle of Wight, aufgrund der ungünstigen Wettervorhersage segeln wir jedoch lieber weiter nach Westen. Im Solent haben wir halben Wind mit vier bis fünf Windstärken und rauschen mit dem Strom durch die Meerenge. Es ist der Wahnsinn: Am Ende des Solent spuckt uns dieser förmlich zurück in den Englischen Kanal mit über elf Knoten Geschwindigkeit über Grund!

Nach fast zwei Wochen Sonnenschein lernen wir nun das typische englische Wetter kennen. Der Wind lässt nach, es wird zunächst diesig und später in der Nacht sind wir von dickem waberndem Nebel eingehüllt. Es ist richtig gespenstisch, als wir bei Nacht und Nebel mit gehörigem Abstand an der Küste entlangfahren. Das Radar leistet sehr gute Dienste, denn überall sind Fischerboote und Kriegsschiffe der englischen Marine. Ohne Radar reicht die Sicht kaum bis zu unserem Bugkorb.

Im Morgengrauen erreichen wir die Torquay-Marina. Der Hafen ist proppenvoll, also geht es wieder raus und quer über die Bucht nach Brixham, wo wir den letzten ruhigen Platz bekommen.

Die stolzen Eigner und ihre Yacht WhiteWings.

Erste Erfahrungen auf Ost- und Nordsee.

Arbeitsplattformen und Containerschiffe im Englischen Kanal.

Torquay – die englische Riviera.

Leuchttürme von Falmouth und Brixham.

Historische Altstadt von Dartmouth.

Trotz einsetzenden Regenwetters und Sturms machen wir einige Ausflüge per Bus, Dampfer und zu Fuß nach Torquay, Dartmouth und in die Umgebung. Dartmouth ist eine schöne alte Hafenstadt mit vielen historischen Gebäuden in der südenglischen Grafschaft Devon. Die Stadt liegt am Westufer der Dart-Mündung und wird von sehr vielen Seglern angelaufen. Die Marina hat sogar einen kleinen Bahnhof, wo regelmäßig ein Zug der Western Railway stoppt, angetrieben von einer alten nostalgischen Dampflok.

Wir wollen weiter nach Westen, um rechtzeitig Anfang August die Biskaya zu überqueren. Trotz Regen und schwachen Gegenwinden hangeln wir uns mit Motoreinsatz weiter nach Westen und legen zwei Tage später in der Mayflower-Marina in Plymouth an.

Die Fahrt entlang der englischen Südküste ist jeden Tag aufs Neue spannend, denn man durchquert zwangsläufig immer wieder Schieß- und U-Boot-Übungsgebiete der englischen Marine. Die Zeiten und Koordinaten der Schießübungen werden jeden Tag per UKW-Funk angekündigt und wenn man dieser Gegend nicht weiträumig ausweicht, wird man von einem Sicherungsboot oder von einem Hubschrauber aus freundlich, aber sehr bestimmt aufgefordert, das Gebiet sofort zu verlassen.

In Plymouth treffen wir auf eine große Anzahl von Kriegsschiffen der englischen Marine, und wir lernen sehr schnell, dass die Queen in zwei Tagen erwartet wird. Queen Elisabeth II. und Prinz Philip, Duke of Edinburgh, geben sich die Ehre, um für die Flotte eine neue „Queen’s Colour“ zu präsentieren. Dies ist ein neues Emblem bzw. eine Flagge für ein Kriegsschiff und ein sehr wichtiges Symbol, das Respekt und Achtung gegenüber der Leistung einer militärischen Einheit ausdrückt.

Wir bekommen vom Hafenbüro ein mehrseitiges Merkblatt mit dem Programm und Anweisungen, wann und wohin wir uns mit unserem Schiff bewegen dürfen. Dieses Event erfordert einen riesigen Aufwand mit über 20 Kriegsschiffen und Tausenden von Marinesoldaten. Sogar der Handelshafen wird für einige Stunden für alle Handelsschiffe gesperrt. Bei der eigentlichen Zeremonie regnet es in Strömen, so dass die Queen und Prinz Philip in einer Glastribüne auf einem der Kriegsschiffe verharren und wegen der schlechten Sicht wahrscheinlich kaum etwas sehen, als sie die Parade abnehmen. Die vielen Segler und Motorbootfahrer, die wie wir rausfahren, um die Queen zu sehen, haben wegen des Regens ebenfalls keine Sicht.

Wir schlängeln uns mit unserem Schiff langsam durch das Gewühl von Kriegsschiffen, Ausflugsschiffen und Sportbooten und wollen weiter nach Falmouth. Nach vier Stunden sind wir jedoch wieder zurück! Keine Sicht, strömender Regen, Seegang und zunehmender Wind veranlassten uns, wieder umzukehren. Wir haben es nicht so eilig, dass wir bei derart ungemütlichem Wetter draußen sein müssen. So besichtigen wir lieber Plymouth, insbesondere die sehr schöne Altstadt mit vielen Kneipen, Galerien, Kunsthandwerkershops und Gindestillerien.

Am nächsten Morgen ist die Wetterlage etwas besser und die Wettervorhersage bestätigt: Wir können weiter nach Falmouth. Da aufgrund unseres Tiefgangs nur sehr wenige Marinas in Falmouth für uns in Frage kommen, ruft Klaus schon vormittags die Port Pendennis Marina in Falmouth an und lässt uns einen Platz reservieren. Es klappt wirklich: Nach acht Stunden Motorfahrt erreichen wir die Marina, wo für uns ein Liegeplatz längsseits am Außensteg mit einem rot-weißen Band als reserviert gekennzeichnet ist. Das Hafenbüro ist zwar schon geschlossen, aber die Stegnachbarn sind über unsere Ankunft informiert und geben uns gern den PIN-Code für das Tor. Dies ist ein super Service und auch die Mitarbeiter im Hafenbüro, wo Klaus am nächsten Tag seinen PC anschließt und E-Mails herunterlädt, sind sehr freundlich und hilfsbereit.

Wir wandern durch die Stadt, die sauberer und gemütlicher ist als viele andere, muffige Orte, die wir in England kennengelernt haben. Wir bestellen in einem Café mal wieder Cream Tea, d. h. Tee und Scones mit Clotted Cream, mmh…

Hier wollen wir bleiben, bis wir das richtige Wetter haben, um über die Biskaya zu segeln. Wir sind nicht allein mit unserem Anliegen. Neben uns liegen Dänen, Finnen, Amerikaner, Holländer, Franzosen, Deutsche u. a., die teilweise schon seit Wochen auf besseres Wetter warten. So richten wir uns auf einen längeren Aufenthalt ein und schmieden Pläne für die nächsten Tage.

Nach ein paar Tagen kündigt sich plötzlich eine Änderung der Wetterlage an. Alle Wetterstationen bestätigen die neue Vorhersage: Wind aus West-Nord-West mit drei bis vier Windstärken, zunehmend auf fünf Windstärken. Genau der richtige Wind für uns, um die Biskaya zu überqueren. Wir checken nochmal unsere Vorräte und verlassen England nach drei Wochen mit dem Ziel Bayona in Galicien, Nordspanien.

Zur gleichen Zeit haben mit uns eine amerikanische und eine holländische Segelyacht die Gelegenheit genutzt, um den Sprung von Falmouth über die Biskaya zu wagen.

Die Biskaya ist eine sehr große Bucht des Atlantischen Ozeans, die sich von Galicien bis zur Bretagne entlang der gesamten Nordküste Spaniens und der Westküste Frankreichs erstreckt. Dieses Seerevier ist für schwere Verhältnisse, starke Stürme und große Wellen bekannt. Dies hat im Wesentlichen drei Ursachen:

  • Aufgrund des Kontinentalschelfs nimmt die Wassertiefe in der Biskaya schlagartig von 3000 bis 4000 Meter auf 200 Meter und weniger ab, d. h., die lange Atlantikwelle wird dadurch abrupt abgebremst und steilt sich auf.
  • Die Form der Küsten in der Biskaya verursacht eine Reflexion der Wellen, wodurch gefährliche Überlagerungen entstehen können.
  • Die atlantischen Tiefdruckgebiete ziehen oftmals durch die Biskaya, was häufige Stürme mit westlichen Winden zur Folge hat.

Wir haben deshalb einen Kurs gewählt, der in einem Bogen nach Westen über die äußere Biskaya nach Nordspanien führt, außerhalb des Kontinentalschelfs. Wir erwarten hier stetigen Wind und weniger Seegang als bei einem Kurs entlang der französischen Küste. Außerdem haben wir so ausreichend freien Seeraum, um einen Sturm aus West abwettern zu können. Trotzdem sind wir anfangs etwas angespannt, denn dies ist für uns beide der erste mehrtägige Törn über die offene See.

Je weiter wir uns von England entfernen, desto besser wird das Wetter. Nach einigen Stunden sehen wir England achteraus unter einer dunklen bleiernen Wolkenwand liegen, aus der es beständig regnet. Über uns klart es auf und vor uns sehen wir nur noch blauen Himmel.

Der Wind bläst gut aus West-Nord-West mit 15 bis 20 Knoten und so rauschen wir mit halbem Wind und sieben Knoten Geschwindigkeit über den Englischen Kanal in die Biskaya. Es ist ein herrliches Segeln, bald sehen wir kein Land mehr und auch die anderen Segler verlieren sich in der Ferne.

Am Abend genießen wir den schönen Sonnenuntergang. Kurz darauf besuchen uns die ersten Delphine, die unser Schiff eine Weile begleiten. Es ist faszinierend, wie schnell und beweglich diese Tiere sind, wenn sie mit unserem Bug spielen und unter uns hindurchtauchen. Später sehen wir in der Ferne zwei Wasserfontänen. Zunächst vermuten wir springende Delphine, doch dann erkennen wir zwei Wale, die in einiger Entfernung ruhig an uns vorbeiziehen und dabei die Wasserfontänen ausstoßen. Es ist schon etwas Besonderes, hier draußen auf dem Meer zu segeln und solche Augenblicke in sich aufzunehmen.

Am nächsten Tag dreht der Wind mehr auf West-Süd-West, so dass wir höher am Wind segeln müssen. Mehrmals sehen wir Delphine, die nun zu unseren ständigen Begleitern werden. Die Bordroutine beginnt sich einzupendeln: Kurs und Position prüfen, Position in Karte eintragen, Segel und Rigg prüfen, Essen zubereiten, lesen. Nur ein fester Schlafrhythmus will sich noch nicht einstellen.

Der Wind dreht weiter auf Süd-West und wir müssen den Kurs auf Süd korrigieren. Am dritten Tag bleibt der Wind auf Süd-West, wird aber immer schwächer und schläft nahezu ganz ein. Wir starten den Motor und nehmen direkten Kurs auf das Kap Finisterre. Nach insgesamt knapp drei Tagen haben wir das Kap, die Nordwestspitze Spaniens, querab und ankern direkt dahinter in einer kleinen Bucht vor dem Fischerort Fisterra.

Wir haben es geschafft! Lag es an unserer guten Planung oder war es einfach nur Glück, dass wir keinen Sturm hatten? Egal, wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Auf jeden Fall nehmen wir uns vor, auch in Zukunft unsere Törns sehr gut zu planen und keine unnötigen Risiken einzugehen.

Nach einem kurzen Frühstück gehen wir erst einmal in die Koje und holen den fehlenden Schlaf der letzten Tage nach. Am nächsten Morgen folgt ein kurzer Schlag nach Bayona, wo wir im Monte Real Club de Yates festmachen.

Bayona ist offensichtlich Anlaufpunkt sehr vieler Segler, die auf dem Weg von Nord- nach Südeuropa sind oder umgekehrt. Wir liegen an einem Steg mit Seglern aus fast allen europäischen Küstenländern. Bayona ist ein schöner Badeort mit vielen spanischen und wenigen ausländischen Touristen, die ihren Urlaub lieber hier verbringen als an der überlaufenen Mittelmeerküste. Das können wir gut verstehen.

Nach einem Spaziergang durch den Ort essen wir in einem der vielen hervorragenden Fischrestaurants, dem „El Mosquito“. Wir sind begeistert. Nicht nur die Größe der Seezungen ist beeindruckend, sondern auch die Qualität und die Zubereitungsart aller Speisen und Getränke. Es ist unser bestes Fischdinner seit langem, und das zu einem Preis von unter 50 Euro einschließlich Vorspeise, Wein, Espresso und eines guten Brandys. Im Restaurant treffen wir auch die Crews mehrerer Yachten von unserem Steg, die sich hier genauso wohl fühlen wie wir.

Am nächsten Tag gehen wir nochmals in den Ort und besuchen das Internetcafé, das wir am Vorabend entdeckt haben. Es lohnt sich einen Blick hineinzuwerfen, denn die Einrichtung unterscheidet sich wesentlich von Internetcafés, wie wir sie bisher kannten. Auf engstem Raum stehen ein paar wackelige Tische, Kabel laufen kreuz und quer über den Boden und die Computer sind alle ohne Chassis, wahrscheinlich um eine bessere Kühlung zu erreichen. Es funktioniert alles hervorragend und wir können in Ruhe unsere E-Mails lesen und beantworten.

Wir verlassen Bayona nach zwei Tagen und motoren die Atlantikküste entlang nach Süden. Bei jedem Windhauch setzen wir Segel, aber kaum sind die Segel gesetzt, ist der Wind schon wieder eingeschlafen. Immer wieder spielen Delphine mit uns – rechts oder links auftauchen, unter der Yacht hindurchtauchen, hochspringen; es ist uns nie langweilig und den Delphinen wohl auch nicht. Nachmittags kommt endlich stärkerer Wind auf und wir rauschen unter Vollzeug bis zur Hafeneinfahrt von Porto, der Stadt, der Portugal seinen Namen verdankt.

Wir machen in der Marina Porto Atlantico in Leixões fest, einem Vorort von Porto. Für den nächsten Tag planen wir, das Schiff einer gründlichen Reinigung zu unterziehen. Das ist dann auch wirklich notwendig, denn über Nacht werden alle Yachten im Hafen von einer dicken Rußschicht überzogen, eine Auswirkung der großen Waldbrände, die zurzeit in Portugal toben.

Die Tage in Porto sind wirklich lohnenswert. Wir nehmen den Bus in die Innenstadt und laufen durch viele Gassen und am Fluss entlang zum Sandeman-Portweinkeller, dem wohl weltweit bekanntesten und renommiertesten Hersteller für Sherry und Portwein. Bei einer Führung durch die Kelleranlagen lernen wir endlich, was Portwein ist und wie er hergestellt wird. Von nun an haben wir immer welchen an Bord.

Porto ist eine sehr alte und hervorragend restaurierte Stadt mit einer warmen Atmosphäre, voller Flair und Gemütlichkeit. Der Bahnhof ist ein wunderschönes altes Gebäude im Jugendstil, das man einfach gesehen haben muss. Viele Häuser sind sehr individuell mit Fliesen und Kacheln verziert, wahre Schmuckstücke.

Wir segeln weiter südwärts, machen einen Stopp in Cascais, um Diesel und Lebensmittel zu bunkern, und motoren dann den Tajo hinauf nach Lissabon. Dies ist eine interessante und spannende Fahrt für uns. Wir kommen an vielen bedeutenden Gebäuden und Baudenkmälern vorbei, passieren die eindrucksvolle Brücke Ponte 25 de Abril mit einer Länge von 2287 Metern und machen eine Rundfahrt durch den riesigen Hafen. Der Torre de Belém, eines der bekanntesten Wahrzeichen Lissabons und Teil des Weltkulturerbes der UNESCO, und das Entdeckerdenkmal Padrão dos Descobrimentos, beide am Ufer im Stadtteil Belém, sind beeindruckende Bauwerke.

Schließlich machen wir in der Marina Doca de Alcantara fest. Wir liegen sehr nahe am Zentrum der Stadt, das nur zwei S-Bahn-Stationen entfernt ist. Lissabon ist eine schöne alte Stadt, teilweise etwas zerfallen, gleichwohl urig und sehr gemütlich. Wir laufen über große Plätze, durch Tore und enge Gassen mit vielen kleinen Restaurants, die oftmals weniger als zehn Plätze haben. Wir fahren mit der berühmten Zahnradbahn enge Gassen hinauf und betrachten Lissabon von oben. Lissabon muss man erlaufen, um es kennenzulernen, aber es lohnt sich. Es gibt viele Sehenswürdigkeiten: berühmte Paläste, Kirchen, Parks und Museen.

Wir besuchen u. a. den Stadtteil Belém, direkt am Tajo gelegen. Belém war einst der Ort, von dem aus die Schiffe Portugals zu ihren Entdeckungsreisen aufbrachen. Mit dem Reichtum aus den neu entdeckten Ländern wurde die Errichtung von grandiosen Bauwerken finanziert, wie dem Kloster Mosteiro dos Jerónimos und dem Torre de Belém.

Nach mehreren Tagen legen wir wieder ab, nicht ohne das Versprechen, dass wir im Winter Lissabon nochmals mit dem Auto besuchen werden. Wir motoren aus Lissabon heraus den Tajo hinab und hoffen auf Segelwind im Atlantik, aber das Meer ist spiegelglatt. Entgegen unseren Erwartungen müssen wir viel häufiger motoren, um voranzukommen. Eine überschlägige Berechnung ergibt, dass wir bisher ca. ein Drittel der Gesamtstrecke unter Motor zurückgelegt haben. Dabei sind wir aufgebrochen, um zu segeln!

Unser nächstes Ziel ist die kleine Ankerbucht Portinho da Arrábida zwischen Sesimbra und Setúbal. Der Weg dorthin ist eine navigatorische Herausforderung, denn wir müssen uns sehr langsam an mehreren Untiefen entlanghangeln. Mit Hilfe der Karte und des Kartenplotters nähern wir uns dem Ziel. Zeitweise fahren wir in einer schmalen Rinne, die nicht einmal durch Seezeichen gekennzeichnet ist. Nur wenige Meter neben uns brechen sich die Wellen, aber wir meistern auch diese Herausforderung und ankern vor einer eindrucksvollen Küste.

Im Revierführer haben wir zuvor gelesen, dass man abends für mehrere Stunden mit starkem Wind zu rechnen hat. Wir bezweifeln das, doch gegen Abend kommt tatsächlich Wind auf und nimmt bis auf sieben Windstärken zu! Offensichtlich sind dies lokale thermische Winde, die im Sommer wohl fast jeden Abend auftreten. Der Wind bläst stark und zerrt an WhiteWings und WhiteWings reißt an der Ankerkette. Der Anker hält, dennoch können wir erst ruhig einschlafen, als der Wind gegen Mitternacht wieder nachlässt. Am nächsten Morgen geht es denselben Weg zurück und dann weiter an langen Sandstränden entlang nach Sines.

Sines, ein kleiner Fischerort, liegt auf einem Felsen und hat eine historische Altstadt mit einer Burg. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten Söhne der Stadt war Vasco da Gama, der als Entdecker und Eroberer in die portugiesische Geschichte einging. Am Tag nach unserer Ankunft ist der ganze Ort auf den Beinen, denn heute ist Feiertag und zu Ehren der Schutzheiligen der Fischer findet nach dem Kirchgang eine Prozession durch den Ort zum Hafen statt. Die hölzerne Statue der Madonna wird auf ein bunt geschmücktes Fischerboot gebracht. Unter Hupen und Gesängen wird die Prozession auf zahlreichen Schiffen fortgesetzt, die auf das Meer hinausfahren und erst bei Sonnenuntergang zurückkommen.

Am nächsten Tag legen wir wieder ab, denn wir wollen weiter gen Süden zur Algarve. Es weht ein wenig Wind und wir versuchen es mit Genua und Großsegel. Doch dafür reicht es nicht und so setzen wir den Blister. Dies stellt sich als richtige Entscheidung heraus: Bei sieben bis acht Knoten Wind machen wir fast sechs Knoten Fahrt, beachtlich! Wir haben endlich mal wieder einen schönen entspannten Segeltag wie schon lange nicht mehr und segeln an der teils sandigen, teils felsigen Atlantikküste Portugals nach Süden. Am Cabo de São Vicente, dem südwestlichsten Punkt unseres Kontinents, nehmen wir den Blister weg und gehen in der Enseada de Sagres vor Anker, wenige Seemeilen vor Lagos.

In den kommenden Wochen folgen wir der Küste der Algarve bis nach Isla Canela in Spanien und wieder zurück nach Lagos. Wir besuchen Portimão, Ferragudo, Vilamoura, Faro, Olhão, Vila Real de Santo António und Lagos. Mit zahlreichen herrlichen Lagunen ist die Algarve ein Ankerparadies für uns Segler.

Die rötlichen Felsen der Küste umrahmen weite Grotten, die wir mit dem Schlauchboot erkunden, und schützen malerische Badebuchten mit weißen Sandstränden, kleine Fischerhäfen und moderne Marinas. Bei einem Tidenhub von drei Metern und mehr muss man genau navigieren und sorgfältig entscheiden, wann man wo ankern kann. Unsere Lieblingsankerplätze sind die Lagunen vor Faro und vor Olhão sowie die kleine Bucht vor dem alten Fischerdorf Ferragudo, gegenüber von Portimão. Aufgrund unseres Tiefgangs von 2,2 Metern sind uns einige Lagunen leider nicht zugänglich.

Auf Isla Canela treffen wir Klaus’ Bruder und dessen Frau, Hajo und Margrit, die dort Urlaub machen. Mit ihnen verbringen wir ein paar schöne Stunden auf See und an Land und testen dabei gleich die Funktion unserer Automatikrettungswesten.

Während unserer Törns entlang der Küste werfen wir immer wieder unsere Angel aus, ohne Erfolg. Zu guter Letzt steuert Marlies unser Schiff versehentlich über ein Netz, während Klaus die Angel im Wasser hat, die daraufhin mit allen Haken und Ködern im Netz hängen bleibt – der Fischer wird sich freuen. Im nächsten Jahr werden wir es mit einer anderen Strategie nochmal versuchen.

Fisch haben wir trotzdem reichlich. Unser Stegnachbar in Vilamoura ist bei einem Wettangeln sehr erfolgreich und fischt einen 35 Pfund schweren Blue Marlin aus dem Meer. Wir bekommen von ihm zwei sehr dicke Thunfischsteaks fürs Dinner geschenkt, die wir nur mit Mühe aufessen können.

Die Zeit an der Algarve nutzen wir immer wieder, um uns mit den erforderlichen Wartungsarbeiten am Schiff vertraut zu machen und diverse Ausrüstungsgegenstände besser kennenzulernen. So testen wir das Dingi, den Außenbordmotor, den Mastlift, mit dem man sich allein den Mast hochziehen kann, und weitere Geräte. Marlies backt ihre ersten Brote selbst und optimiert das Verstauen der Lebensmittel, während Klaus sich um ausreichend Platz für das Weinlager kümmert. Daneben erstellen wir eine umfangreiche To-do-Liste mit all den Dingen, die wir ergänzen, verändern, ersetzen oder reparieren wollen.

Wir sind seit vier Monaten unterwegs und haben viel gelernt über das Seeverhalten von WhiteWings in verschiedenen Situationen, insbesondere durch das Üben bestimmter Manöver unter Segel und unter Motor auf See und im Hafen. Wir vervollständigen unsere theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten in vielen seemännischen, navigatorischen und technischen Fragestellungen. Bei jedem Törn machen wir neue Erfahrungen und gewinnen immer mehr Sicherheit in der Führung unserer WhiteWings. Wir sind bereit für neue Herausforderungen.

Nach einer mehrwöchigen Bummelei entlang der Algarve segeln wir Anfang September zurück nach Lagos, wo wir einen Liegeplatz für den Winter reserviert haben. Die Stadt Lagos ist zu Recht einer der Hauptanziehungspunkte der Algarve. Das liegt nicht nur an den kilometerlangen breiten Sandstränden und den südwestlich gelegenen schönen Felsformationen und Grotten, sondern auch an der vorbildlichen Restaurierung und Erhaltung des attraktiven Stadtkerns. Die engen Gassen der Altstadt sind autofrei und ziehen im Sommer Straßenmusikanten, Clowns und Kleinkünstler jeder Art an. Abends kann es schon mal eng werden in den Gassen, in denen immer etwas los ist. Lagos hat sich seinen Charme bewahrt.

Hier verbringen wir zwei Wochen mit vielen Aktivitäten auf dem Schiff und an Land. Bei einem Ausflug über das Land sehen wir das beeindruckende Ausmaß und die Auswirkungen der großen Waldbrände dieses Sommers. Die Natur regeneriert sich freilich sehr schnell, denn schon nach wenigen Wochen kommen die ersten grünen Pflanzen wieder durch das verkohlte Gehölz.

Ende September fliegen wir für ein paar Wochen zurück nach Deutschland, wo wir zusätzliche Ausrüstungsgegenstände für unser Schiff erwerben. Mit einem vollgepackten Auto geht es dann zurück nach Lagos.

Einige Tage später kommt Eddie, der Customer Care Manager von Oyster, der eine Woche lang das gesamte Schiff durchcheckt, einige Gewährleistungsreparaturen vornimmt und uns sehr viele Fragen beantwortet, die sich in den letzten Monaten im Umgang mit WhiteWings ergeben haben. Da Eddie bei uns an Bord wohnt, haben wir ausgiebig Zeit, alle Fragen detailliert mit ihm zu besprechen. Wir erhalten viele wertvolle Tipps für die Wartung und die Pflege unseres Schiffes.

Gemeinsam mit Eddie führen wir einen Check des gesamten Riggs durch und ersetzen alle Lewmar-Synchro Blöcke durch Lewmar-Ocean Blöcke, da auf anderen Yachten ein paar Synchro-Blöcke versagt haben, was zu sehr gefährlichen Situationen führen kann. Oyster hat daher einen kostenlosen Austausch aller Blöcke veranlasst. Sehr hilfreich sind Eddies Tipps zur Einstellung des Druckausgleichstanks und der Pumpen für das Frischwassersystem.

Nach ein paar kleineren Gewährleistungsreparaturen ersetzt Eddie nochmals die Decksluke für die vordere Nasszelle, da auch die in Ipswich erneuerte Luke wieder undicht ist. Nachdem Eddie die neue Luke eingebaut hat, soll die Dichtigkeit getestet werden. Klaus setzt die Luke von außen mit dem Wasserschlauch unter Wasser, während Eddie von drinnen die Dichtigkeit prüft. Schon nach wenigen Sekunden klopft er heftig gegen die Luke und bittet Klaus innezuhalten. Die Luke ist so undicht, dass Eddie richtig nass geworden ist. Es ist ihm und uns ein Rätsel, wieso jetzt schon die dritte Decksluke undicht ist und immer zwischen dem Lukendeckel und dem Rahmen Wasser durchlässt. Eddie ist mit seinem Latein am Ende. Wir vereinbaren, dass die Sheppard’s Werft in Gibraltar sich des Problems annehmen und auf Kosten von Oyster so lange daran arbeiten wird, bis die Luke dicht ist.

In den nächsten Wochen verbessern wir unsere Yacht in vielerlei Hinsicht. Wir installieren den Wassermacher, ein Mikrophon für den UKW-Funk am Steuerstand, eine Fernbedienung für den Autopiloten, Davits für das Dingi und Halterungen für eine Gangway am Heck, den Fernseher und DVD-Rekorder im Salon und einen Windgenerator, der unterwegs unsere Batterien aufladen soll.

Für eine Woche nehmen wir das Schiff aus dem Wasser, um zwei Lagen neues Antifouling aufzutragen, alle Anoden zu ersetzen und den Rumpf zu polieren.

Zwischen all diesen Arbeiten fahren wir viel in der Umgebung von Lagos herum. Wir erkunden die lokalen Märkte und kaufen Wein auf einem nahe gelegenen Weingut. Wir bekommen nacheinander Besuch von unseren Kindern Michèle, Katja und Philipp, teilweise mit ihren Partnern, und von unserer Freundin Evi, die alle jeweils eine oder zwei Wochen bei uns bleiben. Wir besuchen ein weiteres Mal Lissabon und machen sowohl mit dem Schiff als auch mit dem Auto viele Ausflüge.