Gedichte und Erzählungen
Anaconda
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Die Gedichte und Erzählungen dieses Bandes sind chronologisch nach den Erstausgaben geordnet. Orthografie und Interpunktion wurden behutsam auf neue deutsche Rechtschreibung umgestellt, grammatische Eigenheiten blieben gewahrt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
© 2015 Anaconda Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlagmotiv: picture-alliance/dpa
Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bonn
ISBN 978-3-7306-9147-2
V002
www.anacondaverlag.de
1910
EINLEITUNG
Viel passiert zu allen Zeiten
In der Welt der Kleinigkeiten.
Stimmt bald ernst und stimmt bald heiter. –
So, nun blätt’re, bitte, weiter.
DIE FEDER
Ein Federchen flog über Land;
Ein Nilpferd schlummerte im Sand.
Die Feder sprach: »Ich will es wecken!«
Sie liebte, andere zu necken.
Aufs Nilpferd setzte sich die Feder
Und streichelte sein dickes Leder.
Das Nilpferd öffnete den Rachen
Und musste ungeheuer lachen.
DER FUNKE
Es war einmal ein kleiner Funke.
Das war ein großer Erzhallunke.
Er sprang vom Herd und wie zum Spaß
Gerade in ein Pulverfass.
Das Pulverfass, das knallte sehr;
Da kam sofort die Feuerwehr
Und spritzte dann mit Müh und Not
Das Feuer und das Fünkchen tot.
DER EDELSTEIN
Der gute König Magarone
Trug einen Stein in seiner Krone.
Es war ein schöner Edelstein,
Er funkelte wie Sonnenschein.
Ein böser König kam aus Polen,
Um sich den Edelstein zu holen.
Sie stritten sich fast zehn Minuten,
Der böse König mit dem guten.
Dann kam ein fürchterlicher Krieg.
Der gute König kam zum Sieg.
Und schenkte – weil er sich so freute –
Den Edelstein an arme Leute.
DIE SEIFENBLASE
Es schwebte eine Seifenblase
Aus einem Fenster auf die Straße.
»Ach nimm mich mit dir«, bat die Spinne
Und sprang von einer Regenrinne.
Und weil die Spinne gar nicht schwer,
Fuhr sie im Luftschiff übers Meer.
Da nahte eine böse Mücke,
Sie stach ins Luftschiff voller Tücke.
Die Spinne mit dem Luftschiff sank
Ins kalte Wasser und ertrank.
DAS EI
Es fiel einmal ein Kuckucksei
Vom Baum herab und ging entzwei.
Im Ei da war ein Krokodil;
Am ersten Tag war’s im April.
DER FLOH
Herr Müller hatte einen Floh,
Der stach Herrn Müller irgendwo.
Herr Müller dankte für die Ehre,
Dann nahm er eine lange Schere
Und schnitt ihn in zwei gleiche Teile.
Jedoch, nach einer kurzen Weile,
Da wurden aus dem einen Floh
Zwei neue Flöh’ daraus. – Oho!
Da sprach der eine von den beiden:
»Man muss nicht einen Floh zerschneiden«.
DIE NADEL
Ein Schneider eine Nadel fand,
Die stach den Schneider in die Hand.
Der Schneider sprang entsetzt zurück,
Die Nadel sprach, ich bring’ dir Glück.
Der König hörte Schneiders Leid,
Und er bestellte sich ein Kleid.
Der Schneider nähe dieses gleich;
Am andern Tage war er reich.
So hat die Nadel über Nacht
Dem armen Schneider Glück gebracht.
DAS SAMENKORN
Ein Samenkorn lag auf dem Rücken,
Die Amsel wollte es zerpicken.
Aus Mitleid hat sie es verschont
Und wurde dafür reich belohnt.
Das Korn, das auf der Erde lag,
Das wuchs und wuchs von Tag zu Tag.
Jetzt ist es schon ein hoher Baum
Und trägt ein Nest aus weichem Flaum.
Die Amsel hat das Nest erbaut;
Dort sitzt sie nun und zwitschert laut.
DER WASSERTROPFEN
Ein Wassertropfen fiel vom Himmel;
Es war ein ungezog’ner Lümmel.
Im Grase schlief ein dummer Hase,
Der Tropfen fiel auf seine Nase.
Der Hase dachte sich dabei,
Dass er jetzt totgeschossen sei.
Er sprang in seinem großen Schreck
Aus seinem sicheren Versteck.
Der Jägersmann stand an der Straße
Und schoss ihn wirklich in die Nase.
DER KNOPF
Es war ein Knopf an Fritzens Mütze,
Der machte ungezogne Witze.
Erst strampelte er stundenlang,
Worauf er von der Mütze sprang.
Er fiel auf einen Kieselstein,
Dort schlief er ganz ermüdet ein.
Und eine Schlange sah den Schläfer;
Sie dachte sich, es sei ein Käfer.
Und weil der Käfer ihr gefiel,
So fraß sie ihn mit Stumpf und Stiel.
DER STEIN
Ein kleines Steinchen rollte munter
Von einem hohen Berg herunter.
Und als es durch den Schnee so rollte,
Ward es viel größer als es wollte.
Da sprach der Stein mit stolzer Miene:
»Jetzt bin ich eine Schneelawine«.
Er riss im Rollen noch ein Haus
Und sieben große Bäume aus.
Dann rollte er ins Meer hinein,
Und dort versank der kleine Stein.
DER KLEINE JUNGE
Es war ein kleiner, böser Junge,
Der zeigte jedermann die Zunge,
Ging statt zur Schule auf die Straße
Und drehte allen eine Nase.
Als seine Eltern beide tot,
Kam er in bitterliche Not.
Und lebt nun – weil er sonst nichts kann –
Als armer Leierkastenmann.
DAS KLEINE MÄDCHEN
Es war ein armes kleines Mädchen,
Das stickte nur mit kurzen Fädchen;
Ich glaube, Lina war ihr Name.
Sie wurde eine schöne Dame,
War fleißig, brav und lernte gerne,
Da kam ein Prinz aus weiter Ferne.
Der sagte: »Liebe gute Lina,
Komm mit mir auf mein Schloss nach China.«
Dort sitzen sie nun alle beide
Auf einem Thron von gelber Seide.
Ein lustiges Märchen
Text von Hans Bötticher und
Ferdinand Kahn
1910
DAS FEUER zischt mit rotem Kopf –
Am Herd – da stehet Topf an Topf.
Drin kocht und siedet dies und das;
Die Köchin geht und holt noch was!
Kaum ist sie fort die Küche leer,
Geht’s auf dem Herd lebendig her!
Das Feuer prasselt – bli! bla! blu! –
Der gute Herd – der brummt dazu.
In Topf und Töpfchen regt es sich
Und zischt und brodelt wunderlich.
Aus jedem tönt ein Stimmchen vor,
Und geht ihr hin und spitzt das Ohr,
Dann hört ihr – ei, das wird ein Spaß! –
Ein jeder Topf erzählt euch was.
Und was noch kochend drinnen liegt,
Weil ihr es erst heut’ mittag kriegt,
Sagt, was erlebt’ es wundersam,
Bevor es in den Kochtopf kam.
Drum kommt und hört – es ist nicht schwer –
Es freut bei Tisch euch sicher sehr,
Dieweil ihr mehr wie alle wisst
Von dem, was man zu Mittag isst!
ES LIEGT in seinem Topfe
Ein Braten feist und schwer
Und sagt mit rotem Kopfe:
»Allhier gefällt mir’s sehr!«
Das gute liebe Feuer
Wärmt mich so wohlig an;
Das freut mich ungeheuer,
Wär’ ich nur näher dran!«
Er hat sich immer näher
Zum Feuer hingewandt,
Da – pff! – ein Schrei, ein jäher,
Schon ist er angebrannt.
Da kommt die Köchin wieder
Und merkt sofort, was los;
Zum Braten schaut sie nieder –
O weh! – der Schreck ist groß! –
Am Fensterbrett zwei Raben,
Die plappern frech und dreist:
»Wer’s gar zu warm möcht’ haben,
Der brennt sich auch zumeist!«
»KENNT IHR die Geschichte vom Hänschen?«
Fragte aus der Pfanne das Gänschen.
»Im Garten promenierte Hänschen,
Um einen Blumenstrauß zu pflücken;
Er traf ein rundes fettes Gänschen
Und kletterte auf seinen Rücken.
›Ha!‹, rief der Hans, ›jetzt kann ich reiten.
Ich reite nach Amerika
Dort gibt es keine Schularbeiten,
In vierzehn Tagen sind wir da!‹
Ein Taschentuch nahm er als Zügel,
Der Sattel war bequem und weich,
Da plötzlich hob die Gans die Flügel
Und flog auf einen großen Teich.
Das Gänschen schwamm durchs Wasser
Hans strampelte und schrie zuletzt;
Das Gänschen tauchte dreimal unter
Und hat ihn dann ans Land gesetzt.
Hans kam nach Hause ohne Zügel
Und war vor Angst und Schrecken blass.
Denn erstens kriegt’ er arge Prügel,
und zweitens war er klitschenass.«
DIE SUPPE sprach mit leisem Mund:
»Die Kinder mach’ ich stark – gesund!
Wenn ihr’s nicht glaubt, so seid jetzt still
Und horcht, was ich erzählen will.
Im Wald, wo Wind und Wetter braust,
Hat eine Hexe einst gehaust,
Die hatte viele Kinderlein,
Die sperrte in den Wald sie ein,
Gab ihnen nichts zu essen mehr;
Die Kinder plagt’ der Hunger sehr.
Doch eine Fee, die wusste dies;
Darum sie Suppe regnen ließ.
Da kamen schnell die Kinderlein
Und fingen sie in Töpfchen ein,
Und wurden groß und kräftig sehr,
Die Hex’ konnt’ sie nicht halten mehr,
Und kamen glücklich in die Stadt –
Die Suppe sie gerettet hat!«
»DAS KOMMT von solcher Prahlerei!«
So schimpfte zornig ein Spiegelei
Und zischte über dem Feuer und wallte
Und brodelte, prustete, spritzte und knallte.
Man fragte es, warum es so zornig sei –
Und da erzählte das Spiegelei:
»Es war zum fröhlichen Osterfest;
Vier Eier lagen in einem Nest,
Das eine aus Schokoladeguss
War braun, als wie eine Haselnuss.
Die andern weißen riefen: ›Wie schade!
Ach, wären wir auch aus Schokolade!‹
›Ja‹, prahlte das braune, ›ihr armen Schlucker,
Ihr seid ja noch nicht einmal aus Zucker!‹
Da riefen die andern Eier: ›Juchhei!‹
Und schlugen einander die Köpfe entzwei.
Nun kroch aus jedem der Eier ein Küken,
Nur aus den haselnussbraunen Stücken
Kam nichts. Die waren ganz hohl und leer;
Da weinten sie nun und schämten sich sehr!«
»ACH, WAS sind die Menschen schlecht!«
jammerte im Topf der Hecht.
»Als ich noch im Fluss geschwommen,
Ist einmal ein schöner junger
Weißfisch mir entgegengekommen,
Da bekam ich großen Hunger.
Und aus Liebe und Behagen
Hab’ ich gleich ihn aufgefressen.
Aber ach! – in seinem Magen
Hat ein Häkchen festgesessen.
An dem Häkchen hing die Angel,
Und die Angel hielt der Bauer,
Und der Bauer lag schon lange
Hinterm Schilfe auf der Lauer.
Bauer packte mich am Kopfe –
Ach! da half kein Zappeln, Beißen,
Und nun koch’ ich in dem Topfe,
Und man wird mich wohl verspeisen.«
Eine Zwiebel sprach zum Hecht:
»Siehst du, das geschieht dir recht!«
»HÖRT!«, RIEF die Kartoffel, »ich weiß eine tolle
Geschichte von einer Zauberknolle,
Die einen Regenwurm in ein Blatt
Und dann in ein Heupferd verwandelt hat!«
Und die Kartoffel wollte beginnen – –
Da war kein Wasser im Topf mehr drinnen.
So platzte ihr schönes Kartoffelkleid.
»Ach!«, jammerte sie, »es tut mir so leid,
Ich würde euch gern die Geschichte erzählen,
Doch ist es zu spät – ich muss mich jetzt schälen.«
So sprach die Kartoffel und drehte sich um
Und blieb von dieser Minute an stumm!
»VERZEIHEN SIE, wenn ich störe!«
Rief ein Apfel aus der Röhre;
»Was ich erlebt, das glaubt man kaum,
Ich hing an einem Apfelbaum;
Der Baum stand dicht vor einem Haus,
Dort wohnt der Bauer Nikolaus.
Da sah ich nachts – beim Mondenschein,
Es stieg ein Dieb zum Fenster ein.
Ich aber, um ihn zu vertreiben,
Fiel ab – und pochte an die Scheiben.
Der Dieb, der dachte sich: ›Oho!‹
Er ließ das Geld im Stich und floh!
So hab’ ich Nikolaus beschützt,
Es hat mir aber nichts genützt.
Mit grober Hand griff mich der Bauer,
Besah mich lang und sagte: ›Sauer!‹ –
Nun muss ich hier im Topfe kochen,
Mir ist das Herz schon fast gebrochen.
Das eine aber ist mir klar:
Die Menschen sind oft undankbar!«
DIE GELBEN Rüben waren gar,
Darunter auch ein Zwillingspaar,
Und dieses Wurzelzwillingspärchen
Erzählte ein famoses Märchen:
»Es war einmal ein gelbes Rübchen,
Das hatte viele tiefe Grübchen
Und nicht ein einzig grünes Blättchen;
Da ging es ganz betrübt ins Bettchen.
Daneben stand ein Schwammerling,
Das war ein allerliebstes Ding;
Ein Hütchen trug der kleine Pilz
Aus feinstem dunkelbraunem Filz,
Und auch ein Röckchen weiß und nett.
Das Rübchen aber lag im Bett
Und jammerte und weinte sehr:
›Ach, wenn ich so ein Pilz doch wär’!‹
Einst kam vom Berg herab ins Tal
Der gute Erdgeist Rübezahl.
Der sah das arme gelbe Rübchen
Und fragte: ›Ei, wie geht’s, mein Liebchen?‹
Das Rübchen sagte, wie’s ihm ging,
Es sei ein gar so hässlich Ding
Und wäre gern ein Schwammerling.
Herr Rübezahl rief: ›Gut – es sei!‹
Und zählte: Eins und zwei und drei!
Da war das gelbe Rübchen fort,
Ein neuer Schwammerling stand dort!
Der Erdgeist Rübezahl verschwand.
Wohin ist leider unbekannt.
Die Schwammerlinge lachten hell
Und küssten sich und wuchsen schnell.
Da ist ein kleines Mädchen kommen,
Das hat die beiden mitgenommen.
Das kleine Mädchen, das hieß Ilse
Und aß besonders gerne Pilze!«
IN EINEM blauen Blechtopf fing
Das Wasser an zu brummen:
»Das böse Feuer macht mich heiß
Und lässt mich ganz verdummen!
Vom Berg, wo tausend Blumen blüh’n
Im lieben Sonnenscheine,
Da sprang ich einst voll Übermut
Ins Tal von Stein zu Steine.
Ich lief gar froh durch Feld und Au
Und trieb manch Mühlenrädchen;
Nach meinen Fischlein angelt’ oft
Ein Bübchen oder Mädchen.
So kam ich einst auch in die Stadt,
Da sah ich schon von ferne
Ein großes, rundes, schwarzes Loch;
Was drin ist, wüsst’ ich gerne.
Ich lief hinein – o weh, o weh!
Drin lacht kein Sonnenschimmer,
Ich war in einem dunkeln Rohr.
Zurück – das konnt’ ich nimmer!
So lief ich denn geradeaus
Und kam in viele Röhren,
Da schaut’ ich keine Kinder mehr,
Konnt’ keine Vöglein hören.
Doch plötzlich sah ich Licht – und lief
Nach vorne unverdrossen
Und bin aus meinem Brunnenrohr
In diesen Topf geflossen.
So kam ich in der Küche an
Und war schon ganz zufrieden –«
– – – – – – – – – – – – – – – –
Da ging dem Wasser der Atem aus,
Denn es begann zu sieden! –
DORT IM heißen Bad ein Hummer
Brummt erzürnt: »Schockschwerenot!
Diese Hitze färbt mein schönes
Grünes Kleid ganz purpurrot.
Ei, war das ein fröhlich Leben,
Als ich noch im tiefen Schlamm
Mit Frau Kröte, meiner Base,
Friedlich einst im Teiche schwamm.
›Vetter Hummer!‹, rief Frau Base
Da auf einmal mit Gekreisch,
›Schaut, dort unterm Weidenstamme
Schwimmt ein Happen gutes Fleisch!‹
Kaum hört das die Frau Forelle,
Schießt sie zu auf jenes Stück;
Aber ich war grad so schnelle,
Hielt sie fest am Schwanz zurück!
Schwamm dann selber rasch hinüber,
Voller Hunger, voller Gier –
Schwapp! – da lag ich schon im Grase,
Und das Fleisch lag neben mir.
Also hat man mich gefangen,
Niemand hilft mir in der Not.
Schuld an allem ist die Kröte …«
Uff! – da war der Hummer tot!
EIN PUDDING, der hat sich gebrüstet:
»Ich bin doch am besten gerüstet!
Mich schmücken Rosine und Mandel,
Ich habe Schokolade und Kandel.
Mich lieben die Großen und Kinder,
Die Alten – die Jungen nicht minder.
Und Ritter und Nixen und Drachen
Und Fürsten und Könige lachen
Und freuen sich, wenn ich geraten
Und wenn sie zum Essen geladen.
Mich isst man mit höchstem Genusse –
Und darum – drum komm’ ich zum Schlusse,
Denn wär’ ich schon vorher gekommen,
Hätt’ niemand von euch was genommen.«
Kaum hört ihn die Köchin so reden,
Da ist an den Herd sie getreten
Und schüttet die Himbeersauce
Ihm über die Zunge, die lose.
So endet’ des Puddings Geschichte;
Das freute die andern Gerichte!
SO ZISCHT es und brummt es noch allerorten,
Doch plötzlich ist es ganz still geworden,
Denn in der Küche – mit frohen Mienen –
Waren viel’ niedliche Mädchen erschienen
Mit weißen Häubchen auf blonden Zöpfchen,
Die gingen zum Herd und packten die Töpfchen,
Und was die so treulich behütet hatten,
Das legten die Mädchen auf goldene Platten,
Die Gans, den Hummer, den Pudding, den Hecht,
Den Braten, die Eier, die Äpfel erst recht –
Begannen dann eine nach der andern
Mit ihrer Platte ins Zimmer zu wandern.
Dort haben die Mädchen die Speisen serviert;
Der Tisch war mit Blättern und Blüten verziert,
Mit Essgeräten gar freundlich gedeckt,
Und alles hat ganz vorzüglich geschmeckt.
– Drum, wer damals mitgegessen hat,
Der war gewiss noch lange satt!
1910
ICH WERDE nicht enden zu sagen:
Meine Gedichte sind schlecht.
Ich werde Gedanken tragen
Als Knecht.
Ich werde sie niemals meistern
Und doch nicht ruhn.
Soll mich der Wunsch begeistern:
Es besser zu tun.
DER LEIERMANN
Warum sie sich wohl ans Fenster stellen,
Wenn unten der Alte die Leier dreht?
Warum sie Verstummen und mancher ergriffen
Mit glänzenden Augen vorübergeht?
Sie wissen es selbst nicht, warum sie lauschen.
Die Brust wird ihnen plötzlich so weit.
Sie lassen sich durch die Seele rauschen
Das alte Lied ihrer Jugendzeit.
SCHÖNE MUSIK
Über die Saiten gleitet der Fidelbogen,
Weckt die trüben Gedanken aus gütigem Schlummer.
Rauschende Feste sind mir vorübergezogen,
Und aus rauschenden Festen wuchs mir der Kummer.
Sing nur dein klagendes Lied, du Fidelbogen,
Sing und erzähle mir wieder die alte Geschichte,
Brauset ihr Töne in wilden, grausigen Wogen. –
Trunkene Falter schwärmen am sengenden Lichte.
WENN DIR Melodien
Liebe Stunden wiederbringen,
Lass mit freien Schwingen
Deine Sehnsucht ziehn.
Nimm das Glück wie einst,
Das dir Träume gütig spinnen,
Lass die Tränen rinnen,
Wenn du weinst.
Birg nicht Lust noch Gram.
Nur der Reine fühlt aufs Neue.
Steht doch Herzenstreue
Über aller Scham.
DORTHIN GEH, wo die andern nicht sind,
Weit hinaus in die freie Einsamkeit,
Wo dir Wolken, Berge, Bäume und Wind
Großes reden von Später und Ewigkeit.
Und dort schöpfe, fasse und füll dir die Brust,
Dass – kommt einst die Stille zu dir als Braut –
Dass du die Hand ihr gibst in tiefster Lust,
Weil du schon lange mit ihr vertraut.
STIMMUNGEN
Machtlos, ein Grashalm, blick ich manchmal gen oben
Zu den Höhen der Menschheit und suche vergebens
Klarheit in dem ewigen Brausen und Toben
Und den unbegreiflichen Kämpfen des Lebens.
Neben mir raschelt der Tod, der lauernd und kalt
Unter vermoderten Blättern grinst. – –
Meiner Wünsche flehendes Lied verhallt
Im Nebelgespinst.
Manchmal steh ich, ein Eichbaum, über der Erden,
Blicke hinab auf die tausenden Ärmlichkeiten,
Folge lächelnd dem endlosen Schwinden und Werden
Und der winzigen Menschheit kleinlichem Streiten.
Und dann ist mir, als ob ein kraftvoller Tau
Morgenkühl meine Adern durchdringt. – –
Meine Hoffnung steigt froh ins Wolkenblau,
Wo die Lerche singt.
NÄCHTE, IN DENEN WIR VIEL VERLOREN
Nächte gab es, die höhnend entwichen,
Die wir im trunkenen Taumel verkannt,
Die wir mit hohlen Namen benannt,
Nächte, die schweren Träumen glichen.
Da wir an sprühenden Feuern gefroren,
Da wir mit ernstem Herzen gelacht,
Haben Tränen für uns gewacht, – – –
Nächte, in denen wir viel verloren.
MANDOLINENKLÄNGE
Hör ich der Mandoline Klänge
Ist mir’s, als sähe ich eine der süßen,
Netten Grisetten
Freundlich mich grüßen.
Kirschen trägt sie als Ohrgehänge.
Barfuß kommt sie und lacht und lacht,
Schüttelt kindisch die blonde Mähne
Und zeigt dabei ihrer Zähne
Zartschneeige Pracht.
Und dann
Dreht sie sich um und läuft, was sie kann,
Den wirren, langen,
Steinigen Zickzackweg zurück,
Den mein Leben gegangen,
Sammelt dabei die paar verstreuten
Freundlichen Blumen, die mich erfreuten,
Bis sie ein buntes Dutzend gefunden.
Die bringt sie mir zierlich gebunden.
Ich aber küsse die Kleine,
Küsse die Blumen und lache und weine,
Bis alles verschwunden
Und die Mandoline schweigt.
BIST DU nie durch verschneite Nächte gegangen,
Durch Wald, über Land,
Allein mit dem Stock in deiner Hand?
Du bist es und bist es mit heiligem Bangen.
Wo zitternde Äste, eisig behangen,
Dir eine Kirchenstunde gaben,
Ist dein Lachen gestorben.
Da hast du dein Bestes, unverdorben,
Aus deinen tiefsten Tiefen gegraben. – – –
Auf den weiten Feldern lag schwerer Schnee.
Du schienst dir, verschollen auf hoher See,
Den menschlichen Küsten fern zu sein.
Stille lag über dem Schnee. – – –
Du warst allein, allein – ganz allein.
Flimmernde Flämmchen sahst du fliegen.
Hast du nicht viel gedacht?
Ist nicht dein Blick emporgestiegen
In die wunderdurchfunkelte Nacht,
Bis ihn unendliche Weite verwirrt?
Und ein Schatten lief still mit dir um die Wette.
Und der Schatten hat mit der endlosen Kette
Ewiger Fragen geklirrt.
Du hast dich bezwungen.
Du hast vielleicht deinen Stock geschwungen,
Du hast vielleicht ein Liedchen gesungen,
Aber das Liedchen klang nicht wie Hohn,
Und du darfst es bekennen:
Du bist voll Angst vor dem grausen Scharten geflohn,
Den wir Wahnsinn nennen.
WANDLE TRÄUMEND JEDER FÜR SICH
Meisters Violinenklänge
Führten mich aus der stieren Menge
Hoch in himmlische Fernen empor.
Wo sich im rosigen Wolkengehänge
Jeder menschliche Odem verlor,
Grüßten mich Engel im lachenden Chor.
Und auf weißem Schwanengefieder,
Weich gebettet, fand ich mich wieder,
Dort, wo die Träumenden glücklich sind.
Köstlichen Weihrauch, Lorbeer und Flieder,
Labend, lobend, liebend und lind,
Brachte in duftigen Wogen der Wind.
Und mein Mädchen, als ich erwachte,
Frug mich verwundert, woran ich dachte,
Dass mir so ganz ihre Nähe entwich.
Doch ich küsste ihr Mündchen und lachte,
Und ich log: »Ich dachte an Dich.«
Wandle träumend jeder für sich.
TODGEWEIHT
»Lache!«, ruft sie, »Unser ist das Leben!«
Und mir ist, als ob mein Blut erstarrt.
Durch den Sonnenschein der Gegenwart
Hör ich dumpfe Totenglocken beben.
Wenn sie nächtlich unterm Kranz der Sterne
Unbelauscht in ihrem Ernst sich glaubt,
Folg ich ihrem Blick, der, weltenferne,
Ihr den Frieden weist und mir ihn raubt.
Dieser seltsam tiefe Glanz im Grunde
Kündet es: Sie darf nicht lang verweilen.
Zitternd seh ich Stund um Stunde
Grauenvoll vorübereilen.
TROST
Mir wuchs aus Sorgen und Schmerzen
In Kummers Nacht
Ein Reis. Das hat meinem Herzen
Die Ruhe wiedergebracht.
Der Kummer wird wie ein Feuer
Allmählich verglühn –
Kommt dann vielleicht ein neuer –
Aber das Reis wird nimmer verblühn.
KOMMT KEINER herbei?
Soll ich mich einsam verquälen?
In verödeten Sälen
Irrt mein Schrei.
Riegel umspannen mich kalt.
Spinnweb grübelt an Gittern.
Tod und Hunger wittern
Aus jedem Spalt.
Als ich zum Fenster hetzte,
Sah ich: Ritt einer von dannen,
Einer von meinen Mannen,
Der letzte!!
DA WIR beisammen recht lustig gewesen,
War es mir oft, als wär ich allein.
Haben nur wenige meine Pein
Aus den lachenden Augen gelesen.
Hab wie ein Fremder bei Freunden gesessen. –
Ach, sie können nicht glücklich sein,
Die in der Freunde jubelnden Reih’n
Nimmer das Einst und das Später vergessen.
MIR IST, als bräch aus meinem Herz
Ein Strom durchglühter Lavafluten.
Ach wüsstest du, wie hinter Scherz
So oft die tiefsten Wunden bluten.
Wenn ich mit Lachen von dir schied,
Wie Blütengelb war das zerstäubt,
Und wilder klang das wilde Lied,
Das deine Heiterkeit betäubt.
Das wilde Lied klang fort und fort,
Und nichts von jenem Lachen blieb,
Bis ich es fand das milde Wort.
Du sagtest einst: »Ich hab dich lieb!«
DIE FREUNDE winken und lassen mich leben.
Ich will mich glücklich zum Danke erheben.
Da würgt mich ein Taumel und raubt mir die Luft.
Ich spüre verwelkter Kränze Duft.
Ein rasches Gleiten – – ein stumpfes Scharren – –
Der dumpfe Fall von erdenen Schollen.
Und stiller wird es. – – Nur fern ein Tollen,
Ein Lachen. – – – Freunde sind es und Narren.
HINAUS an den Strand will ich gehen,
Wenn keiner wacht,
Das wilde Meer zu sehen
Und die heilige Nacht.
Und wieder fasst mich das alte Weh –
Am Strand tanzt ein Boot.
Das lockt mich hinaus in die tosende See,
Fort, fort für immer von Hass und Not,
In die See, in die Nacht, in das Glück, in den Tod.
Ich löse das Tau,
Und die Freiheit lacht
Hinter Nebel und Grau.
Und ich fahre jubelnd hinaus in die Nacht,
Das Elend fliehend zu Tod und Glück.
Einmal nur blick ich zurück.
Da winkt am Land
Eine Freundeshand –
Und wie ich das seh,
Da hab ich vergessen all Hass und Not.
Es fasst mich wieder das alte Weh.
Ich wende das Boot
Zurück zum Land
Und küsse die treue Freundeshand.
DAS DUNKLE BILD
Ein Bild geschwärzt durch Rauch und Zeit.
Die meisten wohl verstanden es nicht:
Ein Tannenwald vereist und verschneit.
Aus fernem Dunkel schimmert ein Licht.
Mir kommt ein heiß Verlangen,
Dem Lichtschein nachzugehen,
Um dann mit erglühenden Wangen
Still durchs Fenster zu sehen.
Ein Freundeskreis zu später Stund,
Umglüht von dämmerndem Ampelschein,
Und blonde Frauen in diesem Bund.
Lachende Jugend bei goldenem Wein.
Und bärtige Männer geigen
Lieder aus fremden Ländern.
Süß lockt aus buntem Reigen
Das Rauschen von Gewändern.
Taufrische Blüten duften mild
Und sprühen in Farben wie Geschmeid,
Und Augen erzählen trunken wild
Von Liebe, Treue und tiefem Leid.
In Farb und Klang verweben
Sich Bilder, zerfließen, zerschäumen,
Bilder aus meinem Leben,
Bilder aus meinen Träumen.
WESTINDISCHE NÄCHTE
Füll mir den Becher mit jenem purpurnen Weine.
Aus der Erinnerung tiefgegrabenen Schächten
Fördert er köstliches Gold und Edelsteine
Und erzählt von schönen, westindischen Nächten.
Schauernd mit herzergreifendem Grausen
Hör ich das Meer, den Sturm und des Urwalds Brausen, –
Niebeschriebene Töne, Bilder, Gefühle.
Heimlicher Liebe paradiesische Schwüle,
Schweigendes Dunkel, trauliche Lagerfeuer,
Sternengefunkel, trunkene Abenteuer,
Sorgloses Lachen, lustige Banjoklänge,
Unvergessliche, seltsame, ernste Gesänge,
Wallender Dunkelhaare bläuliches Schimmern,
Fremder Stimmen fernes Schreien und Wimmern,
Scheidender Schiffe heimwehweckende Grüße,
Duftender Blüten heiße berauschende Süße,
Krachende Zweige, Mondschein, fliehendes Wild – –
Und dazwischen sei ich ein schmerzliches Bild.
Muss ich der schönsten aller Kreolenfrauen
Einmal noch in die brechenden Augen schauen.
Sehe sie wortlos in meinen Armen sterben. –
Oh wie grausam seid ihr himmlischen Mächte! – –
Freund verzeih, ich warf wohl den Becher zu Scherben.
Ach ich dachte wilder, westindischer Nächte.
DIE FRAU MIT DER REIHERFEDER
Ich weiß nicht genau,
Warum ich so oft an die bleiche Frau
Mit der weißen Reiherfeder denke,
Mich immer in den Gedanken versenke:
Wie könnte es werden, wie würde es sein,
Wäre sie dein. – –
Ich weiß es nicht und frage vergebens.
Sie ist auf dem bunten Wege des Lebens
Irgendwo still mir vorübergegangen,
Die schöne Frau mit den bleichen Wangen.
Sie hat mich mit kalten Blicken gemessen;
Wir haben kein einziges Wort getauscht,
Doch sie hat mich mit fremdem Zauber berauscht,
Dass ich sie nimmer werde vergessen.
Etwas wie sehnende, nagende Glut
Will mir das pochende Herz zerreißen,
Denk ich der bleichen Frau mit der weißen,
Wehenden Reiherfeder am Hut.
FRESIA
Fresia heißt eine blasse Blüte
Vornehmer, feiner Art.
Ihre Linien sind weich und zart.
Auf dem Seidengelb prangen erglühte
Rosige Schatten.
Fresia füllt mit liebesmatten,
Schweren, süßen Wolken die Luft,
Haucht einen heißen, sündigen Duft,
Der dir indische Märchen erzählt,
Der, vom Winde zerstäubt,
Dich lange noch quält,
Der dich belügt und dich schmeichelnd betäubt.
Ihre Schönheit birgt kein Gemüt.
Du lernst sie hassen.
Fresia musst du rau befassen.
Musst sie töten, eh sie verblüht.
Ihre Schwäche und Güte
Werden von vielen verkannt. - –
Fresia heißt die Blüte. – – –
Fresia ist auch ein Mädchen,
Das ich nach dieser Blüte benannt.
EIN TRAUM
Es war nur ein Traum, doch es war eine Pracht!
Ich glaubte in mondscheinsilberner Nacht
Auf schwellendem Rasen zu liegen.
Ein glänzendes Schloss erhob sich kühn,
Und ich sah aus dem Fenster epheugrün
Ein Märchenkind lauschend sich biegen.
Ein Mädchengesicht, so lieb, so traut,
Wie ich es nimmer zuvor geschaut.
Gleich flüssigem Golde erglänzte ihr Haar,
Und ich las in dem dunklen Augenpaar
Ein wehmütig banges Erwarten.
Ein leiser Wind erquickte die Luft
Und trug einen süßen, berauschenden Duft
Vom Holunderbusch durch den Garten.
Dort saß an des Springbrunns Sprudelquell
Geigend ein müder Wandergesell.
Und als dann – und das war so schön in dem Traum –
Eine Nachtigall hoch im Lindenbaum
Mit einstimmte in seine Lieder
Und schluchzend sang, wie von Schmerz und Lust,
Da war es, als fiele auf meine Brust
Das Glück wie ein Morgentau nieder. – –
Die alten Linden seufzten im Wind.
Im Schlosse weinte das Märchenkind.
Da flog aus dem Schatten gespenstig vom Dach
Eine Fledermaus auf. Da wurde ich wach,
Und alles war plötzlich verschwunden.
Ödes Erwachen. Wie leerer Schaum
Zerronnen war alles, was ich im Traum
So selig geschaut und empfunden. – –
Doch wie ein Trost kam’s über mich dann:
O glücklich, wer noch so träumen kann!
BIN WIE ein Dieb durchs Fenster gestiegen.
Sah das Mädchen in seiner Jugendpracht
Nackt auf dem seidenen Bettchen liegen,
Wie ein Wunder aus einer Zaubernacht.
Und sie schlief von kindlichen Träumen belogen,
Die ein Lächeln auf ihre Lippen hauchten,
Während die Sonnenstrahlen in flimmernden Wogen
Spielend ihr Kraushaar in goldene Lava tauchten.
Mir aber pochte das Herz, und als ich verwegen
Über die schneeigen Glieder mich leise gebückt,
Hat eine Rose verwelkt am Boden gelegen,
Eine Knospe, die sie im Garten gepflückt.
Sah die welke Knospe am Boden liegen,
Sah im Bettchen das süße, schlummernde Wesen. –
Leise bin ich durchs Fenster zurückgestiegen.
Und mir war, als hätt ich ein Märchen gelesen.
KLÄNGE AUS ZWEI WELTEN
Weiche Finger auf den Tasten
Spielten traumverloren.
Brausend wogten aus dem Kasten
Walzerstimmen, lustgeboren.
Und am Straßeneck, wo leise
Wort und Ton im Wind verklingt,
Sang ein Gassenbub die Weise,
Wie das Volk sie singt.
Abseits hielt ich still und lauschte
Beiden Melodien,
Dass mir’s, als das Spiel verrauschte,
Wie ein Traum erschien.
Und sie haben nichts gespürt
Von dem fremden Wandersmann,
Dem ihr Lied das Herz gerührt,
Bis ihm Trän um Träne rann.
DRAUSSEN UND DRINNEN
In der Villa am Berg, die ob ihrer Pracht
Im Dorf als »das reiche Schloss« bekannt,
Da hat man die Nacht durchjubelt, durchlacht
Und an geistreichen Reden, an Speise und Trank
Das kostbarste, edelste dargebracht;
Da haben hundert Kerzen gebrannt;
Da haben die Gläser geklungen;
Da hat am Flügel ein blondes Kind
Ein tiefergreifendes Lied gesungen. – –
Und während denen, die dort vereint,
Die Stunden traumhaft verronnen sind,
Hat – draußen am schneeverwehten Tor –
Ein armer Wanderbursch gelauscht
Und – – bitter geweint.
DER VERSCHMÄHTE
Hell strahlen die festlichen Wände,
Fanfaren schmettern laut.
Es reichen sich selig die Hände
Bräutigam und Braut.
Es schwelgen im rauschenden Glanze
Frohe Damen und Herrn
Und wiegen sich lachend im Tanze. – –
Nur einer steht fern.
Der schluchzt an der Tür wie ein Knabe.
Hochzeit feiern sie laut,
Ihm tragen sie heute zu Grabe
Des anderen Braut.
TIEFE STUNDEN verrannen.
Wir rührten uns nicht.
In den alten Tannen
Schlief ein Gedicht.
Stieg ein Duft aus dem Heu,
Wie ihn die Heimat nur haucht. – –
Sahst du das Reh, das scheu
Dort aus dem Duster getaucht?
Wie es erst fremd und bang
Sich die Stille beschaute,
Leise sich näher getraute
Und jäh entsprang – –!
Weißt du, wir schwiegen und sannen:
Kommt es wohl wieder?
Und wir senkten die Lider.
Tiefe Stunden verrannen.
NACHTWANDERUNG
Ich geh durch das schlafende Dorf bei Nacht.
Trüb flackert die alte Laterne.
Ein Fenster nur hell, wo die Liebe noch wacht,
Und über mir blinzeln die Sterne.
Noch stehen die Nelken im Blumentopf
Mit rosa Manschetten umwunden.
Ich glaube, ein schwarzbrauner, lachender Kopf
Ist eben dahinter verschwunden.
Ach nein, das Fenster ist dunkel und leer,
Wo ich so oftmals gesessen.
Das schwarzbraune Mädchen wohnt dort nicht mehr
Und hat mich wohl lang schon vergessen.
Mein Schatten ruft höhnisch: Bist alt! Bist alt!
Die Liebe gehört nur den Jungen. – – –
Ich wandere weiter. Mein Liedchen verhallt,
Wie meine Jugend verklungen.
NACHTSCHWÄRMEN
Die alte Pappel schauert sich neigend,
Als habe das Leben sie müde gemacht.
Ich und mein Lieb – hier ruhen wir schweigend –
Und vor uns wallt die drückende Nacht.
Bis sich zwei schöne Gedanken begegnen, –
Dann löst sich der bleierne Wolkenhang.
Goldene, sprühende Funken regnen
Und füllen die Welt mit lustigem Klang.
Ein trüber Nebel ist uns zerronnen.
Ich lege meine in deine Hand.
Mir ist, als hätt ich dich neu gewonnen. – –
Und vor uns schimmert ein goldenes Land.
DER GELIEBTEN
Such nicht der Sorge mattes Grau.
Ist nicht die Jugend ein funkelnder Tau?
Gleichen nicht schöne Gedanken
Roten Rosen an wilden Ranken?
Ist nicht die Hoffnung bunt und reich,
Weiten, blumigen Wiesen gleich?
Wir flechten uns Lauben aus Ranken und Rosen
Auf taufrischen Wiesen zum Küssen, zum Kosen.
Dort wollen wir wandeln, wir ganz allein.
Dort wollen wir König und Königin sein.
MELANCHOLIE
Von weit her Hundebellen
Klingt durch die nächtliche Ruh.
Es spülen die schwarzen Wellen
Mein Boot dem Ufer zu.
Die blauen Berge der Ferne
Winken am Himmelssaum.
Auf in den Lichtbann der Sterne
Trägt mich ein Traum.
Stumm ziehen wilde Schwäne
Über das Wasser hin.
Mir kommt eine müde Träne.
Ich weiß nicht, warum ich so bin.
AUF DEM KIRCHHOF
Dort ruhen sie unter den bunten Hügeln.
Unsere Augen sehen sie nimmer erwachen.
Auf der Mauer hockt mit gebrochenen Flügeln
Das Lachen.
Fern in den Wolken verhallt die Klage.
Bittere Tränen trocknet der Wind,
Und aus Kränzen stiehlt sich die zitternde Frage:
Wohin sie gegangen sind.
DER SÄNGERIN
Ich werde die Stunde nie vergessen,
Die wie ein Sternfall meiner Nacht erschien.
Ein lauschender Toter, hab ich vor dir gesessen
Um deiner Lieder schwelgende Melodien.
Sie haben bunte Kränze mir gewunden,
Wie ich sie flocht in frohen Kindertagen
Und wie ich sie nach still verhärmten Stunden
Zum Grabeshügel meiner Braut getragen.
Ich danke dir. Dein Lied wird weiterschwingen,
Wird mich durch fremde Wunderländer führen
Und meiner Seele reinste Saiten rühren.
Und seine Klänge werden nie verklingen.
FREUDE
Freude soll nimmer schweigen.
Freude soll offen sich zeigen.
Freude soll lachen, glänzen und singen.
Freude soll danken ein Leben lang.
Freude soll dir die Seele durchschauern.
Freude soll weiterschwingen.
Freude soll dauern
Ein Leben lang.
DIE SONNIGE KINDERSTRASSE
Meine frühe Kindheit hat
Auf sonniger Straße getollt;
Hat nur ein Steinchen, ein Blatt
Zum Glücklichsein gewollt.
Jahre verschwelgten. Ich suche matt
Jene sonnige Straße heut,
Wieder zu lernen, wie man am Blatt,
Wie man am Steinchen sich freut.
WEIHNACHTEN
Liebeläutend zieht durch Kerzenhelle,
Mild, wie Wälderduft, die Weihnachtszeit,
Und ein schlichtes Glück streut auf die Schwelle
Schöne Blumen der Vergangenheit.
Hand schmiegt sich an Hand im engen Kreise,
Und das alte Lied von Gott und Christ
Bebt durch Seelen und verkündet leise,
Dass die kleinste Welt die größte ist.
AM STERBEBETTE
Bang zittert in ihren Zügen
Ein letztes Lied, das ernst verklingt.
Ihr Auge dankt lächelnd den Lügen,
Die meine Ohnmacht ihr tröstend bringt.
Ich sehe die Hütte wanken
Und wollte, dass alles vorüber sei. – –
Große, tiefe Gedanken
Wallen an meiner Seele vorbei.
DAS ANDENKEN
Es hängt an meiner Zimmerwand
Ein welker Strauß an verblasstem Band.
Den Strauß hat deine liebe Hand
Dereinst, als ich im Garten schlief,
Für mich gepflückt.
Das Band
Schlang sich um einen Abschiedsbrief,
Der mir dein Herz so weit entrückt. – –
Und wie ich lang hinüberseh,
Fasst mich ein seltsam Glück und Weh.
Es hängt an meiner Zimmerwand
Ein Strauß, frischblühend und ohne Band.
HERZENSTREUE
»Und seid ihr glücklich?« – hab ich dann gefragt. –
Mir ist das leise Zittern nicht entgangen.
Und lachend, wie das »Ja«, das du gesagt,
Ist eine Stunde uns vorübergangen.
Doch was mich glühend dir zu Füßen trieb,
Vor deinem Lachen starb es hin in Reue,
Nur eine grenzenlose Achtung blieb
Vor solcher tränenschönen Herzenstreue.
SIEH, ICH war so oft allein,
Und ich lernte gleich den Zweigen,
Gleich dem Stein,
Träume wachen, Worte schweigen.
Denke, dass ich Dichter bin.
Eure Sonne ist nicht meine.
Nimm als Freund mich hin,
Wenn ich dir auch fremd erscheine.
Lass mich lauschen aus der Ferne,
Wenn ihr tanzend schwebt,
Dass auch ich das Schwere lerne:
Wie man narrenglücklich lebt.
ABEND AM STRAND
Abendglühgold zittert auf träumender See.
Eine Möwe zieht ihre einsamen Kreise.
Auf dem Wasser treibend, ein Boot. Und leise, leise
Bringt mir der Wind eine müde Weise. – –
Närrisches Herz, was stimmt dich so weh?
ES IST BESSER SO
Es ist besser so.
Reich mir die Hand. Wir wollen froh
Und lachend voneinandergehn.
Wir würden uns vielleicht nach Jahren
Nicht mehr so gut wie heut verstehn.
So lass uns bis auf Wiedersehn
Ein reines, treues Bild bewahren.
Du wirst in meiner Seele lesen,
Wie mich ergreift dies harte Wort.
Doch unsre Freundschaft dauert fort.
Und ist kein leerer Traum gewesen,
Aus dem wir einst getäuscht erwachen.
Nun weine nicht; wir wollen froh
Noch einmal miteinander lachen. – – –
Es ist besser so.
MEINE GEDANKEN trafen dich still allein
Spät in der Nacht in deinem Kämmerlein,
Sahen dich kindlich vor meinem Bildnis beten.
Meine Gedanken sind leise beiseite getreten,
Und sie sprachen voll Sehnsucht: Ach wenn sie doch wüsste,
Dass ich ihr Bild zur selben Stunde küsste.
LIEBESBRIEF
»Rösl, morgen Abend um zehne
Unter dem Standbild der Pallas Athene,
Wo wir uns doch so oft schon getroffen,
Beide die Brust voll Bangen und Hoffen,
Immer so froh. Sind gewandert nach irgendwo,
Sind gewandert durch Nacht und Tau
Bis in das schüttelnde Morgengrau. – –
Busseln und Lieben!! –
Weiß nicht, was wir getrieben,
Weiß nicht, wo all die Stunden geblieben.
Und dann immer das alte Lied:
Jeder wollte scheiden und keiner schied.
Und dann gingst du doch, –
Aber ich stand und lauschte noch,
Lauschte, bis ferne dein Schritt verhallt.
Rösl, ich mag dich so leiden!!
Gelt Rösl, wir beiden
Werden nimmer alt?«
GARTENBÄUME UND WEGBLUMEN
Quäle dich nicht, wer ich bin,
Denn du siehst mich nimmer wieder,
Frage nicht woher? Wohin?
Sing mir eines deiner Lieder.
Glaube, dass ich gerne bliebe,
Wie es stumm dein Auge spricht.
Nimm mein Gold für deine Liebe,
Nur von morgen sprich mir nicht.
Lass uns Wang an Wange glühen
Und dann auseinandergehn,
Bäume, die im Garten blühen,
Blumen, die am Wege stehn.
ICH HABE an deiner Brüste Altar
Die Nacht bei dir durchsonnen.
Ich träumte unendliche Wonnen
Im Zauberdufte aus deinem Haar.
Den Blütenstaub der Jugend am Leib,
Lagst du mit fiebernder Stirne
Als Fremde bei mir – – eine Dirne,
Und warst ein halberblühtes Weib.
Und Tränen sah ich, so heimatfremd,
So sündenschön verrinnen.
Sie netzten ein schneeiges Linnen.
Das glich einem Totenhemd.
VERLOCKUNG
Ich sitze fast einsam im warmen Raum.
Die graue Katze hat sich zu mir gesellt.
Irgend jemand – ich sah es kaum –
Hat mir den Wein auf den Tisch gestellt.
Ein schmeichelndes Fell streicht meine Hand,
Die so verwöhnt in diesem Haus.
Der Ampelschatten an der Wand
Streckt lange Spinnenbeine aus.
Aus trübem Glase blinzelt ein Licht.
Es tickt die Uhr, verträumt, verjährt,
Noch ist die schwüle Stunde nicht,
Da hier die Freude schäumt und gärt.
Im Nebenraum erwachen weiche Lieder.
Ich will von dieser Stimme heut nichts wissen,
Und doch – – – Ich denke an verbuhlte Kissen,
An weiße Spitzen, an ein schlankes Mieder.
Ich stehe, – gehe, – kämpfend, zweifelnd, – lauschend – – –
Vorbei! – – Und hinter mir rauscht die Portiere.
Mit einem Duft von indisch süßer Schwere
Küsst mich der Wollust holdes Gift berauschend.
DER LETZTE WEG
»Ich gehe ins Wasser«, sagte sie leis,
»Ade!
Du hast es gut mit mir gemeint.
So weiß ich einen, der um mich weint.
Hab Dank!«
Ich aber sah ihr tiefes Weh
Und küsste sie, die arm und krank,
Und sagte: »Geh!«
EINE VON DENEN
Du weißt, dass sie mit Fingern auf dich zeigen.
Du hörst sie flüstern: »Eine nur von denen
Und willst mir doch dein großes Leid verschweigen
Und dieses hoffnungsferne, wilde Sehnen.
Die bleichen Wangen werden dir Verräter,
Die hohlen Augen nennen dich verbittert:
Es ist das bange Grausen vor dem »Später«,
Das hinter jedem deiner Worte zittert.
Nimm hin dein Geld. Ich will, du sollst dich freuen,
Und will dir deine welken Rosen schenken.
Du wirst so manche Stunde noch bereuen
Und dieser einen einmal warm gedenken.
DAS LORELEY-LIED
Du hast so oft das deutsche Herz gerührt
Und aus des Tages arbeitstrockner Schwüle
Hinauf, ins grenzenlose, gnadenkühle,
Ins unbestimmte Wunderland geführt.
Komm oft zu mir, du schlichte Melodie,
Und gräm dich nicht, wo Dünkel dich verlacht.
Mir ist es stets, als ob die Poesie
Vor deinem Zauber neu im Volk erwacht.
ABNORME
Mitten im Strudel der andern
Bleiben sie still und bedacht.
Ihre Gedanken wandern
In hässliche, wilde, glühende Nacht.
Sie stehen vor eisernen Gittern
Um ein verbotenes Land.
Die kalten Stangen zittern
Unter ihrer bebenden Hand.
Sie schließen die Augen und meiden
Das Gitter, verkannt und verlacht,
Und träumen, indem sie leiden,
Von hässlicher, wilder, glühender Nacht.
EINER UNGLÜCKLICHEN
Ich kenne die harten Züge
Und den trocknen Durst am Mund,
Und wäre beides nur Lüge,
Gäb es dein Auge kund.
Ich horche an deinem Herzen,
Was zehrendes Fieber spricht,
Und lese in deinen Schmerzen
Das Wort: Ich darf ja nicht.
Ich kann dir die Ruhe nicht geben,
Doch hab ich dich lieb, mein Kind,
Wie alle, die so im Leben
Klagelos einsam sind.
AN B. F.
Du musst es doch verstanden haben,
Wie ich mich sehnte, dir ein Freund zu sein.
Doch du besannst dich deiner reichen Gaben
Und dachtest: Nein.
Du lässt mich’s ahnen ohne Blick und Geste
Und weißt es nicht, wie tief mich das geschmerzt.
Du hast das Edelste und Beste,
Hast eine Freundestreue dir verscherzt.
AM ALTEN PLATZ
Ihr seid es! Ich sehe euch wieder,
Ihr Tannen dunkelgrün,
Du alte Bank unterm Flieder.
Und aus des Brunnens Karfunkelsprühn
Klingen vergessene Lieder.
Wo einst wir süßes Gelüsten
Liebend und hoffend versäumt,
Wo wir uns tausendmal küssten,
Rauschen die Bäume, verhärmt und verträumt,
Als ob sie alles wüssten.
Ich höre die Vögel singen
Von einem toten Kind
Und silberne Glocken klingen.
Mir ist, als müsste der Blütenwind
Ein Lächeln von ihr mir bringen.
ZWEI FRAUEN
Es sitzen im schwülen Dämmerlicht
Zwei blühende Frauen
Und regen sich nicht.
Sie schauen sich an und schauen
Und schauen mit sengender Augenglut
In sengende, glühende Augen,
So tief, so wild, als gälte es Blut
Mit Blicken aus Blicken zu saugen.
Da ringt unter wogenden Brüsten
Ein irres, fremdes Gelüsten
Mit bangem, ruhlosen Leiden. – – – –
Ein schillerndes, schuppiges Schlangengetier
Kriecht aus dem Dunkel in hastiger Gier,
Schlingt seinen Leib um die beiden
Und dehnt sich schleimig, duckt sich und spuckt
Und bäumt sich lautlos und züngelt und zuckt.
Das ist die Schlange, vor der uns graut,
Wenn uns ihr bannendes Auge trifft.
Sie trägt ein langsam tötendes Gift,
Aus unergründlichen Rätseln gebraut.
DIE SCHIFFBRÜCHIGEN
»Peter, seht Ihr kein Licht?
Winkt uns kein Land?
Gebt Eure Hand.
Das Leben ist Dreck und Tand,
Und Gott verdamme mich diese Nacht!!
Hört Ihr, wie er lacht? – –
Seht – er verfolgt unser Boot,
Aber was ist daran gelegen.
Springen wir ihm entgegen –
Ich meine – dem Tod. – –«
»Steuermann, Ihr sprecht wie ein Kind.
Tut Eure Pflicht.
Wir fürchten uns nicht
Vor Wasser und Wind.
Gebt Eure Hand.
Wir suchen das Land,
Und zeigt es sich nicht
Und steuern wir ins Verderben – – –
Steuermann – – –
Nun dann – – – –«
»Schwatzt nicht vom Sterben –
Ich sehe ein Licht!!«
DIE LANGE NASE
(Eine Parabel)
Hans wird der Nasenkönig genannt,
Denn er hat eine lange Nase.
Sie rufen’s ihm nach auf der Straße.
Hans lässt sie rufen; er macht sich nichts draus,
Die Eltern und Bruder und Schwester zu Haus,
Sie lachen ja alle so oft ihn aus
Und spotten über die Nase.
Hans kommt in die Schule. Er hört, dass man lacht,
Dass man sich über ihn lustig macht,
Dass man vom Nashorn, vom Rüsseltier spricht
Und von der Gurke in seinem Gesicht. –
So folgt ihm der Ulk auf Schritt und Tritt,
Und Hans lacht mit.
Er wird ein Soldat. Er wird ein Mann,
Und überall trifft er den Spottvogel an.
Der pfeift und singt und lässt keine Ruh.
Hans lacht dazu.
Hans lacht dazu, wenn man witzelt und höhnt,
Er hat mit der Zeit sich daran wohl gewöhnt.
Hans freite des Nachbars Liesel so gern
Da drüben über der Straße.
Und er fragt ganz schüchtern mal bei ihr an,
Da sagt ihm die Liesel: Sie mag keinen Mann
Mit einer so langen Nase. – –
In der Nacht, im Garten vorm Rasenplatz,
Da küsst sich die Liesel mit ihrem Schatz.
Sie tanzen, sie springen, sie singen vereint,
Und drüben, über der Straße,
Im Stübchen, wo noch die Lampe scheint,
Sitzt Hans vorm Spiegel und weint und weint
Über die lange Nase.
DIE DÜNENWÄLDER BEI RIGA
Die Kiefernwälder meiner Heimat
Rauschen ein ernstes, ergreifendes Lied
Von Einsamkeit und Ewigkeit.
Dort habe ich oft meine kindlichen Sorgen
Still in das traumvolle Moos geweint.
Wenn die Sonne scheint, dann flammt und flutet
Über die Dünen das Abendrot,
So goldig, so brennend wie die Sehnsucht,
Die mich nach fernen Gestaden gelockt.
Dann ist es, als wären die Bäume
In leuchtendes Blut getaucht,
So rot, so glühend
Wie das Heimweh, das mich zurückruft,
Dem Liede zu lauschen
Von Einsamkeit und Ewigkeit.
DER WEIHNACHTSBAUM
Es ist eine Kälte, dass Gott erbarm!
Klagte die alte Linde,
Bog sich knarrend im Winde
Und klopfte leise mit knorrigem Arm
Im Flockentreiben
An die Fensterscheiben.
Es ist eine Kälte! Dass Gott erbarm!
Drinnen im Zimmer war’s warm.
Da tanzte der Feuerschein so nett
Auf dem weißen Kachelofen Ballett.
Zwei Bratäpfel in der Röhre belauschten,
Wie die glühenden Kohlen
Behaglich verstohlen
Kobold- und Geistergeschichten tauschten.
Dicht am Fenster im kleinen Raum
Da stand, behangen mit süßem Konfekt,
Vergoldeten Nüssen und mit Lichtern besteckt,
Der Weihnachtsbaum.
Und sie brannten alle, die vielen Lichter,
Aber noch heller strahlten am Tisch
(Es lässt sich wohl denken
Bei den vielen Geschenken)
Drei blühende, glühende Kindergesichter. –
Das war ein Geflimmer
Im Kerzenschimmer!
Es lag ein so lieblicher Duft in der Luft
Nach Nadelwald, Äpfeln und heißem Wachs.
Tatti, der dicke Dachs,
Schlief auf dem Sofa und stöhnte behaglich.
Er träumte lebhaft, wovon, war fraglich,
Aber ganz sicher war es indessen,
Er hatte sich schon (die Uhr war erst zehn)
Doch man musste ’s gestehn,
Es war ja zu sehn,
Er hatte sich furchtbar überfressen. –
Im Schaukelstuhl lehnte der Herzenspapa
Auf dem nagelneuen Kissen und sah
Über ein Buch hinweg auf die liebe Mama,
Auf die Kinderfreude und auf den Baum.
Schade, nur schade,
Er bemerkte es kaum,
Wie schnurgerade
Die Bleisoldaten auf dem Baukasten standen
Und wie schnell die Pfefferkuchen verschwanden.
– Und die liebste Mama? – Sie saß am Klavier.
Es war so schön, was sie spielte und sang,
Ein Weihnachtslied, das zu Herzen drang.
Lautlos horchten die andern Vier.
Der Kuckuck trat vor aus der Schwarzwälderuhr,
Als ob auch ihm die Weise gefiel. – –
Leise, ergreifend verhallte das Spiel.
Das Eis an den Fensterscheiben taute,
Und der Tannenbaum schaute
Durchs Fenster die Linde
Da draußen, kahl und beschneit
Mit ihrer geborstenen Rinde.