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Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Epilog

Epilog (II)

Kommentar

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Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

 

Nr. 2721

 

Der Paradieb

 

Gucky erwacht aus dem Koma – ein Verwandelter in einer verwandelten Welt

 

Leo Lukas

 

 

Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch die Galaxis ist unruhig: Auf der einen Seite droht ein interstellarer Krieg, auf der anderen Seite ist das Atopische Tribunal in der Milchstraße aktiv. Seine ersten Repräsentanten sind die Onryonen, die die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern. Die beiden Männer sollen wegen angeblicher Verbrechen vor Gericht gestellt werden.

In der Startac-Schroeder-Klinik auf Terra liegt indessen einer der wichtigsten Helfer Perry Rhodans seit zwei Jahren im Koma: der Mausbiber Gucky. Ihn wieder ins Spiel zu bringen könnte Rhodan einen wertvollen Joker verschaffen. Doch einer steht diesem Plan im Weg: DER PARADIEB ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Severin Fock – Der Neunzehnjährige bekommt die Chance, seinem Idol beizustehen.

Andessou Bouring – Der Mediker betreut seit Jahren einen ganz besonderen Patienten.

Muaz und Shadin Riocourt – Die psi-begabten Geschwister werden in tragische Ereignisse verwickelt.

Gucky – Der Ilt erwacht – und sieht sich einer grauenhaften Erkenntnis gegenüber.

Die vier Eroberer – Das tefrodische Mutantenkorps macht Jagd auf Aktivatorträger.

»Wir kennen uns nie ganz, und über Nacht sind wir andere geworden, schlechter oder besser.«

Theodor Fontane

 

»Bevor diese Nacht vorüber ist, werde ich euch beweisen, einem nach dem anderen, dass ihr alle Monster seid, genau wie ich.«

Gabriel Gray alias Sylar in »Heroes: Dual«

 

»Aus den Trümmern unserer Verzweiflung bauen wir unseren Charakter.«

Ralph Waldo Emerson

 

 

Prolog

Die Seherin

 

Familie Rossi nahm die Nachricht vom baldigen Ende ihrer Existenz gelassen hin.

Einzig der elfjährige Lergon verhehlte mehr schlecht als recht, dass er sein Leben ungern aufgab. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Wenige Kinder wuchsen in derart idyllischem Ambiente heran.

Die Rossis bewohnten seit über acht Jahren eine Luxusresidenz in Cosmoledo-Orbital, einem der größten terranischen Raumhabitate.

Schon mal davon gehört? Nein? Noch nie zufällig in Immobilienprospekten darauf gestoßen?

Wundert mich nicht. Wer sich eine dieser sündteuren Wohneinheiten leisten kann (und auch tatsächlich leistet), legt Wert auf Exklusivität und größtmögliche Wahrung der Privatsphäre. Diplomaten zum Beispiel oder Trivid-Stars.

Darum kursieren in den Netzwerken des Solsystems auch so gut wie nie Aufnahmen von Cosmoledo-Orbital – und falls doch einmal, dann nicht lange ...

Man stelle sich eine riesige Hohlkugel vor, an deren Innenseite mehrere Dutzend grob ringförmige Atolle hübsch verteilt angeordnet wurden. Manche der Lagunen sind nur etwas größere Swimmingpools, andere durchmessen Hunderte Meter.

Das Atoll der Rossis war eher am unteren Ende dieser Skala angesiedelt. Trotzdem bot es überreichlich Platz für vier Personen: Lergon, seine Eltern Lydia und Leandor sowie dessen Bruder Clorus.

 

*

 

Sie nahmen uns an einem Strand aus feinstem, fast schon pulvrigem weißem Sand in Empfang. Wir hatten unsere Ankunft erst vor wenigen Minuten avisiert, unmittelbar nachdem der von einem simplen Autopiloten gesteuerte Container an der Außenhülle des Habitats angedockt hatte.

Normalerweise kommen Gäste der Nobelsiedlung in der Erdumlaufbahn mit schnittigen und doch geräumigen Raumjachten an, nicht zusammengepfercht in einer Kiste voller seltener Importwaren von der Wega. Aber wir waren ja auch nicht auf offiziellem Weg ins Solsystem eingereist. Wir hatten die Strukturschleuse des Kristallschirms an Bord eines Frachttransporters passiert.

Als »blinde Passagiere«, wie die Terraner sagen. Paradoxerweise: Schließlich hatten nicht wir, sondern etliche Crewmitglieder ein paar Augen zugedrückt.

Jedenfalls war der erste Teil dieses Einsatzes plangemäß verlaufen. Wir hatten Terra unbemerkt erreicht.

Das musste auch so und nicht anders geschehen – denn gewissermaßen waren wir schließlich bereits seit acht Jahren da.

 

*

 

Wir stiegen aus der Gondelkapsel, einem fragilen Ding, das nicht viel mehr Platz geboten hatte als der Container, und streckten erst mal ausgiebig die Glieder.

Nach einer kurzen Begrüßung sagte Leandor Rossi mit flacher Stimme: »Es ist also so weit.«

»Ja«, antwortete ich. »Es ist so weit.«

»Wann ...?«

»Wie lange dauert es, bis die Luxusgüter ausgeladen sind?«

»Weniger als eine halbe Stunde.« Er kaute auf seiner Unterlippe. »Heißt das, wir nehmen euren Frachtcontainer?«

»Er fliegt weiter zu einer Sammelstation bei HAM-14. Das ist eine der kleineren Werften über ...«

»Ich weiß, wo das ist.« Rossi wirkte nicht eben glücklich – aber wie gesagt, relativ gelassen.

»Dort seid ihr auf euch allein gestellt. Entweder es gelingt euch, einzusickern und eine neue Identität aufzubauen ...«

»Oder wir verschwinden für immer.«

»Spurlos«, ergänzte derjenige meiner Begleiter, der Leandor Rossi ähnlicher sah als dessen eigener Bruder. »Rückstandsfrei. Im Fall eurer Enttarnung darf nicht der geringste DNS-Rest übrig bleiben.«

»Natürlich.« Lydia Rossi holte tief Luft und legte die flache Hand auf den Solarplexus.

Dort saß die Nanobombe, die sie binnen weniger Sekunden in einen undefinierbaren Molekülbrei verwandeln würde, sobald sie den entsprechenden Gedankenbefehl formuliert hatte. Körperkontakt zu ihrem Sohn genügte, dass der Vorgang auf ihn übersprang.

Das Bürschchen war nicht eingeweiht; das bewies seine naive Frage: »Wie viel Gepäck kann ich mitnehmen?«

»Nichts«, knurrte jener meiner Kameraden, der fast genau dieselbe Größe wie Lergon hatte. »Du tauschst sogar deine Kleidung mit mir.«

»Aber ... der Overall ist hässlich. Und du bist verschwitzt!«

»Sei still! – Bitte entschuldigt.« Leandor legte die Arme schützend um den Jungen. »Wir hielten es für besser, ihn erst aufzuklären, wenn ... wenn es so weit ist.«

»Wir wussten ja nicht ...« Nun kämpfte Lydia Rossi doch mit den Tränen. »Ich meine, es war von Anfang an klar, dass es sehr schnell gehen könnte, aber so abrupt ... Ihr müsst verstehen, dass wir uns trotz aller Vorbereitung überrumpelt fühlen.«

»Überrumpelung«, sagte ich, »zählt zu den Dingen, in denen wir besonders gut sind.«

 

*

 

Wir tauschten gleich am Strand die Kleidung – selbstverständlich verfügte jedes der Atolle über einen eigenen Sicht- und Ortungsschutz –, dann flogen die vier jählings geweckten »Schläfer« und nunmehr Identitätslosen mit der Gondel und bald darauf dem Frachtcontainer ab, einer ungewissen Zukunft entgegen.

Mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Zumal ihre Chancen gar nicht so schlecht standen.

Die Sicherheitsvorkehrungen auf HAM-14 waren unseren Informationen zufolge eher lax, für Agenten der Gläsernen Insel also durchaus zu überlisten. Falls sich die drei Erwachsenen in den vergangenen acht Jahren nicht dem Müßiggang ergeben, sondern einigermaßen fit gehalten hatten, sollten sie und der Kleine mit etwas Glück ein neues Leben beginnen können.

Falls sie Pech hatten – nun, das war Teil der Vereinbarung. Bei den Sternengöttern, es gab wahrlich schlimmere Posten als Platzhalter für unbestimmte Zeit auf Cosmoledo-Orbital!

Übrigens befindet sich im Zentrum des Habitats keine der üblichen Kunstsonnen, sondern eine gut zwei Kilometer durchmessende Kugel aus Licht spendender, wasserähnlicher Flüssigkeit. Man kann darauf surfen, darin schwimmen, hindurchtauchen ...

Wenn man nichts Wichtigeres zu tun hat.

Ich unterdrückte den Gedanken an Penenac, die sichelförmige Insel südwestlich von Costor, wischte die Sehnsucht nach dem stark salzigen, vor Vitalität und Lebensfreude strotzenden Ozean meiner Heimat hinweg. Es galt, einen Auftrag zu erfüllen!

Als neue Familie Rossi betraten wir den weitläufigen Bungalow. Leandor stürzte sich sofort aufs größte Kommunikationsterminal.

Clorus zog sich wortlos in seine Suite zurück, um sich zu regenerieren oder zumindest zu schonen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn dafür zu tadeln.

Wir wissen, was wir an ihm haben. Er ist unser Mächtigster und zugleich unser Gebrechlichster. Seine Fähigkeiten verlangen ihm wesentlich mehr ab als etwa mir die meinigen.

»Worauf wartest du?«, schnauzte mich Lergon an. »Leg los!«

»Dein Vorgänger hatte sicher ein prächtig ausgestattetes Kinderzimmer«, neckte ich ihn. »Willst du nicht nachsehen, welches Spielzeug für deine Altersgruppe am besten geeignet ist?«

 

*

 

Der Mann, der Lergon Rossis Rolle angenommen hat, ist in Wahrheit 38 Erdenjahre alt und unser Anführer.

Seit Längerem vermute ich, dass er mich manchmal besonders ruppig behandelt, weil er insgeheim in mich verschossen ist. Mir offen einen Antrag zu machen, würde er sich jedoch nie erlauben.

Das widerspräche seiner Auffassung von Professionalität. Stattdessen wirbt er quasi in negativer Weise um mich.

Soll mir recht sein. Ungern würde ich ihm, wie die Terraner sagen, einen Korb geben. Was immer das impliziert. Ich schätze ihn sehr. Lieben jedoch könnte ich ihn niemals.

Ehrlich gesagt ist mir Satafar – unter diesem Namen habe ich ihn kennengelernt – ein wenig unheimlich. Obgleich von kindlicher Gestalt, verfügt er über ungeheure Körperkräfte, die denen eines Ertrusers gleichkommen.

Dabei handelt es sich wohl um eine Paragabe. Normalphysikalisch lässt sich so etwas nicht erklären.

In all den Jahren habe ich nicht herausgefunden, ob er sich wegen seines Äußeren minderwertig fühlt oder im Gegenteil allen Normalsterblichen überlegen. Jedenfalls setzt Satafar – den ich ab sofort wieder Lergon nennen werde – seine Fähigkeiten ohne jegliche Skrupel ein.

Ich habe ihn im Verdacht, dass ihm das Töten mächtig Spaß bereitet ...

Aber er ist auch ein ausgekochter Stratege. Und ein hervorragender Teamspieler: Wir können uns hundertprozentig auf ihn verlassen. Das hat er zuletzt bei der Eroberung des Polyport-Hofs WOCAUD und der anschließenden Attentäter-Krise bewiesen.

Sonst wären wir gewiss nicht, trotz des keineswegs optimalen Endergebnisses, ausdrücklich belobigt und nach Terra in Marsch gesetzt worden.

 

*

 

Ich durchstreifte den Bungalow auf der Suche nach einem Raum, in dem ich es mir gemütlich machen konnte.

Keiner von uns vermochte abzuschätzen, wie lange wir auf der Lauer liegen würden. Das hatten wir mit den früheren Rossis gemein, wenn auch sonst nicht viel.

Der schwülstige Einrichtungsstil war nicht unbedingt mein Fall. Ich fand die Wohnung überladen mit Reminiszenzen an die terranische Inselgruppe der Seychellen, zu denen jenes längst versunkene Cosmoledo gehört hatte, nach dem das Raumhabitat benannt worden war.

Im Hauptaufenthaltsraum hing sogar eine überdimensionierte Nachbildung des Wappens dieses historischen Inselstaats an der Wand, gleich über dem kitschigen, offenen Kamin: zwei Schwertfische, irgendein Vogel, Ritterhelm, Palme, Wellen und Wolken, Segelschiff und Schildkröte ... Viel überladener ging es kaum. Wer immer das Emblem verbrochen hatte, war Anhänger der universalen Kunsttheorie gewesen, mehr sei im Zweifelsfall mehr, Klotzen besser als Kleckern und Dezenz ein Zeichen von Schwäche.

Die Schrift auf dem verschlungenen Band am unteren Rand konnte ich nicht entziffern.

Ein anderer aus unserem ruhmreichen Quartett sehr wohl. »Finis coronat opus«, las Trelast-Pevor alias Leandor Rossi vor. »Antik-Terranisch. Es bedeutet: ›Der Abschluss krönt das Werk.‹ Ich nehme das als positives Omen.«

Dass er hinter mich getreten war, hatte ich natürlich bemerkt, obwohl er sich für einen Mann seiner Größe bewundernswert leise zu bewegen wusste. Aber er strahlte Lebenswärme ab wie ein zwei Meter hoher Ofen.

»Blöder Spruch«, erwiderte ich. »Klingt bombastisch und ist doch bei genauerer Überlegung total nichtssagend. Jeder Schluss krönt jedes Werk, oder? Da wäre ja ›Ende gut, alles gut‹ noch vergleichsweise optimistisch.«

»Sei nicht so streng mit den missratenen Nachkommen unseres Volkes. – Übrigens ist die Hütte sauber. Auch unsere Ankunft und der Austausch der Bewohner sind vonstattengegangen, ohne dass Aufsehen erregt oder etwas an höhere Instanzen des terranischen Netzwerks weitergemeldet worden wäre.«

Die Einsatzvorbereitung hatte also funktioniert. Deswegen brach ich noch lange nicht in Euphorie aus. »Und jetzt warten wir und harren, was beziehungsweise wer da kommen möge.«

»Ich habe Strickzeug gefunden«, sagte der hagere, meist vornübergebeugt gehende Tefroder. Er holte hinter seinem Rücken einen dicken Wollknäuel hervor, in dem vier lange Nadeln steckten. »Eine hochinteressante Kulturtechnik, eine der ältesten dieser Welt. Aus einem einzigen Faden komplexe dreidimensionale Gebilde zu wirken fasziniert mich immens.«

Nun, wir haben alle unsere Macken.

 

*

 

Ich entschied mich schlussendlich für jenes Gästezimmer, das am weitesten vom Hauptraum entfernt lag.

Die Aussicht war vergleichsweise öde: Dünen, palmenartige Gewächse, zusammengeklappte Sonnenschirme, die keinen anderen Zweck erfüllten, als Lokalkolorit zu verbreiten. In Cosmoledo-Orbital wurde die UV-Strahlung so dosiert, dass selbst die albinotischsten Arkoniden nicht in Gefahr geraten wären, sich einen Sonnenbrand einzufangen.

Aber ich sehe ohnedies mit anderen Augen. Ich bin Vitaltelepathin.

Im Kleinen heißt das, dass ich erkennen kann, ob mein Gegenüber guter Dinge ist, ängstlich oder selbstsicher; ob der andere lügt, die Wahrheit spricht oder einfach zu dumm für beides ist. Ich sehe Stimmungen, ich sehe Krankheiten. Letzteres behalte ich meistens für mich.

Einzig bei demjenigen von uns, der neuerdings Clorus Rossi heißt, versage ich. Ich vermeide, ihn mit meinem Parasinn zu betrachten.

Wer studiert schon gerne lebende Leichen?

Meine Fähigkeit wirkt aber auch in weit größerem Maßstab. Die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen finde ich ohne große Mühe – sofern die »Nadel« lebt, also Vitalenergie ausstrahlt.

Anders ausgedrückt: Einer der relativ wenigen Bewohner des Cosmoledo-Habitats hätte ziemliche Schwierigkeiten, sich an diesem Ort vor mir zu verstecken.

Auf dicht besiedelten Planeten voller Flora und Fauna hingegen, insbesondere in Großstädten, sieht die Sache anders aus. Die unzähligen Vitalsilhouetten überlagern einander, verwischen und verzerren sich bis zur Unkenntlichkeit.

Grundsätzlich gilt, dass mir einzelne Lebewesen je nach Vitalität »paraoptisch« heller oder dunkler gefärbt erscheinen. Und was beziehungsweise wer strahlt am hellsten von allen?

Richtig: ein Aktivatorträger.

Aber selbst dessen goldenes, nahezu jede tote Materie durchdringendes Leuchtfeuer vermag ich innerhalb einer »vitalen Masse«, wie sie etwa Terrania City darstellt, nicht exakt zu lokalisieren, jedenfalls nicht aus beliebiger Entfernung. Ich spüre die Präsenz eines Zellaktivators bis auf eine Distanz von etwa tausend Kilometern; um ihn klar und zweifelsfrei zu sehen, muss ich jedoch ungleich näher dran sein.

Allerdings gibt es ein weiteres interessantes Faktum: Im Leerraum hinterlassen Lebewesen für meine speziellen Sinne eine Spur. Je mehr Personen beispielsweise ein Raumschiff bemannen, desto deutlicher ist diese Spur, und umso länger dauert es, bis sie verblasst. Im Weltall sind ja sonst keinerlei Vitalimpulse vorhanden. Daher bleibt der »Abdruck« mehrerer Tausend Besatzungsmitglieder für mich einige Stunden lang erkennbar.

Aktivatorträger wiederum – oho!

Was für eine Strahlkraft, ein wahres Feuerwerk! Die Spur wird zwar ebenfalls kontinuierlich blasser, aber sie hält mehr als zweieinhalb Tage vor; um genau zu sein: bis zu 62 Stunden.

Und ich kann sie auch aus einer maximalen Entfernung von rund zwei Milliarden Kilometern sehr gut erkennen ...

 

*

 

Unser Auftraggeber hatte uns ins Solsystem entsandt, weil er vermutete, dass der flüchtige Perry Rhodan früher oder später dorthin zurückkehren würde. Inkognito natürlich; schließlich hatten die Onryonen für seine Ergreifung einen hohen Preis ausgesetzt.

Einen Zellschwingungsaktivator.

Deswegen war von mehreren teilweise über Jahrzehnte für uns aufgebauten, potenziellen Tarnidentitäten zum Einstieg die Familie Rossi ausgewählt worden: Cosmoledo-Orbital eignete sich am besten als Beobachtungsposten.

Einige Tage verstrichen ohne besondere Vorkommnisse. Leandor, offiziell mein Ehemann, durchforstete die Netze und holte verschlüsselte Berichte anderer tefrodischer Agenten ein. In Summe ergab sich eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass Rhodan derzeit nicht auf Terra weilte.

Ich saß oder lag die meiste Zeit in meinem Zimmer und starrte ins Leere. Nicht pausenlos, versteht sich – auch eine durchtrainierte Spezialagentin der Gläsernen Insel hat gewisse körperliche Bedürfnisse.

Am 26. August 1514 NGZ war es so weit.

Wie immer nach einer Ruhepause nahm ich als Erstes GALILEO ins Visier. Der Polyport-Hof, seit seiner Verlegung ins Solsystem an einem Tender der PONTON-Klasse festgemacht, war das wichtigste Ferntransportmittel der Terraner.

Beinahe hätte ich laut aufgeschrien, als ich die Spur entdeckte.

Unverkennbar war vor Kurzem das vitale Leuchtfeuer eines Aktivatorträgers in GALILEO angekommen. Von dort zog sich eine glühende Bahn bis zu einem Standardshuttle, das Richtung Terra flog.

In der herkömmlichen Ortung erschien der kleine Flugkörper absolut unauffällig, einer von vielen Zubringern aus dem Polyport-Hof oder anderen Raumhabitaten. Ich aber sah das Shuttle förmlich brennen, in allen Farben des Regenbogens und einigen anderen mehr.

Sofort verständigte ich meine Kameraden. Zuerst war ich nicht sicher, ob es sich tatsächlich um Rhodan handelte.

Dann nahm mein Fanal Kurs auf Terrania City und setzte statt bei einem der Raumhäfen in einem Wohnbezirk zur Landung an: Garnaru.

»Upper West Garnaru Road«, flüsterte ich. »Sagt euch die Adresse etwas?«

Die Frage war rhetorisch. Jeder von uns wusste, dass dort Perry Rhodans Privathaus lag.

»Trotzdem könnte es auch einer der anderen Zellaktivatorträger sein«, wandte Clorus ein.

»Schon richtig. Aber welchen Grund hätte jemand wie, sagen wir, Tekener oder Tolot, schnurstracks Rhodans verwaiste Wohnung aufzusuchen?«

»Kannst du mehr von der Aura auslesen?«, fragte Lergon.

»Leider nein. Ohnehin habe ich die Fährte soeben verloren. Im pulsierenden Terrania geht sogar eine Aktivatorsignatur unter.«

Wir berieten uns; nicht lange.

»Die Rossis brechen demnächst zu einer Ferienreise nach Terrania City auf«, entschied unser körperlich Kleinster. »Wo alle vier bei einem tragischen Unfall umkommen werden.«

Leandor seufzte und verdrehte theatralisch die Augen. »Bitter.«

»Aber unvermeidlich.«

Wie gesagt, Familie Rossi sah dem baldigen Ende ihrer Existenz gefasst entgegen.

1.

Der Seher

28. August 1514 NGZ

 

»Der Typ ist gut«, zischte eine der Zuschauerinnen.

Severin Fock hörte es, während er an der jungen, messingfarben geschminkten Arkonidin vorbeisauste, und grinste geschmeichelt in sich hinein. Ablenken ließ er sich davon nicht. Der Gravokubus verlangte seine volle Konzentration.