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Das Buch

Lisa ist achtundfünfzig, sieht aber mindestens zehn Jahre jünger aus. Dafür tut sie auch einiges: Peelings, Masken, figurbetonte Kleidung – Lisa lässt nichts aus. Doch trotz aller Anstrengung will es seit der Trennung von ihrem Mann, dem Spanier Felipe, mit den Männern nicht mehr so recht klappen. Das Einzige, was sie ihrem Exmann bei der Scheidung abtrotzen konnte, ist das lebenslange Wohnrecht in seiner Villa in Andalusien. Seit fast dreißig Jahren verbringt sie dort ihre Ferien. Doch dieses Jahr ist alles anders. Kaum ist Lisa in Marbella angekommen, taucht Felipes Sohn aus zweiter Ehe auf. Er bietet Lisa an, sie auszuzahlen, wenn sie im Gegenzug auf das Wohnrecht verzichtet. Als sie ablehnt, greift er zu härteren Mitteln: Er engagiert den obdachlosen Rafael und die ehemalige Prostituierte Delia. Sie sollen Lisa das Leben im Ferienhaus zur Hölle machen. Doch so schnell gibt Lisa nicht auf …

Die Autorin

Tessa Hennig ist seit vielen Jahren als freie Journalistin, Regisseurin und Autorin tätig. Wenn sie vom Schreiben und ihrem Wohnort München eine Auszeit benötigt, reist sie auf der Suche nach neuen Stoffen und Abenteuern gern in den Süden.

Von Tessa Hennig sind in unserem Hause bereits erschienen:

Mutti steigt aus

Elli gibt den Löffel ab

Emma verduftet

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Originalausgabe im List Taschenbuch
List ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.
1. Auflage April 2013

ISBN 978-3-8437-0545-5

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013
Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München
Titelabbildungen: © Oliver Wetter

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eBook: LVD GmbH, Berlin

Kapitel 1

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Wie ein Werbejingle in Endlosschleife hatte sich die Mutter aller rhetorischen Fragen in Lisas Gedächtnis ein­genistet. Ein kleiner DJ im Ohr ließ ihn immer dann abspielen, wenn sie Annes Wellness- und Schönheitstempel betrat. Selbst auf dem Flyer stand der Spruch in fetten Buchstaben, wenngleich er sicherlich augenzwinkernd gemeint war. Dass ausgerechnet eine Norwegerin werbetechnisch die Gebrüder Grimm bemühte und somit tief in die Trickkiste der deutschen Romantik griff, um ihrer Münchner Kundschaft »Schönheit« zu verkaufen, war schon er­staun­­lich und offenbar sehr effektiv. Annes Laden brummte. Peelings, Kurpackungen und vitalisierende Massagen im Stundentakt. Von »Spieglein« konnte allerdings keine Rede sein. Monsterspiegel traf es eher. Das mittelalterlich anmutende Relikt nahm gleich die halbe Wand des Flurs ein. Ein riesiger Löwenkopf thronte über einem dunklen Massivholzrahmen, auf dem Blumen und Blätter eingeschnitzt waren. Ein echter Hin­gucker, der zu Annes geschmackvollem Mix aus antiken Möbeln und modernen Accessoires perfekt passte. Dummer­weise ließ einem die räumliche Dominanz des Spiegels gar keine andere Wahl, als sich unentwegt darin zu begutachten, also den Ist-Zustand vor Annes Behandlung mit dem Soll-Zustand aus allerlei Frauenmagazinen, die auf ­einem Beistelltisch lagen, zu vergleichen. Geschickt! Verkaufs­tüch­tig! Lisa imponierte Annes Konzept, auch wenn sie nicht an Märchen glaubte und an sich nicht der Typ war, den man mit der »Schneewittchenmasche« ködern konnte. Oder etwa doch? Ohne den hübsch aufgemachten Flyer, der ein halbes Jahr zuvor in ihrem Briefkasten gelegen hatte, säße sie nicht hier. Und es gab weitere Parallelen zu dem Mädchen »so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz«, stellte Lisa fest und meinte damit nicht nur ihren Teint, ihren Lippenstift oder die natürliche Farbe ihrer Haare, wenn sie nicht wie im Moment blondiert waren, was stets einen Tick jünger machte. Auch sie hatte ihren Traumprinzen erst nach langem Schlaf in einem gläsernen Sarg ­gefunden. Der Glaskasten, in dem sie aus lauter Frust über ihr Privatleben Tag und Nacht schuf­tete, war ja letztlich nichts anderes. Aufgewacht war sie vor zwei Wochen, und ­geweckt hatte sie Reiner, der Neuzugang im Verlag. Ein fähiger und noch dazu schnucke­li­ger Vertriebsmann, der es mit seinem sprühenden Charme schaffte, sogar die schlimmsten Ausrutscher ihrer Autoren im Buchhandel zu platzieren. Gut, er war fast zehn Jahre jünger, aber was machte das heutzutage schon? Rein optisch war er nicht zu jung. Seine grauen Schläfen verliehen ihm eine gewisse Reife. Apropos: War es normal, wenn ein achtundvierzigjähriger Mann einem Liebesbekun­dun­gen per SMS schrieb? Nein. Wohl eher gewöhnungsbedürf­tig – und wie schnell sie sich daran gewöhnt hatte, täglich welche zu bekommen. Lisa konnte gar nicht anders, als sich die restliche Wartezeit mit der Lektüre seiner Kurznachrichten zu verkürzen, oder vielmehr zu versüßen. Ihr Handy war berufsbedingt sowieso immer nur einen Handgriff entfernt – für alle Fälle und natürlich für ihn.

»Der gestrige Abend hat mich verzaubert. Wir sollten öfter ins Ballett gehen. Kiss, Reiner.«

Sofort fing ihr Herz wieder an zu pochen, und sie überkam jenes wohlige Kribbeln, das sie zum ersten Mal mit sechzehn in der Magengegend verspürt hatte. Dass es einen mit achtundfünfzig noch dermaßen erwischen konnte!

»Sehen wir uns morgen? xxx, Reiner.«

Wie süß! Und mit diesem Mann würde sie morgen in den Urlaub fahren. Unglaublich! Lisa musste gleich tief Luft holen, bevor sie sich glückselig auf Annes Polstersessel rekelte. Für ihn musste Anne sie auf Vordermann bringen. Im Klartext: Stirnfalten wegpolieren, straffen, aufhellen, auffrischen – das volle Programm eben.

»Hallo, Lisa.« Anne trat aus ihrem Behandlungsraum und strahlte sie aus fjordblauen Augen an. Die Mittfünfzigerin, die mit Anne aus dem Behandlungszimmer kam, musterte Lisa hingegen etwas abfällig. War das eben ein Blick à la »Die hat’s aber nötig«? Mit blondierter Mähne, Botox-Lippen und hinter den Ohren angetackerter Haut sollte man sich so ein Lächeln besser verkneifen. Man sah es dann nämlich, das Maskenhafte in der Mimik. Umso leichter fiel es Lisa, der Möchtegern-Katzenberger ein lässiges und ziemlich cooles Lächeln zu schenken.

»Nächste Woche um fünf?«, fragte Anne ihre Kundin.

»Natürlich, meine Liebe«, presste die Blonde mit tschechischem Akzent aus der schmalen Lücke hervor, die ihr die Lippen noch ließen, bevor sie sich im Antlitz des Löwen selbstgefällig sonnte.

»Ich geh schon mal rein«, sagte Lisa. Annes Nicken und ihr verschmitztes Lächeln verrieten, dass sie nur allzu gut verstand, weshalb Lisa es keine Minute länger im Vorzimmer aushielt.

»Wenn das so weitergeht, bin ich bald arbeitslos. Aber ist doch kein Wunder. Mit all den Vorher- und Nachher-Shows im Fernsehen … Lifting-Dokus, Brustvergrößerung live im OP. Es rennen ja schon Sechzehnjährige in die Plastische. Wobei … wenn die’s verkorksen, hab ich wieder alle Hände voll zu tun … Hautrettung. SOS! Erst müssen die Falten weg, und dann wären sie froh, wenn sie wieder ein paar hätten. Lisa, die Welt ist so was von abartig. Aber was red ich, ich lebe schließlich davon.« Annes Wortschwall war nicht zu bremsen, wenn ihr Opfer mit Pads auf den Augen und mit grüner Schlammmaske wehrlos vor ihr auf der Pritsche lag. Schallwellentherapie, schoss es Lisa amüsiert durch den Kopf. Das könnte erklären, warum diverse Cremes mit den gleichen Substanzen bei ihr zu Hause keine Wirkung zeigten. Das Zeug drang im Trommelfeuer von Annes Stimme wahrscheinlich tiefer in die Poren ein.

»Na ja, so ganz dezente Eingriffe. Warum eigentlich nicht?«, säuselte Lisa, darum bemüht, ihre Maske ja nicht vorzeitig abbröckeln zu lassen. Bei Anne herrschte während einer Behandlung striktes Konversationsverbot. Ein Monologverbot gab es jedoch nicht. Auf diese Weise wurde man zwangsläufig zum Bauchredner.

»Nicht bewegen«, schimpfte Anne sogleich. »Dezent ist dehnbar – im wahrsten Sinne. Mit der Nase oder ein paar Fältchen um die Augen fängt’s an. Das ist wie eine Droge. Erst Gras, dann Koks, dann die harten Sachen, und am Ende setzen sie sich den goldenen Schuss. Du glaubst gar nicht, was ich schon alles gesehen habe, und die meisten geben es nicht mal zu. Glattes Gesicht und runzliger Hals, mal ganz abgesehen von den Händen. Die Altersflecken kriegt man sowieso nicht weg. Nur der Friseur weiß Bescheid. Die Nähte am Haaransatz … Sei froh, dass du so was nicht brauchst«, sagte Anne.

Das ging runter wie Öl. Lisa seufzte und genoss die tiefenentspannende Wirkung des Wärmestrahlers, der ihr ins Gesicht schien. Anne kümmerte sich unterdessen mit der üblichen Hingabe um die Pediküre. Die Stunde musste man möglichst effizient nutzen.

»Hab ich dir schon erzählt, dass Christina jetzt modelt?«

Lisa verneinte mit sonorem Brummlaut.

»Die war in Madrid auf ’ner Fashion-Show bei Juan Duos. Modedesigner. Kennste nicht, oder?«

Brumm, brumm, was so viel wie »Nein« bedeutete. Anne verstand es jedenfalls.

»Old ist beautiful. Der hat Omis auf den Laufsteg geschickt, sagenhaft. Typgerecht angezogen. Die meisten waren nicht mal sonderlich hübsch. Der Ausdruck zählt, das innere Gleichgewicht. Jede Falte erzählt eine Geschichte. Ich find das toll. Gott, ich mach mir noch mein eigenes Geschäft kaputt. Auf alle Fälle ist Christina jetzt sehr gefragt. Sie hat sogar schon eine Agentin.«

Brumm?!

»Ja. Stell dir vor. Sie ist faktisch in jedem Modekatalog für Übergrößen.«

Dass Christina, ihre Nachbarin, die sie für Anne akquiriert hatte, sich nun für Kataloge ablichten ließ – Respekt. Und kein Wort hatte sie bisher bei ihr darüber verloren. Trotzdem. Das waren Ausnahmen. Anne wusste sicher genau, dass sie sich ihr Geschäft gar nicht kaputtreden konnte. »Jung und dynamisch bleiben« hieß die Zauberformel, und nicht nur im Berufsleben. Lisa war sich dessen absolut sicher. Hätte sie sich sonst so lange ganz oben gehalten? Gegen den Zustrom junger Kolleginnen, die wie Hyänen auf ihren Posten lauerten und ihren Chef umgarnten? Und dann diese ganzen blöden Sprüche, von wegen, dass man nur so alt war, wie man sich fühlte. Angeblich fing das Leben ja erst mit sechsundsechzig an. Udo Jürgens sang das schon weit vor dem Zeitalter deutlich steigender Lebenserwartungen. Wer weiß, wenn Jürgens den Song heute geschrieben hätte, wäre bestimmt von siebenundsiebzig die Rede. Klingt aber gesungen nicht so gut, musste Lisa sich in dem Moment eingestehen. Alles Blödsinn! Sich jung zu fühlen ist eine Sache, alt auszusehen eine andere, und für Letzteres gab es nicht den geringsten Grund. Sie konnte sich die kosmetische Behandlung leisten. Es tat gut, und man fühlte sich besser. Daran führte kein Weg vorbei. »Inneres Gleichgewicht« – schön und gut, aber wie schnell gerät es ins Wanken, wenn man sich morgens ungeschminkt im Spiegel sieht, und wie kann man ein schönes Inneres ausstrahlen, wenn sich niemand mehr für die runzlige Hülle interessiert?

»Fertig!« Anne knipste die Infrarotlampe aus.

Wie schade!

»Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon, Reiner und du?«

»Ein paar Wochen«, sagte Lisa.

»Und dann nimmst du ihn gleich mit nach Spanien?«, fragte Anne.

»Warum nicht?« Lisa wunderte sich selbst darüber, wie selbstverständlich und überzeugend sie das eben von sich gegeben hatte.

»Ich beneide dich. Vier Wochen – Sonne, Cocktails, ein toller Mann … Vielleicht sollte ich auch im Verlagswesen ­arbeiten …« Anne seufzte, bevor sie ihr Pediküre-Set aufräumte.

»Du hättest das Zeug dazu, glaub mir«, sagte Lisa.

»Ich? Aber ich hab doch überhaupt keine Ahnung von Literatur.«

»Dafür umso mehr Überzeugungskraft.«

Anne stutzte, lachte dann aber herzhaft los. »Du meinst, jeder Buchhändler würde mir alles abkaufen, nur damit er mich möglichst schnell aus seinem Laden bekommt?«

»Das hast du gesagt.«

Annes Lachen war ansteckend. Das Tuch, das sie geholt hatte, um Lisa die Maske vom Gesicht zu wischen, brauchte sie jetzt nicht mehr. Lisas Lachmuskeln nahmen ihr die Arbeit größtenteils ab.

Karomuster mit aufgenähten Pailletten? Weg damit! Zurück auf den Kleiderständer – einer von so vielen in der Modeabteilung des Warenhauses, dessen Angebot einen manchmal erschlagen konnte. Geschäftliche Entscheidungen zu treffen war einfacher. In der Regel genügte es, die ersten fünf Seiten eines Manuskripts zu lesen, um einschätzen zu können, ob sich eine Stoffentwicklung lohnte, die Meinungen der Lektorinnen zu stützen oder zu kippen. Die Geschichte musste originell sein, die Figuren liebenswert, der Stil ansprechend. Das Besondere musste einem ins Auge springen. Für Lisa definitiv keine Qual der Wahl, kein Herumlamentieren, weder mit sich selbst noch mit ihren Kollegen. Ihre Stimme als dienstälteste Mitarbeiterin und Assistentin der Verlagsleitung wurde gehört. Organisation der Geschäftsabläufe? Kein Problem. Der beste Flug für ihren Chef? In Minutenschnelle. Was die Auswahl passender Kleidung für ihren Urlaub betraf, sah die Sache allerdings anders aus, vor allem wenn es um Marbella ging, ihr alljährliches Highlight. Auf gar keinen Fall durfte sie bei ihrer Clique mit der Abendrobe vom letzten Jahr aufschlagen. Mithalten zu können war aber alles andere als einfach. Modezeitschriften gaben immerhin die Farben und Schnitte des Sommers vor. Mit nichts anderem hatte sie sich wochenlang in den Mittagspausen beschäftigt. Zu dumm, dass die angesagten Trends nicht so recht zu ihrem Typ passten. Lisa zupfte bereits das nächste Kleid vom Kleiderständer. Blümchenmuster ging gar nicht. Auf ein Neues! Ein Blick auf die Armbanduhr. In einer halben Stunde würden die Läden schließen. Sie musste etwas finden. Hier und jetzt. Vielleicht doch lieber ein klassisches Designerkleid kaufen, das einem wenigstens die Möglichkeit gab, mit dem Label zu punkten? Zu teuer! Egal! Mehr als die Kaufingerstraße zweimal auf und ab zu pilgern konnte kein Mensch. Es musste so schnell wie möglich ein Kleid her! Auf der anderen Seite des Fashion-Dschungels dann das rettende Display in Sicht: »Mode für Frauen mit Style«. Sehr viel Rot und Orange. Nichts wie hin. Hatte Reiner ihr nicht gesagt, dass sie Rottöne gut tragen konnte? Das Kleid vom letzten Jahr war aber schon rot gewesen. Egal, Reiners Meinung war wichtiger. Mit einem Mann wie ihm an ihrer Seite würde sie Claudias und Vronis Sticheleien locker ertragen. Den beiden würde es sicher die Sprache ver­schla­gen, wenn sie ihn sahen. Sie konnte also faktisch anziehen, was sie wollte. Er war das »Kleid«, das sie schmückte – jedenfalls in ähnlicher Funktion. Nicht träumen! Suchen! Rotgetupfte Orangetöne auf Braun? Trägt das eine Frau mit »Style«? Gewagte Kombination. Aber wer nicht wagt … Lisa zog das Kleid heraus und hielt es vor sich. Was sie im Ganzkörperspiegel sah, hatte was. Nett! Raffiniert! Frisch und munter, alles andere als banal. Der Stoff fühlte sich bestimmt gut auf der Haut an. Was kostete es überhaupt? Lisa zupfte nach dem Preisschild, das sich im Ärmel versteckte. Natürlich war der Preis so klein gedruckt, dass sie ihn ohne Brille nicht lesen konnte. Ausgerechnet jetzt interessierten sich auch noch andere für »ihr Kleid«. In Sekundenschnelle flankierten sie zwei hübsche Endzwanzigerinnen vom Typus Frau, der sogar Kartoffel­säcke tragen konnte. Jetzt die Lesebrille aus der Handtasche zu ziehen, wäre zu riskant. Sie würde Gefahr laufen, sich mitleidigen Blicken und Kommentaren auszusetzen wie: »Die Alte hat sich bestimmt in der Abteilung geirrt«, oder: »Mutig«. Ausgerechnet heute hatte Lisa ihre flotte Designerlesebrille nicht dabei, sondern nur den »Notbehelf« für unterwegs, der weniger Platz in der Handtasche einnahm. Sie hatte das auf Größe eines Kugelschreibers faltbare Teil letztes Jahr nach der Londoner Buchmesse am Flughafen bei Boots gekauft. Die Brille war aus Plastik, hing am unteren Nasenflügel und machte einen schlagartig um mindestens zehn Jahre älter. Was für ein furchtbarer Gedanke!

»Meinst du, das steht mir?«, fragte eine der jungen Frauen ihre Begleiterin, die mindestens genauso attraktiv war. Sie hatte etwas von Penelope Cruz, stellte Lisa fest.

»Entschuldigung, dürfen wir das Kleid mal sehen?«, fragte Penelopes Freundin.

Lisa blieb gar nichts anderes übrig, als es ihnen zur Begutachtung zu überlassen.

»Es kann sein, dass ich es nehme«, machte Lisa sicherheitshalber klar, nicht dass ihre letzte Option dann auch noch weg war.

»Die werden ja noch ein paar auf Lager haben«, erwiderte Penelope kess, bevor sie erst das Kleid und dann Lisa musterte. »Mir ist das zu farbenfroh. Aber Ihnen steht das, glaub ich.«

Zynisch oder nett?

»Meinen Sie wirklich?« Lisa musste sich einfach rückversichern.

»Mit Ihrer schon leicht vorgebräunten Haut. Sie können sich solche Farben leisten. Außerdem bringt das Braun Ihre Augenfarbe schön zur Geltung.«

Also doch nett gemeint, aber letztlich auch überaus peinlich. Die beiden hielten sie offenbar für eine Frau, die nicht wusste, was sie tragen konnte. Vielleicht sollte sie ihr Ge­gen­über jetzt auch noch gleich nach dem Preis fragen, so ganz nebenbei, überlegte Lisa. Penelope hatte schließlich vor­hin einen prüfenden Blick auf das Etikett geworfen. Lieber nicht. Smartphone!, schoss es ihr urplötzlich durch den Kopf. Hatte es nicht letzte Woche ein Software-Update ge­geben, das es ­ermöglichte, digitale Fotos auf dem Display zu ver­größern? Die neue Zoomfunktion war überhaupt die Idee! Jetzt musste sie nur noch warten, bis die beiden Hollywood-Schönheiten weg waren. Ganz unauffällig zupfte Lisa am ­Ärmel des Kleids ­herum und tat so, als befühle sie den Stoff. Das Handy griffbereit. Ein Blick nach links. Einer nach rechts. Die Luft war rein. Preisschild knipsen, vergrößern, lesen, fertig. Das war’s! Zweihundertneunundvierzig Euro. Günstiger als gedacht und absolut im Rahmen ihres Budgets.

»Was machen Sie da?«, blökte es ohne Vorwarnung so laut von hinten, dass Lisa vor Schreck fast ihr Telefon fallen gelassen hätte. Vor ihr plusterte sich eine dauerwellengelockte Matrone auf. Strenges Kostüm, strenger Blick und strenger Geruch. Die altbekannte Mischung aus Schweiß und Kölnischwasser, die Lisa von ihrer Großmutter kannte. Ihr wurde augenblicklich schlecht.

»Ich hab doch nur das Preisschild …«, stammelte sie und wirkte dabei mindestens so frisch ertappt wie eine Kauf­hausdiebin.

»Ach nee … Verstehe … Von der Konkurrenz. Preise aus­spio­nieren«, wetterte die Verkäuferin.

»Aber ich …«, versuchte Lisa zu protestieren.

»Hören Se mal. Fotografieren ist hier verboten.«

»Ich habe meine Brille nicht dabei«, log Lisa kleinlaut, weil ihr Gegenüber offensichtlich auch bei Boots am Londoner Flug­hafen eingekauft hatte. Der gleiche Nasenflügelzwicker, nur in einer anderen Farbe. Diese Blöße würde sie sich nicht geben.

»Ach so. Entschuldigen Sie bitte.« Aus streng wurde freundlich, ja fast schon mütterlich.

»Zoomfunktion.« Um auf Nummer sicher zu gehen, demonstrierte Lisa, was ihre Handykamera konnte.

Erst jetzt schien die Verkäuferin Lisas Plan vollends zu verstehen. Sie nickte tief beeindruckt.

»Ehrlich – tolle Idee. Darauf muss man erst mal kommen.«

Und nun bot sie ihr auch noch ihre Brille an. Richtig nett.

»Möchten Sie …? Aber ich schau auch gerne für Sie nach. Dafür bin ich ja da.«

Lisa nickte erleichtert, und so warmherzig, wie die Verkäuferin sie nun anlächelte, störte sie nicht einmal mehr ihr Parfüm.

Lisa setzte per Fingertipp den letzten Haken auf ihre virtuelle To-do-Liste. Wie praktisch, dass man so etwas heute auf seinem Smartphone immer griffbereit hatte. Keine Zettelwirtschaft mehr. Listen sorgen für Ruhe, reduzieren Denkarbeit und Stress, allerdings nehmen sie einem leider keine Entscheidungen ab. Lisa legte ihr Handy zur Seite und starrte etwas ratlos auf den Kleiderhaufen, der fein säuberlich nach Farben und Zweck sortiert vor ihr auf dem Bett neben dem bereits geöffneten Koffer drapiert war. Und was sich vor ihr türmte, war eindeutig zu viel. Es würde nicht in den Koffer passen. Von den zwanzig Kilo Gewichtsbeschrän­kung mal ganz abgesehen. Die Leinenhose mitnehmen oder doch lieber das luftige geblümte Strandkleid mit gewagtem Ausschnitt, das sie neben zwei Bikinis in Leuchtfarben, BHs mit Spitze, einer bestickten Jeans und zwei schicken Blusen im Turbogang vor Geschäftsschluss noch erworben hatte? Lisa konnte sich nicht daran erinnern, jemals so viele Sachen in so kurzer Zeit gekauft zu haben. Dank »Lesebrillensolidarität« mit der Verkäuferin war ihr rausgerutscht, dass sie sich für Reiner besonders hübsch machen wollte. Schon waren sie olympiareif zur Wäscheabteilung gejoggt, durch die Fashionmeile für junge Mode gejagt und am Bikiniständer entlanggepaddelt. Anproben im Zeitraffer. Fünfzehn Minuten! Schweißtreibend, aber von Erfolg gekrönt. Im Urlaub konnte man es sich leisten, farbenfrohe junge Mode zu tragen. Eine gute Entscheidung. Aber was, wenn sie sich damit lächerlich machte? Sofort hielt Lisa das neue Kleid vor sich hin. Die verspiegelte Front ihres Schlafzimmerschranks schien jeden­falls nichts gegen den flotten Look zu haben. Warum sonst lächelte ihr Spiegelbild sie an? Rein in den Koffer. Leinen war gestern. Langweilig. Als ob ihr Smartphone der gleichen Meinung wäre, meldete es sich mit einem fröhlichen »Bing«. Sicher die gestern gesetzte Erinnerung, heute spätestens um halb zehn mit dem Packen anzufangen. Halb zehn?! Wieso hatte sich Reiner noch nicht bei ihr gemeldet? Immerhin fuhren sie morgen in ihren ersten gemeinsamen Urlaub. Er meldete sich doch sonst mindestens täglich. Vielleicht war er auch gerade dabei, zu packen, beruhigte Lisa sich. Das musste wohl Gedankenübertragung sein. Schon kam der vertraute Dreiklang, der auf den Eingang einer SMS verwies. Lisa wusste jetzt schon, was er geschrieben hatte, bestimmt eine Nachricht wie: »Bist du auch am Packen?« Reiner liebte es, sie zu fragen, was sie gerade machte. Total süß! Die Nachricht aus vielen verschwommenen Buchstaben, die ihr auf ihrem Smartphone entgegensprang, sah aber länger aus, sogar ziemlich lang. Wo war nur die Lesebrille für zu Hause? Lisa zog sie hinter der Nachttischleuchte zwischen dem Stapel Unterwäsche hervor und konnte gar nicht anders, als erst einmal kurz aufzuseufzen und vor sich hin zu schmachten, bevor sie sich die Brille aufsetzte und zu lesen begann.

»Liebe Lisa. Ich bin wie gelähmt und finde wahrscheinlich nicht die richtigen Worte, aber ich kann morgen nicht mitfahren. Ich hab mir lange genug etwas vorgemacht. Du und ich … das geht nicht gut. Es tut mir wirklich leid, aber ich kann nicht anders. Reiner.«

Herzstillstand. Atemstillstand. Lebensstillstand. Lisa stand nur da, unfähig, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Das Handy war wie angewachsen in ihrer Hand, nur gab es ihr diesmal keinen Halt. Sie starrte es an, regungslos und so lange, bis der Energiesparmodus des Bildschirms seine Worte bis zur Unlesbarkeit abdimmte und sie mit ­einem stechenden Schmerz, der ihr abrupt und ohne Vorwarnung wie eine Hitzewelle vom Magen in den Kopf stieg, allein ließ.

Selbst an guten Tagen sah man in der Fensterscheibe einer ­S-Bahn ziemlich übel aus. Das Glas, in dem sich das Neonlicht spiegelte, schien das Gesicht optisch aufzuschwemmen, eine zweite Kontur darüberzulegen und Tränensäcke gleich zu verdoppeln. Man sah grundsätzlich kränklich dar­in aus. Nach einer schlaflosen Nacht war dieser Effekt umso schlimmer. Lisa vermied es tunlichst, in diese Richtung zu sehen, und blickte stattdessen auf den Boden, vielmehr auf die ­wenigen Quadratzentimeter, die sie, eingepfercht zwischen den Gepäckstücken Mitreisender, um ihre Füße herum noch hatte. Wenigstens musste man sich nicht festhalten. Umfallen wäre ein Ding der Unmöglichkeit.

»Möchten Sie sich setzen?«, bot ihr ein adretter Geschäftsmann an, der sich im prall gefüllten Waggon einen Platz ergat­tert hatte.

»Geht schon. Danke«, rang Lisa sich mit gequältem Lächeln ab. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Mann unter einem Aufkleber mit weißem Rollstuhl auf blauem Grund saß. Alt und gebrechlich, schoss es ihr durch den Kopf. Er musste sie für eine tattrige alte Frau halten, die sich nicht mehr lange auf den Beinen halten würde. Gegen einen Rollstuhl hätte sie angesichts der bleiernen Müdigkeit und der Schwere in ihren Beinen, die die Erdgravitation momentan zu vervierfachen schien, im Moment gar nichts einzuwenden. Der Gentleman auf dem Behindertensitzplatz musterte sie immer noch mitleidig und war offensichtlich wenig von ihrer Standfestigkeit überzeugt. Blick abwenden. Aber wohin? Auf der linken Seite hatte sie ein kleiner Junge im Visier. Seine großen Augen durchbohrten sie förmlich.

»Jetzt starr die Frau nicht so an«, maßregelte die dazugehörige junge Mutter ihren Sprössling, der sich aber nicht dar­um scherte und sie weiter wie ein Museumsexponat ansah. Wenigstens schenkte ihr die Mutter des Jungen ein er­frischen­des Lächeln, was Lisa etwas aufmunterte. Das Kleid, das die junge Frau trug, hatte jedoch den gegenteiligen Effekt. Frische Farben, Blumenmuster, körperbetont geschnitten. Das Modell hatte sie gestern in der Hand gehabt. Ihres vom gleichen Designer lag jetzt im Schrank, genau wie die anderen Sachen. Leinen war wieder in, zumindest hatte sich Lisa dies letzte Nacht gegen halb drei erfolgreich eingeredet, bevor sie sich doch noch dazu aufgerafft hatte, um ihrer Freunde in Marbella willen den Koffer zu Ende zu packen. Urplötzlich ertönte von hinten der vertraute Dreiklang einer ankommenden SMS. Sie zuckte augenblicklich zusammen und drehte sich um. Ein junges Mädchen stierte auf ihr Handy und las die Kurznachricht mit finsterer Miene.

»Idiot«, zischte das junge Ding und tippte sogleich ziemlich abgeklärt eine Replik. So fies, wie sie dabei grinste, hatte die Antwort sich gewaschen. Vielleicht sollte sie das Mädchen bitten, Reiner auch etwas in der Art zu schreiben. »Idiot« war das richtige Wort. Wie konnte sie nur auf ihn her­einfallen? Wie hatte sie sich für ihn nur so ins Zeug legen können, bei ihrem Chef und den Kollegen? Ihrer Empfehlung verdankte er seinen Job, und Mitte letzter Woche hatte Lisa ihm auch noch das lukrativste Absatzgebiet des Verlags vermittelt. Er wusste, dass der Boss sie in so gut wie allen ­Angelegenheiten nach ihrer Meinung fragte und ihren Rat gerne annahm. Diese hinterlistige Ratte. Alles geplant. Lisa holte tief Luft und spürte, wie sie sich dabei etwas aufrichtete. Wut konnte ungeahnte Kräfte mobilisieren. Noch einmal durchatmen. Du hast ein schönes Leben, Lisa. Du hast alles, was du brauchst. Bisher warst du allein auch glücklich. Beruhig dich. Er ist unwichtig. Es gibt noch andere interessante Männer, sagte sie sich und nahm sich vor, gleich nach ihrer Rückkehr ein paar Fäden in die andere Richtung seiner Karriere zu ziehen. Nicht auszudenken, wenn dieser Typ sich in ihrer Abwesenheit im Verlag einschleimte und sie ihm täglich unter die Augen treten müsste. Bis zur Endhaltestelle am Münchner Flughafen hatte sie sich bereits fünf Strategien zurechtgelegt, die sie während des Flugs auf ihrem Smartphone zu notieren gedachte. Du packst das, Lisa, ermutigte sie sich. Marbella wartet auf dich. Dein geliebtes Marbella!

»Idiot«, kam es ihr trotzdem ganz spontan beim Aussteigen über die Lippen, und auch noch so laut, dass sich gleich drei Köpfe nach ihr umdrehten. Köpfe von Männern, die sich offenbar angesprochen fühlten.

Wen wundert’s!

Die Strecke München–Málaga war mit nur zwei Stunden Flugzeit ein Katzensprung, doch Lisa war nach der anschließenden Busfahrt in Richtung Marbella so erschöpft, dass sie sich ein Taxi vom Busbahnhof zu ihrem Feriendomizil nahm. Es lag dank Felipes erlesenem Geschmack und sicherem Gespür für Immobilien in Traumlage im Hinterland der »Milla de Oro«, der sogenannten »Goldenen Meile« von Marbella. Das Haus musste mittlerweile locker eine Million Euro wert sein, überlegte Lisa und freute sich erneut darüber, dass sie ihrem Exmann nach ihrer Trennung vor zwanzig Jahren zumindest ein lebenslanges Wohnrecht im Erdgeschoss der Villa hatte abtrotzen können – nach hartem Kampf.

Der letzte Kreisverkehr auf dem Bulevar del Príncipe Alfonso von Hohenlohe – eine mehrspurige Hauptstraße, die parallel zur Küste verlief und mit einer Ferienanlage nach der anderen glänzte – war fast erreicht. Lisa ließ ihren Blick über die weißen Hotelanlagen schweifen, die teilweise so weitläufig waren, dass sie sich von der mehrspurigen Hauptstraße bis zum rund hundert Meter entfernten Strand zogen. Sie hatte in den letzten Jahren schon ein paarmal darüber nachgedacht, sich dort einzumieten. Man sparte sich den ganzen Aufwand der Selbstversorgung und hatte Zimmermädchen, die die Räume sauber hielten. Es gab Schlimmeres als Massentourismus in einer der besten Gegenden Marbellas. Sie könnte Menschen aus aller Herren Länder kennenlernen. Wahrscheinlich jedoch überwiegend Engländer und viele Deutsche. Für einen Single, der die Hoffnung auf den »Richtigen« noch nicht aufgegeben hatte, bestimmt nicht die schlechteste Option. Kaum hatte das Taxi die Abzweigung zu ihrem Viertel erreicht, verflogen aber alle Überlegungen in diese Richtung. Zu groß war die Freude auf ihr Haus, zu schön das vor ihr liegende Wohngebiet, durch das sich das Taxi auf steil den Hang hinaufführenden Serpentinen mühte, vorbei an herrschaftlichen Anwesen, deren Palmengärten von hohen Mauern und Eisengittern geschützt waren – ein Tribut an die schlimme Zeit in den achtziger Jahren, in der keine Nacht verging, ohne dass hier irgendwo eingebrochen wurde. Lisa hatte sich stets standhaft geweigert, eine teure Alarmanlage anbringen zu lassen. In ihrem Haus war sowieso nichts zu holen. Außerdem war Marbella in den letzten Jahren sicherer geworden. Die Stadt hatte sich von den Auswüchsen des Massentourismus und der damit einhergehenden Drogen- und Kleinkriminalität erholt. Der Service in den Restaurants war freundlicher, die Stadt sauberer. Die Costa del Sol hatte ihren alten Charme zurück­erobert, und diesen gedachte Lisa in den nächsten Wochen voll auszukosten.

»A la derecha«, gab sie dem Taxifahrer zu verstehen. Hinter der nächsten Biegung lag ihr Haus, und auf Lisa warteten vier Wochen himmlische Ruhe.

Wie jedes Jahr fragte sich Lisa beim Aufschließen des mas­siven Holztores, ob sich der Garten wohl verändert hatte. Würden die verschiedenen Rosenarten schon in voller Blüte stehen? Was wohl aus ihren Oleanderstecklingen geworden war, die sie letzten Sommer gepflanzt hatte? Bestimmt hatte sich ihre Nachbarin Yolanda gut darum gekümmert. Lisa freute sich auf die prächtigen violetten Bougainvillea­stauden, die am Haus rankten, auf die Kakteen hinter dem Zaun, die orangefarbenen Blüten eines Granatapfelbaums und das erfrischende Gelb des Ginsters, in dessen Feld sich jedes Jahr ein paar rote Mohnblumen verirrten. Ganz besonders aber fieberte sie der blauen Pracht von Yolandas ­Jacaranda entgegen, deren Äste bis zu ihrem Grundstück reichten und ihr gemeinsam mit den beiden Zitronenbäumen, einer Zypresse und der Palme, die das Grundstück überragte, Schatten an heißen Junitagen spendete.

Genug geträumt. Lisa öffnete das Tor zum Paradies, ­dessen Frieden jedoch von einem Eindringling gestört wurde.

Was hatte der kleine Junge im Garten ihres Grundstücks zu suchen? Und wieso reparierte er sein Fahrrad ausgerechnet vor ihrer Terrasse, wobei er auch noch lautstark fluchte, als ihm der Fahrradschlauch erneut vom Rad rutschte.

»¡Joder!«, was auf Neudeutsch so viel wie »Fuck!« hieß, stieß er wütend aus und kickte mit dem Fuß gegen das Fahrrad, das daraufhin scheppernd zu Boden fiel und sich zu allerlei Werkzeug sowie einer mit Wasser gefüllten Wanne gesellte.

Der höchstens sieben Jahre alte Stöpsel hat eine ziemlich deftige Sprache für sein Alter, dachte Lisa schmunzelnd und beobachtete ihn weiterhin von der Einfahrt ihres Hauses aus. Er war so damit beschäftigt, seinen Drahtesel wieder aufzurichten, dass er sie immer noch nicht bemerkte. Nun war auch noch das Vorderrad verbogen.

» ¡Joder, joder!«, fluchte er noch lauter als zuvor.

»No se dice. ¡Coño!«, kam es nun mahnend und schrill vom Nachbargrundstück, zu dem eine offenstehende Tür führte.

Lisa erkannte Yolandas Stimme und konnte nicht umhin loszuprusten. Dass die Siebzigjährige dem Kleinen die derbe Sprache verbot und dabei selbst fluchte, war göttlich mit anzuhören.

Schon schoss Yolanda aus dem Nachbargarten und ging im Stechschritt zu dem Jungen.

Lisa beschloss, sich zu erkennen zu geben, und räusperte sich laut.

»¡Luke, ven!« Yolanda winkte Luke herbei, bevor sie zu Lisa eilte. »Es Lisa de Alemania«, erklärte sie ihm.

»¡Yolanda! ¿Qué tal?«, begrüßte Lisa ihre Nachbarin, deren Lächeln mit jedem Schritt breiter wurde. Luke musterte sie hingegen eher desinteressiert. Bei näherem Hinsehen ein richtig süßer Fratz: riesengroße braune Kulleraugen, lockiger Wuschelkopf und ein verschmitztes Lächeln. Aber war­um nannte sie ihren Enkel Luca auf einmal Luke? Vielleicht hatte Lisa sich auch nur verhört.

»Schön, dass du da bist«, sagte Yolanda mit spanischem Akzent und nahm sie erst einmal in den Arm. Und wie froh Lisa erst war. Yolanda war praktisch Familie. Sie kannten sich seit dreißig Jahren. Yolanda war immer an ihrer Seite gewesen, auch während des fast zweijährigen Rosenkriegs mit Felipe, den auch ihre Nachbarin früher als »el diablo« bezeichnet hatte. Dass sie immer noch mit ihm in Kontakt stand, war unvermeidlich. Felipe bezahlte Yolanda schließlich dafür, dass sie nach dem Rechten sah, den Garten pflegte und das Haus so gut es ging in Schuss hielt. Bei ihr hatte Lisa Spanisch gelernt, jedenfalls genug, um ein Leben in Spanien zu meistern. Dennoch sprach Yolanda seit ei­nigen Jahren überwiegend Deutsch mit ihr. Der charis­matischen alten Dame fehlte allem Anschein nach die Her­ausforderung. Nach vielen Berufsjahren als Deutsch- und Englischlehrerin am hier ansässigen Gymnasium sah Yolanda in ­ihrem Sommergast sicher eine Möglichkeit, die ­alten Sprachkenntnisse herauszukramen und am Leben zu halten.

»Tut mir leid wegen der Unordnung«, sagte Yolanda mit Blick auf die zur Fahrradwerkstatt umfunktionierte Terrasse. »Wir hatten heute Morgen kein Wasser und …«

»Macht ja nichts, Hauptsache, Luca kann sein Fahrrad richten«, erwiderte Lisa und wandte sich dem Jungen zu, den sie zuletzt vor sieben Jahren im Kinderwagen gesehen hatte.

»Luke«, berichtigte sie der Kleine trotzig. »¡Me llamo Luke!«

»Er ist ein großer Fan von Krieg der Sterne«, erklärte Yolanda und zuckte mit den Schultern. Der Stöpsel hielt sich also für Luke Skywalker.

Lisa hob die Hand, als ob sie einen Eid schwören würde, und setzte dabei eine ernste Miene auf. »¡Que la fuerza te acom­pañe!«, sagte Lisa so bedeutungsvoll wie möglich. Der intergalaktische Gruß eines Yedi-Ritters kam augenscheinlich gut an, so herzlich, wie er ihr jetzt die Hand reichte. Zugleich hoffte Lisa inständig, dass die »Macht« auch mit ihr sein würde. Ein erneuter Anfall von Müdigkeit stellte sich ein, und der Gedanke, nun doch allein in ihrem Haus zu sein, munterte sie nicht gerade auf.

Der Einzug in das Feriendomizil war normalerweise eine Sache von maximal einer Stunde. Im Wohnraum, der an die Terrasse zum Garten grenzte, waren lediglich zwei Sessel und eine Couch von ihren weißen Laken zu befreien und die wenigen Holzmöbel vom Staub der letzten Monate. Einmal feucht über den Boden wischen, die Sachen aus dem Koffer in den Schrank räumen. Fertig. Normalerweise! Lisa schaffte es heute gerade mal, eines der weißen Laken halb vom Sessel zu ziehen – in Zeitlupentempo und in Gedanken an ihr jüngstes »Waterloo«. Hier hätte sie mit Reiner kuscheln, seine Nähe spüren können. Lisa musste sich augenblicklich setzen. Wieder ein gescheiterter Beziehungsversuch. Erst die katastrophale Ehe mit Felipe und dann ein Fiasko nach dem anderen, für die es die unterschiedlichsten Gründe gab: Reiner hatte sie benutzt, um an einen guten Job heranzukommen. Gerhard, der Typ aus der Speeddating-Bar, wollte, dass sie, die »dekadente und denaturierte Städterin«, mit ihm aufs Land zieht. Wolfgang stand auf Fesselspiele und hatte sie für »zu verklemmt« gehalten. Heinrich war Frühaufsteher, der am liebsten jedes Wochenende mit ihr zum Wandern in die Berge gefahren wäre. Ihm war sie nicht sportlich genug gewesen. Lisa zwang sich förmlich dazu, diesen Gedankenstrom schleunigst abzustellen. Die Vernunft übernahm das Kommando. Klar, je älter man wurde, desto schwieriger war es, jemanden zu finden, der zu einem passte. Jeder hatte schon sein Leben gelebt, jeder hatte Narben, Eigenarten, Marotten, war auf seine Weise eingefahren. Wenn man jung war und selbst noch ein un­beschriebenes Blatt, das sich vom Wind sorglos treiben ließ, hatte man weniger Ecken und Kanten, an denen sich der andere stoßen konnte. Dabei hieß es doch, dass jeder Topf seinen Deckel finden würde. Zumindest hatte ihr Vater das zeitlebens gesagt. Früher hatte das vielleicht gegolten. Für ihren Topf gab es keinen Deckel, jedenfalls keinen, der zu ihr passte. Gerade als sich Lisa dazu aufraffen wollte, auch die restlichen Möbel von den Laken zu befreien, begann ihr Handy, lautstark zu klingeln. Vroni! Rangehen oder erst morgen zurückrufen? Lieber gleich rangehen. Ein bisschen von Vronis Gequake würde sie sicher fröhlicher stimmen.

»Hallo, Vroni«, begrüßte Lisa ihre langjährige Marbella-Freundin.

»Wusst ich’s doch. Du bist schon da. Stör ich?«, wollte sie wissen.

»Nein, ganz und gar nicht.«

»Wir sind schon alle ganz aufgeregt …« Vronis Schnappatmung nach zu urteilen, musste das stimmen.

»Was ist los? Hat sich Alex ein neues Boot gekauft?«

»Das könnte er sich doch gar nicht leisten. Wir sind neugierig auf deine neue Flamme und … na ja, bei mir gibt’s auch Neuigkeiten …«

Lisa überlegte für einen Moment, ob sie Vroni gleich oder erst morgen von ihrem Debakel erzählen sollte. Lieber morgen.

»Er heißt Stefan! – Mensch, Lisa. Ich hab mich frisch verliebt.«

Das war’s. Irgendein Engel oder Teufel, dem gerade langweilig war, hatte anscheinend beschlossen, ihr den diesjäh­rigen Urlaub gründlich zu vermiesen. Vroni war dick, ein Schnattermäulchen, das manchmal total nervig war, und lebte »indoor« überwiegend in angesagten, aber in ihrem Fall unvorteilhaften T-Shirts und Leggings, die sie wahrscheinlich bei H & M in der Abteilung für junge Mode kaufte – und nicht, weil sie sich nichts anderes hätte leisten können. Die geborene Erbin schwamm im Geld und hatte nichts weiter zu tun, als ihr Erbe zu verwalten. Allgemeinbildung? Mau! Dafür fit in Societyfragen und am Herd. Wozu doch fünf Kochkurse an der VHS manchmal gut waren. Das musste es sein! Reich, dumm wie Brot und haushaltstauglich. Die ideale Kombination. Warum sonst bissen bei ihr die Männer an? Lisa schämte sich sogleich für die aus purer Missgunst geborenen Gedanken, denn mit Vroni konnte man herzhaft lachen und jede Menge Bäume ausreißen. Was wäre ein Urlaub in Marbella ohne das Plappermäulchen mit bunten Leggings?

»Du sagst ja gar nichts …«, fragte Vroni eine Spur beunruhigt nach.

»Ich freu mich für dich«, rang sich Lisa ab und überlegte, seit wann sie lügen konnte, ohne dabei rot zu werden.

»Du wirst es nicht glauben. Er ist so süß und seit zwei Jahren Witwer … Er hat fünf Mietshäuser allein in Marbella, vermutlich ein Multimillionär … Ich hab ihn am Strand kennengelernt. Einfach so, beim Eisessen. Das ist doch total irre, oder?«

Allerdings. Lisa wusste gar nicht, welchem Gefühl sie zuerst nachgehen sollte, der Übelkeit oder dem aufsteigenden Schwindel. Nun fingen auch noch ihre Schläfen an zu pochen. Wahrscheinlich erste Anzeichen einer Migräne. Es erübrigte sich jetzt, den Koffer auszupacken. Ertränken konnte man sich auch in getragener Unterwäsche.

»Lisa?«

»Ich bin nur müde«, log sie erneut.

»Verstehe … Tut mir leid, ich hätte dich nicht so überfallen sollen …«

»Schon gut.«

»Dann bis morgen. Ruf mich an – und grüß Reiner von mir, unbekannterweise.«

Mehr als einen affirmativen Brummlaut, Lüge Nummer drei, brachte Lisa nicht mehr heraus. Was könnte schöner sein als ein Urlaub in Marbella als fünftes Rad am Wagen, mit zwei frisch Verliebten und dem Vorzeigeehepaar Claudia und Alex, die über ein eingebautes Turtelgen verfügten und Tag und Nacht wie Bonobos aneinanderklebten?! Lisa legte das Handy zur Seite und tröstete sich mit der Gewissheit, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte. Toller Urlaub!

Kapitel 2

Rafael fragte sich auf seiner frühmorgendlichen Tour durch die »Goldene Meile« Marbellas, ob es überhaupt möglich war, noch tiefer zu sinken, als seinen Lebensrhythmus den Dienstzeiten munizipaler Einrichtungen anzupassen, um zu überleben. Die Antwort, die er sich gab, war beruhigend: Jemand, der schon am Boden war, hatte bereits den Grund erreicht.

»¡Lárgate!«, zischte jemand aus dem Garten eines An­we­sens, dessen Mülltonne Rafael gerade nach etwas Essbarem durchsuchte. Die Aufforderung, sich »zu verziehen«, gehörte zum morgendlichen Programm eines »Sin Techo«, eines Obdachlosen. Daran hatte sich Ra­fael bereits gewöhnt. An die feindseligen Blicke der »Reichen und Schönen«, die im Leben alles richtig gemacht hatten, konnte er sich wohl nie ­gewöhnen. Was war so schlimm daran, in einer Mülltonne nach etwas Verwertbarem zu suchen? Die Reichen warfen viel weg. Sie ernährten sich gesund. Gesunder Abfall war besser, als am Strand umherzustreunen, entlang der Fast-Food-Ketten, die ungesunden Abfall produzierten. Außerdem wanderte gerade in den schicken Vierteln einiges in den Müll, das er gut gebrauchen konnte, wie zum Beispiel Batterien, Kleidung, Schuhe oder Decken. Alles gratis, jedenfalls fast. Der Preis dafür waren gelegentliche Demütigungen oder Aggressionen. Wie gut hatte es dagegen Roberta, seine Katze, die in ihrem früheren Leben wohl ein Hund gewesen sein musste, so treu und anhänglich, wie sie ihm auf Schritt und Tritt folgte. Sie wurde geduldet. Gelegentlich stand ­sogar eine Schüssel Milch für sie parat, vermutlich, weil Roberta schön war und nicht wie ein Streuner daherkam. Ihre gelben Augen leuchteten im Licht der Morgensonne. Ihr Fell war seidig. Sie sah gepflegt aus, seine kleine Tigerkatze. Im Gegensatz zu ihr war aus ihm ein Straßenköter mit zottigem Fell, schulterlangem und von der Sonne ausgeblichenem Haar, geworden. Sicher, ein Billigshampoo könnte er sich gelegentlich leisten, sofern er einige Münzen am Strand fand oder ihm ein Tierfreund in der Fußgängerzone der Altstadt ein bisschen Kleingeld zuwarf, wenn Roberta mit Bettelblick auf seinem Schoß saß. Aber was nützte einem das Shampoo, wenn man sich an den öffentlichen Stränden ­damit nicht die Haare waschen durfte? Ausgerechnet jetzt fiel ihm beim Durchkämmen des Abfalls ein ausgemusterter Duschkopf in die Hände. Rafael blickte unwillkürlich gen Himmel und bedankte sich für die ihm fort­während begegnende göttliche Ironie. Ein paar Schichten aus Abfalltüten und sperrigem Verpackungsmaterial weiter meinte der Container es aber doch noch gut mit ihnen. Eine gerade abge­laufene Fischkonserve lugte heraus. Wenigs­tens war nun Roberta gut versorgt. Rafael erinnerte sich daran, dass, dem Abfall nach zu urteilen, in diesem Haushalt häufig Gerichte von einem Asia-Lieferservice bestellt, aber nie aufgegessen wurden. Hoffentlich hatten die Anwohner ihre Gewohnheiten nicht geändert. Mittlerweile mit dem Oberkörper ganz im Container abgetaucht, klang das Rascheln unter Styroporverpackungen verdächtig nach der Papiertüte des Lieferservice, deren Inhalt sich als Festmahl entpuppte. Ra­fael hatte nun die Wahl zwischen vegetarischem Thaicurry und Hähnchen mit süßsaurer Soße. Am besten nahm er beides. Zeit für grundlegende Menü-Überlegungen blieb sowieso nicht. Das Geräusch einer ächzenden Hydraulik und eines laufenden Motors deutete darauf hin, dass die Müllabfuhr nicht mehr weit war.

»Einfach widerlich«, vernahm Rafael von der anderen Seite des Lattenzauns und blickte in Richtung einer blondierten Deutschen, die damit beschäftigt war, Heckenrosen zu schneiden. Rafael erinnerte sich daran, dass er noch vor einem Jahr versucht hatte, sich ihr gegenüber zu rechtfertigen.

»Ich hab seit Tagen nichts mehr gegessen«, hatte er ihr bei ihrer ersten Begegnung gesagt.

»Ihren eisernen Willen möchte ich haben«, hatte sie daraufhin entgegnet.

Wie »lustig« war das denn! Wer weiß, am Ende färbte billiger Seifenoper-Humor ja irgendwann ab, wenn man so oft wie die Heckenrosen-Blondine vormittags vor der Glotze hockte – ihr Heimkino auf einem großen Flachbildschirm war auch noch auf der Straße zu sehen und vor allem zu hören. Ernst konnte sie das ja wohl kaum gemeint haben, aber auf eine Demütigung mehr oder weniger kam es auch schon nicht mehr an.

»Der ist doch noch ganz jung, aber wahrscheinlich hat er keine Lust zu arbeiten«, sagte nun ihr Mann, den seine Frau dazu verdonnert hatte, die abgeschnittenen Rosenstiele aufzuklauben und in einen Müllsack zu stopfen.

Arbeiten in Spanien? Ein Witz! Das Land lag am Boden. Wer würde schon einen Mann Ende fünfzig einstellen? War­­um überhaupt noch arbeiten? Für einen korrupten Staat, der sich an »Europa« verhoben hatte? Wut stieg in ihm auf. Wahrscheinlich wusste der Rosenzüchter noch nicht einmal, was Arbeit war. Ein Mittdreißiger konnte dieses Anwesen nur geerbt haben. Rafael wusste um die Gesetze des Kapitalmarkts. Es kam nur noch darauf an, andere Menschen abzuzocken. Sein alter Job in der Bank kam ihm in den Sinn! Schnell einen Fonds auflegen und gierige Kundschaft mit attraktiven Anlagemöglichkeiten locken. Leute wie diese Rosenpflücker bissen sicher an. Es ging im Leben nur noch um Geld. Die Gier danach war wie ein Virus, gegen den kaum jemand gefeit war. Diese Gier hatte sein Leben zerstört. Und seine Ehe. Diese Gier hatte ihm seine Tochter genommen. Diese Gier war dafür verantwortlich, dass er jetzt nach Essensresten in Mülltonnen wühlte. Sie war das Übel der Welt, das im Kern für alle Probleme, über die Menschen klagten, verantwortlich war. Nur traute sich niemand, sie beim Namen zu nennen, weil sie in jedem schlummerte und bei vielen Leuten jedwedes Handeln bestimmte. Sie hatte ihn zu einem Streuner gemacht, der mit einer Katze liiert war. Rafael verachtete diese Menschen; doch gerade weil er sie bis in die letzte Körperzelle verstand und den Rafael erkannte, der auch er noch bis vor zehn Jahren gewesen war, verachtete er sich selbst umso mehr.

Schien die Sonne immer noch, oder war sie tatsächlich auf der Couch eingeschlafen? Dem Schattenwurf des Tischs nach zu urteilen, musste sich die Erde bereits um die halbe Achse gedreht haben. Erst jetzt stellte Lisa fest, dass sie sich über Nacht selbst mumifiziert hatte. Das weiße Laken, mit dem die Couch normalerweise abgedeckt war, hatte sich beim Einmummeln während der Nacht wie eine Zwangsjacke um sie herumgewickelt. Kaum waren die Arme frei, rum­pelte es an der Tür. Sicher Luke. Yolanda wusste, dass sie im Urlaub gerne ausschlief, und ließ sich morgens nie im Haus blicken. Zum Knarren der Tür gesellten sich nun auch noch Stimmen – fremde Stimmen.