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Inhaltsverzeichnis
 
 
 

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DER AUTOR
Rainer M. Schröder, 1951 in Rostock geboren, ist einer der profiliertesten deutschsprachigen Jugendbuchautoren. Er hat zahlreiche Jugendbücher, Romane, Sachbücher sowie Hörspiele und Reiseberichte veröffentlicht. Nachdem er viele Jahre ein wahres Nomadenleben mit zahlreichen Abenteuerreisen in alle Erdteile führte, lebt er heute mit seiner Frau in einem kleinen Ort an der Atlantikküste Floridas.
 
 
Von Rainer M. Schröder ist bei OMNIBUS erschienen:
 
Die Falken-Saga (vier Bände, 20212, 20230, 20176, 20187)
Abby Lynn (zwei Bände, 20080, 20346)
Sir Francis Drake (20126)
Dschingis Khan (20050)
Das Geheimnis der weißen Mönche (20428)
Goldrausch in Kalifornien (20103)
Die Irrfahrten des David Cooper (20061)
Entdecker, Forscher, Abenteurer (20619)
Kommissar Klicker (zehn Bände, 20665, 20666, 20667, 20668, 20669, 20670, 20677, 20678, 20679, 20680)
Privatdetektiv Mike McCoy – Die Mafia lässt grüßen/Heißes Eis (21014)
Privatdetektiv Mike McCoy – Die Millionen-Sinfonie/
Freikarte ins Jenseits (210215)
Die letzte Fahrt des Captain Kidd (21038)
 
Bei C. Bertelsmann ist erschienen:
Abby Lynn – Verraten und verfolgt (12479)

Privatdetektiv Mike McCoy
Wüstenschnee
Sein fünfter Fall
003
004

Im Fadenkreuz
Mit röhrendem Motor jagte der Wüstenbuggy über das unebene Gelände, acht Meilen südlich vom Red Rock Canyon. Die breiten Reifen schleuderten rot-braunen Sand und Steine in die Luft. Wie Irrlichter tanzten die Scheinwerfer über dürres Gras, dornige Büsche und mächtige Kakteen, die wie erstarrte Klauen vorsintflutlicher Tiere in den Nachthimmel von Nevada ragten.
Frank Duran stemmte sich mit beiden Beinen gegen das Bodenblech und hielt sich am vorderen Überrollbügel des Buggys fest, um nicht aus dem offenen Geländewagen geschleudert zu werden. Querrillen und steinige Huckel schickten harte Stöße durch den Buggy, der manchmal mit zwei Rädern gefährlich hoch in der Luft hing.
»Verdammt noch mal, Hank!«, brüllte Frank Duran gegen das Dröhnen des Motors an. »Nimm gefälligst deinen Bleifuß vom Gaspedal, Mann! Du fährst die Karre noch zu Schrott!«
Hank Slight, der sehnige Fahrer, dachte nicht daran, mit der Geschwindigkeit herunterzugehen. Er lachte nur spöttisch und wich einem mannshohen Felsbrocken aus, indem er den Buggy scharf nach rechts riss. Dabei nahm er den Fuß auch nicht einen Millimeter vom Gaspedal.
Die grobstolligen Hinterreifen gerieten in ein weiches Sandbett und warfen eine meterhohe Dreckfontäne auf, als der Buggy mit dem Heck auszubrechen drohte. Er rutschte seitlich auf den Felsen zu, kam dann wieder auf harten, steinigen Boden und schoss fast im rechten Winkel zur vorherigen Fahrtrichtung davon.
Die Zweige eines Dornbusches kratzten an der Beifahrerseite über den sandbraunen Lack und peitschten gegen das Rohr des Überrollbügels. Geistesgegenwärtig hatte Frank Duran den Kopf eingezogen. Doch auf seiner Hand, die den Bügel krampfhaft umklammerte, ließen die Dornen blutige Kratzer zurück.
Frank Duran wurde wütend. »Willst du, dass wir uns das Genick brechen?«, schrie er.
Hank Slight grinste, gab ihm diesmal jedoch eine Antwort. »Sind gleich da, Frankie-Boy!«
Duran hielt plötzlich seinen 45er-Revolver in der Hand. »Runter vom Gas, wenn du nicht willst, dass ich dir’n Schaufenster in den Bauch blase!«
Diese Sprache verstand Hank Slight. Er war achtundzwanzig Jahre und über die Hälfte davon hatte er in staatlichen Anstalten verbracht. In Erziehungsheimen und Gefängnissen hatte er auf die harte Tour gelernt, wann es ratsam war, einen Rückzieher zu machen. Wie jetzt zum Beispiel. Frank Duran, vier Jahre älter als er, war kalt wie ein Fisch. Ihm war zuzutrauen, dass er den Abzug wirklich betätigte.
»Okay, okay!«, rief Hank beschwichtigend und ging augenblicklich vom Gas. »Ganz wie du willst, Frankie-Boy! Steck den Witwenmacher wieder ins Leder zurück – kein Grund, es gleich persönlich zu nehmen.«
Frank Duran ließ die Waffe in seinem linken Achselholster verschwinden. Auf seinem dunkelhäutigen Gesicht, das seine lateinamerikanische Herkunft verriet, stand noch immer Wut geschrieben.
»Wir sind nicht hier, um mit dem Buggy’nen Härtetest zu machen... und schon gar nicht zu unserem Vergnügen«, zischte er. »Wir haben einen Job zu erledigen. Und ich nehme es verdammt persönlich, wenn mir fünfundzwanzig Riesen durch die Lappen gehen, nur weil du die Kiste zu Schrott gefahren hast. Habe ich mich klar ausgedrückt, Hankie-Boy?« Kalt und drohend starrte er ihn an.
»Bin nicht auf die Rübe gefallen«, knurrte Hank Slight gereizt. Er gab wieder Gas, achtete jetzt jedoch darauf, dem Wagen und vor allem seinem Beifahrer nicht zu viel zuzumuten. Fast behutsam lenkte er den Wüstenbuggy einen steilen, steinigen Hang hoch und folgte dann einem Arroyo, einem ausgetrockneten Flussbett. Einige Wagenlängen unterhalb der Kuppe des Bergzuges brachte er den Wagen im Schutz eines Gebüschs zum Stehen.
»Endstation«, verkündete Hank Slight lakonisch und schaltete die Scheinwerfer aus. Der Motor erstarb Augenblicke darauf. Eine fremdartige Stille umgab sie plötzlich.
Frank Duran zog sich am Überrollbügel hoch und sprang aus dem Buggy. Er zerrte den schmalen, länglichen Handkoffer unter dem Rücksitz hervor und kletterte bis zum Kamm der felsigen Erhebung. Im tiefschwarzen Schatten einer spitz aufragenden Felsnadel blieb er stehen, setzte den Koffer ab und schaute sich um.
Zu seiner Linken im Nordwesten erstreckten sich die zerklüfteten Felsformationen des Red Rock Canyon, die sich zu dieser nächtlichen Stunde nur als pechschwarze Silhouetten am Horizont abhoben. Gut zwanzig Meilen weiter nördlich lag Las Vegas, das Spielerparadies inmitten der Wüste von Nevada.
 
Rechts von ihm, also nach Osten hin, ging das karge, felsige Gelände in mehr sanft gewelltes Land über. Irgendwo dort, jenseits der niedrigen Hügelketten, zog sich die Interstate 15 entlang, die von Salt Lake City, Utah, kommend, Nevada durchschnitt und nach Los Angeles in Kalifornien führte.
Frank Duran richtete seinen Blick nun auf den langen Wohnwagen, der am Fuße des hier steil abfallenden Hanges stand. Er war auf Zementblöcken aufgebockt und es führte eine Stromleitung zu dieser primitiven Dauerresidenz. Es war dunkel hinter den verhängten Fenstern. Weit und breit waren kein Wagen und kein menschliches Wesen zu sehen. Wie ausgestorben lag das Land da.
»Gib mir den Sensor!«, verlangte Frank Duran knapp. Er brauchte sich nicht umzudrehen; er wusste auch so, dass Hank hinter ihm stand. Zigarettenrauch trieb an ihm vorbei.
Hank Slight reichte ihm einen kleinen Kasten mit schwarzem Plastikgehäuse. Es hatte das Format eines etwas dickeren Taschenbuches; zwei Kippschalter waren daran angebracht.
Frank Duran betätigte den ersten Schalter und eine schwache Lampe leuchtete über der Tür des Wohnwagens auf. Dann legte er den zweiten Schalter um. Zwei lichtstarke Halogenscheinwerfer, die in großem Abstand auf dem Dach montiert waren, flammten auf und tauchten den Vorplatz in gleißende Helle.
»Erstklassige Bühnenbeleuchtung, was?«, meinte Hank begeistert. »Verdammt schade, dass wir unsere Show ohne Publikum abziehen müssen.«
»Red keinen Stuss!«, antwortete Frank und schaltete die Strahler sofort wieder aus. Er gab ihm den Sensor zurück, kniete sich hin und klappte den länglichen Handkoffer auf. Mit routinierten Handgriffen setzte er das Präzisionsgewehr zusammen, das, in Einzelteile zerlegt, in passenden Schaumstoffaushöhlungen lag. Zum Schluss schraubte er das lichtstarke Zielfernrohr auf den Lauf des Gewehres und stellte die Entfernung ein. Etwa dreihundert Meter. Dann setzte er das Gewehr an die Schulter und visierte die Lampe über der Wohnwagentür an. Sie kam scharf ins Zielkreuz.
Er lächelte zufrieden, setzte das Gewehr wieder ab und drückte zwei Patronen in die Kammer. Doch er würde nur eine Kugel brauchen. Bisher hatte er noch nie zwei Kugeln auf ein Ziel verschwendet. Nicht mit dem fernrohrversehenen Präzisionsgewehr.
Sie warteten schweigend.
»Mach die Zigarette aus!«, befahl Frank Duran plötzlich. »Es ist so weit!«
Im nächsten Moment hörte auch Hank Slight das Motorengeräusch eines näher kommenden Wagens. Er ließ die Zigarette fallen, trat sie mit dem Absatz aus und griff zum Nachtglas.
Ein Scheinwerferpaar tauchte auf der holprigen Sandpiste auf, die von der nächsten Asphaltstraße zum Wohnwagen führte.
»Halt dich mit dem Sensor bereit«, sagte Frank ruhig.
»Keine Sorge«, brummte Hank. »Ich werd die Bühne schon im richtigen Moment ausleuchten.«
Der Wagen kam schnell näher. Es war ein silbergrauer Mercedes in Sportausführung. Er wurde nun langsamer und rollte auf den Vorplatz des Wohnwagens; es sah so aus, als zögerte der Fahrer. Bremslichter leuchteten glutrot in der Dunkelheit auf, als der Luxuswagen ein wenig quer zur Wohnwagentür zum Stehen kam.
Frank Duran presste den Kolben an seine Schulter. Mit dem Daumen entsicherte er das Gewehr, während sich sein Zeigefinger um den Abzug legte und ihn bis kurz vor den Druckpunkt durchzog. Das Fadenkreuz wanderte über die Windschutzscheibe. Im schwachen Licht der Außenleuchte sah er eine schmale Hand, die auf dem Hebel der Gangautomatik ruhte. Das Fadenkreuz glitt ein wenig nach rechts und dann nach oben.
»Na komm schon, steig aus!«, murmelte Hank ungeduldig, den Sensor in der Hand.
Die Fahrertür bewegte sich nicht.
»Was jetzt?«, wollte Hank wissen.
»Gib Saft!«, befahl Frank.
Hank legte beide Kippschalter gleichzeitig um.
Grell leuchteten die Strahler auf.
Frank sah im Zielfernrohr ein erschrockenes Gesicht – und er drückte ab. Scharf wie ein Peitschenknall hallte der Schuss über das Land.
Das Gewehr ruckte kurz in der Hand des Killers und sein Opfer verschwand aus dem Sichtbereich des Zielfernrohres.
Und dann geschah es. Der Mercedesmotor heulte hochtourig auf und machte plötzlich, wie vom Katapult geschossen, einen Satz nach vorn. Mit Vollgas raste der Sportwagen davon. Querfeldein.
Für eine Sekunde war Frank Duran wie gelähmt. Ungläubig starrte er hinunter. »Ich hab getroffen!... Ich weiß, dass ich getroffen habe!«, stieß er hervor, als glaubte er, den Wagen damit zum Stehen bringen zu können.
»Aber nicht ins Schwarze, verdammt noch mal!«, schrie Hank wütend. Doch schon im nächsten Moment mischte sich grimmige Schadenfreude in seine Wut. »Du mit deiner saublöden Angeberei! Von wegen Präzisionsschütze! Worauf wartest du, Mann... Benutz gefälligst deine Scheißknarre!«
Frank Duran stieß einen Fluch aus und versuchte, den Mercedes ins Fadenkreuz zu bekommen. Doch der Sportwagen raste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dahin und zog eine gewaltige Staubwolke hinter sich her, die ein genaues Zielen unmöglich machte. Einzige Zielhilfe waren die roten Rückleuchten, die hinter dem Staubvorhang jedoch genauso verschwommen waren wie Positionslichter im Nebel.
Als Frank Duran die zweite Kugel aus dem Gewehrlauf jagte, wusste er, dass er nur auf einen Glückstreffer hoffen konnte. Die Sicht für einen genauen Schuss war mittlerweile zu schlecht und der Mercedes hatte sich schon zu weit entfernt.
Hank Slight hatte indessen seinen Revolver herausgerissen und feuerte alle sechs Kugeln aus der Trommel. Doch der Mercedes raste unbeirrt weiter. Er schoss einen Hügel hoch und war im nächsten Moment aus ihrem Blickfeld verschwunden.
»Wir müssen hinterher!«, fluchte Frank, riss den Gewehrkoffer an sich und rannte zum Buggy.
Hank Slight folgte ihm auf den Fersen, schwang sich auf den Fahrersitz und betätigte die Zündung. »Was für eine elende Pleite, Frankie-Boy! Wenn der Mercedes die nächste Straße ohne Achsenbruch erreicht, sehen wir von ihm noch nicht einmal mehr seine Rückleuchten. Und dann schwimmen unsere fünfundzwanzig Riesen den Bach hinunter!«
»Halt die Schnauze und fahr!«, brüllte Frank ihn unbeherrscht an.
»Zu Befehl, Scharfschütze!«, höhne Hank Slight und trat das Gaspedal durch. Rücksichtslos preschte er den Berghang hinunter. Und er schwor sich, dafür zu sorgen, dass Frankie-Boy diese Tour sein Lebtag nicht vergessen würde.

Der Trip nach Las Vegas
Ärgerlich schlug Privatdetektiv Mike McCoy mit der flachen Hand auf die Straßenkarte von Nevada, die er im Licht der Schminkleuchte über dem Beifahrersitz studiert hatte. »Tut mir Leid, Lucky, aber deine grandiose Abkürzung müssen die Experten, die diese Karte angefertigt haben, glatt übersehen haben!«
»Ich sag’s ja immer«, gab sich Lucky Manzoni betrübt und schüttelte den Kopf. »Wo sind die guten alten Zeiten geblieben, als man noch einen Hamburger für dreißig Cent bekam? Heutzutage kann man sich noch nicht einmal auf die offiziellen Straßenkarten verlassen.«
»Himmel, warum willst du nicht zugeben, dass du dich schlicht und einfach verfahren hast?«
Lucky blickte stur geradeaus. »Davon kann gar keine Rede sein!«, entgegnete er starrköpfig. »Woher willst du schon wissen, auf welcher Straße wir uns befinden? Du hast ja geschlafen wie eine tote Ratte, und zwar über eine Stunde!«
»Danke für den reizenden Vergleich, mein lieber Lucky!«, knurrte der Privatdetektiv. »Aber darf ich deine werte Aufmerksamkeit mal auf die Uhrzeit lenken? Wir haben jetzt zehn Minuten vor zwei Uhr nachts!«
»Wem sagst du das...?«
»Und darf ich dich daran erinnern, dass das gerade die einzige Stunde war, die ich geschlafen habe, seit wir von San Francisco losgefahren sind?«
Lucky Manzoni zuckte mit den Achseln. »Ich fühl mich topfit.«
»Kein Wunder«, antwortete Mike McCoy mit beißendem Spott. »Das Einzige, was ich von dir auf den ersten vierhundert Meilen gehört habe, war Schnarchen.«
»Diese Bemerkung kann ich absolut nicht komisch finden«, erwiderte Lucky steif.
»Das überrascht mich nicht.«
Sie schwiegen eine Weile. Die schmale asphaltierte Straße, auf die Lucky sich verirrt hatte, war wie ausgestorben. Nirgends ein Licht oder ein Schild, das die nächste Ortschaft anzeigte. Und zu beiden Seiten der Straße nichts als hügeliges, vegetationsarmes Gelände, das in der Schwärze der Nacht einer Mondlandschaft glich. Die schäbige Asphaltpiste schien von nirgendwo zu kommen und nach nirgendwo zu führen.
»Wie weit kommen wir noch mit dem Benzin?«, fragte McCoy.
»Fast bis New York!«, tönte Lucky großspurig.
Mike McCoy beugte sich hinüber. »Klar, fast bis New York!« Der Tankzeiger stand kurz vor »Reserve«! »Weißt du, was passiert, wenn wir hier hängen bleiben, mein Lieber?«
»Deine Schwarzmalerei...«
McCoy fiel ihm ins Wort. »Du wirst die Kiste schieben und ich werde hinter dem Steuer sitzen, Lucky. Genau das wird passieren!«
»Dein mangelndes Vertrauen trifft mich sehr«, sagte Lucky gekränkt. »Aber ich halte das deiner geringen psychischen Belastbarkeit zugute. Du solltest dir wirklich mehr Schlaf gönnen. Eiergerichte und Parmesankäse sind übrigens gute Nervennahrung... Altes sizilianisches Familienrezept.«
Mike McCoy kannte seinen Freund schon zu lange, um viel auf solche Bemerkungen zu geben. Wenn Lucky sich in die Verteidigung gedrängt fühlte, spielte er gern den Gekränkten und wechselte geschickt das Thema.
»Du solltest dir eigentlich einen besseren Spitznamen zulegen«, konterte der Privatdetektiv mit gutmütigem Spott. »Trouble-Manzoni wäre treffender als Lucky Manzoni.«
»Ich bin der netteste Mensch, den ich je kennen gelernt habe«, erwiderte Lucky unbeeindruckt.
»Ja, das ist wohl das Kreuz mit dir«, seufzte Mike McCoy.
Lucky, mit bürgerlichem Namen Luciano Manzoni, war wirklich unverbesserlich. Im italienischen Viertel von San Francisco, Little Italy genannt, betrieb er eine Autowerkstatt. Schon der Name, den er seinem inzwischen gut florierenden Betrieb gegeben hatte, war für ihn bezeichnend: Lucky Manzoni’s Happy Garage. Übersprudelnde Lebensfreude, ein manchmal an Tollkühnheit grenzender Optimismus sowie ein Hang zur Großspurigkeit prägten sein Wesen. Lucky, ein Mann von stämmiger, untersetzter Gestalt, war – genauso wie McCoy – Anfang dreißig. Sein dunkles, krauses Haar war mit Kamm und Bürste kaum zu bändigen. Seine lebhaften Augen unter den buschigen Brauen sprühten meist vor Tatendrang.
Als Freund war er verlässlich – sofern er die Hände vom Glücksspiel ließ. Aber gerade das war seine große Schwäche. Lucky hielt sich für einen begnadeten Spieler, überragend in allen Sparten des Glücksspiels, sei es nun im eleganten Spielkasino, auf der Rennbahn oder in einem verräucherten Hinterzimmer, wo sich berufsmäßige Zocker und Kartenhaie gegenseitig auszunehmen versuchten. All diesen Situationen fühlte sich Lucky mehr als gewachsen. Doch meist trog ihn sein Gefühl, denn ständig geriet er in Schwierigkeiten, die nicht weniger gefährlich waren als die illegalen Pokerrunden, an denen er sich so gern beteiligte. Seinem Spitznamen »Lucky« wurde er eigentlich nur dann gerecht, wenn es darum ging, seinen Hals zu retten. Aber in den meisten Fällen gelang ihm auch das nur mithilfe seines Freundes, des Privatdetektivs.
Die beiden waren beinahe so verschieden wie Tag und Nacht, auch was das Aussehen betraf. Mike McCoy war von sportlicher, hoch gewachsener Gestalt. Er hatte blondes Haar und blaue, wachsame Augen, denen so leicht nichts entging. Ein spöttischer Zug um den Mund gehörte oftmals genauso zu seiner Erscheinung wie abgelaufene Tennisschuhe und eine sehr legere Kleidung.
»Dieser Trip nach Las Vegas war mal wieder eine echte Lucky-Schnapsidee«, brummte McCoy. »Wenn ich daran denke, dass ich jetzt in meinem Bett liegen könnte...«
»Schnapsidee ist wohl kaum das richtige Wort für meine großzügige Einladung, auf meine Kosten ein paar Tage die Kasinoluft von Las Vegas zu schnuppern!«, protestierte sein Freund.
»Wie bitte? Von Einladung kann ja wohl nicht die Rede sein! Deine Frau hat mich engagiert, dir in Vegas auf Schritt und Tritt zu folgen, mein Lieber! Ich bin also rein beruflich hier«, stellte Mike McCoy klar. »Angela kennt dich und deine Spielleidenschaft – und aus diesem Grund hat sie mich beauftragt, ein Auge auf dich zu haben. Und genau das beabsichtige ich auch zu tun.«
»Lächerlich, was du da von dir gibst. Noch bin ich der Herr im Haus. Ich wäre auch so gefahren!«
»Das glaube ich nicht.« McCoys Stimme war ganz sanft. Sie beide wussten, dass Angela ihn nicht hätte fahren lassen, wenn McCoy sich nicht bereit erklärt hätte, ihn zu begleiten. Und sosehr Lucky es auch bestritt, ohne die Zustimmung seiner Frau wäre er in San Francisco geblieben.
»Freie Unterkunft in einem der Tophotels von Vegas und freies Essen – das kostet eine Stange Geld. Und aus welcher Tasche kommen die Kröten, die dir diese vier sorglosen Tage in Vegas ermöglichen? Aus meiner Tasche! Ein bisschen Dankbarkeit wäre da schon angebracht!«
»Du hast die beiden Mitternachtsshows vergessen«, erinnerte McCoy ihn schmunzelnd. »Das ist fester Bestandteil unserer Abmachung. Und auch, dass du mitkommst!«
»Das sind zweimal drei verlorene Stunden! In der Zeit könnte ich am Bakkarattisch schon den Geldtresor des Kasinos ausgeräumt haben!«
»Oder aber Haus und Werkstatt verspielt haben«, erwiderte Mike McCoy. »Nein, kommt nicht infrage. Du kommst mit oder aber du kannst den Vegas-Rummel gleich vergessen.«
»Du willst mein Freund sein? Eine Schande ist das! Ich nehme dich unter meine Fittiche und gebe dir die einmalige Chance, an meiner Seite ein Vermögen am Spieltisch zu machen – und was tust du? Du mäkelst an mir herum. Andere würden ihre rechte Hand dafür geben, um bei mir in die Lehre gehen zu dürfen...«
»Danke, habe nicht vor, Meister im Pleitegehen zu werden«, gab der Privatdetektiv trocken zurück. »Und ich könnte mir was Besseres vorstellen, als mit dir von Kasino zu Kasino zu ziehen.«
»So? Was denn? Vielleicht auf den nächsten kleinen Ganoven warten, der dir das Honorar am Schluss schuldig bleibt? Du hast eine glückliche Hand, solch miese Fälle an Land zu ziehen. Aber das ist ja auch kein Wunder. Ein einigermaßen zahlungskräftiger Kunde wird sich hüten, seinen Fuß auf deinen lausigen, verrotteten Kahn zu setzen!«
Mike McCoy zog die Augenbrauen hoch. »Gehe ich recht in der Annahme, dass du von der Titanic sprichst?«
»Ha, Titanic! Was für ein Name für deinen Rostdampfer! Hättest ihn besser Submarine genannt, Mike! Eines Tages sackt dir der Kahn nämlich gerade dann weg, wenn du friedlich schläfst. An deiner Stelle würde ich im Taucheranzug zu Bett gehen!«
»Ich werde mir deinen gut gemeinten Rat durch den Kopf gehen lassen«, sagte Mike McCoy kühl.
Ganz so Unrecht hatte Lucky gar nicht. Der Privatdetektiv wohnte in Sausalito, auf der Nordseite der San Francisco Bay, auf einem schon recht altersschwachen Hausboot in der dortigen Hausbootkolonie. Diese schwimmende Siedlung stand nicht gerade in bestem Ruf. Eigenwillige Individualisten, Künstler, solche, die sich dafür hielten, sowie ein paar lichtscheue Burschen bewohnten dort Hausboote, die zum Teil reichlich skurril aussahen. Hunderte von Wohnbooten, ausrangierte Kähne und selbst gezimmerte Unterkünfte auf Pontons drängten sich in dieser kleinen Bucht.
Mike McCoy war im Zuge der Hippie- und Blumenkinderbewegung Ende der Sechzigerjahre nach San Francisco gekommen und in Sausalito hängen geblieben. Er hatte das Hausboot billig von einem ehemaligen Freund erstanden, der mittlerweile Juniorchef einer großen Versicherungsfirma geworden war. Und um stets daran erinnert zu werden, dass seine schwimmende Wohnung alles andere als unsinkbar war, hatte er dem Boot den Namen Titanic gegeben. Es hatte sich bis jetzt tapfer und allen Unkenrufen zum Trotz über Wasser gehalten. Die Frage war nur: Wie lange würden die Nieten den Rost noch zusammenhalten?
Besser nicht dran denken!, sagte sich Mike McCoy.
»Wir bekommen Gesellschaft!«, rief Lucky plötzlich, und Erleichterung sprach aus seiner Stimme. »Die Straße belebt sich. Ich wusste doch, dass wir hier richtig sind!«
Der Privatdetektiv drehte sich um. Ein Scheinwerferpaar war weit hinter ihnen aufgetaucht. Die Lichter kamen schnell näher …

Nächtliches Gewehrgewitter
»Da hat es einer aber verdammt eilig«, meinte Mike McCoy. »Ich glaube kaum, dass der anhält, um uns zu sagen, in welcher gottverlassenen Ecke von Nevada wir herumgurken.«
Lucky starrte in den Rückspiegel und runzelte die Stirn. »Merkwürdig...«
»Was?«
»Der Wagen hinter uns, er ist überhaupt nicht auf unserer Straße. Es muss noch eine zweite geben, die genau parallel zu dieser verläuft.«
Der Privatdetektiv wandte sich wieder um und fand Luckys Beobachtung bestätigt. Das Lichterpaar raste parallel zur asphaltierten Straße dahin. Die Lichtkegel tanzten dabei wild auf und ab. Angestrengt blickte McCoy nun nach rechts und suchte nach einer Schotterstraße oder einer Sandpiste. Doch da war nichts als unebenes, steiniges Gelände mit vereinzelten Sträuchern, Kakteen und Felsen.
»Du wirst mich für verrückt halten, aber ich habe das merkwürdige Gefühl, dass dieser Wagen hinter uns querfeldein fährt«, sagte Mike McCoy.
»Heiliger Moses! Das kann nicht dein Ernst sein!«
»Sieh selbst!«
Lucky ging vom Gas und drehte sich um. Der Wagen war inzwischen so nah hinter ihnen, dass sie die Umrisse der silbergrauen Karosserie erkennen konnten.
»Gott, ist der Kerl lebensmüde?«, stieß Lucky ungläubig hervor, als er sah, wie der Sportwagen rücksichtslos durch eine niedrige Buschgruppe raste und einen kleinen Kaktus mit dem rechten Kotflügel abrasierte.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte der Privatdetektiv und öffnete das Handschuhfach. Dort hatte er seinen Revolver deponiert. Bei Nachtfahrten in dünn besiedelten Gebieten war es ganz angebracht, eine »Kugelspritze« griffbereit im Wagen zu haben.
Er hatte gerade die Waffe aus dem Fach genommen, als Lucky laut aufschrie. McCoy fuhr herum, und im selben Augenblick blendeten ihn die grellen Scheinwerfer des fremden Wagens, der nun auf sie zugerast kam. Er riss den Arm schützend vors Gesicht.
»Bremsen!«, rief Mike McCoy.
Lucky trat voll auf das Pedal. Die Reifen radierten laut kreischend über den Straßenbelag. Lucky und McCoy wurden nach vorn in die Gurte gepresst.
Der silbergraue Mercedes schoss an ihnen vorbei; offensichtlich versuchte der Fahrer, auf die Straße zu gelangen. Doch wenige Yards davor geriet er mit dem rechten Vorderrad in eine Bodenrinne.
Entsetzt sahen Lucky und McCoy, wie der Wagen herumgerissen wurde, aus der Spur brach und mit dem Heck rechts am Straßenrand vorbeischlitterte, wobei er eine gewaltige Staubwolke aufwirbelte. Dann raste der Wagen weiter, rammte Sekunden später mit der Beifahrerseite einen Riesenkaktus, prallte heftig zurück, drehte sich fast ganz um seine Achse und krachte zwanzig Yards weiter gegen einen aus dem Boden ragenden Felsen.
Mike McCoy zuckte zusammen, als er hörte, wie Glas splitterte und Blech knirschte. Der Motor heulte noch einmal auf und erstarb dann jäh.
»Heiliger Wüstenderwisch, ein Wahnsinniger... Ein Selbstmörder!«, keuchte Lucky ungläubig.
»Verdammt, gib Gas und fahr da hinüber! Hoffentlich können wir für den Fahrer noch was tun...Beeil dich, Lucky. Jetzt ist jede Sekunde kostbar!«
Lucky fluchte, weil er nun auch querfeldein fahren musste. Doch er schlug das Steuer scharf ein, gab Gas und lenkte den Wagen zum Unfallort hinüber.
McCoy steckte den Revolver in die Jackentasche, stieß die Beifahrertür auf, als Lucky zwanzig Yards vor dem Mercedes abbremste, und sprang heraus. Er rannte zum Wrack, sah die über dem Steuer zusammengesackte Gestalt und zerrte an der Fahrertür.
»Hilf mir!«, brüllte er Lucky zu.
Gemeinsam rüttelten sie an der verklemmten Tür. Endlich sprang sie auf. Mike McCoy beugte sich vor und zog die leblose Gestalt vorsichtig vom Steuer weg.
»Eine Frau?!« Lucky war fassungslos.
»Ja.«
Die Frau war jung – sicher nicht älter als achtundzwanzig – und sie war eine Schönheit. Blondes, halblanges Haar umschloss ihr gebräuntes Gesicht, das noch nicht einmal im Tod entstellte Züge aufwies.
»Nun sag schon, was mit ihr ist!«
Ein kalter Schauer rann Mike McCoy den Rücken hinunter, als er die blutgetränkte Bluse sah. Eine Kugel hatte den Stoff über dem Herzen aufgefetzt. »Sie ist tot... Erschossen.«
Lucky wurde blass. »Unmöglich! Sie ist doch gerade noch...« Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu führen.
Die Scheibe der Beifahrertür splitterte plötzlich, begleitet vom scharfen Krachen eines Gewehrschusses. Sofort darauf folgte eine zweite Detonation und ein Geschoss schlug ins Armaturenbrett ein.
»Deckung!« Mike McCoy riss seinen Freund geistesgegenwärtig zu Boden. Sie kauerten im Schutz des Kofferraumes.
Eine dritte Kugel heulte über ihre Köpfe hinweg und bohrte sich wenige Meter hinter ihnen in die steinige Erde. Sand spritzte auf.
»Leide ich schon unter Halluzinationen oder nimmt uns da wirklich jemand unter Feuer?«, keuchte Lucky.
»Du leidest nicht«, antwortete McCoy grimmig. »Zumindest nicht daran.«
»Aber, zum Teufel noch mal, wir haben doch mit der Geschichte nichts zu tun, was immer diese ›Geschichte‹ auch sein mag!«, empörte sich Lucky. »Am besten verschwinden wir von hier, so schnell es geht.« Er machte Anstalten, in gebückter Haltung zu seinem Wagen zu laufen. Er kam nicht mal zwei Schritte weit. Sowie er aus der Deckung trat, fiel erneut ein Schuss.
Lucky spürte, wie etwas an seiner linken Schulter zupfte, und lag im nächsten Moment flach wie eine Flunder auf dem Bauch. Fluchend kroch er zu McCoy zurück. »Verbrecherpack! Fast hätte es mich erwischt! Sieh dir das an!« Er steckte den Zeigefinger durch das Loch, das der Streifschuss gerissen hatte.
»Zwei Handbreit weiter nach rechts, und du hättest dich zu ihr legen können«, meinte McCoy und deutete mit dem Kopf zur Toten, die aus dem Fahrersitz gerutscht war. Ihre Hände berührten den Wüstenboden.
»Verdammt, das finde ich überhaupt nicht witzig«, sagte Lucky mit belegter Stimme und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wo kalter Schweiß perlte. »Na los!«
»Na los was
»Unternimm gefälligst etwas!«, verlangte Lucky.
»Kannst du mir mal sagen, was ich unternehmen soll?«, fragte Mike McCoy gereizt. »Wir sitzen hier fest! Die Schüsse kommen von dem Hügel da drüben. Und zwischen uns und dem Schützen liegen gut und gern zweihundert Meter. Weißt du, was das heißt?«
»Dass du mit deinem Kracher nur lausige Luftlöcher in den Himmel ballern kannst!«, mutmaßte Lucky grimmig.
»Richtig. Aber das ist noch das Wenigste. Viel schlimmer ist etwas anderes. Die Schüsse liegen trotz der Entfernung so sauber, dass es dafür nur eine Erklärung geben kann – der Heckenschütze hat ein Zielfernrohr auf seiner Donnerbüchse!«
Lucky stöhnte auf. »Dann Weidmannsheil!«
Eine Kugel zertrümmerte über ihren Köpfen die Heckscheibe des Wagens.
»Himmelherrgott, lass dir was einfallen!«, beschwor Lucky seinen Freund. »Wenn der Kerl auf die Idee kommt, ein paar Kugeln in den Benzintank zu jagen, heben wir vom Boden ab!«
»Zuerst einmal müssen wir hier für Verdunklung sorgen«, erwiderte Mike McCoy und drehte sich zu Luckys Wagen um. Der Ford stand halb schräg zu ihnen, etwa zwanzig Meter entfernt; die Scheinwerfer waren eingeschaltet …
Lucky begriff sofort, was er vorhatte. »Mike, das kannst du nicht machen! Der Wagen ist so gut wie neu!«
»Ich muss, Lucky. Sorry.« Der Privatdetektiv hob den Revolver mit beiden Händen und zielte sorgfältig. Jeder Schuss musste sitzen.
Zweimal bellte der Revolver auf. Die Kugeln zerschmetterten die Scheinwerfer. Es wurde dunkel um sie herum. In ohnmächtiger Wut rammte Lucky die Faust in den Sand.
»So, jetzt sind die Karten schon ein bisschen besser verteilt«, sagte McCoy zufrieden.
»Und was machen wir jetzt?«
»Warten.«
»Worauf?«
»Dass sich unser Heckenschütze entscheidet, wie das Spiel weitergehen soll. Entweder kommt er aus der Deckung und wagt sich über das offene Gelände näher an uns heran oder aber er ist schlau und macht einen Rückzieher. Er weiß jetzt, dass wir bewaffnet sind. Er muss also damit rechnen, dass er sich eine Kugel fängt, wenn er näher herankommt«, erklärte McCoy. »Und jetzt sieh zu, dass du hinter den Felsen kommst, ohne viel von dir sehen zu lassen. Falls der Tank wirklich hochgeht, sind wir dahinter einigermaßen sicher.«
Sie robbten vom Wrack weg hinter den Felsen, begleitet von einer Serie schnell aufeinander folgender Schüsse. Aber diesmal kam ihnen nicht eine Kugel gefährlich nahe.
Mike McCoy lächelte. »Ich wette, unser Heckenschütze kocht vor Wut, weil wir ihm die Suppe versalzen haben. Ohne Festbeleuchtung kann er mit seinem verdammten Zielfernrohr nicht mehr viel anfangen.«
Lucky hüllte sich in düsteres Schweigen.
Mike McCoy spähte hinter dem Felsen hervor und beobachtete das vor ihm liegende Gelände. Er richtete sein Augenmerk besonders auf den Hügel, von dem bisher die Schüsse gekommen waren. Doch nichts regte sich. Es blieb ruhig. Minuten vergingen.
Und dann hörten sie, wie ein schwerer Motor ansprang. »Schätze, wir bekommen Las Vegas doch noch lebend zu Gesicht«, sagte Mike McCoy mit einem Stoßseufzer der Erleichterung, als er weiter weg die Umrisse eines jeepähnlichen Wagens erblickte, der sich schnell entfernte.
Aus Sicherheitsgründen bestand der Privatdetektiv jedoch darauf, dass sie noch eine Weile abwarteten – für den Fall, dass man sie auszutricksen versuchte. Das Motorengeräusch verklang in der Ferne und dann störte nichts mehr die nächtliche Stille.

Leichen bringen immer Ärger
Vorsichtig trat Mike McCoy hinter dem Felsen hervor, den Revolver schussbereit in der Hand. Aber nichts rührte sich. Erleichtert atmete McCoy auf. »Die Luft ist rein, Lucky. Du kannst dich wieder zeigen. Mein Gott, wir sind wirklich noch mal mit einem blauen Auge davongekommen.«
Lucky verließ nur zögernd den Schutz des Felsens. Doch als niemand das Feuer auf ihn eröffnete, lief er zu seinem Wagen und trat wütend gegen den Vorderreifen. »Du hast gut reden, Mike! Schau dir mal an, was du angerichtet hast! Hast du überhaupt eine Ahnung, was mich dieser Blechschaden kostet?«
»Bestimmt weniger, als Angela für deine Beerdigung hätte ausgeben müssen«, gab McCoy zur Antwort. »Und jetzt hör auf zu lamentieren. Hilf mir, die Leiche aus dem Auto zu schaffen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Du sollst mit anpacken!«, sagte McCoy unwillig. »Oder willst du sie hier einfach liegen lassen? Also komm schon. Mach den Kofferraum auf und hilf mir!«
Perplex starrte Lucky ihn an. »In meinem Kofferraum? Kommt gar nicht infrage!«
»Die Frau kann auf keinen Fall hier liegen bleiben!«, entgegnete Mike McCoy scharf. »Sie ist ermordet worden und wir müssen die Leiche der Polizei übergeben. Oder kannst du mir garantieren, dass der Mörder nicht vielleicht doch noch mal zurückkommt und sein Opfer verschwinden lässt?«
Lucky schwieg.
»Also, dann setz dich endlich in Bewegung. Ich will hier nicht noch den Sonnenaufgang erleben.«
»Mike, ich stelle meinen Wagen nur unter schärfstem Protest zur Verfügung!«
»Zur Kenntnis genommen«, antwortete der Privatdetektiv unbeeindruckt. »Und nun hoch die Klappe und mit angefasst!«
Unverständliches vor sich hin murmelnd, schloss Lucky den Kofferraum auf, holte seine und McCoys Gepäckstücke heraus und half seinem Freund, die Leiche der Frau dort hineinzulegen. Mike McCoy durchsuchte den Mercedes, nahm die Handtasche an sich und warf im Schein von Luckys Taschenlampe einen Blick auf die Wagenpapiere, die er im Handschuhfach gefunden hatte.
Der Name der Ermordeten lautete Vivian Curtis.
»Kannst du mir vielleicht mal sagen, wie ich ohne Licht fahren soll?«, fragte Lucky, als McCoy zu ihm zurückkehrte.
Mike McCoy überlegte einen Augenblick, dann rammte er das Ende der Taschenlampe mit aller Kraft in das Loch, das seine Kugel in die linke Scheinwerferfassung gerissen hatte. »So wird’s gehen müssen!«
Sie fuhren vorsichtig auf die Straße zurück. Die Taschenlampe war als Beleuchtung so gut wie wertlos. Sie diente bestenfalls einem entgegenkommenden Fahrer als Warnung, dass da irgendein Gefährt angekrochen kam.
Lucky jammerte und fluchte abwechselnd. Die zerschossenen Scheinwerfer und das durchlöcherte Blech setzten ihm mehr zu als die Tatsache, dass er dem Tod nur knapp entronnen war. Er beklagte sich bitterlich, dass seinem Freund nichts Besseres eingefallen war.
Mike McCoy gab nichts auf das Gejammer. Das gehörte nun mal zu Lucky. Er grübelte über den Mord nach. Vivian Curtis war schon vor dem Unfall tot gewesen. Vermutlich hatte sie im Todeskampf das Gaspedal durchgetreten und den Schalthebel zurückgerissen. Ihr Fuß war zwischen Bremse und Gaspedal verklemmt gewesen, als Lucky und er sie aus dem Wrack gezerrt hatten, und er hatte Schwierigkeiten gehabt, ihre rechte Hand zu lösen, die sich noch im Tod um die Schaltung gekrampft hatte. Sie war schon tot gewesen, als der Mercedes an ihnen vorbeigerast war. Doch wo und warum war der Mord geschehen? Und wer war der Mörder?
Mike McCoy zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken. Er wollte nichts damit zu tun haben. Lucky würde ihn in Las Vegas auch so schon genug in Atem halten. Weiteren Ärger konnte er deshalb nicht gebrauchen. Er würde die Leiche der Polizei übergeben, seine Aussage machen und den Vorfall für sich zu den Akten legen …
Plötzlich tauchte vor ihnen eine Kreuzung auf. Sie hatten auf die Interstate 15 zurückgefunden, die geradewegs nach Las Vegas führte. Ein Schild zeigte an, dass es nur noch siebenundzwanzig Meilen bis zum Paradies der Spieler waren.
»Ich wusste doch, dass wir mit dem Sprit locker hinkommen würden«, tönte Lucky, der auf einmal wieder Oberwasser bekam. Er vergaß sogar den Blechschaden, den McCoys Revolverschüsse angerichtet hatten. Er »roch« die Spieltische. Und je näher sie Las Vegas kamen, desto aufgekratzter wurde er.
»Wir sind dem Tod von der Schippe gesprungen, und das beweist, dass die Vorsehung noch große Aufgaben für mich bereithält!«, verkündete er pathetisch.
»Als da wären?«
»Heute Nacht räume ich am Kartentisch ab! Ich weiß, dass ich heute nicht zu schlagen bin! Mike, diese Nacht wird dir ewig in Erinnerung bleiben...«
Mike McCoy kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern. Hinter ihnen heulte eine Polizeisirene auf. Ein Streifenwagen fuhr mit eingeschaltetem Rotlicht dicht auf.
»Fahr rechts ran und überlass das Reden mir«, sagte der Privatdetektiv.
»Sieh zu, dass wir die Leiche loswerden«, sagte Lucky, lenkte den Ford auf den Randstreifen und hielt.
Der Streifenwagen stoppte ebenfalls. Der schrille Sirenenton brach ab, doch das Licht auf dem Dach des Wagens warf weiterhin seinen zuckenden Schein in die Nacht. Zwei Streifenpolizisten stiegen aus. Sie trugen Stabtaschenlampen.
Lucky betätigte die Fensterautomatik und die Scheibe an seiner Seite glitt hinunter in die Fahrertür. Der Fahrer des Streifenwagens, ein Bulle von einem Mann, leuchtete in den Ford.
»Ihre Papiere bitte!«, verlangte er.
»Aber sicher doch.« Lucky zog seine Brieftasche hervor und reichte ihm Führerschein und Wagenzulassung.
Mike McCoy beobachtete, wie der andere Polizist indessen um den Wagen herumging und den Lichtkegel seiner Taschenlampe auf die zerschmetterten Scheinwerfer richtete. Er ging in die Hocke, um das zersplitterte Plastikgehäuse und das aufgerissene Blech näher zu untersuchen.
Der Privatdetektiv dachte an die Leiche im Kofferraum. Es würde nicht leicht sein, den beiden Streifenpolizisten klar zu machen, dass sie mit dem Mord an Vivian Curtis nichts zu tun hatten. Er musste sich seine Worte gut überlegen.
Er beugte sich zur Fahrerseite hinüber. »Officer, mein Name ist Mike McCoy. Ich habe...«
Der Polizist ließ ihn nicht aussprechen. »Immer der Reihe nach, Mister!«, knurrte er und warf einen Blick auf Luckys Papiere. »Sie sind ohne vorschriftsmäßige Beleuchtung gefahren...«
»Wem sagen Sie das.«
Der andere Polizist trat hinzu und raunte ihm etwas zu.
»Ihre Scheinwerfer sind total zertrümmert, Mister Manzoni«, sagte der bullige Polizist mit gerunzelter Stirn. »Hatten Sie einen Unfall?«
»Nein, Officer, mein Freund hier hat sie mit seinem Revolver zerschossen.«
»Zerschossen?«, wiederholte der Polizist ungläubig. »Haben Sie getrunken, Mann?«
»Keinen Tropfen, Officer. Mike, erzähl ihnen von der Leiche. Je eher wir die Tote loswerden, desto besser.«
»Bist du noch zu retten?«, zischte McCoy, bestürzt über die Naivität des Freundes.
»Leiche? Zum Teufel, wovon reden Sie?!«
»Von der Frau hinten im Kofferraum...«, begann Lucky.
Der Polizist trat einen Schritt zurück und zog seinen Dienstrevolver. »Aussteigen! Beide... Und zwar ganz langsam!«, befahl er.
Mike McCoy versuchte, die Situation zu retten. »Officer, geben Sie mir fünf Minuten und ich erkläre Ihnen alles!«
»Aussteigen!«
Lucky blickte seinen Freund an. »Was ist? Habe ich was Falsches gesagt, Mike?«
»Du hast dich mal wieder übertroffen, du Armleuchter!«
Sie stiegen aus dem Wagen und mussten sich mit gespreizten Beinen und ausgestreckten Armen gegen die Motorhaube lehnen, während der zweite Polizist sie abtastete.
»Der Revolver steckt in meiner rechten Jackentasche«, sagte Mike McCoy resigniert. Jetzt war nichts mehr zu retten. Diese Nacht würden sie kein Hotelbett mehr zu sehen bekommen. Dafür hatte Lucky mit seinen unbedachten Äußerungen gesorgt.
»Ich werd verrückt, der Bursche trägt wirklich eine Waffe!«, sagte der Uniformierte hinter McCoy und roch an der Mündung des Revolvers. »Und sie ist erst vor kurzem abgefeuert worden, Leslie!«
Leslie, der bullige Polizist, zog die Wagenschlüssel vom Zündschloss ab. »Vielleicht sollten wir wirklich mal einen Blick in den Kofferraum werfen.«
Augenblicke später trugen Lucky und McCoy stählerne Handschellen. Und Leslie alarmierte über Funk die Mordkommission in Las Vegas und meldete die Verhaftung zweier mutmaßlicher Mörder.

Zellengeflüster
Lucky hielt es nicht länger auf der harten Pritsche aus. Er sprang auf, ging zur Zellentür und rüttelte an den massiven Gitterstäben. »Aufmachen!«, brüllte er wütend.
»Spiel jetzt bloß nicht den Wilden!«, mahnte ihn Mike McCoy zur Ruhe. Er saß auf der Pritsche, mit dem Rücken gegen die olivfarbene Zellenwand gelehnt, und rauchte. »Oder bist du ernstlich dem Irrglauben verfallen, mit deinem Tarzangeschrei irgendetwas zum Guten wenden zu können?«
Lucky drehte sich zu ihm um. »Deine Ruhe möchte ich haben! Weißt du, wie lange wir schon in dieser verdammten Zelle hocken?«