Commander Stone ist ein ruppiger Zeitgenosse, der nur deswegen bei Starfleet noch nicht gefeuert wurde, weil er glänzende Erfolge vorzuweisen hat. Nun wird er zur Enterprise versetzt, um dort als Erster Offizier die nötige Disziplin zu lernen.
Will Riker, die angestammte Nummer Eins der Enterprise, soll für einen Monat Beratungsarbeit auf dem Planeten Paradies leisten. Dieser absolut unwirtlichen Welt versucht ein Team von Wissenschaftlern durch Terraformen Leben einzuhauchen. Aber nicht alle Experimente sind erfolgreich verlaufen. Der Versuch, mit Hilfe der Gentechnik eine überlebensfähige Tierspezies zu schaffen, endete mit einem
Desaster.
Leiter des Teams ist Rikers Jugendfreund Jack Carter. Als dieser von einem Ausflug in die arktische Wildnis des Planeten nicht zurückkehrt, lässt Commander Riker sich auf eine riskante Rettungsaktion ein. Währenddessen bemüht sich Commander Stone weiterhin, die Probleme auf seine unkonventionelle Art zu lösen. Und nicht nur Captain Picard muss sich die Frage stellen: Ist dieser Mann verrückt?
Über das Buch
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
PETER DAVID
EINE HÖLLE NAMENS PARADIES
Star Trek™
The Next Generation
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
www.diezukunft.de
Dieses Buch
ist Jennifer Kingsley Westburg gewidmet.
Sie personifiziert die Botschaft
von Hoffnung und Ausdauer,
um die es in Star Trek geht.
»Begleiten Sie mich in mein Quartier, Stone.«
Captain Borjas bekam nicht die erwartete Reaktion von seinem Ersten Offizier. Um ganz genau zu sein: Er bekam überhaupt keine.
Stone saß weiterhin an einem der Tische im Aufenthaltsraum und blickte nachdenklich in sein Glas. Das Synthehol schwappte hin und her, fing den Glanz der Deckenlampen ein und zeigte das für diese Ferengi-Erfindung typische bunte Schimmern.
Der Captain bemerkte, dass Stone nicht eins der üblichen Trinkgefäße benutzte. Er hatte seine eigenen Gläser, seine eigenen Spirituosen, verwendete nie etwas, das auch anderen Personen zur Verfügung stand – er schien entschlossen zu sein, auch weiterhin vom Rest der Crew isoliert zu bleiben.
Borjas schwieg einige Sekunden lang und versuchte sich zu fassen. Er fühlte die Blicke mehrerer Besatzungsmitglieder auf sich ruhen und bedauerte es nun, niemand geschickt zu haben, um seinen Ersten Offizier zu holen. Himmel, dies alles wäre wohl kaum nötig gewesen, wenn der verdammte Kerl nicht den Kom-Ruf ignoriert hätte.
Der Captain beugte sich vor und stützte die Hände auf den Tisch. Er ging allmählich in die Breite und war dankbar für die neuen Starfleet-Uniformen: Sie bestanden nicht mehr aus einem einteiligen Overall, sondern erlaubten auch kurze Jacken, die nicht unbedingt hauteng anliegen mussten. Ältere Offiziere wussten so etwas zu schätzen.
Borjas hatte dünner werdendes schwarzes Haar und so dichte Brauen, dass sie sich am Nasenrücken trafen. In den Wangen zuckte es. Für gewöhnlich genügte sein finsterer Blick, um auch die hartnäckigsten Untergebenen einzuschüchtern.
Diesmal nicht.
»Stone, je länger Sie auf stur schalten, desto schwerer wird es für Sie.«
Langsam sah der Mann auf.
Borjas erinnerte sich an seine erste Begegnung mit Stone. Von Anfang an hatte ihm der Erste Offizier Unbehagen bereitet. Er beobachtete nun scharf geschnittene Züge, hohe Jochbeine, ein spitzes Kinn – und eine lange Narbe in der rechten Gesichtshälfte. Sie erschien dem Captain seltsam, denn die moderne medizinische Technik konnte solchen Makel problemlos entfernen. Doch Stone trug seine Narbe wie eine Medaille.
Das schwarze, kurze Haar schien winzige Dornen zu bilden. Es entsprach den Vorschriften, aber gleichzeitig wirkte es irgendwie … seltsam. Die Brauen wölbten sich so stark nach oben, dass Borjas manchmal vermutete, in Stones Adern fließe auch vulkanisches Blut.
Es waren in erster Linie die Augen, die den Captain beunruhigten. Manchmal hatte er das Gefühl, von ihnen durchbohrt zu werden. Manchmal richtete sich ihr Blick nach innen und betrachtete Dinge, die für Borjas verborgen blieben. Hinter jenen Augen geschah eine Menge, und er wusste nie, worum es dabei ging.
Stone holte tief Luft und ließ den Atem langsam entweichen. »Ahhh«, seufzte er erleichtert. »Es ist soweit.«
»Was meinen Sie?«
Der Erste Offizier gab keine Antwort, schmunzelte nur. Sein Lächeln wirkte wie eine Drohung.
Borjas merkte, dass es im Aufenthaltsraum völlig still geworden war. Er überlegte, ob er den anderen Besatzungsmitgliedern befehlen sollte, den Raum zu verlassen, entschied sich dann aber dagegen. Er durfte nicht zulassen, dass durch Stones Verhalten jemand gestört wurde. Außerdem wollte er in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, wer der Kommandant des Raumschiffs Nimitz war.
»Stone, ich gebe Ihnen genau drei Sekunden, um mich zu meinem Quartier zu begleiten.«
Die Lippen des Ersten Offiziers bewegten sich nicht, aber sein Gesichtsausdruck vermittelte folgende Botschaft: Sonst passiert was?
Borjas sammelte die ganze Autorität des Captains und trug sie wie einen Schild. »Wenn Sie nicht vernünftig werden, lasse ich Sie wegen Insubordination vors Kriegsgericht stellen.«
»Kriegsgericht?«, wiederholte Stone ruhig.
Reagierte er endlich? Borjas beugte sich über den Tisch. »Ja. Ein Prozess vor dem Kriegsgericht. Wegen Insubordination. Und weil Sie Leben und Sicherheit der Crew in Gefahr brachten.«
Stone starrte ins Leere. »In Gefahr. In Gefahr.« Er dachte darüber nach, rollte die Silben auf der Zunge hin und her. »Ich erinnere mich nur daran, dass ich einige Leute gerettet habe. Besatzungsmitglieder, für die Sie keinen Finger rühren wollten.«
»Ihr Verhalten widersprach den Vorschriften!«, entfuhr es Borjas. »Und damit meine ich Vorschriften, die das Wohlergehen der ganzen Crew garantieren sollen.«
»Garantieren?«, wiederholte Stone. Er hob das Glas und trank aus, rollte es dann zwischen den Händen. »In der Leere zwischen den Sternen, umhüllt von tödlichem Vakuum, das nur von Gebeten und einer dünnen Schiffshülle ferngehalten wird – und Sie sprechen von Garantien. Nun gut, Captain: Der Tod ist garantiert. Sonst nichts.«
Der Erste Offizier vollführte eine umfassende Geste in Richtung der übrigen Anwesenden. »Diese Leute wissen das. Sie offenbar nicht.«
Borjas schüttelte traurig den Kopf. »Sie sind Ihres Postens enthoben, Stone. Das ist alles. Eigentlich wollte ich auf eine solche Maßnahme verzichten, zumindest vor den anderen, aber Sie lassen mir keine Wahl … Begeben Sie sich in Ihre Kabine.«
Stone achtete nicht auf ihn und griff statt dessen nach der Flasche Synthehol.
»Stehen Sie auf!«
»Ist es schon Morgen?«, fragte Stone gelassen und machte Anstalten, sein Glas zu füllen.
Borjas riss ihm die Flasche wütend aus der Hand. Stone blieb gelassen, und in seinem Gesicht zeigte sich überhaupt keine Überraschung. Er erstarrte in seiner gegenwärtigen Haltung; das Glas in der linken Hand, die rechte wie zum Einschenken erhoben.
Dann ließ er die rechte Hand ganz langsam sinken, hob den Kopf und sah den Captain an. Borjas glaubte zu spüren, wie sich ihm ein eisiger Blick in den Schädel bohrte.
Der Captain hielt ihm nur mit Mühe stand. »Entweder ziehen Sie sich in Ihre Kabine zurück, oder Sie werden in der Arrestzelle untergebracht. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
»Manche Entscheidungen fallen einem ziemlich schwer«, entgegnete Stone mit unerschütterlicher Ruhe.
Borjas berührte seinen Insignienkommunikator. »Sicherheitsabteilung«, sagte er. »Schicken Sie eine Gruppe in den Aufenthaltsraum und bringen Sie Commander Stone zur Arrestzelle.«
»Ich habe mich entschieden«, verkündete der Erste Offizier. »Ich suche weder meine Kabine noch die Arrestzelle auf.«
Borjas verschränkte die Arme. »Sie haben meinen Befehl gehört.«
Stone sah in sein Glas. »Ich gehe zur Krankenstation.«
»Bitte?«
»Die Krankenstation bietet mehr Komfort.«
»Dort gibt es keinen Platz für Sie.«
»Und warum nicht?«
»Weil Sie nicht krank sind«, sagte Borjas zufrieden.
Stone dachte einige Sekunden lang darüber nach.
Borjas und die anderen Personen im Aufenthaltsraum zuckten unwillkürlich zusammen, als ein scharfes Knacken erklang.
Der Captain hielt entsetzt nach der Ursache für dieses Geräusch Ausschau.
Stone hatte das Glas zerbrochen. Es bestand nicht aus hartem Kunststoff wie die anderen Trinkgefäße im Aufenthaltsraum, sondern aus Glas, das splittern konnte. Der Stiel fiel auf den Tisch und rollte über den Rand.
Eine Zeitlang verharrte Stone in dieser Position, die Hand zur Faust geballt. Dann öffnete er sie. Schmieriges Blut bedeckte Finger und Handfläche.
»Jetzt bin ich verletzt«, sagte der Erste Offizier.
O'Brien schnitt eine Grimasse, warf die Karten auf den Tisch und wollte aufstehen. »Genug damit. Mir reicht's. Ich möchte, dass Pulaski zurückkehrt.«
William T. Riker legte ihm die Hand auf den Arm. Er wusste, dass der Ärger des Transporterchefs nicht nur gespielt war, und er versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. Es gelang ihm nicht ganz. »Kommen Sie«, sagte der bärtige Erste Offizier der Enterprise. »So schlimm ist es doch gar nicht gewesen.«
»Ich habe fünfmal hintereinander verloren, und immer mit einem ausgezeichneten Blatt«, klagte O'Brien und deutete auf einige Spielchips, die vor ihm einen arg geschrumpften Stapel bildeten. »Das ist mir noch nie zuvor passiert. Noch nie.«
»Jeder hat einmal einen schlechten Tag«, erwiderte Riker in einem tröstenden Tonfall.
»Es ist ihre Schuld. Sie mogelt.«
Der Erste Offizier musterte erstaunt die Person, der O'Briens Vorwurf galt. »Unmöglich.«
»Sie verteidigen sie natürlich«, brummte O'Brien. »Kein Wunder. Sie ›verstehen‹ sich.« Seine Mimik ließ erkennen, was er damit meinte. »Ein solches ›Verständnis‹ fehlt mir. Woraus sich ein ernstes finanzielles Problem für mich ergibt.«
»Ich mogle nicht«, ertönte eine sanfte Stimme.
O'Brien lehnte sich zurück. »Nun, Counselor, ich behaupte keineswegs, es sei Ihre Schuld. Nein, es ist meine Schuld. Inzwischen müsste ich es eigentlich besser wissen: Mit einer Empathin spielt man nicht Poker. So einfach ist das.«
»Ich weiß gar nicht, wo das Problem liegt«, sagte Deanna Troi, strich ihren letzten Gewinn ein und fügte ihn mehreren hohen Chip-Stapeln hinzu.
»Sie wissen es nicht?« O'Brien hob die Fingerspitzen zur Stirn und ahmte Trois exotischen Akzent nach. »Captain, ich spüre … einen Bluff. Ja. O'Brien redet Kohl und hat nur einen unvollständigen Flush.«
Der rechts neben Riker sitzende Data runzelte verwundert die Stirn. »›Kohl reden‹?«
»Eine Redewendung, die ›bluffen‹ bedeutet.«
»Oh.«
»Wenn ich irgend etwas gut kenne, so ist es mein eigenes Bewusstsein, O'Brien«, sagte Deanna Troi. Die attraktive Halb-Betazoidin saß in perfekter Haltung: Schultern gestrafft, der Rücken gerade. Riker und der Transporterchef sackten in ihren Sesseln zusammen. Data folgte ihrem Beispiel – er ließ praktisch keine Gelegenheit aus, menschliches Verhalten zu imitieren.
»Ich würde meine besonderen Fähigkeiten nie so verwenden, wie Sie es vermuten«, fügte die Counselor hinzu.
»Vielleicht geschieht es nicht absichtlich.«
Troi musterte O'Brien aus großen Augen. »Ich weiß, dass Sie enttäuscht und verärgert sind …«
»Man muss kein Empath sein, um das zu erkennen, nicht wahr?«
»Lassen Sie's gut sein, O'Brien«, warf Riker ein. »Geben Sie endlich.«
»Von wegen! Wissen Sie, zuerst war ich nervös, als wir Data in unsere Runde aufnahmen.« Er nickte dem blassen Androiden zu, der ihn mit unverhohlener Neugier musterte. Seine gelben Augen schienen von innen heraus zu glühen. »Ich dachte: ›He, großartig – wie soll ich jemanden überlisten, der einen Computer im Kopf hat?‹ Dann merkte ich, dass ich ihn aus den Socken bluffen kann.«
Data blickte auf seine Füße hinab, hob sofort wieder den Kopf und nickte. »Oh, ich verstehe. Eine Metapher.«
O'Brien nickte. »Aber Troi … Counselor, vielleicht steckt wirklich keine Absicht dahinter, aber möglicherweise empfangen Sie trotzdem Emotionen, ohne sich dessen bewusst zu sein …«
Deanna hob die Hand. »Das genügt, O'Brien. Ich verstehe.« Sie stand auf. »Vermutlich wäre es besser, wenn Sie sich einen neuen Teilnehmer suchen. Ich glaube, Poker ist nicht das richtige Spiel für mich …«
»Deanna …«, begann Riker.
»Ich muss mich um gewisse Dinge kümmern«, sagte sie in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass eine weitere Diskussion sinnlos bleiben musste. Sie drehte sich um, und ihr grüner Rock raschelte leise, als sie fortging.
»Das war nicht sehr nett von Ihnen, O'Brien«, tadelte Riker. Sein Gesicht machte deutlich, dass er es ernst meinte.
»Na schön, vielleicht hab ich's ein wenig übertrieben. Ich entschuldige mich später bei ihr, in Ordnung? Wie dem auch sei: Wir brauchen einen vierten Mitspieler.«
»Bestimmt gibt es jemanden an Bord, der Interesse daran fände, an unserer Runde teilzunehmen«, meinte Data.
»Wie wär's mit dem Captain?«, schlug O'Brien nach kurzem Nachdenken vor. »Er hätte bestimmt nichts dagegen, Haare zu lassen – im übertragenen Sinne.«
Riker musterte ihn. »Halten Sie sich für fähig, den Captain zu bluffen?«
O'Brien stellte sich vor, wie der beeindruckende Picard seine Karten betrachtete, dann aufsah und mit strenger Stimme sagte: »Ihre zehn … und noch einmal zwanzig.« Der Transporterchef nickte langsam. »Ein guter Hinweis«, murmelte er. »Aber wer sonst …«
Das Schott öffnete sich mit einem leisen Zischen, und die Bordärztin Beverly Crusher kam herein. Sie steckte voller Widersprüche. Einerseits wirkte sie so hilflos wie ein heimatloses Kind, und andererseits konnte sie sich ziemlich energisch zur Wehr setzen. Die Besatzung erfuhr schon nach kurzer Zeit, dass sich ein eiserner Wille hinter ihrem unschuldigen Gebaren versteckte.
Sie hatte einen einjährigen Aufenthalt im medizinischen Zentrum von Starfleet hinter sich, und die Crew der Enterprise begrüßte ihre Rückkehr.
Einige Sekunden lang blieb sie stehen und sah sich im Raum um. »Ich dachte, Deanna sei hier.«
»Sie musste sich um gewisse Dinge kümmern«, zitierte O'Brien die Counselor.
»Oh.« Crusher musterte die drei Männer am Tisch. »Was spielen Sie da?«
»Poker«, antwortete Data. »Ein Kartenspiel, bei dem der Zufall mit …«
»Später, Data«, sagte Riker. Ihm gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf wie dem Transporterchef.
O'Brien lächelte ebenso wie der Erste Offizier. Rikers Bart verbarg seinen verschlagenen Gesichtsausdruck nur zum Teil. »Haben Sie jemals … Poker gespielt?«, fragte er.
»Vor vielen Jahren«, erwiderte Beverly Crusher nach kurzem Zögern. »Damals war ich Teenager. Zusammen mit einigen Freundinnen und Jungen spielten wir Stri…«
Sie brach ab und räusperte sich. Data fragte sich, warum rote Flecken auf ihren Wangen entstanden. »Es, äh, handelte sich um eine besondere Poker-Version. Aber seit damals … Ich erinnere mich gar nicht mehr daran, welches Blatt besser ist.«
»Wir haben noch Platz am Tisch«, sagte O'Brien etwas zu eifrig.
»Nun, warum nicht?«, erwiderte Crusher, setzte sich und lächelte sanft. »Bitte nehmen Sie ein wenig Rücksicht auf mich.«
O'Brien sah Riker an und gurrte wie eine Taube.
Data bot der Ärztin den einzigen Rat an, der ihm in den Sinn kam: »Geben Sie auf Ihre Socken acht.«
Crusher blickte auf ihre Füße hinab und runzelte die Stirn.
Auch in Picards Stirn bildeten sich Falten.
Der Captain saß in seinem Quartier und blickte auf den Bildschirm, der ihm Admiral Williams zeigte. »Commander Riker ist ein integraler Bestandteil des Mechanismus, der für ein reibungsloses Funktionieren der Enterprise sorgt«, sagte er scharf, stand auf und wanderte in der Kabine umher. »Seine Versetzung gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Wir bedauern, dass diese Maßnahme notwendig geworden ist, Captain«, erwiderte Williams ruhig. Die Admiralin war nur einige Jahre älter als Picard, aber sie blickte auf eine lange und illustre Karriere zurück. Sie verfügte über die richtigen Beziehungen in Starfleet und verstand sich prächtig darauf, wichtige Entscheidungen in der Sicherheit ihres Büros zu treffen. »Die Situation auf Paradies erfordert Commander Rikers Präsenz – die Gründe dafür habe ich Ihnen bereits erläutert. Warum sollten sich Probleme daraus ergeben? Befürchten Sie, ohne Ihre Nummer Eins nicht zurechtzukommen?«
»Wir sind immer ›zurechtgekommen‹, Admiral, und das wissen Sie«, entgegnete Picard. »Einmal habe ich Riker sogar dazu ermutigt, uns zu verlassen, um eine Zeitlang als Erster Offizier an Bord eines klingonischen Kreuzers zu arbeiten. Doch in diesem besonderen Fall halte ich seine Versetzung für Verschwendung von individuellem Leistungspotenzial. Außerdem entsteht dadurch eine Lücke in der Kommandostruktur, die sich nur schwer schließen lässt.«
Irgend etwas in Williams' Miene wies Picard darauf hin, dass er einen wichtigen Punkt angesprochen hatte. Die Admiralin lächelte freundlich. »Ich glaube, in dieser Hinsicht können wir Ihnen helfen, Captain. Wir haben einen vorübergehenden Ersatz für Ihren Ersten Offizier.«
Eine Alarmsirene heulte hinter Picards Stirn. »Einen Ersatz?«
»Ja, in der Tat.«
»Was für einen?«
»Einen vorübergehenden.«
»Ich glaube, da drehen wir uns im Kreis, Admiral.« Picard blieb kurz stehen, trat dann einen Schritt näher an den Bildschirm heran und fügte in einem vertraulichen Tonfall hinzu: »Zum Teufel auch, Karen – was ist eigentlich los?«
Admiral Karen Williams lächelte schief. »Ihnen entgeht überhaupt nichts, Picard, stimmt's?«
»Rikers Versetzung ist nur ein Teil der Angelegenheit, habe ich recht?« Picard sprach langsam. »Starfleet legt auch großen Wert darauf, dass Ihr Ersatzmann der Enterprise als Erster Offizier zugeteilt wird. Na schön, Karen.« Er setzte sich, um auf alles gefasst zu sein. »Was hat es mit dem Offizier auf sich?«
»Nun …«, begann Williams. »Ein sehr fähiger und kompetenter Mann. Erstklassiger Taktiker. Starke persönliche Ausstrahlungskraft.«
»Das Problem besteht nur darin …«
»Er ist verrückt.«
Picard blinzelte verwirrt. »Bitte?«
»Er hat eine Schraube locker. Vielleicht ein Fall von Raumkoller.«
»Lieber Himmel! Und er bekleidet den Rang eines Starfleet-Offiziers? Wie ist das möglich?«
»Weil es an seinem Psychoprofil nichts auszusetzen gibt. Normale Werte. Die Stress- und Anpassungsreaktionen sind besser als bei vielen anderen. Alle Untersuchungen und Tests weisen auf innere Festigkeit hin.«
»Aber?«
»Die Vorgesetzten, mit denen er bisher zusammengearbeitet hat, bezeichnen ihn als unmöglich. Er handelt nach eigenem Ermessen, wenn man es so nennen will. Und er schert sich nicht darum, was man von ihm hält. Irgendwie erzielt er immer die Ergebnisse, die man von ihm erwartet – seine Instinkte trügen ihn nie. Aber er ist nur Instinkt. Er kennt die Regeln, doch er verhält sich so, wie es ihm passt. Das Problem besteht darin, dass er sich bisher noch nie geirrt hat. Er bekam mehrere Verweise, aber es liegt nichts gegen ihn vor, das eine Entlassung aus dem aktiven Dienst rechtfertigen würde. Drei Monate lang gehörte er zur Besatzung der Nimitz – praktisch ein Rekord für ihn.«
»Meinen Sie Andy Borjas' Schiff?«
»Ja.«
»Borjas ist ein guter Mann.«
»Nun, Ihr guter Mann teilte Starfleet mit, er sei fest entschlossen, Stone ohne Raumanzug aus dem Schiff zu werfen, wenn man ihn nicht sofort versetzt.«
»Stone?«
»So heißt er. Quintin Stone.«
Picard rieb sich verwundert die Schläfe. »Was hat er angestellt, um Borjas so sehr zu verärgern?«
»Er rettete mehreren Leuten das Leben.«
Picard hob die Brauen. »Ich glaube, ich verstehe nicht ganz …«
Williams seufzte, und der Captain vermutete, dass sie die Geschichte schon mehrmals erzählt hatte. »Die Nimitz befand sich in einem Sonnensystem, dessen Zentralgestirn destabil war. Mehrere Geologen untersuchten einen der mittleren Planeten, um Daten über die ambientalen Auswirkungen zu erhalten. Aber die Sonne blähte sich weitaus schneller auf, als man es erwartet hatte. Es kam zu starken Strahlungsschüben, und dadurch konnten die Transporter nicht mehr eingesetzt werden. Mehr noch: Das Raumschiff geriet in Gefahr. Um die Sicherheit der Besatzung zu gewährleisten, gab Borjas den Befehl, die Nimitz in den interstellaren Raum zu steuern.«
»Mit anderen Worten: Er opferte die Landegruppe, um das Schiff zu schützen.« Picard nickte. »Keine einfache Entscheidung.«
»Da haben Sie zweifellos recht. Und Stone war nicht damit einverstanden. Ohne Borjas' Wissen ging er an Bord eines Shuttles und verließ die Nimitz unmittelbar vor ihrer Beschleunigungsphase. Er flog zum Planeten, fokussierte die Sensoren auf den Bereich der Transferkoordinaten, fand die Landegruppe und nahm sie an Bord. Stone hatte Glück: Borjas befahl kein Warpmanöver, sondern verwendete nur die Impulstriebwerke, um das Sonnensystem zu verlassen. Andernfalls hätte das Shuttle unmöglich zur Nimitz aufschließen können.«
»Als Stone die Initiative übernahm, kam Borjas zu dem Schluss, dass er die Geologen nicht einfach abschreiben konnte.«
»Borjas sah sich vor vollendete Tatsachen gestellt, und das gefiel ihm nicht sehr. Als er seinen Ersten Offizier später zur Rechenschaft ziehen und ihn unter Arrest stellen wollte … Nun, es steht alles im Bericht.«
»Stone mag kompetent und fähig sein, aber ich habe trotzdem den Eindruck, dass er als Starfleet-Offizier nicht viel taugt.«
»Er hat die Kobayashi Maru-Simulation geschlagen, Jean-Luc.«
Picard glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. »Was? Ohne irgendeinen Trick?«
»Ja. Stone legte das ganze System lahm. Die Programmierer hatten eine Woche lang damit zu tun, es wieder in Ordnung zu bringen.«
»Ich bin beeindruckt.«
»Das sind wir alle. Stone ist ein beeindruckender Offizier. Aber es mangelt ihm an Disziplin. Wir brauchen jemanden, der sie ihn lehrt.«
»Und die Wahl fiel auf mich.«
»Starfleet ist nicht unbedingt demokratisch, Captain, aber Sie haben recht: Man wählte Sie.«
Mark Masters schritt in Jackson Carters Büro umher. Masters war der typische Terraformer: stämmig, muskulös und grauhaarig. Die weichen Stiefelsohlen verursachten nicht das geringste Geräusch auf dem polierten Boden. Carter musterte den Mann wortlos.
»Die Sache stinkt!«, stieß Masters schließlich hervor.
Carter nickte zustimmend. »Das glaube ich auch.«
»Es gibt eine Vereinbarung zwischen uns und der Föderation! Und darin geht es einzig und allein ums Terraforming.«
»Ja«, bestätigte Carter. »Auch ich habe den Vertrag unterschrieben. Ich weiß, was du meinst.«
»Ich begreife das einfach nicht!«, fuhr Masters fort. »Wir haben gut gearbeitet, kommen nur etwas langsamer voran als geplant. Warum schickt uns die Föderation eine Gruppe, die uns kontrollieren und hier herumschnüffeln soll?«
»Warum nicht? Der Planet ist groß.«
»Soll das ein Witz sein? Fünfundneunzig Prozent davon sind unbewohnbar, und du nennst ihn groß.«
Masters blieb am Fenster des Büros stehen. Das Arbeitszimmer befand sich im dritten Stock – größere Gebäude gab es in Starlight nicht.
Das Fenster gewährte einen guten Blick auf die Hölle namens Paradies.
Erst seit einigen Jahren gab es Leben auf diesem Planeten. Damals besaß er noch keinen Namen, nur eine Identifikationsnummer. Vor vielen Jahrhunderten hatte er eine Zivilisation beherbergt, die jedoch mehreren Umweltkatastrophen und Kriegen zum Opfer fiel. Bis heute eignete er sich nicht für humanoide Lebensformen.
Genau die richtige Welt für Terraformer.
Sie erhoben offiziell Anspruch auf die Welt und garantierten der Föderation, dass die Erschließung allein zur Kolonisation diente. Darüber hinaus gingen sie die vertragliche Verpflichtung ein, dass man bei allen Aktivitäten das Prinzip der friedlichen Koexistenz berücksichtigen würde. Anders ausgedrückt: Niemand beabsichtigte, in der Wildnis Waffen zu testen oder zu entwickeln.
Die Föderation gab ihr Einverständnis, und daraufhin nannten die Terraformer – insgesamt hundertzwölf – ihre neue Heimat ›Paradies‹. Eine irreführende Bezeichnung, wenn man Orkane, Schneestürme, kaum zu atmende Luft, eine stark ionisierte Atmosphäre und Felswüsten berücksichtigte.
Zuerst wurde eine Anlage installiert, deren Aufgabe darin bestand, in einem kleinen Bereich bessere atmosphärische Bedingungen zu schaffen. Das Ergebnis dieser monatelangen Bemühungen war Starlight, seit langer, langer Zeit die erste Stadt auf Paradies. Die Siedlung beanspruchte nur eine Fläche von wenigen Quadratkilometern und wirkte eher trostlos, aber sie bot ein Zuhause.
Sie bestand aus schmucklosen, funktionellen Gebäuden, und ständig trieben Dunstschwaden umher – eine Folge der Wechselwirkung zwischen natürlicher und veränderter Atmosphäre. Eine Patina aus Ruß bedeckte die Wände, und man hatte längst alle Versuche aufgegeben, den Schmutz zu entfernen. Statt dessen kratzten die Terraformer täglich Namen und deftige Botschaften in die Dreckkruste – um dann zu beobachten, wie sie am nächsten Tag unter neuem Ruß verschwanden.
Man ging nicht nach einem bestimmten Plan vor, als man die Stadt baute, und deshalb bildete sie ein ziemliches Durcheinander. Doch das spielte kaum eine Rolle, da ihre Bevölkerung nur aus einigen Dutzend Personen bestand. Abends glänzte helles Licht über einem Hauseingang und wies den Weg zur einzigen Kneipe im Ort.
Nach der Fertigstellung von Starlight wuchs die Bevölkerung auf ihre volle Stärke von hundertzwölf Personen. Es wurde damit begonnen, wissenschaftliche Forschungsstationen einzurichten, und man schmiedete Pläne, die den Bau von anderen Atmosphärewandlern und Städten vorsahen. Fachleute entwickelten Machbarkeitsstudien in Bezug auf ein Netzwerk aus Tunneln, um die zukünftigen Siedlungen schnell und sicher zu erreichen. Doch das alles erforderte Zeit.
Und es kam zu Rückschlägen …
»Es geht um die Wilden Dinge, nicht wahr?«, fragte Masters, während er aus dem Fenster sah. »Die Föderation hat davon gehört und ist deshalb sauer auf uns.«
»Niemand hat mit den Wilden Dingen gerechnet«, erwiderte Carter beschwichtigend. »Ein genetischer Unfall, das ist alles.«
»Sie hätten nicht entkommen dürfen. Ich bin der leitende Wissenschaftler. Es ist meine Schuld.« Masters drehte sich zu Carter um. »Ich trete zurück. Wahrscheinlich will die Föderation, dass irgendein Kopf rollt. Ich biete meinen dafür an. Wenn ich freiwillig gehe, zusammen mit meiner Familie …«
Carter hob die Hand – irgend etwas an ihm strahlte Ruhe aus. Er hatte dichtes, langsam grau werdendes Haar und ein rundes, bärtiges Kinn. Sein ewiges Lächeln schien darauf hinzudeuten, dass er den Ernst der jeweiligen Situation nicht begriff. Aber Carter war ständig über alles auf dem laufenden, und deshalb konnte er es sich leisten, die Dinge in erster Linie aus einer positiven Perspektive zu betrachten. Er blieb immer optimistisch und zuversichtlich.
»Es werden keine Köpfe rollen. Bestimmt kommt alles in Ordnung. Die Föderation hat gewiss nicht die Absicht, hier den Laden zu übernehmen. So etwas sähe ihr gar nicht ähnlich. Wahrscheinlich will sie uns nur Hilfe anbieten.«
»Und wenn wir ihre Hilfe nicht wollen?«
»Dann wären wir Idioten«, sagte Carter. »Mark, dies ist weder ein Wettkampf noch eine Frage des Stolzes. Wir streben alle das gleiche Ziel an. Außerdem: Die Leitung der Föderationsgruppe hat ein gewisser Commander William T. Riker.«
Masters erwiderte den erwartungsvollen Blick und zuckte nur mit den Schultern.
Carter seufzte und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Ich habe dir von ihm erzählt. Der Bursche, mit dem ich in Valdez aufgewachsen bin …«
Carter runzelte die Stirn. »Ich erinnere mich nicht daran, dass du …« Plötzlich erhellte sich seine Miene. »Halt, einen Augenblick. Der Typ, den du Thunderball genannt hast?«
»Ja.«
»Meinst du den Mann, der …«
»Ja.«
Masters lächelte. »Oh, ich muss ihn unbedingt kennenlernen.«
»Er wird dir gefallen.«
»Er wird mich hassen.«
Carter schmunzelte. »Was soll's, Mark? Wir alle hassen dich.«
Die Enterprise glitt anmutig durchs All, mit einer Geschmeidigkeit, die in auffallendem Kontrast zu ihrer Größe stand.
Doch daran dachte Riker nicht, als er im Bereitschaftsraum des Captains stand. Er drehte sich so abrupt um, dass er fast Picards Modell der Stargazer beiseite gestoßen hätte.
»Ich soll versetzt werden?«, brachte er fassungslos hervor.
»Für einen Monat. Und ich darf Ihnen versichern: Es ist nur vorübergehend, Nummer Eins. Die Versetzung hat nichts mit Ihrer hiesigen Arbeit zu tun.«
»Captain …« Riker marschierte wie ein gefangenes Raubtier durchs Zimmer. Picard saß hinter dem Schreibtisch und beobachtete seinen Stellvertreter voller Mitgefühl. »Wenn Sie mich für überarbeitet halten und glauben, dass ich eine Abwechslung brauche …«
»Nein.« Picard schüttelte den Kopf. »Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Es ist ein Befehl von Starfleet. Sie sind in Alaska aufgewachsen, und deshalb hält man Sie für kompetent, um ein wissenschaftliches Beratungsteam zu leiten, das auf einer Terraforming-Welt tätig werden soll.«
»Ich bin kein Wissenschaftler.«
Picard presste kurz die Lippen zusammen. »Dann müssen Sie sich auf die Beratung beschränken.«
Riker zog sich einen Stuhl heran und nahm Platz. »Terraformer sind für ihre Sturheit bekannt. Sie nehmen nicht gern den Rat von Außenstehenden an.«
Picard sah auf einige Unterlagen, die den Planeten Paradies beschrieben, und er nickte langsam. »Ich habe ähnliche Erfahrungen gesammelt. Aber das Oberhaupt dieser Gruppe, ein gewisser Jackson Carter, steht in dem Ruf …«
»Einen Augenblick. Jackson Carter?«
»Ja. Warum? Kennen Sie ihn?«
»Haben Sie seine Daten hier?«
Picard hatte alle notwendigen Informationen in Hinsicht auf Paradies und die dort lebenden Terraformer erhalten. Er rief Carters Biographie auf den Computerschirm. »Ja.«
»Geburtsort?«
Picard las die Angabe in der entsprechenden Rubrik und sah erstaunt auf. »Valdez, Alaska.«
Riker schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich fasse es nicht! Squibby!«
»Da Sie im gleichen Ort wie Mr. Carter geboren sind und seinen Spitznamen kennen, nehme ich an, dass Sie Freunde waren.«
Riker grinste breit. »Eine ausgezeichnete Schlussfolgerung, Captain.«
»Nun, in meiner Freizeit bin ich Detektiv«, erwiderte Picard bescheiden.
Die Gedanken des Ersten Offiziers waren viele Milliarden Kilometer entfernt und weilten in einer Vergangenheit, von der ihn mehrere Jahrzehnte trennten. »Mein Gott … Squibby. Nach so langer Zeit.«
»Warum ausgerechnet ›Squibby‹?«
»Weil er wie ein Squibby aussah – was auch immer das gewesen sein mag«, antwortete Riker. »Ein entsprechendes Gesicht, ein entsprechender Charakter. Irgend jemand gab ihm diesen Spitznamen, und daraufhin nannten ihn alle Squibby.«
»Und dieser Jemand …«
»Ich«, gestand Riker ein. »Er verabscheute den Namen und zahlte es mir heim, indem er mich …«
Er unterbrach sich zu spät: Picards Interesse war geweckt. »Indem er Sie wie nannte?«
»Oh, das ist nicht weiter wichtig.«
Der Captain hatte seinen Ersten Offizier nur einmal so verlegen erlebt – als er erfuhr, dass Troi in Hinblick auf den betazoidischen Geschlechtstrieb geschwindelt hatte. Normalerweise ruhte Riker so sehr in sich selbst, dass Picard der Versuchung nicht widerstehen konnte, ihn ein wenig zu piesacken. »Sie brauchen es mir natürlich nicht zu sagen, wenn Sie nicht wollen, Nummer Eins.«
»Gut.«
»Allerdings …«
»Oh …«
»Ich könnte Ihnen befehlen, mir Auskunft zu geben.«
Riker schnitt eine Grimasse. »Captain, bitte zwingen Sie mich nicht …«
»Sie zwingen?« Picard gab sich schockiert und fügte steif hinzu: »Nummer Eins, ich respektiere das Recht meiner Besatzung auf ihre Privatsphäre …«
»Danke, Sir«, sagte Riker erleichtert.
»Allerdings …«
»Lieber Himmel …«
Deanna Trois Insignienkommunikator summte, und sie berührte das kleine Gerät. »Hier Troi.«
»Deanna? Ich bin's, Beverly. Wo sind Sie?«
»In der Holo-Kammer von Deck acht.«
»Entschuldigen Sie bitte. Es lag mir fern, Sie zu stören …«
»Schon gut. Ich wollte nur eine Zeitlang allein sein.«
»Oh.«
Deanna lächelte, als es einige Sekunden lang still blieb. »Möchten Sie mir Gesellschaft leisten?«
»Wenn es Sie nicht stört …«
»Nein, seien Sie unbesorgt.«
Kurze Zeit später kam Beverly Crusher herein – und blieb wie angewurzelt stehen.
Ein herrlicher Anblick bot sich ihr dar. Hinter dem Zugangsschott des Holo-Decks erstreckte sich eine zerklüftete Landschaft. Gewaltige Berge ragten in die Höhe, gewölbt wie die Finger einer Welt, die sich selbst liebkoste. Der Himmel war ein schimmernder Regenbogen, und die einzelnen Lichtstreifen zitterten.
Die Ärztin drehte den Kopf und sah Deanna Troi, die mit überkreuzten Beinen auf einem schmalen Felsvorsprung saß und zum bunten Firmament emporblickte.
Beverly schwieg, um nicht den zauberhaften Bann zu brechen. Sie näherte sich leise, nahm etwa einen Meter hinter der Counselor Platz. Auf diese Weise blieben sie sitzen, während sich die Zeit zu dehnen schien.
»Der Singende Himmel«, sagte Troi schließlich.
»Er singt? Ich höre gar nichts.«
»Um ihn zu hören, müssen Sie Ihrem inneren Kosmos lauschen«, erklärte Deanna.
»Wie meinen Sie das?«
»Dies ist ein Ort auf meiner Heimatwelt. Er dient dazu, nachzudenken und in sich zu gehen. Er schenkt wundervolle Melodien, aber man hört sie nur inmitten der eigenen Gedanken.« Sie wandte sich zu Crusher um, und ihre großen Augen glänzten. Beverly konnte sich fast Sphärenklänge hinter ihnen vorstellen. »Um die Musik zu hören, muss man in sich selbst ruhen.«
Crusher schloss die Augen, befreite ihr Bewusstsein von allem Ballast und lauschte.
Nichts. Sie gestand es laut ein: »Nichts.«
»Niemand hört die Musik sofort. Es dauert eine Weile, um sich zu ihr vorzutasten. Wer sie vernimmt, ist im Einklang mit der Welt und sich selbst. Das sind die beiden Voraussetzungen, um die Melodien erklingen zu lassen. Auf diese Weise testet man empathische Fähigkeiten.«
Beverly glaubte, einen Hauch von Kummer zu spüren. »Und wie schneiden Sie heute bei diesem Test ab?«
Troi stand langsam auf und strich ihr Haar zurück. »Heute ist die Musik leiser als sonst«, gab sie zu.
»Warum? Wenn es am Kartenspiel liegt – dafür möchte ich mich entschuldigen. Es lag keineswegs in meiner Absicht, Sie von Ihrem Platz zu verdrängen …«
Troi bedachte sie mit einem amüsierten Blick. »Sie haben meinen Platz eingenommen?«
Beverly nickte betrübt.
»Offenbar bedauern Sie es jetzt.«
»Ich möchte nicht darüber sprechen.«
»Wie Sie wünschen.«
»Glücklicherweise hörten wir auf, als Captain Picard Commander Riker zu sich bestellte.«
Troi setzte sich wie in Zeitlupe, wirkte dabei wie eine Puppe, aus der langsam die Luft entwich. »Er verlässt uns.«
»Wer?«
»Commander Riker.«
Beverly runzelte die Stirn und ließ sich neben der Counselor zu Boden sinken. »Woher wissen Sie das?«
»Ich habe den emotionalen Aufruhr des Captains gespürt. Aus diesem Grund verließ ich die Pokerrunde. Picard erklärte mir alles und bat mich, nicht vor ihm mit Will zu sprechen.«
»Hat er den Ersten Offizier inzwischen informiert?«
Troi schien aus ihrer inneren Welt zurückzukehren. »Ja. Will ist nicht gerade glücklich über seine neue Einsatzorder, aber er wird sich natürlich daran halten. So verlangt es die Pflicht von ihm.«
»Und was fühlen Sie in diesem Zusammenhang?«
»Das spielt keine Rolle.«
»Für mich schon.«
Daraufhin lächelte Troi und berührte Beverlys Hand. »Wissen Sie … Ich habe Will lange nicht gesehen und geglaubt, er sei nicht mehr in meinen Gedanken. Dann begegneten wir uns wieder, und zuerst hatte ich den Eindruck, nie von ihm getrennt gewesen zu sein. Aber gleichzeitig gab es eine neue Distanz zwischen uns. Ach, es ist so frustrierend. Alles.«
»Alles was?«
»Einfach alles. Zum Beispiel O'Brien. Er wollte nicht, dass ich weiterhin an der Pokerrunde teilnahm – weil er befürchtete, ich hätte keine Kontrolle über meine telepathischen Fähigkeiten. Und dabei ging es nur um ein Kartenspiel. So sind die Menschen, Beverly. In ihren Gedanken sehen sie ein privates Refugium. Manchmal denken sie Dinge, die nie in ihrem Verhalten zum Ausdruck kommen. Wenn sie mit jemandem konfrontiert werden, der ihre Gedanken spürt, so fürchten sie sich vor der betreffenden Person.«
»Ich fürchte mich nicht vor Ihnen«, sagte Beverly. »Und der Captain … Er braucht Ihre Hilfe, um seine Aufgaben wahrzunehmen.«
»Er kennt mich, und daher vertraut er mir. Aber für viele Besatzungsmitglieder bin ich geheimnisvoll und mysteriös. Sie wissen nichts von den Beschränkungen meiner Begabung. Sie können sich abschirmen, wenn sie nicht wollen, dass ich ihre Empfindungen wahrnehme, aber davon haben sie keine Ahnung. Sie begreifen nicht, dass ich mich konzentrieren muss, um Emanationen zu empfangen. So etwas passiert keineswegs ›zufällig‹. Empathie erfordert Kooperation zwischen zwei Personen. Es wäre absurd, sie mit … geistiger Vergewaltigung oder etwas in der Art zu vergleichen.«
»Geben Sie den Menschen Zeit. Früher oder später werden sie es lernen. Sie sind nur nervös, wenn es um Dinge geht, die sie nicht ganz verstehen.« Beverly lächelte. »Es ist erst einige Jahrhunderte her, seit die Begegnung mit etwas Fremdem in meiner Heimat zu einer von drei möglichen Reaktionen führte: Man brachte es um, korrumpierte es oder versuchte, Geld damit zu verdienen. Zum Glück sind wir geistig gewachsen. Aber je größere Fortschritte wir erzielen, um so mehr wird uns klar, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt.«
Troi nickte und blickte wieder zum Himmel hoch. Das bunte Licht des Regenbogens spiegelte sich in ihren dunklen Augen wider.
Beverly sah ebenfalls zum Firmament empor und lauschte. Nach wie vor blieb alles still. »Ich würde die Musik gern hören«, murmelte sie.
»Versuchen Sie es erst mit etwas Einfachem.«
»Zum Beispiel?«
»Ihr Herzschlag. Sie sind Ärztin. Wenn Sie Ihren Herzschlag hören, so haben Sie den ersten Schritt zu den Melodien des Singenden Himmels hinter sich.« Deanna Troi schmunzelte. »Und vielleicht fällt es Ihnen dann auch leichter, beim Poker zu gewinnen.«
Riker befand sich in der Kabine des Ersten Offiziers und packte seine Sachen zusammen, als der Türmelder summte.
»Herein.« Er wusste bereits, wer ihn besuchen wollte.
Er nickte Deanna zu; hinter ihr schloss sich das Schott wieder. »Offenbar hat sich die Nachricht schnell herumgesprochen.«
»An Bord eines Raumschiffs finden Neuigkeiten immer besonderes Interesse.«
»Das ist sehr vorsichtig ausgedrückt.« Riker schmunzelte.
Deanna trat auf ihn zu, änderte dann die Richtung und nahm in einem nahen Sessel Platz. »Der Planet, zu dem du fliegst … Es scheint eine recht unwirtliche Welt zu sein.«
»Ja.«
»Wir werden dich alle vermissen.«
Riker legte zwei weitere Hemden in den Koffer. »Hast du eine Meinungsumfrage veranstaltet?«
»Ich werde dich vermissen.«
»Ah.« Er drehte sich um und grinste breit. »Nun, eigentlich solltest du daran gewöhnt sein. Immerhin haben wir uns einige Jahre lang nicht gesehen.«
»Glaubst du etwa, dass ich während unserer Trennung jeden Tag an dich gedacht habe?«, spottete Deanna.
»Eine solche Annahme wäre lächerlich«, erwiderte Riker betont ernst. »Ich habe nie an dich gedacht.«
»Mir erging es ebenso.« Ein sanftes Lächeln umspielte die Lippen des Ersten Offiziers, und in Gedanken formulierte er andere Worte. Natürlich verzichtete er darauf, sie laut auszusprechen. Ich habe nie an dich gedacht, weder an dein seidenes Haar noch an deine melodische Stimme. Ich habe nie an die Zärtlichkeit deiner Worte gedacht, an die dunklen Augen, in denen man sich verlieren kann. Nein, das alles kam mir nie in den Sinn.
Deanna stand auf und kam langsam näher. Einen Meter vor ihm verharrte sie und verschränkte die Arme. Sie gab keine Antwort, lächelte wissend und dachte: Du warst nur eine vage Erinnerung. Ich konnte mich kaum daran entsinnen, das Pochen deines Herzens an meinem zu spüren. Nach einer Weile wusste ich gar nicht mehr, wie sich deine starken Hände anfühlten. Ich vergaß dein Lachen, die dünnen Falten, die sich dabei in deinen Augenwinkeln bildeten. Andere, wichtigere Erinnerungen überlagern diese banalen Reminiszenzen.
Die ganze Zeit über herrschte Stille.
Sie standen sich gegenüber, und nach einer Weile streckte Riker die Hand aus. Troi ergriff sie und drückte fest zu. »Auf Wiedersehen, Commander. Ich werde auch weiterhin nicht an dich denken.«
»Danke, Counselor. Die Gedanken an dich werden in meinem Bewusstsein nicht mehr Platz beanspruchen als bisher.«
Einige Lichtjahre entfernt, irgendwo in den Verborgenen Bergen auf Paradies, stimmte der Anführer der Wilden Dinge ein erwartungsvolles Heulen an.
Borjas' erste Worte lauteten: »Entschuldige bitte.«
Picard hatte sich in den Transporterraum begeben, um Borjas zu begrüßen. Sie hatten sich schon lange nicht mehr gesehen, und es überraschte ihn festzustellen, wie ausgezehrt sein alter Freund wirkte. Der Kommandant der Nimitz entschuldigte sich unmittelbar nach seinem Retransfer, als er von der Transporterplattform trat – als fürchtete er, andernfalls ließe Picard ihn nicht an Bord.
Jean-Luc blinzelte überrascht und griff nach Borjas' Hand. »Du entschuldigst dich, Andy? Wofür?«
»Weil ich dich in diese Sache verwickelt habe. Eins versichere ich dir: Wenn mir vorher bekannt gewesen wäre, dass Starfleet den Irren ausgerechnet zu dir schickt … Dann hätte ich nicht etwa seine Versetzung beantragt, sondern ihn vom Transporter ins Zentrum der nächsten Sonne beamen lassen.«
»Andy!« Picard war schockiert. Er kannte Borjas als ausgesprochen friedlichen und gutmütigen Mann. Solche Bemerkungen passten überhaupt nicht zu ihm.
Und sie konnten Schaden anrichten. Aus den Augenwinkeln bemerkte Picard, wie O'Brien neugierig wurde und die Ohren spitzte. Der Captain wollte unbedingt vermeiden, dass Gerüchte entstanden, die den neuen Ersten Offizier als übergeschnappt bezeichneten.
»Ich schlage vor, wir sprechen in meinem Quartier darüber«, sagte Picard.
»Tee? Nein, du bevorzugst Kaffee. Nicht allzu stark, ohne Zucker.«
»Und koffeinfrei. Mit meinen Nerven steht es schon schlimm genug.«
Einige Sekunden später nahm Borjas einen Becher mit Kaffee entgegen, nippte daran und sah sich anerkennend in der Kabine um. »Keine üble Bude.«
»Eigentlich bin ich nur selten hier«, erwiderte Picard. Er nahm ebenfalls Platz, wölbte die Brauen und wartete darauf, dass Borjas mit seinen Schilderungen begann. Als die Stille andauerte, sagte er schließlich: »Jener Mann hat dir also Probleme bereitet.«
»Und ob! Von Anfang an. Er ist uneinsichtig, stur, aufsässig …«
»Das sind sehr ernste Vorwürfe. Hat er jemals direkten Befehlen zuwidergehandelt?«
»Ja.« Und dann, etwas ruhiger: »Das heißt, eigentlich nicht.«
»Andy«, sagte Picard langsam und versuchte zu verstehen, »die Antwort auf diese Frage sollte doch ganz einfach sein. Entweder missachtet er Befehle, oder er befolgt sie.«
»Ich kann ihn nicht mehr ertragen, Jean-Luc!«, platzte es verzweifelt aus Borjas heraus. Er verschüttete ein wenig von dem Kaffee, und Picard holte rasch einen Lappen hervor. »An Bord eines Forschungsschiffes wie der Nimitz muss die Besatzung ein Team bilden, aber der Kerl gliedert sich in keine Gemeinschaft ein. Zumindest nicht in unsere. Er ist ein Einzelgänger und will nichts mit anderen Leuten zu tun haben.«
Picard nickte. Selbstverständlich war auch in der Enterprise Teamgeist gefragt – das galt für alle Raumschiffe.
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir ihn herholen, damit wir die Angelegenheit auch mit ihm besprechen können?«, fragte er.
»Ich nehme ihn nicht zurück, Jean-Luc. Ich bedauere wirklich, dass Sie ihn jetzt am Hals haben, aber ich nehme ihn nicht zurück.«
Picard klopfte Borjas beruhigend auf die Schulter. »Keine Sorge. An den Wünschen Starfleets besteht kein Zweifel, und ich respektiere sie. Aber wenn wir die Sache ganz offen diskutieren, können wir vielleicht vermeiden, dass es auch hier zu Zwischenfällen kommt, die zu Spannungen zwischen dem Captain und seinem Stellvertreter führen.«
»In Ordnung.« Borjas berührte seinen Insignienkommunikator. »Borjas an Nimitz.«
»Hier Nimitz