Jean Paul: Leben des Quintus Fixlein aus fünfzehn Zettelkästen gezogen; nebst einem Mußteil und einigen Jus de tablette
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Carl Spitzweg, Zeitungsleser im Garten, 1847
ISBN 978-3-8430-8760-5
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-6552-8 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-8145-0 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Bayreuth 1796.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Jean Paul: Werke. Herausgegeben von Norbert Miller und Gustav Lohmann, Band 1–6, Band 4, München: Hanser, 1959–1963.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Kaufleute, Autoren, Mädchen und Quäker nennen alle Leute, mit denen sie verkehren, Freunde; und meine Leser sind also meine Gast- und Universitätsfreunde. Nun beschenk' ich zwar so viele hundert Freunde mit ebenso vielen hundert Freiexemplaren – und die Buchhandlung hat den Auftrag, jedem nach der Messe seines auf Verlangen auszuliefern gegen ein elendes Gratial und don gratuit für Setzer, Drucker und andere Leute –; aber da ich die ganze Auflage nicht wie die französischen Autoren zum Buchbinder schicken konnte: so fehlt natürlich vornen das leere Buchbinderblatt, und ich konnte also dem Empfänger des Geschenks nichts Schmeichelhaftes daraufschreiben. Ich ließ deswegen nach dem Titel einige leere Blätter einziehen; auf diese wird hier gedruckt.
Mein Buch zerfällt, wie die Buße, in drei Teile.
Den ersten oder sogenannten Mußteil, der aus zwei Erzählungen besteht und den die Reichserbküchenmeisterin der Phantasie mit Blumenwerk und Blumenmehl (wenigstens bestellt' ichs so) garnieren sollte, bescher' ich, lieben Freunde, bloß lieben Freundinnen: wahrhaftig mit beiden Erzählungen werd' ich ihnen eine ebenso große Freude machen, als brächt' ich ihnen von Leipzig anstatt dieses Meßpräsentes ein ganzes Ohrrosen-Bouquet oder Visitenbilletts auf holländischem Papier silbern gerändelt mit – oder ein Trauernegligé oder doch einen Fächer von Sandelholz mit einem Medaillon. Sie sind geborne Blumistinnen und selber gut gezeichnete Blumenstücke und lieben mithin auch in Büchern, was sie so oft begießen, sticken und brechen, – Blümchen. Das Schicksal, als Weginspektor, bestecke damit auch euere staubige Lebens-Kunststraße, und Freudenrosen sollen euere Wegmesser und Werstenzeiger sein: ich wüßte keinen bessern Einhaucher[9] oder inhalery gegen tiefere Brustschmerzen, als der Wundarzt Mudge mit der Maschine jenes Namens lindert, keinen bessern Einhaucher, sag' ich, als eueren tröstenden Mund; und eben darum schenke euch der Himmel, indes unsere Fußsohlen im heißen Sand an dem Krater des bürgerlichen Lebens waten, tiefer unten die stille fruchtbare blumige Region an diesem Vesuv und setze besonders euern Männern oder Vätern, wie die Kalendermacher der Sonne, ein menschliches Antlitz an, das auf eine schöne Weise das männliche wie das solarische Blenden mildert.
Der zweite und größte Teil des Buches enthält das Leben eines Schulmanns, das – neun oder zehn Kapitel ausgenommen – schon weniger für Mädchen passet: desto besser für sie und für mich, wenn ich mich über die sechs oder fünf andern Kapitel betrüge. Mit dieser Biographie will nun der Verfasser euch, lieben Freunde, nicht sowohl ein Vergnügen machen als euch lehren, eines zu genießen. Wahrlich Xerxes hätte nicht auf die Erfindung neuer Freuden, sondern auf eine gute Methodologie und Haustafel, die alten zu genießen, Preismedaillen bieten sollen.
Ich konnte nie mehr als drei Wege, glücklicher (nicht glücklich) zu werden, auskundschaften. Der erste, der in die Höhe geht, ist so weit über das Gewölke des Lebens hinauszudringen, daß man die ganze äußere Welt mit ihren Wolfsgruben, Beinhäusern und Gewitterableitern von weitem unter seinen Füßen nur wie ein eingeschrumpftes Kindergärtchen liegen sieht. – Der zweite ist; – gerade herabzufallen ins Gärtchen und da sich so einheimisch in eine Furche einzunisten, daß, wenn man aus seinem warmen Lerchennest heraussieht, man ebenfalls keine Wolfsgruben, Beinhäuser und Stangen, sondern nur Ähren erblickt, deren jede für den Nestvogel ein Baum und ein Sonnen- und Regenschirm ist. Der dritte endlich – den ich für den schwersten und klügsten halte – ist der, mit den beiden andern zu wechseln. –
Das will ich jetzt den Menschen recht gut erklären.
Der Held – der Reformator – Brutus – Howard – der Republikaner, den bürgerliche Stürme, das Genie, das artistische bewegen – kurz jeder Mensch mit einem großen Entschluß oder auch nur mit einer perennierenden Leidenschaft (und wär' es die,[10] den größten Folianten zu schreiben), alle diese bauen sich mit ihrer inneren Welt gegen die Kälte und Glut der äußern ein, wie der Wahnsinnige im schlimmern Sinn: jede fixe Idee, die jedes Genie und jeden Enthusiasten wenigstens periodisch regiert, scheidet den Menschen erhaben von Tisch und Bett der Erde, von ihren Hundsgrotten und Stechdornen und Teufelsmauern – – gleich dem Paradiesvogel schläft er fliegend, und auf den ausgebreiteten Flügeln verschlummert er blind in seiner Höhe die untern Erdstöße und Brandungen des Lebens im langen schönen Traume von seinem idealischen Mutterland ... Ach! wenigen ist dieser Traum beschert, und diese wenigen werden so oft von fliegenden Hunden1 geweckt! –
Diese Himmelfahrt ist aber nur für den geflügelten Teil des Menschengeschlechts, für den kleinsten. Was kann sie die armen Kanzleiverwandten angehen, deren Seele oft nicht einmal Flügeldecken hat, geschweige etwas darunter – oder die gebundnen Menschen mit den besten Bauch-, Rücken- und Ohrenfloßfedern, die im Fischkasten des Staates stille stehen und nicht schwimmen sollen, weil schon der ans Ufer lang gekettete Kasten oder Staat im Namen der Fische schwimmt? Was soll ich dem stehenden und schreibenden Heere beladener Staats-Hausknechte, Kornschreiber, Kanzelisten aller Departements und allen im Krebskober der Staats-Schreibstube aufeinandergesetzten Krebsen, die zur Labung mit einigen Brennesseln überlegt sind, was soll ich solchen für einen Weg, hier selig zu werden, zeigen? –
Bloß meinen zweiten; und das ist der: ein zusammengesetztes Mikroskop zu nehmen und damit zu ersehen, daß ihr Tropfe Burgunder eigentlich ein rotes Meer, der Schmetterlingsstaub Pfauengefieder, der Schimmel ein blühendes Feld und der Sand ein Juwelenhaufe ist. Diese mikroskopischen Belustigungen sind dauerhafter als alle teuern Brunnenbelustigungen ... Ich muß aber diese Metaphern erklären durch neue. Die Absicht, warum ich Fixleins Leben in die Lübecksche Buchhandlung geschickt, ist eben, in diesem Leben – daher ichs in diesem Billett wenig brauche – der ganzen Welt zu entdecken, daß man kleine sinnliche[11] Freuden höher achten müsse als große, den Schlafrock höher als den Bratenrock, daß man Plutos Quinterne seinen Auszügen nachstehen lassen müsse, einen NNd'or dem Notpfennig, und daß uns nicht große, sondern nur kleine Glückszufälle beglücken. – – Gelingt mir das: so erzieh' ich durch mein Buch der Nachwelt Männer, die sich an allem erquicken, an der Wärme ihrer Stuben und ihrer Schlafmützen – an ihrem Kopfkissen – an den heiligen drei Festen – an bloßen Aposteltagen – an den abendlichen moralischen Erzählungen ihrer Weiber, wenn sie nachmittags als Ambassadricen einen Besuch auf irgendeinem Witwensitz, wohin der Mann nicht zu bringen war, gemacht hatten – am Aderlaßtage dieser ihrer Novellistinnen – an dem Tage, wo eingeschlachtet, eingemacht, eingepökelt wird gegen den grimmigen Winter und so fort. Man sieht, ich dringe darauf, daß der Mensch ein Schneidervogel werde, der nicht zwischen den schlagenden Ästen des brausenden, von Stürmen hin- und hergebognen unermeßlichen Lebensbaumes, sondern auf eines seiner Blätter sich ein Nest aufnähet und sich darin warm macht. – Die nötigste Predigt, die man unserm Jahrhundert halten kann, ist die, zu Hause zu bleiben.
Der dritte Himmelsweg ist der Wechsel mit dem ersten und zweiten. Der vorige zweite ist nicht gut genug für den Menschen, der hier auf der Erde nicht bloß den Obstbrecher, sondern auch die Pflugschar in die Hände nehmen soll. Der erste ist zu gut für ihn. Er hat nicht immer die Kraft, wie Rugendas mitten in einer Schlacht nichts zu machen als Schlachtstücke und wie Bakhuisen im Schiffbruche kein Brett zu ergreifen als ein Zeichenbrett, um ihn zu malen. Und dann halten seine Schmerzen so lange an als seine Ermattungen. Noch öfter fehlet der Spielraum der Kraft: nur der kleinste Teil des Lebens gibt einer arbeitenden Seele Alpen – Revolutionen – Rheinfälle – Wormser Reichstage – und Kriege mit Xerxes, und es ist so fürs Ganze auch besser; der längere Teil des Lebens ist ein wie eine Tenne platt geschlagener Anger ohne erhabene Gotthardsberge, oft ein langweiliges Eisfeld ohne einen einzigen Gletscher voll Morgenrot.
Eben aber durch Gehen ruhet und holet der Mensch zum Steigen[12] aus, durch kleine Freuden und Pflichten zu großen. Der siegende Diktator muß das Schlacht-Märzfeld zu einem Flachs- und Rübenfeld umzuackern, das Kriegstheater zu einem Haustheater umzustellen wissen, worauf seine Kinder einige gute Stücke aus dem Kinderfreund aufführen. Kann er das, kann er so schön aus dem Weg des genialischen Glücks in den des häuslichen einbeugen: so ist er wenig verschieden von mir selber, der ich jetzt wiewohl mir die Bescheidenheit verbieten sollte, es merken zu lassen – der ich jetzt, sag' ich, mitten unter der Schöpfung dieses Billetts doch imstande war, daran zu denken, daß, wenn es fertig ist, die gebacknen Rosen und Holundertrauben auch fertig werden, die man für den Verfasser dieses in Butter siedet.
Da ich zu diesem Billett noch ein Postskript (am Ende des Buchs) anstoßen will: so spar' ich einiges, was ich noch über den dritten, halb satirischen, halb philosophischen Teil des Werks zu sagen hätte, absichtlich für die Nachschrift auf.
Hier lässet der Verfasser, aus Achtung für die Rechte eines Billetts, seine halbe Anonymität fahren und unterschreibt sich zum ersten Male mit seinem ganzen wahren Namen.
Hof im Voigtland, den 29. Jun. 1795.
Jean Paul Friedrich Richter[13]
Fußnoten
1 So heißen die Vampyren.
Ein Schweizer voltigierte (nach dem Berichte Stolbergs) einst so heftig als er konnte von der Stube auf den Sessel und von diesem wieder herunter – da man ihn darüber befragte, gab er an: »er mache sich lebhaft«. – Aber Normänner wie ich brauchen schon halbe Tagreisen, wenn sie so feurig werden wollen, daß sie den Plan eines Kapitels glücklich entwerfen. Schon Erasmus arbeitete sein Lob der Narrheit auf dem Sattel aus (da er nach Italien ritt), und der englische Dichter Savage sein Trauerspiel Overbury auf den Londner Gassen – wiewohl sein Leben selber eines war, kein bürgerliches, sondern ein adeliges, da er sich von seiner natürlichen Mutter, der Gräfin von Macclesfield, jährlich 200 Pf. auszahlen ließ, damit er kein Pasquill auf sie machte, sondern eben dadurch nur eines auf sie wäre –; von mir aber ist gar bekannt, daß ich vor einigen Jahren die große Tour machte, bis ich gleich einem jungen Herrn mit dem Risse oder Knochengebäude der »Mumien« wiederkommen konnte; ja sollt' ich mich einmal zu einem epischen Werke wie die Odyssee entschließen, so müßte sich wohl der Sänger so lange auf seiner pittoresken Entdeckungsreise aufhalten als der Held selber.
Hingegen zur Zeugung einer Vorrede zur zweiten Auflage hab' ich nie mehr nötig erachtet als eine Fußreise von Hof nach Baireuth, einen Katzensprung über drei Poststationen. Ich such' aber etwas darin, wenn ich das Erstaunen der Nachwelt und ihrer Vorfahren dadurch erregen kann, daß ich beide auf die baireuthische Kunststraße mitnehme, auf der ich hinlaufe – im Webstuhl der Vorrede eingesperrt und mit dem Weberschiffchen werfend –, ohne doch etwas Rechtes herauszubringen. Ich trug nämlich die offne Schreibtafel vor mir her, um die Vorrede, wie sie mir Satz[16] für Satz entfiel, darin aufzufangen; aber wenige Autoren wurden noch so in ihren Vorreden gestört. Ich will es ausführlich erzählen.
Der moralische Gang des Menschen gleicht seinem physischen, der nichts ist als ein fortgesetzter Fall.
Schon der Höfer Schlagbaum, unter dem man den Chausseezoll erlegt und der hinter dem Vis-à-vis einer Dame niedersank, die ihn abgetragen, fiel hart wie ein Stoßvogel und Eierbrecher auf den Kopf des Vorberichts: denn ich wollte der Dame durchaus vorlaufen, um ihr ins Gesicht zu sehen; und mithin wurde unter dem Nachdringen wenig an die Weberei der Vorrede gedacht, wiewohl ich dem Vis-à-vis fruchtlos nachsetzte. Mit unbekannten Frauenzimmern ists ganz anders wie mit unbekannten Büchern. Ich nehme nie ein Buch, das ich noch nicht gelesen, in die Hände, ohne wie ein Rezensent vorauszusetzen, es sei elend. Hingegen bei einer unbekannten Frau nimmt jeder Mann, gesetzt er hätte schon 30 000 Abgöttinnen2 kennen und vergessen gelernt, von neuem an, diese 30 001ste sei erst die echte unverfälschte heilige Jungfrau – die Gottesgebärerin – die Göttin selber. Das nahm ich gleichfalls an auf dem Straßendamm; wenigstens konnt' ich doch eine Frau, an deren gepuderten und aufgelockten Hinterkopf die Morgenröte so deutlich anfiel, zu den gebildeten weiblichen Köpfen zählen, welche – da nach Rousseau Eisen und Getreide die Europäer kultivieret haben – den feinern Fabrikaten aus beiden, den Haarnadeln und dem Puder, jene Bildung verdanken, die nun, hoff' ich, unter den weiblichen Köpfen bürgerlichen Standes schon etwas Gemeines ist. Gegen diese äußere Kultur einer Frau sollte sich kein Ehemann sperren, der an der seinigen eine gutgemachte papinianische Kochmaschine – eine Schäferische Waschmaschine – eine englische Spinnmaschine – und eine Girtannerische Respirationsmaschine besitzen will: er zeigt sonst, daß er eine unschuldige Ausbildung mit der innern, von der überhaupt Honoratiorinnen im ganzen frei sind, verwechsele. Kultur ist, gleich dem Arsenik, den Blei-Solutionen und den Wundärzten, bloß äußerlich gebraucht etwas Herrliches und Heilsames: innen im weiblichen Kopf, der so leicht brennend wird,[17] schneuzet oder bläset der Ehemann das Licht aus Vorsicht aus, so wie man aus derselben Vorsorge nachts nie ein physisches in die kaiserliche Bibliothek in Wien einlässet. – –
Nun schlang gar der Wald die Dame hinein, und ich stand leer auf der offnen Chaussee. Mein Verlust brachte mich auf die Vorrede zur zweiten Auflage zurück. Ich fing sie in der Schreibtafel an; und hier folgt sie, so viel als ich davon nahe bei Hof fertigbrachte.
»Der Poet trägt sehr oft wie ein gebratener Kapaun unter seinen Flügeln, womit er vor allen besetzten Fenstern der gelehrten Welt aufsteigt, rechts seinen Magen, links seine Leber. Überhaupt denkt der Mensch hundertmal, er habe den alten Adam ausgezogen, indes er ihn nur zurückgeschlagen, wie man die Negerschwarte des Schinkens zwar unterhöhlet und aufrollet, aber doch mit aufsetzt und noch dazu mit Blumen garniert.«...
Allein jetzt ging hinter mir die Sonne auf. – Wie werden vor dieser Erleuchtung des ewigen, sich selber aus- und ineinander schiebenden Theaters voll Orchester und Galerien die Vorreden und das Krebsleuchten der Rezensenten und die phosphoreszierenden Tiere, die Autoren, so blaß und so matt und so gelb! Ich hab' es oft versucht, vor der jährlichen Gemälde-Ausstellung der langen unabsehlichen Bildergalerie der Natur an Buchdruckerstöcke, an Finalstöcke, an Schmutzblätter und an Spatia der Buchdrucker zu denken – – aber es ging nicht an, ausgenommen mittags, hingegen abends und morgens nie. Denn gerade am Morgen und am Abende und noch mehr in der Jugend und im Alter richtet der Mensch sein erdiges Haupt voll Traum- und Sternbilder gegen den stillen Himmel auf und schauet ihn lange an und sehnet sich bewegt; hingegen in der schwülen Mitte des Lebens und des Tages bückt er die Stirn voll Schweißtropfen gegen die Erde und gegen ihre Trüffeln und Knollengewächse. So ist die mittlere Lage einer Spielkarte aus Makulatur gemacht,[18] nur die zwei äußersten Lagen aber aus feinem Druckpapier; oder so richtet sich der Regenbogen nur in Morgen und Abend, nie in Süden auf.
Als mich die Straße immer höher über die Täler hob, wurd' ich zweifelhaft, wem ich treu bleiben sollte – ob der erhabenen Allee und Kolonnade von Bergen, die ich linker Hand, oder dem magischen Vis-à-vis mit dem gebildeten Kopfe, das ich geradeaus vor mir hatte – ich sah ein, auf der linken Tabor-Berg-Kette verkläre sich der Geist und stehe in ausgehauenen Fußtritten weggeflatterter Engel fest, aber im Vis-à-vis saß ja der herabgeflogene Engel selber.
An Vorberichte war nicht zu denken. Zum Glück nahm ich unweit Münchberg neben den großen Gerüsten der Natur, welche die Seele wie Reben stengeln, noch eines wahr, das sie zur Kriech- und Zwergbohne eindrückt, nämlich den Rabenstein und einen wohlgekleideten Herrn, der darauf botanisierte. – Beiläufig! kein Gras auf Rasenbänken oder in Festungen oder auf Wouvermans Leinwand ist ein so schönes bowling-green als das auf Rabensteinen, das gleichsam ein Ernte- und Belagerungkranz (corona obsidionalis) der siegenden Menschheit ist. Ach es stehen ohnehin so viele rote Wolken voll Blutregen über der Erde und tropfen! – Ich fassete mich jetzt als Vorredner und stellte mir vor: »Es ist nicht zu verhehlen, daß du vor der ersten Station, vor Münchberg, stehest und noch wenig mehr von dem Vorbericht herausgetrieben hast als den ersten Schuß: auf diese Art wirst du durch Gefrees, durch Berneck und Bindloch kommen ohne den geringsten Zuwachs der Vorrede, besonders wenn du darin kein Wort sagen willst, als was zu einem vorigen und künftigen wie ein Zwickstein passet. Steht es dir denn nicht frei, wie Herr von Moser zu arbeiten (der Gevatter und Vorläufer deiner Zettelkästen), der in seinem Leben keinen zusammenhängenden Bogen geschrieben, sondern nur Aphorismen, Gnomen, Sinnsprüche, kurz nichts mit Flechtwerk?« Ich mußte mir recht geben; und fuhr demnach bandfrei wie gute Klaviere und in thesibus magistralibus, ohne andere Verbindungen und Bastpflanzen als denen auf dem Rabenstein, so fort in der[19]
»Es ist eine ewige Unart der Menschen, daß sie alle Schrammen und Pockengruben ausgestandener Jahrhunderte, alle Nachwehen und Feuermäler der vorigen Barbarei nie anders wegschaffen lassen als zweimal – erstlich durch die Zeit, dann zweitens (obgleich bald darauf, oft im nächsten Jahrhundert) durch Edikte, Kreisschlüsse, Reichsabschiede, Landtagabschiede, pragmaticas sanctiones und Vikariatkonklusa – – dergestalt, daß unsere verdammten skorbutischen, rostigen, kanigen Narrheiten und Gebräuche gänzlich den fürstlichen Leibern gleichen, die ebenfalls zweimal begraben werden, das erstemal heimlich, wenn sie stinken, das zweitemal öffentlich in einem leeren zweigehäusigen Paradesarg, dem Trauerfahnen, Trauermäntel, Trauerstuten niedergeschlagen folgen.« –
Die Fortsetzung der Vorrede folgt.
Der Botaniker der Galgen-Flora hatte mich unter dem Schreiben eingeholt und gestört. Ich erstaunte, den Herrn Kunstrat Fraischdörfer aus Haarhaar3vor mir zu haben, der nach Bamberg ging, um von einem Dache oder Berge irgendeiner zu hoffenden Hauptschlacht zuzusehen, die er als Galerieinspektor so vieler Schlachtstücke, ja selber als Kritiker der homerischen nicht gut entbehren kann. – Mein Gesicht hingegen war ihm ein unbekanntes inneres Afrika. Ein Mann muß sich wenig in der literarischen Weltgeschichte umgesehen haben, dem man es erst zu sagen braucht, daß der Kunstrat sowohl in der neuen allgemeinen deutschen bibliothekarischen als in der haarhaarischen, scheerauischen und flachsenfingischen Rezensier-Faktorei mitarbeite als einer der besten Handlungdiener. Wie man einen Kürbis in einen Karpfenteich als Karpfenfutter einsetzt: so senkt er seinen nahrhaften Kopf in manches ausgehungerte Journalistikum ein als Bouillonkugel. Da nun der Kunstrat, dem ich doch nie etwas zuleide getan, schon an mehren Orten deutliche Winke fallen lassen, er[20] wolle mich in kurzem rezensieren: so war mir fatal zumute; denn es gibt zwischen nichts eine größere Ähnlichkeit und Antipathie zugleich als zwischen einem Rezensenten und Autor, wiewohl derselbe Fall auch beim Wolf und Hunde ist. Ich münzte daher meinen Namen als mein eigner Falschmünzer um und sagte mich als einen ganz andern Menschen an: »Sie sehen hier« sagt' ich zum Kunstrat, »den bekannten Egidius Zebedäus Fixlein vor sich, von dessen Leben mein Herr Gevatter Jean Paul der Welt eine zweite Auflage zu schenken gesonnen – wiewohl ich täglich noch fortlebe und mithin immer neues Leben, das man beschreiben kann, nachschieße.« – Die Seele des Kunstrates war jetzt nicht wie die nachgestochene im orbis pictus aus Punkten zusammengesetzt, sondern aus Ausrufungzeichen; andere Seelen bestehen aus Parenthesen, aus Gänsefüßen, die meinige aus Gedankenstrichen. Er forschte mich, da er mich für den Quintus hielt, nun aus, ob mein Charakter und mein Haushalten zu dem gedruckten paßten. Ich teilte ihm viele neue Züge von Fixlein mit, die aber in der zweiten Auflage stehen, weil er mir sonst öffentlich vorwirft, ich hätte mein Original mager porträtiert. Er brachte alle meine Straßenreden sogleich zu Pergament, weil er nichts behalten konnte; daher hatt' er einige hauptstärkende Kräuter zu einer Kräutermütze auf dem Rabensteine gesammelt. Fraischdörfer gestand mir, steckte einer seine Studierstube mit den Exzerpten und Büchern in Brand, so wären ihm auf einmal alle seine Kenntnisse und Meinungen geraubt, weil er beide in jenen aufbewahre; daher sei er auf der Straße ordentlich unwissend und dumm, gleichsam nur ein schwacher Schattenriß und Nachstich seines eignen Ichs, ein Figurant und curator absentis desselben.
Überhaupt ist der Tempel des deutschen Ruhms eine schöne Nachahmung des athenischen Tempels der Minerva, worin ein großer Altar für die Vergessenheit stand.4 Ja wie die Florentiner sich ihren Pandekten nur ehrerbietig in einem Staatkleide und mit Fackeln nähern, so nehmen wir aus derselben Ehrfurcht die Werke unserer Dichter nur in Bratenröcken in Gesellschaft zur Hand und nähern solche selber den Kerzen und fachen damit das Feuer[21] in allen guten Köpfen aus – Meerschaum an. – Ich bin oft gefragt worden, woher es komme, daß der alternden Welt, in deren Gedächtnis sich doch die ältesten Werke von tausend Messen her, die eines Plato, Cicero, sogar Sanchuniathons, erhalten, gleichwohl die allerneuesten, z.B. die Ritterromane von den letzten Messen, kantianische, wolffianische, theologische Streitschriften, Bunkels Leben, die besten Inauguraldisputationen und pièces du jour, Hirtenbriefe und gelehrte Zeitungen, oft in dem Monate entfallen, worin sie davon hört. Meine Antwort war gut und hieß: da es wohl keine mystische Person von einem solchen Alter gibt als die Welt, die ein wahrer alter eingerunzelter Kopf von Denner ist und die nun anfängt (wie es wohl kein Wunder ist), vor Marasmus schwach und fast kindisch zu werden: so ist sie natürlicherweise von dem Übel alter Personen nicht frei, die alles, was sie in ihrer Jugend gehört und gelesen, trefflich festhalten, hingegen was sie in ihren alten Tagen erfahren, in einer Stunde vergessen. Daher denn unsere Bücher den Lumpen in der Papiermühle gleichen, von denen sie genommen sind, unter welchen der Papiermüller die frischen allzeit früher zur Fäulnis bringt als die alten. –
Im Grunde hätt' ich das als einen abgesonderten Satz in der Vorrede zur zweiten Auflage aufstellen können.
Über Münchberg erbosete sich der Kunstrat ungemein: entweder die Häuser oben auf dem Berge oder die unten sollten weg; er fragte mich, ob Gebäude etwas anders als architektonische Kunstwerke wären, die mehr zum Beschauen als zum Bewohnen gehörten und in die man nur mißbrauchsweise zöge, weil sie gerade wie Flöten und Kanonen hohl gebohret wären, wie die Bienen sich im hohlen Baum ansetzen, anstatt um dessen Blüten zu spielen. Er zeigte das Lächerliche, sich in einem Kunstwerk einzuquartieren, und sagte, es sei so viel, als wollte man Heems5Gefäße zu Käsenäpfen und Federtöpfen verbrauchen, oder den Laokoon zum Baßgeigenfutteral und die mediceische Venus zur Haubenschachtel aushöhlen. Er wunderte sich überhaupt, wie der König Dörfer leiden könnte; und gestand frei, es mach' ihm als[22] Artisten eben kein Mißvergnügen, wenn eine ganze Stadt in Rauch aufginge, weil er alsdann doch die Hoffnung einer neuen schönern fasse.
Er war nicht von mir wegzubringen: jetzt griff er, außerhalb Münchberg, statt der Münchberger mich selber an und stäupte meine opera. Ach die Vorrede zur zweiten Auflage sowohl als das fliehende Vis-à-vis ließen mich und meine Wünsche immer weiter hinter sich, und ich hatte von der ganzen Dame wie von einer gestorbnen nichts mehr im Auge als den fernen nachfliegenden Staub, den ich indes für viel Märzenstaub und Punsch- und Demantpulver nicht weggegeben hätte. Der Kunstrat und Fraisherr kielholte und säckte jetzt meinen Gevatter – Jean Paul, denn mich hielt er, wie gesagt, für den Quintus – und verdacht' es jenem, daß er seinen biographischen Brei nicht wie Landleute recht glatt auftrage, und daß er sich überhaupt nicht vor dem Spiegel der Kritik anputze. Ich nahm mich des gekränkten abwesenden Mannes an und sagte, so viel ich aus seinem Munde wisse, so heb' er sich gerade auf den Schwungbrettern und an den Springstäben und Steigeisen der Kritik mehr als mit den Oberflügeln seiner Psyche auf, ja er habe kritische Briefe unter der Feder, worin er die Kritik auf Kosten der Kritiker preise und übe – eben diese kritische Manipulation schwelle seine Werke so sehr auf, wie die Nasen größer und langer werden durch häufiges Schneuzen. Und wahrhaftig so ist es: ich begreif' es nicht, wie ein Mensch ein Werkchen schreiben kann, das kaum ein halbes Alphabet stark ist; ein Bogen in der Ferne breitet sich ja notwendig in der Nähe zu einem Buche aus, und ein Buch zum Ries: ein opus, das, wenn ich es eben hinwerfe, gleich einem neugebornen Bären nicht größer ist als eine Ratze, leck' ich mit der Zeit zu einem breiten Landbären auf. Der Kritiker sieht freilich nur, wie viel der Autor behalten hat, aber nicht, wie viel er weggeworfen; daher zu wünschen wäre, die Autoren hingen ihren Werken hinten für die Rezensenten die vollständige Sammlung aller der elenden dummen Gedanken an, die sie vornen ohne Schonen ausgestrichen, um so mehr, da sie es ja, wie z.B. Voltaire, bei der letzten Herausgabe ihrer opera wirklich tun und hinten für feinere[23] Leser einen Lumpenboden des Auskehrigs der ersten Editionen anstoßen und aufsparen, wie etwan einige preußische Regimenter den Pferdestaub zurücklegen und vorrätig halten müssen, zum Beweise, daß sie gestriegelt haben. –
Jetzt säuerte er allmählich aus Bieressig zu Weinessig: er sagte mir geradeheraus: »Sie wissen nicht, für wen Sie fechten: Ihr Herr Gevatter hat Dero Kniestück selber zu einer Bambocchiade gemacht und Sie nicht mit den intellektuellen Vorzügen ausgesteuert und ausgestellt, die Sie doch, wie ich jetzt höre, wirklich haben. Ich konnte auf dem Druckpapier wenigen Anteil an Ihro Hochehrwürden nehmen, erst auf der Chaussee.« Ich wünschte, er zöge auch diesen zurück, und fiel absichtlich aus meinem Fixleinischen Charakter heraus, indem ich pikiert sagte: »Wenn Leser, zumal Leserinnen meinen komischen Charakter oder überhaupt einen unvollkommen nicht goutieren, so erklär' ich mir es gut: sie haben keinen Geschmack an schreibenden Humoristen, geschweige an handelnden; auch wird es einer engen Phantasie schwerer, sich in unvollkommne Charaktere zu denken als in vollkommne und sich für sie zu interessieren – endlich hat der Leser einen Helden lieber, der ihm ähnlich ist, als einen unähnlichen; unter einem ähnlichen meint er aber allzeit einen herrlichen Menschen.« – Gewiß! Denn wie Plutarch in seinen Biographien jeden großen Mann gegen einen zweiten großen wiegt und vergleicht, so hält der Leser jeden großen Charakter einer Biographie leise mit einem zweiten großen zusammen (welches seiner ist) und gibt acht, was dabei herauskömmt. Aus diesem Grunde schätzen Mädchen eine vollkommene weibliche Schönheit und Grazie ungemein hoch in der Schilderei des Romans (so sehr verschönert der Dichter das Fatalste), und sehnen sich wenig danach in der Plastik und Skulptur der Wirklichkeit – so wie häßliche Dinge, Eidechsen und Furien, nur von der Malerei, aber nicht von der Bildhauerkunst gefallend darzustellen sind –; für das Mädchen ist nämlich der Roman ein treuer Spiegel, und es kann darin die Heldin sehen.
Der Kunstrat tat jetzt vor dem Dorf, »die drei Bratwürste« genannt, den Wunsch, Ziegenmilch darin zu trinken. Ich fragte ihn,[24] ob ers wie die vornehmen Leute mache, die – weil Huart einen achttägigen Trank von Ziegenmilch als ein Hausmittel vorschlägt, ein Genie zu zeugen – sich eben deshalb zum Geiß-Kordial entschließen und dann sehen, wozu es führt. Daß sie, wenigstens die Fürsten, ihn nicht der Schwindsucht halber trinken, beweisen wohl die Versuche, die sie nachher machen. Aber der Kunstrat wurde nur darum der Milchbruder Jupiters, weil die Parzen den Lebensfaden völlig von den Spindeln seiner Beine abgeweifet hatten: er stand gleichsam schon als ein ausgebälgter, gutgetrockneter, mit Äther gefüllter Vogel im Naturalien-Glasschrank da. Er sagte, man müßte entweder sich und die Bücher oder die Kinder aufopfern, so wie der Landwirt, setzt' ich hinzu, eines von beiden schlecht annehmen muß, entweder den Leindotter oder den Flachs.
Während der Milchkur wurden wir beide einander noch verhaßter, als wirs schon waren, und das eingeschluckte Krötenlaich unserer Antipathie wurde durch die gelinge Wärme der edeln Teile zu ordentlichen Kröten ausgebrütet. Ich wurde ihm gram, weil ich hier in den drei Bratwürsten stehen mußte und allem Anschein nach in Gefrees ankam, ohne irgend etwas Schönes gesehen oder geschrieben zu haben (ich rede von dem Vis-à-vis und der Vorrede), und überhaupt weil Fraischdörfer zugleich Mattgold, Katzengold und Platzgold war. Eine elendere Mixtur gibt es nicht. Zog er nicht sogar unter dem Käuen sich wie ein Dentist seine Schneidezähne aus, weil bloß die Hundzähne echt waren und genuin? Konnt' ich nicht, als er den Rock aufknöpfte, deutlich sehen, daß der Bauch seiner Weste seiden und marmoriert, hingegen der Rücken derselben weiß und leinen war, als wär' er ein Dachs, der, wie Buffon bemerkt, als Widerspiel aller Tiere lichtere Haare auf dem Rücken hat und die dunklern unter dem Bauch? – Und was seinen Zopf anlangt, so ist wohl gewiß, daß seiner nur an der Spitze eignes Haar aufzeigt und übrigens lang und falsch ist, meiner aber klein und echt, gerade als hätte uns die Natur und Linnäus wie zwei bekannte Tiere unterscheiden wollen.6[25]
Er für seine Person setzte gleichfalls den Lavendelessig des Ingrimms auf einer guten Essigmutter an und wollte mich damit wie einen Pestkranken besprengen: er bildete sich nämlich ein, ich belög' ihn oder hätt' ihn zum Narren und wäre gar der Quintus nicht, wofür ich mich gab, sondern etwan wohl mein Gevatter selber. Er schloß das aus meinem Scharfsinn. Um hinter mich zu kommen, so ließ er den Lumpenhacker seiner Mühle los und stieß damit unter alle meine Werke auf einmal. Ich werde sogleich seine eignen Worte hersetzen. Ich habe zwar oft den Himmel gebeten, mir einen Hahn in die gelehrten Anzeigen zu schicken, der krähete, wenn ich als literarischer Petrus falle, und der über den Fall mich zu Tränen brächte – oder doch einen bloßen Kapaun, der, wie andere Kapaunen, meine Küchlein aussäße und herumführte; aber um diesen Greifgeier derselben hab' ich ihn nie ersucht, und ich seh' es ein, ich wurde erhitzt. Er fing denn schon bei den drei Bratwürsten an und hielt damit aus bis nach Gefrees – wobei er doch mich immer Se. Hochehrwürden und Jean Paul meinen Herrn Gevatter hieß – und behauptete, »es gebe weiter keine schöne Form als die griechische, die man durch Verzicht auf die Materie am leichtesten erreiche –.7 (Daher bewegt man sich jetzt nach der griechischen Choreographie am besten, wenn man das wissenschaftliche Gepäck der spätern Jahrhunderte abwirft und sich es sozusagen leicht macht.) – Auf den Kubikinhalt komm' es der Form so wenig an, daß sie kaum einen brauche, wie denn schon der reine Wille eine Form ohne alle Materie sei (und sozusagen im Wollen des Wollens besteht, so wie der unreine im Wollen des Nichtwollens, so daß die ästhetische und die moralische Form sich zu ihrer Materie verhält wie die geometrische Fläche zu jeder gegebenen wirklichen). – Daher lasse sich der Ausspruch Schlegels erklären, daß, so wie es ein reines Denken ohne allen Stoff gebe (dergleichen ist völliger Unsinn), es auch vortreffliche poetische Darstellungen ohne Stoff geben könne (die sozusagen bloß sich selber täuschend darstellen). – Überhaupt müsse man aus der Form immer mehr alle Fülle auskernen und ausspelzen, wenn anders ein Kunstwerk jene Vollkommenheit erreichen solle,[26] die Schiller fordere, daß es nämlich den Menschen zum Spiele und zum Ernste gleich frei und tauglich nachlasse (welchen hohen Grad die erhabenen Gattungen der Dichtung z.B. die Epopöe, die Ode, wegen der Einrichtung der menschlichen Natur unmöglich anders ersteigen als entweder durch einen unbedeutenden leeren Stoff oder durch die leere unbedeutende Behandlung eines wichtigen. Da aber gerade diese nur bei platten Kunstwerken anzutreffen ist: so haben die schlechten demnach mit den vollkommensten das Unterscheidungzeichen von mittelmäßigen gemein)8. – Vollends Humor, dieser sei ebenso verwerflich als ungenießbar, da er bei keinem Alten eigentlich anzutreffen sei«...
Fraischdörfer soll sogleich fortfahren, wenn ich nur dieses eingeschoben habe: ich werde einmal in einem kritischen Werkchen geschickt dartun, daß alle deutsche Kunstrichter (den neuesten ausgenommen) den Humor nicht bloß jämmerlich zergliedern, sondern auch (was ich nicht vermutet hätte, da das Vergnügen an der Schönheit durch die Unwissenheit in ihrer Anatomie sosehr gewinnt) noch erbärmlicher genießen, wiewohl sie als Richter in der Finsternis den Areopagiten gleichen, denen verboten war, über einen Spaß zu lachen (Äschin. in Timarch.) oder einen zu schreiben (Plut. de glor. Athen.) – ferner daß die krumme Linie des Humors zwar schwerer zu rektifizieren sei, daß er aber nichts Regelloses und Willkürliches vornehme, weil er sonst niemand ergötzen könnte als seinen Inhaber – daß er mit dem Tragischen die Form und die Kunstgriffe, obwohl nicht die Materie teile – daß der Humor (nämlich der ästhetische, der vom praktischen so verschieden und zertrennlich ist wie jede Darstellung von ihrer dargestellten oder darstellenden Empfindung) nur die Frucht einer langen Vernunft-Kultur sei und daß er mit dem Alter der Welt so wie mit dem Alter eines Individuums wachsen müsse. Fraischdörfer fuhr fort: »halte man an diesen Probierstein die Werke meines Herrn Gevatters, in denen fast nur auf Materie[27] gesehen werde: so begreife man nicht, wie der Rezensent der Literaturzeitung ihn noch dazu wegen der Wahl solcher zweideutiger Materien wie z.B. Gottheit, Unsterblichkeit der Seele, Verachtung des Lebens usw. preisen können.«
– Bei diesen Worten wanderten wir gerade in Gefrees ein, und ich sah die mir halb bekannte Dame wie eine Netzmelone sich wieder in ihren Schleier wickeln und abfahren: hätte also der Unglückvogel, der Kunstrat, nicht seinen Geiß-Scherbet in den drei Bratwürsten eingenommen, so würd' ich das Glück errungen haben, sie gerade bei Herrn Lochmüller zu ertappen, als sie dem Kutscher und den Pferden etwas geben ließ. So aber hatt' ich nichts. Ich fuhr entsetzlich auf in meinem Herzen und tat innerlich folgenden Ausfall gegen den Kunstrat: »Du elende frostige Lothssalzsäule! Du ausgehöhlter Hohlbohrer voller Herzen! Ausgeblasenes Lerchen-Ei, aus dem nie das Schicksal ein vollschlagendes, auffliegendes, freudentrunknes Herz ausbrüten kann! Sage, was du willst, denn ich schreibe, was ich will. – Du sollst weder meine Reißfeder noch mein Auge von dem Eisgebirge der Ewigkeit abwenden, an dem die Flammen der verhüllten Sonne spielen, noch vom Nebelstern der zweiten Welt, die so weit zurückliegt und nur die Parallaxe einer Sekunde hat, und von allem, was die fliegende Hitze des fliegenden Lebens mildert und was den in der Puppe zusammengekrümmten Flügel öffnet und was uns wärmt und trägt!« –
Da jetzt gar der griechenzende Formschneider den schönen Tag und die blaue Glasglocke der ätherischen Halbkugel lobpries und sagte: er rede hier nicht als Maler, weil dieser nicht gern unbewölkte Himmel male, sondern als Poet, dem schöne Tage sehr zustatten kommen in seinen Versen: so bracht' ich mich mit Fleiß immer mehr in Harnisch gegen ihn, besonders da nach Platner Ingrimm dem Unterleibe augenscheinlich zupasse kömmt – daher sollten Gelehrte, die immer auf den elendesten Unterleibern wohnen, einander wechselseitig auf antikritischen Intelligenzblättern noch stärker erbittern –; und ich bewegte ohne Bedenken die Lippen und ließ ihn etwas hart mit folgenden leisen Invektiven an, die ich, wiewohl innerlich, heraussagte: »Der formlose Former[28] vor mir achtet am ganzen Universum nichts, als daß es ihm sitzen kann – er würde wie Parrhasius und jener Italiener Menschen foltern, um nach den Studien und Vorrissen ihres Schmerzes einen Prometheus und eine Kreuzigung zu malen – der Tod eines Söhnchens ist ihm nicht unerwünscht, weil die Asche des Kleinen in der Rolle einer Elektra einem Polus weiter hilft als drei Komödienproben – das unzählige Landvolk ist doch von einigem Nutzen in ländlichen Gedichten und selber in komischen Opern, wie die Schäfereien genug abwerfen für Idyllenmacher – der Eustathius Nero illustriert mit dem flammenden Rom schöne homerische Schildereien, und der General Orlow hilft den Bataillen- und Seemalern mit den nötigen Akademien aus, mit Schlachtfeldern und aufgesprengten Schiffen.« –
Das hole der Teufel.
Laut indessen sagt' ich aus Verachtung wenig mehr zum Kunstrat. Ich eilte Berneck zu, wo die fliegende Bienenkönigin im Vis-à-vis wenigstens vor der Suppenschüssel halten mußte. Ich wünschte von Herzen, ein oder zwei Wagenräder fingen an zu rauchen und sie müßte halten, um schwarze Waldschnecken einzufangen und damit in Ermangelung alles Teers die Nabe einzuölen. Mein künftiger Rezensent wurde sehr matt und hungrig und wollte, da es ihm mehr an Gelenkschmiere als an Magensaft fehlt, die peripatetischen Bewegungen mit peristaltischen vertauschen; aber ich war nicht still zu halten, und er folgte mit seinem Hunger hintennach: »Sein Sie froh«, sagt' ich, »daß Sie jetzt zwei Zustände, die der Maler und der Dichter schwer oder gar nicht aus sich mitzuteilen wissen, lebendig fühlen – Hunger und Müdigkeit. Sooft ich einen Bauermann mit einem ganzen Hemde sehe (dort felget einer), so ist er mir ein Anstoß; ich berechne, wie lang es noch dauert, bis das Hemd unter den Hadernschneider taugt und zu Konzeptpapier, an das ein Gelehrter den Laich seiner Ideen streicht.« Da er meine Satire verstand, so ging sie gar nicht auf ihn: denn Satiren und Todesanzeichen gehen nur auf den, der nichts von beiden innen wird.[29]
Meine Gleichgültigkeit gegen den Kunstrat setzte mich in den Stand, vor ihm herzugehen und außer der Reise die Vorrede zur zweiten Auflage in meiner Schreibtafel fortzusetzen und einzuschreiben.
»Und allerdings hat Kant das seltne Glück, auf einer Bühne zu agieren, der es nicht an einer Einfassung und Mauer von Köpfen fehlt, aus denen seine Laute heller und resonierend zurückschlagen, so wie die Alten in ihre Theater leere Töpfe versteckten, die der Stimme der Schauspieler mit Resonanzen nachhalfen.10Ein Autor, der Gedanken hat, verfälschet häufig damit fremde, die er verbreiten soll, und gesetzt, er schwüre, wie in den ältern Zeiten die Bücherabschreiber wirklich schwören mußten, rein und redlich abzuschreiben: so würde er doch immer sehr vom leeren Kopfe verschieden bleiben, dessen obere torricellische Leere wie in der Physik der beste Leiter der Funken ist. – Hingegen im System selbst muß man die Lücken, worin keine Wahrheiten sind, durch die Gewänder derselben, durch lange neue Termen, abwenden, wie denkende Maler durch Draperie ihren leeren Raum. –
Etwas anders ist es mit der Moral, worin wie in der Medizin der Theorist sich ganz vom Empiriker trennt. Wie in dem alten Theater der eine Akteur den Gesang hatte und der andere die körperliche Aktion dazu machte und wie die Kunst eben durch diese Teilung höher stieg, so kann es in der schweren Kunst der Tugend nicht eher zu etwas getrieben werden, als bis (wie jetzt häufiger geschieht) die Theorie und die Praxis gesondert werden, und der eine sich auf das Reden über die Tugend einschränkt, indes der andere die dazu gehörigen Handlungen versucht.«
Die Fortsetzung der Vorrede folgt.
Denn nun sanken wir in das grünende Tempe von Berneck hinein, und ich sperrte die Schreibtafel zu: sonst hätt' ich ohne[30] Grobheit weiter darin schreiben können, weil es ja so viel war, als spräch' ich mit dem Kunstrat selber, da ich ihn darin meinte.
Der Kron-, der Elias- und der Sonnenwagen hielt vor der Post, und die Direktrice meines Wegs stieg heraus. Ich sprang an wer hätt' es gedacht (ich wohl am wenigsten), daß es nichts geringers war als eine Primadonna, die schon einmal in einer von meinen Vorreden11 agierend aufgetreten war, nämlich die gute, die liebe, bekannte – Pauline, des sel. Hauptmanns und Kaufherrns Oehrmann nachgelassene Tochter.
Ich ward ordentlich ein Kind vor Freuden, wie alle Bernecker wissen. »Herr Jean Paul, wie kommen wir da zusammen?« sagte die Miß, deren Angesicht jetzt im Brautstand ein höheres Rot als im Laden hatte, gleichsam die rote Soldatenbinde des nahen Ehedienstes, die Band- und Vorsteckrose auf dem ehelichen Bande.
Fraischdörfer sott sich gleichfalls rot zu einem warmen Krebs: er hörte nun, ich sei wirklich der Autor selber, den er auf dem Straßendamm rezensiert hatte. Er sagte, es sei nur ein Glück für die Kunst, daß ich bloß in der Wirklichkeit, und in keinem Druck gelogen hätte, wo mehr daran gelegen wäre, den Charakter des wahrhaften Mannes durchzusetzen und zu halten. In drei Terzien war er weg wie Mai-Schnee. Er wird mirs aber gedenken und sich wenigstens in den Busch und Jägerschirm der allgemeinen deutschen Bibliothek stellen und daraus mit Windbüchsen nach seinem Reisegefährten schießen. Ich hielt es daher für nötig, dem Publikum schon vorher davon Nachricht zu geben: es ist nun auf jeden Pfeil seiner Armbrust (wie nach Montesquieu die Tatarn tun mußten) der Name geschrieben, der Schütze heißet Fraischdörfer. Es ist im ganzen ein Mann von Betracht und gut genug, er besieht die bambergischen Kriegstroublen und macht sich, wie ich an seinen Fingern12 sah, seine nötigen deutlichen Begriffe und noch spitzige Einfälle dabei, und wir schätzen einander. – Ich will einen davon hereinsetzen, der zugleich ein Beweis sein mag, wie gern ich seinen Lorbeer aussäe: »Die Feile«, sagte der lose Kunstrat,[31] »welche die Autoren ihren Werken zu geben unterlassen, brauchen ihre Verleger fleißig an den Goldstücken, die sie ihnen dafür zahlen.« Recht gut turniert! –
Ich dinierte froh mit der Jungfer Braut, deren künftiger Ehemann und Ehe-Peischwa oder Ehe-Bey und maitre des plaisirs niemand wird als der uns allen recht gut bekannte Herr Gerichthalter Weyerman.13Ich lass' es zu, ich suchte die Braut mehr, als daß ich sie floh, und glich mehr dem weisen Ulysses, der sich mit offnen Ohren an den Mastbaum schnüren ließ und sie dem Sirenengesange gelassen schenkte, als seinen Begleitern, die ihre mit Wachs wie hohle Stockzähne plombierten. Aber sie war auch das leuchtende Christuskind, das die fatale Correggios-Nacht, die der Kunstrat in mein Herz gemalet hatte, mit dem schönsten Widerschein versilberte: sie war doch unschuldig und gut und weich und ohne die poetischen Härten der Empfindelei, und die vielen scharfen zweischneidigen Leiden bei ihrem Vater hatten ihrem Herzen mehr gegeben als ihrem Kopfe genommen; sie duftete gleich dem Rosenholz auf der scharfen Drechselbank des Unglücks so süß wie Rosen selber. Ihr knausernder Vater hatt' ihr freilich nur die Vorgrunds-Kultur, die äußere oder körperliche, nämlich vornehme Kleidung, aber nicht vornehme Bildung verstattet (die gute Gerichthalter abends gratis in biographischen Berichten anboten), und sie glich den meisten Mädchen um mich her, an denen wie in Wien die Vorstädte modern sind, die innere Stadt selber aber mit allen ihren Vierteln verdammt altväterisch. Indes hatten ich und sie doch wie alle Freunde – und wie alle zusammengewachsene Menschen nach Haller – nur ein Herz, obwohl zwei Köpfe. Das tut denn vieles.