Aischylos: Die Schutzflehenden
Übersetzt von Johann Gustav Droysen
Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
John William Waterhouse, Die Danaiden, 1903
ISBN 978-3-8430-6225-1
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-5096-8 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-5097-5 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Anfangsstück oder mittlerer Teil der Danaiden-Trilogie, zwischen 465 und 460 v. Chr.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Chor der Danaiden
Danaos
Pelasgos, König der Argeier
Herold
Ufergegend zwischen der See und der Stadt Argos. Der Chor der flüchtigen Danaiden mit den Mägden zieht ein; unter ihnen der greise Danaos.
CHORFÜHRERIN:
Zeus, Flüchtlingshort,
Schau gnädig herab auf unseren Zug,
Der zu Meer von des Nilstroms Mündungen her,
Von den feinsandigen,
Aufbrach; und verlassend die heilge
Heimat, die an Syria grenzt, flohn wir,
Um Blutschuld nicht ins Elend zu gehn,
Vom Gerichte des Volkes verurteilt;
Den verwandten, den bräutigamsflüchtigen Bund,
Mit Aigyptos' Söhnen die Hochzeit flohn
Voll Abscheu wir; und Danaos selbst,
Mein Vater und Rater und Führer zur Tat,
Er ersann, er gebot
Uns dies' glorwürdigste Trübsal:
Rastlos zu entfliehn durch die wogende See
Und zu landen am Argosstrande, woher
Ja unser Geschlecht von der schweifenden Kuh,
Vom Berühren, vom leis anwehenden Hauch
Des Kroniden sich rühmt zu entstammen.
Drum welch Land wohl, liebreicher denn dies,
Könnten betreten wir,
Dies bittende, wollenumwundne Gezweig
Schutzflehender fromm in den Händen?
O droben ihr Himmlischen, deren die Stadt
Und das Land und die leuchtenden Wasser, und ihr
Schwerstrafenden drunten im Hades,
Und Zeus, Heiland, der das Haus, das Geschlecht
Du der Frommen bewahrst,
Aufnehmet der Fraun schutzflehenden Zug;
Doch den männergedrängt frechtrotzenden Schwarm,
Des Aigyptos' Geschlecht,
Eh ihr Fuß dies sandige Ufer betritt,
So verschlagt sie in jagenden Barken hinaus
In die offene See,
Wo die wettergegeißelte Sturmnacht sie,
Wo sie Donner und Blitz,
Wo des regengepeitschten Orkanes Gewalt
In der brausenden See sie vernichte,
Eh das Bett, das Themis ja ihnen versagt,
Eh mit ringender Hand das erzwungene Bett
Der bewältigten Muhmen sie schänden.
Erste Strophe
Flehend gewendet zu dir,
Sohn des Zeus, du der jenseitigen Heimat Hort, von der blumenweidenden Kuh,
Unserer Ahnin, gezeuget von Zeus' Hauch –
Denn, der sie rührte, der Hauch, ihn erfüllte im Namen das ewge Verhängnis,
Als sie Epaphos' Kraft gebar, glorreich.
Erste Gegenstrophe
Flehend zu dir denn gewandt,
Will ich jetzt, in den grasreichen Aun der hehren Mutter einstige Qual
Feiernd, ein unwiderlegliches Zeugnis
Sagen, von welchem verschieden und nimmer erwartet sich alles an uns zeigt;
Doch begreift mit der Zeit man einst dies auch.
Zweite Strophe
Stünd in der Näh einer der Einheimischen jetzt
Zu Vogelfang und hörte diese Klage,
Würd er meinen, in wehklagendem Gram sei es der Tereïschen Gattinnen Gesang,
Der falkgejagten Nachtigall,
Zweite Gegenstrophe
Die von des Bachs Ufern, den Waldbüschen verscheucht,
Wehklagt im Gram verlorner Heimat,
Hinzusinget des Lieblinges Geschick, welchen sie selbst schlug mit der mordblutigen Hand,
Unmütterlichen Zorns verwirrt.
Dritte Strophe
Ebenso schmerzenbefreundet im Gram iaonischer Klagen,
Reiß ich wund mir die nilblühende, weiche Wange,
Mein tränenunkundig Herz wund,
Des Kummers Blume pflück ich mir,
Vor den Meinen in Angst, ob mir der Flucht aus dem umnebelten Land
Irgendwer noch denken mag.
Dritte Gegenstrophe
Höret, o Götter ihr unsres Geschlechtes, ihr kennt das Gerechte,
Nur nicht ganz wider Gebühr laßt es an uns zu End gehn;
Nur hasset treu allen Frevel,
So wahrt ihr wohl der Ehe Recht.
Kampfesermüdeten auch wird ein Altar, auch den Entflohnen der Schlacht
Rettend Heil der Götter Furcht.
Vierte Strophe
Möcht ein Gott es uns lassen gedeihn. Ja, der Gedanke des Zeus, schwer ist der zu erjagen;
Dennoch flammet er rings
Auch in Nacht dem Menschen her aus dunklem Gewölk des Unheils.
Vierte Gegenstrophe
Vorstürzt siegend und nicht in den Staub, wenn sie gereift in Zeus' Haupt, die Tat der Vollendung;
Denn hinzieht sich versteckt
Seines Willens Pfad, rings schattendicht, zu erschaun unmöglich.
Fünfte Strophe
Hinabstürzt hoch von hochgetürmten Hoffnungen er Menschenwahn.
Gewalt wappnet nimmer niemand
Ungestraft den Ewigen hoch
Droben; ein Gedanke schon, ein Blick
Dort von den heiligen Thronen kann alles zumal vernichten.
Fünfte Gegenstrophe