Euripides: Iphigenie in Aulis
Übersetzt von Johann Adam Hartung
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Anselm Feuerbach, Iphigenie, 1871
ISBN 978-3-7437-0010-9
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-86199-668-2 (Broschiert)
ISBN 978-3-86199-669-9 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Aufführung nach 406 v. Chr. in Athen. Hier nach der Übers. von Johann Adam Hartung in: Griechische Tragiker, hg. v. Wolf Hartmut Friedrich, München (Winkler) 1958.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Griechische Tragiker: Aischylos, Sophokles, Euripides. Hg. v. Wolf Hartmut Friedrich, übers. v. J. G. Droysen (Aischylos), K. W. F. Solger (Sophokles), J. A. Hartung (Euripides), München: Winkler, 1958.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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Agamemnon
Ein alter Diener
Chor junger Frauen aus Chalkis
Menelaos
Bote
Klytaimestra
Iphigenie
Achilleus
Artemis[864]
Vor dem Zelt Agamemnons in Aulis.
AGAMEMNON mit einem Brief in der Hand.
Der Thestios-Tochter Leda blühten Mädchen drei:
Phoibe und meine Gattin Klytaimestra und
Helena, um welche werbend Griechensöhne viel
Erschienen, die mit Gut und Macht gesegnetsten.
Und heftige Drohung schwur man, Mord um Mord, sich zu,
Wenn man der Braut verlustig würde, gegenseits.
Das setzt' den Vater Tyndar in Verlegenheit:
Ob geben, ob nicht geben? Wie das Glück sodann
Anfassen und nicht brechen? Ihm fiel dieses bei:
Die Freier müssen gegenseits sich binden durch
Eidschwur und Handschlag und in heilge Opferglut
Weihspenden gießen und geloben feierlich,
Man wolle, wessen Braut die Tyndarstochter wird,
Dem Hilfe leisten, wenn ein andrer ihm vom Haus
Die Braut entführ und ihn verdräng aus ihrem Bett,
Mit Krieg ihn überziehen, schleifen seine Stadt,
Sei's Grieche oder welscher Mann, durch Waffenmacht.
Nachdem der Schwur gegeben ist und Tyndaros,
Der Greis, sie überschlichen hat mit schlauem Sinn,
Läßt seinem Kind er freie Wahl der Werberschar,
Zu wem sie hinzög Aphroditens holder Hauch:
Und sie erkor – o wär er niemals ihr genaht! –
Den Menelas. Da kam der Obmann – wie die Sag
In der Welt besteht – des Götterstreits aus Phrygien her
Nach Lakedaimon, bunt in blumiger Kleiderpracht,
Von Golde strahlend, voller welscher Üppigkeit,
Und führte, liebend und geliebt, Helenen fort
Im Raub zu Idas Rindertriften! Menelas
War eben auswärts. Dieser rast' sehnsüchtig dann
Umher in Hellas, mahnend an den alten Schwur
Bei Tyndar, daß dem Beraubten Hilfe werden muß.
Und jetzo stürzt das Griechenvolk zum Kriegessturm,[865]
Die Rüstung nehmend, kommt zur Reede am engen Paß
Von Aulis her, mit Schiffen, Schilden allzumal,
Mit Rossen, Waffen, Wagen ausgerüstet; und
Zum Heeresfeldherrn wählt man mich, dem Menelas
Zulieb, als Bruder. Wäre dieser Stab doch nur
In eines andern Hand gefallen, meine nicht!
Und nun das Heer versammelt und geordnet ist,
So liegt man, Fahrwind missend, hier in Aulis still.
Und da wir ratlos waren, sprach des Sehers Mund
Kalchas: Die Göttin, welche hier thront, Artemis,
Heische Iphigeniens Schlachtung, meines eignen Kinds;
Und Fahrt und Schleifung Trojas würd uns dann zuteil
Nach diesem Opfer; ohne solches nimmermehr!
Ich, als ich dies vernommen, wollte lauten Rufs
Das ganze Heer abdanken durch Talthybios,
Indem mein Herz sich sträubte wider Kindesmord,
Bis mich der Bruder, alle Gründ aufbietend, zwang,
Den Greuel geschehn zu lassen! Und ich schrieb ein Blatt
Und sandt es wohlversiegelt meiner Gattin hin,
Als Braut Achills die Tochter herzusenden mir,
Des Mannes Wert hochpreisend, der – so setzt ich bei –
Zu Schiff zu gehn sich weigre mit Achaias Volk,
Wenn nicht von uns ihm eine Braut nach Phthia kommt:
Zur Überredung meiner Gattin diente dies,
Und war die Heirat fälschlich vorgespiegelt nur.
Um dies Geheimnis wissen von den Griechen bloß
Kalchas, Odyß und Menelas: doch was ich schlimm
Damals beschlossen, widerruf und mach ich gut
In diesem Briefe, den ich heimlich durch die Nacht
(An Klytaimestren hinzutragen geb dem Greis,)
Der meinem Haus und meiner Gattin Treue hegt.
Ruft in das Zelt.
Tritt, Alter, hervor aus diesem Gezelt,
Komm her –
ALTER.
Hier bin ich! Mein Alter ist noch
Sehr munter, noch frisch mein Auge und scharf[866]
Aufmerkend. Mein Fürst Agamemnon, was
Ist Neues im Werk?
AGAMEMNON.
Du erfährst es.
ALTER.
Doch rasch!
AGAMEMNON.
Sprich, was für ein Stern zieht hier seine Bahn?
ALTER.
Sirius, der rollt beim Siebengestirn,
In der Bärin Näh, noch inmitten der Bahn!
AGAMEMNON.
Und noch kein Laut von Vögeln ertönt,
Kein Rauschen der See! Windstille noch stets
Herrscht hier am Sund des Euripos!
ALTER.
Und was trieb dich heraus vom friedlichen Zelt,
Da alles noch ruht um Aulis herum,
Kein Wächter sich regt an den Mauern der Stadt?
Komm, gehn wir hinein.
AGAMEMNON.
Wie beneid ich dich, Greis,
Wie beneid ich den Mann, der frei von Gefahr
Sein Leben verlebt, ruhmlos, glanzlos!
Und minder den Mann, den Würden erhöhn!
ALTER.
Und doch liegt hier ja des Daseins Zier!
AGAMEMNON.
Nur leider die Zier ist verführerisch falsch,
Süßlockend, doch schmerzhaft, wem sie sich gibt!
Bald hindert die Ungunst himmlischer Macht
Und stürzt unser Glück, bald pflegt es der Welt
Vielköpfiger und
Mißliebiger Sinn zu zertrümmern.
ALTER.
Das lobe ich nicht am fürstlichen Mann,
Agamemnon! Gezeugt für lauteres Glück
Hat dich Atreus nicht: Leid mußt du und Freud,
Als sterblicher Mensch, empfinden, und wenn
Nicht dir es beliebt,
Ist's also geordnet vom Himmel!
Du zündest das Licht einer Lampe dir an
Und schreibst einen Brief, den, welchen du hier
Noch trägst in der Hand, und löschest sodann
Das Geschriebene weg: erst siegelst du zu
Und erbrichst nachher und schleuderst das Blatt
An den Boden, mit hell quellenden Tränen.[867]
Dein seltsam Tun ist wenig entfernt
Vom Wahnsinn selbst!
Was bedrängt dich? Was stieß dir, o König, denn zu?
Komm, teil es mir mit und vertraue dich mir,
Einem biederen, treu dir ergebenen Mann,
Den deinem Gemahl einst Tyndaros ja
Zur Mitgift und
Rechtschaffenem Wärter der Braut gab.
AGAMEMNON.
Nun, eben den Brief hier, den du mich sahst
Aufmachen und mehrmals siegeln, du sollst
Ihn meinem Gemahl hinbringen. Und was
Sein Umschlag birgt, das erfährst du von mir.
ALTER.
Sprich, zeig es mir an, daß das, was ich sag,
Im Einklang sei mit des Briefs Inhalt.
AGAMEMNON.
»Dir, Ledas Sprößling, meld ich
Auf Grund vorherigen Schreibens:
Send nicht dein blühendes Mädchen
Zur Jenseits-Bucht Euböas, dem sturm-
Ruhigen Aulis;
Denn der Tochter Vermählungsschmaus wird
Auf andere Fristen bereitet.«
ALTER.
Wird aber Achill, um die Gattin getäuscht,
Nicht stolzen Gemüts aufbrausen im Zorn
Der Gemahlin und dir?
Hier scheint mir Gefahr! Sag an, was du denkst!
AGAMEMNON.