John Keats

Gedichte

 

 

 

John Keats: Gedichte

 

Übersetzt von Gisela Etzel

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

William Hilton, John Keats, undatiert

 

ISBN 978-3-8430-8051-4

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-8021-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-8033-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Keats, John: Gedichte. Übertragen von Gisela Etzel, Leipzig: Insel Verlag, [1910].

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Keats, John: Gedichte. Übertragen von Gisela Etzel, Leipzig: Insel Verlag, [1910].

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Ich sah von Hügelhöh ins Land hinein ...

Ich sah von Hügelhöh ins Land hinein.

So stille lag die Luft im Sonnenschein,

Daß volle Knospen, die in sanftem Bogen

Die leichten schwanken Stengel seitwärts zogen,

Noch glänzten in dem bunten Sternenprangen,

Mit dem der Morgen schluchzend sie behangen,

Die Wolken waren weiß und rein wie Schafe,

Die nach der Schur und nach geruhigem Schlafe

Im Bache badeten; sie lagen matt

Im blauen Himmelsfeld; und Blatt um Blatt

Schien nur ein leiser Atem zu bewegen,

Das Schweigen nur schien seufzend sich zu regen;

Denn jeder Schatten, der ins Grüne fiel,

Lag steif und starr und wußte nichts von Spiel.

Die Landschaft ruhte still und weit und frei

Und lud den Blick zu trunkner Schwelgerei:

Des Horizonts krystallnen Glanz zu sehen

Und seinen zarten Linien nachzugehen,

Auch jenem Feldweg, der sich seltsam windet,

Durch Wälder krümmt und fern, ganz fern verschwindet;

Und an bebuschten Streifen zu erkennen,

Wo unter Schatten kühle Wasser rennen.

Ich schaute, und mir war so wohl und klar,

Als fächte sanft des Hermes' Flügelpaar

Die Füße mir. Mein Herz war leicht und frei,

Den Geist entzückten Freuden mancherlei.

Nach buntem Strauß begann ich mich zu bücken,

Mir weiße, blaue, goldne Lust zu pflücken:

 

Ein Busch Maiglöckchen, daran Bienen hängen,

Die wühlend lief in süße Kelche drängen;

Ein Guß Goldregen soll darüber fließen,

Und langes Gras soll' meinen Strauß umschließen,[5]

Ihn feucht und kühl erhalten und in Schatten

Die Veilchen hüten, daß sie nicht ermatten.

 

Hier grünt ein Haselstrauch, um den mit schlanken

Schmiegsamen Armen wilde Rosen ranken,

Und dunkles Geißblatt, das zu lichten Höhen

Die schwanke Winde hebt. Daneben stehen

Und wiegen ihre süßen Frühlingsträume

In kleiner Reihe schlanke junge Bäume,

Aus wunderlichen Wurzeln aufgeschossen.

Das alte moosige Flechtwerk wird umgossen

Von klarem, frischem, sprudelfrohem Quell;

Im Vorwärtshasten plaudert er noch schnell

Von seiner Töchter blauer Lieblichkeit –

Von Glockenblumen. Ach, er ahnt die Zeit,

Da wohl gedankenlose Kinderhand

Die zarten pflückt und wirft in Sonnenbrand.

 

O Ringelblume, goldner, goldner Glanz!

Entzünde deinen Kranz!

Wisch ab den Tau, der dir vom Aug sich stiehlt,

Denn Gott Apoll befiehlt,

In diesen Tagen soll nur eine Weise

Die Harfen rühren: nur zu deinem Preise!

Und wenn er morgen deine Augen küßt,

Sag ihm, daß du in meinen Wonnen bist;

Und streif ich dann in fernem Tal – vielleicht

Daß seine Stimme meine Stirn umstreicht.

 

Platterbsen stehen flugbereit auf Zehen

Und lassen rot und weiße Flügel wehen;

Ihr spitzer Finger hascht nach allen Dingen,

Sie fest mit winzigen Ringen zu umschlingen.

 

Sieh hier das Bächlein, niedrig überbrückt[6]

Von schwanken Planken; weile hier entzückt

Und lausche, wie Natur so sanft sich rührt,

Die süßer noch als Taubenruf verführt;

Wie still das Wasser um die Biegung zieht:

Kein Flüstern, das hinauf ins Grüne flieht,

Kein Gruß den Weiden Gras und Halme kommen

Durch wirre Schatten langsam hergeschwommen,

So langsam – könntest du nicht zwei Sonette

Gelesen haben, eh im trägen Bette

Dies Gras dorthintreibt, wo die Strudel kreisen

Und Holz und Halm im Tanzen unterweisen

Und so geschwätzig mit den Kieseln lärmen?

Elritzen stehen dort in ganzen Schwärmen

Und stemmen sich dem kräftigen Strom entgegen,

Genießen so den vollen Sonnensegen

Im kühlen Wasser. Wie sie immer ringen

Um diese süße Lust! Und glitzernd schlingen

Sie flink den Silberleib durch Kieselsand.

Erhebe nur ein wenig deine Hand,

Im selben Augenblick sind alle fort –

Und senkst du sie, sind alle wieder dort.

Sieh, wie die kleinen Wellchen Freude fühlen,

Sich zwischen Kressenlocken abzukühlen.

Sie nehmen Kühlung und sie geben Feuchte

Dem krausen Grün, damit es frischer leuchte,

Gleich guten Menschen, die in Redlichkeit

Zu wechselseitigem Geben gern bereit.

Von niedern Zweigen schwingt sich hin und wieder

Ein Häuflein bunter Distelfinken nieder:

Nur kurze Zeit, nur nippen und geschwind

Die Federn feuchten, die voll Sonne sind,

Dann plötzlich fort, wie's muntre Laune will.

Doch manchmal hält ihr gelbes Schwirren still

Und zeigt die glänzend schwarz und goldnen Schwingen.[7]

Wär ich wie sie bestimmt zu solchen Dingen –

Ach, wär ich sie, ich würde beten mögen,

Daß meine Lust in grünenden Gehegen

Nur süßres störe, nur ein Mädchenkleid,

Das nahe rauscht und voll Behendigkeit

Vom Löwenzahn die Samenfäden fegt –

Als eines Mädchens Fuß, der nah sich regt

Und der im Spiel beim schnellen Vorwärtsgehen

Den Sauerampfer schaukelt mit den Zehen.

Wie würde sie erschreckt zusammenfahren,

Weil man ihr liebes kindliches Gebahren

Entdeckt. Oh, übers Wasser sie zu leiten,

Das halbe Lächeln sehn, das Niedergleiten

Der scheuen Blicke; ihre Hand zu fassen –

Von ihrem Atem mich berühren lassen!

Und wenn sie von mir geht – daß sie sich wende,

Den schönen Blick durch braune Locken sende!

 

Was weiter? Primeln hier ein voller Strauß!

O schaue, Seele, träume, ruhe aus

Und sinke schlummernd hin; doch immer wecke

Dich sanft das Platzen einer Knospendecke,

Dich irgend eines Falters trunkne Hast,

Der ruhlos weiterfliegt von Rast zu Rast,

Und Luna wecke dich, wenn sie die Schale

Nun aus dem Wogen schimmernder Opale,

Aus milchigen Wolkenmeeren, silbern hebt

Und sacht empor in Himmelsbläue schwebt.

O Göttin du der Dichter, liebe Lust

Der schönen Welt und jeder edlen Brust!

Du Heiligenschein, der alle Wasser schmückt,

Du süßer Kuß, der uns mit Tau beglückt,

Du milde Hand, die schöne Augen schließt

Und schönen Traum in stillen Schlummer gießt,[8]

Du Freundin von Gebet und Schwärmerei,

Von Einsamkeit und Liebegrübelei!

Dich preise ich vor allen andern Dingen,

Die tief beglückend uns zum Dichten zwingen.

Du Paradiesesglanz, du ewiges Licht,

Du bist die Seele, die der Dichter spricht.

Du nahst – und irgend eine dunkle Linie

Wird ihm zum Umriß würdevoller Pinie;

Dein Lächeln, das zur dunklen Erde schwebt,

Gibt Silberfäden, draus er Märchen webt

Und ist solch Märchen köstlich aufgebaut,

So atmen wir den Duft von Sommerkraut

Und gleiten hin auf üppigen Wollustschwingen,

Die uns in himmlische Regionen bringen:

Taufeuchte Rosen streicheln unsre Wangen,

Wir sehen Lorbeer reich in Blüten prangen,

Zu Häupten gleißt Jasmin in voller Laube,

Und lächelnd blüht aus grünem Kleid die Traube,

Ein Bächlein hüpft, mit sanftem Sang zu rühren

Und alles Leid ins Weite zu entführen.

Wir fühlen uns befreit von Not und Welt

Und hoch auf weiße Wolken hingestellt.

So fühlte er wohl, der zuerst erzählt,

Wie Amor seine Psyche sich erwählt:

Was sie gefühlt, als erster Kuß ihr glühte,

Und wie sein Seufzen ihr entgegenblühte,

Und wie sie beide bebten und Verlangen

In Küssen zitterte auf Mund und Wangen;

Die Silberlampe – und der Gott im Schlafe –

Dann Dunkel – Einsamkeit – und schwere Strafe –

Der Flug zum Himmel – Ende aller Leiden –

Und ewige Vereinigung der beiden. –

So fühlte er wohl, der die Zweige bog

Und unsern Blick in weite Waldung zog,[9]

Um Faune und Dryaden zu belauschen,

Wie sie so sorglos durch die Büsche rauschen

Und sich mit süßen wilden Blumen kränzen

Und Freude finden in verzückten Tänzen;

Wie Syrinx flieht in namenlosem Schrecken

Und angstvoll sucht, vor Pan sich zu verstecken.

O armer Pan! Verloren war die Spur

Am schilfigen Strom, und Windesseufzen nur

Erlauschtest du, nur schwermutvollen Hauch,

Der leise hinglitt über Schilf und Strauch. –

 

Dem war Natur wohl tief ins Herz gedrungen,

Der einst Narzissus' Liebespein besungen.

Er schritt vielleicht durch dunklen Wald und fand

Sich plötzlich an umbuschten Teiches Rand,

Der still und glatt und ungewöhnlich klar

Dem Himmelsblau ein treuer Spiegel war,

Das hie und da durchs dichte Laubdach blickte

Und heitern Gruß in müde Schwermut schickte.

Am Ufer stand ein einsam Blümelein,

Sah sanft und traurig in den Teich hinein,

In dem es seine bleiche Schönheit sah –

So unerreichbar – und so greifbar nah!

Taub war die Blume für des Zephirs Werben,

Nur schauen mochte sie, nur glühn und sterben.

Der Dichter stand und träumte lange dort,

Und seine Seele nahm dies Bild mit fort,

Und bald darauf, da war der Sang geschrieben

Von jung Narziß und seinem kranken Lieben.

 

In welches Wunderreich war Er gedrungen,

Der uns den süßesten, den ewig jungen,

Den anmutvollen reinen Sang geschenkt,

Der Seligkeiten senkt

Ins Herz des Mondscheinwandrers, ihm enthüllt[10]

Die unsichtbaren Götter, ihn erfüllt

Mit Sphärenklang, der hoch aus Himmeln tönt,

Wo Nacht und Glanz sich friedevoll versöhnt?

O sicher! Dieser wußte nichts von Banden,

Er wandelte in wundersamen Landen,

Der Fesseln ledig schwebte er davon,

Um dich zu suchen, o Endymion!

Ein Dichter war er, ein Verliebter auch,

Der hoch auf Latmos stand, als süßer Hauch

Vom heiligen Myrthental sich aufwärts schwang

Zugleich mit feierlichem, frommem Sang,

Dem Hymnus, den man zu Diana schickte,

Die hell aus dunklen Himmeln niederblickte.

Doch ob sie auch sich huldvoll lächelnd neigte,

Ein Antlitz klar wie Kinderaugen zeigte –

Der Dichter weinte, sie so schön zu sehn,

So einsam durch die Ewigkeiten gehn:

Hell sang die Leier, die sein Hymnus schwellte,

Der Cynthia den Endymion zugesellte.

 

Du Königin, du lieblichstes Gesicht!

Du köstlich reiner Glanz, du mehr als Licht!

Gleich wie dein Lächeln alles überragt,

So jenes Lied, das deine Schönheit sagt.

O gib mir Worte, die wie Honig fließen,

Ein Wunder deiner Brautnacht zu erschließen:

 

Wo ferne Schiffe wie im Äther hängen,

Hielt Phoebus seiner Räder mächtiges Drängen

Für kurz zurück und lächelte dich an,

Eh weiter stob sein feuriges Gespann.

Der Abend war so mild und leuchtend klar,

Daß, wer gesund war, auch voll Frohsinn war

Und ausschritt wie Homer beim Hörnerschall,

Wie jung Apollo auf dem Piedestal;[11]

Und Frauen waren schön und warm belebt,

Wie Venus, die entzückt die Wimper hebt.

Die Luft war lind und wehte frisch und rein,

Schlich in verhängte Krankenstuben ein

Und kühlte sanft den Fieberschlaf der Kranken,

Die bald in tiefen festen Schlummer sanken.

Sie wachten auf – und atmeten gesund,

Klar war ihr Auge und erfrischt ihr Mund,

Und Schmerz und Fieberhitze war vergangen;

Und wie sie nun erquickt vom Lager sprangen,

Da sahn sie rings geliebte Freunde stehn,

Die staunend kaum begriffen, was geschehn,

Die sie umarmten und mit inniglichen

Gebärden ihre stille Stirne strichen. –

Und Jünglinge und Mädchen sahn betroffen

Einander an und glühten in Erhoffen,

Denn aller Augen waren lichterfüllt,

Und alles Sehnen lag so schlicht enthüllt –

Sie staunten, lächelten – bis Poesie

All ihrer Sehnsucht schöne Worte lieh;

In süßen Reimen wußte man zu werben,

Und kein Verliebter brauchte mehr zu sterben.

O Cynthia, als dein lieber Hirt dich küßte –

Wer ist, der alle Seligkeiten wüßte,

Die da erblühend sich herniedersenkten,

Vielleicht der Erde einen Dichter schenkten? –

Doch Seele, sieh, du schweiftest weit genug,

Zurück, zurück vom allzuhohen Flug![12]

 

Ode an eine Nachtigall

Ein Herz tut weh, und schläfriges Erlahmen,

Als hätt ich Gift getrunken, quält mich sehr.

Betäubte mich ein Trank aus giftigen Samen?

Mich hüllt Vergessenheit, ich weiß nichts mehr.

Doch ist's nicht Neid auf dein so glücklich Los –

Nur füllt so schwer mit Glück dein Glück mich an:

Daß du, des Walds beflügelte Dryade,

In lieblich kühlem Schoß,

Im Schatten, den das Buchengrün dir spann,

Der Freiheit jubeln kannst, der Sommergnade.

 

O Wein jetzt! Jungen Wein, den Erde kühlte,

Den dunkelkühl ein langes Jahr gereift,

Der sonngebräunten Frohsinn tanzen fühlte,

Und der des Provençalen Lied begreift;

O einen Becher warmen Südens jetzt!

O Hippokrene, die zum Rande schäumt

Und gern und gut Begeisterung bereitet

Mit Lippen rot benetzt,

Dich will ich trinken, daß ich ungesäumt

Zum Wald entschweben kann, von dir geleitet.

 

Entschweben, ganz vergehn – und ganz vergessen,

Was du in deinem Walde nie gekannt:

Die Menschennot, die Mühen unermessen,

Das Sorgenfieber, das die Herzen bannt;

Du weißt nicht, wie gelähmtes Alter stöhnt,

Wie Denken immer nur Sich-härmen heißt,

Wie Jugend bleicht und schleicht und siecht und schwindet,

Und wie Verzweiflung höhnt,

Wo Schönheit, wenn ihr Blick das Leben preist,

Um Liebe weinen lernt und bald erblindet.[13]

Hinweg! Zu dir! Doch soll nicht Bacchus Wagen

Mit Pantherkraft mich ziehn, nein! Poesie

Soll mich auf unsichtbaren Schwingen tragen,

Drückt auch dies Hirn noch müde Apathie.

Schon bin ich bei dir! Milde ist die Nacht,

Und Luna thront mit lächelndem Gesicht

Und überblickt ihr Sternenvolk voll Gnade,

Doch hat sie hier nicht Macht:

Nur manchmal bläst ein Windhauch etwas Licht

Durch grüne Dämmernis auf moosige Pfade.

 

Ich sehe nicht, was blüht zu meinen Fußen,

Welch süßer Balsam rings an Zweigen hängt;

Doch auch im Dunkel ahn ich, was an süßen

Duftwellen atmend in die Mainacht drängt

Aus wildem Beerenbaum und Gras und Strauch:

Ich atme Weißdornduft und Rosenblühn

Und Veilchen, die in Blätterbetten sterben,

Und Moschusrosen auch,

In denen morgens bunte Tropfen glühn

Und abends Sommerfliegen sich umwerben.

 

Im Dunkel lausche ich; und wie Verlangen

Mich oft schon faßte nach dem stillen Grab,

Wie ich dem Tod, mich herzlich zu umfangen,

Schon oft in Liedern liebe Namen gab,

So scheint mir Sterben jetzt besonders schön.

Ach, schmerzlos mich zu lösen in die Nacht,

Indeß dein Sang in heiligen Ekstasen

Beschüttet Tal und Höhn

Und doch mein Herz nicht höher schlagen macht,

Das nur als Duft noch schwingt im blumigen Rasen.

 

Du Vöglein wurdest nicht zum Tod geboren!

Nein, dich zertritt kein hungerndes Geschlecht.[14]

Was diese Nacht mir tönt, sang in die Ohren

Dem ersten König schon, dem ersten Knecht,

Und ist vielleicht derselbe Sang, der tief

Der heimwehkranken Ruth zum Herzen klang,

Als sie in Tränen schritt durch fremde Gassen,

Derselbe Sang, der tief

Bezaubernd sich um Märchenschlösser schwang

Und Feenreiche, die nun längst verlassen.

 

Verlassen! Ach, dies Wort ist wie das Klingen

Trostloser Glocken, das zu mir mich mahnt!

Auch Phantasie kann nicht Erlösung bringen,

Wenn ihr nicht Hoffnung einen Weg gebahnt.

Lebwohl! Lebwohl! Dein Schmerzgesang entschwebt

Zum Wiesengrund aus Waldes hohem Dom,

Ins Tal hinab und schweigt am dunklen Bache.

Ward mir ein Traum belebt?

Betrog die wachen Sinne ein Phantom?

Wer sagt mir, ob ich schlafe oder wache![15]

 

Ode auf eine griechische Urne

Liebkeusche Braut der steten Stille du,

Du Pflegekind von Tag und Tag und Schweigen!

Welch blumiges Waldgeschichtchen schilderst du –

Und sagst es süßer als ein Reimereigen?

Welch blattumrankte Mär umstreicht dein Rund

Von Göttern oder Menschen oder beiden

In Tempe oder in Arkadiens Hängen?

Wer sind sie, die an Mädchenangst sich weiden?

Was jagt so toll? Was ringt und flieht so bunt?

Welch Flötenlied? Welch lustberauschtes Drängen?

 

Gehörtes Lied ist süß, doch süßer ist

Ein ungehörtes: sanfte Flöte, weiter!

O wie du, klanglos, mehr als köstlich bist,

Du geisterhaft-lautlosen Lieds Begleiter!

Nie kannst du, Jugend, lassen von dem Sang,

Wie nie die Bäume hier ihr Laub verlieren;

Du keck Verliebter, nie, nie kannst du küssen,

So nah du auch dem Ziel – doch sei nicht bang:

Nie welkt sie! Wirst du auch entbehren müssen,

Wird Liebe dich und Schönheit sie stets zieren.

 

Glücklicher Baum in ewiger Frühlingszeit,

Nie sinken deiner Zweige Blätter nieder.

Glücklicher Sänger, ohne Müdigkeit

Für immer flötend immer neue Lieder!

Und Liebe, Liebe, voll von größerem Glück:

Für immer heiß und der Erfüllung harrend,

Du immer jagende, du immer junge!

Wie steht vor dir lebendige Gier zurück,

Die Herzen satt macht, im Genuß erstarrend,

Die Hirn erhitzt und dürr versengt die Zunge![16]

 

Und wer sind diese mit dem Priester hier

Und jener Färse? Welcher Gottheit danken

Im Grünen sie mit schönstem Opfertier,

Dem Kränze blühen um die seidnen Flanken?

Welch kleine Stadt an Fluß, in Bergeshain,

An Seestrand, Stadt mit Burg zu Wehr und Frieden.

Steht diesen frommen Tag mit leeren Gassen?

Du kleine Stadt wirst ewig stumm nun sein,

Denn keinem wird die Heimkehr je beschieden,

Dir kundzutun, warum du so verlassen.

 

O attische Form, so schön wie nie erschaut,

Um die sich marmorn Mann und Mädchen ranken,

Mit vollen Zweigen und zertretnem Kraut,

Schweigende Form! du rufst in uns Gedanken,

Wie Ewigkeit es tut: kalt Schäferspiel!

Sind wir mit unserm Leid dahin, so findest

Du andres Leid und wirst in Kümmernissen

Den Menschen trösten, dem du dies verkündest:

»Schönheit ist Wahrheit, Wahr ist Schön!« – Nicht viel,

Nur dies weißt du – und brauchst nicht mehr zu wissen.[17]

 

Ode an Psyche

O Göttin! lausche diesem armen Lied,

Das lieb Erinnern, süßer Zwang geboren;

Verzeih, das dein Geheimnis es erriet

Und wiederkündet deinen eignen Ohren:

Ich träumte heut – denn sollte wacher Sinn

Wohl je die lichtbeschwingte Psyche schauen? –

In lichtem Walde schritt ich für mich hin,

Da plötzlich faßte mich ehrfürchtig Grauen:

Eng Seit an Seite lag ein schönes Paar

Ins Gras gebettet, über ihnen spann

Das Laub ein flüsternd Dach, ein Bächlein rann

Durchs Grün, kaum wahrnehmbar.

 

Auf blumiger Au, die bunt und silberklar

Und kühl und duftend in die Stille sann,

Sanftatmend lagen sie, die Flügel bogen

Sich aneinander und die Arme auch,

Die Lippen trennte nur ein Atemhauch,

Als halbe Schlummer Mund von Mund gezogen,

Als würden jungerwachte Liebeswogen

Zu neuem seligen Küssen sie beglücken.

Den Knaben kannte ich;

Du Taube doch, du lieblichstes Entzücken,

Warst Psyche sicherlich!

 

O letztgebornes lieblichstes Gesicht

Hoch über des Olymps verbleichter Pracht!

O schöner du als erstes Sternenlicht,

Das wie ein Glühwurm in den Abend wacht.

Ja schöner du! Obgleich nicht ein Altar

Noch Opfer dir geschichtet

Und nächtens keine süße Mädchenschar

[18]