Olaf-Axel BurowErnst Fritz-SchubertJürgen Luga

Einladung zur Positiven Pädagogik

Wie Lehrerinnen und Lehrer neue Wege
beschreiten können

Olaf-Axel Burow ist Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Kassel. Seine Forschungsschwerpunkte sind Schul- und Organisationsentwicklung, Kreativitätsförderung, Zukunftsmoderation. Bei Beltz sind folgende Bücher erschienen: Positive Pädagogik (2011), Digitale Dividende (2014), Team-Flow (2015), Wertschätzende Schulleitung (2016).

Ernst Fritz-Schubert, Dr. phil., ist Dozent an der Dualen Hochschule in Stuttgart und an der SRH Hochschule in Heidelberg. Er leitet das nach ihm benannten Fritz-Schubert-Institut, das Methoden zur Persönlichkeitsstärkung und Gesundheitsförderung erforscht und entwickelt. Der Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema Glück und Wohlbefinden war zuvor viele Jahre Schulleiter der Willy-Hellpach-Schule, an der er im Jahre 2007 das Schulfach Glück einführte. Hierzu ist bei Beltz auch der Titel Praxisbuch Schulfach Glück (2014) erschienen.

Jürgen Luga ist Fachredakteur für didaktische Medien und leitet das Redaktionsbüro Education in Dortmund.

Inhalt

Vorwort

Schule muss nicht bitter schmecken: Vom Glück des Lehrens

Selbstwert durch achtsame Selbstbildung

Konsistenz und Kohärenz: Wie die Schule gesund wird

Kompetenzen, Ressourcen und Werte

Lehrer brauchen Visionen

Persönlichkeitsentwicklung fängt beim Lehrer an

Durch Team-Flow zu Wohlbefinden und Spitzenleistung

Wie wir die Zukunft unserer Schule gestalten können

Schule braucht mehr Freiheit

Wie ich andere mit meinen Ideen anstecke: Auf Wertschätzung, Vertrauen und Verantwortung kommt es an

Weiterführende Informationen und Literatur

Bildnachweis

Literaturnachweise / Anmerkungen

Vorwort

Nur wenige werden Schule und die Erfahrung von Glück miteinander in Verbindung bringen. Für zu viele Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler ist Schule ein Ort, der mit Belastung und Überforderung assoziiert ist. Dabei ist Lernen ein mit Lust besetztes Grundbedürfnis des Menschen. Aus dieser Perspektive heraus betrachtet müsste Schule eigentlich ein Ort sein, der uns glücklich macht, sollten wir doch hier unsere Stärken entdecken und unser ungenutztes Potenzial erschließen können. Einigen Schulen ist dieser Wandel zur Potenzialentwicklungsschule gelungen. Doch an zu vielen Schulen dominieren Leistungsdruck und Entseelung. Um diesem Missstand abzuhelfen, hat Olaf-Axel Burow die Positive Pädagogik und Ernst Fritz-Schubert das Schulfach Glück entwickelt – Ansätze, die an immer mehr Schulen mit Erfolg umgesetzt werden. Jeder kennt die Momente und Phasen im Leben, in denen Unzufriedenheit, Zweifel und Erschöpfung die Welt grau färben und uns signalisieren, dass Weitermachen wie bisher keine Alternative ist. Der Wunsch nach grundsätzlichen Veränderungen wird übermächtig. Die Umstände aber erscheinen uns noch mächtiger und Hinderungsgründe unüberwindbar. Wir wählen deshalb keinen neuen Weg, sondern verbleiben in den gewohnten Bahnen oder erstarren. Erweitern wir aber den Blick durch die Positive Pädagogik, eröffnen sich alternative Pfade, die wir beschreiten können, um unsere Wünsche umzusetzen und eine wertschätzende Schule zu entwickeln.

In diesem Buch erfahren Sie nicht nur, wie Sie die Positive Pädagogik und das Schulfach Glück zur Entwicklung Ihrer Schule bzw. Bildungseinrichtung nutzen können, sondern Sie erhalten darüber hinaus auch wirksame Hilfen zur persönlichen Entlastung. Um Ihnen unsere Konzepte fachlich fundiert und gleichzeitig unterhaltsam nahezubringen, führen wir ein Gespräch mit dem Bildungsjournalisten Jürgen Luga über die Entwicklung der Positiven Pädagogik und des Schulfachs Glück.

Schule muss nicht bitter schmecken: Vom Glück des Lehrens

Nach Wegen suchen, wie wir das Glück wieder in die Schule bekommen und für Lehrer undSchüler Bedingungen schaffen, die sie zum Aufblühen bringen.

Jürgen Luga (jlu): Was uns drei vereint, und deshalb haben sich unsere Wege gekreuzt, ist der Wunsch, Schule zu verändern. Jeder von uns hat seine Visionen und Ideen. Ernst, was treibt Dich um und an? Das Thema Glück?

Ernst Fritz-Schubert (efs): Das Glück in der Schule ist mir sehr wichtig, dabei geht es aber nicht um das Glücksstreben. Ich wollte mit der Bezeichnung »Schulfach Glück« einfach weg von dem bitteren Beigeschmack, den Schule oft durch die zu starke Defizitorientierung verursacht. Meine Absicht war und ist es, die psychische und physische Gesundheit durch Schule zu fördern. Das Schulfach Glück soll deshalb vor allem jungen Menschen helfen, ein seelisches Polster aufzubauen und sich für Herausforderungen des Lebens zu wappnen. Gleichzeitig soll es zu einem anderen Professionsverständnis bei den Lehrern und Lehrerinnen führen, also weg vom Fehlerfahnder hin zum Schatzsucher. Schätze zu finden macht schließlich glücklich und zufrieden. Glück und Zufriedenheit oder, anders ausgedrückt, das subjektive Wohlbefinden ist eine wichtige Voraussetzung für seelische Gesundheit.

jlu: Und aus diesen Gedanken heraus hast Du dann das Schulfach Glück entwickelt?

efs: Ja, das Ganze mündete dann in das Schulfach Glück, das den Weg aufzeigt, wie man Lebenskompetenz mit Lebensfreude verbinden kann. Der Weg dahin ist nicht nur lustvoll, sondern auch manchmal anstrengend. Aber Herausforderungen zu bewältigen liegt in der Natur des Menschen. Und es macht gute Gefühle. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es sich um persönlich wichtige und werthaltige Herausforderungen handelt. Im Prinzip geht es darum, unseren eigenen Wert, unseren Selbstwert zu verbessern oder zumindest zu schützen. Alles, was wir tun oder erleben, betrifft auch unseren Selbstwert. Gelingendes Leben steht deshalb immer auch im Kontext des Konzeptes, das wir von uns selbst haben, also im Kontext unseres Selbstkonzepts. Dazu gehört neben dem Selbstwert – man kann auch den Begriff Selbstwertschätzung verwenden – auch die Erwartung, dass ich selbst Einfluss auf das Gelingen meines Tuns habe, also die Selbstwirksamkeitserwartung.

jlu: Wie kann ich denn meine Selbstwirksamkeit steigern?

efs: Je größer meine Kompetenzen sind, Dinge zu verstehen, zu ordnen und zu handhaben, die vorhersehbar oder unerwartet auf mich zukommen, desto größer wird meine Selbstwirksamkeitserwartung. Ein stabiles Selbstkonzept verbunden mit einer guten Selbstkompetenz sind deshalb die Garanten einer persönlichen Meisterschaft und eines gelingenden Lebens. Da meines Erachtens Selbstwertschätzung, Selbstwirksamkeitserwartung und Selbstkompetenz zusammengehören, habe ich sie als pädagogische Zielkategorien in einem Modell zusammengefügt und Fördermöglichkeiten untersucht. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass sich diese Elemente nur fördern lassen, wenn die Bedürfnisse der zu fördernden Personen berücksichtigt werden. Dieses Verständnis von Bildung, zu der auch die Selbstbildung gehört, um die Pädagogik der Wissensvermittlung und der Sozialisation ergänzt führte mich zur Positiven Pädagogik und zu Olaf-Axel Burow.

jlu: Selbstwertschätzung, Selbstwirksamkeit, Selbstkompetenz und die Rolle von Bedürfnissen, das werden wir uns noch genauer anschauen. Olaf, was war bei Dir der Impuls, der Dich zu Deinen Gedanken zur Positiven Pädagogik, zum Kreativen Feld und zur Wertschätzenden Schulleitung motiviert hat?

Olaf-Axel Burow (oab): Zwei widersprüchliche Erfahrungen treiben mich bis heute an: zum einen sicherlich die vielen negativen Erlebnisse meiner eigenen Schulzeit an einem baden-württembergischen Gymnasium in den sechziger Jahren, die leider durch aktuelle Erfahrungen meiner Kinder zum Teil noch immer bestätigt werden. Zum anderen die Begegnung mit einem herausragenden Pädagogen, meinem Religionslehrer Wolfer, der mit uns dreiwöchige Freizeiten in den Schweizer Alpen veranstaltete. Dort haben wir Theateraufführungen erarbeitetet, eine Schulband formiert und eine professionelle Schülerzeitung gegründet. Wolfer verstand es, einen Rahmen zu schaffen, in dem es uns pubertierenden Jugendlichen gelang, unsere unterschiedlichen Neigungen und Fähigkeiten so zu kombinieren, dass wir über unsere begrenzten Fähigkeiten hinauswuchsen und gemeinsam kreativ waren. Er schuf in diesen Freizeiten etwas, was ich an vielen heutigen Schulen vermisse und was ich in meinen Büchern als »Kreatives Feld« beschrieben habe.

jlu: Kreatives Feld – das klingt interessant. Was verstehst Du darunter?

oab: Es geht darum, Schüler nicht in einen vorbestimmten Rahmen zu pressen, in dem jeder zur gleichen Zeit das Gleiche lernen muss, sondern eine herausfordernde Umgebung zu schaffen, in der jeder sein Talent, seine Neigung, seine innere Berufung entdecken und entwickeln kann. Ganz im Sinne meines von John Dewey entlehnten Mottos: »Herauszufinden, wozu man sich eignet, und eine Gelegenheit zu finden, dies zu tun, ist der Schlüssel zum Glücklichsein.«1 Wenn ich mir heute die Mehrzahl der Schulen anschaue, dann stelle ich fest, dass sich seit meiner Schulzeit nicht wirklich etwas geändert hat und viele dieses Ziel der Förderung individueller Begabungen verfehlen. Also Lehrer mit einem falschen Verständnis von Professionalität und Schüler mit einem falschen Verständnis von Bildung, nach dem Motto: Bildung ist, wenn ich den vorgeschriebenen Stoff hersagen kann, statt ihn in Frage zu stellen und für mich zu erschließen. Dieses falsche Bildungsverständnis und das Übermaß an Fremdbestimmung machen Lehrer und Schüler krank. Und deshalb ist mein Anliegen, nach Wegen zu suchen, wie wir das Glück wieder in die Schule bekommen und für Lehrer und Schüler Bedingungen schaffen, die sie zum Aufblühen bringen. Du siehst, Ernst und ich beschäftigen uns dem Wesen nach mit ähnlichen Fragen.

jlu: Wir sind uns einig, dass Schule, so wie sie ist, ein veraltetes, verkrustetes, Jahrhunderte altes System ist, das nicht mehr in unsere Zeit passt. Der Lehrer in seiner Profession schleppt den ganzen Ballast der Geschichte mit sich herum und ständig werden ihm neue Anforderung obendrauf gepackt.

oab: Genau. Obwohl Schule, so wie wir sie heute kennen, nur etwas mehr als 200 Jahre alt ist und in seiner Grundstruktur durch das Fließbandsystem der Massenproduktion und Preußen geprägt ist, können sich nur wenige eine andere Schule vorstellen. Dabei erleben wir, dass die traditionelle Form der Schulpraxis immer weniger geeignet ist, alle Potenziale zu erschließen. Zudem überfordert sie zu viele. Deshalb ist es die Aufgabe der Positiven Pädagogik und des Schulfachs Glück, diesen Ballast zu nehmen und den Blick zu öffnen für ein anderes, zeitgemäßes Konzept von Schule, nach dem Motto: Lehrer und Schüler, befreit euch und erkennt, was wirklich wichtig ist!

jlu: Was ist denn wirklich wichtig bei der Entwicklung einer Schule?

oab: Ich verweise gern auf die drei Ebenen der Schulentwicklung. Die eine ist Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit. Und da muss man feststellen: Trotz allem, was in den letzten Jahrzehnten gemacht wurde, gibt es keinen Fortschritt. Im Gegenteil: Kinder aus benachteiligten Schichten haben weniger Chancen als noch in den achtziger Jahren.

Die zweite Ebene ist Excellence oder Spitzenleistung. Auch da: Das deutsche Schulsystem bringt nur acht Prozent der Schüler an die Spitze, Singapur schafft 26 Prozent. Singapur hat, um Missverständnissen vorzubeugen, nicht das bessere System. Die erzielen ja ihre Ergebnisse durch rigides Pauken. Aber sie zeigen, dass es sehr viel mehr Luft nach oben gibt. Die Frage ist allerdings, ob Schulen zu mehr Chancengerechtigkeit beitragen können, ohne dass die Ungleichheitsstruktur der Gesellschaft verändert wird. Die alte Illusion der Pädagogen ist, dass man Chancengerechtigkeit durch pädagogische Maßnahmen erreichen kann. In einer Gesellschaft, in der die Verteilungsgerechtigkeit immer stärker abnimmt, können Pädagogen das nur begrenzt beeinflussen. Da ist die Politik gefordert.

Und dann gibt es die dritte Ebene: das Wohlbefinden. Und hier liegt die für die Positive Pädagogik und das Schulfach Glück spannende Erkenntnis: Auf dieser Ebene kann man sofort etwas machen, etwa für das Schulklima, für die Gesundheit, für das Engagement, für die Senkung von Fehltagen. Und der Witz ist: Wenn in der Schule ein größeres Wohlbefinden herrscht, dann sind auch die Leistungen besser und dann hat das auch Auswirkungen auf Chancengerechtigkeit. Also insofern ist Wohlbefinden der zentrale Hebel, um Schulkultur, Lernfreude, also Schulentwicklung insgesamt voranzubringen.

efs: Der Frage »Wo kann sich Schule hin entwickeln?« müssen wir unbedingt nachgehen. Aber zuerst muss uns Folgendes klar sein: Der Lehrer trägt einen schweren Rucksack voll von überkommenen Vorstellungen darüber, was Bildung ist und wie sie vermittelt werden kann, mit sich herum – der muss entrümpelt werden. Schüler sind keine Maschinen, die man bestückt, um ein Produkt zu erzeugen, sondern eigenständige und selbstbestimmte Wesen, die für sich genau das auswählen, was ihnen gut und wichtig erscheint. Als Lehrer werden wir in diesem Verständnis zum Begleiter von prozessualen Abläufen, bei denen die Lernenden für sie wichtige Erkenntnisse gewinnen. Dabei müssen wir uns die Frage stellen: Auf was kommt es dem Lernenden in diesem Prozess eigentlich an?

oab: Das ist die zentrale Frage. Was braucht der Lernende?

efs: Neben den kognitiven Fertigkeiten und Fähigkeiten braucht er vor allem Voraussetzungen, um sich selbst organisieren zu können – im Sinne von personalen Kompetenzen. Außerdem ein gesundes Selbstwertgefühl und den Glauben, dass er die anstehenden Herausforderungen auch schafft, also das Gefühl selbst wirksam zu sein. Diese Elemente helfen ihm dabei, weiterzukommen, sich zu bilden und nicht auf der Stelle zu treten. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Mensch sich selbst entfaltet und nicht entfaltet wird. Mein Modell, das Grundlage des Schulfachs Glück ist, beschäftigt sich genau mit den Fragen nach Selbstbildung und Selbstentfaltung und wie diese gefördert werden können. Das gelingt meiner Meinung nach nur, wenn auch die Alltagshandlungen der Schülerinnen und Schüler und die anstehenden Entwicklungsaufgaben berücksichtigt werden. Das heißt, dass sich Schule neben den akademischen auch um die nichtakademischen Zielsetzungen kümmern muss.

oab: Da stimmen wir überein. Ich war ja an der Entwicklung der Gestaltpädagogik beteiligt und dort steht die Persönlichkeitsentwicklung im Mittelpunkt. Die Ermöglichung von persönlich bedeutsamen Lernprozessen ist zentrale Aufgabe des Lehrers. Aber das geht nur, und das ist mein spezifischer Fokus, wenn die Ermöglichung persönlich bedeutsamen Lernens ins Zentrum der Erziehungs- und Unterrichtsarbeit rückt, und mehr noch, wenn sich die Schule insgesamt auf einen Prozess gemeinsamer Zukunftsentwicklung einlässt, an dem Lehrer, Schüler, Eltern und das schulische Umfeld beteiligt sein müssen.

jlu: Der gemeinsame Ansatz ist also, dass Schule ein Ort sein sollte, der die Entfaltung von Persönlichkeiten ermöglicht und unterstützt, der den individuellen Bedürfnissen von Lehrern und Schülern gerecht wird und ihr Potenzial erschließen hilft.

efs: Das funktioniert aber nur, wenn es gelingt, Zusammenhänge aufzuzeigen, die einen Sinn erkennen lassen. Wenn wir keine Zusammenhänge herstellen können, entsteht das Gefühl der Sinnlosigkeit. Zusammenhänge erkennen zu können, also Sinnfindung, bildet demnach das Fundament guter Bildung

jlu: »Über Sinn denke ich erst nach, wenn ich keinen Sinn finde …« So ähnlich habe ich es neulich in einer der vielen Zeitschriften gelesen, die sich aktuell den unterschiedlichsten Facetten von Sinnstiftung widmen. Gemessen an der Anzahl der Publikationen zu dem Thema muss es ja ein großes Bedürfnis nach Sinnstiftung geben.

oab: Weil viele von uns im Alltag, aber auch zu viele Lehrer und Schüler in der Schule die Erfahrung von Sinnlosigkeit oder gar Unglück machen.

efs: Dafür bildet unsere Gesellschaft, die in weiten Teilen eine sinnbefreite Gesellschaft ist, beste Voraussetzungen. Das ist vermutlich der eigentliche Grund, weshalb die Sehnsucht nach einem sinnerfüllten Leben so groß ist.

jlu: Ernst, Du beziehst Dich in Deinen Büchern oft auf Viktor Frankl. Ein Zitat von ihm lautet: »Je mehr er [der Mensch] das Glück jagt, umso mehr verjagt er es auch schon.«

efs: Das Zitat geht aber noch weiter: »Um dies zu verstehen, brauchen wir nur das Vorurteil zu überwinden, daß der Mensch im Grunde darauf aus sei, glücklich zu sein; was er in Wirklichkeit will, ist nämlich, einen Grund dazu zu haben. Und hat er einmal einen Grund dazu, dann stellt sich das Glücksgefühl von selbst ein.«2

oab: Das Glück stellt sich von selbst ein? Das musst Du erklären.

efs: In dem Maße, in dem wir das Glücksgefühl direkt anpeilen, verlieren wir den Grund, den wir dazu haben mögen, aus den Augen, und das Glücksgefühl selbst sackt in sich zusammen: »Glück muss erfolgen und kann nicht erzielt werden.«3 Nach Frankls Grundthese ist der Mensch ein Wesen, das beständig auf der Suche nach einem Sinn ist, nach für ihn bedeutsame Beziehungen zu anderen Menschen, zur Natur, zu seiner Tätigkeit und seinen Erfahrungen, an denen er wachsen, reifen kann.

jlu: War Frankl nicht auch im Konzentrationslager, einem Ort, an dem man wohl kaum seinen Sinn finden kann?

efs: Das würde man meinen. Aber das Spannende ist, wie es Frankl gelang, in dieser Ausnahmesituation zu überleben. Aus seiner Sicht kommt es auf das Erkennen und Erfahren von Zusammenhängen und deren Bewertung an, mögen sie auch extrem sein. Dann ist es sogar möglich, im Leiden einen Sinn zu finden. Die von ihm begründete Logotherapie soll den Menschen helfen, in ihrem Leben Sinn zu finden und nicht durch das Gefühl von Sinnlosigkeit existenziell frustriert zu werden und daran zu verzweifeln.

Selbstwert durch achtsame Selbstbildung

Gesunde Selbstakzeptanz ist eine wichtige Ressource, die auf (Selbst-)Vertrauen und (Selbst-)Verantwortung fußt.

jlu: Wir sind bereits darauf zu sprechen gekommen, dass Pädagogen oftmals einen Rucksack mit sich herumtragen, den es zu entrümpeln gilt. Ernst, Du empfiehlst Lehrern und Lehrerinnen, im Leben öfters inne zu halten und erst einmal sich selbst zu betrachten. Das klingt nicht gerade nach Aufbruchsstimmung.

efs: Das sehe ich etwas anders. Das Innehalten steht für mich symbolisch für Selbstvergewisserung im Sinne von Achtsamkeit als Ausgangspunkt für alles, was folgt.

jlu: Das musst Du mir näher erläutern.

efs: Beim Innehalten, so wie ich es verstehe, bin ich derjenige, der sich selbst einschätzt, sich selbst betrachtet in Bezug auf die eigenen Möglichkeiten und Ressourcen. Dabei ist mein Gewissen involviert, es fühlt und spürt und wird zum Ratgeber.

Der Mensch möchte nicht nur erdulden, sondern vor allem auch aktiv gestalten. Dazu benötigt er Mut und (Selbst-)Vertrauen, aber auch die Bereitschaft, für die angestrebte Handlung Verantwortung zu übernehmen. Für mich ist Vertrauen ein ganz wichtiges Element. Es wurzelt im besten Falle im Urvertrauen des Kindes und reift heran zur Ich-Identität des jungen Menschen, seinem Verständnis von sich selbst, bis hin zur Ich-Integrität des Älteren, der nicht mit sich und seinem Leben hadert, sondern auf ein erfülltes Sein zurückschaut.

jlu: Und was bedeutet Vertrauen in Bezug auf Schule?

efs: