Julius Wolff

Der Rattenfänger von Hameln

Eine Aventiure

 

 

 

Julius Wolff: Der Rattenfänger von Hameln. Eine Aventiure

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Josef Kriehuber, Der Rattenfänger von Hameln, 1868

 

ISBN 978-3-7437-0612-5

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0557-9 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-0558-6 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Berlin, G. Grote, 1875.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Allen lieben Spielleut

Ihr lieben Spielleut allesammt,

Ob arm, ob Schätze sparend,

Wie Ihr auch heißt, woher Ihr stammt,

Ob seßhaft oder fahrend,

Ihr Sinner und Erzähler all,

Poeten, Troubadoure

Und Musikanten überall,

Nehmt hin die Aventiure.

 

Die Ihr trompetet und posaunt

Und quinkelirt und zimpert,

Paukt, trommelt, rasselt und rasaunt

Und fingert, knipst und klimpert,

Ob Flöte oder Clarinett,

Ob Brummbaß oder Geigen,

Ob Harfe oder Hackebrett

Ihr klingen laßt zum Reigen,

 

Und die Ihr singet hochgemuth –

Wie ist doch gottbegnadet,

Wer in der eignen Töne Fluth

Die frohe Seele badet!

Wer von der edlen Zunft ein Glied

Der Spieler und der Sänger –

Euch widme ich getrost mein Lied

Vom Ham'ler Rattenfänger.

 

Ist eine alte Stadtgeschicht,

Halb spaßhaft und halb schaurig,

Wär' nur das letzte Ende nicht,

Ihr Brüder, gar zu traurig.

Manch seltne Chronik schlug ich auf,

Urkunden, Pergamente,

Daß ich erführ' der Dinge Lauf,

Sie recht bei Namen nennte.

 

Doch nirgends giebt es im Archiv

Für Forscher was und Finder,

Als daß ein Pfeifer kam und rief

Die Ratten und die Kinder.

Ein Spielmann war er, so wie wir,

Fuhr durch das Reich die Straßen,

Sang, spielte, küßte, so wie wir,

Kühn über alle Maßen.

 

Und daraus ich dies Lied ersann,

Wie ich mir das so dachte,

Jedweder macht es, wie er kann,

Ein Schelm, wer's besser machte!

Hier sitze ich am Meeresstrand

Und höre Wellenrauschen,

So mögt, Gesellen, Ihr im Land

Nun meiner Märe lauschen.

 

Mit vollen, weißen Segeln zieht

Ein Schiff am Horizonte,

Daß doch auch so führ' mein Lied,

Daß so das Glück ihm sonnte!

Ich gab ihm lust'ge Zeichen schon,

Die kommen ihm zu Statten,

Es führt die Fiedel am Gallion

Und in der Flagge Ratten. –

 

Ihr lieben Spielleut, nehmt in Kauf,

Was Euch an ihm verdrossen,

Und schließt ihm Eure Herzen auf,

Dem Hameler Genossen.

Es geht die Sage wie ein Sang

Von ihm durch's alte Sachsen,

Und auf dem Koppelberg ist lang

Darüber Gras gewachsen.

Ostende, Juli 1875.

 

1. Zu Rathhause

In dem Rathhaussaal zu Hameln

Tagt des Raths Wohledle Weisheit.

Dicke Mauern, deren Pfeiler

Hochgeschwungne Bogen tragen,

Gürten die gewölbte Halle.

An der Decke ist der Himmel

Abgemalt mit Mond und Sternen;

Wie die Sonne aus den Wolken

Strahlt herab das Gottesauge

Deß zum Zeichen, daß auch Alles,

Was in diesem Saale vorgeht,

Der Allgegenwärt'ge schauet.

An der Wandung breit'ster Fläche

Ist des heiligen Bonifacii,

Dem das alte Stift geweiht ist,

Irdische Mission geschildert,

Wie die Heiden er bekehret,

Hier die Donnereiche fället,

Dort von Friesen wird erschlagen.

Und in einem andern Felde,

Wie Bernhardus, Graf von Bühren,

Von Angarien auch genannt wohl,

Und Christina, seine Gattin,

Mit dem schatzbeladnen Esel

Betend stehen und geloben,

Eine Kirche da zu bauen,

Wo sich Bruder Langohr müde

Oder faul zur Ruhe strecke.

Hier just blieb der Esel liegen,

Und auf so geweihtem Boden

Gründeten sie Bonifacio

Eine Stätte, die mit Mönchen

Aus dem Orden Benedicti

Segenspendend er besetzte.

Eine kleine Stufe höher,

Als des Saales grauer Estrich,

Abgesperrt durch eine Schranke,

Steht der Sitzungstisch des Rathes,

Drauf des Heilands Bild am Kreuze

Und das Stadtbuch, der Donat,

Hameln's Codex statutorum,

Um den Tisch im Halbkreis sitzen

Auf den lederüberzognen,

Hochgelehnten Polsterstühlen

Die zwölf Rathsherrn, und den Vorsitz

Führt Herr Wichard Gruwelholt,

Hameln's wackrer Bürgermeister.

Edle Herren sind die Zwölfe,

Graue Häupter der Geschlechter,

Männer auch in besten Jahren

Sind dabei, die Schwert und Lanze

Besser, als die Feder führen;

In die Stirne hängt das Haupthaar,

Wallt auf steif getüllten Kragen,

Der den kräft'gen Hals umschließet

Und das bärtige Gesicht.

Wamms und Mantel zeigen Wohlstand,

Nicht gespart sind Sammt und Seide

Auf dem feinen Tuch aus Flandern,

Und man sieht, bewußt ist jeder

Seines Amtes sich und Werthes

In der schwierigen Berathung.

 

Ernste Dinge, schwere Sorgen

Stehen auf der Tagesordnung,

Und die Wichtigkeit der Sitzung

Blickt aus jeder Rathsherrnmiene.

Um gemeiner Stadt Vermögen

Handelt's heut sich, um den Säckel,

Den der Bürgerschaft Erwählte

Ihrem braven Monetarius

Johann Steneken vertrauten.

Eben hat in längrer Rede,

Wohl gespickt mit glatten Zahlen,

Er vom Stande der Finanzen

Ein nicht grade sehr erbaulich

Bild dem hohen Rath entwickelt.

Näher rückt das Fest Martini,

Wo die Stadt dem Herzog Albrecht,

Braunschweig's Fürst und Oberlehnsherr

Der Vogtei, hat zu bezahlen

Vierzig silberne Talente.

Sind auch schwere Kriegesschulden

Aus der großen Mind'ner Fehde

Noch zu tilgen, die um Hameln

Einst der Ebersteiner führte

Mit dem Bischof Wedekinde,

Und die für die Stadt sich schimpflich

Wendete und ach! so traurig

Mit der Schlacht von Sedemünden.

Auch um Herzog Albrecht's Kasse

Stand's gewöhnlich nicht zum Besten;

Oftmals war die Stadt verpfändet,

– So auch jetzt dem Lüneburger –

Doch den Pfandschilling zu leisten,

Fehlt' es wieder mal dem Lehnsherrn,

Und um Brandschatzung zu meiden,

Mußte sich der Rath bequemen,

An Herrn Otto den Gestrengen"

Auch den Pfandschilling zu zahlen.

Wie zu tragen solche Lasten,

Stritt sich nun der Rechenmeister,

Eine spröde Zahlenseele,

Scharf und klar wie ein Exempel,

Mit Henricus Hogeherte,

Der die Zölle und Gefälle

Hatte jährlich auszuschreiben

Das verdrießlichste der Ämter.

Forderte der Monetarius

Von dem Zöllner neue Steuern,

Weil nicht anders auszukommen,

Schalt der Zöllner die Verwaltung

Die nicht hauszuhalten wüßte,

Hier verschwendete, dort kargte,

Aber nie am rechten Orte.

Bürgerschaft und Zünfte waren

Nicht des Zöllners beste Freunde,

Doch im Strauße mit dem Geldmann

Steneken, dem Pfennigfuchser,

Hatt' er sie auf seiner Seite;

»Es geschieht nichts«, hieß es mürrisch,

»Für den Schoß, den wir bezahlen,

Nirgends sieht man eine Bess'rung

Und Verwendung, möchten wissen,

Wo das viele Geld mag bleiben.«

Also klagten sie und drohten,

Hielten Reden auf den Stuben

Über ihres Rathes Wirthschaft,

Und der Vierundzwanz'ger »Umstand«

Paßte scharf ihm auf die Finger.

Heute wieder kam's zum Klappen

Zwischen jenen beiden Rathsherrn,

Und es fielen schwere Worte.

Bald der Eine, bald der Andre

Sprang vom Stuhl auf im Gefechte;

Wenn der Zöllner heftig ausfiel,

Braun und blau vor Ärger wurde,

Blieb der Geldmann kalt und trocken,

Doch mit spitzen Redestacheln

Reizte er noch mehr den Gegner.

Jeder hatte seinen Anhang

Hier am Tische, zu Parteien

Schloßen sich die Bundsgenossen,

Und es kreuzten sich wie Klingen

Ruf und Schelten aller Zwölfe.

Mit Herrn Steneken getreulich

Hielt es Ludolph Senepmole,

War ein Greis, beredt und lebhaft,

Und Marquardus de Golterne,

Ein geschworner Feind der Zünfte,

Welche ihm sein reich gestepptes

Wamms aus Bremen nicht verziehen;

Bertram Lupus mit der Narbe,

Bischöflichen Angedenkens,

Brauste auf in jähem Zorne;

Tile Scadelant, sein Schwäher,

Und sein Vetter Klaus Grobowe

Stimmten blindlings immer mit ihm.

Auf Herrn Hogeherte's Seite,

Der ein Lebemann und selber

Großen Aufwand macht' im Hause,

Stand nun Giso Senewolde,

Edelmüthig von Gesinnung,

Doch mit raschem, heißem Blute,

Thidericus de Emberne,

Stolz und vornehm, aber bissig,

Hetzte ihn und gab das Stichwort,

Das am meisten jene wurmte

Und wie Kipper klang und Wipper;

Heftig lärmten Bruno Dives,

Amelung de Oldendorpe,

Der, wie jedermann bekannt war,

Nach dem Ritterschilde strebte,

Und Matthias Werengisi,

Ein gewalt'ger Mann, der trutzig

Sein Baret mit langer Feder

Tief sich in die Stirne drückte

Und mit Sporen stets einherging.

Drohend stieg das Ungewitter,

Rothe Zornesadern schwollen,

Und ein Stampfen gab's und Toben

Daß die Fensterscheiben klirrten.

Einer aber hatt' ein Gaudium

An dem lichterlohen Brande:

Jacob Werner Ethelerus,

Hohen Raths gelehrter Schreiber;

Außen ließ er sich nichts merken,

Wem er Recht gab in der Meinung,

Doch er lachte sich ins Fäustchen,

Freute sich am Zank und gönnte

Jedem recht sein Fett von Herzen,

Ja, er hätt' es gern gesehen,

Daß sie sich beim Kragen kriegten

Und statt scharfer, grober Worte

Hageldichte Streiche fielen.

Aber kam es auch im Rathe

Nicht zum Spruche und Beschlusse,

Wie das Geld wohl zu beschaffen,

Bis zum Prügeln kam's nun doch nicht;

Dem Getöse und Gezänke

Macht' ein End' der Bürgermeister,

Der mit seines Schwertes Knaufe

An die eichne Tafel pochte

Und mit Amtes Kraft und Würde

Sich nun also ließ vernehmen:

 

»Ehrenfeste und Fürsicht'ge,

Günst'ge, liebe Herrn Collegae!

Maßen, wie es hat den Anschein,

Wir den Gegenstand des Streites

Heute nicht zum Austrag bringen,

Lasset uns nichts überstürzen

Und die leid'ge Geldnothfrage

Auf die nächste Sitzung schieben,

Sintemalen eine Sache

Hoher Wichtigkeit noch heute

Zu erledigen uns obliegt.

Männiglich bekannt und ruchbar

In der Stadt, die wir regieren,

Ist die schrecklich große Plage,

Die das überhand genomm'ne

Grausliche, vermaledeite

Ungeziefer uns bereitet.

Ratten, Ratten ohne Ende,

Mäuse auch wie Sand am Meere

Haben zwischen unsern Mauern

Überall sich eingenistet,

Hausen frech in unsrer Wohnung,

In der Küch' und Kemenate,

Auf dem Söller wie im Keller,

Nagen uns zu Kopf, zu Füßen,

Schlüpfen über unsre Betten

Selbst, wenn wir darinnen liegen,

Daß wir ihre kalten Schwänze

Manchesmal im Antlitz fühlen,

Naschen uns an Trank und Speise,

Stecken ihre garst'gen Schnauzen

In die Schüsseln, Krüg' und Töpfe,

Fressen sich in alle Schränke,

Wühlen sich durch alle Wände.

Sind wir doch hier auf dem Rathhaus

Nicht mal sicher vor den Bestien,

Saht's wohl nicht vorhin, Ihr Herren,

Wie sogar vor unsern Augen

Ratten durch den Saal hier tanzten,

Und doch war's nicht eben still hier.

Nichts schlägt an zu Hülf' und Abwehr,

Immer schlimmer wird die Plage

Immer größer wird der Jammer,

Denn sie mehren sich entsetzlich;

Eine echte Rattenmutter

Hält, Ihr wißt es, jeden Monat

Regelmäßig Wochenstube,

Bringt zur Welt dann Siebenlinge.

Geht's so fort in dem Verhältniß,

Fressen Ratten ja und Mäuse

Wahrlich bei lebend'gem Leibe

Noch die Haare uns vom Kopfe,

Und uns bleibt nichts Andres übrig,

Als – damit wir in den Kleidern,

Die wir tragen, und Geräthen

Diese Pest nicht noch verschleppen –

Splitternackend auszuwandern

Und die Stadt der Brut zu lassen.

Nachts, wenn ich so schlaflos liege,

Schlaflos, weil in meiner Kammer

Hin und her das hopft und trappelt,

Und das Sägen, Raspeln, Bohren

Von verfluchten Mäusezähnen

Mich nicht läßt die Augen schließen,

Hab' ich oft im höchsten Zorne

Alles, was ich konnt' erreichen,

Schuh und Kleidung, Krug und Leuchter

Nach den Ecken schon geschleudert,

Brachte doch das Teufelsviehzeug

Nimmermehr damit zur Ruhe,

Aber mich nur in Verzweiflung,

Daß ich lag in Schweiß gebadet.

Brauche Umfrag nicht zu halten,

Ob's nicht ähnlich Euch ergangen,

Ob es Einer anders wüßte;

(Alle schüttelten die Köpfe)

Also komm' ich nun zur Sache.

Gestern hat bei mir gemeldet

Sich ein Fahrender, ein Spielmann

Scheint er mir von äußrem Ansehn,

Sagt, daß er von unserm Elend

Unterrichtet und bereit sei,

Uns mit seiner Kunst zu dienen,

Denn ihm sei die Macht gegeben

Über alles Ungeziefer,

Wolle uns davon befreien,

Wenn er mit des Königs Frieden

Dürfe in der Stadt verweilen

Und wir mit ihm handelseinig

Einen Pakt zu schließen willig.

Ich beschied ihn her und hieß ihn

Auf dem Gange draußen warten,

Bis er vorgelassen werde,

Wenn's dem hohen Rath gefällig.«

Lauter Beifall tönte ringsum

Zu des Bürgermeisters Weisheit,

Untermischt mit manchem derben

Fluche auf die Langgeschwänzten,

Welche sich dadurch mit nichten

In dem lustigen Turniere

Vor der hohen Rathsversammlung

Im Geringsten stören ließen.

Und es rief Herr Gruwelholt:

»Stadtknecht, führt herein den Fremden!«

 

Aus der Dunkelheit des Ganges

Schritt durch die gewölbte Pforte

Langsam in den Saal der Fremdling

Und trat höflich sich verneigend

Mitten vor den Tisch des Rathes.

War ein Mann von schlankem Wuchse,

Auf der markigen Gestalt,

Die so leicht und doch so sicher

In der kleidsam engen Tracht

Sich bewegte, lag die Ruhe

Und die Kraft des Selbstvertrauens.

Um die freie Stirne wehte

Was wie Stolz, und aus den lebhaft

Sprechenden, entschiednen Zügen

Lauerte verschlagne Klugheit.

Um das Antlitz, das gebräunte

Mit der leicht gebognen Nase

Hingen lange, dunkle Locken,

Und auf rother Lippe krümmte

Übermüthig sich der Schnurrbart.

Wachsam unter schwarzen Brauen

Funkelten zwei tiefe Augen,

Die mit einem schnellen Blicke

Scharf wie eines Falken Seher

Über die Versammlung blitzten.

»Fremder«, sprach der Bürgermeister,

»Sagt uns vörderst Euren Namen,

Eure Herkunft, Stand und Alter.«

»Weiß nicht, Herr, wo ich geboren,

Auf der Heerstraß' ist's gewesen

In dem Troß auf einer Kriegsfahrt,

Ist wohl dreißig Jahr und länger,

Bin ein Bankert, – nicht verschweig' ich's –

Kannte Vater nicht und Mutter;

War ein Reitersmann der Eine,

Aber frei und ritterbürtig,

Der im tiefen, nassen Graben

Irgend einer Burg mag faulen,

Und die Andre mußt' ihr Leben

Lassen, als das meine anfing.

Doch die Alte, die mich aufzog,

Sagte, schön sei sie gewesen,

Habe Lieder singen können,

Wie kein andrer Mund auf Erden.

Was die Alte davon wußte,

Hat sie später mich gelehret

Und dazu manch weises Sprüchlein,

Denn die Kunst und Lust am Singen

War mir selber angeboren;

So bin ich ein Spielmann worden,

Fahre unstet durch die Lande,

Lieder hab' ich ungezählte,

Eine Heimath hab' ich nicht.«

»Und Eu'r Name?« – »Hunold Singuf.«

»Hunold Singuf, Ihr getraut Euch,

Unsre Stadt vom Ungeziefer,

So von Ratten wie von Mäusen

Binnen kurzer Frist zu säubern?«

»So von Ratten wie von Mäusen,

Ja! Herr, wenn mit Königs Frieden

Ich in Eurer Stadt darf weilen.«

»Und was fordert Ihr zum Lohne?«

»Hundert Mark in gutem Silber

Hamelenscher Witt' und Wichte.«

»Könnt Ihr es nicht bill'ger machen?«

Fragte schnell der Rechenmeister.

»Keinen Albus dürft Ihr handeln,

Ich bin nicht gewohnt zu mäkeln.«

»Welche Frist begehrt Ihr, Singuf,

Bis zum Tod der letzten Ratte?«

Frug Henricus Hogeherte.

»Mit dem Vollmond«, sprach der Spielmann,

»Kann ich erst mein Werk beginnen.

Gestern hatten wir ja Neumond;

So von heute an gerechnet

Brauch' ich dreimal sieben Tage

Bis zum Tod der letzten Ratte;

Und wenn nach drei andern Tagen

Sich nicht Ratz noch Maus mehr zeiget

Dann beding' ich noch ein Badgeld,

Eine sondere Verstattung,

Doch es sei nicht bare Münze,

Auch nicht Geldwerth oder Ehre,

Die dem Spielmann nicht gebühre.«

»Welche Mittel doch und Wege,

Welches Kraut und welchen Zauber

Wollt Ihr brauchen?« fragte Lupus.

»Herr, das ist nun mein Geheimniß,

Laßt mich schalten, laßt mich walten,

Was Ihr sehen mögt und hören,

Stört mich nicht in meinem Treiben,

Schließt um Mitternacht die Häuser,

Doch ein Stadtthor laßt mir offen;

Einsam seien dann die Gassen,

Daß mir Niemand dort begegne;

Als Eu'r Gast und Schützling weil' ich

In der Stadt mit Königs Frieden,

Haltet Eu'r Wort, halt' ich meines,

Säubere Euch alle Häuser

So von Ratten wie von Mäusen.« –

 

Hundert Mark! – 's ging ihnen nahe

Und im Säckel tiefe Ebbe;

Was die Zünfte sagen würden,

Wenn sie von dem Pakte hörten,

Und dann die geheime Klausel

Von der sonderen Verstattung,

Die er noch nicht nennen wollte

Oder konnte, das bedachten

Alles die wohlweisen Rathsherrn,

Blickten stumm sich gegenseitig

In das sorgenvoll gefaltne,

Aber wohlgenährte Antlitz.

»Hundert Mark in gutem Silber

Hamelenscher Witt' und Wichte!«

Murmelte der Ein' und Andre,

Hundert Mark! ein Sündengeld zwar

Doch an Ratten und an Mäusen

Waren ja viel hunderttausend,

Und wenn sie der Qualen dachten,

Die in einer Nacht nur eine,

Eine einz'ge Maus in ihrer

Stillen Kemenate ihnen

Knuspernd, kraspelnd konnt' bereiten,

Fühlten sie es heiß und kalt schon

Über ihren Rücken laufen,

Und es däuchte hundert Mark dann

Ihnen eine Bettelgabe,

Aus der Stadt gemeinem Säckel

Ruh und Schlummer sich zu kaufen

Vor den Ratten und den Mäusen

Und den lieben Eh'gesponsten.

 

So zur Stetigkeit und Urkund

Ward der Pakt geschlossen und dann

Zu den Heiligen geschworen,

Da man zählte Jahr des Herrn ...

Einen Tag vor Sankt Lamberti,

Und der Stadt gelehrter Schreiber

Jacob Werner Ethelerus

Nahm's zu öffentlichem Briefe,

Hängte dran das Ingesiegel,

Drauf ein Mühlstein in dem Schilde.

Den zwei grimme Löwen hielten.

Hunold wandte sich zur Thüre

In die Dunkelheit des Ganges,

War im Augenblick verschwunden.

»Geht hinab zum Herrenkeller,

Laßt ein Trinken Euch zum Willkomm

Auf des Rathes Kosten geben!«

Rief ihm nach Herr Hogeherte.

 

Eines edlen Rathes Sitzung

Schloß darauf der Bürgermeister,

Und die Rathsherrn, froh im Herzen,

Daß doch etwas war beschlossen,

Schnell versöhnt mit Händeschütteln,

Trennten sich nach vielen Grüßen,

Wandelten in ihre Häuser

Zu den lieben Eh'gesponsten,

Zu den Ratten und den Mäusen.

Manchem doch ward's von den Herren

Um die Stirn ein wenig schwüle,

Wenn ihm mit devotem Gruße

Auf der Gaß' ein Hudemeister

In den Weg kam, und er dachte:

Was die Zünfte sagen werden!

 

2. Beim Bürgermeister

Als der Letzte aus der Thüre

Trat Herr Wichard Gruwelholt,

Stieg herab die Rathhaustreppe,

Blieb auf ihren untern Stufen

Grübelnd stehn, sah vor sich nieder,

Stützte sich auf das Geländer,

Das von Eisen war geschmiedet,

Und im Augenblicke schien es,

Als ob er sich rückwärts wandte,

Noch einmal hinauf zu steigen.

Doch es blieb bei der Bewegung,

Leise nickend jetzt herunter

Kam er auch die letzten Stufen

Und begab sich auf den Heimweg.

Stattlich sah der Herr und fürnehm

In der pelzverbrämten Schaube

Mit den langen, offnen Ärmeln;

Spitze Schnabelschuhe trug er,

Die ein Vorrecht der Geschlechter,

Doch die bunten, grellen Farben,

Die beliebt geworden, mied er,

Hatte eine Kleiderordnung

Gegen Kostlichkeit und Hoffart

Erst vor Kurzem selbst erlassen,

Die es jedem Stande vorschrieb,

Was für Tracht, für Schmuck und Pelzwerk

Ihm erlaubt und ihm verpönt war.

Wichard's Linke ruht' am Schwertgriff

Und der Rechten Daumen hielt er

Vorne in dem breiten Gürtel.

Vor dem Würdigen stolzirte,

Hellebarde auf der Schulter,

Mit gepufftem und geschlitztem

Wammse in getheilten Farben,

Einer von den Stadttrabanten,

Wie's dem Proconsul gebührte.

Langsam, mit geneigtem Haupte

Schritt er, vom gemeinen Wesen

Ging ihm Vieles durch die Sinne;

Weiß nicht, ob es augenblicklich

Ratten oder Mäuse waren

Oder silberne Talente,

Ob der Pakt des Rattenfängers

Oder ob der städt'sche Säckel,

Der doch leicht genug und ledig,

Ihm so schwer lag auf dem Herzen.

Als er näher kam der Wohnung,

Klärten sich die finstern Mienen,

Denn dort hofft' er Ruh und Frieden.

Mit dem hohen, spitzen Giebel

Schon von ferne gastlich winkend

Stand das Haus ihm an der Gasse.

In den kleinen, runden, grünen

Bleigefaßten Fensterruthen

Spiegelte die Abendsonne

Freundlich ihre goldnen Strahlen.

Aus dem ersten Stockwerk ragte

Keck ein Erker, dessen Thürmchen

War gedeckt mit dunklem Schiefer,

Und auf seiner schlanken Spitze

Blinkte die metallne Kugel.

An geschnitzten Balkenköpfen

Hingen viele Schwalbennester,

Und dazwischen am Gesimse

War ein frommer Spruch geschrieben.

Oben in dem Erkerfenster

Standen frische Blumensträuße

In den blau gemalten Scherben,

Goldlack, Nelken und Levkoyen,

Die des Bürgermeisters Tochter

Zog im Garten hinterm Hause,

Wo die hundertjähr'ge Linde

Ihre breiten Äste reckte.

Eine Laube war gezimmert

In der grünen Lindenkrone,

Und ein hölzern Trepplein führte

Nach dem dämmrungskühlen Plätzchen.

Dort saß gern Herr Gruwelholt,

Denn da kamen ihm die klügsten

Diplomatischen Gedanken,

Und nach Tages Last und Hitze

Nahm er wohl zum Lautertranke

Mit hinauf den großen Schauer

Voll Claretwein oder Moraß.

Auch Regina saß dort gerne

Mit der fleiß'gen Nadelarbeit,

Wenn sie sich ein Tüchlein säumte

Und mit Gold- und Silberfäden

Oder auch mit bunter Seide

Ihren Namenszug hineinwob.

 

Zwiegetheilt in ihrer Höhe

War des Hauses niedre Thüre

Mit dem schweren Messingklopfer;

Offen stand die obre Hälfte,

Und auf ihrem untern Flügel

Lehnte Jungfer Dorothea,

Schaute ungeduldig spähend

Auf die Gasse und bewegte

Oft den Mund im Selbstgespräche:

»Was mag das nun wohl bedeuten,

Daß er grade heute ausbleibt?

Was wird's geben? wird sich wieder

Mit dem Secretarius zanken,

Dessen glatte, spitze Zunge

Ihm so oft schon Ärger machte,

Daß ihm's Abendbrod nicht schmeckte

Und des Nachts Kolik ihn quälte.«

Also grollte sie kopfschüttelnd,

Daß die marderfellbesetzte

Kogel sich auf's linke Ohr schob.

 

Schaffnerin war Dorothea

In dem Haus des Bürgermeisters,

Der, seit achtzehn Jahren Wittwer,

Küch' und Keller, Schrein und Linnen

Und sein Töchterlein Regina

Der Erprobten anvertraute.

Würdig war sie des Vertrauens

Und regierte mustergültig;

Ordnung herrschte in der Wirthschaft,

Blitzblank, sauber war der Hausrath,

Und auch in dem fernsten Winkel

Durfte sich kein Stäubchen lagern.

Nur an einer harten Klippe

Scheiterten auch ihre Mühen,

Was sie auch für Kraut und Mittel,