Arthur Schnitzler

Liebelei

Schauspiel in drei Akten

 

 

 

Arthur Schnitzler: Liebelei. Schauspiel in drei Akten

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Gustav Klimt: Schubert am Klavier (Ausschnitt), 1899

 

ISBN 978-3-8430-8008-8

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-6719-5 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-6724-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1894. Erstdruck: Berlin (Fischer), 1896. Uraufführung am 09.10.1895, Burgtheater, Wien.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, 1962.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen.

–

Hans Weiring, Violinspieler am Josefstädter Theater.

 

Christine, seine Tochter.

 

Mizi Schlager, Modistin.

 

Katharina Binder, Frau eines Strumpfwirkers.

 

Lina, ihre neunjährige Tochter.

 

Fritz Lobheimer,

Theodor Kaiser, junge Leute.

 

Ein Herr.

 

Wien – Gegenwart.[215]

 

Erster Akt

Zimmer Fritzens. Elegant und behaglich.

Fritz, Theodor. Theodor tritt zuerst ein, er hat den Überzieher auf dem Arm, nimmt den Hut erst nach dem Eintritt ab, hat auch den Stock noch in der Hand.

 

FRITZ spricht draußen. Also es war niemand da?

STIMME DES DIENERS. Nein, gnädiger Herr.

FRITZ im Hereintreten. Den Wagen könnten wir eigentlich wegschicken?

THEODOR. Natürlich. Ich dachte, du hättest es schon getan.

FRITZ wieder hinausgehend, in der Tür. Schicken Sie den Wagen fort. Ja ... Sie können übrigens jetzt auch weggehen, ich brauche Sie heute nicht mehr. Er kommt herein. Zu Theodor. Was legst du denn nicht ab?

THEODOR ist neben dem Schreibtisch. Da sind ein paar Briefe. Er wirft Überzieher und Hut auf einen Sessel, behält den Spazierstock in der Hand.

FRITZ geht hastig zum Schreibtisch. Ah! ...

THEODOR. Na, na! ... Du erschrickst ja förmlich.

FRITZ. Von Papa ... Erbricht den anderen. von Lensky ...

THEODOR. Laß dich nicht stören.

FRITZ durchfliegt die Briefe.

THEODOR. Was schreibt denn der Papa?

FRITZ. Nichts Besonderes ... Zu Pfingsten soll ich auf acht Tage aufs Gut.

THEODOR. Wäre sehr vernünftig. Ich möchte dich auf ein halbes Jahr hinschicken.

FRITZ der vor dem Schreibtisch steht, wendet sich nach ihm um.

THEODOR. Gewiß! – Reiten, kutschieren, frische Luft, Sennerinnen –

FRITZ. Du, Sennhütten gibt's auf Kukuruzfeldern keine!

THEODOR. Naja also, du weißt schon, was ich meine ...

FRITZ. Willst du mit mir hinkommen?

THEODOR. Kann ja nicht!

FRITZ. Warum denn?

THEODOR. Mensch, ich hab' ja Rigorosum zu machen! Wenn ich mit dir hinginge, wär' es nur, um dich dort zu halten.

FRITZ. Geh, mach dir um mich keine Sorgen!

THEODOR. Du brauchst nämlich – das ist meine Überzeugung –[216] nichts anderes als frische Luft! – Ich hab's heute gesehen. Da draußen, wo der echte grüne Frühling ist, bist du wieder ein sehr lieber und angenehmer Mensch gewesen.

FRITZ. Danke.

THEODOR. Und jetzt – jetzt knickst du natürlich zusammen. Wir sind dem gefährlichen Dunstkreis wieder zu nah.

FRITZ macht eine ärgerliche Bewegung.

THEODOR. Du weißt nämlich gar nicht, wie fidel du da draußen gewesen bist – du warst geradezu bei Verstand – es war wie in den guten alten Tagen ... – Auch neulich, wie wir mit den zwei herzigen Mäderln zusammen waren, bist du ja sehr nett gewesen, aber jetzt – ist es natürlich wieder aus, und du findest es dringend notwendig Mit ironischem Pathos. – an jenes Weib zu denken.

FRITZ steht auf, ärgerlich.

THEODOR. Du kennst mich nicht, mein Lieber. Ich habe nicht die Absicht, das länger zu dulden.

FRITZ. Herrgott, bist du energisch! ...

THEODOR. Ich verlang' ja nicht von dir, daß du Wie oben. jenes Weib vergißt ... ich möchte nur, Herzlich. mein lieber Fritz, daß dir diese unglückselige Geschichte, in der man ja immer für dich zittern muß, nicht mehr bedeutet als ein gewöhnliches Abenteuer ... Schau Fritz, wenn du eines Tages »jenes Weib« nicht mehr anbetest, da wirst du dich wundern, wie sympathisch sie dir sein wird. Da wirst du erst drauf kommen, daß sie gar nichts Dämonisches an sich hat, sondern daß sie ein sehr liebes Frauerl ist, mit dem man sich sehr gut amüsieren kann, wie mit allen Weibern, die jung und hübsch sind und ein bißchen Temperament haben.

FRITZ. Warum sagst du »für mich zittern«?

THEODOR. Du weißt es ... Ich kann dir nicht verhehlen, daß ich eine ewige Angst habe, du gehst eines schönen Tages mit ihr auf und davon.

FRITZ. Das meintest du? ...

THEODOR nach einer kurzen Pause. Es ist nicht die einzige Gefahr.

FRITZ. Du hast recht, Theodor, – es gibt auch andere.

THEODOR. Man macht eben keine Dummheiten.

FRITZ vor sich hin. Es gibt andere ...

THEODOR. Was hast du? ... Du denkst an was ganz Bestimmtes.

FRITZ. Ach nein, ich denke nicht an Bestimmtes ... Mit einem Blick zum Fenster. Sie hat sich ja schon einmal getäuscht.[217]

THEODOR. Wieso? ... Was? ... ich versteh' dich nicht.

FRITZ. Ach nichts.

THEODOR. Was ist das? So red' doch vernünftig.

FRITZ. Sie ängstigt sich in der letzten Zeit ... zuweilen.

THEODOR. Warum? – Das muß doch einen Grund haben.

FRITZ. Durchaus nicht. Nervosität – Ironisch. schlechtes Gewissen, wenn du willst.

THEODOR. Du sagst, sie hat sich schon einmal getäuscht –

FRITZ. Nun ja – und heute wohl wieder.

THEODOR. Heute – Ja, was heißt denn das alles –?

FRITZ nach einer kleinen Pause. Sie glaubt, ... man paßt uns auf.

THEODOR. Wie?

FRITZ. Sie hat Schreckbilder, wahrhaftig, förmliche Halluzinationen. Beim Fenster. Sie sieht hier durch den Ritz des Vorhanges irgend einen Menschen, der dort an der Straßenecke steht, und glaubt – Unterbricht sich. Ist es überhaupt möglich, ein Gesicht auf diese Entfernung hin zu erkennen?

THEODOR. Kaum.

FRITZ. Das sag' ich ja auch. Aber das ist dann schrecklich. Da traut sie sich nicht fort, da bekommt sie alle möglichen Zustände, da hat sie Weinkrämpfe, da möchte sie mit mir sterben –

THEODOR. Natürlich.

FRITZ kleine Pause. Heute mußte ich hinunter, nachsehen. So gemütlich, als wenn ich eben allein von Hause wegginge; – es war natürlich weit und breit kein bekanntes Gesicht zu sehn ...

THEODOR schweigt.

FRITZ. Das ist doch vollkommen beruhigend, nicht wahr? Man versinkt ja nicht plötzlich in die Erde, was? ... So antwort' mir doch!

THEODOR. Was willst du denn darauf für eine Antwort? Natürlich versinkt man nicht in die Erde. Aber in Haustore versteckt man sich zuweilen.

FRITZ. Ich hab' in jedes hineingesehen.

THEODOR. Da mußt du einen sehr harmlosen Eindruck gemacht haben.

FRITZ. Niemand war da. Ich sag's ja, Halluzinationen.

THEODOR. Gewiß. Aber es sollte dich lehren vorsichtiger sein.

FRITZ. Ich hätt' es ja auch merken müssen, wenn er einen Verdacht hätte. Gestern habe ich ja nach dem Theater mit ihnen[218] soupiert – mit ihm und ihr – und es war so gemütlich, sag' ich dir! ... lächerlich!

THEODOR. Ich bitt' dich, Fritz – tu mir den Gefallen, sei vernünftig. Gib diese ganze verdammte Geschichte auf – schon meinetwegen. Ich hab' ja auch Nerven ... Ich weiß ja, du bist nicht der Mensch, dich aus einem Abenteuer ins Freie zu retten, drum hab' ich dir's ja so bequem gemacht und dir Gelegenheit gegeben, dich in ein anderes hineinzuretten ...

FRITZ. Du? ...

THEODOR. Nun, hab' ich dich nicht vor ein paar Wochen zu meinem Rendezvous mit Fräulein Mizi mitgenommen? Und hab' ich nicht Fräulein Mizi gebeten, ihre schönste Freundin mitzubringen? Und kannst du es leugnen, daß dir die Kleine sehr gut gefällt? ...

FRITZ. Gewiß ist die lieb! ... So lieb! Und du hast ja gar keine Ahnung, wie ich mich nach so einer Zärtlichkeit ohne Pathos gesehnt habe, nach so was Süßem, Stillem, das mich umschmeichelt, an dem ich mich von den ewigen Aufregungen und Martern erholen kann.

THEODOR. Das ist es, ganz richtig! Erholen! Das ist der tiefere Sinn. Zum Erholen sind sie da. Drum bin ich auch immer gegen die sogenannten interessanten Weiber. Die Weiber haben nicht interessant zu sein, sondern angenehm. Du mußt dein Glück suchen, wo ich es bisher gesucht und gefunden habe, dort, wo es keine großen Szenen, keine Gefahren, keine tragischen Verwicklungen gibt, wo der Beginn keine besonderen Schwierigkeiten und das Ende keine Qualen hat, wo man lächelnd den ersten Kuß empfängt und mit sehr sanfter Rührung scheidet.

FRITZ. Ja, das ist es.

THEODOR. Die Weiber sind ja so glücklich in ihrer gesunden Menschlichkeit – was zwingt uns denn, sie um jeden Preis zu Dämonen oder zu Engeln zu machen?

FRITZ. Sie ist wirklich ein Schatz. So anhänglich, so lieb. Manchmal scheint mir fast, zu lieb für mich.

THEODOR. Du bist unverbesserlich, scheint es. Wenn du die Absicht hast, auch die Sache wieder ernst zu nehmen –

FRITZ. Aber ich denke nicht daran. Wir sind ja einig: Erholung.

THEODOR. Ich würde auch meine Hände von dir abziehen. Ich hab' deine Liebestragödien satt. Du langweilst mich damit. Und wenn du Lust hast, mir mit dem berühmten Gewissen[219] zu kommen, so will ich dir mein einfaches Prinzip für solche Fälle verraten: Besser ich als ein anderer. Denn der Andere ist unausbleiblich wie das Schicksal.

 

Es klingelt.

 

FRITZ. Was ist denn das? ...