Carl Hauptmann: Ephraims Breite. Schauspiel in fünf Akten
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
ISBN 978-3-7437-0498-5
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-0483-1 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-0484-8 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden 1899. Erstdruck: Berlin (Fischer), 1900. Uraufführung am 06.01.1900, Lobetheater, Breslau.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Carl Hauptmann: Ephraims Breite. Berlin: S. Fischer Verlag, 1900.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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Gottlieb Ephraim, Bauer.
Beate Ephraim, Bäuerin.
Breite Ephraim, Tochter.
Ernst Ephraim, Sohn.
Joseph Schindler, Großknecht.
Blumig, Viehhändler.
Tine, Magd.
Ephraims große Bauernstube.[7]
Das Feuer im Ofen brennt. Im Röhr dampfen Töpfe. Hinterm Ofen ist ein Backofenschlupfwinkel, wo einige Betten liegen. Auf dem Tische liegt Brot und Messer. Die Stubenthür ist gewöhnlich offen, so daß man die Viehstallthür sehen kann.[8]
Man hört aus dem Hause
DER BÄUERIN STIMME. Menner wegen keef Du die Schweindla oder keef se nee! Ich sa' wetter gar nischt. Die Bäuerin erscheint geschäftig in der Stubenthür und geht an den Herd. Das giht immerfurt – hie und har – hie und har! Wegen dam[8] ausländscha Knechte muß sich d'r Suhn wer wiß was sa'n lo'n, und nu möcht'r au wieder noch wumeglich die klenn' Schweindla umsuste ha'n – d'r Vater!
TINE die junge Kuhmagd, ist mit einem Milchkübel in der Viehstallthür erschienen.[9]
BÄUERIN noch immer am Herde hantierend. Ihr Madel! Lauter. Ihr Madel!
TINE eintretend. Nee, prill'n 's ock nee asu! ich kumme ju schun!
BÄUERIN. Nu har mit d'r Milch! Ihr kinnt Euch wull au wieder amol nee a' de Zeit hal'n, daß ma' sich erscht muß de Plautze aus'm Halse prill'n! Sie hat den Milchkübel genommen. Seid'r nee bahle fartig mit dam bißla Melkerei?
TINE sich gleichmütig mit dem Rocksaume das Gesicht trocknend. Ju ju – nu immerzu! – Barsch. Ich ha' m'r ebens de Schweindla au amol a'gesahn, Frau. Ich bihn ju schun beim Streun –!
BÄUERIN. De Schweindla a'gesahn! – De Schweindla a'gesahn! – Und's Madel? de Breite? Was hot die sich denn wieder a'gesahn? Die hot wull ock wieder bei dam Kerle, dam Joseph zu stihn? – Was?
Man hört des Bauern Stimme.
TINE. Nee, Joseph is erscht noch gar nee vom Felde rei. Den leeren Milchkübel ergreifend. Breite thut ock de Ziere noch melka. –[10]
Währenddessen ist Bauer Ephraim, ein großer, etwas vorgebeugter, bartloser alter Mann, geschäftig vom Hofe hergekommen. Hinter ihm her der Viehhändler Blumig, ein alter, zäher, schlauer Handelsmann im offenen Düffelkittel, den Hut im Packen, die Peitsche in der Linken.
TINE ab in den Stall.
BAUER sich an der Stübelthür zurückwendend. Kanst m'r immer nachgihn, wie a Hund. 's werd nee andersch! Eenundzwanzig Thaler fir die vier elenda[10] Gerippe vo' Schweindlan – und au nee enn' Pfenn'g meh' besihst De.
DIE BÄUERIN ist nun in der Stubenmitte und sieht den Schürzenzipfel in der Hand, zu.
VIEHHÄNDLER sich auf dem Kopf kratzend. Nee! nee, nee! – I, keene Ahnung! – 's muß ju nee sein. Nee, nee! gar ock bluß a Schada ha'n! Warum ock? Da nahm ich mir meine schin'n Schweindla geruhig wieder mite. Er wendet sich unschlüssig wieder zur Thür. 's muß ju nee grade bei Ephraim sein!
BAUER der nun die Klinke Stübelthür ergriffen hat. Nee, nee! 's muß au noch nee sein! Immer nihm se mite – alle mitsammen! Schweindla hot's genung ei d'r Welt! Ab ins Stübel.
VIEHHÄNDLER kurz auflachend, während er sich den Hut wieder aufsetzt. Nu ju ju, Beate. Schweindla hot's wull ernt genung ei d'r Welt. Ock nee immer grade sulche wuschberne Dingerla.
BÄUERIN die, sobald der Bauer verschwunden ist, eilig und verstohlen Geld aus der Tasche hervorgeholt hat, leise. Blumig! Winkend. Blumig! Sie drückt ihm verstohlen einen Thaler in die Hand. A Thaler zu! Mir gefallen die Schweindla grade. Aber's Maul hal'n! Hierscht De!
VIEHHÄNDLER rückt die Nase verschmitzt lachend in die Höh. A! – wuhar ock! – Mit einer Geste abwehrend.
BÄUERIN laut. Du gleebst's asu gar nee, wie's mit dam Mane immer schwerer und schwerer werd zu hantiern! –
VIEHHÄNDLER laut lachend. 's is wie mit a Hunden! Die war'n zu guderletzte au immer bieser![11]
BAUER vom Stübel zurückkehrend, wie nebensächlich zu Blumig. Was stihst De noch, Blumig? – Mach, mach, Blumig; mach, daß De naus kimmst! Ich ha' das Getimmel ei menn' Hofe sat! Immer naus mit Denner ganza Schweinerei!
VIEHHÄNDLER, den Bauer am Ärmel haltend. Ephraim! – Nihm ock amol a eenzigstes Bissel Verstand a'!
BAUER höhnisch. Gleeb ock nee asu was! Wenn ma' Euch beschissna Ludern nee glei a Hals bis ei de Nase vull schitt', da heeßt's glei immer, nahmt ock Verstand a'! – Ich wihl gar kenn' sulchen Verstand ha'n. Er sieht sich plötzlich komisch wie nach etwas um. Willst De nu, oder's kan sein, ich nahm de Peitsche und ja'te Dich mitsamt da ganza schiena Schweindlan ubadrein zum Luche naus. Er ist nun auf einmal über legend zur Thür gegangen.
BÄUERIN. Ju ju ju! Asu is eemol dar Man, Blumig.
BREITE kommt, ein Schäffchen tragend, herein.
BAUER der sich unterdessen am Wandschränkchen zu thun gemacht hat, geschäftsmäßig zu Breite. Is Schindler Joseph rei'?
BREITE gleichmütig. Freilich, ebens sein se rei', Vater. Se stihn schun hinger d'r Scheune.
BAUER. 's is aber au Zeit.
BREITE. Nee, Zeit, Vater, eb die die viela Säcke ei'binda und uflada. Da vergiht wull ernt Zeit. Missig kinn' se da nee sehr gihn.
VIEHHÄNDLER. Nu griß Gott, Breitla! Nee sa' m'r ock, Du bist ju gar a charmant Madel wor'n.[12]– Aber das sitt Dir weeß Gott kenner a, Gotlieb, daß uf Denn' hart'n Acker an sulche schiene Blume wächst. Nu hust De d'n au an Man, Madel?
BÄUERIN. Oh mein Gott, mein Gott! Se mecht an verninftiga ha'n!
VIEHHÄNDLER. Na, kenn' Kummer sitt'r noch kenner a' derentwegen. Du hust ju rute Bäckla und machst mir wenigstens kee biese Gesichte wie d'r Ahle.
BREITE. Ich ha' ju au' kenn' Grund. Du lachst doch au lieber. Sie hebt ein Schaff auf um zu gehen. Außerdem ha'n m'r heute asu zu thun, daß m'r zu Schmerza keene Zeit ha'n, au wenn m'r welche hätta.
VIEHHÄNDLER an sie herantretend. Das is ju a Madel – nu do – a verpuchtes Dingla – Er will ihr unters Kinn greifen. was?
BREITE grob und höhnisch lachend. Kumm m'r ock nahnde, ahler Schweinehändler! Ich sa' D'rsch!
BÄUERIN unwillig. Sei nee glei asu grob, Madel! das gehiert sich nee! Breite ab. Aber kanst's gleeba, Blumig: Das Madel kan macha, was se wihl, 's is gut, und die kan breeta, was se wihl,'s is gut –
BAUER kurz. Nu brengt mich nee erscht ei de Wut! Mei Madel giht Dich gar nischt a, Blumig! Die giht iberhaupt niemanda nischte a! Hust mich verstanda, Weib! Kimm'r Du Dich ock lieber Gesteigert aufgebracht. a wing im's Muttersihnla! Suste könnt ich wieder amol a'fanga zu korieren! Das mecht D'r nee gefall'n! – Ich hätt' grade Laune, amol auszupacka mit menn' sieba Sacha –. Das mecht D'r aber nee gefall'n! –[13]
VIEHHÄNDLER ihm mit einer Armgeste einige Male vergeblich in die Rede fallend. Nee Gotlieb! – Gotlieb! – hier mich amol a! – hier mich amol a! –
BAUER. Nu freilich hier ich Dich a! An Weile hier ich m'r Dich au' noch a! Aber lange nimmeh'!
VIEHHÄNDLER geduldig verschlagen. Mei letztes Wort, Ephraim! An eenzigen Thaler lä'st De noch zu!
BAUER emphatisch. Au nee an halben Pfenn'g! Viehhändler. Nu sa' amol salber, Beate, sein's nee schiene Schweindla, was?
BAUER. Nu ha' ich's sat! Er ruft hinaus. Joseph! Joseph! – Dar is ju wieder noch derhinga – Ernst! – Junge! – Ernst!
ERNST'S STIMME aus dem Stalle. Was? – Was is? – Darnach erscheint er langsam in der Stallthür und kommt bis an die Schwelle.
BAUER als er seiner ansichtig wird. Wu kimmst Du har? was? – Aus'm Viehstalle? – Warum fuhrst Du nee längst de Blässe noch a wing hie und har? – Du mußt D'r wull erscht noch immer an Arbeit hundertmol besahn? – Was? – Ich war D'r Beene macha! Ich dächte, Du hättst iberhaupt noch was gut vo' mir. Nihm Dich ock zusamma –! Das kimmt noch! – Das könnt immer noch kumma!
ERNST mit gleichgültigem Ausdruck und ohne ein Wort zu wagen, will abgehen.
BAUER energisch. Hie blei'st De noch! – und hierscht mich erscht a'! – Zuerscht ja'st De mir da Schweinekram aus menn' Hofe naus. Hust mich verstanden?[14] Aber glei alles – alles uf eemol! A Schweinehändler mite. Und a wing attent! Ich wihl glei was sahn!
BÄUERIN. Blumig! Nu besinn Dich aber, ich dächt's wull au!
ERNST bleibt unschlüssig an der Thür stehen.
VIEHHÄNDLER den Bauer haltend. Gotlieb! – Lacht. Du bist a närr'scher Kerl! Da muß ich halt amol elfe grade sein lussen. Während die Beiden zum Viehstall gehn. 's is mei' Schade! Jes! da nihm's ock! 's is mei Schade! Aber mei' Vater sa'te au immer – Sie verschwinden von der Bäuerin gefolgt im Stalle.[15]
ERNST tritt an den Tisch und schneidet sich Brot.
JOSEPH SCHINDLER ein zigeunerischer, finsterer Mensch von etwa dreißig Jahren, ist mit einem Pferdeeimer vom Hofe hereingekommen und an den Herd gegangen.
ERNST höhnisch. Hust De mich'm Vater verkla't? – hahaha. Immer verkla' mich! – immer verkla' mich!
JOSEPH verächtlich, ohne ein Wort.
ERNST. D'r Vater sohl mich Dennerwegen ock a'rührn! Aber dann Gnade Gott! das sa' ich Dir.
JOSEPH voll Haß. Filze Du bluß noch mal auf meine Alte, Du fauler Kupp! dann kummt's noch besser wie heite! Verstiehst Du!
ERNST gespannt. A'a Hals spring ich Dir – Du – Du!
BREITE ist geschäftig hereingekommen. Was hust D'n wieder mit Josepha, alberner Teifel? Sie ist zum Herd[15] getreten und nimmt Joseph seine Hantierung resolut ab. Gieb ock har, ich war'sch ju macha.
ERNST gemäßigt. Ich war'sch'n schun noch amol deutlich macha, dam Herr Joseph, war ich bihn. Höhnend und lässig. Da kan mich d'r Vater tut schla'n. Aber vor dam fercht ich mich nee.
Joseph lacht verächtlich.
BREITE zu Ernst. Mach, daß De naus kimmst!
ERNST plötzlich lächerlich. Ju, ju, ich gih, ich gih.
BREITE. Du werscht's iberhaupt noch asu lange treiba, bis d'r Vater doch amol werd gar falsch verstihn.
JOSEPH. Du sulltest Dich, weiß Gott, lieber mal su richtig mit die ganze Wut auf Arbeit verlegen. Du huchfahriger Junge, Du! Hust Du mich verstanden!
ERNST kommt, ohne auf Breite zu achten, gespannt auf Joseph zu. A' a Hals spring ich Dir – Du Lumpakerl, wenn Du ock immerfurt im menn' Vater rimkrichst, wie a Ohrwurm – Du –
BREITE drängt ihn kräftig zurück. Du gihst! Du gihst, sa' ich Dir! Sie ruft plötzlich. Vater! Vater!
ERNST äffend. Vater! Vater! Lässig ab.[16]
JOSEPH erregt. Der Junge wird nicht Ruh geben – bis ich oder Deine Vatter ihm mal gehörig Wege weisen – aber das dauert gar nicht mehr lange –[16]
BREITE die eine Weile hinausgehorcht hat, hängt sich plötzlich an Joseph. Joseph, Du hust ju vurhie mit d'r Franzel asu lange geredt, Joseph?
JOSEPH hart. Was?
BREITE. Du hust mit d'r bihmschen Franzel asu lange geredt? Joseph! Das wihl ich wissa!
JOSEPH gleichgültig. Ach! gieb mich lieber flink Warmes. Er schlägt sich den schwarzen Haarsträhn aus der Stirn. Muß ich rasch der Blässe warmes Hei schitten. Hart. Ich dächte, Du fingst auch noch an auf mich zu beißen! Das könnte mich grade passen!
BREITE hat ihn losgelassen. O, was giht mich de Blässe a'? Was giht mich d'r Junge a'? Das muß ich wissa! – Joseph, wenn's etwa wuhr wär', was die Leute sa'n –
JOSEPH gedehnt. Was?
BREITE. Ich! – krank war ich – wenn ich Dich mit d'r Franzel asu heimlich lacha und reda sah!
JOSEPH erstaunt. Aber was sull ich reden mit Franzel, wenn sich soeben kummt zum ersten Mal wieder in Durf? – Haben wir einfach Gruß gesagt, wie jedermann –
BREITE. Nee, nee! Du denkst, ich war mich asu mit Redensarta abspeisa lo'n wie die andern! Ich bihn nee wie die andern. Was ich bihn, das bihn ich. Was ich ha', das will ich au alleene ha'n. Das war ich freilich mit kenner Andern teelen, daß De's wißt. – Weinen nahe. Aber warum ha' ich mich au glei' a' Dich gehal'n –
JOSEPH. Nun sag, was hab ich mit Franzel geredt? – Willst Du sagen! – Wenn Du bist wie in Wut, Du mußt doch wissen![17]
BREITE. Wuhar denn, Joseph? Ich war doch eim Kuhstalle und sah Euch ock zum Fenster naus am Zaune stihn –