Georg Weerth

Ausgewählte Gedichte

 

 

 

Georg Weerth: Ausgewählte Gedichte

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Georg Weerth (Daguerrotypie, um 1851/52)

 

ISBN 978-3-7437-0707-8

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0685-9 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-0686-6 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Herausgegeben von Bruno Kaiser, Berlin: Aufbau, 1956/57.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Die Liebe

Kein grösser freud auf erden ist

denn der bei seiner liebsten ist,

bei seiner liebsten alleine;

der mag wol reden was im gebrist

und was im in seinem herzen gelüst,

freundlich tun sie anschauwen.

Volksl. Uhland I Nr. 60

 

1.

Die goldne Sonne hat

Sich nun hinwegbegeben,

Und über der grauen Stadt

Die Abendwolken schweben.

 

Die Glocken, groß und klein,

Geben ein lieb Geläute –

Laßt nun die Arbeit sein,

Es ist genug für heute.

 

2.

Ich sang und sang ein kleines Lied

Und bracht's doch nie zu Ende;

Da wurd ich traurig, still und müd,

Und faltete die Hände.

 

Ich weiß nicht, was ich weiter tat,

Bin lange wach geblieben,

Doch weiß ich, daß ich sorglich bat

Für alle, die sich lieben.[35]

 

3.

Es kam der Herbst gegangen,

Da schwand der Wälder Pracht;

Die letzten Lieder sangen

Zwei kleine Vögel über Nacht.

 

Die ziehn mit stillem Leiden

Nun immer morgenwärts;

Denn hart ist alles Scheiden –

Auch für ein kleines Vogelherz.

 

4.

Ich träumte von einer Taube

Und einem Falken scheu;

Die saßen in einer Laube

Und schwuren sich ewigliche Treu.

 

Es klang das Morgengeläute,

Vorüber war die Nacht.

Ich wußt nicht, was es bedeute –

Da hab ich an dich und mich gedacht.

 

5.

Mit Myrten wolln wir schmücken

Deine Stirne, so rein und licht,

Und wollen dir Küsse drücken

In dein liebes Angesicht.[36]

 

Und wolln die Hände falten

Und sprechen ein klein Gebet;

Und wollen dich lieb behalten,

Bis die Sonne untergeht.[37]

 

6.

Komm, Lieb, und deinen Gram vergiß!

Laß leuchten mir deiner Augen Schein.

Ich habe dir oft gesagt: Gewiß,

Gewiß, wir werden noch glücklich sein!

 

7.

Im wundervollen Lenze,

Wenn lind die Lüfte wehn,

Da rauschen Blumenkränze

Auf Hügeln und auf Höhn.

 

Wir bringen dir den schönen,

Aus dem die Myrte schaut;

Der soll die Stirne krönen

Einer holden jungen Braut.

 

8.

Die goldne Morgenröte fliegt

Schon über Berg und Wald.

Steh auf, wer bei Feinsliebchen liegt,

Der junge Tag kommt bald![37]

 

Doch wer ein schönes Weibchen hat,

Der eile nicht so sehr –

Ich wollt, daß ich an seiner Statt

Ein halbes Stündchen wär![38]

 

9.

O daß ich dich zu trösten wüßte!

Ich will ja alles und alles gestehn.

Sieh, daß ich das kleine Gretchen küßte,

Gewiß, es war ein reines Versehn.

 

Es war so dämmrig unter den Linden,

Ich wußte selbst nicht, wie mir geschah;

Ich hoffte nur dich, nur dich zu finden,

Und fand und küßte das Gretchen da.

 

Und ach, es war nur ein kleines Küssen,

Und ich sorge, daß niemand es sonst erfährt;

Und gewiß, du wirst mir vergeben müssen –

Du hast das Küssen ja selbst mir gelehrt.

 

10.

Die Blume starb auf eis'gen Feldern,

Mein einsam Herz ist dumpf und schwer,

Ich bin ein Adler in öden Wäldern,

Eine arme Möwe auf wüstem Meer.[38]

 

O laß den Frühling wieder tönen,

Du lieber Gott, und meinen Sinn –

O tröste ihn mit einer schönen

Ja Möwin oder Adlerin![39]

 

11.

Es sind wohl über der Stadt

Die Abendglocken erklungen.

Des Küsters Töchterlein hat

Sie mit weißer Hand geschwungen.

 

Als der erste Ton erklang,

Da sah ich hinter dem Walde,

Wie die leuchtende Sonne sank –

Und Nacht lag über der Halde.

 

Der zweite tönte darauf;

Da zogen viel muntere Sterne

Den dunklen Himmel herauf

Und blitzten in duftiger Ferne.

 

Den letzten hörte ich nicht –

Ihn holten die Abendwinde.

Ich küßte ein rosig Gesicht,

Und über uns rauschte die Linde.[39]

 

12.

Ich liebe dich wie mein Leben,

Ich liebe dich alsosehr;

Ich möcht einen Ring dir geben

Von Golde und Steinen schwer.

 

Ich möcht alle Blumen pflücken

Auf schimmernden Bergeshöhn,

Deine liebe Stirne zu schmücken

Und deine Locken schön.

 

Ich möcht alle Vögel bringen

Aus Wiese, aus Berg und Wald:

Die sollten mir klingen und singen

Von deiner schönen Gestalt!

 

13.

Wenn der Morgenstern glänzt

Und das Morgenrot glüht:

Da weiß ich, wer singend

Ins Tal hinabzieht.

Da weiß ich, wer reitet

Zum frischgrünen Grund,

Da weiß ich, wer küßt

Einen frischroten Mund![40]

 

Du Herzallerliebste,

Du lustiges Kind,

Mach auf deine Hütte,

Laß ein mich geschwind!

Deiner Augen Gefunkel,

Deiner Locken Geroll

Macht Dumme verständig,

Verständige toll!

 

Für dich schlägt mein Herz!

Für dich blitzt mein Schwert!

Für dich laß ich tanzen

Mein nußbraunes Pferd!

Für dich litt ich willig

Spott, Schande und Not!

Für dich lief ich barfuß

Durch Hölle und Tod!

 

Drum auf deine Hütte!

Laß wallen dein Haar!

Laß leuchten dein Auge,

Dein Auge so klar!

Ich preß an die Brust dich,

Ich schwinge den Stahl –

Vielleicht daß ich küß dich

Zum letzten Mal.[41]

 

14.

Ich möchte wandern an die Lahn,

Wohl an die Lahn zur Stunde,

Wo auf den Wellen kreist der Schwan,

Wo auf den Dörfern singt der Hahn

Mit hoch prophet'schem Munde.

 

Wo lind die Luft, wo klar die Flut,

Wo träumerisch das falbe,

Das falbe Roß im Grase ruht,

Wo oft den Flug ins Freie tut

Die Taube und die Schwalbe.

 

Wo mittags aus dem Laubgewind

Die braunen Hirsche sehen,

Wo still die weiten Täler sind,

Wo flüsternd wohl im Abendwind

Die jungen Buchen wehen.

 

Wo hoch vom Berg die Rebe sieht

Mit Ranken grün und krause,

Wo wild die rote Rose glüht

Und wo die schönste Tochter blüht

In einem weißen Hause.[42]

 

15.

Der Turm, der aus dem Dorfe ragt,

Erhebt der Glocken hell Getön;

Und neulich hat mir Franz gesagt,

Er sagte mir: ich wäre schön.

Wie das nun kommt, gern wüßt ich's bald –

Bin doch erst sechzehn Jahre alt.

 

Franz ist ein wilder Junge, traun!

Denn gestern in der Dämmerung,

Da sprang er übern Gartenzaun

Und küßte hurtig meinen Mund.

Und wie's geschah, ich weiß es nicht –

Franz hat ein allerliebst Gesicht.

 

Franz hat mir diesen Ring geschenkt

Und dieses Kreuz an rotem Band!

Er hat's mir selber umgehängt,

Und als ich sinnend vor ihm stand,

Viel seltsam Fragen macht' er da,

Und ich, ich glaub, ich sagte: Ja!

 

Ich weiß nicht, was ich ihm gesagt!

Genug, der Abend war so schön,

Der Turm, der aus dem Dorfe ragt,

Erhub der Glocken hell Getön;

Und ich, ich ging nach Haus und dacht,

Ich dacht an Franz die halbe Nacht.[43]

 

16.

Maria war von lichtem Scheine,

Sie hatte ein lieb Gesicht.

Das wußten die Burschen am ganzen Rheine –

Maria wußte es nicht.

Sie setzte sich unter die alte Linde,

Sie wand einen vollen frischen Kranz,

Aus Rosen machte sie ein Gewinde

Und sprach: »Nun denk ich an meinen Franz.

 

Nun denk ich an die stille Stunde,

Wo zuerst er aus dem Walde trat,

Wie er mich drüben im Wiesengrunde

Um meine blaßblaue Schleife bat;

Wie er mich in die Dorfesschenke

An seinem Arm geführt zum Tanz,

Und wie wir getanzt – ach Gott, ich denke,

Ich denke nur immer an meinen Franz.

 

An meinen Franz! Wie im schmucken Kleide

Als Soldat er vor die Tür gesprengt,

Wie er geküßt meine Lippen beide

Und von Gold mir diesen Ring geschenkt;

Und wie er am Roß mich emporgehoben,

Das Auge voll Tränen ganz,

Wie die Waffen geklirrt und die Reiter stoben

Hinweg – und hinweg mein Franz![44]

 

Und wie ich die langen Winternächte

In Kummer verlebt und immer gedacht:

Wo er weilen möcht, ob er mein gedächte –

Bis zum Rhein man die blutige Locke gebracht.

Bis alle kamen – nur nimmer der eine!« –

Da ward sie still, ihr entsank der Kranz.

Aufrauschte die Erle im nahen Haine,

Und sie weinte um ihren toten Franz.[45]

 

17.

Sie sah in den Wolken das Abendrot,

Da kam ihr Herz in große Not.

 

Sie machte sich hurtig auf den Weg,

Wohl durch den Garten, wohl über den Steg.

 

Und als sie kam durch den Tannenwald:

Sie meinte, sie säh eine weiße Gestalt.

 

Und als sie rasch durch die Erlen schritt:

Sie meinte, stets liefe noch jemand mit.

 

Und als sie sprang an der Weide vorbei:

Auffuhren die Rosse mit wildem Schrei!

 

Und als sie vorüberjagte am Moor:

Da huschte ein schwarzer Vogel empor.

 

Und als sie die Lichter im Dorfe schaut':

Da bellten die Hunde so laut, so laut.[45]

 

Und als sie genommen zur Kirche den Lauf:

Die Uhr hörte mitten im Schlagen auf.

 

Und als sie rannte zur Hütte drauf:

Da flogen die Türen von selber auf.

 

Und als sie fragte, welch Leid geschehn:

Da wollte kein Mensch ihr Rede stehn.

 

Und als sie fragt', wer erschlagen wär –

Da trug man den toten Knaben daher.[46]

 

18.

Wo in den Buchen säuselt der Wind

Hoch auf den sieben Bergen hie,

Da wohnte das feine Bauernkind,

Die schöne Mimilie.

 

Da tanzte sie durch den lichten Wald

Und ließ die braunen Haare walln,

Und sechzehn Jahre wurde sie alt

Wohl unter Rosen und Nachtigalln.

 

Sie blickte keck in die Wolken hinein,

Da jauchzten die Falken mit wildem Schrei!

Sie blickte hinab in den grünen Rhein:

Und stolzer rollten die Wogen vorbei![46]

 

Und stolz auf die rheinische Dirne sah

Der Winzer im Feld und der Ferge im Kahn,

Und von Königswinter bis Honnef, da

Hat manch armen Jungen sie's angetan.

 

Und die Kunde drang durch das ganze Land,

Und jeder wollte die Schöne sehn.

Es ließ der Student den staub'gen Foliant

Und kam und konnte nicht widerstehn

 

Und vergaß den Horaz und den alten Homer

Und dachte an sie nur und nur an sie! –

Und zog durch die sieben Berge daher

Und lobte die schöne Mimilie. –

 

O Lust, o Liebe im frohen Mai,

Wie ist so schnell dein Zauber verblüht!

Es hallten die Berge von Wehgeschrei,

Als ach die schönste der Rosen schied.

 

Da hörte der Falke zu jauchzen auf,

Und die Blumen starben entblättert all,

Dumpf brauste der Rhein den alten Lauf,

Und es schwieg im Walde die Nachtigall.

 

Und der Winzer sah ernst in die Nacht hinaus,

Und es sanken dem Fergen die guten Händ,

Und zu Bonn im hochgegiebelten Haus

Saß traurig wieder manch treuer Student.[47]

 

19.

Über die Berge klang ein Klagelied:

Die Schwalbe war's, die von der Heimat schied.

Sie hob sich hoch empor im Abendsonnenbrand –

Zu schaun noch einmal ihrer Jugend Land.

 

Da war verwelkt der Auen frischer Flor,

Verdorrt die Rebe über grauem Tor,

Entlaubt der Linden lustiges Gezweig,

Verweht die Rose in des Gartens Reich.

 

Kalt blies der Nachtwind durch des Dorfes Raum,

Und vor dem Haus, wo an des Daches Saum

Sie einst geweilt – ach, bitter weinte da,

Die sie im Frühling lieblich lächeln sah,

 

Die einst sie lächeln sah, die schönste Maid –

Der Winter kam, und ach, es kam das Leid.

Und durch die Lüfte klang das Klagelied

Der Schwalbe da, die von der Heimat schied.

 

20.

Es weht schon durch die Gassen

Der kühle Abendwind,

Und ich bin ein verlassen,

Ein armes Menschenkind.[48]

Ich sah den Mond erscheinen,

Der durch die Wolken bricht,

Und weiß nicht: soll ich weinen,

Oder wein ich lieber nicht.

 

Gott grüß dich, alte Schenke,

Mit deinem runden Schild;

O gib ein gut Getränke,

Das meinen Kummer stillt;

Daß balde ich versetzet

Ins Land der Träumerein,

Wo sich das Herz ergetzet

An buntem Märchenschein.

 

Da draußen rauscht die Erle

Und pocht ans Fenster leis,

Hier innen steigt die Perle

Im Glase silberweiß.

Das ist der Wein, der mählich

Das arme Herz beglückt

Und mich so zauberselig

Der Erde ganz entrückt.

 

Von hohen Linden träum ich,

Die auf den Wiesen stehn,

Die Gipfel blütensäumig

Im Mondenglanze wehn.[49]

Sie werfen ihren Schatten

An Quellen frisch und klar,

Dort tanzt auf grünen Matten

Die leichte Elfenschar.

 

Es thront die Königinne

In ihres Lagers Rund,

Der zuckt die glühnde Minne

Um Wang und Rosenmund,