Eine Frau glaubt um ihr Leben
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nicht ermittelt werden. Der Verlag dankt für Hinweise.
© 2020 Brunnen Verlag GmbH Gießen
Umschlaggestaltung: Jonathan Maul
Satz: DTP Brunnen
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN Buch 978-3-7655-0738-0
ISBN E-Book 978-3-7655-7554-9
www.brunnen-verlag.de
1 Einleitung
2 Unreine Christin
3 Aktenzeichen 326/2009
4 Todesstrafe
5 Der letzte Wille
6 Mord an Asia Bibis Fürsprechern
7 Schreckensbotschaft und Hoffnungsfunke
8 Der letzte Funke Hoffnung erlischt
9 Albtraum ohne Ende
10 „Nur Gott kann mich befreien“
11 Ende der höllischen Hexenjagd
12 Macht der Freispruch Richtern Mut?
13 Schulfach Hass
14 Erschütterndes Leid – unglaubliches Gottvertrauen
15 Frei und doch nicht frei
Bibliografie
Das Martyrium beginnt am 19. Juni 2009. An diesem Freitag öffnet sich für Asia Noreen Bibi der Vorhof zur Hölle – wegen eines Schlucks Wasser. Am Ende ihres Leidenswegs wird sie zu einer Ikone unter den Massen an Opfern der weltweit zunehmenden Christenverfolgung.
Zwei pakistanische Muslima beschuldigen die Christin, Brunnenwasser „verunreinigt“ zu haben. Die Choori – wie „unreine“ Christen genannt werden – hat aus einem ins Wasser getauchten Becher getrunken. In dem von den Frauen provozierten Streit verliert sie angeblich gotteslästerliche Worte. Sie bringen ihre Widersacherinnen in Rage – und Asia Bibi in Lebensgefahr. Die 38-jährige Christin wird angeklagt, den Propheten Mohammed beleidigt zu haben und wegen Blasphemie zum Tode durch den Strang verurteilt. Dazu kommt eine immens hohe Geldstrafe.
Neun quälend lange Jahre muss die bitterarme Mutter von fünf Kindern bei jedem Klick des Eisenschlosses ihrer Zelle den Henker fürchten. Lebendig begraben vegetiert sie in einem dunklen Kerker, die Wände schwarz vor Dreck. Der Boden durchtränkt von Schlamm, Kot und Urin.
Die herzzerreißende Tortur der Landarbeiterin interessiert zunächst niemand. Erstmals in der Geschichte Pakistans wird eine Christin wegen Gotteslästerung mit dem Tod bestraft. Doch der pakistanischen Presse ist das keinen Bericht wert.
Ausländische christliche Organisationen rufen zu Gebeten für die Todgeweihte auf. Die Katholische Liga, eine US-Organisation, fordert die Vereinten Nationen auf, gegen Blasphemiegesetze in aller Welt vorzugehen. Gläubige auf der ganzen Welt beten für Asia Bibi und ihre Familie. Die UNO und auch Papst Benedikt XVI., später Papst Franziskus rufen dazu auf, die Vorwürfe fallen zu lassen. Hunderttausende Unterstützer unterschreiben Appelle für ihre Freilassung. Die internationale Presse berichtet. „Es ist ein obszönes Gesetz, das in Wahrheit mit Religion nichts zu tun hat“, wettert Ali Hasan Dayan von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in der britischen Zeitung The Telegraph. Sie macht als eines der ersten Medien den Fall publik.
Gerichtliche Anhörungen werden immer wieder von islamischen Fanatikern sabotiert. Der Prozess wird verschleppt. Vergeblich richtet Asia Bibis Ehemann Gnadengesuche an den pakistanischen Präsidenten. Erst ein mutiger Anwalt boxt das Verfahren bis zum Obersten Gericht Pakistans durch. Am 31.10.2018 dann das erlösende Urteil: „Asia Bibi wird vom Vorwurf der Blasphemie wegen nicht ausreichender Beweise freigesprochen“, verkündet der Präsident des Obersten Gerichts, Saqib Nisar. „Sie ist sofort freizulassen.“
Aber daraus wird nichts. Unmittelbar nach dem mutigen Richterspruch flammen Unruhen auf. Fanatische Kleriker wollen eine Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen.
Nach einem schier endlos scheinenden juristischen Hickhack – begleitet von erneuten Protesten islamischer Fanatiker – kann Asia Bibi am 8. Mai 2019 Pakistan verlassen. Den Tag verbringt sie mit ständigen Danksagungen an Gott, der ihre Gebete erhört hat.
Heute lebt Asia Bibi im Exil – an einem geheimen Ort in Kanada. Dorthin konnten auch ihr Mann und ihre Töchter ausreisen.
Kaum in Freiheit macht Asia Bibi einen schier unglaublichen Schritt. Trotz des unsagbaren Leids, das sie ertragen musste, vergibt sie ihren Peinigern. Und sie weist auf Leidensgenossen hin: „Es gibt viele andere Beschuldigte, die Jahre im Gefängnis verbringen“, sagt sie in ihrem ersten Interview und fordert: „Auch hier sollten die Gerichte zu deren Gunsten entscheiden.“
Mehr als 1200 Menschen wurden seit 1986 wegen Blasphemie angeklagt, hat die Neue Züricher Zeitung herausgefunden. 187 „Asia Bibis“ schmachten derzeit wegen Blasphemie in Pakistans Gefängnissen. Während der Haft oder nach der Freilassung wurden laut der Wochenzeitung Friday Times in den letzten Jahren mindestens 32 Personen gelyncht. Diese Gräueltaten an „Gotteslästerern“ sind nur die Spitze des Eisbergs. Aus religiösem Hass wurden in der islamischen Republik Pakistan in den letzten Jahren mindestens 28 Christen ermordet. Zahlreiche Kirchen und christliche Häuser wurden zerstört. Hunderte Christinnen wurden mit Muslimen zwangsverheiratet und entführt.
In die Hunderte geht auch die Zahl zum Christentum konvertierter Ex-Muslime, die im vergangenen Jahr aus Angst um ihr Leben untertauchen mussten. Und über 1400 Christen wurden auf offener Straße oder in ihrem Heim verprügelt.
In keinem anderen Land wird so viel Gewalt gegen Christen registriert, stellt der Weltverfolgungsindex von Open Doors (OD) fest. Für den jährlich erscheinenden Index recherchiert die überkonfessionelle Organisation weltweit das Ausmaß antichristlicher Verfolgung. In Sachen Gewalt liegt Pakistan dabei seit Jahren auf Platz eins – vor notorischen Christenverfolgern wie Nordkorea oder dem Iran.
Die christliche Gemeinde in Pakistan ist klein. Nur rund zwei Prozent der Bevölkerung sind Christen. Bei etwa 206 Millionen Einwohnern sind das aber immerhin etwas über 4 Millionen Christen. Damit steht die islamische Republik auf Platz 70 der größten katholischen Länder und sogar auf Rang 47 der größten protestantischen Länder der Welt.
Für die Christin Asia Bibi gibt es kein Zurück. Ob in Übersee oder in Europa – sie muss stets die Rache von Islamisten fürchten. „Extremisten aus Pakistan leben und agieren auch von Europa aus“, warnt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). „Nicht nur Asia Bibi wird nirgends mehr sicher sein“, ergänzt die pakistanische Menschenrechtsanwältin Aneeqa Maria Anthony. „Auch jeder Familienangehörige, jeder Mensch mit Verbindung zu ihr muss fürchten, getötet zu werden.“
Asia Bibi hat überlebt. Der 17-jährige Sharoon Masih dagegen, einziger Christ an der MC Model High School im pakistanischen Burewala, wird am 27. August 2017 vom Mitschüler Ahmed Raza totgeprügelt. Er hat aus demselben Glas wie der Muslim getrunken. Raza wird nicht verurteilt. Warum er wegen eines Schlucks Wasser einen Menschen getötet hat, begründete er so: „Der Christ hat mein Wasser verunreinigt.“
Unter dem Namen Ittanwali lässt sich mit Google Maps das Dorf im Osten Pakistans nicht finden. In dieser Region in der Provinz Punjab werden die Dörfer nummeriert. Ittanwali ist „Dorf Nummer drei“. Eine schmutzige, staubige Fläche inmitten von Weizen- und Zuckerrohrfeldern.
Ittanwali ist ein armes Dorf. Man nutzt den Brunnen, geheizt und gekocht wird mit Holz und getrocknetem Kuhdung. 300 Familien leben hier, ausschließlich Muslime – bis auf eine einzige christliche Familie, in deren Lehmhaus Asia Noreen 1971 das Licht der Welt erblickt. Weltweit bekannt werden wird sie unter dem Namen Asia Bibi, wobei Bibi nur eine Anrede für eine ältere Frau ist.
Ihr genaues Geburtsdatum wird nicht offiziell registriert. Niemand in der Familie kann lesen oder schreiben. Asia Bibis Mutter arbeitet auf den Zuckerrohrfeldern. Die tüchtige Frau ruht sich nie aus, außer nachts, wenn sie mit ihren nunmehr fünf Kindern kuschelt. Keines geht zur Schule. Der Vater meint, dass sie ohnehin Landarbeiter werden und daher keine Bildung brauchen. Die Großmutter passt den ganzen Tag auf Asia Bibi und ihre Brüder und Schwestern auf. Amii nennt sie ihre zweite Mutter, eine Frau mit sonnengegerbter Haut und ständig schmerzendem Rücken. Keiner weiß genau, wie alt sie ist.
Ab dem 5. Lebensjahr schickt sie Asia Bibi los, um Feuerholz zu sammeln. Und als sie sechs wird, bekommt Asia die zusätzliche Aufgabe, Wasser vom Fluss zu holen. Das ist fast immer eine gute Gelegenheit, mit den Nachbarkindern zu spielen und sich mit Wasser zu bespritzen. Als Asia 15 wird, macht sich ihre Andersartigkeit bemerkbar. Ihre muslimischen Freundinnen schließen sie bei vielen Anlässen aus. Und wenn die Freundinnen beim Ramadan fasten müssen, schleicht sich Asia zum Essen und Trinken hinter einen Baum.
Asia, ihre drei Brüder und zwei Schwestern sind glücklich miteinander. Sie sind zwar nicht reich, aber es fehlt ihnen auch an nichts. Sie haben zwei Ziegen und ein Schaf und genug zu essen: Chappattis (Fladenbrote), Reis zu jeder Mahlzeit und wenigstens zweimal in der Woche Huhn.
Als Asia 20 Jahre alt ist, fordert ihr Vater sie auf zu heiraten. In Ländern wie Pakistan ist die arrangierte Ehe Alltag. Es ist der Gegenentwurf zu einer „Liebesheirat“, hat aber nicht immer mit Zwang zu tun, denn auch eine arrangierte Ehe setzt das Einverständnis beider Partner voraus. Um den passenden Partner zu finden, treffen sich die Eltern des potenziellen Brautpaars gewöhnlich regelmäßig.
Asia Bibis Vater ahnt nicht, dass seine Tochter bereits einen Mann im Auge hat. Er heißt Ashiq Masih, ist Soldat bei der Luftwaffe, Witwer, hat zwei Kinder und ist wie sie Christ. Er kommt oft in ihr Dorf, weil sein Onkel, seine Tante und seine Cousins ganz in der Nähe des Hauses von Asia Bibis Eltern wohnen. Die beiden laufen sich öfter über den Weg, sprechen aber in der Öffentlichkeit nie miteinander – so wie es in der Kultur Pakistans für Unverheiratete üblich ist.
Doch dann kommt der Tag, als Asia Bibi allein zu Hause ist. Sie hatte es abgelehnt, zum Teetrinken bei den Nachbarn mitzugehen. Stattdessen trifft sie auf Ashiq, der ebenfalls zum Tee eingeladen ist, zuvor aber an Asias Tür klopft, um in ihrem Haus seine Uniform gegen normale Kleidung zu tauschen. Asia lässt ihn ein und fragt ihn dann übermütig, ob sie im Gegenzug seine Uniform anprobieren dürfe.
Obwohl es nur ein lustiger Einfall ist, wird Ashiq sofort klar, was das heißt. Die Kleider des anderen zu tragen bedeutet in Pakistan, dass man ihn liebt. Ashiq hat die Botschaft verstanden und taucht bei jeder sich bietenden Gelegenheit in ihrem Haus auf.
Als er dieses Mädchen der Zuckerrohrfelder dann zum ersten Mal umarmt, sagt er ihr, ihre Haut schmecke nach Zucker. Da muss sie schallend lachen, doch ihre Mutter warnt sie, alle Jungs würden das beim ersten Mal sagen.
Asias und Ashiqs Zuneigung zueinander ist groß, und da Asia Bibis Vater mit ihrer Wahl einverstanden ist, wird einen Monat später Hochzeit gefeiert. Pakistanische Hochzeiten dauern oft einen ganzen Monat lang. Das Fest hat einen so hohen Stellenwert im Leben der Familien, dass sie sich dafür häufig hoch verschulden. Selbst arme Familien scheuen sich nicht, Hunderte Menschen zu bewirten – auch wenn sie Schulden in Höhe mehrerer Jahresgehälter aufnehmen müssen.
Asia Bibis Familie ist eine Ausnahme. Sie leistet sich nur eine kleine Feier mit einem Dutzend Gäste – dennoch ist es ein Fest der Freude. Bei der kirchlichen Trauung trägt Asia ein weißes Kleid und Armbänder mit bunten Glasperlen.
Als der Festtag zu Ende geht, beginnt die Hochzeitsnacht. Traditionell verbringen Eheleute diese im Haus der Eltern des Bräutigams. Und obwohl Asia und Ashiq Christen sind, sind sie nicht unbeeinflusst geblieben von den Regeln der konservativen muslimischen Gesellschaft, in der Sexualität ein Tabuthema ist.
Asia hat mitbekommen, dass pakistanische Eltern ihre Kinder in der Regel nicht aufklären. Auch in Schulen wird das Thema zumeist vermieden. In der Provinz Punjab, in der Asia Bibi lebt, hat die Regierung ein Schulbuch für die 6. Klasse verboten, das die menschliche Fortpflanzung erklärt. 12- oder 13-Jährige seien zu jung, um von solch „sensiblen Themen“ zu erfahren. Dies könne sie korrumpieren, so der Bildungsminister der Provinz. „Unsere Religion und Kultur erlauben nicht, dass solche Dinge offen unterrichtet werden“, meint Minister Rana Mashood Ahmad Khan.
Auch Pläne zur Einführung von Sexualkunde scheitern am Widerstand der Islamisten. Sexualkunde für Kinder sei ein Teil der westlichen Agenda, die Pakistan aufgezwungen werde, wettert der einflussreiche Kleriker Mufti Muneebur-Rehman. „Der Islam erlaubt so etwas nicht. Wir werden es niemals erlauben.“
Wo Religion allerdings Menschen zu sehr unterdrückt, suchen sie sich ein Ventil. Laut einer Google-Statistik suchen nirgendwo so viele Menschen nach pornografischen Inhalten im Internet wie in Pakistan. Meist allerdings ohne Erfolg – Tausende solcher Seiten hat die Regierung sperren lassen.
Egal ob Christ oder Muslim: Alle wissen, dass Sex nur innerhalb der Ehe erlaubt ist. Daher heiraten Muslime wie auch Christen vergleichsweise jung. Wer sich einen „Fehltritt“ erlaubt, dem bleibt nur der Weg in gewisse Kliniken, die die Jungfräulichkeit wiederherstellen. Diese machen in Pakistan gute Geschäfte …
So ist in Pakistan im Idealfall die Hochzeitsnacht jener Zeitpunkt, zu dem zwei Menschen sich das erste Mal einander hingeben. Wie das genau auszusehen hat – auch dazu gibt es Meinungen von Religionsgelehrten. Manche meinen, das Brautpaar dürfe beim Sex nicht vollständig nackt sein. Andere halten das für völlig in Ordnung, solange die Partner einander nicht allzu genau angucken.
Für Asia Bibi und ihren Mann gelten diese konservativen Regeln nicht. Doch auch sie sind geprägt von der Kultur des Landes und legen sich daher vorerst nur angezogen aufs Bett. Sie wagen nicht, sich zu berühren. Endlich nimmt Ashiq seinen ganzen Mut zusammen. Unbeholfen küsst er seine Frau auf den Mund und versichert ihr, ihr nicht wehtun zu wollen. Mit einer tiefen Liebe im Herzen erwidert Asia den Kuss und beide werden von ihren Gefühlen überwältigt. Am nächsten Morgen macht ein kleiner Blutfleck auf dem Laken Asia Bibi klar, dass sie nun keine Jungfrau mehr ist …
Im Laufe der Jahre errichten Asia und Ashiq ein Lehmhaus und bekommen drei Kinder zu den zwei Kindern, die Ashiq in die Ehe mitbrachte. Er lässt sich als Soldat pensionieren und arbeitet von nun an als Landarbeiter auf dem Feld seines Schwiegervaters. Der besitzt zwar keinen eigenen Grund und Boden, kann aber auf einem gepachteten Acker Weizen anbauen. Asias Vater ist zurückhaltend und wenig mitteilsam, doch er liebt es, von seinen Erlebnissen in Afghanistan zu erzählen. Dorthin treibt er jeden Herbst im Auftrag eines reichen Landbesitzers eine kleine Herde von etwa 20 Schafen.
Die meisten Dorfbewohner arbeiten auf dem Gut des muslimischen Landbesitzers Mohammed Idrees. Am 14. Juni 2009 will sich auch Asia zu Erntearbeiten verdingen. 250 Rupien – das ist der Lohn für eine Schüssel voller Falsa-Beeren, eine süßsaure asiatische Frucht. Asia weiß, dass sie für 250 Rupien zwei Kilo Mehl kaufen kann – das würde reichen, um eine Woche lang Chappattis für ihre Familie zu backen. Sie weiß genau, was es heißt, als Christin in Pakistan ein Bürger zweiter Klasse zu sein. Froh muss sie sein, wenn sie überhaupt minderwertige Arbeit verrichten darf – und dann meist für weniger Geld als die Muslime um sie herum. So gibt man Asia einfach eine größere Ernteschüssel als den muslimischen Helferinnen …
Die Arbeit ist mühselig. Asia muss sich mit der ungeschützten Hand einen Weg durch die Dornen bahnen und dann die Früchte so behutsam abpflücken, dass sie nicht zerquetscht werden. Bald ist ihre Haut großflächig zerkratzt und ihr Blut mischt sich in der Schüssel mit dem roten Saft der Beeren.
Die Sonne brennt unbarmherzig vom Himmel. Schweiß läuft ihr am ganzen Körper herunter. Ihre Zunge ist trocken und klebt am Gaumen. In einer der wenigen Pausen geht sie zum nahen Brunnen, zieht einen Eimer Wasser nach oben und taucht den Trinkbecher hinein, der auf dem Rand des Brunnes steht.
Nach dem ersten Schluck reicht sie den Becher einer Frau, die neben ihr steht. Was sich daraufhin abspielt, wird Asia Bibi ein Leben lang im Gedächtnis bleiben: In dem Augenblick, in dem die andere Tagelöhnerin nach dem Trinkbecher greift, meldet sich eine andere Frau: „Trink nicht von diesem Wasser, es ist haram, unrein.“
Die Frau, die das Wort haram ausgesprochen hat, heißt Musarat und ist Näherin im Dorf. Sie richtet sich jetzt an alle Pflückerinnen und erklärt, dass die Christin das Wasser des Brunnens verunreinigt habe. Sie habe aus dem Becher getrunken und ihn anschließend mehrmals wieder in das Wasser getaucht. „Jetzt ist das Wasser unrein! Ihretwegen können wir jetzt nichts mehr trinken!“
Asia empfindet diese Anklage „himmelschreiend ungerecht“ und beginnt zu diskutieren: „Ich denke, Jesus sieht diese Angelegenheit anders als Mohammed.“
Musarat tobt, beschimpft sie als „Miststück“ und „verdorbene Christin“. Eine weitere Muslima mischt sich ein. Das Wortgefecht eskaliert. Jesus sei unrein, genau wie Asia Bibi, keifen die Frauen. Sie fordern von Asia Bibi, sich zum Islam zu bekennen, um sich von ihrer „schändlichen Religion freizukaufen“.
Den Frauen zufolge erwidert Asia Bibi etwas, das in Pakistan das Verbrechen aller Verbrechen ist, die größte aller Beleidigungen: schlecht über den Propheten Mohammed zu sprechen. „Unser Christus ist der wahre Prophet Gottes, nicht euer Mohammed“, soll sie gesagt haben. Asia Bibi bestreitet das.
Es bleibt jedenfalls nicht bei Worten. Eine der Frauen schüttet den Inhalt von Asia Bibis Schüssel in ihren eigenen Sammelbehälter. Die Christin wird bespuckt und gestoßen. Sie fällt zu Boden, rappelt sich auf und rennt in panischer Angst davon.
Sie hat das hämische Lachen ihrer Widersacher noch im Ohr, als sie das blaue Gartentor ihres Hauses erreicht. Schluchzend fällt sie ihrem Mann in die Arme und berichtet atemlos, was sich zugetragen hat. Ashiq versucht seine Frau zu beruhigen. Die Geschichte werde bald vergessen sein …