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© 2021 Gunnar Formann
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-753-4879-22
Die Leistungen für Bildung und Teilhabe spielen in der Praxis eine sehr große Rolle, ihre Bedeutung spiegelt sich aber weder in der Literatur und noch bei den veröffentlichten Entscheidungen wider. Inzwischen sind die Leistungen für Bildung und Teilhabe in den jeweiligen Kommentaren zum SGB II, SGB XII, BKGG und AsylbLG mehr oder weniger umfassend kommentiert. Für die Praxis der Leistungserbringung sind die Kommentierungen aber nicht immer hilfreich, da sie den jeweiligen Ausgestaltungen vor Ort nicht gerecht werden können. Außerdem sind die Ausführungen notwendigerweise paragrafenbezogen. Dadurch fehlt es häufig an der Verknüpfung mit den weiteren Vorschriften in dem jeweiligen Gesetz und den Leistungen der anderen Rechtsgebiete. Da es sich um kommunale Leistungen handelt, fehlt es auch an bundeseinheitlichen Weisungen oder Hinweisen, die den Praxisbezug herstellen könnten.
Dieses Buch will diese Lücke schließen. Es stellt die Leistungen für Bildung und Teilhabe über alle Rechtsgebiete vor und ordnet sie in das System der jeweiligen Rechtsgebiete ein.
Es soll sich vor allem an die Sachbearbeiter in den zuständigen Behörden, aber auch an Rechtsanwälte und Richter wenden.
Bei einem Themenbereich mit so wenig durch das Bundessozialgericht geklärten Fixpunkten bleibt es nicht aus, dass Rechtsfragen diskutiert werden müssen und nicht einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Das Buch versucht deshalb, die notwendige Übersichtlichkeit für die Praktiker zu schaffen, ohne die Probleme zu sehr zu vereinfachen. Dieser Spagat gelingt sicherlich nicht immer.
Bei den Bereichen, bei denen ich eine ausführlichere Darstellung der Probleme für erforderlich gehalten habe, habe ich versucht, durch Absätze und unterschiedliche Formatierungen zwischen notwendigem Inhalt und zusätzlichen Erörterungen zu unterscheiden. Auch die Prüfungsschemata dienen dazu, den Blick zurück auf das Wesentliche zu lenken.
Schwierigkeiten entstehen auch dadurch, dass für alle Rechtsgebiete zwar gleiche Leistungen vorgesehen sind, diese aber in das jeweilige Verfahrensrecht des Rechtsgebiets eingegliedert werden müssen. Die Berücksichtigung dieser Unterschiede führt im Aufbau notwendigerweise zu Wiederholungen und Verweisen.
Die Leistungen für Bildung und Teilhabe belassen den ausführenden Leistungsträgern erheblichen Freiraum bei der Organisation der Leistungserbringung. Je nach Organisationsform stellen sich unterschiedliche rechtliche Fragen. Ich versuche, den üblichen Organisationsformen gerecht zu werden, ich bitte aber auch die Leser darum, darauf zu achten, ob die entsprechenden Ausführungen in diesem Buch zu der eigenen Vorgehensweise passen.
Kompliziertere Ausführungen waren für die Neuregelungen des Starke-Familien-Gesetzes erforderlich. Insbesondere die erheblichen Änderungen der Teilhabeleistungen mit ihren wesentlichen Folgerungen für die Praxis lassen sich kaum vereinfachen.
Hinweise auf Fehler und Verbesserungsvorschläge oder Seminaranfragen nehme ich gerne unter der E-Mail-Adresse
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entgegen.
Hinweise auf aktuelle Entscheidungen oder Gesetzesänderungen finden sich unter
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Vorbilder für die Leistungen für Bildung und Teilhabe gab es zum Zeitpunkt ihrer Einführung mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 zum 1.1.2011 mit wenigen Ausnahmen nicht. Sie sind überwiegend eine Neuschöpfung des Gesetzgebers in Folge der ersten Regelbedarfentscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG mit dem einprägsamen Satz Kinder sind keine kleinen Erwachsenen deutlich gemacht, dass der Regelbedarf für Kinder nicht wie zuvor geschehen anteilig anhand des Regelbedarfes von Erwachsenen bestimmt werden darf, sondern an den kindlichen Entwicklungsphasen auszurichten ist und an dem, was für die Persönlichkeitsentfaltung eines Kindes erforderlich ist, bestimmt werden muss.1
Außerdem hat das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass der Bedarf für Schulmaterialien zum verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimum von Kindern gehört.2
Für die notwendige Neuregelung ließ das BVerfG dem Gesetzgeber erheblichen Spielraum. Dem Gesetzgeber stehe ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu.3 Das Existenzminimum könne auch durch Sach- oder Dienstleistungen gesichert werden.
Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 den Regelbedarf für Kinder und Jugendliche unabhängig von dem von Erwachsenen bestimmt. Dabei hat er allerdings Teile des Existenzminimums nicht dem Regelbedarf zugeschlagen, sondern die Leistungen für Bildung und Teilhabe als eigenständige Anspruchsgrundlage ausgestaltet und so der freien Einsatzmöglichkeit der Leistungsberechtigten entzogen. Der Gesetzgeber wollte so sicherstellen, dass die Leistungen auch tatsächlich bei den Kindern und Jugendlichen ankommen.4
Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens sind auch die Leistungen für Bildung und Teilhabe im BKGG als eigenständige Leistungen (§ 6b BKGG) eingefügt worden.5 Damit erfassen die Leistungen für Bildung und Teilhabe Berechtigte nach dem SGB II, dem SGB XII, dem AsylbLG und dem BKGG. Dabei verweist das AsylbLG weitestgehend auf des SGB XII, während das BKGG im Wesentlichen auf das SGB II zurückgreift.
Im SGB II haben die Leistungen für Bildung und Teilhabe die umfangreichste Umsetzung erhalten. Während die eigentlichen Anspruchsvoraussetzungen in den einzelnen Rechtsgebieten weitestgehend einheitlich sind, zeigt sich die Priorität des Gesetzgebers für das SGB II in der deutlich höheren Anzahl von Vorschriften außerhalb der eigentlichen Kernregelungen der §§ 28 ff SGB II.
§ 28 Abs. 1 S. 1 SGB II legt fest, dass es sich um gesonderte Leistungen handelt. In § 28 Abs. 1 S. 2 SGB II erfolgt die für die Leistungen für Bildung notwendige Definition des Begriffs Schüler. § 28 Abs. 2 bis 7 SGB II enthält die Voraussetzungen der einzelnen Leistungen. § 29 Abs. 1 SGB II zeigt die Möglichkeiten der Leistungserbringung auf. § 29 Abs. 2 SGB II regelt die Erbringung der Leistungen als Gutschein und § 29 Abs. 3 SGB II die Direktzahlung. Die Erbringung als Geldleistung ergibt sich § 29 Abs. 4 SGB II. § 29 Abs. 5 SGB II befasst sich mit dem Nachweis der zweckentsprechenden Verwendung und der daran anschließenden Widerrufsmöglichkeit. § 30 SGB II regelt Fälle der berechtigten Selbsthilfe, in denen trotz Sachleistungszwang eine Zahlung an den vorleistenden Berechtigten möglich ist.
Weitere Regelungen speziell für die Leistungen für Bildung und Teilhabe enthalten die §§ 11 Abs. 1 S. 4 SGB II, 9 Abs. 2 S. 3 und 4 SGB II, 27 Abs. 3 S. 1 SGB II, 37 Abs. 1 S. 2 SGB II, 40 Abs. 6 S. 3 SGB II, 7 Abs. 2 S. 3 SGB II, § 4 Abs. 2 S. 2 SGB II und 5a ALG II-V. Die Übergangsregelung des § 77 Abs. 9-11 SGB II hat aktuell keine Bedeutung mehr.
Die Struktur und der Inhalt der §§ 34 ff SGB XII stimmen im Wesentlichen mit den §§ 28 ff SGB II überein. § 34 Abs. 1 SGB XII legt fest, dass es sich um gesonderte Leistungen handelt und definiert den Begriff Schüler. § 34 Abs. 2 bis 7 SGB XII enthält mit geringfügigen Abweichungen zu § 28 Abs. 3 SGB II die Voraussetzungen der einzelnen Leistungen. § 34a Abs. 1 SGB XII regelt die Notwendigkeit der Antragstellung und die Unabhängigkeit gegenüber den übrigen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt. Die übrigen Absätze des § 34a SGB XII entsprechen § 29 SGB II. § 34a Abs. 2 SGB XII zeigt die Möglichkeiten der Leistungserbringung auf. § 34a Abs. 3 SGB XII enthält Regelungen zur Erbringung der Leistungen als Gutschein und § 34a Abs. 4 SGB XII solche für die Direktzahlung. Die Erbringung als Geldleistung regelt § 34a Abs. 5 SGB XII. § 34a Abs. 6 SGB XII befasst sich mit dem Nachweis der zweckentsprechenden Verwendung und der daran anschließenden Widerrufsmöglichkeit. § 34a SGB XII entspricht § 30 SGB II und regelt Fälle der berechtigten Selbsthilfe, in denen trotz Sachleistungszwang eine Zahlung an den vorleistenden Berechtigten möglich ist.
Die §§ 34 ff SGB XII sind direkt nur für die Hilfe zum Lebensunterhalt anwendbar, über § 43 Abs. i.V.m. § 42 Nr. 3 SGB XII sind aber die Leistungen mit Ausnahme der Teilhabe nach § 34 Abs. 7 SGB XII auch bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren. Eine Sonderregelung zur Anrechnung von Kindergeld findet sich in § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Die Übergangsregelung des § 131 SGB XII a.F. ist bereits zum 31.12.2014 wegen Zeitablaufs entfallen.6
Das AsylbLG enthält nur eine ausdrückliche Erwähnung der Leistungen für Bildung und Teilhabe. § 3 Abs. 3 AsylbLG sieht vor, dass diese Bedarfe neben den sonstigen Leistungen entsprechend den §§ 34, 34a und 34b SGB XII gesondert berücksichtigt werden. Für die Leistungsberechtigten, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufgehalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben, sieht § 2 Abs. 1 AsylbLG ohnehin die entsprechende Anwendung des SGB XII vor. Die wesentlichen Regelungen ergeben sich daher aus dem SGB XII. Zu beachten ist allerdings, dass für allgemeine Regelungen weder auf das SGB I noch auf das SGB X zurückgegriffen werden kann. Es gilt grundsätzlich das jeweilige Landesverwaltungsverfahrensrecht. Allerdings sind die §§ 44 f, 99, 102 ff SGB X gemäß § 9 Abs. 4 AsylbLG anwendbar. Ebenso sind gemäß § 9 Abs. 3 AsylbLG die §§ 60 ff SGB I entsprechend anzuwenden.
Das BKGG enthält mit § 6b eine eigenständige Regelung der Leistungen für Bildung und Teilhabe. Trotz ihrer Ausführlichkeit trifft diese wenig eigene Regelungen, sondern verweist im Ergebnis mit einigen Modifizierungen auf die §§ 28-30 SGB II mit Ausnahme von § 28 Abs. 1 S. 1 und auf § 40 Abs. 6 SGB II. Eine selbstständige Regelung enthält § 6b Abs. 1 BKGG. Hier wird geregelt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe dem Grunde nach besteht. § 9 Abs. 3 BKGG gibt vor, dass die Leistungen für Bildung und Teilhabe zu beantragen sind und dass der Antrag auch von demjenigen gestellt werden kann, der ein berechtigtes Interesse an den Leistungen hat. Die Übergangsvorschrift findet sich in § 20 Abs. 8 BKGG. Sie hat aber wegen des Zeitablaufs keine Bedeutung mehr.
§ 34 SGB XII und § 28 SGB II umfassen sechs verschiedene voneinander unabhängige Leistungen. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Leistungen in Absatz 2 (Klassenfahrten und Schulausflüge) und Absatz 7 (Aktivitäten im Bereich Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, Musikunterricht, Freizeiten) handelt es sich sogar um neun verschiedene Leistungen.
Das Gesetz differenziert dabei zwischen Bildungs- und Teilhabeleistungen. Bildungsleistungen sind die Bedarfe für Klassenfahrten und Schulausflüge, Schulmaterialien, Schülerbeförderung, Lernförderung und Mittagsverpflegung. Sie richten sich hauptsächlich an Schüler. Die Leistungen zur Teilhabe kommen hingegen allen Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zugute.
Bildungsleistungen
Klassenfahrten und Schulausflüge
Schulmaterialien
Schülerbeförderung
Lernförderung
Mittagsverpflegung
Teilhabeleistungen
Aktivitäten im Bereich Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit
Musikunterricht und vergleichbare angeleitete Aktivitäten der kulturellen Bildung
Freizeiten
Das Starke-Familien-Gesetz ändert wesentliche Bereiche der Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Der deutlichste und radikalste Schnitt ist die Gleichstellung von Geld- und Sachleistungen in § 29 Abs. 1 SGB II bzw. § 34a Abs. 2 SGB XII. Bei der Einführung der BuT-Leistungen war der wichtigste Leitgedanke die Ausgestaltung der meisten Leistungen als Sachleistung, um die zweckgerichtete Verwendung der Mittel zu garantieren. Nunmehr stellt der Gesetzgeber alle Erbringungswege gleichrangig nebeneinander und stellt die Entscheidung über den konkreten Erbringungsweg in das Ermessen des einzelnen Sachbearbeiters. Die Leistungsträger müssen – um ihre eingespielten Erbringungssysteme zu schützen – mit ermessenslenkenden Weisungen reagieren.
Möglicherweise noch gravierendere Folgen hat die Umstellung der Teilhabeleistungen auf eine pauschale Leistungshöhe unabhängig von dem tatsächlichen Bedarf, zumal dem Gesetzgeber mit der Streichung des Begriffs Mitgliedsbeiträge eine offensichtlich unbeabsichtigte erhebliche Erweiterung der Leistungen nach § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 SGB II unterlaufen ist.
Für die Leistungsberechtigten dürfte vor allem die Erhöhung der Leistungen für Schulmaterialien von 100 auf 150 € schuljährlich und der Teilhabeleistungen von 10 auf 15 € monatlich größere Bedeutung haben. Auch der Wegfall der Eigenanteile beim Mittagessen und bei der Schülerbeförderung erhöht die Leistungen fühlbar.
Die Zusätze zu § 28 Abs. 4 und Abs. 5 SGB II stellen hingegen im Wesentlichen nur die ohnehin schon vertretene herrschende Meinung dar und werden deshalb kaum Veränderungen bringen. Dasselbe gilt für die Klarstellung in § 40 Abs. 6 S. 4 SGB II, dass bei einem Widerruf eine Erstattung möglich ist. Immerhin wird damit einer häufig vertretenen gegenteiligen Meinung der Boden entzogen.
§ 28 Abs. 3 SGB II ist zwar zusammen mit § 34 Abs. 3 und Abs. 3a SGB II erheblich geändert worden, bringt aber eigentlich nur endlich einen Gleichklang bei der Behandlung von Fällen einer späteren Aufnahme des Schulbesuchs in allen Rechtsgebieten. Ob es dem Gesetzgeber im SGB II – wie offensichtlich gewünscht – mit dem Wort regelmäßig gelungen ist, eine später als zu den Stichtagen entstandene Hilfebedürftigkeit zu erfassen, wird die Zukunft zeigen.
Die Zusammenfassung aller Anträge zu einem Globalantrag mit dem Grundantrag mit Ausnahme der Anträge auf Lernförderung in allen Rechtskreisen außer im BKGG ist rechtlich bedeutsam, wird aber in der praktischen Arbeit der Leistungsträger keine große Rolle spielen. Verhindert wird so nur, dass ein Antrag nicht mehr zu spät erfolgen kann, wenn Grundanträge regelmäßig gestellt werden. Dies ist aber bisher auch nur sehr selten ein Grund für eine Ablehnung gewesen. Die eigentliche Hemmschwelle, das Ausfüllen von Formularen mit den für den Leistungsträger notwendigen Informationen wird so nicht abgebaut.
Kleine weitere Änderungen, wie die Zulassung von Kooperationen mit den Schulen und die Möglichkeit der Übernahme von Mittagessen in Horten bei einer bestehenden Kooperation mit einer Schule legalisieren letztlich nur Vorgehensweisen, die in der Praxis bereits teilweise schon genutzt werden.
Die kleineren Veränderungen des § 28 Abs. 7 S. 2 SGB II versuchen diese sowohl rechtlich als auch praktisch gescheiterte Norm zu retten. Die wesentlichen Probleme bleiben aber weiterhin bestehen.
1 BVerfG v. 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 191.
2 BVerfG v. 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 192, 203.
3 BVerfG v. 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138.
4 BT-Drs. 17/3404, S. 107.
5 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drs. 17/4719, S. 8.
6 BT-Drs. 17/10748, S. 22 (Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.2012).
Die Leistungen für Bildung und Teilhabe sind in allen Rechtskreisen zu beantragen. Dies ergibt sich aus § 37 Abs. 1 S. 1 SGB II für den Bereich des SGB II, aus § 34a Abs. 1 S. 1 SGB XII für die Hilfe zum Lebensunterhalt und für die entsprechenden Leistungen nach dem AsylbLG, aus § 44 Abs. 1 S. 1 SGB XII für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und aus § 9 Abs. 3 S. 1 BKGG für die Empfänger von Kinderzuschlag und Wohngeld. An der Notwendigkeit der Antragstellung hat sich durch das Starke-Familien-Gesetz auch nichts geändert.
Nur der Schulbedarf muss im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt des SGB XII und den Leistungen des AsylbLG, die sich darauf beziehen, nicht beantragt werden. Der Leistungsträger muss in diesem Fall auch ohne Antrag schon bei Kenntnis (§ 18 SGB XII) leisten.
Erhebliche Änderungen hat der Gesetzgeber aber zum 1.8.2019 bei der Frage vorgenommen, ob die Leistungen gesondert beantragt werden müssen. Die gesonderte Antragstellung war bis dahin der Normalfall. Jetzt sind nur noch die Lernförderung in allen Rechtsgebieten und die alle Leistungen nach § 6b BKGG gesondert zu beantragen. Alle übrigen notwendigen Anträge sind als Globalantrag von dem Grundleistungsantrag bzw. dem ersten BuT-Antrag umfasst. Damit sollen Hemmnisse bei der Inanspruchnahme abgebaut werden. Tatsächlich ist in den Rechtsgebieten SGB II, SGB XII und AsylbLG mit Ausnahme der Lernförderung bei rechtzeitiger Grundantragsstellung eine Ablehnung wegen einer verspäteten Antragstellung praktisch ausgeschlossen. Das eigentliche Hemmnis, das Ausfühlen von Formularen zur Abfrage der Leistungsvoraussetzungen, wird damit allerdings nicht beseitigt.
a. SGB II
Durch den Wegfall der zuvor ausdrücklich vorgesehenen gesonderten Antragstellung in § 37 Abs. 1 S. 2 SGB II stellt das Gesetz klar, dass es eines gesonderten Antrags nicht mehr bedarf. Ausreichend ist daher – wie bisher schon für den Schulbedarf – der gestellte Antrag auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld. Dieser umfasst nunmehr auch alle BuT-Leistungen mit Ausnahme der Lernförderung.
b. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Wie im SGB II umfasst auch in der Grundsicherung der Grundantrag alle BuT-Leistungen mit Ausnahme der Lernförderung. Auch hier ist die gesonderte Antragstellung für die übrigen Leistungen entfallen (§ 44 Abs. 1 S. 2 SGB XII).
c. Hilfe zum Lebensunterhalt und AsylbLG
Einen rechtlich erforderlichen Grundantrag gibt es bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht. Leistungen werden hier auch ohne Antragstellung erbracht. BuT-Leistungen waren aber nach § 30a Abs. 1 S. 1 SGB XII mit Ausnahme des Schulbedarfs bereits vor dem 1.8.2019 zu beantragen. Nunmehr sieht ein eingefügter Halbsatz vor, dass ein gesonderter Antrag nur für die Lernförderung erforderlich ist. Der Gesetzgeber wollte damit offenbar nicht auf den in der Praxis weit verbreiteten Grundantrag verweisen. Jedenfalls zeigt die Gesetzesbegründung, dass es dem Gesetzgeber klar war, dass rechtlich gesehen ein Grundantrag nicht existiert und deshalb jedenfalls aus Sicht des Gesetzgebers ein Gleichlauf mit dem SGB II nicht möglich war.7 Was der Hinweis auf die gesonderte Antragsstellung nur für die Lernförderung ansonsten bedeuten soll, ist nicht eindeutig zu erkennen. Wahrscheinlich ist gemeint, dass der erste gestellte BuT-Antrag immer als Globalantrag für die anderen BuT-Leistungen (außer Lernförderung) zu werten ist. Vielleicht sollte auch nur die Möglichkeit für Globalanträge offengehalten werden. Die Gesetzesbegründung schließt noch nicht einmal eindeutig aus, dass der rechtlich nicht erforderliche in der Praxis aber häufig gestellte Grundantrag als Globalantrag wirken soll. Gesetzestext und der Vergleich mit dem SGB II und der Grundsicherung sprechen allerdings dagegen. Bei § 37 Abs. 1 SGB II und § 44 Abs. 1 SGB XII führt der Verzicht auf die gesonderte Antragstellung in S. 2 der jeweiligen Vorschrift zwangsläufig zur Anwendung von S. 1, nämlich dem Grundantrag. Einen solchen gibt es aber bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht.
d. Probleme des Globalantrags
Rechtlich ergeben sich aus der Einführung des Globalantrags keine großen Schwierigkeiten. Es gelten letztlich dieselben Anforderungen, die ohnehin für den Grundantrag in dem jeweiligen Rechtsgebiet gelten.
Praktisch können sich Schwierigkeiten ergeben, die zuständige BuT-Abteilung schnell mit den relevanten Leistungsbeziehern zusammen zu bringen. Zumeist ist die BuT-Leistungserbringung als eigene Einheit organisiert. Dem Grundantrag ist aber nicht anzusehen, ob auch BuT-Leistungen begehrt werden. Häufig wird auch den Leistungsbeziehern nicht klar sein, dass sie auch BuT-Leistungen mit beantragt haben. Rückfragen der zuständigen BuT-Abteilung sind so von vorneherein nicht möglich.
Da die Antragstellung bei den vom Globalantrag umfassten Leistungen immer vorliegt, können jetzt BuT-Leistungen rückwirkend geltend gemacht werden. Eine Regelung wie in § 6b Abs. 2a BKGG zur zeitlichen Begrenzung der rückwirkenden Bewilligung fehlt. Die Grenze setzt also nur die vierjährige Verjährungsfrist des § 45 SGB I.
Wenn jeder Grundantrag jetzt immer auch einen Antrag auf alle BuT-Leistungen enthält, dann müsste darüber auch entschieden werden. Davon scheint der Gesetzgeber aber nicht auszugehen. Dies wäre jedenfalls dann sinnlos, wenn BuT-Leistungen von vorneherein gar nicht in Frage kamen oder für bestimmte Leistungen der Bedarf nicht gar nicht entsteht. Auch der 61jährige SGB II-Bezieher beantragt mit seinem Grundantrag automatisch BuT-Leistungen. Eine Bescheidung wünscht er aber mit Sicherheit nicht und diese würde auch einen erheblichen Mehraufwand für den Leistungsträger ohne Nutzen bedeuten. Die Leistungsträger könnten mit einer Art der Bewilligung dem Grunde nach reagieren. Dies wird zwar teilweise schon praktiziert, ist aber weder gesetzlich angelegt noch immer tatsächlich sinnvoll. Schließlich wird im Fall eines tatsächlichen Bedarfs dann immer noch eine weitere Prüfung und Bescheidung erforderlich.
Allerdings handelt es sich eher um eine theoretische Fragestellung ohne große praktische Relevanz. Jedenfalls sind bei den insoweit vergleichbaren Mehrbedarfen nach § 21 oder den Sonderbedarfen nach § 24 SGB II entsprechende Probleme bisher nicht zu einem großen Problem der Sozialgerichte geworden.
e. Übergangszeitraum
Die Wirkung eines Globalantrags haben Grundanträge ab dem 1.8.2019. Auf eine Übergangsregelung für laufenden Bewilligungszeiträume hat der Gesetzesgeber im Starke-Familien-Gesetz verzichtet. Für laufende Bewilligungszeiträume mit einer Antragstellung vor dem 1.8.2019 muss daher zumindest ein BuT-Antrag gestellt werden. Es spricht einiges dafür, dass dieser dann der Globalantrag ist, der die weiteren Anträge mitenthält. Dies gilt natürlich nur, wenn er ab dem 1.8.2019 gestellt worden ist. Schließlich nimmt das Gesetz nicht ausdrücklich auf den Grundantrag Bezug, so dass jeder Antrag Auslöser des Globalantrags sein kann. Nur ein Antrag auf Lernförderung kann weder ein Globalantrag sein noch von einem Globalantrag umfasst sein.
§ 41 Abs. 3 S. 4 SGB II fordert nunmehr, dass, wenn mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden wird, darauf hinzuweisen ist, dass die Entscheidung über diese Leistungen gesondert erfolgt. Auch hier stellt sich die Frage, ob dies auch für diejenigen Leistungsberechtigten erfolgen soll, die z.B. wegen eines Alters von 25 oder mehr Jahren ersichtlich keinen Anspruch haben können. Der Schulbedarf nach Abs. 3 ist nicht erfasst, weil über diesen regelmäßig durch die Leistungsabteilung des Jobcenters direkt mitentschieden wird.
Eine entsprechende Regelung für das SGB XII gibt es nicht.
Bei der Lernförderung hat der Gesetzgeber auf die Aufnahme in den Globalantrag verzichtet, weil er dabei die vorherige Kontaktaufnahme des Antragstellers mit dem Leistungsträger für erforderlich gehalten hat.8 Aufgrund der Komplexität der Leistungsvoraussetzungen bestehe ansonsten die Gefahr, dass durch eine nachträgliche Prüfung der Lernförderung erheblicher zusätzlichen Verwaltungsaufwand entstehe.
Im BKGG war eine Aufnahme in einen Globalantrag nicht erforderlich, weil im BKGG Leistungen auch für die Zeit vor Antragstellung erbracht werden können und deshalb ein zu spät gestellter Antrag ohnehin nicht vorkommen kann. Die gesonderte Antragstellung im BKGG bedeutet nicht, dass bei schriftlicher Antragstellung auch getrennte Schreiben zu verwenden sind. Die unterschiedlichen Anträge können zu einer Erklärung zusammengefasst werden.
Seit dem 1.8.2019 ist die Antragstellung in keinem Rechtsgebiet mehr an die Einhaltung einer bestimmten Form gebunden. Bis dahin sah § 9 Abs. 3 BKGG noch für die Leistungen für Wohngeld- und Kinderzuschlagsempfänger eine schriftliche Antragstellung vor. Sowohl eine mündliche als auch eine textliche Antragstellung (z.B. per E-Mail) sind also möglich. Der Antragsteller muss auch nicht ein vorgesehenes Formular verwenden. Mit dem Antrag müssen auch keine Informationen zu den Voraussetzungen der Leistung angegeben werden. Es ist ausreichend, hinreichend deutlich zu machen, dass man Leistungen erhalten will. Bei den Leistungen, deren Antrag vom Grundantrag mit umfasst ist, ist selbst das nicht mehr erforderlich.
In allen Rechtsgebieten mit Ausnahme des BKGG dürfen Leistungen nur für die Zeiten ab Antragstellung erbracht werden. Im SGB II und in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist dies ausdrücklich in § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 44 Abs. 2 S. 2 SGB XII geregelt. Auch im Anwendungsbereich des § 34a Abs. 1 SGB XII, also im AsylbLG und bei der Hilfe zum Lebensunterhalt, wird in der Praxis allgemein davon ausgegangen, dass der Leistungen für die Zeit vor Antragstellung nicht gewährt werden können. Diese Annahme wird gesetzessystematisch durch § 34b S. 2 SGB XII gestützt, der davon ausgeht, dass ein Antrag rechtzeitig gestellt werden muss.
Für die Frage, auf welchen Zeitpunkt es für die Rechtzeitigkeit des Antrags ankommt, hat sich der Zeitpunkt der Fälligkeit der Zahlungspflicht des Leistungsberechtigten gegenüber dem Anbieter durchgesetzt.9 Es spielt also keine Rolle, wann die Maßnahme stattfindet, relevant ist allein, wann sie zu zahlen ist.
Die Fälligkeit ergibt sich aus der zivilrechtlichen Vereinbarung zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Maßnahmeanbieter. Gibt es keine Regelung, so sieht § 271 Abs. 1 BGB vor, dass der Schuldner, also der Leistungsberechtige, sofort an den Maßnahmeanbieter zu zahlen hat. Regelmäßig wird aber ein konkreter Zahlungszeitpunkt vereinbart sein. Dies können bei einer Ratenzahlung auch mehrere Zeitpunkte sein. Zu beachten ist, dass der Maßnahmeanbieter die Fälligkeit jederzeit durch Stundung auf später verschieben kann. Dadurch kann auch ein eigentlich zu spät gestellter Antrag nachträglich noch rechtzeitig werden.
a. Rückwirkung auf den Monatsanfang
Im SGB II und in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wirkt der gestellte Antrag auf den Monatsersten zurück (§ 37 Abs. 2 S. 2 SGB II, § 44 Abs. 2 S. 1 SGB XII). Dies gilt nicht nur für den Grund- bzw. Globalantrag, sondern auch für einen gesonderten Antrag auf Lernförderung. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und damit auch im AsylbLG fehlt eine solche Regelung. Ein am 30. des Monats gestellter Antrag ist bei einer Fälligkeit z.B. am 20. des Monats also zu spät, wäre im SGB II und in der Grundsicherung aber rechtzeitig gestellt worden.
b. Rechtzeitigkeit bei Vorleistung
Für die sogenannte berechtige Selbsthilfe, also für die Fälle, in denen der Leistungsberechtigte durch Zahlung an den Anbieter in Vorleistung geht, sehen die §§ 30 S. 2 SGB II und 34b S. 2 SGB XII vor, dass der Antrag als zum Zeitpunkt der Selbstvornahme als gestellt gilt, wenn es dem Leistungsberechtigten nicht möglich war, rechtzeitig einen Antrag zu stellen.
c. Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Als rechtzeitig gestellt gilt ein Antrag auch dann, wenn der Leistungsträger eine sich aufdrängende Beratung unterlassen hat und der Leistungsberechtigte deshalb den Antrag nicht rechtzeitig gestellt hat, ihn aber nach Kenntnis unverzüglich nachholt. In diesen Fällen sorgt der sogenannte sozialrechtliche Herstellungsanspruch10 dafür, dass so getan wird, als wäre der Antrag rechtzeitig gestellt worden.