Fünf Krimis für den Sommerurlaub 2016

Alfred Bekker et al.

Published by Alfred Bekker, 2018.

Inhaltsverzeichnis

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Also By Alfred Bekker

Also By Horst Bieber

Also By Horst Weymar Hübner

Fünf Krimis für den Sommerurlaub 2016

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Morgen muss Chicago sterben

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Prolog

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Die Angst verfolgt dich bis ans Ende

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Anna verschwindet

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Die Tote ohne Namen

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EIN GEDULDIGER JÄGER FINDET SEIN ZIEL

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Further Reading: 34 Alfred Bekker Kurz-Krimis: Sammelband

Also By Alfred Bekker

Also By Horst Bieber

Also By Horst Weymar Hübner

About the Author

About the Publisher

Fünf Krimis für den Sommerurlaub 2016

von Alfred Bekker & Horst Bieber & Horst Weymar Hübner

Der Umfang dieses Buchs entspricht 750 Taschenbuchseiten.

Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre.

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

Horst Weymar Hübner: Morgen muss Chicago sterben

Alfred Bekker: Die Angst verfolgt dich bis ans Ende

Horst Bieber: Anna verschwindet

Alfred Bekker: Die Tote ohne Namen

Horst Bieber: Ein geduldiger Jäger findet sein Ziel

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Authors

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Morgen muss Chicago sterben

von Horst Weymar Hübner

Der Umfang dieses Buchs entspricht 138 Taschenbuchseiten.

Ein Unbekannter erpresst die Stadt Chicago um zehn Millionen Dollar: Falls die Verantwortlichen nicht auf die Forderung eingehen, so heißt es in einem Erpresserschreiben, sollen Teile der Stadt in Schutt und Asche gelegt werden. Gleichzeitig findet man nacheinander zwei Leichen – ein stadtbekannter Gangster und ein bis zur Unkenntlichkeit entstellter Mann, dessen Identität nicht ermittelt werden kann.

Das FBI unter der Leitung von Rex McAllister übernimmt federführend den Fall. Der G-Man und seine Kollegen suchen fieberhaft nach den Tätern und dem Erpresser, zumal sie einen möglichen Zusammenhang mit der Erpressung sehen. Als der Senat und der Stadtrat beschließen, die geforderte Summe nicht zu zahlen, scheint eine Katastrophe unausweichlich ...

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

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Prolog

Allein konnte er den Plan nicht ausführen. Er brauchte Experten und ein paar Handlanger. Mit einer enormen Gewinnbeteiligung köderte er Killer, Bandenbosse und „Spezialisten“. Für jeden sollte eine halbe Million herausspringen.

Sein Name bürgte für den Erfolg des Unternehmens. Man nannte ihn Big Nelson seit jenem Tag vor zwölf Jahren, als er auf dem Michigansee im Handstreich ein Dutzend Schiffskassen raubte, eine Dreiviertelmillion Dollar erbeutete und anschließend einer Flotte von Küstenschutzbooten ein siebenstündiges siegreiches Seegefecht lieferte. Wenn seither in Chicago ein großes Ding gedreht wurde und alle Spuren verwischt waren, raunte sich die Unterwelt zu, dass Big Nelson dahintergesteckt habe.

Diesmal ging es um zehn Millionen Dollar!

1

Der Kerl stand in der schlecht beleuchteten Telefonzelle, hielt den Hörer wenigstens schon fünf Minuten besetzt und machte keine Anstalten, das Gespräch zu beenden.

Babs Shiner, meine charmante Kollegin vom FBI-Ortsbüro, hatte sich bei mir untergehakt. Wir hatten ihre Gehaltsaufbesserung in LANDY’S STEAKHOUSE gefeiert und meinen Wagen zu Hause gelassen. Babs war auf die Idee gekommen, jetzt noch Larry anzurufen, ihn aus dem Bett zu scheuchen und auf unseren Besuch vorzubereiten. Er sollte den Whisky kaltstellen.

Dazu brauchten wir das Telefon. Landy weigerte sich standhaft, ein Telefon in seinem Lokal anbringen zu lassen.

Ich klopfte zum dritten Mal gegen die Glastür der Zelle. Der Bursche drehte sich nicht einmal um. Er hatte den Hörer zwischen Kopf und Schulter geklemmt und lehnte faul zwischen dem Wählkasten und der Seitenwand. Sprechen hörte ich ihn nicht. Unsere Telefonzellen sind schalldicht. Sein Gesicht sah ich auch nicht.

„Schmeißen Sie ihn doch ’raus!“, sagte eine grollende Stimme hinter uns. Ich drehte mich um. Zehn Yard entfernt stand ein Taxi. Der Fahrer hatte die Scheibe heruntergekurbelt. Die Innenbeleuchtung brannte. „Kurz vor Ihnen war schon einer da. Mit dem hat er Krach angefangen. Hauen Sie dem Lümmel ein paar ’runter!“

Von seinem Vorschlag hielt ich nichts. Vielleicht hatte er bis jetzt nicht viele Fahrgäste gehabt und wollte nur seinen Ärger loswerden. Aber ich klopfte noch mal gegen die Scheibe und öffnete dann die Tür.

Zwei Geräusche hörte ich gleichzeitig — das Besetztzeichen aus dem Hörer und ein gleichmäßiges Tropfen. Ich sah an dem Burschen hinunter.

Eine Blutlache breitete sich auf dem kippenbesäten Boden aus. Dort tropfte es hinein.

2

Gegen Mitternacht schlug ein fremder Gast in CABRINIS CLUB seinem Nebenmann an der Theke ohne ersichtlichen Grund eine Flasche über den Kopf.

Cabrinis Türwächter sprang den schlagfertigen Gast von hinten an, ehe mehr Unheil geschehen konnte. Der Wächter landete mit dem Kopf an der Theke. Blitzschnell war der Gast vom Hocker geglitten. Die zupackenden Hände des Wächters hatten ihn verfehlt.

Verspätete Bummler in der Madison Street blieben wenige Minuten nach Mitternacht neugierig stehen, als Gläserklirren, schrille Frauenstimmen und das Splittern von zerbrechendem Mobiliar aus dem vornehmen Club drangen.

Ein vorbeikommender Fußgänger drang ins Lokal ein.

Als zwölf Minuten nach Mitternacht vier von Cabrini alarmierte Cops vom 16. Revier mit Gummiknüppeln den Club betraten, war die Einrichtung demoliert. Der zuletzt gekommene Gast lag mit blutenden Lippen und einem zugeschwollenen Auge in der Nähe der Tür.

Die Cops sperrten den Ausgang, notierten die Namen der restlichen Gäste und suchten vergeblich den Urheber der Schlägerei.

„Der ist mit den ersten Gästen getürmt. Ich habe ihn nicht zu fassen gekriegt“, sagte Cabrinis Türwächter und kühlte sich eine blau unterlaufene Beule auf der Stirn mit einem Eiswürfel.

Es stellte sich heraus, dass der niedergeschlagene Gast bei der Tür gar nichts mit dem Zwischenfall zu tun hatte und rein zufällig verwalkt worden war.

Er gab seinen Namen und seine Adresse an und erstattete bei den Cops Anzeige gegen Unbekannt wegen Körperverletzung.

„Ich kann Ihnen keine großen Hoffnungen machen, Mr. Hamlin“, sagte der Führer der Streife. „Solange wir den Namen des Gastes nicht haben, kommen Sie mit der Anzeige nicht durch. Er war zum ersten Mal hier. Sie sind übrigens auch fremd.“

„Ich kann doch meine Dollars ausgeben, wo es mir passt“, sagte Mr. Hamlin gereizt.

3

Der Mann in der Telefonzelle war tot. Ein Messer steckte in seinem Rücken.

Sein Mörder hatte ihn mit der Jacke am Hebelarm des Wählerkastens aufgehängt. Deshalb war er nicht zusammengesunken.

Babs schrie unterdrückt, presste aber sofort die Hand auf den Mund. Ich schluckte und machte einen großen Schritt über die Blutlache hinweg in die Zelle. Das Gesicht des Toten war schrecklich verzerrt. Trotzdem erkannte ich es.

Der Tote war Colorado Charly. Er stand seit Wochen auf der Fahndungsliste des FBI. Er war „Fachmann“ für fremde Telefonleitungen und zapfte sie so geschickt an, dass die Opfer erst etwas merkten, wenn sie von Charly erpresst wurden.

Vor sechs Wochen musste er aus Denver in Colorado verschwinden.

Ich berührte nichts und zwängte mich an dem Toten vorbei.

„Colorado Charly“, sagte ich zu Babs. „Der Abend ist hin. Bleibe hier und lass keinen ’ran. Ich alarmiere die Nachtbereitschaft.“

Sie nickte und umklammerte ihre Handtasche.

Der Taxifahrer hatte die Ohren gespitzt, aber wohl nicht alles verstanden. Er beugte sich aus seinem Seitenfenster.

„Stimmt mit dem was nicht, Sir?“

„So kann man es auch nennen“, sagte ich. „Können Sie eine Beschreibung des Mannes geben, der vorhin an der Zelle war? Sie sagten doch, die beiden hätten sich gestritten!“

„Haben sie auch. Ich kam gerade mit einer Fuhre an, da lief einer wie ein Wiesel über die Straße und ging in die Zelle. Ich habe dann mit den Fahrgästen abgerechnet und zufällig einen Blick ’rübergeworfen.“ Er deutete auf die Zelle. „Da stand noch so ein eiliger Kunde. Er hatte die Tür aufgemacht. Sie haben sich geprügelt. Der mit dem Mantel ist aber nicht reingekommen. Er hat bloß den Lümmel an der Krawatte gepackt und in die Ecke gedrückt. Dann hat er die Tür zugeschlagen und ist rauf zur Hochbahnstation.“

Der Mann mit dem Mantel musste der Mörder sein! Charly trug keinen. Ich war wie elektrisiert. „Zur Hochbahnstation? Ist danach ein Zug abgefahren?“

Der Taxifahrer nagte an der Unterlippe. „Nein. Der nächste geht in vier Minuten.“

„Wie sah der Mann im Mantel aus, Mister? Trug er einen Hut, eine Brille oder rauchte er?“

„Nur einen Mantel. Schwarz, glaube ich. Warum wollen Sie das wissen?“

Ich hielt ihm meinen Ausweis hin. „Rufen Sie über Ihre Funkzentrale das FBI. Die Nummer ist vier – drei – eins – eins – drei – drei - drei: Ein Wagen der Nachtbereitschaft soll sofort kommen. Der Mann in der Zelle ist nämlich tot.“

Ich merkte mir die Nummer des Taxis und rannte zum Aufgang der Hochbahn. Über der Treppe hing eine Uhr. Sie zeigte 0.27 Uhr.

Ein grämlicher Kartenverkäufer hielt mich fest, als ich keuchend oben an der Sperre anlangte. „Fünfzig Cent“, quakte er.

Ich hielt ihm meinen Ausweis hin und sauste durch das Drehkreuz. Wahrscheinlich hatte ich ihn so erschreckt, dass er sogar vergaß, hinter mir herzuschimpfen.

Es ging noch eine Treppe hinauf.

Von irgendwo hörte ich ein dumpfes Rollen — der Zug!

Ich nahm immer drei Stufen auf einmal und kam wie von einer Rakete getrieben auf dem Bahnsteig an. Es zog erbärmlich. Die wenigen Gäste hatten sich hinter die windgeschützten Ecken der Zeitungsstände verdrückt.

Ganz links in Richtung des einfahrenden Zuges studierte ein Mann die Fahrpläne. Er hatte einen Mantel, dunkel war er auch, aber er trug ihn über dem Arm. Ich blickte schnell in die Gegenrichtung.

Da war er!

Sein Mantel war schwarz, den Kragen hatte er hochgestellt. Außerdem war er der Einzige, der an der Bahnsteigkante von einem Fuß auf den anderen trat.

Ich griff unter meine Jacke, packte den Griff der Automatic und trat auf ihn zu.

Mit der linken Hand hielt ich dem Mann meinen Ausweis hin. „FBI. Ich möchte Sie einen Augenblick sprechen!“

Meine Worte dröhnten durch die Station. Ich konnte nichts dafür. Die Dächer unserer Hochbahnstationen sind gewölbt. Wenn man an der richtigen Stelle spricht, wird jeder Laut verstärkt zurückgeworfen. Wir hielten uns gerade an einer solchen Stelle auf.

Der Mann fuhr zusammen, drehte sich um und blinzelte mich hinter starken Brillengläsern kurzsichtig an.

Hinter uns schrie im selben Moment eine Männerstimme: „Sind Sie übergeschnappt? Der Zug — Mister, der Zug! — Der erwischt Sie! Zurück, Mensch!“

Ich fuhr herum.

Die Fahrgäste waren aus ihren windgeschützten Ecken getreten und blickten zum Ende der Halle. Ich sah noch einen Schatten in der Nacht verschwinden, Schritte hörte ich nicht. Der Zug ließ bereits die Schienen dröhnen.

Vor den Leuchtkästen mit den Fahrplänen lag ein Mantel auf dem Boden.

Ich reagierte fast automatisch. Den ich für den Mörder hielt, war der falsche Mann. Den richtigen hatte ich unbeabsichtigt gewarnt. Ich spurtete los. Weit kam er nicht. Der Zug zwang ihn zur Umkehr.

Seine Lichter spiegelten sich auf den blanken Schienen. Plötzlich waren zwei Lichter verdeckt. Der Mörder floh mitten auf den Schienen — sein einziger Ausweg. Es gab rechts und links keinen Fußsteig und kein Geländer.

In vollem Lauf sprang ich am Ausgang der Halle vom Bahnsteig auf die Schwellen hinunter. Zwanzig Yard weit waren die Zwischenräume von unten noch mit Eisenplatten gesichert, das wusste ich.

„Kehren Sie um, es ist zwecklos!“, brüllte ich dem Zug entgegen.

Der Kerl floh noch immer. Seine Gestalt verdeckte eine Zuglampe.

„Umkehren, schnell!“, wiederholte ich.

Vor mir blitzte es auf, etwas zupfte an meinem Mantel.

Der Kerl kam nicht, er schoss!

Vor der hellerleuchteten Halle bot ich ihm ein gutes Ziel. Ich warf mich auf die Schwellen.

Ein paar Schritte vor mir schlug ein Funke aus einer Schwelle. Mit schrillem Heulen, das noch das Dröhnen der Hochbahn übertönte, fegte ein Querschläger über meinen Kopf hinweg. Der Bursche schoss mit Stahlmantelgeschossen!

Die Kälte der Schwellen drang durch meine Kleider. Ich hob den rechten Arm und zielte.

Er war schneller und drückte vor mir ab. Ein blauer Blitz zuckte vor der Mündung seiner Waffe auf. Neben meinem linken Ohr fuhr seine Kugel gegen die Schiene.

Er musste Katzenaugen haben. Er war wenigstens dreißig Yard von meinem Platz entfernt, aber er schoss wie ein Scharfschütze.

Ich sprang hoch und verkürzte den Abstand. Der kalte Schweiß brach mir aus, als ich erneut auf den Schwellen in Deckung ging und merkte, dass ich keine Eisenplatten mehr unter mir hatte. Ein Fehltritt, und ich flog aus zwanzig Yard Höhe hinunter auf die Lake Street.

Ganz deutlich sah ich jetzt die Gestalt des Mörders. Er kniete auf den Schwellen und warf den Kopf nach dem Zug herum. Die Hochbahn war noch knapp eine halbe Schienenlänge hinter ihm. Für ihn gab es kein Entrinnen mehr.

Ich kniete mich auf und biss die Zähne zusammen. Nur keinen Fehltritt, sonst war ich geliefert! Den Wettlauf mit der Hochbahn musste ich gewinnen!

Ich machte gerade den zweiten Sprung, als hinter mir ein fürchterlicher Schrei aufgellte. Ich zuckte zusammen und verfehlte die nächste Schwelle.

Zwar konnte ich mich noch nach vorn werfen, aber ich schlug mir das Kinn an und verlor die Pistole. Halb besinnungslos kroch ich von Schwelle zu Schwelle. Nur weg!

Wieder eine Schwelle geschafft! Ich spürte das Schlagen meines Blutes bis in die Kehle. In meinen Ohren dröhnte das Rollen der Räder.

Drei, vielleicht noch vier Sekunden, dann erfasste mich die Hochbahn! Zwischen Unterbau und Schwellen passte gerade eine Faust, aber kein Mensch.

Ich wandte den Kopf. Riesengroß schoss der Zug daher! Gleich musste er bremsen, aber dann war er schon über mich hinweggegangen.

Ich packte die nächste Schwelle, schloss meine fast gefühllos gewordenen Hände darum und ließ mich fallen.

4

Eine rote Lampe leuchtete über der Tür auf. Er stellte seinen Drink zur Seite, drückte auf einen Knopf unter der Tischplatte und erhob sich.

Die Lampe über der Tür leuchtete nicht mehr.

Er stieg die Treppe hinunter, durchquerte mehrere Räume, die als Büros eingerichtet waren, öffnete neben einem Aktenschrank eine Holztür und betrat einen langen Flur, der von einer Neonröhre spärlich beleuchtet wurde. Am Ende des Flures stand ein Regal. Das zog er zur Seite. Ein Mauerdurchbruch wurde sichtbar. Er ging hindurch, brachte das Regal wieder an seinen Platz und huschte lautlos durch einen stockfinsteren Raum.

In einem Nebenraum klingelte ein Telefon.

Er öffnete eine Tür, ging in der Dunkelheit mit nachtwandlerischer Sicherheit zu diesem Telefon und hob ab. „Ja?“

Die Stimme des Anrufers klang gepresst. „Es hat geklappt, Chef. Die Cops haben seinen Namen.“

„Etwas anderes habe ich nicht erwartet. Du kommst am Mittwoch wieder her. Auf keinen Fall früher. Und rufe das nächste Mal pünktlicher an. Ich schlafe nicht neben dem Telefon.“

Der Chef legte auf und machte sich auf den Rückweg.

5

Zwischen zwei Schwellen ließ ich mich hindurchfallen. Der Ruck war mörderisch.

Die scharfen Kanten der Schwellen schnitten mir in die Finger.

Eine Armlänge über mir raste der Hochbahnzug daher. Die Bremsen hatten schon gegriffen. Gelbe Funken sprangen von den Rädern ab.

Dieses Miniaturfeuerwerk hätte ich mir lieber vom Boden aus angesehen. Aber da hinunter kam ich nicht, jedenfalls nicht mit heilen Knochen.

Vom Schwung pendelte ich noch ein paarmal hin und her. Rechts sah ich die Telefonzelle schräg unter mir. Das Taxi war verschwunden, ebenso Babs.

Über meinem Kopf ging der letzte Wagen vorbei. Das Schwanken des Bahnkörpers wurde schwächer, das Grollen der Räder mäßigte sich und endete mit einem schrillen Kreischen. Der Zug stand. Er hatte die Station erreicht. Ich nicht!

Jede Sekunde, die ich an der Schwelle hing, kam mir wie eine Minute vor. Die Finger waren völlig gefühllos geworden.

Wenn die Kollegen von der Nachtbereitschaft endlich kommen würden!, dachte ich. In der Nähe war eine Feuerwehrstation. Die hatten ein Sprungtuch. Wenn sie das aufspannten, konnte ich mich fallen lassen.

Das Schlagen von Türen drang von der Station herüber. Laute Stimmen sprachen durcheinander.

Genau unter mir rief plötzlich eine Frauenstimme: „Rex, Rex, bist du das?“

Es war Babs.

„Nein, ich bin das Hochbahngespenst“, schrie ich. „Ein Sprungtuch, schnell!“

Ich sah hinunter. Sie wirkte ziemlich klein aus der Höhe. Sie winkte. „Nicht springen!“, rief sie und deutete herauf. „Da ist die Hochspannungsleitung!“

Vor Schreck hätte ich fast losgelassen. Ich zwang mich gewaltsam zur Ruhe.

Blaues Licht blitzte rechts auf. Ich wandte mühsam den Kopf.

Die Kollegen! Sie kamen mit drei Wagen. Die Lichter auf den Fahrzeugen blitzten, die Sirenen jaulten fürchterlich. Ein paar Wagen kamen hinterher.

Ich sah, dass Babs ihnen entgegenlief und sie einwies. Sie deutete zu mir herauf. Aus den neutralen Wagen rannten Gestalten. Unter mir bauten sie sich auf. Blitzlichter flammten auf.

Ich hätte es mir gleich denken können - die Reporter. Einen baumelnden G-Man an der Hochbahn ließen sich die nicht entgehen.

Die Kollegen scheuchten die Reporter weg, riefen mir ein paar Ratschläge zu und liefen zum Eingang der Station.

Ich hatte nicht mehr auf die Leute in der Station geachtet. Jemand trat plötzlich auf meine Finger. Ich fluchte wild und wurde sofort mit einer Taschenlampe angeleuchtet.

„Kommen Sie erst mal ’rauf! Sie werden was erleben“, sagte eine wutbebende Stimme.

Eine Hand tauchte zwischen den Schwellen auf und packte mein Armgelenk. Ich half mit, und der Mann über mir zog und zerrte. Ich kam so weit hinauf, dass ich mich bäuchlings über eine Schwelle legen konnte. Hier blieb, ich erst mal liegen und rang nach Atem.

„Das kostet Sie eine Kleinigkeit wegen Transportgefährdung und groben Unfugs“, versprach der Mann.

Von der Station näherten sich viele Schritte. Ich hob den Kopf. Es waren sechs oder sieben Leute. Sie stoppten vor uns, starke Handscheinwerfer blendeten auf.

„Da ist er“, vernahm ich die Stimme meines Kollegen Mike Belmonte. „Hat es dich schlimm erwischt?“

Mit eigener Kraft kam ich auf die Beine. „Mich nicht, aber den anderen“, sagte ich und drückte Mike die Hand. „Seinen Schrei habe ich noch gehört.“

Im gleichen Moment packte mich der Mann an meiner Seite am Ärmel. Er trug die Uniform der Hochbahnangestellten.

„Welcher andere? Versuchen Sie bloß keinen Trick! Sie waren auf den Schienen. Ich habe Sie vom Stand aus gesehen, ich bin nämlich der Fahrer. Geschossen haben Sie auch.“

Der gute Mann verwechselte mich mit dem Mörder. Mike Belmonte schaltete so schnell, wie ich es von ihm gewöhnt war. Er zeigte dem Fahrer seinen Ausweis, und mir raunte er zu: „Babs hat uns unterrichtet. Vorher ging ein Ruf von einer Taxizentrale ein. Hast du ...?“

Ich nickte. „Einer hat Colorado Charly mit dem Messer aus dem Geschäft befördert, jedenfalls sieht es so aus. Der Kerl ist hier auf den Bahnkörper geflohen.“ Der Hochbahnfahrer kratzte sich am Kopf. Er hatte Mikes Ausweis gründlich studiert. „Für einen Spaziergang würde ich mir nicht gerade den Bahnkörper aussuchen“, sagte er zu mir. „Ich muss aber doch eine Meldung machen. Sie bringen mich in eine böse Lage.“

„Machen Sie Ihre Meldung, alles Weitere wird sich finden“, beruhigte ich ihn. „Nur die Bahn darf nicht abfahren.“

Mike lächelte. „John Bridger hat gleich eine Teufelei vermutet. Er sitzt vorne im Zug und lässt ihn nicht losfahren. Hast du den Kerl erkannt? Mit der Identifizierung wird das so eine Sache sein, schätze ich. Den wird kein Mensch mehr erkennen.“

„Suchen wir ihn. Wahrscheinlich hat es ihn hinuntergeschleudert“, sagte ich und deutete den Bahnkörper entlang.

Mit den Handscheinwerfern gingen wir los. Als wir vielleicht hundert Yard weit gekommen waren und den Kerl nicht fanden, hatte ich ein unerklärliches Gefühl.

Wir stiegen von Schwelle zu Schwelle und erreichten schließlich die Hochbahnkurve zur Wells Street. Das war bereits eine Meile von der Station entfernt. Wir fanden nichts von dem Mann, keine Unfallspuren und keine Stoffreste.

Mike blickte mich zweifelnd an.

„Ich weiß, was du denkst“, sagte ich und zeigte ihm meinen Mantel. Dort, wo ich das Zupfen gespürt hatte, war ein Loch. Hinter der Tasche saß der Ausschuss. „Ich schieße mir selber den Mantel kaputt und werfe mich zum Spaß vor die Hochbahn. Für wie verrückt hältst du mich eigentlich?“

„Entschuldige“, murmelte er. „Jeder kann sich irren.“

Wie auf Kommando stolperten wir zurück. Jeder hatte wohl den gleichen Gedanken.

Zweihundert Yard vor der Station begannen wir jede Schwelle abzuleuchten. Ich entdeckte es zuerst.

„Hier ist er runter.“ Ich leuchtete den stählernen Stützbalken ab. Es war der erste, von der Station ausgerechnet. Unten auf der Lake Street ruhte er auf einem Betonsockel. Bis herauf zum Bahnkörper war er mit faustgroßen Schrauben gespickt. Die schrägen Trägerelemente waren hier verschraubt.

Auf halber Höhe am Pfeiler wehte etwas im Wind — ein Stofffetzen.

„Halte mal!“ Ich drückte Mike Belmonte den Scheinwerfer in die Hand und machte mich an den Abstieg. Erholt genug fühlte ich mich.

„Schaffst du es auch?“, fragte er besorgt. „Weiter unten ist die Starkstromleitung für die Trolleybusse. Ein Fehltritt, und du kommst fix und fertig gegrillt unten an!“ Er grinste verzerrt.

Ich sagte nichts, hielt mich an einer Schwelle fest und ließ mich hinab. Ein Windstoß trieb mich vom Pfeiler ab.

Noch mal! Beim dritten Versuch klappte es. Ich schlang die Beine um den Pfeiler, löste meine Hände und hing einen Herz schlag lang frei in der Luft. Dann packte ich zu.

Der Rest war ein Kinderspiel. Über den Starkstromleitungen wechselte ich auf die Außenseite des Pfeilers, hielt mich an den Isolatoren fest und stieg noch zwei Yard tiefer. Die Schrauben waren groß genug, um meinen Füßen sicheren Halt zu bieten.

Aus einer Schraube ragte fingerbreit ein Bolzen heraus. Dort hing der Stoffrest. Der Mörder war hier hängengeblieben.

Ich zupfte den Fetzen los. Ein Fadenknäuel saß an einer Ecke. Der Knopf, der hier sitzen sollte, war weg. Vielleicht lag er unten.

Ich verstaute den Fund in der Manteltasche und kletterte auf die Lake Street hinunter.

„Ihr könnt zurück“, rief ich zu den Kollegen hinauf. Ihre Handscheinwerfer wanderten dem Stationsgebäude zu.

Schräg über die Lake Street kam Babs gelaufen. Ihr Gesicht leuchtete bleich im fahlen Licht der Straßenlampen. „Ich hatte solche Angst“, sagte sie atemlos.

„Ist doch nichts passiert“, beruhigte ich sie. „Du hättest schon gehört, wenn ich die Hochbahn aus den Schienen geworfen hätte.“

Sie lächelte schon ein wenig.

Ich bückte mich und suchte rund um den Betonsockel den Boden ab. Der Knopf lag drei Yard entfernt. Ich steckte ihn und den Stoffrest in einen Umschlag und barg die spärliche Beute in der Brieftasche.

Aus der Station strömten die Kollegen. Ich hakte Babs unter und ging ihnen entgegen. Ungefähr an der Stelle, an der ich meine Automatic verloren hatte, blieb ich stehen. Mike Belmonte und der alte G-Man John Bridger waren die ersten, die uns erreichten. Oben fuhr ratternd und rumpelnd die Hochbahn ab.

„Deine Nerven möchte ich haben“, meinte John und schlug mir begeistert auf die Schulter. „Das wäre was für mich gewesen, wenn das verdammte ...“ Er stampfte mit seinem steifen linken Bein auf. „Gibst du einen aus?“

„Sicher, morgen früh“, sagte ich und ließ mir von Mike den Handscheinwerfer geben. Ich leuchtete die Straße ab.

„Der ist längst getürmt“, sagte John. „Der Schrei war ein Bluff!“

„Anzunehmen, aber meine Pistole hätte ich gern wieder!“

Die Kollegen suchten mit. Nach fünf Minuten waren wir sicher, dass sie genauso spurlos verschwunden war wie der Mörder.

„Vielleicht ist sie sogar mit ihm verschwunden“, sagte ich aus einer plötzlichen Eingebung heraus. Der Mörder ist kein Anfänger gewesen, das war mir bereits klar. Er hatte Colorado Charly mit einem Messer umgebracht, obwohl er eine Schusswaffe bei sich trug. Seine Reaktionen deuteten auf einen Berufskiller hin, ebenso seine ungeheure Schnelligkeit.

„Du, Mike, wie viele bekannte Burschen sind Nachtschützen und verwenden Stahlmantelgeschosse?“, fragte ich.

„Nachtschützen vielleicht fünf, und Stahlmantelgeschosse werden ungefähr von einem Dutzend benutzt.“

„Dann lass im Archiv die Karteikarten heraussuchen. Ich schaue mir die Kunden gleich an.“

Der Verlust der Dienstwaffe beeinträchtigte mein Gefühl, noch einmal davongekommen zu sein. Wenn der Bursche damit herumschoss, hatte ich eine Menge Scherereien.

Wir gingen hinüber zur Telefonzelle. Der Leiter der Nachtbereitschaft hatte gleich nach dem Alarm für die Kollegen die Mordkommission der City Police verständigt. Captain Sutton hatte diese Woche Nachtschicht. Er schwärmte mit seinen Leuten schon eine Weile um die Zelle herum.

Charly hatten sie bereits herausgeholt und abtransportiert.

„Das FBI im Großeinsatz“, murrte Sutton und schüttelte uns die Hand, ohne den Zigarrenstummel aus dem Mund zu nehmen. „Die Sache macht mir Kopfzerbrechen. Das Messer deutet auf einen Anfänger hin. Wie der Tote aber an den Hebelarm gehängt war und den Hörer angeklemmt bekommen hat, ist typisch für einen Killer. Fingerabdrücke gibt es auch nicht von dem Kerl. Ein paar haben sich auf dem Türgriff gefunden. Die gehören aber dir, Rex.“

Ich hatte mich also nicht getäuscht. Ein Berufskiller! Ein „Torpedo“, der außerdem aus Chicago stammen musste. Einer, der Charly aus Denver nachgereist war, hätte sich auf der Hochbahnstation kaum so gut ausgekannt. Für meine Theorie sprach auch die Schnelligkeit, mit der der Mörder praktisch unter den Augen des Taxifahrers den toten Charly so hergerichtet hatte, dass es aussah, als telefoniere er.

Der Taxifahrer war verschwunden.

Ich wandte mich an Babs. „Ist der Fahrer abgerufen worden?“

Sie schüttelte den Kopf. „Er hat Kundschaft bekommen. Einen Fahrgast.“

Da war wieder dieses Gefühl. Ich fasste Babs am Arm. „Was trug der Fahrgast? Aus welcher Richtung kam er?“

„Von da drüben.“ Sie deutete die Lake Street hinunter. Es beruhigte mich kaum. Wenn der Mörder schnell gelaufen war und unter der Hochbahn einen Bogen geschlagen hatte, konnte er der Fahrgast sein.

„Hat er einen Mantel angehabt, Babs?“, drängte ich.

„Ich glaube nicht. Aber geschnauft hat er. Er ist schnell gelaufen!“

Ich rannte schon zum nächsten erreichbaren Einsatzwagen. Er gehörte der Mordkommission. Ich angelte das Funktelefon heraus. „McAllister. Bitte das FBI, schnell!“

Die Funkleitstelle im Police Headquarters schaffte die Verbindung in Sekundenschnelle. „Hallo, Winters, bist du dran? Ein Taxifahrer hat vorhin Alarm geschlagen. Von welcher Gesellschaft war der?“, fragte ich meinen Kollegen.

Winters brummte. „Bunnel’s Cab. War daran was faul?“

„Nein, aber jetzt wird es faul. Gib mir schnell die Gesellschaft!“

Ich hörte ihn wählen. Wie aus weiter Entfernung vernahm ich eine Mädchenstimme. Winters spielte Kontaktmann, in jeder Hand ein Telefon.

„Frag sie nach der letzten Standortmeldung des Taxis ...“ Ich nannte die Nummer. Er wiederholte sie am anderen Apparat. Nach einer Weile kam er wieder. „Letzte Meldung von der Hochhahnstation Lake Street, vor etwa einer Viertelstunde. Eine Fahrt nach Chinatown — ein Passagier.“

„Danke. Sie sollen ihn anrufen und um seine Standortmeldung bitten. Kein Wort mehr und kein Wort weniger. Der Fahrer schwebt in Gefahr. Der Gast ist ein Killer. Ich warte.“

Winters wiederholte meine Worte. Es dauerte endlos, bis er sich erneut meldete. „Die Taxizentrale kommt nicht durch. Der Wagen meldet sich nicht mehr.“

„Danke, Winters. Mehr konnten wir nicht tun.“ Ich legte den Hörer zurück.

„Ich fürchte“, sagte ich zu Captain Kelly Sutton, „du bekommst noch mehr Arbeit. Ein Taxifahrer fährt ahnungslos den Mörder durch die Stadt. Der Wagen meldet sich bereits nicht mehr.“

Kelly Sutton war ein Mann der Tat. „Hast du die Nummer? Den finden wir schnell.“ Ich nannte sie ihm, und er alarmierte alle Streifenwagen, die gerade unterwegs waren.

Es dauerte keine fünf Minuten, bis sich ein Wagen meldete. „Radio Car siebzehn. Hallo, Captain! Wir sind an der nördlichen Auffahrt zum Eisenhower Expressway. Gesuchter Wagen gefunden. Er steht. Ein Insasse, vermutlich der Fahrer. Sollen wir ’ran?“

„Ja, und macht es schnell, ehe wir hier festwachsen!“ Kelly Sutton kaute erregt auf dem Zigarrenstummel herum.

Die Jungens vom Radio Car 17 waren fixe Burschen. Sie meldeten sich sofort wieder.

„Kommen Sie gleich her, Captain. Der Fahrer hat zwei Kugeln im Hinterkopf.“

„Sichern Sie die Stelle. Wenn Sie genau hinhören, vernehmen Sie schon unsere Sirenen!“ Kelly legte auf und brachte sein Team in Schwung.

Wir folgten mit unseren Wagen. Mike hatte den Mantel noch aus der Station geholt, wie ich ihm aufgetragen hatte.

Die Auffahrt zum Expressway war halbseitig blockiert, als wir anlangten. Captain Sutton hatte einen Laborwagen hinbeordert. Zwei Experten kümmerten sich bereits um den Toten.

Ich trat an die Bahre, um ihn zu identifizieren. Es war der Fahrer, der Zeuge des Mordes an Colorado Charly gewesen war.

Schweigend standen wir herum und rauchten, während die Spurensucher im Taxi herumkrochen und Prints suchten.

Kelly Sutton kam nach einer Weile aus dem Laborwagen und zog mich beiseite. „Die Mordwaffe ist eine 38er Automatic, wie ihr sie als Dienstwaffen habt.“

Das hatte ich befürchtet. Dass mein Verdacht sich aber so schnell bestätigen würde, schlug mir auf den Magen. „Es ist meine Waffe“, sagte ich.

Captain Sutton biss vor Schreck ein Stück vom Zigarrenstummel ab. „Sie ist aber nicht im Wagen“, murmelte er.

„Er hat noch fünf Patronen im Magazin. Ich kann nur hoffen, dass er sie wegwirft und wir sie finden.“

Die Arbeit der Spurensucher erbrachte nichts. Mit großer Wahrscheinlichkeit war der Doppelmörder von hier aus zur U-Bahn-Station in der Sherman Street gegangen. Wir suchten die Strecke zollweise ab. Meine Automatic blieb verschwunden, und in der U-Bahn-Station wollte kein Mensch den Mann gesehen haben, den wir beschrieben.

Meine ganze Hoffnung war jetzt unser Archiv.

6

Gegen zwei Uhr leuchtete wieder die rote Lampe über der Tür auf. Er drückte erneut auf den Knopf unter der Tischplatte und machte sich auf den Weg. Fünf Minuten später nahm er in dem dunklen Raum den Telefonhörer ab. „Ja?“

„Charly ist ausgestiegen, Boss“, berichtete der Anrufer. „Die feige Ratte wollte nicht mehr. Ich habe ihm gleich nicht getraut und bin ihm nach. Er hat die Nummer vom FBI gewählt.“

„Ich hoffe doch, dass es dabei geblieben ist!“

„Allerdings. Ich bin mit dem Messer nicht zu schlagen. Ein Fed hätte mich hinterher fast in der Hochbahn erwischt. Knapp vor dem Zug bin ich zwischen die Schwellen gerutscht. Chef, was hat das FBI nachts in der Hochbahn zu suchen?“

„Ich denke, Charly konnte nichts mehr sagen?“

„Konnte er nicht. Vielleicht war es ein Zufall. Warten wir die Zeitungen ab, genug Reporter waren ja da. Die schreiben bestimmt darüber. Natürlich ist es eine Panne, aber ...“

„Bei Big Nelson gibt es keine Pannen“, unterbrach er den Anrufer. „Beschaffe dir den Namen des G-Man und lasse ihn verunglücken. Charlys Anteil geht auf dich. Dafür erwarte ich einiges. Zum Spaß lasse ich keinen eine Million verdienen.“

Er legte auf. Nach einiger Zeit schepperte in der Dunkelheit ein Stahlregal.

7

Wir brachten Babs nach Hause und fuhren anschließend zum Ortsbüro. Ich gab dem Einsatzleiter einen Kurzbericht und sagte, dass die Untersuchungsprotokolle von der City Police nachgereicht würden.

Im Waschraum säuberte ich mich notdürftig von Rost und Schmutz, hielt den Kopf unter den Wasserhahn und fühlte mich wieder frisch.

Als ich in mein Büro trat, summte schon die Kaffeemaschine. John Bridger rückte die Tassen zurecht.

Wir stärkten uns mit der heißen, tintenschwarzen Brühe, die er dem Apparat entlockte, und fuhren hinauf ins Archiv. Mike Belmonte war schon an der Arbeit und schob mir zwei Aktenstapel zu.

„Die bekannten Nachtschützen!“ Er klopfte auf den kleineren Stapel. „Killer, die Stahlmantelgeschosse verschießen!“ Der zweite Stapel war recht umfangreich.

Wir siebten und sichteten. Gegen vier Uhr morgens hatten wir einen gefunden, der die besten Aussichten hatte, als Todeskandidat auf dem elektrischen Stuhl zu landen.

Unsere Enttäuschung war groß, als wir herumtelefonierten und erfuhren, dass der Kerl seit vier Tagen bereits wegen unerlaubten Waffenbesitzes bei der City Police schmorte.

Der nächste aussichtsreiche Kandidat war Jack Larrow. Sicherheitshalber fragten wir seinetwegen auch nach. Er war aber „draußen“. In den Akten war die Rede davon, dass er zwei oder dreimal für Carson Starke gearbeitet habe, einen Mann, der eine Menge Wäschereien betrieb und einer der Bosse im Spielhöllenbezirk sein sollte.

Auf dem letzten Blatt dieser Akte war vermerkt, dass Larrow ein Gunman war, der Stahlmantelgeschosse mit seiner MP feuerte.

Wieder nichts! Er hatte mit einer Pistole auf mich gefeuert.

Aber ansehen konnten wir uns den Burschen mal. Wenn auch ein Experte wie Larrow sich bestimmt für ein halsbrecherisches Unternehmen auf der Hochbahn viel zu wertvoll vorkam.

Ich stiefelte hinauf in den Fernschreibraum, wo zwei Kollegen Dienst machten. Ich gab ihnen den Text für die Suche nach einem Killer im Zentralarchiv, lieferte eine Beschreibung, die alle Mängel aufwies, die es nur geben konnte, und ließ auch die Meldung absetzen, dass wir Colorado Charly hatten. Allerdings als Leiche.

Ich nahm mir ein Taxi für den Heimweg und fiel hundemüde ins Bett.

8

Die Schritte des Milchmannes kamen wie jeden Morgen den Weg herauf und verstummten vor Dave Hamlins Tür. Der Drahtkorb schepperte, Milchflaschen klirrten.

Plötzlich ging die knarrende Haustür auf.

Dave Hamlin warf sich das Handtuch über die Schulter und schlurfte eilig aus dem Bad.

„Flint“, brüllte er, „Sie können mir Ihre Milch verkaufen, aber in meinem Haus haben Sie nicht herumzuschnüffeln. Wo haben Sie überhaupt einen Schlüssel her? Sie sind wohl übergeschnappt?“

Er verstummte erschrocken. In der Halle war kein Milchmann, und die Haustür war geschlossen.

Hamlin öffnete die Wohnzimmertür, blickte hinter die Sessel, sah ins Schlafzimmer und spähte unter die Treppe. Er riss die Haustür auf. Da standen keine Milchflaschen, und auf der Straße war weit und breit nichts von Flints klapprigem Wagen zu sehen.

Dave Hamlin schlurfte kopfschüttelnd zurück. Mit dem Fuß schob er die Tür des Badezimmers auf und steuerte dem Spiegel zu.

Im gleichen Augenblick vernahm er hinter sich einen scharfen Atemzug. Mit mörderischem Druck legten sich zwei Hände um seinen Hals.

9

Der Brief steckte unter den normalen Eingängen. Der Umschlag war geöffnet.

Das Sekretariat pflegte Hiram Kenneth diese Arbeit abzunehmen. Die Briefe wurden nicht gelesen. Das hatte der Gouverneur seinen Leuten abgewöhnt.

Er zog den Bogen aus dem braunen Umschlag, las, wurde blass und dann krebsrot und verlangte einen Augenblick später eine Blitzverbindung zum Office von Senator Pearson.

„Hiram Kenneth“, bellte er ins Telefon. „Pearson, wir werden erpresst! - Ja, Sie haben richtig verstanden - Erpressung! - Nein, nur die bescheidene Kleinigkeit von zehn Millionen Dollar. Die trage ich ja in der Hosentasche herum, wie?“ Er lachte gallenbitter und hörte sich Pearsons Meinung an.

„Ein Verrückter?“, sagte er dann. „Ich habe das bereits in Betracht gezogen. Verständigen Sie auf jeden Fall den High Commissioner. Weiter ist das FBI sofort einzuschalten. Ich fahre gleich los. Wir treffen uns in einer Stunde bei Mr. Doyle.“

Hiram Kenneth legte auf, packte den Brief in den Umschlag, rief nach Mantel und Hut und ließ seinen Wagen vorfahren.

Um 9 Uhr verschwand Hiram Kenneth im Universitätsgebäude, um 9.20 Uhr erschien er wieder mit zwei Professoren und ließ sich mit ihnen zum Rechenzentrum der Air Force bringen.

Punkt 9.45 Uhr traten sie aus dem von Doppelposten bewachten Hauptportal. Dem Chauffeur gefielen ihre kummervollen Gesichter überhaupt nicht.

„Zum FBI“, sagte Gouverneur Kenneth.

10

Mein Dienst begann um 12 Ihr mittags. Der Wecker klingelte natürlich viel zu früh. Ich tastete auf dem Nachttisch herum, bekam ihn zu fassen und verstaute ihn unter dem Deckbett.

Es klingelte wieder.

Gähnend setzte ich mich auf. Es war das Telefon, nicht der Wecker. Ich holte ihn hervor und schnappte mit der Linken den Hörer. „Mr. McAllister ist ausgegangen“, versuchte ich den Tonfall meiner Wohnungsnachbarin Mary nachzuahmen. Sie versorgte meine Wohnung.

„Hör mit dem Quatsch auf! Steig in den Anzug und brause her!“, vernahm ich die Stimme meines Freundes Larry Blackwell. „Mit Mary habe ich eben gesprochen. Sie hat dich gegen fünf Uhr nach Hause kommen hören. Wenn du die Zugluft auf der Hochbahn nicht verträgst, dann versuche deine akrobatischen Kunststückchen nächstes Mal in der U-Bahn.“

Er hatte also schon von der Sache gehört. „Larry, mein Dienst beginnt um zwölf“, knurrte ich.

„Egal, in zehn Minuten trifft der Gouverneur ein. Bridger behauptet, er bringe noch eine Menge wichtiger Leute mit. Ein solches Aufgebot von Eierköpfen hätten wir noch nie auf einem Haufen gesehen.“ Das machte mich blitzschnell munter. „Welche Sache, Larry?“

„Nach viel Kummer sieht es auf jeden Fall aus.“

„Bin schon unterwegs.“

An der Treppe nahm mich Larry in Empfang. „Sie sind gerade eingetroffen. Der Chef hat alle Kollegen, die im Moment keinen brandeiligen Fall bearbeiten, ins Konferenzzimmer gebeten.“

Er schüttelte mir zur Begrüßung die Hand und fischte ein Fernschreiben aus der Tasche. „Das ist heute Morgen für dich aus Washington gekommen.“

Es betraf meine Anfrage während der Nacht. Die Antwort war von lakonischer Kürze. „Beschreibung passt auf 1000 registrierte Kunden. Suchen weiter.“

Larry sah mich fragend an, während wir in den zweiten Stock kletterten. „Es war so eine Idee von mir“, erklärte ich ihm. „Ein Nachtschütze, der Stahlmantelgeschosse verwendet.“

„Der Kerl von der Hochbahn?“

Ich nickte. „Vom Labor ist nichts gekommen?“

„Unter der Hauspost war nichts“, sagte Larry. Dann standen wir vor der Tür.

Konferenzzimmer ist schamlos untertrieben für den größten Saal im Ortsbüro. Wir traten als Letzte ein.

Gouverneur Hiram Kenneth kannten wir. Er saß vorn bei der Tafel, flankiert vom Sternenbanner und der Flagge des Staates Illinois.

In der ersten Stuhlreihe erkannte ich Senator Pearson. Neben ihm saß Gordon Nilsen, der High Commissioner. Grüßend hob er die Hand. Mr. Doyle nickte uns zu. Nur der Bürgermeister, der sich neben unserem Chef bemühte, mit seinen dreihundert Pfund den Stuhl zu sprengen, schaute uns bissig an.

In der zweiten Reihe saß Colonel Hamilton, der Chief of Detectives. Ihm unterstanden alle Kriminalabteilungen der City Police. Rechts und links hatte er zwei Gentlemen sitzen, die einen etwas weltfremden Eindruck machten.

Unsere Kollegen hielten die folgenden Stuhlreihen besetzt. Reporter konnte ich keine ausmachen. Das gab mir sehr zu denken.

Gouverneur Kenneth räusperte sich. „Diese Besprechung unterliegt strenger Geheimhaltung. Gentlemen, ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Heute früh erhielt ich einen Brief erpresserischen Inhaltes. Ich lese ihn vor: ,Die Stadt Chicago hat Gelegenheit, sich gegen Zahlung von zehn Millionen Dollar freizukaufen. Die Übergabe des Geldes hat am Samstagmorgen um zehn Uhr auf der North Michigan Avenue zu erfolgen. Die Einzelheiten der Übergabe erhalten Sie telefonisch. Lassen Sie zum Zeichen Ihres Einverständnisses am Donnerstag in den Frühausgaben aller Chicagoer Zeitungen eine Anzeige erscheinen - Die Stadt Chicago verkauft Bauland! - Sollten Sie die Forderung ablehnen, werden weiteste Teile der Stadt in Schutt und Asche gelegt. Um Ihnen die Illusion zu nehmen, diese Forderung werde von einem Verrückten gestellt, werden wir am Donnerstagmittag, 12 Uhr, das Bürohochhaus Nr. 200, Ecke North Clark und Randolph Street, in die Luft sprengen’ - Was sagen Sie dazu, meine Herren?“

Der Gouverneur ließ empört das Blatt sinken.

„Ich möchte das Schriftstück gerne sehen“, sagte da schon Mr. Doyle. „Sind Fingerabdrücke gesucht worden?“

„Ja, natürlich - negativ“, erklärte Colonel Hamilton.

„Ein Verrückter, daran gibt es keinen Zweifel“, sagte der Bürgermeister. Er hatte eine Stimme, die zum Lachen reizte. „Meine Partei wird nie ihre Zustimmung geben. Zehn Millionen - das ist ein Skandal!“

Hiram Kenneth hob die Hand. „Parteipolitische Interessen haben in diesem Augenblick zurückzustehen. Ich stelle Ihnen zwei Experten vor - Professor Young und Professor Green von der De-Paul-Universität. Hören Sie ihre Meinung zu diesem Erpresserschreiben.“

Die beiden Herren mit dem weltfremden Gesichtsausdruck erhoben sich und machten linkische Verbeugungen nach allen Seiten. Der eine rückte an seiner Brille. „Der Verfasser dieses Briefes verfügt über einen infantilen Charakter und kompensiert einen verdrängten Minderwertigkeitskomplex, der vermutlich in sexueller Enttäuschung zu suchen ist, mit dieser Forderung. Sie ist in keinem Fall ernst zu nehmen.“

Er setzte sich nach einer Verbeugung. Sein Kollege erklärte knapp: „Ich schließe mich der Meinung von Kollege Young an.“

Larry stieß mir den Ellbogen in die Seite. „Was unsere Eierköpfe doch alles aus einem Brief herauslesen.“

Das Erpresserschreiben war inzwischen bei Mr. Doyle gelandet. Er studierte es und reichte es den Kollegen weiter. Mike Belmonte gab es schließlich uns. Die Buchstaben waren aus der Zeitung geschnitten und fast peinlich korrekt aufgeklebt.

„Der Umschlag trägt den Stempel des Postamtes vier im ersten Bezirk, Zeit: sechs Uhr heute“, meldete sich wieder der Gouverneur.

Mr. Doyle erhob sich, wie immer im schwarzen Anzug. „Hat eine Papieranalyse stattgefunden?“

„Und wie“, erklärte Colonel Hamilton lärmend. Sein rotes Borstenhaar hatte sich gesträubt. „Die Schriften stammen aus elf Zeitungen, der Bogen von Goldblatt, das Tausend zu vier Dollar.“

„Ganz einwandfrei ein Verrückter“, sprudelte der Bürgermeister los. „Ein normal denkender Mensch macht sich doch nicht diese Arbeit. Ist jemand anderer Meinung?“

Der Gouverneur lächelte milde.

„Ich habe ein Experiment gemacht und den Brief von den Logistikern der Air Force begutachten lassen. Übereinstimmend bekundeten sie, ein Verrückter sei der Verfasser. Der Text wurde außerdem der automatischen Rechenanlage eingegeben.“ Gespannt horchten wir auf. Eine Maschine bei der Gangsterjagd war etwas Neues.

„Und was hat das Rechengehirn gesagt?“ Der Bürgermeister war aufgesprungen. Sein Stuhl hatte bedrohlich geknackt.

„Mit einer Wahrscheinlichkeit von acht zu zwei ist die Erpressung ernst zu nehmen“, erklärte Hiram Kenneth.

In die atemlose Stille, die seinen Worten folgte, platzte die Stimme von John Bridger: „Der erste Fall, dass mir ein Rechengehirn sympathisch ist.“

Colonel Hamilton lachte dröhnend, wir grinsten vor uns hin.

Der Bürgermeister fuhr herum. „Wir zahlen nicht! Wenn Sie dem plumpen Erpressungsversuch auch nur den Schein von Glaubwürdigkeit beimessen, dann schnappen Sie den Burschen, ehe er gefährlich wird. Für mich ist der Fall erledigt. Das ist ein Verrückter oder jemand, der Schlagzeilen machen will!“

Dieser Ansicht schloss sich Senator Pearson an, der Gouverneur schließlich auch.

„Meine Herren, haben Sie die korrekte Arbeit - wenn ich sie einmal so nennen darf - in diesem Brief berücksichtigt?“, sagte unvermittelt Larry neben mir.

Alle sahen uns an, als hätten wir etwas Verbotenes getan.

„Erklären Sie das bitte genauer!“ Der Gouverneur nickte Larry zu.

„Ein Verrückter hätte die Buchstaben sicher aus einer einzigen Zeitung ausgeschnitten. Hier sind es elf. Ein Verrückter hätte die Zeilen nicht so exakt angeordnet. Hier stehen sie mit fast geometrischer Genauigkeit.“ Er hielt das Blatt hoch. „Der springende Punkt aber ist die genaue Orts- und Zeitangabe des Anschlages auf das Bürohochhaus. Über diesen Komplex lässt sich streiten. Es kann ein Verrückter sein. Es kann aber auch jemand sein, der eine wahnsinnige Generalstabsarbeit geleistet hat und sich seiner Sache so sicher ist, dass er ungeniert genaue Angaben machen kann. Sind Sie immer noch der Meinung, wir hätten es mit einem Irren zu tun?“

Er holte tief Luft.

Bei der ganzen Diskussion hatten alle, auch Larry, eine Kleinigkeit übersehen. Sie war im Brief enthalten. Ich nahm ihm den Bogen ab.

„Gentlemen“, sagte ich. „leider ist niemand aufgefallen, dass uns der Brief die Frage, ob Verrückter oder nicht, ganz klar beantwortet. In der viertletzten Zeile steht: ,... werden wir das Bürohochhaus ...’ und so weiter. Wir, das möchte ich betonen. Es handelt sich kaum um einen Einzelgänger. Eher steckt eine Bande dahinter, die mit einem einzigen Schlag an das große Geld kommen möchte.“

Sie blickten mich säuerlich an. Mr. Doyle allerdings lächelte anerkennend, und John Bridger und Mike Belmonte klatschten Beifall.

Der Bürgermeister hüpfte hoch wie ein Gummiball.

„Ihren Worten darf ich entnehmen, G-Man, dass Sie in dem Anführer dieser Bande, die wohl nur in Ihrer Fantasie besteht, einen Gangster von Format sehen. Nennen Sie mir einen Namen, und ich glaube Ihnen! - Ah, sehen Sie, es gibt keinen. Ihre Ausführungen betrachte ich als baren Unsinn!“

Seine Worte waren beleidigend. Mr. Doyle war mit verletzt, ich sah es seinen funkelnden Augen an. Aber ich hatte ein dickes Fell, und mit einer scharfen Erwiderung löste sich das Problem auch nicht. Einen kleinen Dämpfer musste ich dem Bürgermeister aber verpassen.

„Big Nelson“, sagte ich, und ich gebe gern zu, dass ein Schuss Schadenfreude dabei war. Der Name des geheimnisvollen Gangsters war mir gerade so eingefallen.

Der Bürgermeister wurde bleich. „Meine Magengeschwüre“, murmelte er dumpf.

Wenn ich gewusst hätte, was meine Worte auslösten, hätte ich mir diese Entgegnung auf den Angriff des Bürgermeisters verkniffen.

11

Sie fuhren mit zugeknöpften Mienen ab. Mr. Doyle schaute ihren Wagen vom Fenster aus nach.

„Ich stelle den Fall unter das Kennwort Goldfalke. Rex, der den Kern der Sache eben ausgezeichnet getroffen hat, übernimmt die Leitung der Sonderkommission, die ich hiermit einsetze. Kleine Fälle bleiben liegen“, sagte der Chef. Wir nickten.

Er trat an die riesige erleuchtete Karte von Chicago. Mit dem Stock deutete er auf den Block 200 in der Randolph Street. „Wir haben keinen Beweis, dass der Sprengstoffanschlag wirklich stattfinden soll. Nehmen wir es aber an. Der oder die Täter müssen sich im Gebäude hervorragend auskennen. Vor allem werden ihnen schwer zugängliche Winkel bekannt sein, in denen sie eine oder mehrere Sprengladungen unterbringen können. Ich setze das voraus, weil die Absender sich an zehn Fingern abzählen werden, dass dieses Gebäude vom Dach bis zum Keller abgesucht werden wird, nachdem sie ihre Absicht bekannt gegeben haben. Ich hoffe, dass es sich bei dieser Drohung um einen Bluff handelt. Versäumen wollen wir allerdings nichts. Jeder Mann, der zum Einsatz gelangt, lässt sich in der Waffenkammer die Sonderausrüstung aushändigen. Eine Mitteilung an die Presse darf nicht herausgegeben werden. Außerdem schlage ich vor, Rex, dass wir aus Sicherheitsgründen und als vorbeugende Maßnahme die Angestellten des Bürohochhauses zur fraglichen Zeit unter einem Vorwand evakuieren. Ich überlasse es Ihnen, einen plausiblen Grund zu finden. Halten Sie mich auf dem Laufenden. - Ich danke Ihnen!“

Er legte den Stock zur Seite und knipste das Licht hinter seiner wandgroßen Karte aus.