Robert Heymann

Sing-Sang der Liebe

Ein Buntes Buch von Liedern, Ludern und Lastern

Saga

Lieber Robert Heymann,

Sie hatten den Wunsch, sich von mir zu diesem, Ihrem Buche „Sing-Sang der Liebe“ ein Vorwort schreiben zu lassen, eine Art Einführung, die der Leser genießen soll, ehe er sich in den Inhalt des Werkes selbst vertieft. Sie hatten diesen Wunsch, weil Sie fühlten, daß ich Ihnen als Mensch nahestehe, und weil Sie wußten, wie hoch ich Ihr künstlerisches Wirken bewerte. Und dann, dann gab es noch ein Drittes, was Sie bewogen hat, die Arbeit des Mentors in meine Hände zu legen. Dieses Dritte war eine gewisse sentimentale Stimmung. Sie erinnerten sich, daß wir beide vor vielen, vielen Jahren (ja, lieber Heymann, wenn Sie auch in Hinblick auf die vielen jungen Leserinnen, die Ihr „Sing-Sang der Liebe“ finden wird, verstimmt sein sollten, daß ich schreibe: vor vielen, vielen Jahren ...) Schulter an Schulter für eine Sache gekämpft haben, der damals so viele junge Literaten nahestanden. Es war das heute längst selige Überbrettl Ernst von Wolzogens, der just genug Temperament und Förderungssinn besaß, um uns aus unseren Fuchslöchern herauszulocken und uns eine Basis für unser ganzes nachheriges Schaffen zu geben. Während ich aus Prag nach Berlin eilte, um unter der Fahne Wolzogens zu streiten, trug Sie die Münchener Überbrettlwelle hoch. Damals, als Sie einer der „sieben Tantenmörder“ waren, als Sie getreu der Wedekindschen Parole „Ich hab’ meine Tante geschlachtet ...“, mit erfolggekrönten Chansons und dramatischen Szenen vor die Öffentlichkeit traten und abseits Ihrer Brettlbetätigung ein weitverbreitetes satirisches Witzblatt „Der Affenspiegel“ redigierten, da kam mir der Name Robert Heymann zum erstenmal vor die Augen. Sie haben mich damals in die Reihe Ihrer Mitarbeiter auf genommen, und mir ist späterhin beim Durchstöbern alter Belegexemplare die oder jene Nummer des Affenspiegel“ wieder in die Hände gekommen. Das Papier etwas vergilbt, die Farben der Bilder einigermaßen verblaßt, die Frische unserer Jugend aber, lieber Heymann, die aus gereimten und ungereimten Zeilen wehte, maimorgenartig unoerwelkt ...

Und nun finde ich in Ihrem neuen Buche abermals manches, was mich an den Glanz vergangener Tage erinnert, manches, das, wenn auch vor Jahren geschrieben, nichts vom Reiz seiner unmittelbaren Wirkung und seines Gegenwartswertes verloren hat. Das eben macht den unbestreitbaren Vorzug aller Ihrer Arbeiten aus, daß sie nicht für den Tag geschrieben sind, sondern durch ihren unwandelbaren, allgemein menschlichen Charakter weit, weit über die Grenzen ihrer Produktionszeit hinausreichen. Zu diesen mir so lieben, weil mir vertrauten Klängen, hat sich in „Sing-Sang der Liebe“ eine Anzahl neuer, bis in die allerjüngste Zeit reichender Schöpfungen gesellt. Ein Beweis dafür, wie jung, lieder- und arbeitsfreudig Sie geblieben sind. In mancher Skizze, in manchem Scherz und auch in manchem Liede zeigen Sie, daß die Anschauung, die Sie von Welt und von den Leuten, die sie bevölkern, haben, etwas schärfer und pessimistischer geworden ist, unverändert aber ist Ihre ganze Liebe zur Aufrichtigkeit und zum Drange geblieben, unter Verzichtleistung auf das bekannte Blättchen vor dem Mund den Menschen, die es angeht, einen Spiegel vor das Gesicht zu halten ...

Sie werden es gewiß nicht als Beleidigung empfinden, wenn ich bei der Durchsicht Ihres Buches auch Ihr Redaktionstalent rühmend erwähne. Denn ihm ist der Eindruck der amüsanten Mannigfaltigkeit zu danken, den Ihre Arbeit macht. In geschidcter und für den Leser sehr anregender Weise ist Lyrisches und Dramatisches, Erzählendes und Skizzenhaftes gereiht. Soziales wechselt mit Märchenartigem, Bissiges mit melancholisch Empfindsamem. Ein wirklich buntes Buch: Hunderte von Farben und Lichtern, aber alle von der Welt ausgehend, in der wir leben und unser Pensum abmachen müssen.

Ich zweifle keinen Augenblick, daß man Ihr Buch lesen, und zwar viel lesen wird, und daß Sie, lieber Robert Heymann, an Ihrem „Sing-Sang der Liebe“ jene Freude erleben werden, die ein Vater an einem wohlgeratenen Kinde erlebt. Meinen Glückwunsch mit auf den Weg „Sing-Sangs“ haben Sie. Nun erwarten Sie aber auch in Ruhe die Glückwünsche der 100 000 Leser, die meinem folgen werden.

Leo Heller

Berlin, im September 1928

Ernte

Gedenken

Erinnerst du dich noch, wie ich auf dem Stuhle saß

Und Chateaubriand las?

Du knietest am Boden und schmiegtest warm

Dein dunkles Haupt an meinen Arm.

Und deine Augen waren so weit,

Als schauten sie über Raum und Zeit.

Ich lauschte dir,

Du sprachst zu mir,

Und über dein Antlitz ergoß sich ein Licht,

Wie sich’s in Kirchenfenstern bricht:

„Ich seh ein Engelsköpfchen

Mit leuchtend blonden Zöpfchen,

Mit Augen hell und blau

Wie klarer Morgentau.

Ich seh es schweben, fliegen,

In blauen Fernen wiegen —

Wenn erst die Schwalben zogen,

Kommt es zu mir geflogen,

Es pocht an meinem Herzen,

Drin leuchten sieben Kerzen

Dem Wunder durch die Pforten,

Das meinem Leib geworden. — — —“

Erinnerst du dich, wie ich auf dem Stuhle saß

Und Chateaubriand las?

Ich sah dir ins Angesicht,

Du merktest es nicht.

Ich fragte mit heimlichem Scherzen:

„Warum gerade sieben Kerzen?“

Da fiel ein Reif auf dein dunkles Haar ...

Du sprachst: „Weil ich schon sieben Jahr’,

Ja, sieben Jahr’“ — — Wir schwiegen uns aus.

Und unsere Liebe ging durch das Haus,

Schloß Pforten und Türen und Fenster zu,

Und stille war’s — — nur ich und du. — — —

Ich erinnere mich, wie ich auf dem Stuhle saß

Und Chateaubriand las.

Das ist gerade sieben Jahr her.

Du bist nicht mehr ...

Ein Grab

Wenn ich mein Werk beendet,

Still soll mein Ende sein.

Sucht zwischen zwei Zypressen

Ein Grab mit grauem Stein.

Dort schläft seit Tag und Jahren

Mein Weib in enger Truh.

Mein Herz ist mitgefahren,

Nun legt den Leib dazu.

Schreibt unter ihren Namen

Den meinen in den Stein:

Sind beide früh gestorben,

Konnt keins vom andern sein.

Mutter!

Warum hast du mir keine Liebe gegeben?

Nun gehe ich krank am Leben ....

Tausend Sehnsüchte brennender Qual

Trug meines Herzens Goldpokal.

Mutter! Du hast alles Leid verschuldet,

Das eine Frau um mich geduldet!

Meiner Adern Gefäße standen in Glut

Eine Jugend lang von rauschendem Blut.

Meine Sünden zogen in lockender Pracht

Vor meinen Straßen durch Tag und Nacht.

Meiner nackten Wünsche Chor verbarg

Die Seele. — Die welkte mir im Mark, —

Meine Seele ruhte in einem Sarg,

Den haben mir wüste Gesellen getragen

Durch lärmenden Kampf in tausend Tagen ....

Und wenn die Sterne am Himmel standen,

Und es schliefen meine lärmenden Lusttrabanten,

Dann hob sie das Haupt vom Totenkissen,

Zwiesprache haltend mit meinem Gewissen.

Sah mich mit schmerzenden Augen an:

Unglückseliger Bettlersmann,

Der König will sein auf dem Venusthron —

Wo steuerst du hin, verlorener Sohn?

Ich konnte die Stimme nicht länger ertragen,

Ich habe die Seele nächtlich erschlagen,

Ich habe die heilige Gnade verwirkt,

Ich habe den heiligen Gott erwürgt ....

Und ich baute ein Schiff, und ich habe geheuert

Zehn stumme Mohren, und bin gesteuert

Seewärts ....

Einsamkeit hieß mein verlorenes Schiff.

Leck blieb es liegen auf ödem Riff.

Meine Seele brannte in weißem Glast

Als Elmsfeuer auf dem höchsten Mast —

Mein Schiff ging unter im tiefen Meer,

Und zog die Sterne hinter sich her ...

Nun geh’ ich wo durch fremdes Land.

Unter meinen Füßen knirschen Stein und Sand.

Und irgendwo ist ein dunkles Ziel,

Zu dem ich Seelenloser pilgern will,

Weil ich dort eine Muttergottes hab’:

Ein Frauengrab.

„Ihr Leben war Liebe“ — steht auf dem Stein.

Der schließt meine tote Seele ein.

Dort will ich sterben den ärgsten Tod,

Dort will ich leiden die schlimmste Not,

Auf daß die Barmherzigkeit Gottes mir gibt

Die Seele zurück, die mich geliebt ...

Mutter! Warum hast du mir nicht Liebe gegeben?

Einst

Wenn einst, in langer Zeit,

Liebe und Jugend weit, —

Das Schiff, das Glück sich genannt,

Gescheitert fernab vom Strand, —

Und alle Sterne, die uns dort oben

Geglänzt, erkaltet sind und zerstoben, —

Und nichts blieb als das Leid:

Sehnen und Einsamkeit ...

Dann, so denke ich mir:

Irgendwo eine Tür,

Ginsterumrankt, mir nur bekannt,

Öffnet sich meiner Hand ...

Vor mir in Abendglut

Schlummernd ein Garten ruht,

Brunnen rauschen leise

Eine vergessene Weise.

Meine Füße gleiten bang

Silberne Wege entlang,

Meine Hände streichen von fern

Einen samtenen Blütenstern ....

Und es nahen Gestalten sacht

Durch die weiße, atmende Nacht,

Schweben leise und klingen dahin

Alle um eine Königin.

Und ein rätselhafter Mann

Trägt ihr süßestes Lächeln voran,

Trägt einen schimmernden Spiegel vor sich,

Und ich seh’ und erkenne mich.

Und ein silberverzierter Lakai

Trägt ihrer Stimme Melodei,

Eine Hirschkuh geht neben ihr

Mit ihrer Schönheit himmlischer Zier ...

Und es neiget sich alle Pracht

Prangender Bäume in dieser Nacht,

Und es neigt sich ein bebender Stier

Bis in den flüsternden Sand vor ihr,

Heilig trunken, stark und jung:

Evoe! Erinnerung .......

Heimatlos

Ich gehe über die Erde,

Und ich habe kein Heim.

Und wenn ich morgen sterbe,

Dann scharrt man mich ein ....

Hab’ doch für dich gestritten,

Dieweil ich um dich warb.

Weißt nicht, was ich gelitten,

Bis daß ich um dich starb.

Gib mir ein Kreuz aus Eisen,

Schließ mir die Augen zu,

Und laß mich einsam reisen

Zur ewigen Ruh ...

Die Heimat, die ich habe,

Ist eng und schlicht.

Drei Blumen auf dem Grabe

Sind all mein Licht.

O laß sie nicht verderben,

Ich litt darum so sehr.

Im Leben und im Sterben —

Ich hatt’ nicht mehr:

Treu Glauben, ehrlich Hassen

Hieß mein Panier.

Mußt’ Treu und Glauben lassen

Aus Lieb’ zu dir.

Als König bin ich gefahren

In Jugend stark und froh.

Und einen müden Narren

Begräbt man so ...

Du stehst vor Totenkerzen

Und siehst kein Licht.

Gabst einem heißen Herzen

Die Heimat nicht!

Verflucht, verdammt zu werden,

Kein Leid ist also groß,

Als fahren unter die Erden —

Heimatlos!

Verloren

Und ist mein Leben verloren,

Verrauscht schon vor der Zeit?

Mein Name, in Blut gegoren,

Vergessenheit geweiht?

Umsonst das wilde Ringen

Wohl mit der Dummheit Chor?

Und sind denn meine Klingen

Nicht scharf wie je zuvor?

Brennt mir die Todeswunde

Schon zwischen Stahl und Wehr?

Ihr goldbetreßten Hunde,

Steckt ein! Mir bleibt die Ehr!

Die Ehr, wie ich geschlagen

Mich stets für meine Sach’!

Ich hab’ kein Spott getragen,

Gab keine Spanne nach!

Der Krämer, der satte, feiste,

Trug Hohn meiner trotzigen Art.

Als Ritter vom heiligen Geiste

Geh ich auf letzte Fahrt.

Man wird mein Schwert noch preisen,

Es lebt, was ich getan,

Und meine Worte kreisen,

Trutz Euch, die Sonnenbahn!

Don Juan

Don Juan! Wißt Ihr denn, wer er ist?

Warum er die tausendste Frau geküßt?

Warum jedes Dorf und jede Stadt

Seine Witwen und seine Bastarde hat?

Weil er, zur Sehnsucht ewig verdammt,

Gottsuchender Büßer, ewig entflammt,

Jagt mit der Inbrunst heiligem Licht

Nach der Madonna und findet sie nicht.

Mit neunhundertneunundneunzig Frauen

Ließ sich der Unermüdliche trauen,

Und bleibt als Reinster geschmäht und verflucht,

Und sündigt im Glauben und sucht und sucht —

Sie trugen die Kronen der Königinnen,

Doch unter dem Purpur der Mägde Linnen,

Verklagten den Sünder mit Weh und Gekreisch —

Denn unter dem Linnen war Fleisch. Nur Fleisch!

Ave Maria

Es sinkt die Nacht mit dunkler Last

In ihren Sarkophag.

Schon webt ein neuer, junger Tag

Die Himmelsdecke aus Damast

In gold’nem Glanz und Glast ...

Ave Maria!

Die Berge schweben silbern grau

Hinein ins Äthermeer.

Es steht am Wege heilig hehr

Ein Kreuz mit unsrer lieben Frau,

Bekränzt mit Himmelsblau ...

Ave Maria!

Du liebe Mutter, Frau Marie,

Laß spielen dir ein Lied.

Durch meine kranke Seele zieht

Es Abends und des Tages früh:

Gegrüßt sei’st du, Marie!

Ave Maria!

Du Reine bist gebenedeit,

Du liebe Jungfrau, du —

Mein Herze hat nicht Rast noch Ruh,

Denn unter meinem Narrenkleid,

Da pocht das Leid:

Ave Maria!

Mach meine arme Seele rein,

Mein Sündigen war groß.

Ich hab’ gelästert deinen Schoß, —

Nun trag ich Reu und harte Pein, —

Und soll ich nimmer selig sein?

Ave Maria!