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Michael Ende

Die Jagd nach dem Schlarg

Variationen zu Lewis Carrolls
gleichnamigem Nonsensgedicht

hockebooks

»Kinder sind es gewiss nicht, die Lewis Carrolls Worte lesen sollten. Sie sind weit besser damit beschäftigt, Sandkuchen zu backen. Carrolls Nonsens taugt eher für weise und ergraute Philosophen, die an ihm das dunkelste Problem der Metaphysik, das Niemandsland zwischen Vernunft und Unvernunft erforschen können, und jene rätselhafteste aller geistigen Fähigkeiten, den Humor, der ewiglich zwischen beiden tanzt. Dass wir an gewissen ellenlangen und tifteligen Erörterungen, an gewissen komplizierten und wunderlichen Redewendungen ohne den geringsten Sinn unser Vergnügen finden, ist kein Thema für kindliche Spiele – es ist ein Thema für Psychologen, um den Verstand darüber zu verlieren.«

Gilbert K. Chesterton

Vorwort zum Vorwort des Dichters

In den sechziger Jahren hat es in München einen Mann gegeben – er hieß Schniller, kann auch sein Schnüller, ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist –, der hatte die seltsame Angewohnheit, in Büchern nur die Vor- und Nachworte zu lesen. Er las das Vorwort von Prof. Dr. Karl Völker zum Gottesstaat des Augustinus, er las das Vorwort von Kassebihr zum Briefwechsel Goethes mit Schiller, er las das Vorwort von G. Burgemeister zu der berühmten Ausgabe der gesammelten Radierungen Rembrandts, er las unzählige Vorworte von Adler, Redlich, Pfauenbuch, Ofenstrand, Knüpfli und Tütlingen zu den Eulenburg-Partituren der Symphonien von Haydn, Mozart und Beethoven, er las das Vorwort von Arnold Metzger zu den Logischen Mustersendungen von Husserl[1], er las Hegels Vorwort zu der deutschen Ausgabe der Briefe Leibnitz', er las Leibnitz' Vorwort zur französischen Übersetzung der Werke Bacons, ein Fest für ihn war es, als er in einem Antiquariat eine längst vergriffene Ausgabe der gesammelten Vorworte Hofmannsthals fand, der ja bekanntlich ein gefürchteter Vorwort-Verfasser war, kaufte das Buch sofort, las aber darin nur das Nachwort von Professor Müller-Seidel.

»Unser Leben«, pflegte Schnüller (oder Schnülker, wie gesagt, ich kann mich auf die genaue Schreibweise seines Namens nicht mehr besinnen), »unser Leben ist eigentlich nur ein Vorwort – der Haupttext ist der Tod. Unser Leben ist ein Präludium unseres künftigen Daseins nach dem Tod – wie das so schön Ferruccio Busoni in seinem Vorwort zur Partitur-Ausgabe der symphonischen Dichtung Les Préludes von Liszt dargestellt hat. Und trotzdem liest kein Mensch die Vor- und Nachworte. Ich habe Tausende in meinem Leben gelesen. Für die Texte hatte ich dann keine Zeit mehr. Trotzdem bin ich nicht draufgekommen, warum Vor- und Nachworte überhaupt gedruckt werden, wenn man weiß, dass sie – außer mir, aber das fällt ja nicht ins Gewicht – niemand liest.«

Wer meint, Vor- und Nachworte würden verfasst und gedruckt, damit dem Leser Information über das Buch und den Autor vermittelt würde, um das Verständnis des Textes zu erleichtern, der macht sich die Sache zu einfach. Seit vielen Jahrzehnten ist es schon so, dass die Vorworte in aller Regel weit schwieriger sind als das dranhängende Buch, wobei ich als herausragendes Beispiel an T. S. Eliots Vorwort zu Joyces Finnegan's Wake denke; hier wird das Vorwort erst durch genaue Kenntnis des Textes verständlich. Oder das Vorwort zum Kursbuch der Bundesbahn.

Vor- und Nachworte sind etwas ganz anderes: Sie sind eine Art Rahmen, eine Höflichkeit gegenüber dem Leser. Man will nicht einfach mit der Tür ins Haus fallen, man will aber auch nicht dem Autor das letzte Wort lassen. Wenn schon kein Nachwort folgt, dann kommen wenigstens noch Verlagsanzeigen über andere Bücher des Autors im selben Verlag, oder Bücher anderer Autoren – da sich Leser ja immer nur zögernd der Lektüre eines Buches nähern und jede Gelegenheit ergreifen, zunächst auf andere Unterhaltungen auszuweichen, lesen Leser zuallererst diese meist ansprechender als der Text gehaltenen Verlagshinweise, in denen in süffiger Art auf die Vorzüge eines weiteren Buches hingewiesen wird, und nicht selten schlägt der Leser (der ja noch gar nicht Leser war, jedenfalls nicht dieses Buches) sich an den Kopf und den Buchdeckel zu und kauft das andere Buch und liest dort die Verlagsanzeigen – dem Verlag ist es ohnehin wichtiger, dass Bücher gekauft, als dass sie gelesen werden.

Dass das Vor- und Nachwort nicht gelesen werden, ist außerdem auch experimentell erwiesen. Ein bedeutender deutscher Verlag hat einmal ein Buch herausgebracht (ein Sachbuch) und hat ein Vorwort vorausgestellt, das absolut nichts mit dem Text zu tun hatte. Jahrelang hat es kein Mensch gemerkt. Meinem Freund Schnülker (oder Sehnülker), dem heimtückischen Vorwortleser, ist es aufgefallen, womit der editorische Jux aufgeflogen war. (Es hat sich um das Vorwort zu Siegmund Freuds Abriss der Psychoanalyse gehandelt; das Vorwort stammt von Thomas Mann.)

Gewiefte Autoren – George Bernard Shaw gehört dazu, auch Jean Girandoux – haben, um fremden Einmischungen zuvorzukommen, zu manchen Werken eigene Vorworte geschrieben. Der Text von Man and Superman ist nur exakt ein Drittel so lang wie Shaws Vorwort dazu. Aber wenn Shaw gemeint hat, dass da die Leute das Vorwort lesen, weil es von ihm ist, hat er sich geschnitten. Das Vorwort kann sein, von wem es will, Leser finden es nicht (außer Sehnülker oder Seknülker, grad fällt mir ein, dass er möglicherweise Seknülken oder Geknülken geheißen haben könnte), und außerdem hindert ein eigenes Vorwort des Autors den Verlag nicht daran, von einem Professor oder irgendwem ein Vorvorwort schreiben zu lassen. Die entsprechende Ausgabe von Man and Superman sieht dann so aus:

  1. Titelei;
  2. Editorische Vorbemerkung des Herausgebers (John F. Hebberding C.F., N.L.L., Seite V–XVI);
  3. Vorwort von Prof. Sidney L. Lewis, Oxford, (Seite XVIII–XLII);
  4. Vorwort von G. B. Shaw (Seite 3-153);
  5. Text des Buches (Seite 154-256);
  6. Biographische Notizen zu G. B. Shaw (Seite 257);
  7. Biographische Notizen zu John F. Hebberding (von Nikleby T. Troserorth, Seite 258-264);
  8. Biographische Notizen zu Sidney L. Lewis (von Michael N. D. Suark, Seite 265-277);
  9. Biographische Notizen zu Nikleby T. Troserorth (Seite 278-281);
  10. Verlagsanzeigen (Seite 282-304).

Genülken (oder Genücken) hatte einen Fehldruck dieses Werkes in seinem Besitz, in dem einige Bogen fehlten, nämlich die Seiten 156 bis 256. Genücken (könnte auch sein, dass er Genocken geheißen hat, sein Vorname war Wolfram, da bin ich fast sicher) hat dazu gesagt: Man sieht daran, dass bei einem wirklich guten Buch die Lektüre des Vorwortes die der Texte überflüssig macht – dennoch werden Vorworte nicht gelesen, was (außer in dem eben erwähnten Extremfall, wo der eigentliche Text der kürzere Teil des Buches ist) erstaunt: quälen sich doch die Leute durch den Text, wo alles im Vorwort doch geistig-seelisch vorgekaut ist.

Dem Leser dieses Vorwortes – oder soll ich gleich sagen, da es ja wahrscheinlich nur einen geben wird: Lieber Wolfram Genocken (Genorkel?), wo immer Du Dich befindest und sofern Dir dieses Buch in die Hände fallen sollte, Dir wird nicht entgangen sein, dass dieses Vorwort bisher auch von allem anderen redet außer von Lewis Carroll, Michael Ende oder Wilfried Hiller (in alphabetischer Reihenfolge). Du hast recht, lieber Genorkel (auch wenn ich Deinen Namen falsch schreibe – Genofkle? –), aber erinnerst Du Dich an unser Gespräch im Café Kulisse in der Maximilianstraße an einem regnerischen Julitag des Jahres 1960, wo ich Dir entgegnete: Als Schreiber eines Vorwortes, das niemand lesen wird, räche ich mich an dem Verfasser des – wenn ich so sagen darf – Buchkernes, indem ich das, worüber ich schreiben soll, nicht zur Kenntnis nehme. Ich nehme alles auf der Welt zur Kenntnis, nur das nicht, was in dem Buch steht, wofür ich das Vorwort schreibe. Das nicht. Ich lasse mich von meinem gesunden Vorurteil leiten und theoretisiere so mehr allgemein vor mich hin. Je theoretischer etwas klingt, desto weniger kann es widerlegt werden. So stelle ich die These auf: Das Schlarg ist die symbolische Identifikation des Eus (im Sinne von Duus Scotus, das Duus Eus sozusagen) mit all der vorrevolutionären Bewusstseinsphase spätbürgerlicher Informationsidiome. Nun wirst Du mit Recht fragen, lieber Genofkel (oder hießest Du Genpfkel?), was eine symbolische Identifikation und was das Eus ist. Nun gut: symbolische Identifikation ist eine nachrevolutionäre Phasendeterminante gleichaugenblicklicher Seinsbedeutung (im Sinne Stuart Mills, kann auch sein Vibber Toegesens); das Eus ist ein Druckfehler und sollte eins heißen. Duus Scotus fällt also in diesem Zusammenhang weg, was bedauerlich ist – mehr für Duus Scotus als für uns, aber das nur so nebenbei. Man könnte auch sagen – ich könnte alles sagen, lieber Geupfkel (?), denn außer Dir liest es ja keiner, und wir, Du und ich, sind uns ja einig– man könnte auch sagen: Das Schlarg ist das, was man nur findet, wenn man es nicht sucht, und wer das Schlarg sucht, zeigt, dass er sich davor fürchtet, es je zu finden, ja: dass er durch die Suche nach dem Schlarg förmlich eine unüberwindliche Schranke zwischen sich und dein Finden aufrichtet. Hast Du gesagt: »wohlweislich«? – lieber Meupfkel? Ach so – nein, Du hast ganz etwas anderes gesagt. Ich räume also an dieser Stelle ein, dass das alles hier gar nicht von mir stammt, sondern von Wolfram Meupftel, und zwar aus dem einzigen Werk, das er je verfasst hat. Es heißt Vorwort zu einem ungeschriebenen Buch. Das Manuskript hat Teupftel – unvollendet – bei seiner (wegen Mietschulden) zwangsweisen Entfernung in seinem im Übrigen fast leeren Untermieterzimmer zurückgelassen. Es ist unter dem Aktenzeichen GV 70 221/81 beim Amtsgericht München asserviert, auf dem Aktendeckel stünde eigentlich Teupitels richtiger Name, aber leider ist beim Anlass einer Namenstagsfeier in der Gerichtsvollzieherei an einem 28. Juni, hat man mir gesagt, Sekt, später Tinte (–? –! –) darüber geflossen. Aus dem Datum ist zu schließen, dass der betreffende Gerichtsvollzieher Irenäus geheißen hat.

Herbert Rosendorfer

Vorwort des Dichters

Wenn – und dies wäre mehr als möglich – jemals gegen den Verfasser dieser kurzen, aber ungemein lehrreichen Dichtung der Vorwurf erhoben wurde, er habe reinen Unsinn geschrieben, so könnte sich dieser, davon bin ich zutiefst überzeugt, nur auf die folgende Zeile beziehen: »Bisweilen verfing sich das Steuer im Bug;«

Im Hinblick auf diese peinliche Möglichkeit möchte ich nicht (wie ich wohl könnte) als Beweis meiner tiefverwurzelten Abneigung gegen derlei Verstöße auf meine übrigen Schriften verweisen; ich möchte auch nicht (wie ich ebenfalls könnte) die starken moralischen Werte dieser Dichtung selbst beleuchten, noch die arithmetischen Prinzipien dartun, welche ihr mit so unendlicher Sorgfalt einverwoben sind, noch gar die edlen Lehren der Naturwissenschaft erwähnen, die ihren Inhalt bilden – nein, ich ziehe es vor, auf nüchternste Art und Weise zu erklären, wie es zu besagter Zeile kam.

Der Büttel, welcher nahezu krankhaft empfindlich gegen allen äußeren Schein war, pflegte den Bug ein- bis zweimal pro Woche abnehmen und neu lackieren zu lassen. Dabei geschah es allerdings regelmäßig, dass, wenn der Zeitpunkt zur Wiederanbringung herannahte, niemand an Bord sich zu erinnern vermochte, an welches Ende des Schiffes der Bug gehörte. Man wusste, dass es nicht im Geringsten von Nutzen sein könnte, den Büttel dieserhalb zu befragen – er hätte sich lediglich auf seine Schifffahrtsordnung berufen und in pathetischem Tonfall die Vorschriften der Admiralität verlesen, welche zu begreifen – dies sei nur beiläufig vermerkt –, noch keinem je gelungen war. So endete es für gewöhnlich damit, dass der fragliche Bug irgendwie quer über dem Steuerruder befestigt wurde. Der Steuermann[2] pflegte mit tränenfeuchten Augen dabei zuzusehen. Er wusste, wie falsch dies alles war, aber ach! – Regel 42 der Schifffahrtsordnung, welche besagte: »Es ist strengstens verboten, mit dem Mann am Steuerruder zu sprechen«, war vom Büttel selbst um die Worte »und dem Mann am Steuerruder ist strengstens verboten, mit irgendjemand zu sprechen« erweitert worden. So war Einspruch unmöglich, und keinerlei Steuermanöver konnte ausgeführt werden, ehe nicht der nächste Lackierungstermin herangekommen war. Während dieser verwirrenden Zwischenzeiten segelte das Schiff gewöhnlich rückwärts.

In diesem Zusammenhang ergibt sich übrigens die günstigste Gelegenheit, die schwerverständlichen Wörter innerhalb dieser Dichtung zu erläutern. Goggel-Moggels Theorie von den zwei Bedeutungen, die in ein Schachtelwort gepackt werden können, erscheint mir in diesem Fall als zulängliche Erklärung. Nehmen wir beispielsweise die beiden Wörter »knurrend« und »gurgelnd«. Man stelle sich nun vor, man möchte beide gleichermaßen benützen, ist sich jedoch nicht recht schlüssig, welches zuerst. Nun öffne man beherzt den Mund und spreche! Neigt man, wenn auch nur minimal, in Gedanken mehr zu »knurrend«, so wird man »knurrend-gurgelnd« sagen. Zieht man jedoch, und sei es auch nur um Haaresbreite, »gurgelnd« vor, so wird ein »gurgelnd-knurrend« dabei herauskommen. Besitzt man hingegen jene seltenste aller Gaben, einen völlig ausgewogenen Geist, so wird man das Wort »knurgelnd« hervorbringen.

Unterstellen wir einmal, dass als Pistol die bekannten Worte äußert: »Sprich oder stirb, Bezonier – unter welchem König?«, der Richter Schal mit Gewissheit nur sagen konnte, dass es entweder William oder Richard war, aber nicht mit letzter Entschiedenheit, welcher der beiden nun. Er vermochte also keinen von beiden Namen vor dem anderen zu nennen. Es ist kaum zu bezweifeln, dass er, lieber als zu sterben, hervorgestoßen hätte: »Rilchiam!«

Lewis Carroll

Lewis Carroll:
The Hunting of the Snark

Agony in eight fits

Fit the first:
The landing

»Just the place for a Snark!« the Bellman cried,
As he landed his crew with care;
Supporting each man on the top of the tide
By a finger entwined in his hair.

»Just the place for a Snark! I have said it twice:
That alone should encourage the crew.
Just the place for a Snark! I have said it thrice:
What I tell you three times is true.«

The crew was complete: it included a Boots –
A maker of Bonnets and Hoods –
A Barrister, brought to arrange their disputes –
And a Broker, to value their goods.

A Billiard-marker, whose skill was immense,
Might perhaps have won more than his share –
But a Banker, engaged at enormous expense,
Had the whole of their cash in his care.

There was also a Beaver, that paced on the deck,
Or would sit making lace in the bow:
And had often (the Bellman said) saved them from wreck
Though none of the sailors knew how.

There was one who was famed for the number of things
He forgot when he entered the ship:
His umbrella, his watch, all his jewels and rings,
And the clothes he had bought for the trip.

He had forty-two boxes, all carefully packed,
With his name painted clearly on each:
But, since he omitted to mention the fact,
They were all left behind on the beach.

The loss of his clothes hardly mattered, because
He had seven coats on when he came,
With three pair of boots – but the worst of it was,
He had wholly forgotten his name.

He would answer to »Hi!« or to any loud cry,
Such as »Fry me!« or »Fritter my wig!«
To »What-you-may-call-um!« or »What-was-his-name!«
But especially »Thing-um-a-jig!«.

While, for those who preferred a more forcible word,
He had different names from these:
His intimate friend called him »Candle-ends«,
And his enemies »Toasted-cheese«.

»His form is ungainly – his intellect small –«
(So the Bellman would often remark) –
»But his courage is perfect! And that, after all,
Is the thing that one needs with a Snark.«

He would joke with hyænas, returning their stare
With an impudent wag of the head: