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Nicola Fohrer (Hrsg.), Helge Bormann, Konrad Miegel, Markus Casper, Axel Bronstert, Andreas Schumann, Markus Weiler

Hydrologie

Mit Beiträgen von:
Helge Bormann, Axel Bronstert, Markus Casper, Peter Chifflard, Markus Disse, Mariele Evers, Nicola Fohrer, Andreas Grohmann, Björn Grüneberg, Uwe Haberlandt, Stefan Harnischmacher, Georg Hörmann, Martin Jekel, Jens Lange, Lukas Menzel, Bruno Merz, Konrad Miegel, Brigitte Nixdorf, Natascha Oppelt, Martin Reiss, Britta Schmalz, Andreas Schumann, Niels Schütze, Kerstin Stahl, Markus Weiler und Gerd Wessolek

Haupt Verlag

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Allgemeine Hydrologie

1 Geschichte der Hydrologie (Georg Hörmann)

1.1  Naturmythologie

1.2  Naturphilosophie

1.3  Hydrologie im Zeitalter der Naturwissenschaften

1.4  Wasserwirtschaft

2 Wasser als Stoff (Martin Jekel, Andreas Grohmann)

2.1  Molekularer Aufbau

2.2  Wasser als polares Molekül – Wasserstoffbrückenbindungen

2.3  Physikalische Eigenschaften

3 Globaler und regionaler Wasserkreislauf (Markus Weiler, Konrad Miegel)

3.1  Wasservorkommen und Wasserkreislauf der Erde

3.2  Strahlung als Hauptantrieb des Wasserkreislaufs

3.3  Globale Unterschiede des Wasserhaushalts

4 Niederschlag (Uwe Haberlandt)

4.1  Bildung und Charakterisierung des Niederschlags

4.2  Niederschlagsmessung

4.3  Gebietsniederschlag

4.4  Bemessungsniederschlag

4.5  Schneeniederschlag

5 Bodenwasserhaushalt (Gerd Wessolek)

5.1  Hydraulische Bodeneigenschaften und Kennwerte

5.2  Potenzialkonzept, Wasserspannung und Wassergehaltsmessungen

5.3  Wasserbewegung im Boden

5.4  Infiltration

6 Grundwasser (Martin Reiss, Stefan Harnischmacher)

6.1  Grundwasser im hydrologischen System

6.2  Messung und Kennzeichnung

6.3  Grundwasserdynamik

6.4  Grundwassernutzung

7 Verdunstung (Konrad Miegel)

7.1  Die Verdunstung als physikalischer Prozess

7.2  Die Verdunstung als hydrologischer Prozess

7.3  Experimentell gestützte Erfassung der Verdunstung

7.4  Berechnungsverfahren der Verdunstung

8 Abfluss im Gewässersystem (Markus Casper, Helge Bormann)

8.1  Der Abflussprozess

8.2  Messmethoden

8.3  Statistische Auswertungen und Berechnungsverfahren

9 Abflussbildung in der Landschaft (Axel Bronstert)

9.1  Einführung

9.2  Abflussbildung als Teil des Wasserkreislaufs

9.3  Oberirdische Abflussprozesse

9.4  Unterirdische Abflussprozesse

9.5  Abflussbildung infolge von Schnee- und Eisschmelze

9.6  Abfluss von Siedlungsflächen

10 Seen (Brigitte Nixdorf, Björn Grüneberg)

10.1  Natürliche Seen

10.2  Anthropogene Seen

10.3  Limnologische Probenahme- und Messmethoden

Spezielle Bereiche der Hydrologie

11 Einfluss von Landnutzung und Landbedeckung auf den Wasserkreislauf (Markus Weiler)

11.1  Einführung

11.2  Forst

11.3  Landwirtschaft

11.4  Stadthydrologie

12 Einfluss des Klimas und des Klimawandels auf den Wasserkreislauf (Helge Bormann, Markus Casper)

12.1  Einführung

12.2  Quantifizierung der Wirkung des Klimas auf den Wasserkreislauf

12.3  Hydrologische Signale des Klimawandels

12.4  Berechnung des Einflusses des Klimas auf den Wasserkreislauf

13 Ökohydrologie (Nicola Fohrer)

13.1  Einführung

13.2  Ökohydrologie der Landoberfläche: Die Interaktion zwischen Pflanze, Boden und Atmosphäre

13.3  Einzugsgebietsökohydrologie: Flüsse und ihre dynamischen Auensysteme

13.4  Ökohydrologie von Seen, Ästuarien und Küstenzonen

14 Hydrologische Extreme (Andreas Schumann, Lucas Menzel)

14.1  Hochwasser (Andreas Schumann)

14.2  Merkmale eines Hochwasserereignisses (Andreas Schumann)

14.3  Niedrigwasser (Lucas Menzel)

14.4  Dürren (Lucas Menzel)

Hydrologische Verfahren und Methoden

15 Hydrologische Modelle (Georg Hörmann)

15.1  Komponenten und Eingangsdaten von hydrologischen Modellen

15.2  Modelltypen

15.3  Workflow der Modellierung

15.4  Überprüfung der Modellgüte

15.5  Probleme und Fehlerquellen bei der Modellierung

15.6  Beispiele für hydrologische Modelle

16 Tracer in der Hydrologie (Jens Lange)

16.1  Künstliche Tracer

16.2  Natürliche Tracer

16.3  Tracer für hydrologische Systeme

17 Fernerkundung in der Hydrologie (Natascha Oppelt)

17.1  Was ist Fernerkundung?

17.2  Der Einsatz der Fernerkundung in der Hydrologie

17.3  Fernerkundung und hydrologische Modellierung

17.4  Qualitätsmanagement von Fernerkundungsprodukten

Regionale Hydrologie

18 Tieflandhydrologie (Britta Schmalz)

18.1  Einführung in das Tiefland als naturräumliche Großregion

18.2  Charakteristika hydrologischer Steuergrößen

18.3  Hydrologische Prozesse in Tieflandgebieten

18.4  Messungen in und Modellierung von Tieflandgebieten

19 Hydrologie der Mittelgebirge (Peter Chifflard)

19.1  Einführung in den Naturraum Mittelgebirge

19.2  Charakteristika hydrologischer Steuergrößen

19.3  Hydrologische Prozesse der Mittelgebirge

20 Hydrologie der Hochgebirge (Kerstin Stahl)

20.1  Einführung in den Naturraum Hochgebirge

20.2  Charakteristika hydrologischer Steuergrößen

20.3  Hydrologische Prozesse im Hochgebirge

20.4  Besonderheiten der Hydrologie vergletscherter Gebiete

21 Hydrologie von Trockenregionen (Axel Bronstert, Jens Lange)

21.1  Bedeutung der Hydrologie in Trockenregionen

21.2  Räumliche Abgrenzung

21.3  Niederschlag

21.4  Verdunstung

21.5  Infiltration und Abflussbildung

21.6  Abflussereignisse und -verluste

21.7  Grundwasser und Grundwasserneubildung

Anwendungen der Hydrolgie

22 Bewässerung (Niels Schütze)

22.1  Grundlagen der Bewässerung

22.2  Der Betrieb von Bewässerungsanlagen

23 Hydrologische Bemessung und hydrologisches Risiko (Bruno Merz)

23.1  Einführung

23.2  Hydrologische Bemessung

23.3  Risikomanagement

24 Integriertes Wasserressourcenmanagement (Markus Disse)

24.1  Geschichte und Ziele des Integrierten Wasserressourcenmanagements (IWRM)

24.2  Die EG-Wasserrahmenrichtlinie als Referenz für erfolgreiches IWRM

24.3  Beschreibung der Komponenten wasserwirtschaftlicher Systeme

24.4  Optimierung und Beurteilung von integrierten wasserwirtschaftlichen Maßnahmen

24.5  Multikriterielle Entscheidungsanalyse

25 Partizipation im Wassermanagement (Mariele Evers)

25.1  Einführung

25.2  Definitionen und Differenzierung des Begriffs «Partizipation»

25.3  Partizipation im Wassermanagement

25.4  Methoden und Forschungsansätze

Anhang

Symbolliste

Literatur

Die Herausgeber und Autoren

Die Deutsche Hydrologische Gesellschaft (DHG)

Register

Vorwort

Hydrologie ist die Wissenschaft des Wassers und seines Kreislaufs. Ihr Verständnis ist die Grundvoraussetzung für den nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser. In Deutschland ist sie als Fachdisziplin oft in Umwelt- oder Ingenieurstudiengängen angesiedelt. Auch in der Geographie oder den Agrar- oder Forstwissenschaften ist sie Bestandteil des Studiums. Der UTB-Basics-Band «Hydrologie» richtet sich an Studierende aller Bereiche ohne hydrologisches Vorwissen. Im ersten Teil des Buches werden grundlegende hydrologische Zusammenhänge erläutert, die als Voraussetzung für die darauffolgenden Kapitel gedacht sind. Der Wasserkreislauf und seine Komponenten werden dort ausführlich beschrieben. Im Teil «Spezielle Bereiche der Hydrologie» werden aktuelle Arbeitsrichtungen der Fachdisziplin aufgegriffen. Der Einfluss von Klima und Landnutzung auf den Wasserhaushalt wird dargestellt. Die Ökohydrologie und hydrologische Extreme wie Hoch- und Niedrigwasser gehören ebenfalls in diesen Teil. Im Teil «Hydrologische Verfahren und Methoden» werden Werkzeuge der modernen Hydrologie wie hydrologische Modelle, Tracerstudien und Fernerkundungsverfahren vorgestellt. Da der Wasserkreislauf sehr stark von Landschaftsraum und Klima beeinflusst wird, ist seine regionale Ausprägung Gegenstand von Teil 4. Die Besonderheiten des Wasserhaushalts im Tiefland, Mittel- und Hochgebirge sowie von Trockenregionen werden dort anhand von Beispielen vorgestellt. Der letzte Teil des Buchs zeigt Anwendungen von hydrologischem Wissen im Bereich des nachhaltigen Wassermanagements. Bewässerung, hydrologische Bemessung, Risiko- sowie Flussgebietsmanagement und letztlich das Einbeziehen der Akteure spannen den Bogen von der reinen Naturund Ingenieurwissenschaft bis hin zur Soziohydrologie.

An der Entstehung dieses Buches haben 26 Kolleginnen und Kollegen aus der Deutschen Hydrologischen Gesellschaft und befreundeter Gesellschaften mitgewirkt. Ich möchte mich für die großartige Zusammenarbeit und die Bereitschaft, an diesem Buch mitzuarbeiten, herzlich bedanken. Die Diskussionen um die Struktur und Inhalte der einzelnen Kapitel waren sehr bereichernd und haben meiner Ansicht nach den Dialog über die universitäre Lehre in unserem Fach ein großes Stück vorwärtsgebracht. Ein Dankeschön für die kritische Durchsicht der Kapitel und die konstruktiven Hinweise geht an meine Miteditoren Helge Bormann, Konrad Miegel, Markus Casper, Axel Bronstert, Andreas Schumann und Markus Weiler. Gerade diese Vielfalt an Koeditoren aus unterschiedlichsten Fachbereichen mit ihren verschiedenen Blickwinkeln und Erfahrungen war die ideale Mischung!

Ohne den großartigen Support von Jannik Petersen gäbe es das Buch in der vorliegenden Form nicht. Er hat mich in diesem Unterfangen mit unglaublichem Engagement unterstützt und die ganze Unternehmung auch in turbulenten Phasen umsichtig auf Kurs gehalten. Er hat die gesamte Kommunikation mit den Autoren und die freundlichen Erinnerungen an unseren Zeitplan geschultert und das Manuskript akribisch von der ersten bis zur letzten Seite Korrektur gelesen. Zusätzlich war er unser studentisches «Versuchskaninchen», was die Verständlichkeit des Texts für Hydrologieneulinge anbelangt, und hat sich der Löwenaufgabe gestellt, unsere zentralen Symbol- und Literaturverzeichnisse zu erstellen. Danke für diesen unglaublichen Einsatz!!

Herrn Dr. Martin Lind, dem Lektor des Haupt Verlags, danke ich sehr für den folgenschweren Anruf, mit dem er dieses Buchprojekt ins Leben gerufen hat. Danke, dass Sie unser Projekt so umsichtig und geduldig über die gesamte Entstehungsphase begleitet haben.

Danke an meine Studierenden und meine Arbeitsgruppe, die mir die Motivation für dieses Buch gegeben haben. Mein größter Dank gebührt meiner Familie, die alle meine Projekte und Ideen und die damit verbundenen Arbeitsspitzen bisher gelassen ertragen hat und immer an meiner Seite ist. Danke!

Kiel, im Februar 2016

Nicola Fohrer

Allgemeine Hydrologie

| 1 Geschichte der Hydrologie

Georg Hörmann

Inhalt

1.1    Naturmythologie

1.2    Naturphilosophie

1.3    Hydrologie im Zeitalter der Naturwissenschaften

1.4    Wasserwirtschaft

Die Geschichte der Hydrologie kann in drei Phasen eingeteilt werden: die Naturmythologie, Naturphilosophie und Naturwissenschaft. Die Hydrologie als exakte Naturwissenschaft wurde in der Renaissance begründet. Das Schicksal vieler Hochkulturen ist eng mit der Beherrschung der hydrologischen Rahmenbedingungen, z.B. durch Bewässerung und Hochwasserschutz, verknüpft.

1.1 | Naturmythologie

In allen Kulturen diente zunächst die Mythologie der Erklärung der Welt. Die Zuständigkeiten der Götter waren klar geregelt, auch im Bereich der Hydrologie. Hydrologische Extreme wie Dürren und Hochwasser waren keine logisch erklärbaren Phänomene, sondern wurden durch die Götter in Abhängigkeit vom Wohlverhalten und von den Opfern der Menschen gesteuert. So lag z.B. die Verantwortung für die Wasserwirtschaft im alten Ägypten und in Mesopotamien in den Händen der Priester.

1.2 | Naturphilosophie

Die Anfänge der empirischen Naturwissenschaften wurden im abendländischen Kulturraum im alten Griechenland gelegt. Dort beschäftigten sich verschiedene philosophische Schulen mit der Naturbeobachtung. Thales (ca. 624–546 v. Chr) glaubte, dass das Wasser aus den unterirdischen Vorräten wie in einem Schwamm nach oben in die Quellen gesogen wird. Hippokrates von Kos (460–380 v. Chr.) stellte erste Versuche zur Verdunstung an, durchschaute aber zentrale Prozesse des Wasserkreislaufs noch nicht. Selbst Kircher ging in seinem Buch über die «Unterirdischen Welten» von 1665 noch von den falschen Ansichten Thales‘ aus (Abb. 1-1). Erst Perrault (1611–1680) beschrieb die Verdunstung als Teil des Wasserkreislaufs und berechnete erste Wasserbilanzen.

Abb. 1-1 | Darstellung des Wasserkreislaufs von Kircher (1665)

Merksatz: Die Entwicklung der Hydrologie als exakte Naturwissenschaft begann in der Renaissance.

1.3 | Hydrologie im Zeitalter der Naturwissenschaften

Mit der Renaissance ab Mitte des 14. Jahrhunderts begann der Aufstieg der Naturwissenschaften allgemein und damit auch der Hydrologie. Die religiösen Dogmen der Kirche wurden durch Beobachtungen ersetzt, es entstand «Wissenschaft», wie man sie heute kennt. Wichtig für die Hydrologie sind zum einen die Schaffung der mathematisch-theoretischen Grundlagen und zum anderen der Aufbau von Messnetzen für meteorologische Größen wie Temperatur oder Niederschlag und hydrologische Kennzahlen wie Wasserstand und Abfluss. Messungen begannen an einzelnen Orten um 1800, ab ca. 1900 gab es im deutschen Sprachraum verlässliche Messungen in größeren Netzwerken.

Viele Grundlagen der theoretischen Hydrologie wurden ebenfalls im ausgehenden 19. Jahrhundert gelegt. Henry Darcy (1803–1858) beschrieb den Zusammenhang zwischen Wasserhöhe, Durchlässigkeit und durchflossener Fläche in porösen Medien wie Böden. Der Abfluss im Gewässer war ebenfalls Gegenstand vieler Untersuchungen. Jakob Bernoulli veröffentlichte 1738 seine Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Druck. Der Mathematiker Leonhard Euler stellte die allgemeinen Bewegungsgleichungen für ideale Flüssigkeiten auf. Die erste empirische Gleichung zur Berechnung der Verdunstung als Funktion von Windgeschwindigkeit und Sättigungsdefizit geht auf John Dalton (1766–1844, publiziert 1801) zurück. Die quantitative Beziehung zwischen Niederschlag und Abfluss wurde bereits von Claude Perrault und Edme Mariotte im 17. Jahrhundert untersucht, aber erst 1932 stellte Leroy K. Sherman mit dem Einheitsganglinienverfahren eine empirische Beziehung zwischen den beiden Zeitreihen her.

1.4 | Wasserwirtschaft

Unabhängig vom theoretischen Verständnis des Wasserkreislaufs haben viele Hochkulturen Methoden zur Steuerung des Wasserhaushalts entwickelt. Zwei Bereiche der Wasserwirtschaft sind dabei oft verbunden mit Aufstieg und Niedergang von Hochkulturen: Bewässerung und Hochwasserschutz. Bewässerung schuf in vielen Kulturen die Voraussetzung für höhere landwirtschaftliche Erträge und ermöglichte deshalb die Entwicklung von Städten. Hochwasserschutz war oft verbunden mit technischen Hochleistungen wie Deichbau und erforderte eine hoch entwickelte Verwaltung zur Koordination der komplexen Baumaßnahmen. Auch der Bereich der Wasserver- und -entsorgung ist hier zu erwähnen: Die von den Römern gebauten Aquädukte und die Abwasserleitungen sind heute noch zu sehen (Abb. 1-2).

Vor allem in ariden Regionen sind der Aufstieg und der Niedergang von Kulturen oft direkt mit der Produktivität der Landwirtschaft, und damit mit der Bewässerung (→ Kap. 22) verbunden. Typische Beispiele dafür sind Mesopotamien im heutigen Irak und Iran sowie der Jemen. In Mesopotamien wurde Wasser in unterirdischen Kanälen, den sogenannten Qanaten, über viele Kilometer aus den Bergen in die Wüstenregionen transportiert.

Abb. 1-2 | Der Pont du Gard in Südfrankreich, ein von den Römern erbautes Aquädukt (Foto: Wikicommons).

Ein Beispiel der Verknüpfung von Wasserbau und nationalem Wohlstand ist der Ma‘rib-Damm im Jemen, dessen Überreste heute noch zu besichtigen sind. Mit dem Bau des Erddamms wurde ca. 1700 v. Chr. begonnen. Zur Zeit der Königin von Saba wurden mit dem Wasser des 14 m hohen Damms 100 km2 bewässert. Der erste größere Bruch des Damms ca. 145 n. Chr. führte zu einer verheerenden Flut. In der Folge wurde der Damm immer wieder repariert. Der endgültige Zusammenbruch erfolgte um 500 n. Chr. und führte zum Niedergang der Bewässerungslandwirtschaft und damit des ganzen Reichs.

Weiterführende Literatur

Biswas, A. K. (1970): History of Hydrology. Amsterdam/New York.

Deutsche Wasserhistorische Gesellschaft. URL: http://www.dwhg-ev.com/ (Stand: 29.06.2015).

Garbrecht, G. (1996): Geschichte der Hydrologie. In: Baumgartner, A. und H.-J. Liebscher (Hrsg.): Lehrbuch der Hydrologie. 1. Band. Allgemeine Hydrologie. Quantitative Hydrologie. Stuttgart, S. 11–70.

| 2Wasser als Stoff 

Martin Jekel, Andreas Grohmann

Inhalt

2.1    Molekularer Aufbau

2.2    Wasser als polares Molekül – Wasserstoffbrückenbindungen

2.3    Physikalische Eigenschaften

Wasser besitzt einzigartige Eigenschaften und ist für alle biologischen und ökologischen Vorgänge unverzichtbar. Sein molekularer Aufbau mit gewinkelten Bindungen zwischen Sauerstoff- und Wasserstoffatomen ist von zentraler Bedeutung für die Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen. Alle physikalischen und chemischen Prozesse mit Wassermolekülen beruhen darauf und sind ungewöhnlich im Vergleich mit ähnlichen Molekülen.

2.1 | Molekularer Aufbau

Wasser (H2O) ist die bei Weitem wichtigste binäre, aus Atomen zweier Elemente bestehende Verbindung. Sie entsteht aus der Vereinigung der Elemente Wasserstoff mit dem Elementsymbol H (gr.-lat. hydrogenium, «Wasserbildner») und Sauerstoff mit dem Elementsymbol O (gr.-lat. oxygenium, «Säurebildner»). Der Grundzustand der Elemente ist jeweils das zweiatomige Molekül H2 bzw. O2. Namen im Rahmen der wissenschaftlichen Nomenklatur sind Dihydrogenoxid und Oxidan.

Wasser besitzt einzigartige physikalische und chemische Eigenschaften und ist für alle biologischen und ökologischen Vorgänge unverzichtbar. Diese Eigenschaften bedingen seine Rolle als Träger des Lebens und machen Wasser zum Ausgangspunkt einer Vielzahl von Wechselbeziehungen, die unseren blauen Planeten prägen. Die besonderen Eigenschaften des Wassers gründen in der Struktur des Wassermoleküls und in der Art der in ihm zwischen Sauerstoff- und Wasserstoffatomen geknüpften kovalenten Bindungen.

Das Element Wasserstoff findet sich in der 1. Hauptgruppe des Periodensystems bzw. der 1. Gruppe und der 1. Periode mit der Ordnungszahl 1, das Element Sauerstoff in der 6. Hauptgruppe, bzw. der 16. Gruppe und der 2. Periode mit der Ordnungszahl 8. Ein Wasserstoffatom mit dem Symbol H weist ein Elektron in seiner Elektronenhülle auf und ein Sauerstoffatom O acht Elektronen, davon sind sechs an Bindungen beteiligt. Die Elektronenkonfiguration des Wasserstoffatoms im Grundzustand wird als 1s1 notiert, diejenige des Sauerstoffatoms als 1s2 2s2 2p4. Die führenden Ziffern in dieser Notation sind die Hauptquantenzahlen der Elektronenhülle, die Kleinbuchstaben sind aus der Spektroskopie abgeleitete Bezeichnungen der besetzten Atomorbitale, und die Exponenten geben die Elektronenanzahl in den jeweiligen Atomorbitalen an. Die in diesen Orbitalen befindlichen Elektronen werden als Valenzelektronen bezeichnet.

Abb. 2-1 | Zwei Darstellungen der räumlichen Anordnung der Atome und freien Elektronenpaare im H2O- Molekül. Der angegebene Bindungswinkel ist der für die Gasphase bestimmte Wert (nach Grohmann et al. 2011).

Das Wassermolekül hat die Form eines Tetraeders.

Die Verknüpfung von Atomen zu Verbindungen, wie z.B. die Bildung von Wasser (H2O) aus einem Atom Sauerstoff und zwei Atomen Wasserstoff, befriedigt in der Regel das Bestreben der Atome, besonders stabile Elektronenkonfigurationen zu erlangen. Aus diesen Betrachtungen ergibt sich, warum die Summenformel für das Wassermolekül H2O lautet, sich also bei der Bildung von Wasser aus den Elementen genau zwei Wasserstoffatome mit einem Sauerstoffatom unter Ausbildung zweier kovalenter Bindungen verknüpfen. Im Zuge der Reaktion steuern zwei Wasserstoffatome je ein Valenzelektron und das Sauerstoffatom sechs Valenzelektronen bei.

Von zentraler Bedeutung für die Eigenschaften des Wassers ist der gewinkelte Bau des H2O-Moleküls, d.h., die Anordnung der Atome HOH ist nicht linear. Der von den beiden Verbindungslinien O–H eingeschlossene Winkel beträgt 105 ± 0,5°. Dieser Wert variiert leicht, je nachdem, ob das Wassermolekül isoliert oder von anderen Wassermolekülen umgeben betrachtet wird. Projiziert man das Wassermolekül so in einen Tetraeder, dass das Sauerstoffatom im Schwerpunkt liegt, zeigen die beiden O–H-Bindungen in zwei Ecken des Tetraeders, und die beiden freien Elektronenpaare weisen in Richtung der beiden verbleibenden Ecken. In einem regelmäßigen Tetraeder beträgt der von je zwei Verbindungslinien eingeschlossene Winkel 109° 28‘. Im Wassermolekül in der Gasphase ist der Winkel HOH auf 104° 28‘ verkleinert (→ Abb. 2-1).

2.2 | Wasser als polares Molekül – Wasserstoffbrückenbindungen

Im Wassermolekül sind die bindenden Elektronen nicht gleichmäßig zwischen dem O-Atom und den H-Atomen verteilt. Die Fähigkeit von Atomen, in kovalenten Bindungen die Bindungselektronen zu sich zu ziehen, wird als Elektronegativität (EN) bezeichnet. Sauerstoff besitzt eine im Vergleich zu Wasserstoff erheblich größere Elektronegativität. Am Sauerstoffatom befindet sich eine negative Partialladung (2 δ–) und an jedem Wasserstoffatom eine jeweils halb so große positive Partialladung (δ+). Wegen des gewinkelten Baus des Wassermoleküls fallen die Ladungsschwerpunkte nicht zusammen. Das Molekül ist folglich ein elektrischer Dipol (→ Abb. 2-2).

Wegen des stark polaren Charakters der O–H-Bindungen kann aus dem Wassermolekül relativ leicht ein Proton (H+) abgespalten werden, das sich an ein anderes Wassermolekül anlagert, wodurch ein Hydroxid-Anion (OH) zurückbleibt. Dies ist von grundlegender Bedeutung für Säure-Base-Reaktionen in wässriger Lösung. Diese Eigendissoziation des Wassers ist daher wie folgt zu beschreiben:

Wasser ist ein elektrischer Dipol. Dies beeinflusst maßgeblich seine Eigenschaften.

Die Gleichgewichtskonstante ist hierbei sehr klein: Kw = 10–14 mol2/l2. Bei 25 °C liegt das Gleichgewicht weit auf der linken Seite. Im reinen Wasser findet man daher nur sehr geringe Konzentrationen der beiden Produkt-Ionen von 10-7 mol/l.

Polare Atombindungen sind unter Ionenbildung spaltbar, woraus die Oxidationszahl abgeleitet werden kann. Sie ist wichtig für Oxidations- und Reduktionsvorgänge, an denen Wasser beteiligt ist. Um die Oxidationszahl der Elemente bzw. Atome zu ermitteln, die zu einer Verbindung zusammengefügt sind, wird die Verbindung formell in Ionen aufgeteilt. Für das H2O-Molekül ergibt das Verfahren 2 H+-Ionen (Protonen) und ein O2–-Ion, das auch als Oxid-Ion bezeichnet wird. Die Oxidationszahl der Wasserstoffatome im H2O-Molekül ist folglich +1, die des Sauerstoffatoms –2.

Die im gewinkelt gebauten Wassermolekül auftretenden Partialladungen, das permanente Dipolmoment, induzieren, dass mehrere nebeneinander vorliegende Wassermoleküle nach den Grundsätzen der Elektrostatik aufeinander einwirken. Dies führt dazu, dass Wassermoleküle je nach Aggregatzustand unterschiedlich stark miteinander in Wechselwirkung treten und sich auf diese Weise dreidimensional geordnete Strukturen ergeben. In jedem Falle richten sich die stark positiv polarisierten H-Atome eines Wassermoleküls auf die freien Elektronenpaare der stark negativ polarisierten O-Atome benachbarter Wassermoleküle aus. Diese Art der elektrostatischen Wechselwirkung wird Wasserstoffbrückenbindung oder H-Brücke genannt. Sie ist für Wasser in Abb. 2-3 illustriert.

Die besonderen physikalischen Eigenschaften des Wassers, wie z.B. sein hoher Siedepunkt, haben im Wesentlichen folgende Ursachen:

Abb. 2-2 | Exakte (0ben) und schematische Darstellung (unten) der Dipoleigenschaft des Wassermoleküls (nach Grohmann et al. 2011).

Abb. 2-3 | Als punktierte Linie dargestellte Wasserstoffbrückenbindung (H-Brücke) zwischen zwei benachbarten Wassermolekülen (nach Grohmann et al. 2011).

Seine H-Brücken sind als Konsequenz der hohen Elektronegativitätsdifferenz zwischen O und H besonders stark.

Das Wassermolekül ist von seiner Struktur her optimal für die Anordnung in einem durch H-Brücken geknüpften Netzwerk geeignet: Es besitzt zwei stark positiv polarisierte H-Atome und zwei freie Elektronenpaare, kann also gleich viele H-Brücken ausbilden, wie es von anderen Wassermolekülen empfängt (2 + 2).

Die Bindungsenergie einer H-Brücke in Wasser beträgt etwa 23 kJ/mol.

Unter Zimmertemperatur und Atmosphärendruck lösen sich Substanzen umso schlechter in Wasser, je unpolarer sie sind. Unpolare Substanzen sind wasserabweisend bzw. hydrophob, wie z.B. polyaromatische Kohlenwasserstoffe und Mineralöle. Umgekehrt lösen sich Stoffe umso besser in Wasser, je polarer sie sind. Derartige Stoffe sind wasseranziehend, also hydrophil. Beispiele hierfür sind Kochsalz, Zucker, Pflanzennährstoffe oder Essigsäure. Viele Salze sind gut wasserlöslich, wodurch die Wasservorkommen eingeteilt werden: Süßwasser hat unter 1000 mg/l an gelösten Salzen, Brackwasser weist ca. 1000–10000 mg/l auf, während Meerwasser ca. 35 000 mg/l enthält, gemessen als Abdampfrückstand einer Wasserprobe.

Schließlich soll eine wichtige Konsequenz, die sich für das Wasser aus dem Vorliegen starker H-Brücken ergibt, betrachtet werden. Flüssiges Wasser lässt sich über einen großen Temperaturbereich erhitzen, wobei es erst am Siedepunkt bei fortgesetzter Zufuhr von Energie in den gasförmigen Zustand übergeht. Wasser kann daher insbesondere im flüssigen Zustand als Wärmespeicher fungieren. Die Wärmespeicher-Funktion des Wassers ist essenziell für Wetter, Klima und den Wasserkreislauf der Erde (→ Kap. 3 und 7). Diese Beobachtungen führen zum Begriff der spezifischen Wärmekapazität. Die spezifische Wärme eines Stoffes ist die Wärmemenge, die nötig ist, um 1 Gramm des Stoffes um 1 °C zu erwärmen. Im Falle von Wasser beträgt die Wärmekapazität bei 17 °C unter Atmosphärendruck 4,184 J/(g · K).

Isotope des Wassers

Bisher wurde Wasser (H2O) als die Verbindung des gängigsten Isotops des Wasserstoffs (1H, Protium) und Sauerstoff diskutiert, also als das, was man auch «leichtes» Wasser nennt. Isotope sind Atome desselben Elements, die sich in ihrer Neutronenzahl unterscheiden. Wasser aus natürlichen Quellen enthält alle denkbaren Kombinationen der Isotope 11H (Anteil: 99,9855 %), 12H (0,0145 %), «Deuterium» genannt, 13H (10-15 %), «Tritium» genannt, 16O (99,762 %), 17O (0,038 %) und 18O (0,200 %) in einer durch die jeweilige Isotopen-Häufigkeit bestimmten Wahrscheinlichkeit.

Der Ersatz von 1H durch 2D (Deuterium) oder durch das radioaktive 3T (Tritium) hat für die entsprechenden Wasser-Isotopomere besonders markante Eigenschaftsänderungen zur Folge, da die Atommasse erheblich zunimmt. Dies wird als Isotopeneffekt bezeichnet. Als isotopomere Formen des Wassers sind zu unterscheiden:

HDO, halbschweres Wasser,

D2O, schweres Wasser,

T2O, superschweres Wasser.

Isotopomere Formen des Wassers werden auch als natürliche Tracer in der Umwelt eingesetzt (→ Kap. 16).

2.3 | Physikalische Eigenschaften

Wasser ist die einzige Verbindung in der Natur, die unter Atmosphärenbedingungen in den drei Zustandsformen, nämlich fest, flüssig und gasförmig nebeneinander vorliegt: als Eis, als flüssiges Wasser und als Wasserdampf. Dies ist eine Folge der starken H-Brücken.

Strukturen – Dichteanomalie – Aggregatzustände – Phasendiagramm

Im Eis sind Wassermoleküle über Distanzen, die die molekularen Dimensionen um viele Größenordnungen überschreiten, dreidimensional periodisch in einem Molekülgitter angeordnet. In der regulären Struktur des Eises (Eis-I) hat ein Wassermolekül vier tetraedrisch angeordnete nächste Nachbarn. Wird der Festkörper durch Energiezufuhr erwärmt, werden die Wassermoleküle auf ihren Gitterplätzen thermisch angeregt. Die Anregung führt im Molekül zu Schwingungen der Atome gegeneinander und im Festkörper zu Schwingungen der Moleküle um ihre Gitterplätze. Bei fortgesetzter Energiezufuhr verliert der Festkörper seine Fernordnung. Etwa 15 % der H-Brücken brechen, und das Eis schmilzt. Indem die reguläre Anordnung kollabiert, werden die Hohlräume der Struktur gefüllt. Es entsteht eine weniger einheitliche, aber dichtere Packung der Moleküle. Dies erklärt die höhere Dichte der Flüssigkeit am Schmelzpunkt (0 °C) gegenüber der des Festkörpers.

Wasser hat bei 4 °C seine größte Dichte.

Der Vorgang der Verdichtung setzt sich noch bis ca. 4 °C (exakt: 3,98 °C) fort. Bei dieser Temperatur ist das Dichtemaximum des Wassers von 1,00 g/cm3 erreicht. Danach überwiegt dann die Volumenzunahme infolge der Erhöhung der Molekülbewegungen. Alles Wasser unterhalb und oberhalb von 4 °C ist also weniger dicht bzw. beansprucht mehr Raum als Wasser bei 4 °C. So beträgt die Dichte bei 0 °C 0,9999 g/cm3, bei 10 °C 0,9997 g/cm3.

Box 2.1

Die Dichteanomalie des Wassers

Die Dichteanomalie des Wassers ist für die Natur von zentraler Bedeutung. Zum einen ist sie die Ursache für geologische Verwitterung. Wasser verursacht die Spaltung von Gestein während Frostperioden infolge des Gefrierens des in Risse eingedrungenen Wassers. Zum anderen ermöglicht sie aquatischen Organismen in Seen das Überleben im Winter. Bei Abkühlung sinkt Wasser von 4 °C auf den Boden des Sees (→ Kap. 10). Die einsetzende Konvektion befördert wärmeres und damit leichteres Wasser in die oberen Schichten, wo es dann gleichfalls abkühlt. Bei andauerndem Frost wird zunächst das exponierte Oberflächenwasser weiter abkühlen, infolge seiner geringeren Dichte aber nicht absinken. Die Eisbildung setzt auf der Seeoberfläche ein und bringt die Konvektion zum Erliegen. Wegen der isolierenden Wirkung des Eises kann die Kälte nun nur mehr langsam vordringen. Folglich werden – hinreichende Wassertiefe vorausgesetzt – Seen nicht bis zum Grund durchfrieren, sodass Lebewesen dort den Winter überdauern können.

Wasser ist integraler Bestandteil biologischer Systeme.

Biomoleküle liegen naturgemäß in wässriger Lösung vor. Ihre Funktion wird durch das wässrige Milieu erheblich beeinflusst oder überhaupt erst ermöglicht. Wasser ist nicht nur Lösemittel, sondern integraler Bestandteil biologischer Systeme.

Verdunsten – Verdampfen – Kondensieren

Führt man Wasser in einem Gefäß, das gegen die Atmosphäre offen ist, von außen Energie zu, erhöht sich seine Temperatur und damit die mittlere kinetische Energie der Wassermoleküle. Die Bewegung der Moleküle gegeneinander wird so lange verstärkt, bis sie am Siedepunkt 100 °C so viel Energie haben, dass ihre gegenseitige Anziehung nicht mehr ausreicht, um sie zusammenzuhalten. Dabei bleibt die Siedetemperatur konstant, denn die zugeführte Energie dient ausschließlich der Trennung der Wassermoleküle voneinander sowie der Leistung von Volumenarbeit gegen die Atmosphäre. Die Wärmemenge, die für die Verdampfung von 1 mol Wasser an seinem normalen Siedepunkt (100 °C) bei einem Druck p = 1013 hPa, aufgewendet werden muss, ist die molare Verdampfungsenthalpie ΔHv (100 °C). Sie beträgt 40,7 kJ/mol.

Verdunstung von Wasser (→ Kap. 7) tritt dann auf, wenn der temperaturabhängige Sättigungsdampfdruck größer ist als der über der Wasserphase herrschende Partialdruck. Verdunstung ist also nur möglich, wenn in der Gasphase stofffremde Gase vorhanden sind, wie Stickstoff oder Sauerstoff. Während der Verdunstung wird Verdunstungswärme der flüssigen Phase entzogen, sodass sie sich abkühlt. Dieser Vorgang wird als Verdunstungskälte bezeichnet. Kondensation ist der umgekehrte Prozess zur Verdunstung und findet statt, wenn der Sättigungsdampfdruck unter dem Partialdruck liegt. Ein bekanntes Beispiel ist die Taubildung aus feuchter Luft bei nächtlicher Abkühlung, bei der Kondensationswärme frei wird.

Gefrieren – Schmelzen

Indem flüssiges Wasser abkühlt, sinkt die mittlere kinetische Energie der Wassermoleküle. Bei einer bestimmten Temperatur, dem Gefrierpunkt, der bei 0 °C beim Druck p = 1013,25 hPa liegt, sind einige der Moleküle so energiearm, dass sie von den starken zwischenmolekularen Kräften zu einem regelmäßigen Festkörper, einem Eiskristall, zusammengefügt werden können. Betrachtet man 1 mol Wasser, so ist die vom Einsetzen der Kristallisation bis zum vollständigen Gefrieren zu entziehende Wärmemenge die molare Kristallisationsenthalpie. Die für die Umkehrung des Gefrierens anzusetzende molare Schmelzenthalpie ist dem Betrag nach gleich, doch hat sie ein umgekehrtes Vorzeichen. Sie beträgt bei 0 °C und p = 1013,25 hPa 6,02 kJ/mol und ist damit wesentlich kleiner als die Verdampfungsenthalpie, da die Moleküle beim Schmelzen nicht gegen die zwischenmolekularen Kräfte voneinander entfernt werden müssen.

Auch über vollständig als Eis vorliegendem Wasser ist ein Dampfdruck messbar. Der Dampfdruck von Eis nimmt, wie bei jedem Feststoff, mit zunehmender Temperatur zu. Am Schmelzpunkt ist der Dampfdruck von Eis gleich dem Dampfdruck des flüssigen Wassers. Die Verdampfung eines Festkörpers ohne Durchlaufen einer flüssigen Phase wird Sublimation genannt. Dieser Effekt lässt sich im Winter beobachten, wenn Eis und Schnee auch bei lang anhaltender Kälte mit Temperaturen unter 0 °C ohne aufzutauen langsam verschwinden.

Phasendiagramm des Wassers

Ein Phasendiagramm definiert die Bereiche von Druck und Temperatur, in denen die verschiedenen Phasen thermodynamisch stabil sind. Entlang der Trennlinien dieser Bereiche, den Phasengrenzen, stehen zwei Phasen im thermodynamischen Gleichgewicht miteinander. Im Folgenden wird das Phasendiagramm des Wassers für das Einkomponenten-System vorgestellt (→ Abb. 2-4). Der normale Schmelzpunkt, exakt 0 °C, und der Siedepunkt des Wassers, exakt 100 °C, die als Fixpunkte für die Definition der Celsius-Skala dienen, sind in der Gegenwart von Luft ermittelt: p = 1013,25 hPa.

Abb. 2-4 | Phasendiagramm des Wassers mit Sublimationskurve, Schmelzpunktkurve und Dampfdruckkurve (nach Sontheimer et al. 1980).

Der in der Gasphase herrschende Druck heißt Dampfdruck des Wassers bei der gegebenen Temperatur. Die Kurve T-K im Phasendiagramm (→ Abb. 2-4) heißt folglich die Dampfdruckkurve des flüssigen Wassers.

Eine analoge Überlegung gilt für die Phasengrenze fest/gasförmig: Diese markiert die Dampfdruckkurve von Eis. Der Dampfdruck des Wassers nimmt unabhängig vom Aggregatzustand, wie der jeder anderen Substanz, mit steigender Temperatur zu. Entlang der Schmelzpunktkurve stehen Eis und flüssiges Wasser miteinander im Gleichgewicht. Die Dampfdruckkurven von Eis und flüssigem Wasser und die Schmelzpunktkurve schneiden sich im Tripelpunkt TP des Wassers. Nur unter den (p, T)-Bedingungen dieses Punktes, der bei 6,11 hPa und 0,01 °C liegt, stehen die drei Aggregatzustände Eis, Wasser und Dampf miteinander im thermodynamischen Gleichgewicht.

Am Tripelpunkt stehen die Aggregatzustände Eis, Wasserdampf und Wasser im thermodynamischen Gleichgewicht.

Ein weiteres markantes Detail ist die Tatsache, dass die Dampfdruckkurve des flüssigen Wassers an einem definierten Punkt endet. Dies ist der kritische Punkt K. Erhitzt man das im geschlossenen Gefäß konstanten Volumens befindliche Wasser kontinuierlich, kann das Wasser nicht sieden. Stattdessen nehmen der Dampfdruck und die Dichte des Wasserdampfes kontinuierlich zu und infolge der thermischen Ausdehnung nimmt die Dichte der Flüssigkeit kontinuierlich ab, bis die Dichte des Dampfs und der verbliebenen Flüssigkeit gleich werden und die Grenzfläche zwischen den beiden Phasen verschwindet. Die Temperatur dazu heißt kritische Temperatur und der entsprechende Dampfdruck kritischer Druck des Wassers. Die kritische Temperatur des Wassers beträgt 374,15 °C und der dann herrschende kritische Druck 221 192 hPa. Überkritisches Wasser ist im Vergleich zu Wasser unterhalb des kritischen Punkts wesentlich weniger polar. Es kann daher hydrophobe, ansonsten wasserunlösliche Substanzen lösen.

Oberflächenspannung des Wassers – Kapillarwirkung

Im Inneren einer Ansammlung flüssigen Wassers erfahren die Wassermoleküle von allen Seiten gleiche Kräfte. Auf die an der Wasseroberfläche befindlichen Wassermoleküle wirkt jedoch eine in das Wasserinnere gerichtete Kraft (→ Abb. 2-5). Dies hat die Minimierung der Oberfläche zur Folge, weshalb der Tropfen nach der Kugelform strebt, da eine Kugel der Körper mit dem kleinsten Verhältnis von Oberfläche zu Volumen ist. Um die Oberfläche einer Flüssigkeit um eine Flächeneinheit zu vergrößern, muss Arbeit geleistet werden. Sie wird als Oberflächenspannung bezeichnet. Im Falle des Wassers bedingt die Oberflächenspannung eine gewisse Belastbarkeit der Oberfläche, ohne dass die Struktur des flüssigen Wassers «reißt». So können sich etwa Insekten, z.B. Wasserläufer, auf der Wasseroberfläche fortbewegen.

Eine Konsequenz der Oberflächenspannung ist die Neigung des Wassers, in einer engen Röhre infolge der Kapillarwirkung gegenüber dem umgebenden Wasserspiegel aufzusteigen. Die Wandung der Kapillare muss allerdings benetzbar sein. Dies ist z.B. im Falle einer Glaskapillare, eines Löschblatts oder in Silikaten gegeben, die an der Oberfläche Hydroxylgruppen bzw. andere polare Gruppen aufweisen. Die sich in einer Glaskapillare ausbildende konkave Oberfläche der Wassersäule wird als Meniskus bezeichnet.

Abb. 2-5 | Effekt der Oberflächenspannung bei der Ausbildung eines Wassertropfens auf einer benetzbaren Feststoffoberfläche.

Viskosität

Die physikalische Größe Viskosität beschreibt die Zähigkeit von Fluiden infolge innerer Reibung. So wird z.B. der gegenseitigen Verschiebung zweier benachbarter, nicht verwirbelter Schichten im Fluid ein Widerstand entgegengesetzt. Dies ist die Grundlage für die Definition der dynamischen Viskosität ηd, deren physikalischer Sinn z.B. für Wasser aus folgender Beziehung ersichtlich wird:

Hierbei ist F die erforderliche Kraft, die benötigt wird, um zwischen zwei Flüssigkeitsschichten mit der Berührungsfläche A den Gradienten der Geschwindigkeit , senkrecht zur Strömungsrichtung, aufrechtzuerhalten. Für praktische Berechnungen wird die dynamische Viskosität auf die Dichte des Wassers bezogen und kinematische Viskosität ηk genannt. Sie ist Bezugsgröße der dimensionslosen Reynolds-Zahl Re:

Löslichkeit von Gasen

Die Löslichkeit eines Gases i wird mit dem Henry-Dalton-Gesetz beschrieben:

Die Löslichkeit eines Gases ist proportional zu dessen Partialdruck, also seinem Volumenanteil multipliziert mit dem Gesamtdruck. Berechnet für Luft bei 10 °C, ergeben sich folgende Massenkonzentrationen:

pO2 = 210 hPa cO2 = 11,27 mg/l

pN2 = 780 hPa cN2 = 17,63 mg/l

pCO2 = 0,3 hPa cCO2 = 0,70 mg/l

Die Temperaturabhängigkeit der Henry-Konstanten für Sauerstoff bedingt eine fallende Sättigungskonzentration mit steigender Temperatur:

Merksatz: Die Viskosität des Wassers sinkt mit steigender Temperatur, wie auch die Dichte über 4°C, wodurch das Fließverhalten in allen Kompartimenten des Wasserkreislaufs deutlich beeinflusst wird.

20°C: cO2 = 9,08 mg/l

30°C: cO2 = 7,53 mg/l

Die wichtigsten Gase in natürlichen Wässern sind:

→ O2:

herausragende Bedeutung für Redoxprozesse und biologische Prozesse,

→ CO2:

in der Luft nur ca. 0,6 mg/l,

→ CH4:

Gas aus anaeroben Abbauprozessen organischer Stoffe,

→ H2S:

aus Faulprozessen, also anaerob, durch Reduktion von Sulfationen,

→ N2:

geringe Bedeutung, entsteht beim Nitratabbau.

Suspension und Emulsion

Unter einer Suspension versteht man die Feinverteilung von Feststoffteilchen im Wasser. Die Feststoffe sind dabei als Partikel in einem weiten Größenbereich zu finden. Suspendierte Stoffe sind dabei größer als ca. 1 μm im Durchmesser. Nanopartikel, also Kolloide, liegen zwischen 0, 01 μm und 1 μm. Im Bereich unter 0,01 μm bzw. 10 nm finden sich die gelösten Moleküle. Suspendierte und kolloidale Stoffe erzeugen eine Lichtstreuung und führen daher zur Trübung des Wassers, ein wichtiger Qualitätsparameter.

Emulsionen entstehen durch eine Feinverteilung von flüssigen, nicht mit Wasser mischbaren Flüssigkeiten wie Ölen, wodurch sich Tröpfchen mit Durchmessern ab ca. 20 nm bis in den Bereich von 0,1 mm bilden. Bekanntestes Beispiel ist Milch als Fett-Wasser-Emulsion.

Weiterführende Literatur

Grohmann, A. N., Jekel, M., Grohmann, A., Szewzyk, U. und R. Szewzyk (2011): Wasser. Chemie, Mikrobiologie und nachhaltige Nutzung. Berlin.

Nießner, R., Höll, K. (Hrsg.) (2010): Wasser. Nutzung im Kreislauf. Hygiene, Analyse und Bewertung. 9. Auflage. Berlin/New York.

Sigg, L. und W. Stumm (2011): Aquatische Chemie. Zürich.

Worch, E. (2000): Wasser und Wasserinhaltsstoffe. Stuttgart.