Hermann Stresau
Von den Nazis
trennt mich eine Welt
Tagebücher aus der inneren Emigration
1933–1945
Herausgegeben und kommentiert
von Peter Graf und Ulrich Faure
Klett-Cotta
Das Frontispiz zeigt den Tagebuch-Autor Hermann Stresau.
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Klett-Cotta
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Printausgabe: ISBN 978-3-608-98329-6
E-Book: ISBN 978-3-608-12086-8
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Wenn ein Staat auf dem rechten Wege ist, dann kann jeder in den Worten offen und in den Handlungen mutig sein. Ist ein Staat nicht auf dem rechten Wege, dann kann zwar jeder in den Handlungen mutig sein, die Worte müssen jedoch sehr vorsichtig gewählt werden.
Kung-fu-tse, um 500 v. Chr.
Im Jahr 1948 erschien im Berliner Minerva Verlag unter dem Titel Von Jahr zu Jahr eine von Hermann Stresau edierte Auswahl seiner zwischen 1933 und 1945 entstandenen Tagebuchaufzeichnungen. In seinem Vorwort, das auch dieser Wiederveröffentlichung vorangestellt ist, verweist Stresau darauf, daß er aus Platzgründen Kürzungen vorgenommen habe. Darüber hinaus hat er für das Buch zahlreiche Originaltagebucheinträge stilistisch überarbeitet.
Gerade letzteres erforderte eine Entscheidung der Herausgeber, wie dem in einer Neuedition Rechnung zu tragen sei. Da es sich bei Hermann Stresaus Änderungen ausschließlich um stilistische Überarbeitungen handelt, wurden diese im Sinne einer Ausgabe letzter Hand aus der 1948er-Ausgabe übernommen. Größere von Stresau vorgenommene Kürzungen haben wir an den entsprechenden Stellen ergänzt. Zudem wurden alle fehlenden Tagebucheinträge in diese Neuausgabe überführt (siehe auch die editorische Notiz).
In sehr seltenen Fällen war es nicht möglich, den Wortlaut getreu zu rekonstruieren; die Originalaufzeichnungen wurden von Hand verfaßt, einige Wörter blieben unentzifferbar. Wo dies der Fall ist, haben wir es vermerkt. Hermann Stresau hat in Von Jahr zu Jahr mit Namenskürzeln gearbeitet. Wir haben, soweit uns das möglich war, im Fließtext alle Kürzel durch die Klarnamen ersetzt und weiterführende biographische Angaben zu den Personen in die Endnoten aufgenommen.
Peter Graf, Ulrich Faure
Von dem Tage an, als ich aus einer Berliner Bibliothek[1] politischer Gründe halber entlassen wurde, bis zum Einmarsch der Amerikaner in Göttingen, also vom April 1933 bis zum April 1945, habe ich mit geringen Unterbrechungen Tagebuch geführt[2], um Eindrücke, Erlebnisse und Gedanken festzuhalten. Der Leser erwarte keine Sensationen: ich war nicht im KZ, mit der Gestapo machte ich nur einmal eine harmlos ablaufende Bekanntschaft, ich bin nicht einmal Soldat gewesen. Mein persönliches Schicksal, so weit es in diesen Aufzeichnungen erscheint, war eins von Tausenden, und nicht sehr interessant. Immerhin gehörte es zu denjenigen, die lieber die Nachteile ihres Unglaubens trugen als die Vorteile der Illusion. Ich suchte mir meine Freiheit zu wahren; daß dies möglich war, kann man als Glück oder Zufall ansehen. Leicht war es nicht. Auch als »freier« Schriftsteller mußte man mit einer dem Zufall anheimgegebenen Existenz rechnen, wenn man bewußt jeder Begünstigung durch die herrschenden Mächte aus dem Wege ging. Es war dies freilich nur dadurch möglich, daß man bei ähnlich Gesinnten Verständnis und freundschaftliche Beziehungen fand.
Es war vor allem nicht leicht, inmitten eines grandios aufgeblähten Machtsystems zu leben, inmitten eines geistigen Terrors, einer phantastischen Lügenhaftigkeit, innerlich abseits, bemüht, sich nicht blenden zu lassen, auch nicht von scheinbaren Vorzügen und Erfolgen. Es war schwerer, als man diesen Aufzeichnungen anmerken wird, die vieles Persönliche übergehen, was mit dem Ganzen nur indirekt zusammenhängen mochte. Aus Raumgründen mußte überdies eine Menge gestrichen werden, und so fiel fast alles weg, was nicht zur Sache gehörte: der dauernden Auseinandersetzung mit dem politischen Sinn des Vorgangs. Das Tagebuch war ja fast die einzige Möglichkeit, mich ungehindert und frei mit den Dingen auseinanderzusetzen.
Es liegt in der Natur eines Tagebuches, daß manche Reaktion aus dem Augenblick erfolgt, zumal, wenn dem Verfasser keine anderen Quellen zur Verfügung stehen als Zeitungen, deren Wahrheitswert bekanntlich sehr gering war. Manche Betrachtungen und vor allem manches Urteil mag daher überholt sein. So habe ich z. B. Hitler in mancher Hinsicht wohl für naiver oder triebhafter gehalten, als er in Wirklichkeit war. Aber der Leser wird und soll eines gewahr werden, und darauf kommt es an: die wachsende Einsicht in eine Anarchie der menschlichen Werte, wie sie in der Geschichte nur selten erschienen ist, und deren gänzlicher Zusammenbruch, man möchte fast sagen: eine logische Konsequenz darstellt.
Es ist erstaunlich zu sehen, wie vielen Zeitgenossen, wie vielen Deutschen vor allem diese Tatsache auch heute nicht in den Blick gekommen ist. Sie sehen die äußeren Zerstörungen und sehen nicht, daß diese nur die Illustration der inneren Zerstörung sind. Denn die Anarchie der Werte hat bis ins Mark des Volkes gegriffen. Diese Anarchie ist es eigentlich, deren diese Aufzeichnungen Herr zu werden suchen in verzweifelter Bemühung. Auch der Gegner des Regimes hat erst nach dem Zusammenbruch die Größe, den Umfang der anarchischen Vernichtung begriffen, die ja mit dem Zusammenbruch der zügellosen Despotie keineswegs aufgehoben war; wie manche früher vermeinten, daß nach dem Ende des Nationalsozialismus das Bessere oder gar das Gute einfach wieder seinen Platz einzunehmen brauchte: es ist längst klar, daß das Bessere erst wieder geschaffen werden muß. Und das setzt voraus, daß man überhaupt daran glaubt.
Nun, diese Blätter hier, die eine reichlich subjektiv gefärbte Geschichte der 12 Jahre des Dritten Reichs enthalten, beruhen immerhin auf der Grundanschauung gewisser Werte, die, wie ich glaube, menschlichem Leben erst Haltbarkeit, Sinn und Hoffnung verleihen können. Diese müssen in der Tat empfunden werden, als objektive Werte, um an eine Heilung des scheinbar Heillosen zu glauben. Die Heilung kann nur aus dem Geist und der Wahrheit kommen, niemals aus Illusionen –, auch der außerdeutsche Leser, falls er dies zu Gesicht bekommt, mag vielleicht einiges daraus lernen. Schließlich sollte ein Volk nicht ganz vergeblich seinen größten Irrtum mit einer Niederlage bezahlt haben, die einer Tragödie gleichkommt.
Am Montag, dem 3. April, sind wir aus Berlin hierhergezogen. Der Hausbau auf unserem Grundstück in der Siedlung ist nicht fertig geworden: Vollmann[2] und Genossen haben uns, wahrscheinlich betrügerischerweise, im Stich gelassen. Wir haben auf die bestimmten Versicherungen des Architekten[3] hin die Stadtwohnung aufgegeben, und nun steht der Rohbau unseres Häuschens da, unbewohnbar, das Geld ist zu Ende, und die ganze Baukolonne, die sich beim Umschwung als Parteigenossen der Nazis entpuppte, läßt nichts von sich hören und sehen. In letzter Minute fanden wir diese Unterkunft, eine Art Sommerlaube, Holzanbau am Anwesen des Dorfbäckers Hinz. Mußten viel Hausrat abstoßen, Rest einer früheren 7-Zimmerwohnung, um in einem einzigen Wohnraum mit angrenzender Küche unterzukommen; das meiste steht verpackt auf dem Boden über der Backstube, immer noch zuviel Ballast für zwei Personen.
Der Umzug war scheußlich, kaltes Regenwetter. Ich fuhr mit der ersten Ladung heraus, am Abend kam Grete[4] mit dem Hund. Es war schon finster, als ich sie abholte. Vorher war ich zur Baustelle unseres Unglückshauses gegangen, es sah trostlos aus. Ich ging über die nassen Felder, mit einem Gefühl, als sei dicke Luft, wie im vorigen Kriege.
Am Dienstag in aller Frühe, wir hatten uns noch nicht eingerichtet, kam Erich Müller[5] anmarschiert und brachte die »Hiobspost« meiner Kündigung. Wir unterhielten uns beim Frühstück über die Sachlage, die mich im Grunde wenig aufregte; auch Grete war nicht gerade erschüttert. Wir hatten zu oft von der Wahrscheinlichkeit dieses Falles gesprochen. Wochenlang hatte ich das erwartet, obgleich ich dienstlich keinen Anlaß gegeben hatte. Nach all dem Hin und Her mit meinem Chef, Dr. Wieser[6], hatte ich diesem schließlich erklärt, daß ich der NSDAP mit starken Vorbehalten zusähe und die Koalition Hitler-Papen bedenklich fände. Im Grunde war das alles müßig …
Ging mit Müller, bei sehr windigem, kühlem Wetter, zu Fuß nach Spandau, Grete in einem Chaos ungeordneter Kisten und Möbel zurücklassend. Müller riet sehr richtig, keine Scene zu machen, wenn wir Dr. Wieser anträfen, von dessen Hauptschuld an meiner Entlassung wir beide überzeugt waren.
In Spandau, wo sich Müller von mir trennte, traf ich vor dem Eingang des Rathauses Dr. Wieser, der mir zum ersten Mal seit Wochen die Hand gab und einiges von der Kündigung erzählte. Er selbst sei nicht schuld daran, versicherte er wiederholt, worauf ich erwiderte, ich hätte das ja auch noch nicht behauptet. Die Kündigung sei vom Angestelltenrat ausgegangen, sagte er. Ich soll irgendwo geäußert haben, die Verbots-Aktion (bezüglich der Volksbüchereien und der marxistischen Literatur) beweise die innere Schwäche der Hitlerleute. Dr. Wieser versuchte, beruhigende Zusicherungen abzugeben; offenbar erregte ihn die Geschichte mehr als mich. Es sei eine bloße Denunziation, meinte er. Im Dienstzimmer der Bücherei trafen wir außer Schöningh[7] noch Herrn Dr. Herrmann[8], der aus Halle[9] herübergekommen war, mir vom Hörensagen bekannt. Dr. Wieser beteuerte mehrmals, er sei nicht schuld daran. Dr. Herrmann entwickelte seine Ansichten und wollte mir optimistisch befriedigende Lösungen in Aussicht stellen, eventuell sogar ein »die Treppe Hinauffallen«.
Dr. Herrmann, Ende Zwanzig, klein, scharf, überschätzt sich vielleicht, scheint aber diplomatische Fähigkeiten zu entwickeln. Im geistigen Typus müßte er zu Goebbels passen. Er erzählte, daß Gerhard Hermann[10] in Friedrichshain sich »salviert« habe. Aus diesem Sich-Salvieren scheint zur Zeit die Haupttätigkeit dieser Leute zu bestehen.
Oben Phrasen – unten der alte Betrieb: Intrigen, Stellenjägerei, Politik, Politik. Ganz unten das Volk: Bauern, Arbeiter, SA-Leute und Kommunisten, der ahnungslose Mittelstand: dieses Volk frißt die Suppe aus.
Ging zu Fuß zurück. Die Wohnung sah, als ich heimkehrte, schon wie ein Heim aus, was Grete ganz allein bewerkstelligt hatte. Morgen muß ich wieder zum Dienst. Da die Kündigung die Vierteljahresfrist einhält, muß ich noch weitermachen. Ein Telegramm kam von Dr. Wieser mit der Aufforderung, gegen die Kündigung Berufung einzulegen.
Den Einspruch gegen die Kündigung habe ich persönlich dem Betriebsrat überreicht, der ihn schon zu erwarten schien. Es sieht fast aus, als liefe das Ganze auf eine Formalität hinaus, jedenfalls ist es würdelos, wie es auch ausgeht. Ich soll mich nun für Friedrichshain oder Reinickendorf entscheiden, aber ich glaube nicht recht an diese Manöver, und im Grunde fehlt mir unter diesen Umständen jede Lust dazu. Dr. Herrmann tippte bei mir an, ob ich nicht wenigstens in den Stahlhelm eintreten wollte. Ich lehnte das ab.
Unser Haus wird wohl so bald nicht fertig werden. Auch Vollmann ist nicht ehrlich. In unserem jetzigen Domizil gefällt es uns einstweilen recht gut. Jackie, der Neufundländer, freut sich am meisten: das Tier lebt geradezu auf, benimmt sich dabei aber ganz ordentlich.
Mit dem Rade fahre ich in 40 Min. nach Spandau. Der Weg ist schön, Rückweg bequem für Radfahrer. Die Witterung ist noch sehr frisch, meist wolkig, heute zum ersten Mal etwas Sonne.
Der erste Mai, las man gestern, ist zum Nationalfeiertag erhoben. Er fällt dieses Jahr auf einen Montag.
Görings Rede[11], bemerkenswert durch ihre unreaktionäre Haltung, lasen wir in der Wirtschaft des Bahnhofs Spandau-West. Waren morgens um 7 Uhr weggefahren; Grete zu Kurtchens Grab[12], ich zum Fachdienst.
Als Soldat hatte man gelernt, auf Reden nicht viel zu geben und zu achten. Die Wirklichkeit ist immer etwas anderes; sie hat ihre eigene Logik.
Mittags noch einmal eine große Auseinandersetzung mit Dr. Wieser in Gegenwart von Dr. Engelhardt[13] (von der Berliner Stadtbibliothek) und Dr. Herrmann. Die Miene des Letzteren drückte während Wiesers Philippika ein Gemisch von Amüsement und Peinlichkeit aus. Wieser, gestärkten Bewußtseins, hielt mir meine »selbstverschuldete« Lage vor; es war außerordentlich taktlos, und selten erschien mir ein Mann so verächtlich, so wenig Mann und aufrichtig, so wenig deutsch. Er sagte rundheraus, er hätte mich mit strafender Absicht wochenlang geschnitten, nachdem ich so offen gewesen war. Ich hielt mit meiner Meinung über seine Handlungsweise nicht zurück; Dr. Herrmann, hinter Wiesers Rücken, legte einige Male den Finger auf den Mund, aber ich konnte die Gelegenheit, dieser minderwertigen Kreatur vor Zeugen ins Gesicht zu sagen, was ich von ihm dächte, nicht vorbeigehen lassen. Schließlich, nach einem betretenen Schweigen, meinte Dr. Engelhardt, der in diesem sauberen Triumvirat offenbar die Rolle des Lepidus[14] spielt, nun könne ja eine Versöhnung angebahnt werden. Dr. Wieser hat so wenig Empfindung für die Hinterhältigkeit dieses Verfahrens, daß er die sogenannte Versöhnung mit Handschlag dem Beleidigten gegenüber leichtnimmt. Diese Gesellen sind kommissarisch beauftragt, die Berliner Büchereien zu reorganisieren; dabei sind mindestens zwei von ihnen so geartet, daß sie sich nicht lange vertragen werden.
Nach dem Beamtengesetz[15] muß jeder seine arische Abstammung bis zu den Großeltern einschließlich nachweisen. Eine jüdische Urgroßmutter macht also nichts aus. Erich Müller vertraute mir an, daß er eine jüdische Großmutter gehabt habe. Der Junge ist der ehrlichste Deutsche, den man sich denken kann, und nun dieser »Makel« in seinem Vorleben!
Es eröffnet sich eine herrliche Aussicht auf ein reiches Feld geistiger und seelischer Korruption, schlimmer als das bißchen materielle Versumpfung der vergangenen Jahre, zumal jede selbständige Kontrolle und Kritik unterbunden wird. Wenn nicht aus den ehrlichen Nationalsozialisten, deren es etliche zu geben scheint, sich allmählich der sozusagen protestantische Gegenstoß entwickelt, so verfällt Deutschland auf lange Zeit einem inneren Schwächezustand, der durch immer neue Kraftreden und Schaustellungen betüncht wird und sich gerade dadurch immer mehr enthüllt.
Es ist warm geworden. Stare pfeifen und schnalzen in den Birken vor unserem Haus.
Die Leute hier sind schlicht und ordentlich. Was sich in Berlin tut in unseren Kreisen, scheint mir wenig interessant dagegen. Doch Leute, die mit dem »Volk« zu tun haben wollen, als Volksbildner, leben in einer anderen Welt. Das praktische Tun an Holz und Stein und Brot schafft Wirklichkeit. Was anderes ist ein völlig entarteter »Geist«, wild gewordener Intellekt, der bestenfalls einen Schrebergarten als Quelle »heiliger« Mutterschaft ausgibt und sich nur noch lächerlich macht. Man soll ehrlich genug sein, als Geistiger einzusehen, wie es mit einem steht. Nämlich sehr schlecht.
Lawrence[16] ist deswegen so bedeutend, weil er [unleserliche Passage] den Mut besaß auszusprechen, was diese verlogene Bildung nicht auszusprechen wagt, die mehr und mehr nur noch Verräter erzeugt. Die Lendenlahmheit dieser Apostaten steht in direktem Verhältnis zur spanisch-katholischen Rolle, [unleserliche Passage] Intellekt spielt.
Mein Einspruch gegen die Kündigung ist abgelehnt worden. Ich sprach mit einem Mitglied des Betriebsrats, der bekümmerte Auskunft gab. Es scheint sicher zu sein, daß jemand aus unserem Personal sich bereit gefunden hat, mich anzugeben, sei es aus Dummheit, sei es aus Wichtigtuerei, wahrscheinlich aus beidem.
Alle haben einen bestimmten Verdacht, der auf den Chef abzielt. Ich sagte in Dr. Wiesers Gegenwart zu Schöningh: wenn jemand aus Übelwollen hingeht und von Ihnen etwas behauptet, was Ihnen das Genick brechen kann, so ist es ja ganz gleichgültig, ob es wahr ist oder nicht. Denn Sie werden ja nicht gehört, und man sagt Ihnen auch nicht, wer Sie belastet. Der national gesonnenste Mensch kann dabei rausfliegen, von Anständigkeit ganz zu schweigen. Dr. Wieser machte einen etwas kleinlauten Eindruck. »Das will Göring nicht«, sagte er. Das mag sein, aber selbst wenn er das nicht »will«, wie will er das verhindern? Durch Erlasse? Durch Appell an die Anständigkeit? Irgendwie sieht man durch diesen schmutzigen Knäuel privater Erfahrung ins Allgemeine, und zwar auf die schwache Stelle: der Appell an den Idealismus hat nur dort Erfolg, wo die Voraussetzungen dazu gegeben sind. Wo aber so viel Voraussetzung zur Streberei, zu Schein-Idealismus und gar Gemeinheit gegeben ist, da sollte man statt an den Idealismus an die Furcht appellieren. Das ist die einzige Waffe, die den Gemeinen wirklich trifft. –
Wir gingen gestern abend durchs Dorf und ein Stück die Landstraße nach Velten entlang; dann am Waldrande zurück. In dem klaren Licht breitete sich das Land friedvoll aus.
Sahen die ersten Schwalben und ein Storchenpaar, das im Dorfe nistet. Jackie spürte Kaninchen, neugierig grunzend. Die Tierchen huschten vom Saatfeld in der Dämmerung schattenhaft wie Gnome in das an jener Stelle sehr dichte Holz. Am Horizont das Licht des Berliner Funkturms.
Der Wildreichtum, 15 km von der Weltstadt, ist beträchtlich. In der Dämmerung lief mir neulich ein Reh vors Rad, so daß ich’s beinahe überfahren hätte. –
Bekam gestern zufällig meinen Heiligen Hain[17] in die Hand, der fast 10 Jahre alt ist. Und bemerkte verblüfft, daß er, vom Schwulst und bloßer Kling-Klang-Lyrik abgesehen, gerade heute mancherlei Aktuelles hat. Mich freut’s doch zu sehen, daß ich damals manches richtig empfand. Grete meint, ich soll versuchen, ihn anzubringen. Warum nicht?
Mir fiel der Anlaß wieder ein, der dem Stück vorausging: die Geschichte der Indischen Sagen von Holtzmann[18], von dem König und den zwei Söhnen. Die Idee des Opfers um des Opfers willen, die im Drama gefordert sind: zu leben, wo Leben wichtiger ist als Sterben. Es war im Grunde sehr revolutionär, dies allzu wolkige Drama. Entsprach jedenfalls in keiner Weise damals beliebten Vorstellungen vom Verhältnis in den einzelnen zum Ganzen.
Eine Umarbeitung wäre nötig. Das orientalische Milieu ändern.
Blätterte in Entwürfen. Voland, Esther! Nordisch das eine, jüdisch das andere. Wie zeitgemäß!
Gestern – Ostersonntag – waren Hans und Gerda Hennecke[19] bei uns, bei trübem, windigem Wetter. Mit Hans längere Unterhaltung, am Waldrand auf- und abwandelnd. Er hegt große Befürchtungen, daß der »Geist« geknebelt, kollektiviert werde – »was wird aus Hofmannsthal, aus Rilke?«. Ich weiß es auch nicht. Ich glaube nur, man braucht um diesen irgendwie jenseitigen Geist nicht allzu besorgt zu sein, wenn es auch jetzt schlimm mit ihm steht. Aber es stand auch vorher schlimm mit ihm. Mir fiel dabei die Rilke-Totenfeier in München ein, im Staatstheater, dies Arrangement von Gesellschaft, Literatentum und falschem Weihrauch[20]. Was man Geist nennt, jedenfalls das, was Hans Hennecke darunter versteht, das hat im allgemeinen nur feststellen können, schriftstellerisch formulieren, gut formulieren. Nur zu einem war er außerstande: zu führen. Ganz Seltene wie Rilke etwa werden unter jedem Regime und gegen jedes Regime leben. Und wenn sie nicht laut werden können, so ist der Verlust nicht einmal groß angesichts der Gesamtnot. Diese jetzt anhebende Periode der Zackigkeit, die so oft mit einer fetten oder halbseidenen Existenz verbunden ist und meist Substanzlosigkeit erweist, wird vorübergehen. So was hält sich nicht.
Menschen sind wichtiger als das Geschriebene und Gedachte. Ich traue dem gesunden Sinn der Deutschen doch noch so viel zu, daß ihnen auf die Dauer eine geistige Autarkie über werden wird. Wir haben nicht so viele vitale Kraftreserven wie die Russen, daher pumpt man das sogenannte Volkliche bald leer, wenn man es dauernd zu Geist destillieren will. –
Ging abends vom Schwanenkrug, wohin ich Henneckes begleitet hatte, über die Felder heimwärts. Es war eigentlich schon tiefe Nacht, der Jahreszeit entsprechend. Der Orion war am Untergehen. Hier und da von fern aufblinkende Lichter, und der »Wind voller Weltraum«[21].
Ein Taxator hat heute das Grundstück und den Bau besichtigt. Ein nach Alkohol duftender Mann, macht aber einen ruhigen und vernünftigen Eindruck, dabei optimistisch wie anscheinend alle Bauleute.
Der Bücherei-Ausschuß hat ein Autodafé[22] beschlossen für den 10. Mai. Auf dem Platz vor dem Staatstheater sollen also mehrere hundert Bücher von etwa 20 Autoren verbrannt werden, an den Schandpfahl genagelt usw. Unter den Autoren befinden sich Heinrich Mann, Feuchtwanger, Glaeser, Stefan und Arnold Zweig; hauptsächlich Juden.
Die Universitätsbehörden waren nicht imstande, einen Anschlag der Studentenschaft am Schwarzen Brett zu verhindern, in dem u. a. die Forderung erhoben wurde, die Werke jüdischer Autoren als »Übersetzung aus dem Hebräischen« zu kennzeichnen. Als Studentenulk auf der Bierbude wäre das geschmacklos, als öffentliche Kundgebung ist das überhaupt nicht zu qualifizieren. Die Deutschen werden bald ernstere Sorgen kriegen als solche Kindereien.
Rückfall ins Mittelalter? Auf der anderen Seite sieht man zuweilen Erfreuliches, ab und zu in der Erscheinung wirklich neue Zeit. Aber fast nie in dem, was rednerisch zutage kommt. Die Redelust der Verantwortlichen ist allem Anschein nach unhemmbar, auch die Feierei nimmt kein Ende. Riesenfeuerwerk in Tempelhof am 1. Mai; Vorspiel zu einem anderen Feuerwerk, das mit freiem Eintritt und nachträglicher Bezahlung der Kosten in Scene gehen wird.
Man mag nicht schwarzsehen, man möchte lieber mithelfen an dem, was wirklich Wert haben und Zukunft schaffen kann, und wie schön wäre es, mitfeiern zu können in einem einig Volk von Brüdern. Aber es ist verdammt schwer, im Grunde unmöglich. Die ablehnende Haltung so mancher Leute führt, das sieht man klar, zu unfruchtbarer Nörgelei, besonders wenn diese Leute jung sind. –
War vor einigen Tagen bei Rudat, dem Vorsitzenden des Betriebsrats, der mir gekündigt hat. Ich verlangte zu wissen, wessen ich beschuldigt sei. »Sie haben sich marxistisch betätigt«, war schließlich die Antwort. Die späteren und ziemlich spärlichen Antworten auf meine erregten Vorhaltungen klangen wenig deutlich und überzeugt. »Von verschiedenen Seiten« sei angegeben worden, wie ich gesonnen sei, unter anderem sei ich als »Salonbolschewist« bezeichnet worden. Wer die »verschiedenen Seiten« eigentlich waren, wurde nicht verraten, nicht einmal angedeutet. Die Leute hatten an sich ganz recht, mich hinauszuwerfen, nur treffen ihre Gründe völlig daneben, und die Methode, so ausschließlich unter Wasser zu schießen, spricht für sich selbst.
Zufällig war ein gewisser Kusian, Hörer meines Volkshochschulkurses, anwesend gewesen, ehe die Herren geruhten, sich mit mir zu befassen. Er begrüßte mich und bedauerte lebhaft, daß der Kurs nicht fortgesetzt wird. Kusian verließ mit Hitler-Gruß das Zimmer. Ich wies darauf hin, und auf die doch recht ehrenden Angebote des Ausschusses. Dumpfes Schweigen darob. Dem Mann in SA-Uniform schien es einzuleuchten, daß da ein Mißgriff begangen worden ist, dessen Eigentümlichkeit ihm freilich nicht aufgeht, zu seinem Glück, kann man sagen, denn sonst wäre er nicht SA-Mann.
Man kann mit Kompliziertheiten nicht die Volksbewegung leiten, und man kann sich auch nicht mit Kompliziertheiten ihr anschließen. Im Krieg war das so ganz eindeutig. Aber ist es so kompliziert, sich ganz und fraglos und vorbehaltlos als Deutscher zu fühlen? Die bloße Vorstellung, irgendwo anders als in Deutschland zu leben, hat für mich eine überaus abschreckende Wirkung.
Der »Tag der nationalen Arbeit«[1] fängt bei gutem Wetter an. Es ist angenehm warm, einige Bewegung in der Luft läßt die gestrige Schwüle vergessen. Aus dem Hause des Lehrers schallt seit dem frühen Morgen der Lautsprecher, Militärmärsche schmetternd.
Gestern waren Erich Müller und seine Braut hier. Er war sehr pessimistisch auf Grund seiner Informationen. Auch ohne Informationen: dieses Festefeiern wirkt unheimlich angesichts der außenpolitischen Situation Deutschlands, die noch nie so isoliert war.
Früher hieß es: erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Dies propagandistische Geschlecht feiert die Feste vor der Arbeit. Es wirkt im Moment ungeheuer im Sinne der Propaganda. Aber man sollte die Deutschen genug kennen, um zu wissen, daß sie eigentlich kein Volk der Begeisterung sind, vielmehr ein Volk nüchterner Stille. So wird nach außen hin ein Anschein erweckt, der über die Tatsachen weit hinausgeht.
Auch unser Dorf hat seinen Festzug; wir werden ihn uns ansehen.
Mittags kam Mama[2] mit dem Autobus. Wir aßen in Eile und gingen dann zum Dorfplatz, wo sich vor Schützes Gasthof bereits die Leute versammelten. Die Feuerwehr, zu der auch unser Wirt, der Bäcker Hinz, gehört, in blauen Sonntags-Uniformen; dann kam die Mannschaft des Arbeitslagers Schwanenkrug in grauen Uniformen. Der weibliche Anhang unseres Bäckers kam. Alles machte einen zwanglosen, friedlichen Eindruck. Der Förster trug seinen besternten und bebänderten grünen Bauch vor sich her. Einige ältere Männer mit Bratenröcken und Zylindern. Brausend kamen zwei Lastautos aus Hennigsdorf mit SA-Leuten. Vier SA-Männer zu Pferde. Schließlich trat alles an, wobei vom militärischen Standpunkt aus der Arbeitsdienst noch den besten Eindruck machte. Die SA-Leute sahen mehr aus wie ein kostümierter Verein, die Haltung teilweise salopp. Karree-Bildung durch die SA, Feuerwehr, Hitler-Jugend, Arbeitsdienst, letzterer mit der Front zum Lokal, vor dessen Tür jetzt der Pfarrer Aufstellung nahm. Man sang Wir treten zum Beten[3], dessen Strophen der Pfarrer zur Gedächtnisstärkung vorsprach; es folgten eine spruchartige Einleitung und das Vaterunser, sodann eine Rede über den Einbau des Arbeiters in das Volk, so wie vordem der revolutionäre Bürgerstand eingebaut worden sei. Also die bekannte Aufrückungs-Theorie, die nunmehr, im Gegensatz zu Ernst Jüngers Geschichtsbild[4], Platz gegriffen hat. Der Pfarrer war noch jung; glattes, etwas käsig bleiches Gesicht, Sohn »besserer« Stände mit deutlichen Zeichen des Akademikertums. Es war eine mehr deutsch-nationale als nationalsozialistische Kundgebung. Die Beteiligung am Gesang schwach. Auf den Gesichtern der Arbeitsdienstleute malte sich der von früher her bekannte Mannschafts-Stumpfsinn, der das Unvermeidliche und im Grunde höchst Gleichgültige mit Langeweile über sich ergehen läßt. Zudem ist das dörfliche Milieu zu ruhig, zu natürlich für Ekstase, die im großstädtischen Bereich mehr Nahrung findet. Hier bildet sich nicht die Masse. Das ist sympathisch und zugleich die Verzweiflung des Redners, der damit rechnen muß, gegen Kindergeschrei in Konkurrenz zu treten. Hier enthüllen sich nichtssagende Worte eben deutlicher als anderswo.
Nach der Feier, die mit Nun danket alle Gott[5] abschloß, formierten sich die Züge zum Marsch. Voran die vier Reiter, die am vergnügtesten schienen, sodann der Herr Lehrer[6] mit seinen Kleinen – Kinder nehmen sich bei jedem Fest am nettesten aus –, ferner ein Trupp luisenbündlerischer Mädchen[7] in Kornblumenblau, ein kleinerer Trupp Hitler-Mädels in Braun. Man zog durchs ganze Dorf, das glücklicherweise kein Haufen-, sondern ein Straßendorf ist mit zwei Anhängseln, von dem Herrenhaus abgesehen, das durch Gärten und Wassergraben vom Übrigen gesondert lebt. Hier begrüßte man Herrn v. Risselmann[8], der nur wenige Worte gesagt haben soll, dieweil er kein Redner ist.
Wir erlebten dies nicht mehr mit, da wir nach Hause gegangen waren, um uns mit Kaffee zu stärken; erst als der Zug an unser Dorfende kam, gingen wir mit Mama und Jackie vor die Tür, damit die beiden auch ihr Teil zu sehen bekamen. Jackie bellte laut auf beim Paukenschlag.
Das Wetter war herrlich. Wir gingen abends den Weg nach Wansdorf zu. Die Wiesen und grünen Saaten, frisch nach dem gestrigen Regen, dehnten sich weit zwischen den Wäldern; zartes Grün der Birken und Weiden, das Gelb-Grün der Ahornblüten. Im Graben blühten Sumpfdotterblumen kräftig. Wir sahen viele Rehe, ein außerordentlicher Wildbestand ist hier, direkt vor Berlin. Der Wald ungemein abwechslungsreich durch die Lichtungen, viel dichtes Holz, des Wildes wegen, das der alte v. Risselmann, der Onkel des jetzigen Inhabers, sehr gehegt und gepflegt haben soll. Unser Hund kann nur am Würger durch den Wald geführt werden, das Jagdfieber sitzt ihm in allen Nerven. Er würde ein vorzüglicher Spurensucher sein, hart und ausdauernd. –
Man konnte von hier aus das Feuerwerk von Tempelhof sehen, das danach riesige Ausmaße gehabt haben muß.
Am Vormittag feierliche Eröffnung der Bibliotheksschule in der Berliner Stadtbibliothek. Der Ausschuß, bestehend aus meinem Chef Dr. Wieser, dem kleinen Dr. Wolfgang Herrmann und dem Lepidus Dr. Engelhardt, hat es tatsächlich fertiggebracht, ohne jedes Zutun meinerseits, mich schwarzes Schaf in den Lehrkörper dieser Schule einzuverleiben, was im grotesken Widerspruch zu meiner Kündigung stehen dürfte, denn hier, als Dozent, kann ich am Nachwuchs viel mehr »marxistisches« Unheil anrichten als in der Bücherei. Zu verdanken habe ich das anscheinend Dr. Herrmanns übertrieben hoher Meinung, die er von mir hegt, seinem Bestreben, mich für den Beruf zu retten, und nicht zuletzt Dr. Wiesers Wunsche, mich auf halbwegs anständige Weise loszuwerden. Denn daß er mich loswerden will, und sei es mit Hilfe einer Beförderung, ist nach allem Vorangegangenen außer Zweifel. Ich habe den Mann mit meiner konsequenten Ablehnung seines Herman-Wirth-Komplexes[9], an den er in letzter Minute den nationalsozialistischen anhängte, zu sehr vor den Kopf gestoßen. Das Gespräch vom vorigen Sommer kommt mir wieder in den Sinn, als ich ihn, der kurz vorher noch seinen Abgott Wirth beschworen hatte, sich vom Nationalsozialismus so weit wie möglich zu distanzieren, plötzlich nach meiner Urlaubsreise als einen Bekenner der NS-Ideologie wiederfand. Ich hatte ihn, nachdem er mir in längeren Ausführungen seinen Standpunkt dargelegt, einfach gefragt, warum er nicht in die Partei eintrete, was er sichtlich betreten und in wachsender Unruhe ablehnte: er könne das nicht. Ich erwiderte ihm, das verstünde ich nicht: wenn ich dermaßen überzeugt wäre, wie er mir soeben versichert, so könnte nichts mich abhalten, mich offen zu der Sache zu bekennen. Überdies liefe er ja keine Gefahr mehr, da das Gesetz, das den Beamten verbot, der NSDAP beizutreten[10], aufgehoben war. Er könne es nicht, sagte er – er hat es bis heute nicht »gekonnt«, Gott weiß, aus welcher trüben Mischung der Motive heraus.
Die Sitzung verlief nicht gerade sehr feierlich. Das Auditorium, ein Haufen von etwa zwanzig Mädels und drei oder vier jungen Männern, scheint kritisch veranlagt. Dr. Herrmann, auf den Zehenspitzen hinter dem Pult balancierend, gab die Richtlinien bekannt, der Gleichschaltung natürlich. Dr. Wieser, der nach ihm sprach, kam wieder mit einer seiner Lieblingsideen zum Vorschein: wenn er junge Mädchen vor sich hat, spricht er seit einiger Zeit nur von Hausputz, Kochen, Gemüsegärten und Kinderkriegen: »Wenn man im Garten gegraben hat, vergißt man einfach alles, aber auch alles!« Die Mädels staunten ihn an …
Fuhr mit Schöningh zurück, der über Volkskunde unterrichten wird und wie ich morgen anfängt.
Begrüßte alte Bekannte: Wilkens, Dr. Trensch, Dr. Richter, Frl. Negt/Heye[11].
Die Gleichschaltung der Gewerkschaften[12] ist erfolgt. Die Arbeiter werden sich ausschweigen. Umgekehrt wird die NSBO[13] viel tun, sie für sich zu gewinnen. Die NSDAP ist in dergleichen und in ihrer Kunst der Massenbehandlung gegen alle früheren Parteien, die KPD nicht ausgenommen, ein Meister. Sie hat vor allen Dingen erfaßt, daß eine demokratisch organisierte Masse überaus leicht zu überwinden ist, sobald man die Führung abkappt, zumal wenn diese eben keine »Führung«, sondern eher eine bloß funktionierende Verwaltung ist. Man kann jedenfalls viel daraus lernen. Der springende Punkt ist die Politik, auf die wird es auch bei geschicktester Massenwirkung zuletzt doch ankommen. Im übrigen wird wirklich »geführt«, wenigstens sieht es so aus, und in mancher Beziehung weht ein frischer Wind. Aber das Ideelle ist bedenklich, d. h. eben das Politische. Diese Fahrten nach Rom …
Aus Rußland kommen merkwürdige Gerüchte[14]. Man weiß nicht, woran man ist. Man spricht von politischen Stimmungs-Rückwirkungen von seiten Deutschlands auf die UDSSR. Dabei befindet sich Deutschland in einer Isolierung wie noch nie. Die natürliche Interessengemeinschaft mit den proletarisierten Nationen ist so gut wie illusorisch.