Sean Carroll
Was ist die Welt
und wenn ja, wie viele
Wie die Quantenmechanik
unser Weltbild verändert
Aus dem Englischen übersetzt von Jens Hagestedt
Klett-Cotta
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Klett-Cotta
www.klett-cotta.de
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Something deeply hidden. Quantum Worlds
and the Emergence of Spacetime« bei Dutton
(Penguin Random House LLC), New York
© 2019 by Sean Carroll
Für die deutsche Ausgabe
© 2021 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Lektorat: Thomas Reichert, Grevenbroich
Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg
Unter Verwendung des Originalentwurfs von Oneworld Publications, Illustration © Yau Hoong Tang
Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde
Printausgabe: ISBN 978-3-608-98376-0
E-Book: ISBN 978-3-608-12102-5
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
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Für Denker aus der Geschichte der Physik,
die ihrer Sache treu geblieben sind.
Nur keine Angst!
Sie brauchen keinen Doktortitel in theoretischer Physik zu haben, um sich vor der Quantenmechanik zu fürchten. Aber weh tut sie nicht!
Seltsam – die Quantenmechanik ist die beste Theorie, die wir für die Welt des mikroskopisch Kleinen haben. Sie beschreibt, wie Atome(1) und Elementarteilchen interagieren, und erlaubt, unglaublich präzise Voraussagen hinsichtlich der Ergebnisse von Experimenten zu treffen. Sie steht allerdings in dem Ruf, schwierig, geheimnisvoll, fast magisch zu sein – und ausgerechnet professionelle Physiker sollten sich mit einer solchen Theorie wohlfühlen? Sie führen ständig komplizierte Berechnungen von Quantenphänomenen durch und bauen riesige Anlagen zur Überprüfung der Voraussagen, die sich daraus ergeben. Das heißt aber doch, sie verstehen die Quantenmechanik – oder tun sie nur so?
Sie tun nicht nur so, aber sie sind sich selbst gegenüber auch nicht ganz ehrlich. Einerseits ist die Quantenmechanik das Herz und die Seele der modernen Physik. Astrophysiker, Teilchenphysiker, Atomphysiker, Laserphysiker – sie alle nutzen sie ständig, und sie nutzen sie sehr erfolgreich. Die Quantenmechanik ist keine esoterische Forschung. In der modernen Technologie ist sie allgegenwärtig: Halbleiter, Transistoren, Mikrochips, Laser und Computerspeicher würden ohne sie nicht funktionieren. Die Quantenmechanik ist außerdem notwendig, um die elementarsten Eigenschaften der Welt um uns herum zu verstehen. Die gesamte Chemie etwa ist angewandte Quantenmechanik. Auch um zu verstehen, wie die Sonne scheint oder warum Tische stabil sind, brauchen wir die Quantenmechanik.
Stellen Sie sich vor, Sie schließen die Augen und sehen nichts. Sie glauben vielleicht, das sei so, weil kein Licht in Ihre Augen fällt. Aber das ist nicht ganz richtig, denn jedes warme Objekt, also auch Ihr Körper, strahlt Infrarotlicht aus, das eine etwas größere Wellenlänge hat als sichtbares Licht. Wären unsere Augen für Infrarotlicht genauso reizempfindlich, wie sie es für sichtbares Licht sind, so wären wir schon von all dem Licht, das unsere Augäpfel abstrahlen, geblendet – auch bei geschlossenen Lidern. Aber glücklicherweise sind die Stäbchen und Zapfen, die in unseren Augen als Lichtrezeptoren fungieren, nur für sichtbares Licht empfindlich, nicht für Infrarot. Wie das? Die Antwort gibt letztlich die Quantenmechanik.
Die Quantenmechanik ist keine Magie. Sie ist die umfassendste und bestmögliche Erkenntnis der Wirklichkeit, die wir kennen. Ja, soweit wir heute wissen, ist die Quantenmechanik nicht nur eine Annäherung an die Wahrheit, sondern sie ist die Wahrheit. Das kann sich aufgrund von unerwarteten Versuchsergebnissen ändern, aber bisher haben wir keine Indizien dafür, dass wir mit solchen Überraschungen rechnen müssten. Die Entwicklung der Quantenmechanik in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, die mit den Namen Planck(1), Einstein(1), Bohr(1), Heisenberg(1), Schrödinger(1) und Dirac(1) verbunden ist, hat uns bis 1927 ein angemessenes Verständnis der Wirklichkeit hinterlassen, das sicherlich eine der größten geistigen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte ist. Wir haben allen Grund, stolz darauf zu sein.
Andererseits hatte Richard Feynman(1) mit seinem denkwürdigen Diktum recht, er könne als sicher behaupten, dass niemand die Quantenmechanik verstünde. Wir nutzen sie, um neue Technologien zu entwickeln und die Ergebnisse von Experimenten vorauszusagen. Aber ehrliche Physiker geben zu, dass wir die Quantenmechanik nicht wirklich verstehen. Wir haben ein Rezept, das wir in bestimmten Situationen anwenden können und das verblüffend präzise, von den Daten glanzvoll bestätigte Voraussagen liefert. Aber wenn Sie wissen wollen, warum das so ist, dann müssen wir sagen: Wir wissen es nicht. Die Physiker neigen dazu, die Quantenmechanik nicht wie ein geliebtes Familienmitglied zu behandeln, für das sie sich persönlich interessieren, sondern wie einen geistlosen Roboter, auf den sie sich verlassen können, wenn sie bestimmte Aufgaben erledigen müssen.
Diese Einstellung der Fachleute schlägt sich in der Art und Weise nieder, wie die Quantenmechanik gegenüber der breiten Öffentlichkeit dargestellt wird. Wir gäben gerne ein vollständiges Bild der Natur, aber das können wir nicht, weil die Physiker sich nicht einig sind, was die Quantenmechanik sagt. Stattdessen betonen populärwissenschaftliche Darstellungen oft, dass die Quantenmechanik mysteriös sei, Rätsel aufgebe und nicht verstanden werden könne. Diese Botschaft widerspricht den Grundprinzipien der Naturwissenschaft, zu denen die Vorstellung gehört, dass die Welt prinzipiell verständlich sei. Wenn es um die Quantenmechanik geht, haben wir eine Art geistige Blockade, und um diese zu überwinden, brauchen wir ein wenig Quantentherapie.
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Wenn an Hochschulen Quantenmechanik gelehrt wird, dann wird den Studentinnen und Studenten eine Reihe von Gesetzen vermittelt. Einige davon sind Gesetze wie andere auch: Es gibt eine mathematische Beschreibung der Quantensysteme und eine Erklärung, wie sich diese Systeme zeitlich entwickeln. Daneben gibt es aber Gesetze, die in keiner anderen Theorie der Physik eine Entsprechung haben. Diese zusätzlichen Gesetze sagen uns, was geschieht, wenn wir ein Quantensystem(1) beobachten, wobei sein Verhalten dann ganz anders ist, als wenn wir es nicht beobachten. Wie kann das sein?
Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, diese Differenz zu erklären. Entweder ist die Geschichte, die wir unseren Studenten erzählt haben, jämmerlich unvollständig, und wir müssen, wenn die Quantenmechanik eine vernünftige Theorie sein soll, verstehen, was eine »Beobachtung« oder »Messung« ist und warum sich das beobachtete oder gemessene Verhalten des Systems so sehr von seinem sonstigen unterscheidet. Oder die Quantenmechanik bricht vollkommen mit der Art und Weise, wie wir in der Physik bisher immer gedacht haben: Sie bricht mit einer Sichtweise, nach der die Welt objektiv und unabhängig davon existiert, wie wir sie wahrnehmen, und führt eine Sicht ein, nach welcher der Akt der Beobachtung irgendwie für das Wesen der Wirklichkeit entscheidend ist.
Was auch immer der Fall ist, die Lehrbücher sollten diesen Möglichkeiten nachgehen, und sie sollten zugeben, dass die Quantenmechanik zwar äußerst erfolgreich ist, dass wir sie aber keineswegs schon vollständig ausgearbeitet haben. Aber das tun sie nicht. Die meisten übergehen dieses Thema mit Schweigen und bleiben lieber in der Komfortzone des Physikers, der Gleichungen notiert und die Studenten auffordert, sie zu lösen.
Das ist beschämend. Aber es kommt noch schlimmer.
Angesichts dieser Situation könnte man meinen, die gesamte Physik hätte kein größeres Ziel, als die Quantenmechanik zu verstehen. Forschern in Quantenstiftungen flössen Millionen Dollars an Fördergeldern zu, und die wichtigsten Erkenntnisse würden mit Preisen und Prestige belohnt. Die hellsten Köpfe würden sich dem Problem widmen, die Universitäten würden sich um sie reißen und sie mit Superstar-Gehältern ködern, um sie von konkurrierenden Institutionen abzuwerben.
Leider ist dem nicht so. Nicht nur gilt das Bemühen, die Quantenmechanik zu verstehen, keineswegs als hochrangiges Spezialgebiet der modernen Physik, man betrachtet es auch in vielen Kreisen als wenig respektabel, wenn man es nicht gar verächtlich macht. In den meisten Fachbereichen für Physik arbeitet niemand an dem Problem, und diejenigen Forscher, die sich dafür entscheiden, werden mit Argwohn betrachtet. (Als ich vor kurzem einen Förderantrag schrieb, wurde mir empfohlen, mich auf die Darstellung meiner Arbeiten über die Schwerkraft(1) und meine kosmologischen Forschungen zu konzentrieren, die als legitim angesehen werden; über mein Interesse an den Grundlagen der Quantenmechanik sollte ich lieber schweigen, da es Grund sein könnte, an meiner Seriosität zu zweifeln.) Es hat zwar in den letzten neunzig Jahren wichtige Fortschritte gegeben, aber in der Regel haben wir sie eigensinnigen Forschern zu verdanken, welche die Fragestellungen trotz der Einwände aller ihrer Kollegen für wichtig hielten, oder jungen Studenten, die es nicht besser wussten und sich später anderen Gebieten zuwandten.
In einer der Fabeln von Äsop(1) erblickt ein Fuchs eine köstliche Weintraube. Er springt hoch, um sie zu erreichen, kommt aber nicht hoch genug. Verdrossen erklärt er, die Trauben seien wahrscheinlich(1) sauer und eigentlich habe ihm sowieso nichts an ihnen gelegen. Die Physiker, denen die »Trauben«, die Quantenmechanik zu verstehen, zu sauer sind, verhalten sich wie dieser Fuchs. Viele Forscher haben entschieden, zu verstehen, wie die Natur funktioniert, sei nie wirklich wichtig gewesen; es komme allein darauf an, dass man Voraussagen treffen könne.
Naturwissenschaftler werden geschult, greifbare Ergebnisse wertzuschätzen, seien es aufregende experimentelle Befunde oder quantifizierende theoretische Modelle. Die Idee, eine bereits fertige Theorie verstehen zu wollen, auch wenn das Bemühen darum möglicherweise nicht zu neuen Technologien oder Postulaten führt, kann schwer zu vermitteln sein. Veranschaulichen kann dies eine Folge der amerikanischen Fernsehserie The Wire, in der fleißige Detektive monatelang daran arbeiteten, akribisch Beweise für einen Prozess gegen einen mächtigen Drogenring zu sammeln. Ihre Chefs jedoch hatten keine Geduld für eine solche schrittweise vorgehende Ermittlungstätigkeit. Sie wollten nur Drogen auf dem Tisch sehen, für ihre nächste Pressekonferenz, und ermunterten die Polizei, zuzuschlagen und aufsehenerregende Verhaftungen vorzunehmen. Fördermittelgeber und Einstellungskommissionen denken wie diese Chefs. In einer Welt, in der uns alle Leistungsanreize motivieren sollen, konkrete, quantifizierbare Ergebnisse zu erzielen, werden weniger drängende Bemühungen um das große Ganze gern beiseite geschoben, während wir auf das nächste unmittelbare Ziel zusteuern.
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Dieses Buch hat vor allem drei Botschaften. Die erste lautet: Die Quantenmechanik sollte verständlich sein – auch wenn wir noch nicht so weit sind –, und sie zu verstehen sollte zu den vorrangigen Zielen der modernen Naturwissenschaft gehören. Die Quantenmechanik ist insofern einzigartig unter den physikalischen(1) Theorien, als sie zwischen dem unterscheidet, was wir sehen, und dem, was in Wirklichkeit der Fall ist. Für Naturwissenschaftler (und alle anderen), die es gewohnt sind, das, was sie sehen, für unproblematisch »wirklich« zu halten und die Dinge entsprechend zu erklären, ist das eine besondere Schwierigkeit. Sie ist aber nicht unüberwindlich, und wenn wir uns von bestimmten altmodischen und intuitiven Denkweisen lösen, erkennen wir, dass die Quantenmechanik nicht hoffnungslos mystisch oder unbegreiflich ist. Sie ist nur Physik.
Die zweite Botschaft lautet, dass wir große Fortschritte gemacht haben. Ich werde mich auf die Everett(1)- oder Viele-Welten-Interpretation(1) der Quantenmechanik konzentrieren, die ich für den eindeutig vielversprechendsten Ansatz halte. Die Viele-Welten-Interpretation(2) wurde von vielen Physikern begeistert aufgenommen, steht aber in zweifelhaftem Ruf bei Leuten, die von der Vorstellung einer Vermehrung von Wirklichkeiten, die Kopien ihrer selbst enthalten, abgeschreckt sind. Wenn Sie zu diesen Leuten gehören, möchte ich Sie wenigstens davon überzeugen, dass die Viele-Welten-Interpretation(3) die einfachste Art und Weise ist, die Quantenmechanik zu verstehen: Wenn wir bei dem Bemühen, Quantenphänomene(1) ernst zu nehmen, den Weg des geringsten Widerstands gehen, landen wir bei ihr. Vor allem sind die multiplen Welten Postulate des bereits vorhandenen Formalismus, nichts Hinzugefügtes. Die Viele-Welten-Interpretation(4) ist aber nicht der einzige seriöse Ansatz, und einige seiner größten Konkurrenten werde ich erwähnen. (Ich werde mich um eine faire, wenn auch nicht unbedingt ausgewogene Darstellung bemühen.) Entscheidend ist, dass alle Ansätze gut konstruierte wissenschaftliche Theorien sind – mit potentiell verschiedenen experimentellen Konsequenzen –, nicht nur wirre »Interpretationen« in Anführungszeichen, über die man bei Cognac und Zigarren diskutieren kann, nachdem die harte Arbeit geleistet ist.
Die dritte Botschaft lautet, dass all dies wichtig ist, und zwar nicht nur für die Integrität der Wissenschaft. Der bisherige Erfolg des bestehenden adäquaten, aber nicht vollkommen kohärenten Rahmens der Quantenmechanik sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Sachverhalte gibt, für die dieser Ansatz einfach nicht genügt. Vor allem für das Verständnis des Wesens der Raumzeit(1) sowie des Ursprungs und des dereinstigen Endes des gesamten Universums(1) sind die Grundlagen der Quantenmechanik absolut entscheidend. Ich werde einige spannende neue, wenn auch zugegebenermaßen vorläufige Thesen formulieren, die provokante Zusammenhänge zwischen der Quantenverschränkung(1) und der Krümmung der Raumzeit(1) – dem Phänomen, das Sie und ich als »Schwerkraft(2)« kennen – herstellen. Eine vollständige und überzeugende Quantentheorie(1) der Schwerkraft(3) ist seit vielen Jahren als wichtiges Ziel der Wissenschaft anerkannt (was sich in Prestige, Preisen, Abwerbung von Lehrkräften usw. zeigt). Vielleicht liegt die Lösung nicht darin, mit der Schwerkraft(4) zu beginnen und sie zu »quantisieren«, sondern darin, tief in die Quantenmechanik einzutauchen und zu erkennen, dass die Schwerkraft(5) dort die ganze Zeit lauerte.
Wir wissen es nicht genau. Das ist das Spannende und Aufregende an Spitzenforschung. Aber es ist an der Zeit, die Grundbeschaffenheit der Wirklichkeit ernst zu nehmen, und das bedeutet, sich mit der Quantenmechanik offen auseinanderzusetzen.
Teil eins
Ein Blick in die Quantenwelt
Albert Einstein(2), der nicht nur mit Gleichungen, sondern auch mit Worten umgehen konnte, hat die Quantenmechanik mit einem Etikett versehen, das sie nicht mehr losgeworden ist: »spukhaft«. Wenn nichts sonst, so bekommen wir in öffentlichen Diskussionen über die Quantenmechanik doch zumindest diesen Eindruck. Man sagt uns, sie sei ein Teil der Physik, der rätselhaft, gespenstisch, bizarr, unverständlich, befremdlich und verwirrend sei. Spukhaft.
Unergründlichkeit kann verlockend sein. Wie eine geheimnisvolle begehrenswerte Fremde verführt uns die Quantenmechanik dazu, ihr alle möglichen Eigenschaften und Fähigkeiten beizulegen, unabhängig davon, ob sie sie hat oder nicht. Eine Suche nach englischsprachigen Büchern, in deren Titel das Wort »quantum« (»Quanten(1)«) vorkommt, ergibt die folgenden begrifflichen Zusammensetzungen:
Quantum Success (Quantenerfolg),
Quantum Leadership (Quantum Leadership / Quantenführerschaft),
Quantum Consciousness (Quantenbewusstsein),
Quantum Touch (Quantum Touch / Quantenberührung),
Quantum Yoga (Quanten(2)-Yoga),
Quantum Eating (Quanten(3)-Essen),
Quantum Psychology (Quantenpsychologie),
Quantum Mind (Quantengeist),
Quantum Glory (Quanten(4)-Herrlichkeit),
Quantum Forgiveness (Quantenvergebung),
Quantum Theology (Quantentheologie),
Quantum Happiness (Quantenglück),
Quantum Poetry (Quantenpoesie),
Quantum Teaching (Quantenlehre),
Quantum Faith (Quanten(5)-Glaube),
Quantum Love (Quantenliebe).
Für einen Zweig der Physik, der oft so charakterisiert wird, dass er nur in Bezug auf Prozesse relevant sei, bei denen subatomare Teilchen eine Rolle spielen, ist das eine ziemlich eindrucksvolle Liste.
Gewiss, die Quantenmechanik – oder »Quantenphysik« oder auch »Quantentheorie(2)«, die Bezeichnungen sind austauschbar – ist nicht nur in Bezug auf Prozesse relevant, die selbst unter dem Mikroskop nicht erkennbar sind. Sie beschreibt vielmehr die ganze Welt, von Ihnen und mir bis zu Sternen und Galaxien, von den Zentren der Schwarzen Löcher(1) bis zum Anfang des Universums(2). Aber erst wenn wir die Welt aus nächster Nähe betrachten, kommen wir ohne das scheinbar Gespenstische der Quantenphänomene(2) nicht aus.
Eine der Thesen dieses Buches ist, dass die Quantenmechanik die Konnotation »spukhaft« nicht verdient; sie ist kein Geheimnis, kein Rätsel, das für den menschlichen Geist »zu hoch« ist. Sie ist verblüffend; sie ist neuartig und tiefgründig, sie erweitert unser Denkvermögen und zeigt uns die Realität von einer Seite, die sich stark von der unterscheidet, die wir gewohnt sind. Naturwissenschaft ist manchmal so. Und wenn der Gegenstand rätselhaft erscheint, dann löst sie das Rätsel, statt so zu tun, als wäre es nicht da. Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass wir mit der Quantenmechanik genauso verfahren können wie mit jeder anderen physikalischen(2) Theorie und folglich auch ihr Rätsel lösen können.
Viele Autoren folgen in ihren Darstellungen der Quantenmechanik einem bestimmten Schema. Zunächst weisen sie auf ein der Intuition widersprechendes Quantenphänomen hin. Danach geben sie sich irritiert, dass die Welt vielleicht so sein kann, und scheinen an der Möglichkeit zu verzweifeln, das zu verstehen. Schließlich versuchen sie sich (wenn wir Glück haben) an einer Art Erklärung.
Mir ist Klarheit lieber als Geheimnis, daher möchte ich diese Strategie nicht übernehmen. Ich möchte die Quantenmechanik in einer Weise darstellen, dass sie von Anfang an so verständlich ist wie nur möglich. Sie wird dann immer noch seltsam erscheinen, aber das ist sie nun einmal. Unerklärlich oder unbegreiflich wird sie hoffentlich nicht erscheinen.
An die zeitliche Reihenfolge, in der die Quantenmechanik ausgearbeitet wurde, werde ich mich nicht halten. In diesem Kapitel werden wir einen Blick auf die grundlegenden Versuchsergebnisse werfen, die uns nötigen, zu ihrer Erklärung die Quantenmechanik heranzuziehen. Im nächsten Kapitel werde ich kurz den Viele-Welten-Ansatz(5) skizzieren. Eine mehr oder minder geschichtliche Darstellung der Entdeckungen, die Forscher veranlasst haben, eine so dramatisch neue Form von Physik zu erwägen, werde ich erst im übernächsten Kapitel geben. Anschließend werden wir uns ansehen, wie grundlegend einige Konsequenzen der Quantenmechanik sind.
Wenn all das hinter uns liegt, können wir uns der angenehmen Aufgabe zuwenden, zu sehen, wohin all dies führt, und die auffälligsten Eigenschaften der Quantenrealität entmystifizieren.
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Die Physik ist eine der grundlegendsten Wissenschaften, ja eine der grundlegendsten Unternehmungen der Menschheit. Wir blicken uns um und sehen, dass die Welt voll von Materie ist. Was ist diese Materie, und wie verhält sie sich?
Das sind Fragen, die gestellt werden, seit die Menschen angefangen haben, Fragen zu stellen. Im antiken Griechenland galt die Physik als allgemeine Wissenschaft von Veränderung und Bewegung, und zwar sowohl der belebten als auch der unbelebten Materie. Aristoteles(1) sprach von »Neigungen«, »Zwecken« und »Ursachen«. Wie sich ein Seiendes bewegt und verändert, lasse sich durch Bezugnahme auf seine innere Natur und auf äußere Kräfte, die auf es einwirken, erklären. Bestimmte Dinge etwa würden von Natur aus ruhen; damit sie sich bewegen, sei es notwendig, dass etwas diese Bewegung verursache.
Dass wir all das heute anders sehen, ist einem klugen Mann namens Isaac Newton(1) zu verdanken, der 1687 die Principia Mathematica(1) veröffentlichte, das wichtigste Werk in der Geschichte der Physik. Newton legte in ihm den Grundstein für das, was wir heute als »klassische« oder »Newtonsche« Mechanik(1) bezeichnen. Er blies das verstaubte Gerede von »Wesen« und »Zwecken« fort und enthüllte, was darunter lag: ein klarer, rigoroser mathematischer Formalismus, mit dem Physiklehrer bis heute ihre Schüler quälen.
Was immer Sie von Ihrem Besuch der höheren Schule oder der Universität an Hausaufgaben, die sich mit Pendeln oder schiefen Ebenen befassten, in Erinnerung haben mögen: Die elementaren Vorstellungen der klassischen Mechanik(2) sind ziemlich einfach. Denken Sie zum Beispiel an einen Stein. Ignorieren Sie alles an ihm, was ein Geologe interessant finden könnte, zum Beispiel seine Farbe und seine Zusammensetzung. Sehen Sie davon ab, dass sich der Stein etwa dadurch ändern könnte, dass Sie ihn mit einem Hammer in Stücke schlagen. Reduzieren Sie Ihr geistiges Bild von dem Stein auf seine abstrakteste Form: Der Stein ist ein Objekt, das eine Position im Raum hat, die sich im Zeitverlauf ändert bzw. ändern kann.
Die klassische Mechanik(3) sagt uns genau, wie sich die Position des Steins im Zeitverlauf ändert. Wir sind daran inzwischen so gewöhnt, dass es sich lohnt, zu bedenken, wie bemerkenswert das ist. Newton(2) speist uns nicht mit vagen Gemeinplätzen über die allgemeine Tendenz von Steinen ab, sich mehr oder weniger auf die eine oder andere Weise zu bewegen. Sondern er gibt uns präzise, unumstößliche Gesetze, wie sich alles im Universum(3) als Reaktion auf irgendetwas anderes bewegt – Gesetze, mit deren Hilfe man einen Baseball fangen oder einen Landrover auf dem Mars unter Kontrolle bringen kann.
Das funktioniert so: Zu jedem Zeitpunkt wird der Stein eine Position haben und eine Geschwindigkeit(1), mit der er sich bewegt. Wenn keine Kräfte auf ihn einwirken, wird er sich Newton(3) zufolge bis in alle Ewigkeit mit konstanter Geschwindigkeit(2) geradlinig weiterbewegen. (Schon hierin weicht Newton dezidiert von Aristoteles(2) ab, der Ihnen gesagt hätte, Objekte müssten ständig angeschoben werden, um in Bewegung zu bleiben.) Wenn eine Kraft auf den Stein einwirkt, bewirkt sie eine Beschleunigung – eine Änderung der Geschwindigkeit des Steins, die ihn schneller oder langsamer werden oder lediglich die Richtung ändern lässt, in der er sich bewegt: in Propoportion zur Kraft, die auf ihn einwirkt.
Das ist im Grunde genommen alles. Um die ganze Bahn des Steins berechnen zu können, müssen Sie seine Position, seine Geschwindigkeit(3) und die auf ihn einwirkenden Kräfte kennen – Newtons(4) Gleichungen machen dann den Rest. Zu diesen Kräften gehören die Schwerkraft(6), die Kraft, mit der Sie den Brocken hochheben und werfen, sowie die Kraft des Erdbodens, wenn der Brocken landet. Die Bahn von Billardkugeln, Raketenschiffen oder Planeten lässt sich auf die gleiche Weise berechnen. Innerhalb dieses klassischen Paradigmas ist es im Wesentlichen das Ziel der Physik, herauszufinden, woraus die Materie des Universums(4) (Steine und dergleichen) besteht und welche Kräfte auf sie einwirken.
Die klassische Physik ist letztlich ein einfaches Bild der Welt, aber auf dem Weg dahin mussten einige entscheidende Schritte getan werden. So brauchten wir, um beispielsweise herauszufinden, was mit einem Stein geschehen würde, ganz bestimmte Informationen: seine Position, seine Geschwindigkeit(4) und die auf ihn einwirkenden Kräfte. Wir können diese Kräfte als der Außenwelt zugehörig betrachten, so dass die wichtigen Informationen über den Stein selbst nur aus seiner Position und seiner Geschwindigkeit(5) bestehen. Die Beschleunigung, die er zu irgendeinem Zeitpunkt erfährt, brauchen wir dagegen nicht vorab zu kennen; sie lässt sich anhand der Newtonschen Gesetze aus der Position und der Geschwindigkeit(6) errechnen.
In der klassischen Mechanik(4) machen Position und Geschwindigkeit(7) zusammen den Zustand eines jeden Objekts aus. Wenn wir ein System mit mehreren beweglichen Teilen haben, ist der Zustand des gesamten Systems eine Auflistung der Zustände der einzelnen Teile. Angenommen, die Luft in einem Raum normaler Größe besteht aus 1027 Molekülen verschiedener Art, so ist der Zustand dieser Luft eine Auflistung der Positionen und Geschwindigkeiten(8) aller Moleküle. (Genaugenommen bestimmen Physiker den Zustand eines Teilchens lieber mit seinem Impuls(1) als mit seiner Geschwindigkeit(9), aber in der Newtonschen Mechanik(5) ist der Impuls(2) einfach die Masse des Teilchens mal seine Geschwindigkeit(10).) Die Gesamtheit aller Zustände, die ein System haben kann, bezeichnet man als sein Phasenraum.
Der französische Mathematiker Pierre-Simon Laplace(1) hat auf eine bemerkenswerte Implikation der klassisch mechanischen Denkweise hingewiesen: Im Prinzip könnte ein gewaltiger Intellekt den Zustand buchstäblich jedes Objekts im Universum(5) kennen und daraus alles ableiten, was in der Zukunft geschehen würde, wie auch alles, was in der Vergangenheit geschehen war. Der Laplacesche Dämon(1) ist ein Gedankenexperiment, kein realistisches Projekt für einen ehrgeizigen Informatiker, aber die Implikationen des Experiments sind weitreichend. Die Newtonsche Mechanik(6) beschreibt ein deterministisches(1) Uhrwerksuniversum.
Die Logik der klassischen Physik ist so schön und überzeugend, dass sie fast unausweichlich erscheint, wenn man sie einmal begriffen hat. Viele große Geister, die nach Newton(5) kamen, waren überzeugt, der Aufbau der Physik sei im Grunde erkannt und der künftige Fortschritt könne nur darin bestehen, herauszufinden, mit welcher Variante der klassischen Physik (mit welchen Teilchen und welchen Kräften) das Universum(6) als Ganzes beschrieben werden könne. Selbst die Relativitätstheorie(1), die auf ihre Weise die Welt verändert hat, ist eher eine Spielart der klassischen Mechanik(7), als dass sie an ihre Stelle getreten wäre.
Dann kam die Quantenmechanik, und alles änderte sich.
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Neben Newtons(6) Formulierung der klassischen Mechanik(8) ist die Entwicklung der Quantenmechanik die zweite große Revolution in der Geschichte der Physik. Im Unterschied zu allen früheren Theorien entwarf die Quantentheorie(3) kein physikalisches Modell, das seinen Platz innerhalb des klassischen Ordnungsrahmens hatte; vielmehr verwarf sie diesen Rahmen und ersetzte ihn durch etwas gänzlich anderes.
Das grundlegend Neue der Quantenmechanik – das, was sie von ihrem klassischen Vorgänger unverkennbar unterscheidet – hat mit der Frage zu tun, was es bedeutet, etwas an einem Quantensystem(2) zu messen. Was genau das ist, eine Messung, und was geschieht, wenn wir etwas messen, und was uns das alles darüber sagt, was hinter den Kulissen geschieht: Diese Fragen bilden zusammen das sogenannte Messproblem der Quantenmechanik(1). Wie man es lösen kann, darüber besteht keine Einigkeit, weder in der Physik noch in der Philosophie. Es gibt jedoch eine Reihe vielversprechender Ideen.
Versuche, das Messproblem(2) zu lösen, haben zur Entstehung des Teilgebiets der sogenannten Interpretation der Quantenmechanik(1) geführt, wobei die Bezeichnung recht ungenau ist. »Interpretationen« können wir an ein Werk der Literatur oder der bildenden Kunst herantragen, also an etwas, worüber Menschen verschiedener Auffassung sein können. In der Quantenmechanik haben wir es aber mit etwas anderem zu tun: mit einem Wettstreit zwischen ganz verschiedenen wissenschaftlichen Theorien, miteinander unvereinbaren Weisen, sich auf die physische Welt einen Reim zu machen. Aus diesem Grund sprechen heutige Forscher auf diesem Gebiet lieber von den »Grundlagen der Quantenmechanik«. Deren Gegenstand ist Teil der Naturwissenschaft, nicht der Literaturkritik.
Niemand hat je das Bedürfnis gehabt, über »Interpretationen der klassischen Mechanik(9)« zu sprechen, da diese vollkommen transparent ist. Es gibt einen mathematischen Formalismus, bei dem es um Positionen und Geschwindigkeiten(11) und Bahnen geht – und siehe da, es gibt einen Stein, dessen Bewegung in der Welt den Berechnungen dieses Formalismus entspricht. Was es nicht gibt in der klassischen Mechanik(10), ist ein Messproblem. Der Zustand des Systems wird durch seine Position und seine Geschwindigkeit(12) bestimmt, und wenn wir diese Größen messen wollen, dann tun wir das einfach. Natürlich können wir schlampig oder grob messen, dann erhalten wir ungenaue Ergebnisse oder verändern das System sogar. Aber das muss nicht sein; wir brauchen nur sorgfältig vorzugehen und können dann alles, was es über das System zu wissen gibt, genau messen, ohne es spürbar zu verändern. In der klassischen Mechanik(11) gibt es eine klare und eindeutige Beziehung zwischen dem, was wir sehen, und dem, was die Theorie beschreibt.
In der Quantenmechanik gibt es trotz all ihrer Erfolge nichts dergleichen. Das Rätsel im Herzen der Quantenrealität lässt sich in einem simplen Satz zusammenfassen: Was wir sehen, wenn wir die Welt betrachten, scheint sich fundamental von dem zu unterscheiden, was ist.
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Denken Sie an Elektronen(1), jene Elementarteilchen, die Atomkerne umkreisen und deren Interaktionen für die gesamte Chemie und damit für fast alles verantwortlich sind, was in diesem Augenblick um Sie herum für Sie von Interesse ist. Wie beim Stein können wir einige Eigenschaften des Elektrons(2) ignorieren, wie seinen Spin(1) und die Tatsache, dass es ein elektrisches Feld(1) hat. (Wir könnten auch bei dem Stein als Beispiel bleiben, da Steine ebenso Quantensysteme sind, wie Elektronen(3) dies sind – aber der Wechsel zu einem subatomaren Teilchen hilft uns, im Gedächtnis zu behalten, dass die Eigenschaften der Quantenmechanik erst dann sichtbar werden, wenn wir sehr kleine Objekte betrachten.)
Im Vergleich zur klassischen Mechanik(12), in welcher der Zustand eines Systems durch dessen Position und Geschwindigkeit(13) beschrieben wird, ist die Natur eines Quantensystems etwas nicht ganz so Konkretes. Stellen Sie sich ein Elektron(4), das einen Atomkern umkreist, in seiner natürlichen Umgebung vor. Sowohl das Wort »Orbit«, Umlaufbahn, als auch die zahlreichen Zeichnungen von Atomen, die Sie im Laufe Ihres Lebens zweifellos gesehen haben, lassen Sie vielleicht annehmen, dass die Bahn eines Elektrons(5) mehr oder minder der Bahn eines Planeten im Sonnensystem gleiche. Das Elektron(6), so glauben Sie vielleicht, hat eine Position und eine Geschwindigkeit(14) und schwirrt im Zeitverlauf auf einer Bahn, welche die Form eines Kreises oder einer Ellipse hat, um den Kern in der Mitte herum.
Doch die Quantenmechanik lässt uns etwas anderes annehmen. Wir können die Position und die Geschwindigkeit(15) messen (wenn auch nicht gleichzeitig), und wenn wir sorgfältige und begabte Experimentatoren sind, werden wir Werte erhalten. Aber wir erfahren durch eine solche Messung nicht den tatsächlichen, vollständigen, unverschleierten Zustand des Elektrons(7). Vielmehr kann das Messergebnis, das wir erhalten werden, abweichend von den Vorstellungen der klassischen Mechanik(13) nicht mit völliger Gewissheit vorausgesagt werden. Wir können höchstens die Wahrscheinlichkeit(2) berechnen, dass das Elektron(8) an einer bestimmten Stelle zu finden oder mit einer bestimmten Geschwindigkeit(16) unterwegs ist.
Die klassische Vorstellung vom Zustand eines Teilchens, »Position und Geschwindigkeit(17)«, wird in der Quantenmechanik also durch etwas ersetzt, das unserer Alltagserfahrung völlig fremd ist: durch eine Wolke von Wahrscheinlichkeit(1). Für ein Elektron(9) in einem Atom(2) ist diese Wolke zum Zentrum hin dichter und mit zunehmender Entfernung vom Zentrum dünner. Wo die Wolke(2) die größte Dichte hat, ist die Wahrscheinlichkeit(3), das Elektron(10) zu finden, am größten; wo sie so dünn ist, dass sie fast nicht wahrnehmbar ist, ist die Wahrscheinlichkeit(4), das Elektron(11) zu sehen, verschwindend gering(3).
Diese Wolke wird oft Wellenfunktion genannt, da sich das wahrscheinlichste Messergebnis im Zeitverlauf ändert und die Wolke folglich wie eine Welle schwingt. Wir bezeichnen eine Wellenfunktion gewöhnlich mit Ψ, dem griechischen Buchstaben Psi. Jedem möglichen Messergebnis, etwa der Position des Teilchens, weist die Wellenfunktion eine bestimmte Zahl zu, die als die diesem Ergebnis zugeordnete Amplitude(1) bezeichnet wird. Die Amplitude(2), dass sich ein Teilchen beispielsweise an einer Position x0 befindet, würde als Ψ(x0) notiert.
Die Wahrscheinlichkeit(5), dass wir dieses Ergebnis erhalten, wenn wir eine Messung durchführen, wird als Amplitude(3) hoch zwei notiert.
Wahrscheinlichkeit(6) eines bestimmten Ergebnisses = |Amplitude(4) für dieses Ergebnis|2
Diese einfache Beziehung bezeichnet man nach dem Physiker Max Born(1) als Bornsche Regel(1).[1] Ein Teil unserer Aufgabe wird es sein, zu verstehen, wie es zu dieser Regel kam.
Ich sage nicht, dass es ein Elektron(12) mit einer bestimmten Position und Geschwindigkeit(18) gebe, dass wir aber nicht wüssten, welches diese Position sei und welches diese Geschwindigkeit(19); die Wellenfunktion steht also für unsere Unwissenheit in Bezug auf diese Größen. Ich sage in diesem Kapitel nichts darüber, was »ist«, sondern nur, was wir beobachten. In späteren Kapiteln werde ich gewissermaßen mit der Faust auf den Tisch hauen und darauf bestehen, dass die Wellenfunktion die ganze Wirklichkeit ist und dass Vorstellungen wie die Position oder die Geschwindigkeit(20) des Elektrons(13) nur etwas sind, das wir messen können. Aber nicht jeder sieht die Dinge so, und so lege ich mir einstweilen lieber eine Maske der Unparteilichkeit an.
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Stellen wir die Gesetze der klassischen und der Quantenmechanik einander gegenüber, um sie zu vergleichen. Der Zustand eines klassischen Systems wird durch Position und Geschwindigkeit(21) jedes seiner beweglichen Teile bestimmt. Um seine Entwicklung zu verfolgen, stellen wir uns so etwas wie das folgende Verfahren vor:
Gesetze der klassischen Mechanik(14)
Etablieren Sie das System, indem Sie für jeden Teil eine bestimmte Position und Geschwindigkeit(22) festlegen.
Lassen Sie das System sich gemäß den Newtonschen Bewegungsgesetzen(1) weiterentwickeln.
Das ist alles. Der Teufel steckt selbstverständlich im Detail. Klassische Systeme können aus vielen beweglichen Teilen bestehen.
Im Unterschied dazu bestehen die Gesetze der Standard-Lehrbuch-Quantenmechanik aus zwei Teilen. Im ersten Teil haben wir einen Aufbau, der genau dem des klassischen Falles entspricht. Quantensysteme werden allerdings durch Wellenfunktionen, nicht durch Positionen und Geschwindigkeiten(23) beschrieben. Während in der klassischen Mechanik(15) Newtons(7) Bewegungsgesetze(2) die Entwicklung des Zustands eines Systems bestimmen, gibt es in der Quantenmechanik eine Gleichung – die sogenannte Schrödinger(2)-Gleichung(1) –, mit der sich errechnen lässt, wie sich Wellenfunktionen entwickeln. Wir können die Schrödinger-Gleichung(2) in Worten so formulieren: »Die Änderungsrate einer Wellenfunktion ist proportional der Energie des Quantensystems.« Genauer gesagt, kann eine Wellenfunktion eine Anzahl verschiedener möglicher Energien repräsentieren, und die Schrödinger-Gleichung(3) besagt, dass energiereiche Teile der Wellenfunktion sich schnell, energiearme Teile sich dagegen sehr langsam entwickeln. Was einleuchtet, wenn wir darüber nachdenken.
Für unsere Zwecke ist es einfach wichtig, dass es eine solche Gleichung gibt, mit der sich berechnen lässt, wie sich Wellenfunktionen im Zeitverlauf gleichmäßig entwickeln. Diese Entwicklung ist so vorhersehbar und unvermeidlich wie in der klassischen Mechanik(16) die Bewegung von Objekten gemäß den Newtonschen Gesetzen. Dabei geschieht noch nichts Gespenstisches.
Der Anfang des Quantenrezepts lautet in etwa so:
Gesetze der Quantenmechanik (erster Teil)
Etablieren Sie das System, indem Sie eine bestimmte Wellenfunktion festlegen.
Lassen Sie das System sich gemäß der Schrödinger(3)-Gleichung(4) weiterentwickeln.
So weit, so gut – diese Teile der Quantenmechanik entsprechen genau ihren klassischen Vorläufern. Aber während die Gesetze der klassischen Mechanik(17) damit ein Ende finden, gibt es in der Quantenmechanik weitere.
Alle zusätzlichen Gesetze beziehen sich auf das Messen. Wenn man etwas misst, zum Beispiel die Position oder den Spin(2) eines Teilchens, dann gibt es, sagt die Quantenmechanik, nur bestimmte Ergebnisse, die man erhalten kann. Man kann nicht voraussagen, welches Ergebnis man erhalten wird, man kann aber die Wahrscheinlichkeit(7) jedes möglichen Ergebnisses berechnen. Und wenn man die Messung abgeschlossen hat, kollabiert(1) die Wellenfunktion zu einer ganz anderen Funktion, bei der sich alle neuen Wahrscheinlichkeiten(8) auf das Ergebnis beziehen, das man gerade erhalten hat. Wenn man also ein Quantensystem(3) misst, kann man im Allgemeinen bestenfalls die Wahrscheinlichkeiten(9) verschiedener Ergebnisse berechnen; und würde man dieselbe Größe gleich wieder messen, so würde man immer dasselbe Ergebnis erhalten, da die Wellenfunktion auf dieses Ergebnis kollabiert(2) wäre.
Formulieren wir das Punkt für Punkt:
Gesetze der Quantenmechanik (zweiter Teil)