Impressum
Herstellung und Verlag
BoD – Books on Demand GmbH Norderstedt
ISBN 9 783746 050584
Nachdruck und Verbreitung unter Angabe der Quelle ausdrücklich erwünscht
Alle Fotos – ausser denen der Tagungen Médiamorphose 1 & 2 - und Zeichnungen von Robert Soisson, wenn nicht anders vermerkt
Das Foto der Titelseite stammt aus dem Internet:
https://www.google.lu/search?q=Medienerziehung+Bilder, Autor unbekannt
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1 Zeichnung von Robert Soisson 2002
„Der Begriff „Echternacher Springprozession“ wird im Sinne der Form des „drei Schritte vor, zwei zurück“ für besonders mühsame Prozesse verwendet, bei denen viele Rückschritte zu verzeichnen sind.“2 Adorno bemerkte: Die Echternacher Springprozession ist nicht der Gang des Weltgeistes (Minima Moralia, S. 165). Dass es die Luxemburger Politik nicht so sehr mit dem Weltgeist hat und lieber (außer in Geldangelegenheiten) ihre eigenen Wege geht, zeigt sie in den Domänen, welche in dieser kleinen Buchreihe thematisiert werden. Der Begriff Syndrom stammt aus der Medizin: „Typisch für ein Syndrom ist ein wiederkehrendes Muster von Symptomen, das sich bei verschiedenen Patienten in ähnlicher Form zeigt und deren Ursachen sich auf eine einzige Krankheit zurückführen lassen und nicht auf eine Vielzahl verschiedener Krankheiten, die beim Patienten zufällig zusammen auftreten. … In der Soziologie wird eine Gruppe von Merkmalen oder Faktoren, deren gemeinsames Auftreten einen bestimmten Zusammenhang oder Zustand anzeigt, ebenfalls als Syndrom bezeichnet. 3“
Die Texte setzen sich zusammen aus Artikeln, die ich in den letzten Jahrzehnten geschrieben habe und die in verschiedenen Publikationen veröffentlicht wurden. Dazu kommen Zeichnungen, die ebenfalls von mir stammen und oft als Illustrationen für diese Artikel gedacht waren.
Im Laufe meiner beruflichen Laufbahn als Psychologe im Schulbetrieb und meinen ehrenamtlichen Aktivitäten in einigen nationalen und internationalen Vereinigungen während den letzten 40 Jahren habe ich zu verschiedenen Themen Artikel veröffentlicht und Konferenzen gehalten, die ich in 5 Bereiche aufgeteilt habe und zu denen jeweils ein Buch erscheinen wird:
Thematisch geht es um Angelegenheiten, welche die Kinder in diesem Lande – und darüber hinaus – betreffen. Es geht um ihre Rechte und um ihre Würde. Das was mit unseren Kindern geschieht würde ich ohne Übertreibung als ein Verbrechen an der Menschlichkeit betrachten. Nicht in dem Sinne wie der Ausdruck in letzter Zeit immer häufiger angesichts der schrecklichen kriegerischen Auseinandersetzungen und humanitären Katastrophen gebraucht wird, wo Kinder Tod, Folter, Hunger und Vertreibung erleben. Hier geht es vielmehr um die Zerstörung der Persönlichkeit des Kindes auf dem Altar der sogenannten Erziehung.
Trotz der Ratifizierung der Internationalen Konvention über die Rechte des Kindes durch den Luxemburger Staat ist die Konvention immer noch nicht zufriedenstellend umgesetzt. Besonders die politischen Rechte von Kindern und Jugendlichen sowie die der benachteiligten Gruppen unter ihnen werden vernachlässigt. (Band 1)
Die Schulpolitik berücksichtigt ausschließlich die Interessen der Lehrer. Eine kindorientierte, humane Schule wurde nie aufgebaut und die schwächsten Kinder erleben täglich einen entwürdigenden und frustrierenden Alltag. (Band 2)
Jeder wundert sich darüber, dass Menschen Trump wählen, für den Brexit stimmen den Populisten auf den Leim gehen und sich wegen eines Fußballspieles den Schädel einschlagen. Eine vernünftige Medienerziehung gibt es aber in unseren Schulen nicht. Stattdessen bekommen private Trash-Sender Geld in den Hintern geblasen. (Band 3) Trotz vieler kurzlebiger Initiativen haben es die Maßnahmen der Fremdunterbringung nie zu einem kohärenten, zukunftsfähigen Modell gebracht. Auch hier verhindern widerstreitende Interessen wirklichen Fortschritt. Desolat ist in diesem Zusammenhang die Politik der geschlossenen Unterbringung (Band 4)
Der letzte Band dieser Reihe ist Fragen der allgemeinen Politik und der Familienpolitik gewidmet wo sich das Echternach-Syndrom auch voll auswirkt. (Band 5)
Aufgelockert werden die Texte durch Zeichnungen, die ebenfalls aus meiner Feder stammen.
Jedes Buch wird mit einem ein Vorwort eingeleitet, welches das Thema aus einer aktuellen Perspektive beschreibt und wird mit einem Sach- und Namenregister abgeschlossen.
Die einzelnen Artikel werden in der Regel im Original widergegeben, nur irrelevante Passagen werden gelegentlich weggelassen. Eine kurze Einleitung setzt den Artikel in seinen „historischen“ Kontext. Die meisten Texte sind in deutscher Sprache verfasst, einige aber auch in Französisch, Englisch und Luxemburgisch.
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Echternacher_Springprozession
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Syndrom
Von 1999 bis 2012 war ich Mitglied des „Conseil National des Programmes“. Der CNP wurde geschaffen durch das Gesetz vom 27 Juli 1991 über die elektronischen Medien. Ich war ab 1996 Präsident der „Coalition Nationale pour les Droits de l’Enfant » und wurde als solcher auf Vorschlag des damaligen Sekretärs des CNP, Jeannot Kugener, aufgenommen. Neben allerlei Vertretern der « forces vives de la nation » (Parterien, Gewerkschaften, Berufskammern usw.) sollte ich mich hier für die Wahrung der Kinderrechte im Medienbereich einsetzen. Das schien mir auch sinnvoll, denn in Sachen Medienerziehung war bis dahin im Ländchen herzlich wenig geschehen.
Das Sekretariat des CNP wurde vom „Service des Médias“ des Staatsministeriums geführt. Darin lag ein Widerspruch, denn der CNP sollte ja eigentlich die Politik der Regierung in Sachen elektronische Medien (zumindest Teilbereiche davon) kontrollieren und eine der Hauptforderungen des CNP in dieser Zeit war die Einrichtung eines unabhängigen Sekretariats. Das wurde dann auch 2002 erreicht und der Sitz des Sekretariats von der „Maison Cassal“ in einen Raum im Gebäude der Handwerkerkammer auf Kirchberg verlegt.
Da der Bereich der elektronischen Medien sich unheimlich schnell entwickelte, musste das Gesetz von 1991 mehrmals angepasst werden, auch in Folge europäischer Richtlinien wie „Télévision sans Frontières“. Minister François Biltgen legte damals einen Gesetzentwurf vor, der eine neue Organisation für den Medienbereich vorsah, die „ARI“ (Autorité de Régulation Indépendante), welche etwas Ordnung in dem wild gewachsenen Medienbereich schaffen sollte. Beunruhigt über die Zukunftspläne der Regierung, besonders was die Rolle des CNP anbelangt, initiierte der damalige Präsident, Walter de Toffol, ein Seminar in Mondorf, „Médiamorphose“, das großzügig von der Regierung unterstützt wurde. Auf meinen Vorschlag hin, sollte sich eine der drei geplanten Arbeitsgruppen mit dem Thema „Medienerziehung“ beschäftigen.
Was dann auch geschah. Dieses Buch besteht zum größten Teil aus den Protokollen von „Médiamorphose 1“ und „Médiamorphose 2“, wobei das erste Seminar teilweise und das 2. ganz dem Thema Medienerziehung gewidmet war.
Bei der aufmerksamen Lektüre der Protokolle fällt auf mit welchem Desinteresse die Unterrichtsministerin Anne Brasseur diese Diskussionen verfolgte: Zweimal schickte sie den ebenso desinteressierten wie uninformierten Staatsbeamten Edmond Ries, der getreu seiner Zurückhaltungspflicht nur im Sinne von „la voix de son maître“ zu behaupten wagte, Medienerziehung habe es im Luxemburger Schulwesen schon immer gegeben. Falle es davon nicht genug gäbe, sei dies nur eine Folge unserer Mehrsprachigkeit, um die uns unsere Nachbarn doch so beneideten.4
Diese Legende, nach der Luxemburger Primaner (und nur sie) geniale Fähigkeiten im „language shifting“ besäßen mag zutreffen für Biertischgespräche und allenfalls amateurhafte Übersetzertätigkeiten auf Urlaubsinseln. Wenn aber auch nur ephemere Kenntnisse in irgendeinem Fachjargon erfordert sind, müssen unsere Primaner die Waffen strecken. Heute brauchen sie das auch nicht mehr, dank der multiplen Übersetzungswerkzeuge die jedes Smartphone anbietet.
Jahrelang wurde aber das Lernpotential unserer Gymnasiasten durch ebenso dämlichen wie überflüssigen Sprachenunterricht blockiert durch dämliche und überflüssige Lehrer, die sich darauf beschränkten, während einem oder mehr Trimester dämliche und überflüssige Bücher ihren Schülern während 20 oder 30 Jahren vorzulesen, und ihnen als Prüfungsaufgaben dämliche und überflüssige Fragen zu stellen und ihnen daraufhin eine dämliche und überflüssige Bewertungsnote zu erteilen. Ich denke noch mit Schrecken an den Roman „The Bridges of Toko-Ri“, den wir Schüler als Gegner des Vietnam-Krieges über uns ergehen lassen mussten. Als einem Schüler das Buch des Englischlehrers, aus dem er uns Stunde für Stunde vorlas oder uns vorlesen ließ (Höhepunkt der damaligen „Secondaires“-Didaktik), in die Hände fiel, bemerkt er eine Passage, wo der gedächtnisschwache Lehrer eine Randbemerkung notiert hatte: „Laugh here!“.
Aus den Protokollen der Seminare geht hervor, dass Herr Ries ebenso überflüssig auf diesen Veranstaltungen war wie seine Ministerin. Er versteckte sich immer hinter den Erfordernissen der „Horreurs et prorammes“, das Werkzeug mit dem Generationen von Erziehungsministern jeden Fortschritt in unserem Schulsystem abwürgten. Als ob es nicht anders gehe: Unsere hochausgebildeten Spitzenverdiener5 im Luxemburger Schulwesen haben so wenig Innovationsgeist, dass sie nur in streng geregelten Referenzrahmen ihr „Wissen“ weiterreichen können. Dass hier im Neuland wie der Medienerziehung äußerste Verunsicherung herrscht wundert es kaum, dass sofort der Wunsch nach einem Programm, speziell ausgebildeten Lehrern, einer neuen Sektion und was dergleich noch mehr laut wird. Alles in der Absicht, Medienerziehung weit von sich zu weisen und ein neues „Fach“ zu schaffen. Da die damalige Ministerin dieses Vorhaben jedoch weit von sich wies, war ihr Stellvertreter doch noch so schlau, den transversalen Charakter der Medienerziehung hervorzuheben und damit – angesichts des Schubladendenkens unserer Lehrer – in eine weite Zukunft zu verlegen. Wer kennt nicht die idiotischen Grabenkämpfe zwischen den „Fachlehrerverbänden“ (Deutsch, Französisch, Englisch, Mathe usw.), wenn es darum geht, Stundenpläne zugunsten des einen oder anderen umzugestalten.
Was auch aus den Protokollen hervorgeht, ist dass es überhaupt keine Aus- und Fortbildung im Bereich Medienerziehung gab und noch gibt. Nachdem wir auf unseren Seminaren gute Kontakte zu (deutschen) Anstalten und Einrichtungen geknüpft hatten, die sich in diesem Bereich spezialisiert hatten, versuchten wir, mit Hilfe des SCRIPT (Pascale Petri) Weiterbildungskurse in Luxemburg zu organisieren. Das Angebot war reichhaltig und interessant, doch die Einschreibungen so gering, dass das Projekt nach einem Jahr wieder fallen gelassen wurde.
Ein Lehrer, den ich sehr bewunderte, weil er in seiner Klasse erfolgreich (1. & 2. Schuljahr) versuchte, das Schreiben- und Lesenlernen mit Hilfe von PCs zu unterstützen wurde, wie das sooft geschieht, vom Ministerium geangelt um dort an der Ausarbeitung von neuen Programmen mitzuarbeiten. Kommt jedoch ein neuer Minister, werden diese Leute auf ein totes Gleis abgeschoben. So geschah es Gérard Gretsch, der zu einer „Task Force“ gehörte, die ein Konzept zur Medienerziehung ausgearbeitet hatte. 7 Jahre arbeitete er im Ministerium; das Projekt verschwand schließlich in der „untersten Schublade“. „Einfliegen, Staub aufwirbeln und wieder abhauen. Das ist die Philosophie“, so Gérard Gretsch in diesem Buch: Management by helicopter nennt er das. So werden kreative Leute im Ministerium herausgeekelt. Aber den „Ries & Co“. ist das egal.
Richard Swetenham (auch in diesem Protokoll) wusste gar zu berichten, dass seine Kinder als Technologieassistenten für die Lehrer fungieren mussten, so gut waren letztere ausgebildet.
Als Vertreter der Nationalen Koalition für die Rechte des Kindes wurde ich gebeten, den CNP auf einer Konferenz in Stockholm zu vertreten. Diese war organisiert von der schwedischen „Présidence“ und es ging um die Rolle der Kinder in den Medien: Kinderprogramme, Werbung, Jugendschutz usw. Ein Thema war u.a. die Rolle der Kinder in der Werbung. Schweden war damals für ein Verbot der Werbung für Artikel, die Kinder ansprechen und auch für ein Verbot von dem Einsatz von Kindern in der Werbung. Als ich mein Flugticket im „Service des Médias“ abholte, wurde mir gesagt: „Und dass Sie es wissen. Luxemburg ist gegen diese Verbote!“. Von wegen Unabhängigkeit des CNP ….
Auf der Konferenz selber gab es ziemlich peinliche Ausrutscher der privaten TV Anstalten und -Produzenten. Ich habe ausführlich darüber im „Forum“ berichtet. (Kinder und Jugendliche in der neuen Medienlandschaft). Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, dass Erwachsene wohl auch einer wie immer gearteten Medienerziehung bedürften. Wieso sollten diese eifrigen Konsumenten von den schlimmsten Trash-TV-Produkten es fertigbringen, ihren Nachwuchs zu kritischen Medienkonsumenten zu erziehen? Geschweige denn. ihn davon abzuhalten, sich kinderschädliche Programme anzusehen?
Von da aus war es nur ein kleiner Schritt zum Thema „Signalétique“. Ist ein kleines rotes Rechteck oben links auf dem Fernsehbildschirm ein Warnsignal für nicht kindgerechte Programme oder – im Gegenteil – eine Einladung für die Kids, sich diese Filme dann erst recht anzusehen? Nun gibt es in vielen Ländern dieser Welt Systeme zur Kennzeichnung problematischer Inhalte für Filme und Videospiele. Bekannt hierzulande ist die „Freiwillige Selbstkontrolle“ in Deutschland (FSK) und im Videospielebereich auch PEGI ((Pan-European Game Information).
Wie das sich so ergibt, war ich durch die Teilnahme an den Schoolnet-und Games in Schools-Konferenzen plötzlich auch bei PEGI gelandet. Immer dieselbe Feststellung: „Wir haben noch keinen Vertreter Luxemburgs in unserer Organisation“. PEGI wird sehr stark von der Spieleindustrie dominiert aber das Kennzeichnungssystem, das auf jeder Videospielkassette gut sichtbar ist, gehört zu den besten auf der Welt. Nicht nur werden Alterskategorien festgelegt, sondern auch inhaltliche Hinweise auf Gewalt, vulgäre Sprache, Sex, angsterregende Szenen, Diskriminierung, Drogenkonsum, Glücksspiel usw. Auf den internationalen Treffen von PEGI werden diese Hinweise für den Konsumenten beständig aktualisiert und verfeinert. In Holland werden alle Neuerscheinungen von dem NICAM (Nederlands Instituut voor de Classificatie van audiovisuelle Media) begutachtet. Nähere Informationen zu PEGI6 auf der Webseite http://www.pegi.info.
Die Webseite der Nachfolgeorganisation des CNP, die ALIA (http://www.alia.lu) ist sowas von dürftig, dass es einem schon leidtun kann. Wahrscheinlich wurde sie zum letzten Mal 2014 aktualisiert und wenn man Menus anklickt geschieht rein gar nichts. Wahrscheinlich ist das Personal von der ALIA wie schon zu meiner Zeit im Dauerstress. Vor Jahren verbrachten sie ihre Zeit damit, nationale und internationale Zeitungen zu lesen, alles herauszuschnipseln, was mit Medienpolitik zu tun hatte und den Mitgliedern des CNP eine „Presserevue“ zu kopieren, die niemand las, die aber 50 Seiten und mehr umfassen konnte. Ein Audit wäre hier dringend notwendig gewesen!
In diesem Zusammenhang veröffentliche ich auch einen offenen Brief an die Mitglieder des CNP, den ich 2012 an sie gerichtet hatte um zu zeigen, welch hinterhältige Methoden manchmal auch im Bereich der ehrenamtlichen Arbeit zur Anwendung kommen.
Ich bin schon auf die Trägheit und Phantasielosigkeit des Erziehungsministeriums eingegangen. Mehr durch Zufall erreichte mich die Nachricht, dass Maddy Delvaux immerhin schon mal einen ausländischen Experten angeheuert hatte, um ein Konzept für Medienerziehung an Luxemburger Schulen zu präsentieren. (Wenn Ministerien eine Angelegenheit auf die lange Bank schieben möchten, setzen sie entweder eine Arbeitsgruppe ein oder heuern einen ausländischen Experten an.) Diesmal musste Gerhard Tulodziecky7 von der Universität Paderborn dran glauben. Sein Vortrag, den er bei einer anderen Gelegenheit in Deutschland präsentierte geisterte jahrelang im Internet herum und ich glaube, er war auch einmal in Luxemburg, um seine Ideen vorzutragen. Ich habe den Text im Anhang zu diesem Buch wiedergegeben. Seine Vorstellungen über Medienerziehung entsprechen zu 100 % den Meinen; leider wurde der Text nicht in die Praxis umgesetzt.
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Ein kleiner Lichtblick in dem traurigen Kapitel der Medienerziehung in Luxemburg ist die Masterarbeit von Sarah Stefan zum Thema „Medienerziehung im Luxemburger Schulsystem“ die man sich bei der Bibliothèque Nationale – wo Sarah auch arbeitet -ansehen oder ausleihen kann. Im Anhang publiziere ich die Schlussfolgerungen aus dieser Arbeit.
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4 Bei den Originaltexten der Protokolle taucht öfters die Bemerkung auf: „Pas enrégistré faute de micro“. Das war meistens der Fall, wenn Leute aus dem Publikum nicht ins Mikrophon sprachen. Das kommt leider auf solchen Konferenzen immer wieder vor, leistet dem Ganzen aber keinen Abbruch. Vielmehr möchte ich nachträglich hier den Personen danken, die die ganzen Gespräche aufgenommen und zu Papier gebracht haben.
5 https://data.oecd.org/eduresource/teachers-salaries.htm (weit über 110.000 $ im Jahr bei unvermidert katastrophalen PISA-Resultaten)
6 Luxemburg ist z.Z. im Verwaltungsrat durch die Nachfolgeorganisation des CNP, das ALIA (Autorité Luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel) vertreten.
7 http://dbbm.fwu.de/semik/publikationen/downloads/tulo_vortrag.pdf
8 Mai 2005: Besuch des CNP bei der Landesmedienanstalt in Düssseldorf
9 Mai 2005: Besuch des CNP bei der Landesmedienanstalt in Düssseldorf
Spiele, Pornographie, Wahrnehmung10
Robert Soisson, Psychologe, Mitglied des „Conseil national des Programmes“ als Vertreter der Nationalen Koalition für die Rechte des Kindes
Welchen Einfluss haben die Neuen Medien auf unsere Kinder? Diese Frage stellen sich immer mehr Eltern, Lehrer, Politiker, Experten. Gibt es gesicherte Ergebnisse aus der Forschung? Hat der Umgang mit diesen Medien einen direkten Einfluss auf gewalttätiges Verhalten von Kindern und Jugendlichen?
Dieser Artikel versucht, den letzten Stand der Diskussionen um dieses Thema wiederzugeben. Das geschieht aus drei Gründen:
Über 200 Teilnehmer aus den EU-Mitgliedsstaaten und den Ländern, die der EU beitreten möchten, aus der Medienindustrie, Regierungsstellen und NGOs hatten sich in Stockholm eingefunden um zu diskutieren vor was Kinder beschützt werden sollten, warum und wie diese Schutzmaßnahmen realisiert werden können und wer verantwortlich ist für ihre Umsetzung.13
Die Konferenz wurde durch die schwedische Kultusministerin Marita ULVSKOG eröffnet und durch ein Referat von Cecilia VON FEILITZEN eingeleitet. Die Referentin arbeitet in dem oben beschriebenen „Clearinghouse“ und ist Mitherausgeber des weiter unten besprochenen Jahrbuchs über Kinder und neue Medien. Zwei Schulklassen mit 11-jährigen Kindern hatten eine kleine Show vorbereitet in der sie ihre Haltung gegenüber den Neuen Medien deutlich machten.
Drei Arbeitsgruppen diskutierten folgende Themen:
1.1Schutz der Kinder vor schädlichen Inhalten im Internet sowie in Computer- und Videospielen
Alle Teilnehmer waren sich einig, dass es Schutzmaßnahmen geben muss. Diskutiert wurden technische Hilfsmittel wie Klassifizierungs- und Filtermethoden, Aufklärungskampagnen und Medienerziehung. Die Verantwortung von Eltern, Regierungen, Internet Serviceanbietern und Medienproduzenten wurden angesprochen. Ein einheitliches europäisches Bewertungssystem wurde gefordert.
1.2Schutz der Kinder vor schädlichen Inhalten im digitalen und globalen Fernsehen
Angesichts beträchtlicher kultureller Unterschiede bei der Einschätzung der Schädlichkeit von bestimmten Inhalten wurde ein europaweites, differenziertes und wertneutrales Beschreibungssystem gefordert, um Altersgrenzen empfehlen zu können.
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Sehr viel Wert wurde auf qualitativ hochwertige Kinderprogramme gelegt. Die Vertreter von öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wurden dabei heftig von einer Vertreterin einer privaten TV-Kette angegriffen: Kinder wollten sich beim Fernsehen nur unterhalten („They just want to have fun!“) anstatt sich Filme über Randgruppen oder alltägliche Lebensprobleme anzusehen. Die Last der Verantwortung beim Schutz der Kinder darf nicht allein den Eltern aufgebürdet werden: Die Programmveranstalter müssen sie ebenso tragen.
1.3Das Problem der Werbung, die sich direkt an Kinder adressiert
Hier prallten zwei Meinungen aufeinander: Auf der einen Seite die Teilnehmer, die finden, dass Kinder noch nicht die Fähigkeit haben, die Absichten der Werbung zu durchschauen und auf der anderen Seite die Teilnehmer, die meinten, die Werbeeinnehmen seien notwendig, um gute Kinderprogramme zu gestalten. Außerdem würden Kinder so auf „real-life“-Situationen vorbereitet.
(Diese Haltung vertritt auch die Luxemburger Regierung, wie mir vor meiner Reise nach Stockholm mitgeteilt wurde)
Schlussfolgerungen der schwedischen Präsidentschaft
Durch die rasante Entwicklung der Medienlandschaft sind neue Probleme entstanden. Kinder werden zunehmend schädlichen Einflüssen ausgesetzt. Welche Einflüsse das sein können hängt von kulturellen Faktoren ab. Wie die Kinder beschützt werden können hängt von der Art und Weise ab, wie der Zugang zu den verschiedenen Medien möglich ist. Der Trend geht in die Richtung der Entwicklung von sicheren Filtersystemen. Noch wichtiger aber sei die Notwendigkeit, gute Kinderprogramme zu produzieren und Kinder durch Medienerziehung zu kritischen Konsumenten zu erziehen. Medienerziehung sollte Bestandteil der regulären Schulausbildung sein. Eltern sollten besser und gezielter über Programminhalte informiert werden, die Konsumenten sollten gestärkt werden („empowering the consumers“). Kinder sollten beim Fernsehen darauf aufmerksam gemacht werden, dass eine Werbesendung stattfindet. Über die Notwendigkeit von Werbesendungen im Kinderfernsehen klafften die Meinungen weit auseinander. Die Schwedische Präsidentschaft hofft, dass die Diskussionen des Seminars die Gestaltung der EU-Richtlinie über Fernsehen ohne Grenzen sowie die Empfehlung zum Schutz der Kinder und der Menschenwürde im „Internet Action Plan“ günstig beeinflussen.
Viele Erwachsene, Eltern, Pädagogen und andere Personen, die mit Kindern in Kontakt sind, kennen das Phänomen der Videound Computerspiele, kennen auch mehr oder weniger die Möglichkeiten des Internets, aber das alles oft nur recht oberflächlich. Es fehlt an Zeit und an zuverlässlichen Informationen über diese Spiele, damit z.B. Eltern den Zugang ihrer Kinder zu potentiell schädlichen Inhalten regeln können. Aber auch Leute, die professionell mit Kindern zu tun haben, wissen oft nicht besser Bescheid. Deshalb versuche ich hier, die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Jahrbuch der oben erwähnten UNESCO-Einrichtung zusammenzufassen.
In den einleitenden Artikeln des Yearbooks stellen Ulla Carlsson und Cecilia von Feilitzen fest, dass mit der explosionsartigen Ausbreitung der Neuen Medien in den letzten 15 Jahren immer mehr Fragen über ihren Einfluss auf die psychologische und soziale Entwicklung des Kindes gestellt werden. Immer mehr Kinder haben Zugang zu Medieninhalten, die an ein erwachsenes Publikum gerichtet sind. Der vielgepriesene unbeschränkte Zugang zur „Information“ bringt es mit sich, dass neue Ängste entstehen über die weltweite Verbreitung einer Einheitskultur, von Gewalt strotzender Unterhaltung, Pornographie, sexistischer, rassistischer und fremdenfeindlicher Inhalte.
Optimisten sehen in der Entwicklung der Neuen Medien Entwicklungschancen für Kinder und Jugendliche während die Pessimisten nur Gefahren wittern: Immer mehr Bereitschaft, Gewalt als Mittel zur Lösung von Problemen zu akzeptieren, Desensibilisierung gegenüber dem Gebrauch von Gewalt, gesteigerte Aggressivität, Abhängigkeit vom Medienkonsum, soziale Isolation, Verzicht auf außerschulische Aktivitäten, bis hin zu gesundheitlichen und kognitiv-emotionalen Schädigungen.
Den Einfluss der Neuen Medien auf Kinder und Jugendliche wissenschaftlich zu untersuchen ist schwierig:
In den meisten industrialisierten Ländern haben 80% der Kinder im Primärschulalter mindestens eine Videokonsole zuhause. Immer mehr Kinder haben direkten Zugang zu Internet. Trotzdem ist das Fernsehen immer noch an erster Stelle beim Medienkonsum der Kinder. Video- und Computerspiele brauchen zusätzlichen Zeitaufwand. In der Literatur werden die Kinder gewöhnlich in drei Kategorien eingeteilt: Gelegentlicher, mittlerer und häufiger Konsum. In den USA gibt es viele Kinder, die 30 Stunden und mehr pro Woche vor dem Schirm sitzen. Davon entfallen 2 Drittel auf Fernsehen und ein Drittel auf Videospiele.
In der Literatur unterscheidet man zwischen Computerspielen, Videospielen und Online-Spielen. Letztere sind nur über Internet zugängig. Die Spiele selbst kann man in sechs Kategorien einteilen:
Die problematischste Kategorie sind natürlich die Aktionsspiele. Kinder geben aber an, dass nicht die Gewalt, sondern Problemlösungsstrategien den Reiz des Spiels ausmachen17.
1998 setzte die Videospiele-Industrie 18 Billionen Dollar um ohne sich um die möglichen Auswirkungen ihrer Produkte auf die Kinder, ihre Familien und ihre Lebensumwelt (z.B. die Schule) zu kümmern. Dass die „Screenagers“ ihre Zeit damit verbringen, sich tage-, manchmal wochenlang durch gewalttätige, sexistische und oft auch rassistische Spielszenarios durchzukämpfen kümmert sie wenig; Hauptsache der Ertrag der japanischen oder amerikanischen Sicavs stimmt.
Eine Untersuchung in Dänemark18, durchgeführt vom Medienrat für Kinder und Jugendliche des Kultusministeriums zeigte, dass 338 Video- und Computerspiele allein im Jahre 1998 auf den Markt kamen. Davon waren knapp die Hälfte Action- und Simulationsspiele, nur 1% sogenannte „Edutainment“-Produkte. In den meisten Action-, Strategie- und Rollenspielen dominierten gewaltsame Inhalte, meistens eine Kombination von verschiedenen gewalttätigen Aktionen. In dieser Studie wurde eine Liste der 20 Spiele publiziert, die am meisten Gewalt enthielte.
Dies führt zum Problem der Klassifizierung interaktiver elektronischer Medien: Jan Christofferson versuchte eine Zusammenstellung der gebräuchlichen „rating systems“: Das strengste Kontrollsystem gibt es in Australien: Verbotene Spiele dürfen nicht verkauft oder verbreitet werden; wer es dennoch versucht riskiert eine Gefängnisstrafe. In Japan praktiziert die Medienindustrie eine Art freiwillige Selbstkontrolle. In den USA gibt es das „Entertainment Software Rating Board“, ein Gremium das laut Christofferson die beste („most ambitious and extensive“) Klassifizierung liefert. Europa hat kein einheitliches Klassifizierungssystem: Es gibt Labels in Großbritannien, Dänemark und Schweden. Auf vielen Videospielen werden verschiedene Labels aufgedruckt, was Verwirrung stiften kann.
2.2Erfahrungs- und Forschungsberichte
In allen Berichten wird festgestellt, dass es herzlich wenig Forschungsergebnisse im Bereich der Auswirkungen von Videospielen auf Kinder gibt und dass Anstrengungen unternommen werden müssten sowohl was die Zahl als auch was die Methodik der Untersuchungen anbelangt.
In Kanada fordert Stephen Cline19 eine „allgemeine Taxonomie für Videospiele“. Die Massaker an amerikanischen Schulen (Paducah, Jonesboro und Littleton) sieht er als eine mögliche Konsequenz einer Desensibilisierung gegenüber dem Gebrauch von Gewalt als eine Möglichkeit zur Lösung von Konflikten. Als Kronzeuge zitiert er Dave Grossmann, einen Ex-Kolonel der US-Armee, dessen Spezialgebiet es war, Soldaten die Hemmung vor dem Töten abzugewöhnen. Grossman20 berichtet aus Erfahrung, wenn er beschreibt, wie Soldaten dazu erzogen werden, den „Feind“ eher als Zielscheibe denn als menschliches Wesen zu betrachten. Durch „emotionslose“, unblutige „Simulationsspiele“ gelang es den Ausbildern, die Hemmschwelle beim „Abdrücken“ drastisch zu reduzieren und damit „Eliteeinheiten“ herauszubilden. Grossman, der sich nach seiner Pensionierung anscheinend in einen Pazifisten verwandelt hat, sieht ähnliche Auswirkungen von Videospielen auf Jugendliche: „In other words, agression training is more effective to the degree it is experienced as not really violent – even pleasurable and enjoyable – which is the case for most games.“21
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Die Beobachtung von Spielhallenbesuchern in Kanada zeigte, dass diese eine Art Abhängigkeit entwickeln, ihre Fähigkeiten (skillfulness) leicht überschätzen und daher eher bereit sind, diese vermeintlichen Fähigkeiten bei Geldspielen einzusetzen.
Videospiele werden immer perfektionierter und immer brutaler. Die interaktive Natur dieser Spiele wurde von De Waal23 untersucht: Mit Hilfe des lizensierten ICARUS-Systems wurden „blood flow, heart rate, eye muscle tension and galvanic skin responses“ von Jugendlichen beim Spielen von Videospielen und beim bloßen Zuschauen gemessen. Alle gemessenen Werte lagen signifikant höher beim Spielen als beim Zuschauen und die Interpretation der Ergebnisse im Vergleich mit anderen Studien bestätigt die These einer zunehmenden emotionalen Desensibilisierung durch interaktive Videospiele mit brutalem Inhalt.
In kanadischen Untersuchungen wurden Spieler in drei Gruppen unterteilt, je nachdem ob sie wenig, gelegentlich oder viel spielten. Sogenannte „heavy Players“ unterscheiden sich in ihren Freizeitgewohnheiten signifikant von den anderen Gruppen: Sie verbringen ca. 30 Stunden in der Woche vor einem Schirm, lesen sehr wenig, spielen wenig draußen und hören seltener Musik als die Kinder aus den Vergleichsgruppen. Moralisch finden sie Vergewaltigung, physische und verbale Gewalt, militärischer Einsatz von Gewalt und Entführungen als weniger verwerflich. Stephen Kine fordert eine Klassifizierung der Spiele und findet es sei an der Zeit, die Alarmglocke zu läuten.
In Japan besitzen 90% der Primärschulkinder Videokonsolen. Videospiele sind bei Jungen und Mädchen an die zweite Stelle in der Beliebtheitsskala aller möglichen Freizeitaktivitäten gerückt. Auch in Japan, dem weltweit führenden Hersteller von dieser Art Entertainment machen Eltern und Lehrer sich Sorgen über deren Einfluss auf die Kinder. Die CESA (Computer Entertainment Software Association) hat sich anscheinend verpflichtet, auf die Produktion gewaltverherrlichender Software zu verzichten. In einem Familiengerichtsurteil vom 18. März 1998 wird die Agression eines Jugendlichen gegenüber einem Polizisten nicht durch Impulsivität, sondern dadurch erklärt, dass seine Gewaltbereitschaft durch den Gebrauch von Medien wie Videospielen weiterentwickelt wurde24. Für Akira Sakamoto besteht kein Zweifel, dass Videospiele die Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen stärken. Die japanische Industrie macht jedoch wenig Anstrengungen, den Einfluss ihrer Produkte auf die Konsumenten zu erforschen. Wurde zu Beginn der 90er Jahre noch jeglicher schädlichere Einfluss der Videospiele auf die Kinder und Jugendlichen (auch von Sakamoto selbst) verneint, so wurden doch eingreifende Veränderungen in vier Bereichen festgestellt:
Sakamoto fordert, dass die Sozialwissenschaftler sich endlich ernsthaft mit dem Phänomen der Videospiele beschäftigen.
In Australien und Neuseeland untersuchte Kevin Durkin25 1995 die negativen („Abhängigkeit“, Lernen am aggressiven Modell, Einfluss auf Familienleben und Schulleistungen, Auswirkungen auf die Gesundheit) und die positiven (Einfluss auf kognitive und perzeptorisch-motorische Fähigkeiten, soziale Interaktionen in der Gleichaltrigengruppe und Training im Umgang mit Computern) Effekte von Videospielen.
Seiner Meinung nach haben Videospiele keinen direkten schädlichen Einfluss auf Kinder und Jugendliche. Wenn diese jedoch in Wettbewerbssituationen eingebunden sind (wenn sie z.B. Bonuspunkte für die Tötung von „Gegnern“ bekommen) steigert sich ihre Gewaltbereitschaft enorm. Dies belegt eine Studie von Alexander Ask et al26., welche in Adelaide (Australien) durchgeführt wurde. Sie stellten fest, dass Jugendliche in Videospielen weniger Hemmungen vor dem Gebrauch von Gewalt haben, wenn sie dafür belohnt werden, dass dies in Abwesenheit von Gefühlen wie Ärger geschieht, dass ein Publikum nicht unbedingt vorhanden sein muss und dass es eine Übereinstimmung gibt zwischen besonders aggressiven Spielern und deren Sozialverhalten in der Schule (gemessen durch Einschätzungen von Lehrern).
In Holland versuchte Peter Nikken27 herauszufinden, was Kinder an Videospielen fasziniert. Obschon Jungen und Mädchen die Akzente anders setzen, konnten fünf Dimensionen erfasst werden:
Auch hier gab es signifikante Geschlechtsunterschiede: Die Dimension „Agression“ rangiert bei Jungen an zweiter, bei Mädchen an letzter Stelle
Schweden: Peter Petrov28 fand bei schwedischen Jugendlichen ebenfalls signifikante Geschlechtsunterschiede was den Besitz und den Gebrauch von Computern anbelangt. Jungen sind stärker an den Neuen Medien interessiert, sie gebrauchen sie häufiger als Mädchen zuhause und außerhalb, z.B. bei Freunden. Dies gilt für alle Geräte, vom Fernseher bis zum Handy. Der einzige signifikante Unterschied beim Gebrauch der Neuen Medien ist, dass Mädchen häufiger an Chatgruppen teilnehmen als Jungen. 60 % der Jungen aber nur 3 % der Mädchen suchen pornographische Internetseiten auf. Das Internet wird vor allem als Mittel zur Vergnügung und Ablenkung betrachtet, seltener als Informations- und Diskussionsmedium.
In Dänemark wurde 1999 eine Untersuchung über den Einfluss der Neuen Medien auf die Kinder durchgeführt29. Kinder lieben die Spannung und den Wettbewerb, die interaktive Natur der Spiele, die Möglichkeit, mit mehreren Partnern zu spielen. Zur Gewalt haben die Kinder ein ambivalentes Verhältnis: Im realen Leben lehnen sie Gewalt ab, in den Spielen aber akzeptieren sie sie aber mit dem Hinweis, dass sie nur simuliert ist. Kinder können laut dieser Studie gut zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Kinder erleben Computerspiele als viel weniger beängstigend als z.B. angsteinflößende Fernsehsendungen, vielleicht auch wegen des interaktiven Charakters der Neuen Medien.
In Spanien fand Ferran Casas30 heraus, dass 44 % der Eltern nie über die Videospiele, die ihre Kinder gebrauchen, sprechen, geschweige denn, sie ausprobieren. Videospiele werden von den meisten Eltern als Zeitvergeudung betrachtet.
Sexualität ist in den Medien überall präsent. Das Thema ist allgemein wenig erforscht und deshalb gibt es auch wenig Antworten auf die Frage, ob und wie sexuelle Inhalte das Verhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Ein wichtiger Grund ist natürlich die Tatsache, dass aus ethischen Gründen Kinder nicht zu experimentellen Zwecken mit sexuellem und pornographischem Material konfrontiert werden können. Quer durch die Literatur kann man jedoch einige sichere Erkenntnisse finden:
Kinder sind also sehr oft mit sexuellen Inhalten in den Medien konfrontiert und für ihre Eltern ist dies fast unmöglich zu kontrollieren. Diese häufigen Konfrontationen kommen andererseits dem großen Interesse der Kinder an sexuellen Dingen entgegen. Sexuelle Inhalte werden außerdem zunehmend in der Musik (Rap) und in der Werbung explizit dargestellt.
Luxemburg: In einer Studie, die wahrscheinlich im Juni veröffentlicht wird, hat das Luxemburger Gesundheitsministerium in Zusammenarbeit mit dem Erziehungsministerium erstmals umfassendes Zahlenmaterial über das Wohlbefinden der Luxemburger Jugendlichen zusammengetragen. Dabei kam heraus, dass fast 60% aller 12-18jährigen 2 bis 3, darunter rund 20% 4 Stunden und mehr am Tag fernsehen! Der Fernsehkonsum sinkt bei einem höheren Ausbildungsniveau. Rund 70% aller Jugendlichen verbringen dazu noch zwischen 3 und 9 Stunden in der Woche mit elektronischen Spielen, wobei Jungen mehr spielen als Mädchen.33
Über die Art und Weise, wie und in welchem Ausmaß sexuelle Inhalte in den Medien Kinder beeinflussen, herrscht noch Unklarheit. Laut Ellen Wartella sind die Messmethoden noch sehr ungenau („crude“) und es gibt relativ wenig Forschung. Sicher scheint, dass sexuelle Inhalte in den Medien die Einstellungen und Ansichten der Kinder gegenüber Sex, Partnerschaft, Heirat und Ehe stark beeinflussen.
In einer Untersuchung von schwedischen Erwachsenen hat Margareta Forsberg34 einen signifikanten Zusammenhang zwischen Pornographiekonsum und diversen sexuellen Praktiken gefunden.
Mark Griffiths35 stellt fest, dass immer mehr Erwachsene und auch Kinder „internetabhängig“ werden. Das Netz wirkt wie eine Droge. Die Hälfte der Zeit, die Menschen im Internet verbringen ist sexuellen Inhalten gewidmet: Nicht weniger als 11 verschiedene Motive nennt Griffiths um im Internet nach sexuellen Inhalten zu suchen, wobei Selbstbefriedigung und das Suchen nach Online-Partnerschaften am häufigsten auftreten. Wenn die „Droge“ Internet nicht zur Verfügung steht können bei vielen Menschen regelrechte Persönlichkeitsstörungen auftreten: Zwanghafte Beschäftigung mit Sex, Launenhaftigkeit, Entzugssysmptome, Konflikte mit den Familienangehörigen usw.
Sexseiten im Internet sind die teuersten Werbeträger und sind so organisiert, dass der Konsument immer tiefer hineingelockt wird, was dann auch immer teurer wird.
In England gaben ein Drittel aller Kinder in einer Umfrage an, dass sie im Internet auf sexuelle Inhalte gestoßen sind die sie in Verlegenheit brachten. Griffiths plädiert für verschiedene Schutzmaßnahmen:
European Research into Consumer Affairs36
Tipps zum sicheren Surfen
Verabrede dich mit niemandem, den du über das Internet kennen gelernt hast, es sei denn deine Eltern sind bereit dich zu begleiten. Das Treffen sollte nur an einem öffentlichen Ort stattfinden.
Schicke niemandem, auch nicht in chat-rooms, deine E-Mail-Adresse, deine Anschrift, deine Telefonnummer, den Namen deiner Schule - oder ein Foto von dir. (E-Mails können verloren gehen oder von anderen eingesehen werden - E-Mails sind ähnlich wie Postkarten. So sind auch Chatrooms öffentliche Begegnungsstätten und man weiß nie, wer mitliest oder zuhört.)
Denke daran, dass die Leute, mit denen du online zu tun hast, nicht immer sind, was sie vorgeben zu sein, auch deine E-Mail Brieffreunde. Menschen sagen online nicht immer die Wahrheit, denn niemand kann sie sehen.
Wenn jemand dir in einem Chatroom oder per E-Mail etwas sagt oder schreibt, das dich beunruhigt oder verletzt, ist das nicht deine Schuld. Sag es deinen Eltern und benachrichtige euern Internet Anbieter.
Sei bei chat-rooms besonders vorsichtig. (Auch wenn ein chat-room behauptet, nur für Kinder zu sein, gibt es derzeit keine Möglichkeit zu überprüfen, ob jeder dort wirklich ein Kind ist. Erwachsene oder ältere Kinder könnten versuchen, dich reinzulegen oder zu belästigen.)
Sieh nach, ob dein Internet Anbieter spezielle Kinder-Chat-rooms für dein Alter anbietet: wenn du plaudern möchtest, benutze nur die Chatrooms für deine Altersgruppe. (Das heißt, ein verantwortungsbewusster Erwachsener ist immer auch online und entfernt alle widerlichen oder vieldeutigen Mitteilungen. Aber, keine Angst! Der Erwachsene mischt sich nicht ein, und du wirst von ihm nichts merken, es sei denn er entfernt Belästigungen.)
Reagiere nie auf widerliche oder vieldeutige Mitteilungen. Sage es aber Deinen Eltern oder Erziehungsberechtigten, wenn du abstoßende Nachrichten bekommst oder widerliche Bilder online siehst.
Benachrichtige auch deinen Internet Anbieter. Es gibt Organisationen wie beispielsweise Jugendschutz.net (www.jugendschutz.net) die diese Belästigungen einstellen können. Deine Eltern sollten die Jugendschutz.net direkt informieren, wenn derartiges passiert.
Es ist nicht klug, jemandem Kreditkartennummern und Bankdaten zu schicken, bevor du deine Eltern oder Erziehungsberechtigten gefragt hast. Jemand könnte Deine Daten benutzen, um dich zu bestehlen.
Teile niemandem dein Internet-Kennwort mit. (Die Person könnte sich für dich ausgeben und deine E-Mails lesen.
Denk daran, dass es sich bei einem Angebot, das aussieht als wäre es zu schön, um wahr zu sein, auch meist tatsächlich um einen Schwindel handelt.
Halte Dich von Seiten, die ab 18 sind fern. (Die Altersbegrenzung dient dazu, dich zu beschützen und Seiten für Erwachsene können sehr viel teurer sein und die Gebühren hochschrauben.
Klicke nicht auf Links in E-Mails und öffne keine Anhänge, die von Personen kommen, die du nicht schon gut kennst und denen du vertraust. Das gleiche gilt für das Herunterladen von Dateien von Internetseiten. (Öffne sie nur, wenn sie von Leuten sind, die du kennst und denen du vertraust. Es könnte sein, dass du einen Virus lädst oder irgendeine andere Datei, die deinem Computer schaden oder ihn zerstören könnte.)
Mit der zunehmenden Verbreitung des Netzes nimmt auch die Zahl der sexuell motivierten Internet-Kriminalität zu: Herunterladen von verbotenen Inhalten (z.B. Kinderpornographie) oder sexuelle Belästigung von Erwachsenen und Kindern. In England bekamen 41% der Frauen, die regelmäßig surfen unaufgefordert pornographische Inhalte geschickt.
In Norwegen wurde eine Studie über gewaltsame Pornographie im Internet durchgeführt37: Diese wird definiert dadurch, dass sie groteske, bizarre, abscheuliche oder perverse Inhalte verbreitet. In der Regel werden die Opfer dieser Handlungen vermeintlich oder tatsächlich physisch und psychisch gequält. Oft sind diese Darstellungen nicht unbedingt illegal, sie können allerdings als „unacceptable“, also nicht annehmbar bezeichnet werden.
Die Studie konzentrierte sich auf drei „newsgroups“, die gewaltsame Pornographie anboten: Sex mit Tieren, Sadomasochismus, Nekrophilie, Inzest, Pädophilie usw. Die untersuchten Internetseiten ließen für Interessierte nichts zu wünschen übrig. Obschon manche Szenen nur nachgestellt sind, fallen sie auf durch ihre extreme Grausamkeit und Sadismus. Am meisten bedauerten die Autoren der Studie die Verdinglichung der Frau als Objekt sexueller Phantasmen.
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Rachel O’Connell untersuchte pädophile Newsgroups39