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Titel

SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört,
einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher,
Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7510-4 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-6058-2 (lieferbare Buchausgabe)

© 2021 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: info@scm-haenssler.de

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Umschlaggestaltung: Oliver Berlin, www.oliverberlin.biz
Titelbild: Bilder: Adobe Stock
Satz: Satz & Medien Wieser, Aachen

Inhalt

Über den Autor

Top-Secret

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Nachwort

Leseempfehlungen

Über den Autor

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Autor

DANIEL KOWALSKY (Jg. 1966) arbeitet als Realschullehrer und engagiert sich im Kinder- und Jugendbereich der FeG Lörrach. Gleichzeitig ist er erfolgreicher Autor der Jugendbuch-Reihe »Joe Hart und die Blauen Tiger«. Mit seiner Frau lebt er im Südschwarzwald.

TOP-SECRET

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Niemand weiß, dass es sie gibt. Keiner weiß, was sie vorhaben. Sie agieren schon seit Tausenden von Jahren. Im Geheimen und Verborgenen.

Nur eine kleine Gruppe um Lionel Abraham Daniels, die ihr Hauptquartier momentan in einem Kibbuz in Israel hat, ist dieser mysteriösen uralten und sehr einflussreichen Geheimorganisation auf der Spur und stellt sich den fiesen Plänen der dahinterstehenden Verschwörer mit Mut und Einfallsreichtum entschlossen in den Weg.

Die Mitglieder dieser mutigen Gruppe um Lion Daniels sind:

Lionel Abraham Daniels selbst: Ein 18-jähriger Student aus Texas, der meist nur Lion genannt wird. Er ist ein Abenteurer, Draufgänger und über beide Ohren verliebt in Jackie, die er im ersten Band aus den Fängen der Geheimgesellschaft gerettet hat.

Jacqueline Arielle Bordeaux, kurz Jackie: Sie ist 16 Jahre alt, sehr intelligent, leidet unter einer Amnesie, die in einem Labor der Geheimorganisation am Comer See künstlich herbeigeführt wurde. Sie und Lion kennen sich aus ihrer gemeinsamen Schulzeit an einer Privatschule im Schwarzwald.

Ariel Goldberg: Spitzname Ari, ist ein ehemaliger Mossad-Geheimagent, der bestens vernetzt ist und alle Fäden in der Hand hält. Außerdem ist er Lions Onkel, was aber in dessen Familie ein gut gehütetes Geheimnis ist.

Yumiko Takahashi: Sie arbeitet schon lange als Computerhackerin mit Ariel zusammen und ist mit ihm verlobt.

Leandro Bugatti: Der 21-jährige, hochintelligente Biochemiker arbeitete – ohne es zu wissen – in einem geheimen Forschungslabor der Geheimorganisation. Doch als er dahinterkam, dass seine Arbeit von der Organisation missbraucht wurde, um Menschen manipulieren zu können, stieg er aus, nahm seine gesamten Forschungsergebnisse mit und wird deshalb nun von der geheimen Gesellschaft gejagt.

David Grand: Der 21 Jahre alte, gläubige Christ rettete Leandro Bugatti das Leben und gehört seitdem zur Gruppe dazu.

Die Gegenspieler bestehen unter anderem aus:

Gilbert Winter: Fieser Bankier aus der Hochfinanzwelt, ist die Schlüsselfigur der Geheimorganisation und der Gruppe um Lion Daniels auf den Fersen.

Jill Aapio: Die eiskalte Finnin ist Winters Topagentin und war vor allem mit der Entführung und Betreuung von Jackie betraut.

Khor: Der Meister und oberste Priester der Geheimgesellschaft hält sich stets im Hintergrund – solange alles läuft.

PROLOG

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In einem unterirdischen Gewölbe in Ägypten – im Jahr 1876

Jeffery Talbot Anderson schleppte die Leiche des Beduinen, den er fünf Minuten zuvor mit einem gezielten Schuss seines neu erworbenen Vetterli-Repetiergewehrs Modell 1869 eigenhändig getötet hatte, durch das lang gestreckte Labyrinth hindurch in einen weit abseits liegenden Bereich. Er grinste hämisch, als ihm erneut bewusst wurde, dass er jetzt der einzige Überlebende war, der den geheimnisvollen Ort kannte, an dem sich das PENTATRAXON befand.

Verächtlich schaute er auf den Toten herab. So ein Dummkopf! 500 Pfund hatte er verlangt, nur um ihn hierher zu führen. Jeffery hatte zugestimmt und ihm den Betrag sofort bar ausgezahlt, unter der Bedingung, dass er sonst niemandem von diesem Sensationsfund erzählte. Der Beduine hatte ihm geschworen, sich an die Vereinbarung zu halten. Doch Jeffery wusste, dass er dem Mann nicht trauen konnte. Deshalb hatte er ihn töten müssen.

Jeffery tastete den Beduinen ab und entdeckte unter seinem Gewand den Beutel mit dem Geld. Er nahm ihm den Beutel ab, steckte ihn in seinen Kamelhaar-Rucksack, den er erst vor einer Woche in Kairo erworben hatte, und holte eine schwarze Glasflasche heraus, in der sich Sprenggelatine befand. Es handelte sich hierbei um einen von Alfred Nobel erst ein Jahr zuvor entwickelten Sprengstoff, der nicht nur eine unglaubliche Sprengkraft aufwies, sondern im Gegensatz zum Nitroglycerin vor allem auch problemlos zu transportieren war. Dadurch war er jetzt in der Lage, den Beduinen durch eine gezielte Sprengung spurlos verschwinden zu lassen.

Er brachte den Sprengstoff an einer geeigneten Stelle der Höhlenwand an, steckte das Ende der Zündschnur in die Sprengmasse und zündete sie an. Schnell brachte er sich in Sicherheit. Die Explosion ließ wie gewünscht den Nebengang einstürzen, der Rest des Labyrinths blieb aber intakt. Stickig quellender Staub einer längst vergessenen Zeit durchdrang die Luft und kroch seine Nase hinauf.

Bevor er das Höhlensystem verließ, wollte er aber noch einmal zu einem mächtigen Gewölbe am anderen Ende des Höhlensystems gehen, um das zu sehen, wonach er sein ganzes Leben gesucht hatte.

Nach einem längeren Fußmarsch erreichte er sein Ziel und schaute durch den Gewölbeeingang hindurch auf das seiner Meinung nach bedeutendste Kunstwerk der Weltgeschichte: einen magisch wirkenden dreidimensionalen Stern, der den gesamten vor ihm liegenden Raum zu erfassen schien und bei jedem Betrachter eine unglaubliche Faszination auslöste. Es war ein Meisterwerk der optischen Illusion.

Jeffery starrte das PENTATRAXON gebannt an. Hatte es nun fünf Zacken oder doch elf? Oder war es in Wirklichkeit gar kein Stern, sondern ein ganz anderes Gebilde? Je nachdem, wie man es anschaute, offenbarte sich einem etwas anderes, was man vorher nicht gesehen hatte. Ja, das PENTATRAXON hatte etwas Hypnotisches, ja Göttliches an sich, was bei ihm am ganzen Körper eine Gänsehaut auslöste und ein Glücksgefühl hervorrief, das er so nicht kannte. Durch das Flackern der zahlreichen Fackeln schien es dem Betrachter so, als ob sich das PENTATRAXON bewegen würde, so, als ob es lebte.

Nur schwer konnte sich Jeffery von dem schaurig-schönen, majestätischen Anblick lösen, der sich ihm hier bot. Und er fühlte sich eins mit der Generation von Freidenkern aus der grauen Vorzeit, die der Welt einen Plan hinterlassen hatten. Und er, Jeffery Talbot Anderson, gehörte dazu. Er würde dafür sorgen, dass alle, die in den geheimen Plan eingeweiht waren und noch werden würden, sich unter dem Namen PENTATRAXON einen würden. Allein dieses atemberaubende Symbol war würdig, den Namen dieser geheimen Gesellschaft, der auch er angehörte, zu tragen. Der Name PENTATRAXON sollte für immer Ehrfurcht bei allen auslösen, die ihn zum ersten Mal hörten. Und er sollte dafür sorgen, dass alle, die der geheimen Organisation angehörten, ihn mit Macht, Stolz und Erhabenheit verknüpften.

Schweren Herzens löschte Jeffery die Fackeln, die er in den dafür vorgesehenen Halterungen angebracht hatte, wandte sich ab und verließ den Tempel, dessen Existenz er nur ein paar Auserwählten verraten würde.

Dieser geheime Ort barg ein Geheimnis, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen durfte. Dafür würde er, Jeffery Talbot Anderson, persönlich sorgen und notfalls mit seinem Leben dafür einstehen. Nur die Geweihten der Bruderschaft waren würdig, dieses Geheimnis mit ihm zu teilen, Männer, ganz oben in der Pyramide der Macht, Männer, die wie er zur Elite der Gesellschaft gehörten und die dazu beauftragt waren, die Geschicke der Welt in die Hand zu nehmen. Enthusiasten und Visionäre der neuen Zeit, die mit ihm zusammen an der Umsetzung dieses uralten Plans arbeiteten:

Dem Babylon-Plan. Und nichts und niemand konnte sie aufhalten.

* * *

Illionois – 10. Juli

Gilbert Winter betrat unsicher eine dunkle Kathedrale, deren Wände kunstvoll mit zahlreichen fünfzackigen Sternen und vielen weiteren uralten magischen Symbolen ausgeschmückt waren. Sein Blick fiel auf den Altar, auf dem ein Leuchter stand, dessen Flamme gespenstisch flackerte und ein fahles Licht an die Dunkelheit abgab. Er blieb stehen und wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

Und plötzlich sah er ihn. Den Meister persönlich.

Direkt hinter dem Altar stand ein Mann in einer schwarzen Robe. Ehrfürchtig verneigte Gilbert sein Haupt vor ihm.

Der Mann mit der Robe trat vor, sodass im flackernden Lichtschein des Leuchters sein Gesicht kurz zu sehen war. Er schaute Gilbert Winter mit seinen hypnotisierenden Augen prüfend an.

»Du hast mich enttäuscht, Gilbert! Was ist geschehen?«

»Du weißt, was passiert ist, Meister!«

»Ja, das weiß ich. Was geschehen ist, ist geschehen, Gilbert. Aber du darfst mich nicht noch einmal enttäuschen.«

»Ich werde dich nicht mehr enttäuschen, Meister! Wie lautet dein Auftrag?«

»Jacqueline.«

»Ja, sie läuft immer noch frei herum. Sie ist nach wie vor ein Sicherheitsrisiko für uns. Soll ich sie töten, sobald wir sie aufgespürt haben?«

»Nein, sie ist zu wertvoll für uns. Ich will sie lebend haben! Und was diesen Lionel Abraham Daniels angeht, bei dem sie sich aufhält: Lock ihn aus der Reserve und stell ihn vor die Wahl: seine Familie oder Jacqueline.«

»Zu Befehl, Meister!«

Kapitel 1

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Ägypten – 13. Juli, 14:40 Uhr

Der Freiburger Archäologie-Professor Alexandro Novotny schaute auf sein GPS-Gerät, dann hinab auf den vor ihm liegenden Nil, der nach einer ausgedehnten Trockenzeit hier unterhalb des Assuan-Staudamms bei Elephantine extrem wenig Wasser führte. Der niedrige Pegel war entscheidend für den Erfolg seiner Expedition, die er mit der begabten studentischen Hilfskraft Janina Adams als einzige Begleiterin durchführte. Er war kurz vor dem Ziel, wenn er die vergilbten Textbausteine der alten, von Hand gezeichneten Karte richtig gedeutet hatte. Professor Novotny war sich sicher, vor einem Sensationsfund zu stehen.

Nur das Zeitfenster für einen erfolgreichen Abschluss der Expedition war sehr klein. Denn die durch den Monsun ausgelöste Regenzeit in den weit entfernt liegenden Bergen im oberen Niltal hatte längst eingesetzt und würde im Laufe der nächsten Woche für einen rasanten Anstieg des Wasserpegels sorgen. Zum Glück lag der durch den Assuan-Staudamm entstandene Nassersee dazwischen. Er diente als Puffer und sorgte damit auch für eine gewisse Pegel-Stabilität im Unterlauf des Nils. Aber der Eingang zum Höhlensystem, den er suchte, lag nur knapp über dem jetzigen Wasserspiegel und würde daher bei einem steigenden Pegel sicherlich nicht mehr zugänglich sein. Sie mussten den Eingang also unbedingt heute finden, um alle notwendigen Untersuchungen durchführen zu können, bevor der steigende Pegel den Einstieg in das Höhlensystem unmöglich machte.

Ermüdet von einem langen Fußmarsch durch eine öde Wüstenlandschaft nahm Janina ihre Baseballkappe und Sonnenbrille ab und wischte sich vorsichtig mit einem feuchten Tuch den Sandstaub von der Stirn, der durch den heißen Westwind aus der sich schier endlos ausdehnenden Sahara-Wüste herangetragen worden war. Sie setzte beides wieder auf und wandte sich an den Professor.

»Und? Wie sieht es aus? Wie weit ist es noch«

»Wenn meine Berechnungen stimmen, müsste der Eingang zum Höhlensystem dort vorne etwa fünfzig Meter von hier liegen, direkt am Wasser.«

Die Studentin schaute den Professor fragend an.

»Wie ist es möglich, dass er bis heute von keinem Menschen entdeckt worden ist? Klar, das hier ist eine ziemlich einsame Gegend, aber die Ruinen der antiken Stadt Elephantine sind ja nicht weit entfernt, und nach so einem bedeutenden Tempel suchen doch bestimmt auch andere.«

»Nein, da muss ich widersprechen. Das, wonach wir suchen, ist wohl eines der größten Tabus in der Archäologie. Diesen Tempel kann es gemäß der Fachwelt nicht geben, deshalb sucht auch keiner danach. Die Existenz dieser Höhle wäre ein starkes Indiz dafür, dass sich alle Kulturen der Welt vom alten Babylon her ausgebreitet haben und dass die Geschichte vom Turmbau zu Babel in der Bibel eben keine Legende ist, sondern Realität. Für einen Wissenschaftler, der an etwas anderes glaubt, wäre es eine Katastrophe, wenn seine eigene Theorie widerlegt würde und er die biblischen Fakten anerkennen müsste. Ich vermute mal, dass genau aus diesem Grund kaum jemand an dem interessiert ist, was wir gerade suchen. Manche Dinge dürfen eben einfach nicht wahr sein. Wir suchen also nach etwas, was von den sogenannten seriösen Wissenschaftlern spöttisch als Hirngespinst, als Legende abgetan wird.«

»Und warum glauben Sie daran?«

»Glaube ist nicht mein Ding, Janina! Ich halte mich schlichtweg an Fakten und bin bereit, mich ihnen zu stellen, selbst wenn ich an etwas anderes glaube. Und tatsächlich habe ich vor einiger Zeit noch an etwas anderes geglaubt. Aber der ehrliche Umgang mit Fakten und Beweisen, auch wenn die eigenen Theorien dadurch widerlegt werden – das ist echte Wissenschaft – alles andere ist Firlefanz, Janina. Und die Hinweise, dass diese Höhle wirklich existiert, hat mir erst vor Kurzem ein Israeli geliefert – ein alter Freund, dem ich viel zu verdanken habe. Er hat mir den Zugang zu geheimen Karten verschafft, an die ich ohne ihn niemals herangekommen wäre.«

»Heißt dieser Israeli zufälligerweise Goldberg mit Nachnamen?«

»Ja! Woher kennen Sie seinen Namen? Der ist eigentlich streng geheim.«

»Gestern habe ich nach dem Sandsturm ihre durcheinandergewehten Unterlagen sortiert und bin dabei auf einen Brief dieses geheimen Herrn Goldberg gestoßen, der darin schreibt, dass er die komplette Finanzierung dieser Expedition übernehmen wird. Was hat er selbst davon, außer, dass er einen Haufen Geld verliert?«

»Das hat er mir nicht verraten. Und als einzige Gegenleistung verlangt er von mir, dass ich ihm ein paar 3-D-Fotos mit dieser seltsamen Kamera hier machen und sofort zusenden soll, sobald wir den Tempel gefunden haben. Das ist alles. Bitte versprechen Sie mir, dass Sie keinem Menschen gegenüber diesen Namen erwähnen.«

»Klar, das verspreche ich Ihnen. Nur würde ich Ihnen in Zukunft empfehlen, solche geheimen Briefe wie diesen nicht einfach herumliegen zu lassen.«

»Ja, Sie haben recht. Ordnung war noch nie mein Ding.«

»Aber noch einmal zurück zum Eingang dieses Labyrinths, den wir suchen: Wie ist es möglich, dass er bis heute von keinem Einheimischen entdeckt worden ist?«

»Das hat ganz praktische Gründe. Der Eingang zum Höhlensystem liegt in der Regel unterhalb der Wasseroberfläche des Nils und ist deshalb weder sichtbar noch zugänglich. Aber durch das extreme Niedrigwasser sind die Chancen in diesem Jahr und zu dieser Zeit sehr gut, dass der Zugang jetzt frei ist.«

In diesem Augenblick erreichten sie eine Felskante direkt am Wasser. Frische, kühlende Luft gepaart mit einem grandiosen Blick auf den Nil boten ihnen ein willkommenes Kontrastprogramm zur Einöde aus heißem, trockenem Sand und in Nase und Augen beißendem Staub, die sie endlich hinter sich gelassen hatten.

Janina Adams, die sehr unter der sengenden Mittagshitze mit einer Temperatur von weit über vierzig Grad litt, atmete die deutlich angenehmere Luft tief in ihre Lungenflügel ein und schloss dabei kurz die Augen. Ansonsten interessierte sie sich aber nicht für den landschaftlichen Reiz, sondern hatte nur eines im Sinn: »Und wo genau ist jetzt der Eingang?«

Professor Novotny antwortete ihr nicht. Stattdessen holte er aus seinem Rucksack die Wasserschuhe hervor und tauschte sie gegen seine Wanderstiefel. Anschließend setzte er sich mit Füßen voran an die Felskante und rutschte auf dem Hosenboden den Granitfelsen hinunter. Janina hörte ein leises Platschen, als er auf einer Felsplatte zum Stehen kam, die sich etwa dreißig Zentimeter unterhalb der Wasseroberfläche des Nils befand.

Janina schaute vom Felsen aus auf ihn hinunter: »Alles in Ordnung?«

Der Professor antwortete nicht, sondern starrte von der Wasserseite her auf den unter Janina liegenden Felsen.

Die blieb hartnäckig: »Können Sie etwas sehen?«

»Ja, es sieht so aus, als gäbe es einen halben Meter oberhalb der Wasseroberfläche tatsächlich eine Spalte. Etwa sechzig Zentimeter hoch und zirka vierzig Zentimeter breit. Sieht aus wie ein Höhleneingang. Ich weiß nur nicht, ob ich da hindurch passe.«

»Warten Sie, ich komme hinunter!«

Janina tauschte ebenfalls ihre Wanderschuhe gegen Wasserschuhe und rutschte den Felsen hinunter, um kurz darauf neben dem Professor zum Stehen zu kommen.

Beide inspizierten das von Algen leicht grün gefärbte Loch im Felsen. Feuchte, kühle Luft strömte ihnen sanft entgegen und legte einen modrigen Hauch von Kalkstein in ihre Nasen.

»Ziemlich eng das Ganze. Und vor allem wissen wir nicht, was sich dahinter befindet. Was ist, wenn wir einem Fluss-Krokodil direkt ins Nest laufen?«

»Unwahrscheinlich! Krokodile gibt es eher im Oberlauf vom Nil, nicht hier.«

»Sieht mir aber auch nicht wie ein Eingang zu einem riesigen Höhlensystem aus«, meinte Janina zweifelnd, die den Gedanken unangenehm fand, in dieses feuchte Loch kriechen zu müssen.

»Doch, ich bin mir ziemlich sicher, dass wir den Eingang zum Höhlensystem gefunden haben. Hatte nur nicht gedacht, dass alles so eng ist. Hier, schauen Sie auf die Karte. Die Form der Aushöhlung stimmt mit der Zeichnung auf der Karte überein.«

Janina Adams warf einen Blick auf das Dokument, zögerte. Sie gab sich einen Ruck.

»Okay, ich gebe mich geschlagen. Ich werde mutig vorangehen.«

»Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Sie sind deutlich schlanker als ich.«

Die junge Studentin öffnete ihren Rucksack, holte eine Stirnleuchte heraus, schaltete sie ein und setzte sie auf den Kopf. Dann bückte sie sich und kroch langsam in das Loch hinein. Nach zwei Metern weitete sich der Gang zu einem fünf Meter hohen und etwa ebenso breiten Gewölbe.

Sie drehte sich um und rief durch den Eingang hindurch: »Professor Novotny, hier ist tatsächlich eine große Höhle. Kommen Sie!«

»Alles klar!«

Novotny setzte ebenfalls seine Stirnlampe auf, bückte sich, schob seinen Rucksack vor sich ins Loch hinein und robbte mit großer Anstrengung Janina hinterher. Er brauchte deutlich länger als die schlanke Studentin und hatte an einer engen Stelle das Gefühl, stecken zu bleiben, doch mit großer Kraftanstrengung schaffte auch er es in die Höhle hinein. Janina nahm seinen Rucksack aus dem engen Gang entgegen und half ihm auf.

Der Professor keuchte vor Anstrengung und brauchte etwas Zeit, bis sich seine Augen an die Dunkelheit um ihn gewöhnt hatten.

»Das Licht der Stirnlampen ist zu schwach«, meinte Janina.

Alexandro Novotny nickte, öffnete seinen Rucksack, holte eine extrem starke LED-Taschenlampe heraus und begann, damit die Wände abzusuchen.

Janina runzelte die Stirn: »Also, wenn Sie mich fragen, dann ist das ganze Gewölbe hier eine Sackgasse!«

Der Professor beachtete ihren Einwand nicht, sondern richtete die Taschenlampe auf eine steile Felswand und ließ den Lichtkegel an einer mit leicht herausstehenden Felszacken übersäten Wand entlang nach oben gleiten, bis ein Felsvorsprung zu erkennen war: »Ich vermute, dort oben geht’s weiter. Sie sind leichter als ich. Können Sie mal zu diesem Absatz hochklettern und nachschauen?«

»Klar!« Janina Adams trat mit dem Fuß auf die unterste Felszacke, fasste mit der Hand in eine Ritze über sich und kletterte vorsichtig hinauf. »Ist hier alles zwar etwas glitschiger als in meiner Lieblings-Boulderhalle, aber ich komme gut voran«, rief sie hinab. »Es scheint fast so, als ob diese Vorsprünge künstlich in die Wand gehauen worden sind.«

Wenig später erreichte sie den Absatz und stutzte: »Hier gibt es tatsächlich eine Öffnung, oder besser gesagt einen Spalt, der von unten nicht zu sehen ist.« Janina leuchtete mit ihrer Taschenlampe hinein. »Und dahinter gibt es auch einen begehbaren Tunnel. Er steigt stark an – wenn mich nicht alles täuscht, führt er nach Westen hin.«

»Warten Sie, ich komme hinter Ihnen her.«

Vorsichtig kletterte der Professor ebenfalls die Felswand hinauf, und seine studentische Hilfskraft staunte nicht schlecht, wie sicher er sich trotz seiner über hundert Kilogramm an der glitschig-steilen Wand nach oben bewegte.

»Kompliment, Herr Novotny. Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut«, neckte sie ihn.

»Unterschätzen Sie mich mal nicht, Mädchen«, grinste Novotny. »Ansonsten gehe ich jetzt mal lieber voran, sonst sind Sie noch diejenige, die den Tempel als Erste entdeckt. Und den Ruhm möchte ich doch lieber selbst einstreichen.«

Janina Adams nahm ihre Baseballkappe ab, streifte ihre Hände durch ihr langes seidenblondes Haar und zwinkerte ihm mit ihren hübschen blauen Augen zu: »Gerne nach Ihnen, Professor!«

* * *

Irgendwo in Texas – 13. Juli, 07:00 Uhr

Ein blonder Hüne parkte seinen Porsche Carrera S am Straßenrand, nahm sein Smartphone in die Hand und wählte eine Nummer, die nur er kannte.

»Ja?«

»Wir haben alles vorbereitet. Sie sagen, wann die Party steigen soll«, raunte der Hüne in den Hörer hinein.

Gilbert Winter, der sich noch im US-Bundesstaat Illinois befand, atmete tief durch und dachte voller Genugtuung daran, dass er sich endlich an seinem Feind, Lion Daniels, rächen konnte. Er würde sich seine Familie vornehmen und ihn damit aus der Reserve locken.

»Am besten, solange die Kerzen auf der Torte noch brennen. Viel Spaß!«

»Danke!«

Der große blonde Mann beendete das Gespräch, legte sein Smartphone zur Seite und startete den Motor.

Winter steckte sein Smartphone in seine Tasche und schaute grimmig auf ein Passfoto seines ärgsten Rivalen. Es hatte ihn schwer getroffen, dass es Lionel Abraham Daniels, einem achtzehnjährigen Jugendlichen aus Texas, einem Niemand, gelungen war, ihm derart übel mitzuspielen und seine Pläne zu durchkreuzen. Er ließ die Ereignisse der letzten Wochen noch einmal Revue passieren:

Vor einem Monat war für ihn, Gilbert Winter, alles noch in bester Ordnung gewesen. Er hatte zwei erfolgreiche Projekte am Laufen gehabt, die kurz vor dem Durchbruch standen. Eines in den USA im Bundesstaat Colorado, wo er in einem geheimen unterirdischen Labor Viren hatte züchten lassen, mit deren kontrolliertem Einsatz er die Welt verändert hätte – wenn die Anlage nicht durch die Sabotage eines ehemaligen Mitarbeiters in die Luft gesprengt worden wäre. Das andere Projekt lief in einer Spezialklinik in den Bergen oberhalb des Comer Sees in Norditalien. Für die dort stattfindenden Experimente hatte er mit der sechzehnjährigen Jacqueline Arielle Bordeaux die ideale Kandidatin gefunden, ein Versuchskaninchen der Extraklasse, das alle vorherigen Probanden in den Schatten stellte.

Gilbert grinste, als er daran dachte, wie sie auf Jacqueline gestoßen waren, die von ihren Freunden auch Jackie genannt wurde. Sie war Monate zuvor schlichtweg zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und hatte etwas gesehen, was sie nicht hätte sehen dürfen. Jacqueline kannte damit ein Geheimnis, das niemals ans Licht kommen durfte, ein Geheimnis, das vielleicht die Existenz der Geheimorganisation gefährdete, für die er arbeitete. Aber anstatt sie zu liquidieren, hatte er sich entschieden, dieses hübsche, hoch begabte Mädchen in die Versuchsreihe des Laboratoriums am Comer See einzugliedern. Zunächst hatten sie bei ihr eine künstliche Amnesie hervorgerufen, dabei aber darauf geachtet, dass Jackies brillanter Verstand nicht angetastet wurde. Und es hatte funktioniert. Alle Testergebnisse und Prognosen waren mehr als zufriedenstellend gewesen. Ja, Jackie war etwas ganz Besonderes, ein Diamant, aus dem man etwas machen konnte, eine Waffe, mit der man ganz spezielle Ziele der Organisation umsetzen konnte, wenn man sie nur richtig einsetzte.

Aber dann war dieser achtzehnjährige Lionel Daniels gekommen. Und mit einer unglaublichen Dreistigkeit und Kaltschnäuzigkeit war es diesem Draufgänger gelungen, das Mädchen aus dem Laboratorium zu befreien; er wusste bis heute nicht, wie er das geschafft hatte.

Gilbert hatte sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Daniels zu fassen und zu liquidieren. Aber alle Versuche waren gescheitert, und der Bursche war nach einer dramatischen Verfolgungsjagd mit Jackie entkommen und von der Bildfläche verschwunden. Doch zum Glück hatte der Kerl eine Familie, und Gilbert wusste, wo er sie finden konnte.

Winter ballte noch einmal die Hand zur Faust: »Lionel Abraham Daniels, du hättest dich nicht mit uns anlegen sollen. PENTATRAXON schlägt zurück.«

* * *

Auf einer Pferderanch in Texas – 07:05 Uhr

Amelie Daniels war verunsichert. Soeben hatte sie eine verschlüsselte Textnachricht von Lion bekommen, deren Inhalt ihr Leben und das Leben der ganzen Familie Daniels auf den Kopf stellen würde. Lion hatte die Nachricht mit seinem Kosenamen unterschrieben, den Amelie für ihn verwendet hatte, als Lion noch ein ganz kleiner Junge war:

»Mum! Ihr müsst untertauchen, sofort!
Koordinaten anbei. Am Zielort steht
eine Motorjacht für euch bereit.
    Bis später, Lionelly
    PS: Lieb' dich!«

Amelie atmete tief durch. Bernie, ihr Mann, der soeben zur Tür hereingekommen war, legte von hinten seine Hand auf ihre Schulter, zaghaft und unsicher. Der vertraute Duft eines würzig herben Aftershaves stieg in ihre Nase. Und für einen kurzen Moment überströmte sie ein Hauch von Wildwest, ein unbändiges Gefühl der Freiheit. Wie sehr sie diesen Mann liebte, der ihrem Leben so viel Wert gegeben hatte.

»Dich quält irgendetwas, Amelie. Was ist los? Seit ein paar Tagen kann man sich mit dir nicht mehr richtig unterhalten. Was verbirgst du vor mir?«

Amelie, die tatsächlich ein Geheimnis vor ihrem Mann hatte, drehte sich zu ihm um und legte ihre beiden Hände auf seine Schultern, zog ihn ganz spontan an sich heran und umarmte ihn. Er streichelte ihr über den Rücken, küsste sie sanft auf die Stirn und schaute ihr tief in die Augen.

»Amelie, was ist los?«

Hilfesuchend schaute sie zur Seite, überlegte, ob sie sich ihrem Mann wirklich anvertrauen konnte. Sie fühlte sich an ihr Versprechen gebunden, niemandem ihr Geheimnis zu verraten, auch nicht ihrem Mann. Aber konnte sie sich in dieser Situation noch daran halten?

Amelie erkannte, dass es jetzt dran war, die Karten auf den Tisch zu legen: »Bernie, ja ich bin verzweifelt. Es gibt ein Geheimnis in meinem Leben. Und ich glaube, es ist höchste Zeit, es zu lüften, ich weiß mir sonst nicht mehr zu helfen.«

Bernie unterbrach sie, indem er seine Frau abrupt von sich stieß und sie mit gequältem Blick ansah: »Sag bitte, dass das nicht wahr ist!«

»Was soll nicht wahr sein, Bernie?«

Bernie zückte ein Foto aus der Hosentasche und hielt es Amelie ärgerlich vor die Nase.

»Das hier! Wer ist der Mann auf dem Foto, der so vertraut den Arm um dich legt und den du so verliebt anschaust?«

Entsetzt schaute Amelie Bernie an.

»Woher hast du das?«

»Ich habe es in deinem Schreibtisch gefunden. Die Schublade stand noch offen, als ich dir deine Post auf den Tisch gelegt habe. Da ist es mir aufgefallen. Hast du eine Affäre, einen heimlichen Liebhaber? Wolltest du mir das sagen?«

»Das ist kein Liebhaber, Bernie«, flüsterte Amelie etwas zu schnell.

»Jetzt streite es bitte nicht noch ab! Das Foto ist doch eindeutig! Du kannst mir nichts vormachen. Schau doch, wie verliebt du diesen Typen anstarrst!«

Amelie musste unwillkürlich lachen.

Bernie verstand die Welt nicht mehr und vor allem nicht seine Frau. Warum lachte sie? In so einer Situation!

»Ja, es gibt einen anderen Mann in meinem Leben. Aber nein, er ist nicht mein Liebhaber. Er ist mein Bruder.« Amelie seufzte. »Mein geliebter israelischer Bruder Ariel Goldberg. Ich bin seine Halbschwester.«

Jetzt war es raus.

Bernie schaute sie entgeistert an: »Moment mal? Willst du etwa behaupten, dass du einen Bruder hast, von dem ich nichts weiß?«

»Genau das.«

Diese Nachricht musste Bernie erst einmal verdauen. Nach einer kurzen Schweigepause entspannte er sich ein wenig. Die Tatsache, dass es sich hier offensichtlich um einen Bruder von Amelie handelte, bedeutete ja auch, dass seine Frau keinen Liebhaber hatte.

Amelie durchbrach das Schweigen:

»Bernie, es gibt Gründe, warum ich dir bis heute noch nichts von meinem Bruder erzählt habe. Ich werde das jetzt nachholen, aber bitte, bitte versprich mir, dass du alles, was ich dir jetzt erzähle, für dich behältst.«

Bernie war immer noch perplex: »Okay, erzähl. Ich will alles hören!«

»Der Mann auf dem Foto ist also Ariel. Er ist mein Halbbruder. Wir haben einen gemeinsamen Vater, Abraham Goldberg. Aber während Ariel in einer hoch angesehenen israelischen Familie aufgewachsen ist, bin ich nur die uneheliche Tochter aus einer seiner heimlichen Affären. Mein Vater Abraham sorgte damals dafür, dass niemand von dieser für ihn sehr peinlichen Affäre erfuhr. Er zahlte meiner Mutter sogar monatlich ein hohes Schweigegeld, mit der Auflage, die Affäre und die Existenz seiner unehelichen Tochter – also meine Existenz – für immer geheim zu halten. Außerdem verschaffte er uns beiden einen Platz in einem Kibbuz, in dem keine Fragen gestellt wurden. Wie du weißt, habe ich dort gelebt, bis ich dich kennengelernt habe. Doch Ariel fand das Geheimnis unseres Vaters irgendwann heraus und nahm sofort Kontakt zu mir auf. Wir beide verstanden uns auf Anhieb, einigten uns aber darauf, das Geheimnis unseres gemeinsamen Vaters für uns zu behalten. Das hatte Gründe, denn Ariel arbeitete noch vor einigen Jahren für den Mossad, also den israelischen Geheimdienst, und er wollte unsere kleine Familie, also mich, dich, Lion und Alina, schützen. Er wollte damit vermeiden, dass wir in irgendeiner Weise in seine geheimdienstlichen Tätigkeiten hineingezogen wurden. Keiner durfte wissen, dass er eine Halbschwester hatte.«

»Verstehe. Doch wie mir scheint, bin ich der einzige Trottel in unserer Familie, der nichts davon wusste?«

Plötzlich hörten sie ein leises Kichern hinter sich, das von Alina stammte, die ihre wenigen Pickel wieder einmal viel zu stark mit einer körnigen Gesichtscreme übertüncht hatte:

»Das hast jetzt du gesagt, Daddy. Aber sinngemäß trifft das so zu!«

Bernie drehte sich überrascht um und schaute auf Alina, die gerade dabei war, ihre langen Haare mit einem Handtuch abzutupfen.

»Du bist schon wach?«

Alina nickte gähnend. »Ja, leider. Konnte nicht gut schlafen.«

Bernie schaute seine fünfzehnjährige Tochter gespielt ärgerlich an: »Also unsere kleine Maus ist ebenfalls eingeweiht, na prima!«

»Klar, ich kenne Mums Geheimnis schon länger, habe es aber niemandem verraten, auch nicht Lion. Der glaubt immer noch, dass er der Einzige ist, der unseren obercoolen Onkel kennt. Ariel hat mich mit einem unmoralisch hohen Schweigegeld bestochen, nachdem ich ihn mal im Pferdestall mit Mum zusammen gesehen habe. Da konnte ich nicht Nein sagen. Tut mir leid Daddy, aber du hast mir doch mal beigebracht, dass man Versprechen unbedingt einhalten soll.«

Bernie schüttelte den Kopf und wandte sich an seine Frau: »Und warum erzählst du mir heute davon und behältst dieses kleine Geheimnis nicht auch weiterhin für dich?«

»Ja, Mum, warum verrätst du Daddy das Geheimnis jetzt?«

Amelie fasste ihren Mann und Alina mit festem Druck an den Händen.

»Das macht mich ja gerade so fertig, ihr zwei! Ich weiß mir einfach nicht mehr zu helfen! Außerdem hast du ja dieses Foto gefunden und mich dadurch in Erklärungsnot gebracht, Bernie.«

Bernies Miene wurde ernst: »Sprich weiter!«

»Vor zwei Tagen hat mich Ariel angerufen und mir etwas erzählt, was vielleicht unser ganzes Leben auf den Kopf stellen wird.«

Alina und Bernie schauten Amelie irritiert an. Die fuhr fort: »Lion ist in Europa in eine ganz heiße Geschichte reingeraten. Ihr erinnert euch doch an das Mädchen, in das er sich verliebt hatte?«

»Ja, Jackie«, platzte Alina heraus. Ein neckisches Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Lion hat sich mega in sie verschossen und ist wegen ihr sogar nach Basel gefahren.«

»Ja, Lion hat sie auch tatsächlich in Basel getroffen.«

Amelie fuchtelte herum. »Ach, ich muss abkürzen, die Zeit drängt. Jackie wurde dort von einer dubiosen Geheimorganisation gekidnappt und verschleppt. Das Mädchen steckt in irgendetwas drin, was Lion mir nicht erzählen wollte. Ihr werdet mir die Story wahrscheinlich sowieso nicht glauben, aber sie ist wahr: Lion ist den Kidnappern nach Italien gefolgt und hat Jackie mit Ariels Hilfe befreit.«

Alina und Bernie schauten Amelie an, so als ob sie einen Alien vor sich hätten, aber die fuhr unbeirrt fort. »Damit hat er sich mit einer weltweit vernetzen Geheimorganisation angelegt, die jetzt hinter den beiden her ist und alles tun wird, um Jackie wiederzubekommen und Lion zu töten.«

Völlig überfordert schüttelte Bernie, der das alles nicht glauben konnte, den Kopf: »Jetzt halt mal die Luft an, Amelie! Was ist wirklich passiert? Bitte mach keine Witze!«

»Doch, Bernie, es ist alles wahr – leider! Unser Sohn hat sich mit einer Geheimorganisation angelegt und Jackie befreit. Jetzt ist er auf der Flucht. Ariel hat die beiden an einem geheimen Ort versteckt, den er mir nicht verraten hat. Aber jetzt kommt’s erst: Laut Ariel sind auch wir in Gefahr. Ariel und ich haben vereinbart, dass er oder Lion mich benachrichtigen wird, wenn …«

»Du meinst, die Organisation, die hinter Lion und Jackie her ist, bedroht jetzt auch uns?«, schrie Bernie verzweifelt dazwischen.

Amelie nickte bedrückt: »Höchstwahrscheinlich! Lion hat mich gestern angerufen und noch einmal seine Sorge geäußert, dass wir in Gefahr sind und vielleicht von hier verschwinden müssen.«

Bernie unterbrach sie wieder ungeduldig: »Was meinst du mit verschwinden?«

»Untertauchen. Vorerst zumindest.«

Alle drei schwiegen betreten.

»Und sollte die Sache konkret werden, würde er mir sofort eine Nachricht zusenden.«

»Und ist die Sache jetzt konkret?«, wisperte Bernie.

»Ja. Ich habe eben folgende Nachricht erhalten.«

Amelie zeigte Bernie und Alina den Ausdruck auf Papier:

»Mum! Ihr müsst untertauchen, sofort!
Koordinaten anbei. Am Zielort steht
eine Motorjacht für euch bereit.
    Bis später, Lionelly
    PS: Lieb' dich!«

Keiner sagte etwas. Nach einer längeren Pause fasste sich Amelie ein Herz: »Bernie, Alina, es ist wirklich ernst! Bitte packt eure Sachen. Nur das Nötigste, so als ob wir für drei Wochen in den Urlaub fahren würden. Ich erzähle euch den Rest im Auto. Wir müssen von hier verschwinden, sofort.«

Kapitel 2

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In der Nähe von Assuan in Ägypten – 13. Juli, 15:15 Uhr

Professor Alexandro Novotny schaute durch einen schmalen Felseingang in das vor ihm liegende Gewölbe, das durch den starken Lichtstrahl seiner Taschenlampe hell erleuchtet wurde. Ihm stockte der Atem beim Anblick dessen, was er zu sehen bekam.

Janina Adams folgte ihm auf den Fuß, blieb ebenfalls abrupt stehen, starrte völlig fasziniert in das vor ihnen liegende Höhlengewölbe und pfiff durch die Zähne. »Unglaublich! Wahnsinn! Wir haben es gefunden! Wir haben den alten Tempel und das geheimnisvolle Sternsymbol tatsächlich gefunden!«

»Ja, Janina! Ich kann es selbst kaum glauben. Es ist atemberaubender, als ich vermutet hatte.«

* * *

Auf einer Pferderanch in Texas – 09:00 Uhr

Ein Jeep fuhr durch das Tor zur Pferderanch und stoppte direkt vor dem Haus der Familie Daniels. Drei vermummte Männer sprangen heraus, die Waffen im Anschlag. Während einer der Männer sofort zur Rückseite des Farmhauses lief, stellten sich die anderen beiden rücklings neben die vordere Eingangstür. Der Vermummte, der rechtsseitig stand, öffnete vorsichtig die Tür – sie war unverschlossen – und drang ins Haus ein. Der andere sicherte ihn von hinten ab.

* * *

Lake Livingston in Texas – 09:02 Uhr

Bernie steuerte den Range Rover auf einen Parkplatz direkt vor eine einsame Anlegestelle am Lake Livingston, etwa 80 Kilometer nördlich von Houston und keine zehn Minuten von ihrer Farm entfernt.

»Da ist sie, die Motorjacht«, rief Alina begeistert. »Also im Organisieren von Mitfahrgelegenheiten scheint Onkel Ariel wirklich unschlagbar zu sein. Diese Jacht übertrifft alles, was ich erwartet hätte.«

Amelie nickte und sprach sich selbst Mut zu: »Ja, das ist bestimmt ein richtiges Hausboot, auf dem man es für eine längere Zeit aushalten kann.«

Bernie schaltete den Motor ab. Alle drei verließen das Fahrzeug und schauten unsicher in Richtung der Jacht, die einsam auf dem Wasser lag. Ein kühler Wind strömte vom Wasser herüber und erfüllte Bernie mit einem leichten Frösteln.

»Ich gehe vor und schaue mich mal um. Ihr wartet hier.«

Bernie lief über den Steg zur Jacht und betrat sie. An der Tür zum Innenbereich klebte ein Umschlag. Bernie löste ihn von der Tür – er fühlte sich klamm und kalt an, wie alles hier auf dem Boot –, öffnete ihn und las eine kurze Nachricht:

Bitte verliert keine Zeit und fahrt sofort mit der Jacht los. Man ist euch schon dicht auf den Fersen! Um das Fahrzeug kümmert sich jemand.
    Liebe Grüße Lionelly.
PS: Es tut mir so leid, dass ich euch in die Sache mit hineingezogen habe. Alles wird gut!

Bernie winkte den beiden anderen zu: »Ihr könnt kommen. Das Fahrzeug sollen wir einfach stehen lassen.«

Alina und Amelie folgten ihm auf die Jacht.

* * *

Auf der Farm verließen die drei Vermummten das Haus. Der Anführer nahm sein Smartphone zur Hand.

»Hier ist niemand. Was sollen wir tun?«

Der Mann am anderen Ende der Leitung schlug frustriert mit der Faust auf den Tisch.

»Mist, sie waren doch eben noch im Haus! Sie können noch nicht weit sein. Nehmt die Verfolgung auf, sofort! Ich sende euch die Tracking-Daten des Fahrzeugs aufs Smartphone.«

»Alles klar, verstanden!«

* * *

In einem Geheimversteck in Texas, 09:05 Uhr

Ariel sprang vom Schreibtisch auf und lief zu Yumiko.

»Los, schnell, du musst herausfinden, wo sich das Fahrzeug von Amelie und Bernie gerade aufhält. Sie haben fluchtartig die Farm verlassen. Ich befürchte Schlimmes!«

* * *

Nachdem Alexandro Novotny längere Zeit versucht hatte, die von Ariel Goldberg gestellte 3-D-Kamera zum Fotografieren zu bringen, schaute er seine studentische Hilfskraft frustriert an, die die ganze Zeit über völlig fasziniert und wie hypnotisiert das geheimnisvolle Kunstwerk betrachtet hatte.

»Die 3-D-Kamera funktioniert nicht. Sie muss gestern beim Sandsturm etwas abbekommen haben.«

Janina Adams fiel es schwer, ihren Blick von diesem Meisterwerk der optischen Illusionen abzuwenden und sich der Realität zu stellen.

»Was? Wie? 3-D-Kamera? Was haben Sie gerade gesagt, Herr Professor Novotny?«

»Die 3-D-Kamera funktioniert nicht. Wir müssen uns irgendetwas einfallen lassen.«

»Was, sie funktioniert nicht? So ein Mist! Aber warum können wir nicht einfach Fotos mit meinem Smartphone machen und eines davon Herrn Goldberg schicken?«

Der Professor schüttelte seinen Kopf: »Nein, ein Foto mit einer normalen Kamera kann den 3-D-Effekt und damit die optischen Illusionen des Stern-Symbols nicht einfangen. Das schafft nur diese Kamera hier. Aber meinetwegen – nehmen Sie Ihr Smartphone und machen Sie Fotos. Ich kann auch nichts daran ändern, dass das dumme Ding nicht funktioniert. Wir müssen schauen, ob wir sie im Lager reparieren können. Dann kommen wir morgen wieder und holen das Versäumte nach.«

Das ließ sich die Studentin nicht zweimal sagen. Schnell nahm sie ihr Smartphone zur Hand und machte sofort mehrere Aufnahmen vom Stern-Symbol, von den Symbolen außenherum mitsamt den Hieroglyphen, welche die Wände schmückten. Janinas Blick fiel dabei auf eine Wandmalerei, die sie durch die Allgegenwart des Stern-Symbols übersehen hatte. Es war die Darstellung eines nicht fertiggestellten Turms. Unter diesem Turm waren Schriftzeichen und Symbole, die sich von den restlichen altägyptischen Hieroglyphen deutlich unterschieden.

Janina Adams schaute den Professor mit leuchtenden Augen an: »Haben Sie das hier gesehen? Sieht aus wie eine Darstellung aus einer biblischen Geschichte.« Janina atmete tief durch: »Sieht aus wie der Turmbau zu Babel!«